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3.3.2 Strukturfunktionalistische Erklärung von - marinahennig.de

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60<br />

1<br />

<strong>3.3.2</strong> <strong>Strukturfunktionalistische</strong> <strong>Erklärung</strong> <strong>von</strong> Sozialisation<br />

Talcot Parsons (1902 – 1979), <strong>von</strong> 1944 – 1973<br />

Professor in Cambridge (Massachusetts/USA),<br />

hat einerseits <strong>de</strong>n Systembegriff in <strong>de</strong>r<br />

soziologischen Theorie etabliert und an<strong>de</strong>rerseits<br />

über dreißig Jahre hinweg ein Mo<strong>de</strong>ll zur Analyse<br />

<strong>von</strong> Systemstrukturen und -prozessen entwickelt,<br />

<strong>de</strong>ssen Denkweise als strukturell-funktionale<br />

bezeichnet wur<strong>de</strong>. Im Rahmen seiner Theorie<br />

wird je<strong>de</strong> Handlung auf ihre Be<strong>de</strong>utung für die<br />

Struktur eines Systems und auf ihre Funktion für<br />

die Stabilität <strong>de</strong>s Systems hin analysiert, d. h.<br />

danach befragt, ob sie funktional ist und zur<br />

Erhaltung <strong>de</strong>s Systems beiträgt o<strong>de</strong>r ob sie es als<br />

dysfunktional beeinträchtigt. Für unser Thema ist<br />

sein Ansatz <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung, als mit Parsons<br />

erstmals ein Konzept vorgelegt wird, das die<br />

Persönlichkeitsentwicklung im<br />

gesamtgesellschaftlichen Kontext analysiert.<br />

Parsons Annahme: Menschliches Han<strong>de</strong>ln ist<br />

nicht <strong>von</strong> Natur bestimmt, weil es keine<br />

hinreichend natürlich bedingte Programmierung<br />

<strong>de</strong>s Verhaltens gibt – nichts in <strong>de</strong>r Welt ist<br />

natürlich o<strong>de</strong>r selbstverständlich. Das<br />

vorausgesetzt ist es um so erstaunlicher, daß<br />

überhaupt Ordnung herrscht und nicht Chaos.<br />

Die Problemstellung kann somit auf die Frage<br />

verschoben wer<strong>de</strong>n, wie ist<br />

Ordnung/Gleichgewicht möglich o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs<br />

gefragt, wie muß elementare Interaktion<br />

gesteuert wer<strong>de</strong>n, damit es in einer Gesellschaft<br />

(mit Parsons könnte'man sagen im<br />

Systemkontext) nicht zu Abweichungen und Rei-<br />

bungen kommt?<br />

Parsons Antwort: Die Chance einer Ordnung ist<br />

zufällig. Sie wird durch <strong>de</strong>n Aufbau <strong>von</strong><br />

Handlungssystemen auf ein vernünftiges Maß<br />

rationaler Erwartbarkeit gesichert. Dieses Maß<br />

rationaler Erwartbarkeit erreichen die<br />

Handlungssysteme durch soziale Kontrolle. Bei<br />

Parsons Antwort han<strong>de</strong>lt es sich um eine<br />

systematische Verknüpfung einer Theorie <strong>de</strong>s<br />

sozialen Systems mit einer Sozialisationstheorie.<br />

Diesen wenigen Ausführungen ist schon zu<br />

entnehmen, daß es schwierig wer<strong>de</strong>n könnte,<br />

Parsons völlig zu verstehen. Wir wollen uns<br />

jedoch nur auf einen kleinen Ausschnitt seiner<br />

Arbeit beziehen, nämlich <strong>de</strong>njenigen, wo er sich<br />

direkt auf persönlichkeitsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Aspekte<br />

bezieht.<br />

Wir eröffnen das Kapitel mit einem Text, <strong>de</strong>r mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>s Lehrers zum vertieften Verstehen <strong>de</strong>s<br />

Autors genutzt wer<strong>de</strong>n kann, da er Parsons<br />

Denken in Systemen beschreibt. An<strong>de</strong>rerseits<br />

läßt sich jedoch auch mit Material 56 bzw. 57<br />

starten. Die Materialien 55 – 60 führen in<br />

Parsons Vorstellung <strong>von</strong> Sozialisation ein; die<br />

anschließen<strong>de</strong>n Materialien 61 bis 63 greifen auf,<br />

wie sich nach Parsons Sozialisation entwickelt<br />

und stellen die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Individuums in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r Analyse; die abschließen<strong>de</strong>n<br />

Materialien 64 und 65 sollen einen kritischen<br />

1 Das Material stammt aus: Heuwinkel, Ludwig, Peter Krämer, Bernhard Kühmel. Sozialisation: Wer<br />

o<strong>de</strong>r Was bin ich? Reihe: Sozialwisschaftliche Studien für <strong>de</strong>n Sekundarbereich II 2; Schroe<strong>de</strong>l<br />

Schulbuchverlag1993<br />

54 Parsons I<strong>de</strong>e: ein System <strong>von</strong> logisch zusammenhängen<strong>de</strong>n Begriffen zu entwickeln (keine Abbildung<br />

<strong>de</strong>r Realität), durch welche sich Beschreibung und Analyse aller gesellschaftlich be<strong>de</strong>utsamen Phä-nomene in<br />

<strong>de</strong>r Wirklichkeit (z. B. Sozialisationsprozesse) leichter erfassen lassen. In diesem Zusam-menhang <strong>de</strong>nkt er sich<br />

Wirklichkeit als System*. Sie wird aufgelöst in Interaktionen <strong>von</strong> Systemen in Systemen. Da Soziologie für ihn<br />

ebenso wie für Max Weber, <strong>de</strong>r ihn stark beeinflußt hat, eine Theorie <strong>de</strong>s sozialen Han<strong>de</strong>lns ist**, nennt er seine<br />

Theorie „Theorie sozialer Systeme", zu <strong>de</strong>ren wichtigster zentraler Annahme <strong>de</strong>r Zusammenhang <strong>von</strong> System und<br />

sozialem Han<strong>de</strong>ln gehört. Das in <strong>de</strong>r Einführung erwähnte Problem <strong>von</strong> Chaos und Ordnung wird dabei durch<br />

soziales Han<strong>de</strong>ln, d. h. für Parsons durch Handlungssysteme (soziale Systeme) bewältigt.<br />

Je<strong>de</strong>s Handlungssystem ist gekennzeichnet durch statische und prozeßhafte Vorgänge, d. h. durch Struk-turen und<br />

Funktionen, insofern die Struktur eine sinnvolle Anordnung <strong>von</strong> Subsystemen (Teilsystemen) wi<strong>de</strong>rspiegelt,<br />

zwischen <strong>de</strong>nen Austauschprozesse stattfin<strong>de</strong>n, die alle auf die übergeordnete Funktion ausgerichtet sind, das<br />

Gesamtsystem zu erhalten. Dabei sind vier Grundprobleme zu lösen. 1.) die An-passung an die Umwelt, 2.) die<br />

Möglichkeit Ziele zu erreichen, 3.) die Integration (Verschränkung) al-ler Teilelemente und 4.) die<br />

Strukturerhaltung.<br />

Die Beschreibung einer Struktur als statisch entspricht dabei einer analytischen Vereinfachung, um die Zugriff<br />

auf seine Denkvorstellung erleichtern.


