30.07.2015 Aufrufe

Vom Flüchtlingsjungen zum NVA-Offizier - aggi-info.de

Vom Flüchtlingsjungen zum NVA-Offizier - aggi-info.de

Vom Flüchtlingsjungen zum NVA-Offizier - aggi-info.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Lebens vorbei, immer begleitet von <strong>de</strong>r bohren<strong>de</strong>n Frage: War alles umsonst ?Wie verlief <strong>de</strong>ine Kindheit, was formte dich, warum wur<strong>de</strong>st du Volkspolizist und dannSoldat, wie hast du es trotz erheblicher Bildungslücken durch Krieg und Flucht <strong>zum</strong>Stabsoffizier und schließlich <strong>zum</strong> General <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> gebracht ? Wie hat dieser neue<strong>de</strong>utsche Staat in <strong>de</strong>r damaligen Sowjetischen Besatzungszone, <strong>de</strong>r als antifaschistisch<strong>de</strong>mokratischeOrdnung, als Arbeiter-und-Bauern-Macht im bewußten Gegensatz zu <strong>de</strong>nbisherigen Traditionen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Imperialismus und Militarismus in die Geschichteeintrat, das bürgerliche Bildungsprivileg gebrochen, eine neue Führungsschicht hervorgebrachtund auch Dich persönlich wachsen und reifen lassen ?Nein, so sagte ich mir, das alles war nicht umsonst, nicht die Jahre anstrengen<strong>de</strong>nDienstes und nicht die Perio<strong>de</strong>n hartnäckigen Lernens. Auch wenn nicht alle Zieleerreicht, so manche I<strong>de</strong>ale nicht erfüllt und etliche sogar schmählich verraten wur<strong>de</strong>n,<strong>de</strong>in Leben und <strong>de</strong>ine Arbeit wie auch das Leben und <strong>de</strong>r Dienst <strong>de</strong>iner Mitstreiter hatteneinen Sinn und haben historisch etwas bewirkt.Schon aus diesem Grun<strong>de</strong> wirst du dich - nunmehr ohne geistig anspruchsvolle Beschäftigung- morgen hinsetzen und Notizen über <strong>de</strong>in Leben zu Papier bringen. Nicht für dieÖffentlichkeit, daran dachte ich damals nicht, aber zur Selbstverständigung sowie für dieKin<strong>de</strong>r und Enkel.So sind die ersten Notizen über mein Leben in damals zweimonatiger Arbeit entstan<strong>de</strong>n.Im Ergebnis von Gesprächen mit vielen Freun<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> mir geraten, diese Notizen zuüberarbeiten, zu ergänzen und damit vor einen breiteren Leserkreis zu treten. Es könnteein kleiner Beitrag <strong>zum</strong> Verstehen <strong>de</strong>r Biographien ost<strong>de</strong>utscher Bürger sein, "staatsnaherDiener eines untergegangenen Regimes", wie man hin und wie<strong>de</strong>r lesen o<strong>de</strong>rhören kann, und es könnte an<strong>de</strong>re Kamera<strong>de</strong>n, Freun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ehemalige Genossen <strong>de</strong>rbewaffneten Organe <strong>de</strong>r DDR anregen, ihrerseits zur Fe<strong>de</strong>r zu greifen.Kindheitserinnerungen - August 1939Ein warmer Sommertag am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ferien für meinen Bru<strong>de</strong>r Fritz und für mich geht zuEn<strong>de</strong>. Mein Vater kehrt mit <strong>de</strong>m Fahrrad aus <strong>de</strong>r Kreisstadt Greifenhagen zurück, wo erals Maurerpolier arbeitet - obgleich er mit seinen 32 Jahren recht jung ist. Schweißperlenstehen ihm auf <strong>de</strong>r <strong>info</strong>lge <strong>de</strong>r Schirmmütze nur halbgebräunten Stirn. Die harte Arbeitund die Strapazen <strong>de</strong>r drei Kilometer langen Straße auf <strong>de</strong>m klapprigen Fahrrad durch diehügelige Landschaft sind ihm auf <strong>de</strong>m Gesicht abzulesen. Vor allem <strong>de</strong>r lange Anstiegaus <strong>de</strong>r Kreisstadt in Richtung Woltin aus <strong>de</strong>m Tal <strong>de</strong>r breit dahinfließen<strong>de</strong>n O<strong>de</strong>rerfor<strong>de</strong>rt viel Kraft in <strong>de</strong>n Beinen.Die Auftragslage im Baugewerbe ist auch im Sommer 1939 noch sehr gut. Längstvergessen sind die Jahre <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit zu Beginn <strong>de</strong>r jungen Ehe, die 1931 nach<strong>de</strong>r Geburt meines älteren Bru<strong>de</strong>rs - Fritzchen gerufen - geschlossen wur<strong>de</strong> und die auch1932, als ich das Licht erblickte, noch angedauert hatten.Erst im Frühjahr 1939 war unser kleines Einfamilienhaus fertig gewor<strong>de</strong>n - ein Wohnzimmer,ein Schlafzimmer und die Küche umfaßt es, mehr war bei einem Wochenlohnvon 32 Mark nicht möglich gewesen, Sparguthaben o<strong>de</strong>r reiche Verwandte besaßenmeine Eltern nicht. Aber das Haus war soli<strong>de</strong> gebaut, hatte einen großen Keller, im Dachgeschoßkonnten später Zimmer für die Kin<strong>de</strong>r ausgebaut wer<strong>de</strong>n. Die Veranda alsEingang war zunächst provisorisch aus Brettern zusammengenagelt wor<strong>de</strong>n. Danebenstand ein kleiner Stall aus gesammelten Feldsteinen, allerdings noch ohne Dach. In <strong>de</strong>rMitte <strong>de</strong>s Hofes befand sich die Wasserpumpe, <strong>de</strong>nn noch waren wir nicht an die kommunaleVersorgung angeschlossen.Das auf einem Feldsteinfundament mit roten Ziegelsteinen an <strong>de</strong>n Ecken und blau ausze-


mentierten Fugen stehen<strong>de</strong> Haus mit hellgrünem Spritzputz und rot-weiß gestrichenenFensterrahmen sah schon recht ansprechend aus, und mein Vater war stolz darauf, daßer es in zwei Jahren nach Feierabend und an <strong>de</strong>n Sonntagen geschaffen hatte, lediglichbei Spezialarbeiten wie <strong>de</strong>m Dachstuhl von Zimmerleuten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Handwerkernunterstützt.Ein Stück billiges Ödland, 3 Kilometer vom Dorf Woltin entfernt, hatte er zu diesemZwecke erworben, einen Bretterzaun um <strong>de</strong>n Hof errichtet, vor allem um <strong>de</strong>n Fuchs aus<strong>de</strong>m nahen Wald von <strong>de</strong>n Hühnern fernzuhalten. Sie stellten zusammen mit zweiSchweinen, drei Ziegen, <strong>de</strong>n Obstbäumen und <strong>de</strong>n Gemüsebeeten im Garten die wirtschaftlicheGrundlage <strong>de</strong>r Familienernährung und das ständige Arbeitsfeld meiner Mutterdar.Trotz aller