Austauschprozesse zwischen Teilsystemen einer Analyse zugänglich zu machen. Die <strong>de</strong>n vier<br />

Grundproblemen entsprechen<strong>de</strong>n Funktionen wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> jeweils einem Subsystem bearbeitet, so daß je<strong>de</strong>s<br />

Handlungssystem vier Subsysteme in sich vereinigt. Das Organismussystem/Verhaltenssystem löst das 1.<br />

Grundproblem, das System <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>s Individuums löst 2., das soziale System löst 3., und das<br />

kulturelle System löst 4.<br />

Diese Systembeschreibung trifft für Parsons vereinfacht gesprochen auf <strong>de</strong>n Menschen in Gruppen zu.<br />

Eine Gruppe wird mithin als Handlungssystem begriffen. Das Individuum als soziales Objekt trägt die<br />

Handlung, <strong>von</strong> ihm geht soziales Han<strong>de</strong>ln aus. Es wird zugleich als Persönlichkeitssystem bezeichnet.<br />

Genauer: Durch Interaktion zwischen Menschen wer<strong>de</strong>n soziale Systeme (z. B. eine Klasse) gebil<strong>de</strong>t,<br />

die Werte, Normen und Rollen begrün<strong>de</strong>n, quasi als Teilsystem eines allgemeinen Handlungssystems, z.<br />

B. <strong>de</strong>r Schule, die in an<strong>de</strong>rer Hinsicht selbst soziales System in einem übergeordneten Handlungssystem<br />

ist. Die kleinste Einheit eines sozialen Systems stellen zwei Individuen dar. Die Individuen selber sieht<br />

Parsons auch als System. Als solches (Persönlichkeitssystem) sind sie Teilsystem eines allgemeinen<br />

Handlungssystems. Entsprechend unseren obigen Ausführungen wür<strong>de</strong> das Handlungssystem Schule<br />

dann noch durch das Kultursystem (System <strong>von</strong> Symbolisierungen, wie z. B. <strong>de</strong>r Sprache, <strong>de</strong>r Beschäftigung<br />

mit Grundwerten <strong>de</strong>r Gesellschaft, wissenschaftlichen Mo<strong>de</strong>llen und Begriffen, Kunst, Religion ...) und<br />

das Organismussystem (vereinfacht materielle Ressourcen, im Beispiel Schule etwa das architektonische<br />

Umfeld) strukturiert.<br />

Die umfassendste Form eines sozialen Systems ist die Gesellschaft als Gesamtsystem<br />

(Handlungssystem), die intern in Hierarchieebenen geglie<strong>de</strong>rt ist. An <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r hierarchischen Struktur<br />

ist das Sozialsystem im konkreten Menschen als physischer Organismus verwurzelt. Als Persönlichkeit<br />

nimmt das Individuum an Prozessen sozialer Interaktion mittels verschie<strong>de</strong>ner Rollen teil, die<br />

komplementär organisiert und zu Kollektiven zusammengefaßt sind (z. B. Institutionen wie Ehe, Familie,<br />

Schule). Die Spitze <strong>de</strong>s Systems bil<strong>de</strong>t die Gesellschaft als Gesamtsystem.<br />

Was zu verstehen ist, sei vereinfacht gesprochen folgen<strong>de</strong>rmaßen erklärt: Wenn Individuen durch<br />

Interaktion ein soziales System bil<strong>de</strong>n und so ein Handlungssystem konstituieren und dieses<br />

Handlungssystem gleichzeitig durch die Subsysteme eines allgemeinen Handlungssystems strukturiert<br />

wird, wie z. B. diejenigen, die auch das soziale System Gesamtgesellschaft repräsentieren, dann ist die<br />

Komplexität <strong>de</strong>s Denkmo<strong>de</strong>lls aufzulösen. Das ist dadurch möglich, daß das Individuum vereinfacht<br />

gesprochen durch das bestimmt wird, was es umgibt, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs ausgedrückt, <strong>de</strong>r Gehalt aufgrund <strong>de</strong>ssen<br />

gehan<strong>de</strong>lt wird, ist bereits durch an<strong>de</strong>re Subsysteme, in Son<strong>de</strong>rheit durch die Gesellschaft festgelegt und<br />

bestimmt. Damit sind wir zu Parsons Sozialisationsbegriff vorgestoßen.<br />

(Autorentext)<br />

* Der Begriff, bezeichnet erstens einen Komplex <strong>von</strong> Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen zwischen Teilen,<br />

Komponenten und Prozessen mit erkennbar regelmäßigen Beziehungen, und zweitens eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nz zwischen einem solchen Komplex und seiner Umgebung.<br />

(aus: Parsons, Talcott, Zur Theorie sozialer Systeme, 1976, zitiert nach: Miebach, Bernhard, Soziologische<br />

Handlungstheorie, Opla<strong>de</strong>n, West<strong>de</strong>utscher Verlag, 1991, S. 126)<br />

** Soziologie (im hier verstan<strong>de</strong>nen Sinn dieses sehr viel<strong>de</strong>utig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine<br />

Wissenschaft, welche soziales Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>utend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen<br />

Wirkungen ursächlich erklären will. ,Han<strong>de</strong>ln' soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob<br />

äußeres o<strong>de</strong>r innerliches Tun, Unterlassen o<strong>de</strong>r Dul<strong>de</strong>n) heißen, wenn und insofern als <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n mit ihm einen subjektiven Sinn verbin<strong>de</strong>n. ‚Soziales' Han<strong>de</strong>ln aber soll ein solches<br />

Han<strong>de</strong>ln heißen, welches seinem <strong>von</strong> <strong>de</strong>m o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n gemeinten Sinn nach auf das<br />

Verhalten an<strong>de</strong>rer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.<br />

(aus: Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, zitiert nach: Miebach, Bernhard, Soziologische Handlungstheorie,<br />

Opla<strong>de</strong>n, West<strong>de</strong>utscher Verlag, 1991, S. 17)<br />

61


62<br />

55<br />

56<br />

57<br />

Das Parsonssche Vier-Funktionen-Schema (AGIL)<br />

Funktion<br />

Aufrechterhal<br />

tung <strong>de</strong>r<br />

Strukturen<br />

(Lattent<br />

Pattern<br />

Maintenance)<br />

Funktion<br />

Spezialisierung<br />

auf Anpassung<br />

an die<br />

Bedingungen<br />

(Adaption)<br />

Persönlichkeitssystem und Sozialisation<br />

Das Persönlichkeitssystem lernt im Laufe seines Lebens jene durch das Sozialsystem und die an<strong>de</strong>ren<br />

übergeordneten Systeme repräsentierten Norm- und Wertorientierungen bzw. Erwartungen in sich<br />

aufzunehmen und zu bewahren. Das Medium, in <strong>de</strong>m dieses Lernen geschieht, ist ... das soziale Han<strong>de</strong>ln.<br />

Klar ist nun auch, daß die Persönlichkeiten jene Ziele zu verfolgen haben, die ihnen durch das System<br />

bzw. die übergeordneten Systeme gesetzt sind. In <strong>de</strong>r Umkehrung wird jetzt aber auch <strong>de</strong>utlich, daß das<br />

Sozialsystem eine Integrationsfunktion hat ... nämlich die Funktion, auch die Subsysteme in das<br />

Persönlichkeitssystem zu integrieren. Der pädagogisch interessante Punkt ist also nun, daß die<br />

einzelnen Mitglie<strong>de</strong>r einer Gesellschaft allmählich lernen müssen!, die Perspektiven, die die<br />

Gesellschaft festgelegt hat, und die sie über ihre gestuften und inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nten (gegenseitig<br />

<strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r abhängigen, d. V.) Systeme anbietet, zu lernen o<strong>de</strong>r, wie es im Terminus <strong>de</strong>r Psychoanalyse<br />

heißt, zu „internalisieren" (verinnerlichen, d. V.). Dabei muß die Persönlichkeit sich so zu organisieren<br />

lernen, daß ihre inneren Motivationen <strong>de</strong>n äußeren Erwartungen entsprechen, und daß sie ihre<br />