Mühen sind meine Eltern stolz auf das eigene Grundstück. Mit ihnen hatten inunmittelbarer Nähe drei weitere Familien gebaut, in größerer Entfernung entstand nocheine Gruppe von Siedlungshäusern, große Sandhaufen und Baugruben zeugten vomWachsen <strong>de</strong>r Siedlung. Mein Vater blickt über Hof und Garten, überlegt, daß er dieKirschbäume unbedingt ausschnei<strong>de</strong>n muß, um nach <strong>de</strong>r guten Obsternte dieses Jahresweitere hohe Erträge für die Versorgung mit Eingewecktem und mit Marmela<strong>de</strong> zusichern, und wen<strong>de</strong>t sich dann seiner Frau zu.Unsere Mutter steht mit geröteten Augen in <strong>de</strong>r Küchentür, die Hän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Rücken.Fritzchen und ich stehen still dahinter. Die dunklen Augen <strong>de</strong>s Vaters weiten sich beigekrauster Stirn, als er sagt: "Was ist los, Marie? Warum stehst Du so reglos? Wo bleibtmein Begrüßungskuß?" Da kann sie sich nicht mehr beherrschen, fällt ihm weinend um<strong>de</strong>n Hals und gibt ihm <strong>de</strong>n bis dahin hinter <strong>de</strong>m Rücken verborgenen Brief.Es ist <strong>de</strong>r Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, nach Stettin in die Victoria-Kaserne. Schonam nächsten Tag hat er sich zu stellen. Fritzchen und ich stehen dabei, begreifen dasalles nicht. Warum sollte uns Vater so kurz nach <strong>de</strong>m Umzug in unser Haus verlassen?Begann doch erst jetzt ein Leben, wie wir es uns schon lange erträumt hatten!In Woltin hatten wir in einer dunklen Kammer, die Wohn- und Schlafraum, Küche undVorratsraum in einem war, fünf Jahre lang zu viert gewohnt. Zur Toilette mußten wir über<strong>de</strong>n dunklen Hinterhof, was an langen Winteraben<strong>de</strong>n und ohne Licht schon rechtbeängstigend war. Die Kammer hatte im Winter einen Vorteil: Da nur zwei Betten Platzfan<strong>de</strong>n, eines für die Eltern und eines für die Kin<strong>de</strong>r, wärmten wir uns gegenseitig.Hinter <strong>de</strong>r Wand <strong>de</strong>r Kammer hörten wir in <strong>de</strong>r Stille <strong>de</strong>r Nacht das Grunzen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>nSchweine in ihrem Holzverschlag - das Überlebenskapital <strong>de</strong>r Familie im Winter, wenn <strong>de</strong>rVater keine Arbeit fand. Für die Futterversorgung - Brennesseln, Huflattich, Rübenblättero<strong>de</strong>r auch mal eine vom Wagen gefallene Rübe - waren wir bei<strong>de</strong>n Jungen, Fritz undWerner, zuständig.Vorher hatten wir in Fiddichow, einer Kleinstadt an <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r, gewohnt, wo ich auch am14.März 1932 geboren wur<strong>de</strong>. Wir wohnten bei meiner Großmutter, bei <strong>de</strong>r auch meineMutter aufgewachsen war, in einer zwar kleinen, aber nicht so dunklen und feuchtenWohnung wie später in Woltin. Wenn wir dann die Oma besuchten, mußten wir zu vierto<strong>de</strong>r fünft in <strong>de</strong>m kleinen Wohnraum schlafen, da blieb für die Kin<strong>de</strong>r nur <strong>de</strong>r Fußbo<strong>de</strong>n.Da meine Oma gut schnei<strong>de</strong>rn konnte, erfuhr unsere beschei<strong>de</strong>ne Gar<strong>de</strong>robe bei je<strong>de</strong>mBesuch in Fiddichow eine Bereicherung, meist aus Resten. Gutmütig, wie sie war, hattesie auch nichts dagegen, wenn ich aus ihrem Gemüsebeet eine Mohrrübe o<strong>de</strong>r einenKohlrabi verspeiste, nur beim unerlaubten Pflücken von Blumen aus <strong>de</strong>m blitzsauberenVorgarten wur<strong>de</strong> sie ungemütlich.Aus <strong>de</strong>m einstöckigen Mietshaus, das in <strong>de</strong>n letzten Kriegswochen zerstört wur<strong>de</strong>, ist mirnoch das unermüdliche Pochen <strong>de</strong>s Schuhmachers - von früh bis spät - in Erinnerunggeblieben. Beson<strong>de</strong>rs aufregend war es, als bei einem schweren Gewitter ein Blitz im


Hinterhaus einschlug, ein Brand entstand und die Feuerwehr anrückte.An Tieren besaß die Oma nur zwei Kaninchen, die mit Haushaltsabfällen und Grünfutterzu versorgen waren und schließlich zu Weihnachten und Ostern <strong>zum</strong> Festtagsbratenverarbeitet wur<strong>de</strong>n. Ich saß dann immer mit sehr gemischten Gefühlen am Tisch, hatte ichsie doch bei je<strong>de</strong>m Besuch gefüttert und gestreichelt.Oft stan<strong>de</strong>n wir mit <strong>de</strong>n Eltern am O<strong>de</strong>rufer. Beson<strong>de</strong>rs bei Frühjahrshochwasser war dasan<strong>de</strong>re Ufer nicht mehr zu erkennen - so im Frühjahr 1940 bei <strong>de</strong>r Vereinigung von OstundWesto<strong>de</strong>r über die Pol<strong>de</strong>rwiesen hinweg zu einem einzigen gewaltigen Strom. Auchdie am Ufer hochgetürmten meterdicken Eisschollen, die ganze Häuser eindrückenkonnten, haben uns Respekt eingeflößt.Bewun<strong>de</strong>rnd stan<strong>de</strong>n wir vor <strong>de</strong>r Stahlkonstruktion <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>rbrücke bei Greifenhagen.Auch sie wur<strong>de</strong> 1945 zerstört, bald wie<strong>de</strong>r aufgebaut, aber lei<strong>de</strong>r nicht als Grenzüberganggenutzt. Hingegen ist die Brücke bei Hohenwutzen, wenige Kilometer o<strong>de</strong>raufwärts, nach1989 für <strong>de</strong>n Grenzverkehr freigegeben wor<strong>de</strong>n.Schön war es, <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r vorbeifahren<strong>de</strong>n Dampfern, <strong>de</strong>n Motorschiffen und <strong>de</strong>nFrachtkähnen, zuzuschauen. Wir konnten auch mehrmals <strong>de</strong>n regelmäßigen Linienverkehro<strong>de</strong>rabwärts bis Stettin o<strong>de</strong>r aufwärts bis Brusenfel<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Wohnort <strong>de</strong>r Elternmeines Vaters, bis Fiddichow und Schwedt nutzen.Stettin und Schwedt habe ich von Ausflügen mit <strong>de</strong>r Schulklasse o<strong>de</strong>r mit meiner Mutternoch in guter Erinnerung. In Stettin waren es die imposante Terrassenanlage über <strong>de</strong>mHafen mit <strong>de</strong>n großen Überseeschiffen und das Schiffahrtsmuseum, die mich beson<strong>de</strong>rsbeeindruckten, aber