Persönlichkeitsstruktur, d. h. auch ihre I<strong>de</strong>ntität so ausbil<strong>de</strong>t, daß sie mit <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Erwartungen konform ist.<br />

(aus: Kron, Friedrich, Grundwissen Pädagogik, München und Basel, Reinhardt, 1989, S. 102 f.)<br />

Rolle als Handlungskontrolle<br />

LKultursystem wird als ein<br />

System <strong>von</strong> Symbolisierungen,<br />

wie z. B. <strong>de</strong>r Sprache, <strong>de</strong>r<br />

Beschäftigung mit Grundwerten<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft,<br />

wissenschaftlichen Mo<strong>de</strong>llen<br />

und Begriffen, Kunst, Religion<br />

bezeichnet.<br />

A Organismussystem/<br />

Verhaltenssystem<br />

stellt die jeweils kulturtypische<br />

Variante <strong>von</strong> „materiellen"<br />

Ressourcen (Organismus) dar.<br />

I Soziales System<br />

begrün<strong>de</strong>t die Kategorien <strong>de</strong>r<br />

Sozialstruktur, wie Werte,<br />

Normen, Kollektive und Rollen;<br />

ist also gekennzeichnet durch<br />

Interaktion.<br />

G/Persönlichkeitssystem<br />

spiegelt die<br />

Realitätsorientierung, <strong>de</strong>n<br />

Aspekt <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n (Aktor),<br />

Ziele und Interessen auf die<br />

Han<strong>de</strong>ln ausgerichtet sind.<br />

Die Aufgabe <strong>de</strong>s Sozialisationsprozesses besteht also nach PARSONS darin, <strong>de</strong>r neuen, nachwachsen<strong>de</strong>n<br />

Generation <strong>de</strong>r Gesellschaftsmitglie<strong>de</strong>r die gelten<strong>de</strong>n Wertmuster und Wertorientierungen zu vermitteln<br />

und zugleich damit auch die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten, die erfor<strong>de</strong>rlich<br />

sind, damit sie die gesellschaftlichen Rollen und Positionen sukzessive übernehmen und kompetent<br />

ausfüllen können. Dabei geht es vor allem darum, daß Kin<strong>de</strong>r die Werte und Normen nicht nur äußerlich<br />

zu befolgen lernen, son<strong>de</strong>rn daß sie sich die Werte und Normen mit <strong>de</strong>r Zeit zu eigen machen, daß sie sie<br />

in ihr „Persönlichkeitssystem" o<strong>de</strong>r, wie PARSONS auch sagt, in ihr „psychisches System"<br />

verinnerlichen, ,internalisieren`. Auf diese Weise sollen die Werte und Normen zu ihren eigenen<br />

Handlungsmotiven wer<strong>de</strong>n, so daß in <strong>de</strong>r Regel keine beson<strong>de</strong>re soziale Überwachung und Kontrolle<br />

mehr erfor<strong>de</strong>rlich ist. Aus <strong>de</strong>r äußeren, sozialen Kontrolle am Beginn <strong>de</strong>s Sozialisationsprozesses soll<br />

also eine innere, individuelle und subjektive Handlungskontrolle wer<strong>de</strong>n.<br />

(aus: Reichwein, Roland, Sozialisation im Jugendalter, Kurseinheit 2, Fernuniversität Hagen, 1984, S. 52)<br />

Funktion<br />

Integration<br />

aller Teilelemente<br />

(Integration)<br />

Funktion<br />

Ausrichtung<br />

auf Ziele<br />

(Goal<br />

atteinment)


1. Bil<strong>de</strong>n Sie Beispiele, die im Weberschen Sinne einerseits Han<strong>de</strong>ln und an<strong>de</strong>rerseits soziales<br />

Han<strong>de</strong>ln beschreiben (Mat. 54).<br />

2. Zählen Sie Beispiele <strong>von</strong> sozialen Systemen (Handlungssystemen) auf, in <strong>de</strong>nen Sie sozial<br />

han<strong>de</strong>ln (Mat. 54).<br />

3. Erläutern Sie anhand <strong>de</strong>s Beispiels Schule die verschie<strong>de</strong>nen <strong>von</strong> Parsons differenzierten<br />

Teil-systeme. Zeigen Sie auf, wie das soziale System Schule die für ein Handlungssystem<br />

typischen Grundprobleme löst, ohne aus <strong>de</strong>m Gleichgewicht zu geraten (Mat. 54 und 55).<br />

4. Konstruieren Sie Verhaltensweisen einer Teilgruppe <strong>de</strong>s sozialen Systems Schule, durch die<br />

das Gleichgewicht <strong>von</strong> Schule <strong>de</strong>stabilisiert wer<strong>de</strong>n kann (Mat. 54 und 55).<br />

5. Inwiefern ist es für das Funktionieren eines sozialen Systems günstig, wenn die individuellen<br />

Bedürfnisdispositionen (Bedürfnisbestimmungen) mit <strong>de</strong>n gesellschaftlichen übereinstimmen<br />

(Mat. 54 bis 56)?<br />

6. Erklären Sie <strong>de</strong>n Zusammenhang/Unterschied zwischen sozialer Kontrolle und Internalisierung<br />

(Mat. 56 und 57).<br />

7. Beurteilen Sie die Auffassung <strong>von</strong> Entfaltung, wie sie bei Parsons <strong>de</strong>utlich wird (Mat. 57).<br />

58 Rolle und Wertorientierung<br />

Sozialisation wird bei Parsons zunächst als gesellschaftliche Formung <strong>de</strong>r Bedürfnisdispositionen<br />

verstan<strong>de</strong>n, die in konformem Rollenhan<strong>de</strong>ln befriedigt wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus ist Sozialisation ein<br />

Prozeß, in <strong>de</strong>m grundlegen<strong>de</strong> Wertorientierungen erworben wer<strong>de</strong>n, die zum erfolgreichen Rollenhan<strong>de</strong>ln<br />

erfor<strong>de</strong>rlich sind. Um dies zu verstehen, muß man sich klarmachen, daß <strong>de</strong>r Sozialisationsprozeß bei<br />

Heranwachsen<strong>de</strong>n nicht auf konkrete künftige Rollen vorbereiten kann; <strong>de</strong>nn ob ein Kind später einmal<br />

Opernsänger o<strong>de</strong>r Straßenbahnfahrer, Politiker o<strong>de</strong>r Textilverkäufer wird, entschei<strong>de</strong>t sich erst im frühen<br />

Erwachsenenalter. Es kommt hinzu, daß Menschen im Laufe ihres Lebens familiäre Situationen und<br />

berufliche Tätigkeiten – und damit auch Rollen – wechseln; dies alles kann durch Sozialisation nicht<br />

konkret vorbereitet wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nnoch muß Sozialisation zur Übernahme und zur Ausfüllung dieser Rollen<br />

befähigen. Die Antwort <strong>de</strong>r strukturfunktionalen Theorie auf dieses Problem ist die Unterscheidung zwischen<br />

funktional-spezifischen Rollenerwartungen (die für einzelne Rollen in speziellen Situationen gelten) und<br />

übergreifen<strong>de</strong>n Orientierungen, die in allgemeiner Weise das Han<strong>de</strong>ln in unterschiedlichen Rollen anleiten ...<br />