auch die ersten durch Fliegerangriffe zerstörten Häuser.Einmal ging die Fahrt sogar durch das Große Haff bis nach Swinemün<strong>de</strong> und von dort mit<strong>de</strong>r Bahn nach <strong>de</strong>m Ostseebad Misdroy auf <strong>de</strong>r Insel Wollin. Der kilometerlangeSandstrand, die weißen Häuser, die gepflegten Parkanlagen und die grünen Buchenwäl<strong>de</strong>rhaben sich mir fest eingeprägt. Und immer, wenn ich in Heringsdorf auf <strong>de</strong>r InselUsedom, in einem an<strong>de</strong>ren Urlaubsort auf Rügen o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r mecklenburgischen Ostseeküsteweilte, sah ich das Bild aus <strong>de</strong>r Kindheit vor mir.In Schwedt sind es das alte Schloß mit <strong>de</strong>n Gemäl<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Park und auch dieTabakscheunen, an die ich mich bis <strong>zum</strong> heutigen Tag erinnere. Die Stadt wur<strong>de</strong> 1945schwer zerstört, nach 1958 als Zentrum <strong>de</strong>r Erdölverarbeitung völlig neu aufgebaut undam ehemaligen Standort <strong>de</strong>s Schlosses ein Theaterbau errichtet. Seit 1969 wohnte dieuns befreun<strong>de</strong>te Familie Süttinger in Schwedt, mit <strong>de</strong>r wir gemeinsam nicht nur diewun<strong>de</strong>rvollen Landschaftsschutzgebiete um <strong>de</strong>n Parsteiner See bei Angermün<strong>de</strong> und an<strong>de</strong>r unteren O<strong>de</strong>r aufsuchten, son<strong>de</strong>rn auch alle Orte <strong>de</strong>r Kindheit und <strong>de</strong>r Jugend auf<strong>de</strong>m polnischen Ufer. Die Trümmer unseres Hauses in <strong>de</strong>m inzwischen herangewachsenenWald bei Woltin waren noch zu erkennen, die Kirschbäume jedochverschwun<strong>de</strong>n.So schön das neue Haus 1939 für die Familie auch war, hatte es doch einen Nachteil: dieEntfernung zur nächsten Ortschaft betrug in je<strong>de</strong>r Richtung mehr als drei Kilometer, <strong>de</strong>nndie Siedlung Woltin-Ausbau lag an <strong>de</strong>r Straße etwa in <strong>de</strong>r Mitte zwischen Greifenhagenund Woltin. Alles, was für <strong>de</strong>n täglichen Unterhalt <strong>de</strong>r Familie eingekauft wer<strong>de</strong>n mußte,war mit <strong>de</strong>m Handwagen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Fahrrad heranzuschaffen. Das einzige Fahrrad dientemeinem Vater als Beför<strong>de</strong>rungsmittel zur Arbeitsstelle, nach seiner Einberufung dannmeiner Mutter. Fritzchen und ich mußten auf Schusters Rappen je<strong>de</strong>n Tag zur Schule undmanchmal ein zweites Mal <strong>zum</strong> Einkaufen o<strong>de</strong>r zu sonstigen Besorgungen die Straßeentlang traben. Eine Busverbindung gab es nicht, wir hätten sie auch gar nicht bezahlenkönnen. Schon die Schiffsfahrten zweimal im Jahr nach Fiddichow o<strong>de</strong>r Brusenfel<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>n Verwandten o<strong>de</strong>r alle zwei Jahre nach Stettin erfor<strong>de</strong>rten eisernes Sparen.Den zweimaligen Fußmarsch zur Schule hatte uns mein Vater als tägliche Bewährungs-


probe, als Erziehung zu Härte und Mut als sinnvoll und notwendig darstellen wollen. Ichhabe diese Strecke auch bei Minus 20 Grad, bei Eisregen o<strong>de</strong>r Schneetreiben, überGlatteis und durch meterhohe Schneewehen durchmessen. Lästig wur<strong>de</strong> sie mir erst ab<strong>de</strong>m 10. Lebensjahr, als zweimal in <strong>de</strong>r Woche <strong>de</strong>r Dienst im Jungvolk und mancheWoche noch ein dritter Nachmittag <strong>zum</strong> Religionsunterricht dazukam. Die 12- km-Streckehing mir dann buchstäblich <strong>zum</strong> Halse heraus, obwohl mir <strong>de</strong>r Dienst und auch <strong>de</strong>rReligionsunterricht eigentlich Spaß machten, boten sie doch eine gewisse Abwechslungim Einerlei von Schule und Hauswirtschaft. Nur mit <strong>de</strong>m Singen von Kirchenlie<strong>de</strong>rn hatteich meine Schwierigkeiten, da konnte ich <strong>de</strong>n ganzen Chor durcheinan<strong>de</strong>rbringen.Die Disziplin im Deutschen Jungvolk, <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rorganisation <strong>de</strong>r Hitlerjugend, <strong>de</strong>r wirquasi obligatorisch angehörten, das Einzel- und Gruppenexerzieren, die Wan<strong>de</strong>rungenund Märsche, die Heimaben<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r die Lie<strong>de</strong>r am Lagerfeuer habe ich ebenfalls alsangenehm empfun<strong>de</strong>n. Das einzige, was mich dort abstieß, waren die Prügeleien, wenn inGelän<strong>de</strong>spielen Angreifer und Verteidiger mit Koppeln, Fahrtenmessern und Knüppelnübereinan<strong>de</strong>r herfallen mußten. So haben mir die bluten<strong>de</strong>n Nasen, blauen Flecke,geschwollenen Augen und ausgeschlagenen Zähne beim Sturm unseres Jungstammesauf Greifenhagen nur Angst und Ekel erregt.Daher kam es auch, daß ich schon mal einen <strong>de</strong>r Dienstnachmittage - Mittwoch undSonnabend war Pflicht - schwänzte. Ich wur<strong>de</strong> <strong>zum</strong> Sitz <strong>de</strong>s Jungbannes nach Greifenhagenbestellt - es muß 1943 gewesen sein - und <strong>de</strong>r Bannführer hielt mir und nocheinigen an<strong>de</strong>ren Jungen eine fürchterliche Standpauke. Er war kriegsverwun<strong>de</strong>t, fuchteltemit seiner rechten Armprothese herum und drohte mir, meinen Vater, <strong>de</strong>r zu dieser Zeit an<strong>de</strong>r Front vor Leningrad eingesetzt war, über seine Vorgesetzten von seinem ungeratenenSohn in Kenntnis zu setzen. Ich habe danach nie wie<strong>de</strong>r unentschuldigt beim Dienstgefehlt.Von 1938 bis 1945 lernte ich in <strong>de</strong>r Volksschule von Woltin vom Einmaleins aufwärts ineiner Klasse, die jeweils aus zwei Jahrgängen zusammengesetzt war. Unser Klassenlehrerwar außeror<strong>de</strong>ntlich streng, er stellte hohe For<strong>de</strong>rungen an Disziplin und Ordnung,an Fleiß und Lernwillen, an Sauberkeit und Exaktheit bei <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r Hausaufgaben.Bei Vergehen waren das Nachsitzen o<strong>de</strong>r das mehrfache Abschreiben noch die geringstenStrafen. Mehr