Ein Beispiel mag dies ver<strong>de</strong>utlichen. Die Erwartung an eine Vorzimmer-Sekretärin, stören<strong>de</strong> Besucher<br />

freundlich, aber bestimmt abzuweisen, ist eine spezifische Rollenerwartung. Generell ist hingegen die<br />

Anfor<strong>de</strong>rung an Berufsrollen, sachgerecht, funktional und möglichst emotionsfrei die übertragenen Aufgaben<br />

zu erledigen. Während spezifische Formen <strong>de</strong>s Rollenhan<strong>de</strong>lns (im Sinne <strong>von</strong> Techniken) in <strong>de</strong>n Situationen<br />

selbst gelernt wer<strong>de</strong>n, müssen generelle Verhaltensorientierungen tiefer in <strong>de</strong>r Persönlichkeit verankert und<br />

daher im Sozialisationsprozeß längerfristig vorbereitet wer<strong>de</strong>n. Die Fähigkeit zum Rollenhan<strong>de</strong>ln wird im<br />

Sozialisationsprozeß somit vor allem durch <strong>de</strong>n Erwerb allgemeiner, für viele Rollen be<strong>de</strong>utsamer<br />

Grundorientierungen erworben. Parsons beschreibt für <strong>de</strong>n öffentlichen Bereich <strong>de</strong>r US-amerikanischen<br />

Gesellschaft ein solches übergreifen<strong>de</strong>s Wertmuster als universalistische Orientierung. Er sieht darin<br />

jenseits aller sozialer Dynamik ein relativ stabiles und übergreifen<strong>de</strong>s Wertesystem; die Ausrichtung an <strong>de</strong>r<br />

individuellen Leistung, die Erwartung affektiver Neutralität, die Begrenzung <strong>von</strong> Kommunikation auf die<br />

jeweiligen Aufgaben gehören dazu. Eine Orientierung an solchen Wertmustern ist in komplexen<br />

Gesellschaften vor allem erfor<strong>de</strong>rlich, um in Berufsrollen erfolgreich agieren zu können. Demgegenüber<br />

herrscht in <strong>de</strong>r Familie und in an<strong>de</strong>ren privaten Kontexten eher eine entgegeng-setzte Wertorientierung:<br />

Beziehungen sind affektiv gefärbt, und Leistungserbringung steht nicht im Vor<strong>de</strong>rgrund. Eine solche<br />

Wertorientierung wird als partikularistisch bezeichnet. Mit dieser Gegenüberstellung wird einerseits auf<br />

eine wichtige Aufgabe <strong>de</strong>s Sozialisationsprozesses, an<strong>de</strong>rerseits auf ein be-<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s analytisches Instrument<br />

<strong>de</strong>r Parsonschen Soziologie – die «pattern variables» – verwiesen.<br />

(aus: Tillmann, Klaus Jürgen, Sozialisationstheorien, Reinbek, Rowohlt, 1989, S. 115 f.)<br />

63


64<br />

Orientierungsalternativen (Pattern variables)<br />

59 Notwendige Qualifikationen für Rollenhan<strong>de</strong>ln<br />

(Pattern variables) ORIENTIERUNGSDIMENSIONEN (Typologie)<br />

für kulturelle Wertmuster, soziale Normen, Motivationen<br />

(Autorenschaubild)<br />

Verhaltensalternative partikularistische<br />

Grundorientierung<br />

(Selbst-<br />

Gemeinschafts-<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>t, ob er sich auf Rollenpartner<br />

für einen speziellen Zweck orientiert o<strong>de</strong>r für eine Vielzahl<br />

<strong>von</strong> Situationen<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>t zwischen engagiertem o<strong>de</strong>r distanziertem<br />

Eingehen auf Personen (er beachtet spätere<br />

Konsequenzen o<strong>de</strong>r nicht)<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r wählt, ob er Rollenpartner unter Aspekten<br />

<strong>de</strong>r persönlichen Qualitäten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r erbrachten bzw.<br />

nichterbrachten Leistungen betrachtet<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r wählt, ob ein Objekt/Situation eine spezielle<br />

Be<strong>de</strong>utung o<strong>de</strong>r Allgemeingültigkeit hat.<br />

diffus (unspezifisch)<br />

affektiv (emotional)<br />

qualitativ (zugeschrieben)<br />

partikular (einmalig)<br />

universalistische<br />

Grundorientierung<br />

(Gesellschaftsorientierung<br />

spezifisch (funktional,<br />

klar umschrieben)<br />

affektiv neutral (sachlich,<br />

kühl)<br />

performativ (errungen)<br />

universalistisch (austauschbar,<br />

generell frei<br />

<strong>von</strong> Einmaligkeit)<br />

Das Schaubild stellt Grundmuster <strong>von</strong> Alternativen dar, an <strong>de</strong>nen sich Rollenbeziehungen orientieren, um bei zunehmen<strong>de</strong>r<br />

sozialer Differenzierung handlungsfähig zu bleiben. Die Orientierungsdimensionen dienen damit einerseits<br />

„<strong>de</strong>r Kategorisierung <strong>von</strong> Objekten", an<strong>de</strong>rerseits bil<strong>de</strong>n sie auch die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Maßstäbe und Kriterien<br />

zur Unterscheidung <strong>de</strong>r Bedürfnisdispositionen (Handlungsmotive) <strong>von</strong> Individuen. Dabei ist <strong>de</strong>r Begriff<br />

Alternative nur i<strong>de</strong>altypisch zu fassen, weil Rollen selten ausschließlich durch partikularistische bzw. universalistische<br />

Grundorientierungen gekennzeichnet sind.<br />

1. Erklären Sie <strong>de</strong>n Stellenwert grundlegen<strong>de</strong>r Wertorientierungen für das Rollenhan<strong>de</strong>ln in Parsons<br />

Mo<strong>de</strong>ll.<br />

2. Suchen Sie praktische Beispiele, wo universalistische bzw. partikularistische Orientierungen in<br />

Ihrem Alltag <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung sind.<br />

3. Versuchen Sie zu begrün<strong>de</strong>n, warum in mo<strong>de</strong>rnen, komplexen Gesellschaften zunehmend<br />

solche Fähigkeiten, die universalistische Orientierungen implizieren (beinhalten), notwendig zu<br />

sein scheinen. Wür<strong>de</strong>n Sie eine solche Entwicklung für erstrebenswert halten?<br />

60 Schule als soziales System<br />

Der Prozeß <strong>de</strong>r Sozialisation als Rollenverinnerlichung ist beinahe vom ersten Schultag an verbun<strong>de</strong>n<br />

mit einer relativ systematischen und kontinuierlichen Bewertung <strong>de</strong>r Schulleistungen: Lehrer(innen) erteilen<br />

Zensuren und Zeugnisse, loben und ta<strong>de</strong>ln, belohnen und bestrafen. Dieser Bewertungsprozeß<br />

führt zu einer internen Differenzierung <strong>de</strong>r Schulklasse in gute und weniger gute Schüler. Auf diese<br />

Weise lernen die Kin<strong>de</strong>r, wie man in einer Gruppe einen Status erwirbt und verteidigt. Diese unterschiedliche<br />

Bewertung in <strong>de</strong>r Grundschule erfolgt im «wesentlichen nach einem einzigen Leistungskontinuum<br />

..., <strong>de</strong>ssen Inhalt relative Auszeichnung bei <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r Erwartungen ist, die <strong>de</strong>r Lehrer<br />

als Vertreter <strong>de</strong>r Erwachsenen-Gesellschaft an die Schüler stellt» ... Eine solche Differenzierung ist<br />

funktional notwendig, weil die Schule auch eine Verteilungsinstanz ist und <strong>de</strong>shalb eine Selektionsbasis<br />

für zukünftigen gesellschaftlichen Status ... benötigt. In <strong>de</strong>r Grundschule fin<strong>de</strong>t damit ein «primärer<br />

Selektionsprozeß» ... statt, <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Weichen für <strong>de</strong>n weiteren Schulbesuch und für das Niveau<br />

<strong>de</strong>r künftigen Berufstätigkeit stellt. In <strong>de</strong>r Parsonschen Perspektive haftet dieser schulischen Auslese<br />

nichts Negatives o<strong>de</strong>r Kritikwürdiges an; vielmehr han<strong>de</strong>lt es sich um einen funktional notwendi-


gen Beitrag <strong>de</strong>s Subsystems Schule zu einer leistungsgerechten Verteilung <strong>de</strong>r nachwachsen<strong>de</strong>n Generation<br />

auf die unterschiedlich attraktiven Positionen, die in <strong>de</strong>r Gesellschaft vorhan<strong>de</strong>n sind. Dabei geht<br />

Parsons <strong>von</strong> einer hierarchischen Schichtenstruktur <strong>de</strong>r Gesellschaft aus, in <strong>de</strong>r es eine große Zahl <strong>von</strong><br />

Positionen auf unterer Ebene und eine «immer kleiner wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Zahl» auf höheren Ebenen gibt ... Das<br />

Schulsystem hat die möglichst reibungslose, möglichst gerechte Verteilung in diesem hierarchischen<br />

System vorzubereiten. Dabei macht er <strong>de</strong>utlich, daß eine Auslese (bei <strong>de</strong>r es immer auch «Verlierer»<br />

gibt) nur dann zur gesellschaftlichen Integration beitragen kann, wenn auch die Verlierer das Auslesekriterium<br />

akzeptieren. Ein solches Kriterium ist in <strong>de</strong>r amerikanischen Gesellschaft (wie in <strong>de</strong>r unseren)<br />

die individuelle Leistung. Mit einer Orientierung daran wird „anerkannt", daß es fair ist, unterschiedliche<br />

Belohnungen für verschie<strong>de</strong>ne Leistungsniveaus zu erteilen, solange eine faire Offenheit <strong>de</strong>r<br />

Chancen besteht ... Aufgabe <strong>de</strong>r Lehrkräfte ist es, die Bewertung korrekt am Maßstab <strong>de</strong>r individu-ellen<br />

Leistung vorzunehmen und damit <strong>de</strong>n gerechten Wettbewerb zu sichern ... Für die gesellschaft-liche<br />

Funktion <strong>von</strong> Schule ist es <strong>von</strong> zentraler Be<strong>de</strong>utung, daß die Spielregeln <strong>de</strong>s schulischen und die <strong>de</strong>s<br />

beruflich-gesellschaftlichen Wettbewerbs die gleichen sind: Mit <strong>de</strong>r Orientierung an <strong>de</strong>r individu-ellen<br />

Leistung ist die «Grundschulklasse ... somit in einem grundsätzlichen Sinn eine Verkörperung <strong>de</strong>s<br />

fundamentalen amerikanischen Wertes <strong>de</strong>r Chancengleichheit, in<strong>de</strong>m sie sowohl auf ursprüngliche<br />

Gleichheit als auch auf unterschiedliche Leistung Wert legt».<br />

(aus: Tillmann, Klaus-Jürgen, Sozialisationstheorien, Reinbek, Rowohlt, 1989, S. 121 f.)<br />

1. Erklären Sie die Rolle <strong>de</strong>s Schulsystems für Gesellschaft und Individuum im Verständnis <strong>de</strong>s<br />

Strukturfunktionalismus.<br />

61 Implikationen für das Konzept <strong>de</strong>r individuellen I<strong>de</strong>ntität<br />

Auf zwei vielleicht entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Gesichtspunkte muß beson<strong>de</strong>rs hingewiesen wer<strong>de</strong>n: 1. In je<strong>de</strong>m<br />

durch kulturelle Symbolsysteme vermittelten System menschlicher sozialer Interaktion muß je<strong>de</strong>s Individuum<br />

als Einheit eines solchen Systems sowohl als Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r ‚motiviert' ist (er hat Wünsche,<br />

Ziele, internalisierte Wertorientierungen und natürlich Affekte, ,Gefühle`), als auch als ein Objekt <strong>von</strong><br />

Orientierungen, und zwar für an<strong>de</strong>re Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> wie auch für sich selbst, begriffen wer<strong>de</strong>n ...<br />

2. Je<strong>de</strong>s Individuum ist in vielfältigen Interaktionssystemen eingebettet, so daß <strong>de</strong>r Teil seines motivationalen<br />

Systems, <strong>de</strong>r jeweils ‚engagiert' ist, <strong>von</strong> Situation zu Situation verschie<strong>de</strong>n sein wird. Ebenso<br />

wird seine Be<strong>de</strong>utung als Objekt <strong>von</strong> Kontext zu Kontext variieren. Diese vielfältigen Interaktionsverpflichtungen<br />

<strong>de</strong>sselben Individuums sind nicht zufällig zusammengewürfelt, son<strong>de</strong>rn bil<strong>de</strong>n ein System ...<br />

Es wird im Laufe eines evolutionären Prozesses aufgebaut, <strong>de</strong>n Soziologen gewöhnlich ,Sozialisati-on`<br />

nennen ...<br />

Diese bei<strong>de</strong>n Gesichtspunkte haben Implikationen für unsere Konzeption <strong>de</strong>r individuellen I<strong>de</strong>ntität. Erstens:<br />

Um angemessen in psychischen und sozialen Bereichen und in <strong>de</strong>ren beständigem Zusammenspiel<br />

zu fungieren, muß die Persönlichkeit <strong>de</strong>s Individuums als ein hinreichend <strong>de</strong>utlich konstituiertes<br />

und fest umrissenes Objekt <strong>de</strong>finierbar sein – und zwar, damit Fragen wie ,Wer o<strong>de</strong>r was bin ich' bzw.<br />

ist er? beantwortet wer<strong>de</strong>n können, sowohl für das Individuum selbst wie für seine Interaktionspartner. In<br />

diesem Zusammenhang muß man sich daran erinnern, daß die Persönlichkeit als Objekt das Produkt eines<br />

sozialen Prozesses innerhalb eines kulturellen Rahmens ist; I<strong>de</strong>ntität konstituiert sich nicht auf <strong>de</strong>r<br />

biologischen Ebene. Zweitens: die Tatsache, daß Rollenpluralismus an Be<strong>de</strong>utung gewinnt, be<strong>de</strong>utet,<br />

daß die Individuen mehr zentrifugalen Kräften ausgesetzt sind, weil an je<strong>de</strong> Rollenverpflichtung je eigene<br />

Erwartungen, Belohnungen und Verpflichtungen geknüpft sind. Für die Persönlichkeit wird es unerläßlich,<br />

ein angemessenes Niveau <strong>de</strong>r Integration dieser einzelnen Komponenten herzustellen. Das internalisierte<br />

Selbstbild ist <strong>de</strong>r natürliche Bezugspunkt für diese Integrationsleistung.<br />

(aus: Parsons, Talcott, Der Stellenwert <strong>de</strong>s I<strong>de</strong>ntitätsbegriffs in <strong>de</strong>r allgemeinen Handlungtheorie, in: Rainer Döbert,<br />

Jürgen Habermas und Getrud Nunner-Winkler (Hrsg.), Entwicklung <strong>de</strong>s Ich, Köln, Kiepenheuer und Witsch, 1977, S. 273)<br />

65


66<br />

Nach Durcharbeitung <strong>de</strong>r Materialien auf <strong>de</strong>n vorausgegangenen<br />