gefürchtet war das Austeilen von richtigen o<strong>de</strong>r falschen "Batzen" -eigentlich <strong>de</strong>r Name einer österreichischen Münze. Der "richtige" Batzen war ein Hieb mit<strong>de</strong>m Rohrstock auf die innere Handfläche, <strong>de</strong>r "falsche" ein Hieb auf <strong>de</strong>n Handrücken. AlsNormen galten drei bis zehn Hiebe, am schmerzhaftesten waren zehn Schläge auf <strong>de</strong>nHandrücken. Auch auf das Hinterteil wur<strong>de</strong> eingeschlagen, über die Schulbank gebeugtkonnten es auch schon mal 20 Hiebe mit <strong>de</strong>m Rohrstock sein.Keiner von uns Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r von unseren Eltern hat sich jemals dagegen aufgelehnt. DiePrügelstrafe gehörte nach damaligem Verständnis zur Erziehung in <strong>de</strong>r Schule wie auchzu Hause. Die Autorität <strong>de</strong>r jeweiligen "Obrigkeit" wur<strong>de</strong> bedingungslos akzeptiert, auchwenn die Zuneigung zu <strong>de</strong>n jeweiligen "Erziehungsträgern" durch Zwang und Drill nichtson<strong>de</strong>rlich geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. So war <strong>de</strong>nn beispielsweise <strong>de</strong>r grauhaarige Direktor unsererSchule wegen seines väterlich-freundlichen Umgangs mit uns Kin<strong>de</strong>rn weit beliebter als<strong>de</strong>r Klassenlehrer.Mir persönlich waren die Prügeleien, auch <strong>de</strong>r stärkeren Schüler gegenüber <strong>de</strong>nschwächeren, immer unangenehm und ich bin froh, daß ich die damals üblichen StrafundErziehungsmetho<strong>de</strong>n nicht allzu sehr verinnerlicht und in <strong>de</strong>r eigenen Familie kaumangewandt habe. Geblieben war allerdings <strong>de</strong>r Glaube an die Autorität <strong>de</strong>r Lehrer,Direktoren, Vorgesetzten, überhaupt an die staatliche Allmacht, an das überlegeneWissen und Können jener, <strong>de</strong>nen die Vorsehung ein Amt gegeben hatte. Geblieben warauch die Liebe zu Ordnung und Exaktheit, zu Sauberkeit und Sorgfalt auch in Kleinigkeiten,bei <strong>de</strong>m Aufräumen <strong>de</strong>s Schrankes wie bei <strong>de</strong>r Anfertigung von Zeichnungen und


Skizzen.Dazu hatte vor allem meine Mutter beigetragen, die charakterliche Gutmütigkeit mitentschie<strong>de</strong>ner Ordnungsliebe verband, und die ihre entsprechen<strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen nichtnur liebevoll-überzeugend, son<strong>de</strong>rn notfalls auch schlagkräftig-zwingend durchsetzte. Daszeigte Wirkung. Schon im Alter von 10 Jahren haben sich Verwandte und Bekannte überdie Detailtreue meiner Blumenbil<strong>de</strong>r gewun<strong>de</strong>rt. Und später an <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule, an <strong>de</strong>rMilitäraka<strong>de</strong>mie wie bei <strong>de</strong>r operativen Ausbildung im Ministerium habe ich die"Mäusezähne" bei <strong>de</strong>r Einzeichnung <strong>de</strong>r Verteidigungsstellungen millimetergenau auf dieKarte gebracht.Der Einfluß <strong>de</strong>s Vaters auf meine Erziehung war mit seiner Einberufung zur Wehrmachtfaktisch been<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn bei seinem jährlichen Fronturlaub von 10 bis 14 Tagen herrschteeitel Sonnenschein in <strong>de</strong>r Familie, da wur<strong>de</strong>n keine Probleme erörtert o<strong>de</strong>r gelöst. MeineMutter hatte danach vor allem die Sorge, wie<strong>de</strong>r ihre Regel zu bekommen, das je<strong>de</strong>nfallskonnte ich aus Gesprächen mit <strong>de</strong>n Nachbarinnen entnehmen, ohne genau zu wissen,worum es sich han<strong>de</strong>lte. Viel später erst verstand ich, warum sie das rotglühen<strong>de</strong> Eiseneiner Axt in einen Eimer mit kaltem Wasser geworfen und mich aus <strong>de</strong>r Küche gewiesenhatte. Sie konnte ja nicht wissen, ob ihr Mann wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> zurückkehren wür<strong>de</strong>und stand jetzt schon mit uns bei<strong>de</strong>n Jungen allein allen Problemen gegenüber.Erstaunt war ich über meinen Vater, als wir 1943 in seinem Fronturlaub einem russischenHütejungen (einem <strong>de</strong>r sogenannten Ostarbeiter, die nach 1941 im Groß<strong>de</strong>utschen Reichdie eingezogenen Männer ersetzen mußten) begegneten. Dieser trieb eine Rin<strong>de</strong>rher<strong>de</strong><strong>zum</strong> Dorf zurück und versuchte vergeblich zu verhin<strong>de</strong>rn, daß einzelne Kühe aus <strong>de</strong>rHer<strong>de</strong> ausbrachen und im Rübenfeld zusätzliches Futter suchten. Mein Vater nahm ihnzur Seite und erklärte ihm freundlich - und zwar in fließen<strong>de</strong>m Russisch -, welche Trickser dabei anwen<strong>de</strong>n müsse.Erst anschließend habe ich erfahren, daß mein Vater seine Kindheit in Rußland verbrachthatte. Er war 1907 in <strong>de</strong>r Westukraine, in Wolhynien, im Kreis Kostopol nordostwärts vonRowno, geboren wor<strong>de</strong>n. Dorthin war sein Großvater aus <strong>de</strong>m Weichselgebiet südlichWarschau - wo Deutsche aus <strong>de</strong>m Schwäbischen im 18.Jahrhun<strong>de</strong>rt gesie<strong>de</strong>lt hatten - imZuge <strong>de</strong>r Einwan<strong>de</strong>rungswellen zwischen 1830 und 1870 gezogen und hatte sich einenHof mit Getrei<strong>de</strong>-, Kartoffel- und Rübenäckern, mit Pfer<strong>de</strong>n, Rin<strong>de</strong>rn und Schweinenaufgebaut. Die Kolonie <strong>de</strong>r Wolhynien<strong>de</strong>utschen war 1914 auf rund 200 000 Menschenangewachsen.Mit Ausbruch <strong>de</strong>s ersten Weltkrieges brachen schwere Zeiten für die dortige Bevölkerungim Aufmarschgebiet <strong>de</strong>r russischen Armee gegen Österreich-Ungarn an. Mein Großvaterwur<strong>de</strong> zur Zarenarmee einberufen und erst 1917 aus dieser entlassen. Die Wolhynien<strong>de</strong>utschenwur<strong>de</strong>n nach Sibirien <strong>de</strong>portiert. Nur 72 Stun<strong>de</strong>n bekamen sie, um das wichtigsteInventar auf die Pfer<strong>de</strong>wagen zu verla<strong>de</strong>n und im geschlossenen Treck nach Ostenabzuziehen. Viele kamen bei <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Strapazen