Seiten ist nun ein Punkt erreicht,<br />

wo sich die Frage ergibt, wie sich innerhalb <strong>de</strong>s<br />

strukturfunktionalistischen Ansatzes<br />

Sozialisation<br />

62 I<strong>de</strong>ntität und Sozialisation<br />

entwickelt. Zu<strong>de</strong>m muß noch herausgearbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>nn nach Parsons I<strong>de</strong>ntität zu<br />

fassen ist. Zur Klärung dieser bei<strong>de</strong>n<br />

Fragen sollen die nachfolgen<strong>de</strong>n Materialien<br />

dienen.<br />

Die analytische Unterscheidung zwischen Organismus und Persönlichkeit hat somit auf die Tatsache<br />

abzustellen, daß die Struktur <strong>de</strong>s Persönlichkeitssystems sich aus Objekten aufbaut, die durch Erfah-rung<br />

im Verlauf <strong>de</strong>s Lebens gelernt wur<strong>de</strong>n – wobei diese Erfahrung mittels kultureller, symbolisch generalisierter<br />

Medien ‚kodifiziert' (systematisches Erfassen aller Fakten, d. V.) wur<strong>de</strong> ...<br />

Die Erforschung <strong>de</strong>s Sozialisationsprozesses, zu <strong>de</strong>r Freud am meisten beigetragen hat, erlaubt uns, die-sen<br />

Aspekt <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r Persönlichkeit am Einzelfall grob zu skizzieren.<br />

Den Angelpunkt bil<strong>de</strong>t Freuds fundamentale Einsicht, daß <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>r ‚Realität' (sein Realitätsprin-zip)<br />

in <strong>de</strong>r Realität <strong>de</strong>r sozialen Beziehungen <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s besteht; daher sind ‚Objektbeziehungen' so-ziale<br />

Beziehungen, nicht Beziehungen zu physischen Objekten. Das Persönlichkeitssystem <strong>de</strong>s Indivi-duums<br />

baut sich auf durch Internalisierung <strong>von</strong> sozialen Objekten ... Internalisiert wird sowohl eine Rollenbeziehung<br />

als auch eine Bezugsgruppe (collectivity) als Objekt. Freud sagt <strong>de</strong>utlich, daß das Kind<br />

beim Lernen seiner eigenen Rolle auch die reziproke Rolle <strong>de</strong>r Eltern lernen muß (Freud 1961a). Somit<br />

kompliziert sich <strong>de</strong>r Erwerb einer Rolle durch die Notwendigkeit, min<strong>de</strong>stens eine komplimentäre Rol-le<br />

<strong>de</strong>sselben Systems zu verstehen und – in Grenzen – spielen zu können. Der Bezugsgruppenaspekt<br />

(collectivity-aspect) thematisiert daher sozusagen die Basis, aufgrund <strong>de</strong>ren die bei<strong>de</strong>n (o<strong>de</strong>r mehr) Rol-len<br />

tatsächlich komplementär, d. h. miteinan<strong>de</strong>r ‚integriert' sind. Eine solche Integration erfor<strong>de</strong>rt vor allem<br />

die Internalisierung gewisser normativer Komponenten, die die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n komplementären<br />

Rollen normativ festlegen. Die umgangssprachliche Tria<strong>de</strong> <strong>von</strong> ,Ich-Wir-Du` bietet einen<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bezugspunkt. Rollentheoretisch formuliert: mein Han<strong>de</strong>ln und das <strong>von</strong> mir – im normativen<br />

und prognostischen Sinne – erwartete Han<strong>de</strong>ln ,ergeben keinen Sinn' ohne Bezugnahme auf<br />

wechselseitige Erwartungen, die ein Du voraussetzen. Die Beziehung zwischen Ich und Du impliziert<br />

jedoch einen dritten Begriff, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s gemeinsamen Wir. Einige <strong>de</strong>r normativen Komponenten sind verschie<strong>de</strong>n<br />

– <strong>von</strong> Dir und Mir erwartet man nicht, daß wir uns gleich verhalten. An<strong>de</strong>re Komponenten jedoch<br />

wer<strong>de</strong>n geteilt, bei<strong>de</strong> Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> gehören zur selben Bezugsgruppe, und es gibt Probleme <strong>de</strong>r Bezugsgruppe<br />

(collectivity), die uns gemeinsam betreffen.<br />

In diesem theoretischen Rahmen schreitet die Sozialisation über Differenzierungsprozesses (und natürlich<br />

komplementäre Prozesse <strong>de</strong>r Integration) voran, wobei die einfachste dyadische Struktur, nämlich die<br />

zwischen Mutter und Kind, <strong>de</strong>n Ausgangspunkt bil<strong>de</strong>t. Die – im Freudschen Sprachgebrauch – er-ste<br />

I<strong>de</strong>ntifikation kann begriffen wer<strong>de</strong>n als die Gemeinschaft (collectivity), die durch diese Verbindung <strong>von</strong><br />

Mutter und Kind gebil<strong>de</strong>t wird, wobei die Autonomie <strong>de</strong>r kindlichen „Persönlichkeit" minimal ist. Die<br />

nächsten Schritte bestehen dann in <strong>de</strong>r Internalisierung einer aktiv und autonom vom Kind mitbestimmten<br />

Liebesbeziehung zwischen Mutter und Kind in <strong>de</strong>r prä-ödipalen Phase, dann <strong>de</strong>r ödipalen Pha-se<br />

usw.<br />

Dieser Prozeß kann hier nicht en <strong>de</strong>tail diskutiert wer<strong>de</strong>n. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, daß<br />

die Sozialisationsagenturen zunehmend differenziertere soziale Systeme sind – in <strong>de</strong>r ödipalen Pha-se die<br />

Kernfamilie als Ganzes, dann (in mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaften) Familie plus Schule usw. bis zu <strong>de</strong>n<br />

differenzierten Rollensystemen <strong>de</strong>s Erwachsenen. Mit je<strong>de</strong>m Entwicklungsschritt wird <strong>de</strong>m gegebenen<br />

Rollenrepertoire min<strong>de</strong>stens eine neue Rolle eines komplexeren und umfassen<strong>de</strong>ren Bezugsgruppensystems<br />

hinzugefügt. So ist beispielsweise die Rollenstruktur <strong>de</strong>r Grundschule erheblich komplexer als die<br />

innerfamiliale Lebenswelt <strong>de</strong>s prä-ödipalen Kin<strong>de</strong>s; Analoges gilt für das Verhältnis <strong>de</strong>r Lebenswelt <strong>de</strong>s<br />

Jugendlichen und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s jungen Schulkin<strong>de</strong>s.<br />

Von einem entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Blickwinkel her kann dieser ganze Prozeß als Aufstieg beschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />

Man erwartet <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Kind und erlaubt ihm eine neue Rolle innerhalb einer Gemeinschaft, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r es<br />

bislang ausgeschlossen war, zu spielen. Die Zugehörigkeit zu dieser neuen Gemeinschaft verleiht dabei


mehr Prestige und verlangt schwerwiegen<strong>de</strong>re Verantwortlichkeiten als früher.<br />

In <strong>de</strong>n verzweigten Konsequenzen dieses Differenzierungs- und Aufstiegsprozesses lassen sich die zentralen<br />

Probleme <strong>de</strong>r Beziehung zwischen Persönlichkeit <strong>de</strong>s Individuums und sozialem und kulturellem<br />

System ausmachen. Persönlichkeit ist das organisierte System <strong>de</strong>s Verhaltens eines einzelnen leben<strong>de</strong>n<br />

Organismus auf <strong>de</strong>r symbolischen Ebene. Seine Geschichte als Persönlichkeit fängt mit <strong>de</strong>n einfachen<br />

intrafamilialen Beziehungen nach <strong>de</strong>r Geburt und in <strong>de</strong>r frühen Kindheit an. Von dort muß dieses System<br />

sich aus<strong>de</strong>hnen und differenzieren, und es kann in gewissem Sinne seinem Ursprung niemals entkommen.<br />

Sowohl die wichtigsten Merkmale seiner organischen Ausstattung wie seine frühen Persönlichkeitscharakteristika<br />

gehören unauflöslich zu dieser Sphäre <strong>de</strong>r ,Macht <strong>de</strong>r Vergangenheit'. Diese<br />

frühen Ausgangspunkte bil<strong>de</strong>n ein untilgbares Moment <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität je<strong>de</strong>r erwachsenen Person.<br />

(aus: Parsons, Talcott, Der Stellenwert <strong>de</strong>s I<strong>de</strong>ntitätsbegriffs in <strong>de</strong>r allgemeinen Handlungstheorie, in: Rainer Döbert,<br />

Jürgen Habermas und Gertrud Nunner-Winkler (Hrsg.), Entwicklung <strong>de</strong>s Ich, Köln, Kiepenheuer und Witsch, 1977,<br />

S. 74 f.)<br />

63 I<strong>de</strong>ntität als Kern <strong>de</strong>r Persönlichkeit<br />

In seiner Abhandlung „Der Stellenwert <strong>de</strong>s I<strong>de</strong>ntitätsbegriffs in <strong>de</strong>r allgemeinen Handlungstheorie" setzt<br />

Parsons <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Ichs aus <strong>de</strong>r Instanzenlehre <strong>von</strong> Freud in seiner genetischen, strukturellen und<br />

funktionalen Be<strong>de</strong>utung mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität gleich ...<br />

In diesem Zusammenhang kann das Ich bzw. die I<strong>de</strong>ntität als Kern <strong>de</strong>s Persönlichkeitssystems angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auch als jener komplexe Mechanismus, <strong>de</strong>r nicht nur sich selbst gegenüber <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Ansprüchen an<strong>de</strong>rer Systeme balanciert, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r auch das Individuum in <strong>de</strong>r Einzigartigkeit<br />

seiner Umweltbeziehungen austariert. Ihm kommt also eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> und zentrale Funktion<br />

und Be<strong>de</strong>utung im Sozialisationsprozeß zu. Es ist interessant, daß bereits bei Parsons dieser Gedanke<br />

herausgearbeitet wor<strong>de</strong>n ist, <strong>von</strong> ihm aber in seinem Struktur-funktionalistischen Erkenntnisinteresse<br />

zurückgebun<strong>de</strong>n wird an das System. Die I<strong>de</strong>ntität ist also noch nicht zu sich selbst befreit – wie z.<br />

B. bei G. H. Mead – son<strong>de</strong>rn an das System gebun<strong>de</strong>n. Dies zeigt sich in folgen<strong>de</strong>n Punkten: Das Sozialsystem,<br />

mit <strong>de</strong>m das Person- und Organsystem in Verbindung steht, regelt wesentlich die Integrati-on<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Systeme, mithin auch die Integration <strong>de</strong>s Ich. Rollenlernen be<strong>de</strong>utet in diesem Sinne, also<br />

nun nicht alleine das Lernen <strong>de</strong>r Rollen, die für die eigene Person <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung sind, son<strong>de</strong>rn auch die<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen an<strong>de</strong>ren Personen im System. Daher müssen die Bedürfnispositionen, die aus <strong>de</strong>m Es<br />

kommen, immer in Beziehung gestellt wer<strong>de</strong>n zu <strong>de</strong>n Rollenerwartungen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren an das han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong><br />

Subjekt. Das Ich, das diese Balancierungsleistung nun zu vollziehen hat, wird sich unter <strong>de</strong>m Anspruch <strong>de</strong>r<br />

Integration an das Sozialsystem anpassen müssen, mit an<strong>de</strong>ren Worten, es wird sein Be-dürfnissystem<br />

<strong>de</strong>n allgemeinen Rollenerwartungen unterordnen. Man kann daher auch <strong>von</strong> einem Inte-grationstheorem<br />

sprechen. Dabei wird unter Theorem eine Art Lehrsatz verstan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r wissen-schaftlichen<br />

Weiterarbeit dient und daher keine Norm darstellt.<br />

2. In bezug auf das Personsystem kommt <strong>de</strong>m Ich, wie oben dargestellt, die Funktion <strong>de</strong>s „Tores zur<br />

Welt" o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Balancierung zu. Aufgrund <strong>de</strong>s Integrationspostulats muß das Ich das Personsystem aber an<br />

das Sozialsystem anpassen o<strong>de</strong>r mit diesem i<strong>de</strong>ntisch wer<strong>de</strong>n lassen. Das be<strong>de</strong>utet, daß die Wertorientierungen<br />

<strong>de</strong>r Umwelt in das Personsystem hineingenommen wer<strong>de</strong>n. Das hieraus abgeleitete I<strong>de</strong>ntitätstheorem<br />

besagt nun, daß das Personsystem sich an die Normen <strong>de</strong>r Sozialisation, die im Sozialsystem<br />

vorgegeben sind, anpaßt.<br />

3. Die Rollensysteme sind alle positional geregelt. Es bestehen Systeme <strong>von</strong> Rollen, die durch die Hierarchisierung<br />

<strong>de</strong>r Positionen für Konformität <strong>de</strong>r Handlungen und <strong>de</strong>s Verhaltens in <strong>de</strong>n einzelnen Subsystemen<br />

sorgen. Das be<strong>de</strong>utet, daß die Hierarchie <strong>de</strong>r Rollen und die damit verbun<strong>de</strong>nen Positionsinformationen<br />

sowohl die Reproduktion <strong>de</strong>s Systems als auch die Persönlichkeitsentwicklung und<br />

Anpassung <strong>de</strong>s Individuums garantieren. Es kann daher <strong>von</strong> einem Konformitätstheorem gesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Konformitätstheorem, das I<strong>de</strong>ntitätstheorem und das Integrationstheorem sind sozusagen als die<br />

Garanten dafür anzusehen, daß sich das Person- und das Organsystem als Subsystem <strong>de</strong>s Sozialsystems<br />

67


68<br />

entfalten. Sozialisation in diesem Sinne be<strong>de</strong>utet dann nichts an<strong>de</strong>res als die Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r individuellen<br />

Persönlichkeiten in die sozialen Beziehungsmuster.<br />

(aus: Kron, Friedrich, Grundwissen Pädagogik, München und Basel, Reinhardt, 1989, S. 109 ff.)<br />

1. In welcher Hinsicht ordnet Parsons <strong>de</strong>m Ich eine an<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu als Freud?<br />

2. Beurteilen Sie <strong>de</strong>n Stellenwert, <strong>de</strong>n das Lustprinzip (Es) nach Parsons im Prozeß <strong>de</strong>r Vergesellschaftung<br />

<strong>de</strong>s Individuums hat.<br />

3. Erklären Sie inwiefern I<strong>de</strong>ntität bei Parsons an das System gebun<strong>de</strong>n ist.<br />

4. Suchen Sie, in Material 61 und 62 Hinweise darauf, daß Parsons <strong>de</strong>m Individuum Einzigartigkeit<br />

zugesteht.<br />

5. Überprüfen Sie, inwieweit a) Sie sich mit <strong>de</strong>r Schülerrolle i<strong>de</strong>ntifizieren (I<strong>de</strong>ntitätstheorem), b)<br />