ums Leben. Die Familie Patzergelangte in <strong>de</strong>n Kreis Orenburg, in die Ausläufer <strong>de</strong>s Uralgebirges.Nach <strong>de</strong>m Sieg <strong>de</strong>r Oktoberrevolution kehrte ein Teil <strong>de</strong>r Wolhynien<strong>de</strong>utschen in die altenSiedlungsgebiete zurück, ein Teil wur<strong>de</strong> ausgewiesen, darunter die Familie meiner Großelternmit meinem Vater und seinen Geschwistern. Sie bekamen als Tagelöhner in <strong>de</strong>mGutsdorf Brusenfel<strong>de</strong> südlich von Stettin, im sogenannten Pyritzer Weizenacker, einenkleinen, baufälligen, unbewohnten Hof zugewiesen - Haus, Stall, Scheune und Garten. Mit<strong>de</strong>m Deputat vom Gutsherren und <strong>de</strong>m Futter von <strong>de</strong>n Straßen- und Wegrän<strong>de</strong>rn konntenSchweine, Ziegen und Hühner gehalten wer<strong>de</strong>n.Für uns Kin<strong>de</strong>r war dieses Anwesen trotz seiner Baufälligkeit sehr romantisch - vor allem<strong>de</strong>r herrliche Duft frischer Pellkartoffeln aus <strong>de</strong>m großen Kartoffeldämpfer lockte uns an,dazu gab es dann frische Ziegenbutter und Ziegenmilch, auch <strong>de</strong>r mit Sahne zubereiteteLammbraten war sehr beliebt. Die Ferien, die ich bei <strong>de</strong>r Familie meines Onkels Reinhold


Holm und meiner Tante Fine gemeinsam mit Cousin Günter und Cousine Frie<strong>de</strong>l verlebenkonnte, zählen zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Der letzte Besuch dort, aneinem nebligen Dezembertag <strong>de</strong>s Jahres 1944, brachte <strong>de</strong>n Abschied vor einer erneutenFlucht, im Leben meiner Großeltern war es schon die dritte Umsiedlung.Mein Großonkel Alfred Krüger, ein Lehrer, hat <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nsweg dieser Rußland<strong>de</strong>utschenin einem Buch geschil<strong>de</strong>rt, das 1937 unter <strong>de</strong>m Titel "Die Weltkriegsodyssee <strong>de</strong>rDeutschen aus Wolhynien" erschienen war und das mir meine Großmutter <strong>zum</strong> Lesengegeben hatte. Dort war auch folgen<strong>de</strong> Episo<strong>de</strong> über sie, ihren Mann und ihr Kind, d.h.meinen Vater, aus <strong>de</strong>r Verbannung in Sibirien während <strong>de</strong>s ersten Weltkriegeswie<strong>de</strong>rgegeben: "Dieser Onkel P. hatte einmal für kurze Zeit Urlaub bekommen und warviele Tausend Werst (altes russisches Längenmaß = 1,067 km, W.P.) gereist, dann war erauf <strong>de</strong>r Endstation ausgestiegen. Am Bahndamm spielte eine Kin<strong>de</strong>rschar. Der frem<strong>de</strong>Krieger setzte sich vorerst auf einen Stein, um zu überlegen, wie er am schnellsten seineFamilie fin<strong>de</strong>n könne. Da löst sich ein Kind aus <strong>de</strong>r Schar, kommt näher und fragt, wohiner <strong>de</strong>nn wolle, ob er nicht zur Mutter kommen möchte. Erstaunt über die Zutraulichkeit <strong>de</strong>sKnaben fragt <strong>de</strong>r Soldat, wer er <strong>de</strong>nn wäre, und wo seine Mutter, die er durchausbesuchen wolle, nun wohne. Da sagte <strong>de</strong>r Junge: ' Ich bin ja <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>l und die Mutterwohnt hier nebenan'. Das war ein unvermutetes Wie<strong>de</strong>rsehen. Der Sohn hatte <strong>de</strong>n Vatererkannt."Die Kenntnis <strong>de</strong>r russischen Sprache und sein Beruf als Maurer waren für meinen Vaterübrigens wesentliche Voraussetzungen, um von 1945 bis 1949 vier Jahre sowjetischeKriegsgefangenschaft körperlich und geistig relativ gut zu überstehen. Sein jüngsterBru<strong>de</strong>r Edgar, <strong>de</strong>r uns 1939 noch mit einem nagelneuen Motorrad besucht und damithelle Aufregung verursacht hatte, hatte ein schlimmeres Los, er fiel 1942 bei Schlüsselburgostwärts von Leningrad als Kradschütze.In diesem Jahr traf unsere Familie noch ein schwerer Schlag. Im Herbst bekam meinBru<strong>de</strong>r plötzlich starke Kopfschmerzen und sehr hohes Fieber. Der Arzt diagnostizierteeine schwere Erkältung und verschrieb entsprechen<strong>de</strong> Medikamente. Mein Vater warnach <strong>de</strong>m Frankreichfeldzug in <strong>de</strong>n Osten versetzt wor<strong>de</strong>n und diente jetzt im RaumLeningrad als Truppführer eines Feldfernsprechtrupps in <strong>de</strong>n Korpsnachrichtentruppen.Der Zustand meines Bru<strong>de</strong>rs verschlimmerte sich von Tag zu Tag, er re<strong>de</strong>te nur noch inFieberphantasien. Meine Mutter war ratlos. Da <strong>de</strong>r Arzt nicht mehr helfen konnte überwieser Fritzchen in das Lan<strong>de</strong>skrankenhaus Stettin. Gleichzeitig wur<strong>de</strong> vom Kreiswehrersatzamtin Greifenhagen ein dringen<strong>de</strong>s Telegramm an die Feldpostnummer meinesVaters geschickt und ein Kurzurlaub erbeten. Sein letzter Urlaub lag etwa ein Jahr zurück.Aufgrund <strong>de</strong>r weiteren Verschlechterung <strong>de</strong>s Zustan<strong>de</strong>s meines Bru<strong>de</strong>rs wur<strong>de</strong> er in dieUniversitätsklinik Greifswald verlegt. Beim ersten Besuch meiner Mutter wur<strong>de</strong> ihr dorteröffnet, daß Fritzchen an einer Gehirnhautentzündung erkrankt war und ihm nicht mehrgeholfen wer<strong>de</strong>n könne. Diese Krankheit galt damals als unheilbar, wenn im Ausnahmefalleine Erholung eintrat, war das mit schweren physischen o<strong>de</strong>r psychischen Schä<strong>de</strong>nverbun<strong>de</strong>n.Als wir sein Krankenzimmer betraten, sah uns mein 12jähriger Bru<strong>de</strong>r mit klaren Augen an- vermutlich hatte er schmerzstillen<strong>de</strong> Mittel erhalten - und sagte: "Mama, nun muß ichdoch sterben, aber vorher will ich Papa noch einmal sehen. Er möchte doch bittekommen." Meine Mutter schickte noch mal ein Telegramm mit <strong>de</strong>m Text ab: "Fritzchenliegt im Sterben. Sofort kommen. Ärztliches Attest hat vorgelegen."Nach zwei Tagen stand mein Vater vor <strong>de</strong>r Tür - in voller Gefechtsausrüstung, mitStahlhelm, Karabiner und Gasmaske, im dicken Wintermantel, so wie er seine Stellungverlassen hatte. Er war in einem Durchläuferzug von <strong>de</strong>r Front direkt bis nach Stettingerollt.