Sie die Werte, an <strong>de</strong>nen sich Ihre Rolle orientiert, internalisiert haben (Konformitätstheorem)<br />

und c) die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Schülerrolle mit Ihren Bedürfnissen und Motiven zusammenfallen<br />

(Integrationstheorem). Benutzen Sie u. a. Ihre Beschreibungen, um daraus Kritikpunkte am<br />

Parsonsschen Sozialisationsmo<strong>de</strong>ll, soweit wie es hier wie<strong>de</strong>rgegeben wur<strong>de</strong>, abzuleiten.<br />

6. Vergleichen Sie Ihre Kritik mit <strong>de</strong>n „Anmerkungen zu Parsons" (Mat. 64 und 65).<br />

64 Anmerkungen zu Parsons (1)<br />

Ein Vorwurf an die Sozialisationstheorie <strong>von</strong> Parsons basiert auf <strong>de</strong>r Kritik am analytischen Konzept<br />

<strong>de</strong>s gleichgewichtigen Systems. Bei Anwendung dieses Denkmo<strong>de</strong>lls behandle Parsons das abweichen<strong>de</strong><br />

Verhalten ausschließlich als Dysfunktion, als „Störfaktor", als motivationalen Mangel, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Individuen angelastet wird und durch soziale Kontrolle zu beheben sei ...<br />

Dieser Vorwurf besteht weitgehend zu Recht, wenn er nicht als prinzipieller Einwand gegen das gleichgewichtige<br />

Systemkonzept gemeint ist, son<strong>de</strong>rn nur gegen die spezifische Anwendung dieses Mo<strong>de</strong>lls<br />

durch Parsons. Ab und zu schimmern bei Parsons Ansätze zu einer funktionalen Bestimmung <strong>von</strong> Devianz<br />

(Abweichung, d. V.) o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st <strong>von</strong> Nicht-Konformität durch. So kann abweichen<strong>de</strong>s Verhalten,<br />

das <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Mechanismen <strong>de</strong>r sozialen Kontrolle nicht mehr in Schach gehalten wer<strong>de</strong>n kann,<br />

nicht nur Desintegration, son<strong>de</strong>rn auch sozialen Wan<strong>de</strong>l zur Folge haben ...<br />

Da Parsons die Erhaltung <strong>de</strong>s Systemgleichgewichts unterschwellig zum erwünschten Normal-Zustand<br />

<strong>de</strong>klariert, besteht die Ten<strong>de</strong>nz, Abweichungen aller Art als „pathologische" Erscheinungen abzutun ...<br />

Die i<strong>de</strong>ologisch-psychologische Grundlage dieses Denkens ist eine unkritisch-bejahen<strong>de</strong> Grun<strong>de</strong>instellung<br />

zur amerikanischen Gesellschaft. Wer da<strong>von</strong> ausgeht, daß „die Vereinigten Staaten in die vor<strong>de</strong>rste<br />

Linie <strong>de</strong>r allgemeinen Entwicklung getreten" sind „<strong>de</strong>n Typ <strong>de</strong>r sozialen Ordnung entwickeln, <strong>de</strong>m<br />

die Zukunft gehört" ... interessiert sich in erster Linie für die Erhaltung dieser Ordnung und ist leicht<br />

geneigt, Abweichungen <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r guten Gesellschaft in die Nähe <strong>von</strong> „Krankheit" zu rücken.<br />

(aus: Geißler, Rainer, Die Sozialisationstheorie <strong>von</strong> Talcott Parsons, in: Kölner Zeitschrift für Sozialpsychologie, 31/1,<br />

1979, S. 273)<br />

65 Anmerkungen zu Parsons (II)<br />

Sein Forschungsinteresse gilt in erster Linie <strong>de</strong>r Verinnerlichung <strong>von</strong> dynamischen Rollenstrukturen,<br />

die er inhaltlich in wesentlichen Punkten zu bestimmen vermochte. Die Art und Weise, wie das Problem<br />

<strong>de</strong>s „autonomen Han<strong>de</strong>lns" in <strong>de</strong>r Sozialisationstheorie auftaucht, bedarf jedoch einer differenzierteren<br />

Behandlung als bisher ...<br />

Die Vorstellung einer „kritischen" Autonomie, die bestehen<strong>de</strong> normative Muster <strong>von</strong> Werten her infragestellt,<br />

die (noch) nicht institutionalisiert sind, ist Parsons fremd. Autonomie ist für ihn nicht „kulturüberschreitend",<br />

son<strong>de</strong>rn stets „kulturimmanent", orientiert an institutionalisierten Werten. Diese<br />

Werte wer<strong>de</strong>n allerdings zunehmend vage und interpretationsbedürftig. Daher schließt <strong>de</strong>r Autonomiebegriff<br />

Parsons' eine Kritik und Fortentwicklung existieren<strong>de</strong>r sozialer Verhältnisse, die am Maßstab


einer individuellen Wertinterpretation gemessen wer<strong>de</strong>n, nicht aus. Im Gegenteil: Das Wertsystem <strong>de</strong>r<br />

USA verpflichtet zum sozialen Wan<strong>de</strong>l in Richtung „Freiheit, Demokratie, allgemeine Wohlfahrt und<br />

ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtigkeit" ...<br />

Die Eigenleistung <strong>de</strong>s Individuums bei <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit einer soziokulturellen Umwelt<br />

während <strong>de</strong>s Sozialisationprozesses wird <strong>von</strong> Parsons durchaus gesehen. Insbeson<strong>de</strong>re bei seinem<br />

Versuch, <strong>de</strong>n modischen I<strong>de</strong>ntitätsbegriff in seine Sozialisationstheorie einzubauen, setzt er sich mit <strong>de</strong>n<br />

Problemen <strong>de</strong>s Individuums auseinan<strong>de</strong>r, innerhalb <strong>de</strong>r zentrifugalen Kraftfel<strong>de</strong>r einer zunehmend pluralistischen<br />

Rollenstruktur seine individuelle I<strong>de</strong>ntität zu fin<strong>de</strong>n bzw. zu erhalten, ein Problem das sich<br />

für Intellektuelle wegen ihrer vergleichsweise höheren Einsicht in die Komplexität ihrer eigenen Situation<br />

verschärft stellt ... Zu einer vertieften und differenzierten Mikroanalyse <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätsprobleme fehlt ihm<br />

jedoch das begriffliche Instrumentarium <strong>de</strong>s symbolischen Interaktionismus.<br />

(aus: Rainer Geißler, Die Sozialisationstheorie <strong>von</strong> Talcott Parsons, in: Kölner Zeitschrift für Sozialpsychologie, 31/1,<br />

1979, S. 273 ff.)<br />

1. Diskutieren Sie die Berechtigung <strong>de</strong>r Kritik <strong>von</strong> Theodor W. Adorno: In <strong>de</strong>m formalen Mo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>von</strong> Parsons ließe <strong>de</strong>r „Begriff <strong>de</strong>r Integration__ einen unvernünftigen Zustand <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft Raum ..., sofern er nur Macht genug hätte, die ihm Angehörigen vorweg zu<br />

manipulieren".<br />

2. Diskutieren Sie, ausgehend <strong>von</strong> Parsons, positive und negative Seiten <strong>de</strong>r Schülersozialisation<br />

in <strong>de</strong>r Schule. Überlegen Sie, wie sinnvollere Rollen aussehen könnten und prüfen Sie, wie<br />

Sie dieses I<strong>de</strong>al (über Klassen-, Schulkonferenz, SV-Arbeit) vorstellen und gegebenenfalls umsetzen<br />

können.<br />

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