In <strong>de</strong>r Frühe <strong>de</strong>s 14. Februar wur<strong>de</strong>n wir herausgeholt und sahen die brennen<strong>de</strong>n Häuserim Bahnhofsviertel. Wir wur<strong>de</strong>n auf offene Waggons verla<strong>de</strong>n - bei Minus 15 bis 20 GradCelsius - und sollten offensichtlich die brennen<strong>de</strong> Stadt so schnell wie möglich verlassen.Wir waren in Decken eingehüllt und haben die Fahrt ohne Erfrierungen wohl nur überstan<strong>de</strong>n,weil auf je<strong>de</strong>m Waggon ein Kanonenofen brannte.Tagelang waren wir unterwegs - Stationsnamen wie Pasewalk, Neubran<strong>de</strong>nburg,Güstrow, Wismar, Bad Kleinen zogen vorüber. Mehrmals mußten wir umsteigen, bis wirSchwerin erreichten. Bei je<strong>de</strong>m Umsteigen hat mir <strong>de</strong>r schwere Wäschekorb, <strong>de</strong>n ichmittrug, fast <strong>de</strong>n Arm aus <strong>de</strong>r Schulter gezogen. Kälte, Hunger und Durst waren unsereständigen Begleiter. Die Endstation war schließlich Hagenow südlich Schwerin. Von dortging es mit einem Pfer<strong>de</strong>fuhrwerk nach Zeetze bei Neuhaus an <strong>de</strong>r Elbe. Wir wur<strong>de</strong>n ineinem Fachwerkhaus bei einer älteren Tagelöhnerfamilie untergebracht. Sie hat unsfreundlich aufgenommen. Meine Mutter und ich bekamen eine kleine, aber warmeKammer zugewiesen und endlich satt zu essen.Nun waren wir mit unserer Flucht vor <strong>de</strong>n Kampfhandlungen im Osten zwar erfolgreichgewesen, dafür aber in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Front im Westen geraten. Bombenteppiche aufdas Hydrierwerk Hitzacker am an<strong>de</strong>ren Elbufer, Tieffliegerangriffe auf Wehrmachtskolonnenund auf das Dorf Zeetze beim Heranrücken <strong>de</strong>r US-Army an die Elbe, täglicheArtillerieeinschläge bestimmten jetzt unser Leben. Den Gefechtslärm kannten wir jaschon, <strong>de</strong>n Aufenthalt in Kellern und Wäl<strong>de</strong>rn hatten wir zu Hause gelernt und wareninsofern "kriegserfahrener" als unsere Wirtsleute.Die mehr als vier Wochen, in <strong>de</strong>nen die Amerikaner am an<strong>de</strong>ren Elbufer stan<strong>de</strong>n, nervtenuns trotz<strong>de</strong>m, wußten wir doch nie, was <strong>de</strong>r nächste Tag bringen wür<strong>de</strong>. Zum Glück bliebdas schöne Fachwerkhaus, wo alles unter einem Dach vereint war - Wohnstuben, offenerHerd, Schinken im Rauchfang, Heu in <strong>de</strong>r Tenne, Vieh in <strong>de</strong>n Verschlägen, Rüben undKartoffeln im Keller - unzerstört.Am 2. Mai 1945 forcierten die amerikanischen Truppen die Elbe und eroberten das Dorf.Gegen 14.00 Uhr wur<strong>de</strong> die Kellertür aufgestoßen und die GIs durchsuchten <strong>de</strong>n Keller, in<strong>de</strong>m wir uns aufhielten, nach <strong>de</strong>utschen Soldaten. Die Kampftruppen rückten rasch weiternach Osten vor, in Zeetze nahmen Versorgungseinheiten Quartier. Ihr Anbän<strong>de</strong>ln mit<strong>de</strong>utschen Frauen und Mädchen verlief dank reichlich vorhan<strong>de</strong>ner Konserven, Schokola<strong>de</strong>und Zigaretten meist ohne größere Probleme. Auch zu uns Kin<strong>de</strong>rn waren dieamerikanischen Soldaten sehr freundlich. Eine Tafel Schokola<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r eine Fleischbüchsekonnte ich immer mal wie<strong>de</strong>r nach Hause bringen.Nach etwa 4 Wochen zogen die USA-Truppen ab, die Streitkräfte Großbritanniens rücktenin die zur preußischen Provinz Hannover gehören<strong>de</strong>n rechtselbischen Orte ihrerBesatzungszone ein. Sie benahmen sich weniger freundlich und hatten nach <strong>de</strong>nschweren <strong>de</strong>utschen Luftangriffen auf England und <strong>de</strong>n hohen Verlusten wohl auch einmoralisches Recht dazu. Die Versorgung wur<strong>de</strong> spürbar schlechter.Gleichzeitig verdichteten sich die Gerüchte, wir Flüchtlinge könnten wie<strong>de</strong>r in unsereHeimat jenseits <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r zurück. Aber erst einmal zogen die Briten wie<strong>de</strong>r ab und dieRote Armee übernahm entsprechend <strong>de</strong>n Abmachungen von Jalta das ostelbische Gebiet<strong>de</strong>r Provinz Hannover. Sie rückte mit kleinen Panjewagen, gezogen von Pfer<strong>de</strong>n, ein -solche Zugmittel hatten wir bei <strong>de</strong>n Amerikanern und Englän<strong>de</strong>rn nicht gesehen, ichkannte sie nur von <strong>de</strong>n Einheiten <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Heeres in <strong>de</strong>n ersten Kriegsjahren.Auf <strong>de</strong>m Hof unserer Wirtsleute und <strong>de</strong>n angrenzen<strong>de</strong>n Gehöften nahm eine motorisierteArtillerieabteilung Quartier - ausgerüstet mit amerikanischen LKW vom Typ Stu<strong>de</strong>baker.Die <strong>Offizier</strong>e, Sergeanten und Soldaten waren - wie die Amerikaner - freundlich zurBevölkerung, es gab keine Übergriffe in unserem Dorf.Mitte Juni erreichte uns die freudige Nachricht, wir könnten wie<strong>de</strong>r in unsere Heimatorte


gewesen, <strong>de</strong>swegen wur<strong>de</strong> ich mit noch sechs Jungen aus <strong>de</strong>r Umgebung in einerprivaten Pension untergebracht. Sie gehörte <strong>de</strong>r Frau eines <strong>Offizier</strong>s <strong>de</strong>r Wehrmacht, <strong>de</strong>rwohl Pfer<strong>de</strong>liebhaber war, <strong>de</strong>nn überall an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n hingen Einzel- und Gruppenbil<strong>de</strong>rdieser freundlichen Vierbeiner.Zunächst fiel es mir recht schwer, mich in das höhere Niveau <strong>de</strong>r Oberschulehineinzufin<strong>de</strong>n. Die Pensionswirtin verwen<strong>de</strong>te auch viel Zeit darauf, uns die guten Sittenbürgerlichen Benehmens beizubringen. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 8. Klasse im Frühjahr 1946 zeigtesich dann, daß das Schulgeld und das Geld für die Pension von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> in Grubenicht aufzubringen war, von meiner Mutter schon gar nicht. So war nach einem halbenJahr <strong>de</strong>r Aufenthalt in Bad Wilsnack zu En<strong>de</strong>. Aber ich hatte ein gutes Zeugnis <strong>de</strong>r 8.Klasse und damit einen or<strong>de</strong>ntlichen Schulabschluß erreicht.Auch unsere Wohnsituation hatte sich verbessert. Wir bekamen im Frühjahr 1946 bei <strong>de</strong>rFamilie Krüger <strong>de</strong>n Altenteil ihres Hauses als neue Bleibe zugewiesen, einen Wohnraum,<strong>de</strong>r gleichzeitig als Schlafzimmer diente, dazu einen Vorraum als Küche und eine kleineAbstellkammer. Es war zwar eng für zwei Familien, aber dafür hatten die freundlichenWirtsleute viel Verständnis für unsere Lage. Erst ab Mitte 1947 konnten wir das Altenteilallein bewohnen, da die Mitbewohnerin mit ihrer Tochter zu ihrem Mann nach Schleswig-Holstein übersie<strong>de</strong>lte.Der Sommer und <strong>de</strong>r Herbst 1946 vergingen mit Hilfsarbeiten bei <strong>de</strong>n Einzelbauern o<strong>de</strong>rwo sonst in <strong>de</strong>r Landwirtschaft Bedarf an jungen Arbeitskräften war. Im Winter stellte sichdann immer dringlicher die Frage, wie es mit mir weitergehen sollte. Das Frühjahr standvor <strong>de</strong>r Tür und damit die Notwendigkeit, <strong>zum</strong> Unterhalt <strong>de</strong>r Familie beizutragen. So kamAnfang 1947 ein Arbeitsvertrag mit <strong>de</strong>m Mittelbauern Albert Brüning in Grube zustan<strong>de</strong>.Als Jungknecht hatte ich drei harte, aber für mein weiteres Leben außeror<strong>de</strong>ntlichnützliche Jahre vor mir.Mein Arbeitstag begann im Sommer um 5.30 Uhr, im Winter eine Stun<strong>de</strong> später, eren<strong>de</strong>te um 20.00 Uhr, im Sommer zur Erntesaison erst um 22.00 Uhr und im Winter"schon" um 18.00 Uhr. Die Wirtschaft <strong>de</strong>s Bauern umfaßte etwa 20 Morgen (5 Hektar)Ackerland, dazu Wiesen und Wald. Im Stall stan<strong>de</strong>n ein Pferd - ein Schimmel, was mir<strong>de</strong>n Spitznamen "Schimmelwerner" einbrachte - vier bis fünf Milchkühe, zwei Färsen, etwa15 Schweine, dazu Gänse, Enten und Hühner. Alle Tiere mußten versorgt, die Flächenbewirtschaftet wer<strong>de</strong>n. Der Wald war so aufgeräumt wie die gute Stube, die Kiefernna<strong>de</strong>lnwur<strong>de</strong>n für die Kühe als Einstreu gesammelt.Das Arbeitskräftepotential bestand aus <strong>de</strong>m Bauern (70 Jahre alt), seiner Schwiegertochterund mir. Die Feldwirtschaft oblag <strong>de</strong>m Bauern und mir, die Viehwirtschaft <strong>de</strong>rSchwiegertochter. Der Bauer war ein exzellenter Landwirt, schon im ersten Jahr hatte ermir alle wesentlichen Fertigkeiten beigebracht, im dritten Jahr konnte ich viele Arbeitenvöllig selbständig erledigen.Je<strong>de</strong>r Tag wur<strong>de</strong> planvoll genutzt. Nicht einmal im Winter gab es Leerlauf, es wur<strong>de</strong>Getrei<strong>de</strong> gedroschen und Brennmaterial beschafft, Holz gesägt und gehackt. Birkenreiserwur<strong>de</strong>n herangefahren, türmten sich zu Haufen so hoch wie das Scheunendach. Baumstubbenwur<strong>de</strong>n im Wald und am Wegesrand ausgegraben, anschließend zu Feuerholzzerkleinert.Mein Verdienst betrug im ersten Jahr monatlich 10, im zweiten 15 und im dritten 20 Mark.Über je<strong>de</strong> Steigerung war ich stolz. Ich war außer<strong>de</strong>m in voller Verpflegung und auchmeine Mutter bekam Lebensmittel (damals kostete ein Pfund Butter auf <strong>de</strong>m SchwarzenMarkt 100 Mark!). Je<strong>de</strong>s Jahr erhielt ich ein Arbeitshemd, eine Arbeitshose und ein PaarSchuhe.Natürlich habe ich <strong>de</strong>n Unterschied zwischen meinem Einkommen und <strong>de</strong>m meinesBauern im Verhältnis zu unser bei<strong>de</strong>r Arbeitsleistung bemerkt und manchen leichten Groll


Mitteilungen meines Vaters, aus <strong>de</strong>nen hervorging, daß er lebte und unsere Adresse über<strong>de</strong>n Suchdienst ermittelt hatte.Der Karte meines Vaters war eine Antwortkarte beigefügt. Meine Mutter übergab sie mirmit <strong>de</strong>r Bitte, <strong>de</strong>m Vater mitzuteilen, daß sie mit Ferdinand Holz eine Lebensgemeinschafteingegangen sei, die Ehe mit Vater nicht weiterführen möchte und außer<strong>de</strong>m schwangersei. Es war die bis dato schwierigste Aufgabe in meinem jungen Leben. Meinen Vaterhatte ich im Grun<strong>de</strong> seit Kriegsbeginn 1939 nicht mehr erlebt, meine Mutter hatte sichständig um uns gesorgt und war mein ganzer Halt in diesen schweren Jahren gewesen.Als sie Ferdinand Holz kennenlernte, hatte sie es zunächst längere Zeit vor mir verborgen,dann wur<strong>de</strong> auch ich mit ihm bekannt und schätzte ihn als einen freundlichen,fürsorglichen Menschen, an <strong>de</strong>ssen Seite unsere Mutter sichtlich aufblühte.Das alles konnte ich meinem Vater nicht auf dieser Karte mitteilen, nur die dürftigenFakten. Eine Antwort erhielten wir von meinem Vater nicht mehr, seine Betroffenheit undseinen Schmerz konnte ich nur ahnen.Im März 1949 wur<strong>de</strong> mein Bru<strong>de</strong>r Karl-Heinz geboren und im August 1950 kam <strong>de</strong>rBru<strong>de</strong>r Joachim zur Welt. Ferdinand Holz war zu uns in <strong>de</strong>n Altenteil <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>rFamilie Krüger gezogen. Es war zwar eng, aber mit <strong>de</strong>r Familie Krüger verstan<strong>de</strong>n wir unsnach wie vor prächtig und hielten auch in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrzehnten herzlicheVerbindung miteinan<strong>de</strong>r.Den Sommer 1949 verbrachten wir mit <strong>de</strong>r Anlage <strong>de</strong>r Wintervorräte - Ähren sammelnusw. An einem Sonntag haben Ferdinand Holz und ich von morgens 5.00 bis abends22.00 Uhr mit <strong>de</strong>r Sense drei Morgen Wiese gemäht, um dafür einen Sack Weizen zuerhalten.En<strong>de</strong> September 1949 kam ein Brief meines Vaters aus Mieckow, <strong>de</strong>m Dorf, in welchemseine Schwester Fine mit meinen Großeltern nach <strong>de</strong>r Flucht eine neue Heimstattgefun<strong>de</strong>n hatte. Wir hatten ihre Anschrift im Jahre 1946 über <strong>de</strong>n Zentralen Suchdienstermittelt und anschließend erfahren, daß die Großeltern, Tante Fine und Onkel Reinholdzunächst vor <strong>de</strong>r einen Front geflüchtet und in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Front geraten,dann jedoch wie<strong>de</strong>r nach Brusenfel<strong>de</strong> zurückgekehrt waren - an<strong>de</strong>rs als wir sogar <strong>de</strong>nHeimatort südlich Stettin erreicht hatten. Dann allerdings, nach <strong>de</strong>r Potsdamer Konferenz,waren sie ausgesie<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n. Die Großeltern haben in Mieckow bis zu ihrem To<strong>de</strong> imGutsgebäu<strong>de</strong> in einem Zimmer mit einer kleinen Abstellkammer gewohnt.Tante Fine und Onkel Reinhold bekamen im Rahmen <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nreform 5 Hektar Landübereignet, fingen wie<strong>de</strong>r von vorn an und gehörten bald zu <strong>de</strong>n besten Neubauern <strong>de</strong>sehemaligen Gutsbezirkes. Später, nach <strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>r Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften,haben sie durch ihre Nebenwirtschaft auch noch gut verdient.Mein Vater teilte in seinem Brief mit, daß er wohlbehalten aus sowjetischer Kriegsgefangenschaftentlassen sei, mich sprechen wolle, aber keineswegs meine Mutter aufsuchenwür<strong>de</strong>.Ich habe mich schon wenige Tage später in <strong>de</strong>n Zug gesetzt und bin nach Teterow gefahren,von dort 6 Kilometer zu Fuß nach Mieckow gewan<strong>de</strong>rt (dort gab es 1949 noch keinefeste Straße, keine Elektrizität und keine Wasserleitung). Unser erstes Zusammentreffennach sechs Jahren war freudig, aber gleichzeitig gespannt. Mein Vater warf mir vor, das"Verhältnis" meiner Mutter zu Ferdinand Holz nicht verhin<strong>de</strong>rt zu haben. Das Gesprächen<strong>de</strong>te mit <strong>de</strong>r Auflage, mir über meine weitere berufliche Entwicklung Gedanken <strong>zum</strong>achen und mich zu entschei<strong>de</strong>n, ob ich bei ihm leben o<strong>de</strong>r bei meiner Mutter bleibenwolle. Bei bei<strong>de</strong>n abwechselnd zu leben, lehne er ab.1950 wur<strong>de</strong>n meine Eltern geschie<strong>de</strong>n, meine Mutter heiratete Ferdinand Holz. MeinVater zog einige Zeit später zu einer Witwe in Mieckow, die einen Neubauernhofbekommen hatte. Als ich meinen Vater das zweite Mal in Mieckow, noch bei seiner


Schwester, besuchte, wur<strong>de</strong>n die Weichen für mein ganzes weiteres Leben gestellt. Erschlug mir vor, mich freiwillig zur Volkspolizei zu mel<strong>de</strong>n, für die damals überall geworbenwur<strong>de</strong>. Er selber hatte eine Verpflichtung abgelehnt, da er sich wie viele ehemaligeSoldaten geschworen hatte, nie wie<strong>de</strong>r eine Waffe in die Hand zu nehmen.Sehr hart war seine For<strong>de</strong>rung, entwe<strong>de</strong>r bei ihm zu leben und dann keinerlei Kontaktmehr mit <strong>de</strong>r Mutter und ihrer neuen Familie aufzunehmen, auch keinen brieflichen. O<strong>de</strong>rich bliebe bei meiner Mutter, dann hätte ich keinen Vater mehr.Völlig nie<strong>de</strong>rgeschlagen kehrte ich nach Grube zurück, dachte in schlaflosen Nächtenüber das Ultimatum meines Vaters nach. Ich befand mich in einem schweren Gewissenskonflikt,hin- und hergerissen zwischen <strong>de</strong>r Liebe zu meiner Mutter und <strong>de</strong>m Mitleidgegenüber meinem Vater ob seines bisherigen Schicksals. Auch ein gewisses Schuldgefühlangesichts seiner Vorwürfe vermochte ich nicht zu unterdrücken, obgleich ich dieHaltung meiner Mutter akzeptiert hatte.Dazu kam, daß ich <strong>de</strong>n Rat meines Vaters über meine weitere berufliche Entwicklungvernünftig fand. Es gab ja in unserer Gegend damals kaum Ausbildungsberufe, geschweige<strong>de</strong>nn nennenswerte Aufstiegschancen. Ich sah mich also schon mit Tschako, Koppelund Pistole durch die Straßen patrouillieren o<strong>de</strong>r sogar mit <strong>de</strong>m Fahrrad von Dorf zu Dorffahren.So mel<strong>de</strong>te ich mich En<strong>de</strong> Oktober 1949 beim Volkspolizeikreisamt in Perleberg und gabmeine Verpflichtung für einen dreijährigen Dienst ab. Nach wenigen Tagen wur<strong>de</strong> ich zueiner medizinischen Untersuchung gela<strong>de</strong>n und erhielt kurz danach die Auffor<strong>de</strong>rung,mich <strong>zum</strong> Dienstantritt am 18.November 1949 in Perleberg zu mel<strong>de</strong>n.Bis dahin wußten we<strong>de</strong>r meine Mutter noch <strong>de</strong>r Bauer, bei <strong>de</strong>m ich arbeitete, von meinemEntschluß. Dem Bauern ging immerhin eine billige Arbeitskraft verloren, was im Winteraber leichter zu verschmerzen war. Meine Mutter weinte nur, versuchte aber nicht, michzurückzuhalten. Die For<strong>de</strong>rung meines Vaters, entwe<strong>de</strong>r ihn o<strong>de</strong>r meine Mutter alsElternteil zu haben und keinerlei Kontakte <strong>zum</strong> an<strong>de</strong>ren Teil aufrechtzuerhalten, habe ichihr zu diesem Zeitpunkt noch verschwiegen.Das erste Jahr bei <strong>de</strong>r VolkspolizeiAm 18.November 1949 reiste ich mit einem kleinen Koffer - größere Habseligkeiten hatteich ohnehin nicht - in Perleberg an. Im Volkspolizeikreisamt versammelten sich insgesamt13 Jugendliche. Noch am gleichen Abend traten wir mit einem uniformierten Begleiter dieBahnfahrt über Schwerin, Neubran<strong>de</strong>nburg und Pasewalk - alles Strecken, die ich schonvon <strong>de</strong>n Irrfahrten <strong>de</strong>s Jahres 1945 her kannte - nach Prenzlau an. Am frühen Morgen -gegen 5.00 Uhr - trafen wir ein und liefen die 20 Minuten zur Alsen-Kaserne, einem rotenBacksteingebäu<strong>de</strong>.Wir wur<strong>de</strong>n in ein Besucherzimmer gebracht und mit einer Tasse Tee aufgewärmt. Um6.00 Uhr ertönte <strong>de</strong>r schrille Pfiff einer Trillerpfeife und eine Stimme hallte durch die Flure:"Nachtruhe been<strong>de</strong>n! Fertigmachen <strong>zum</strong> Frühsport!" Wenige Minuten später wie<strong>de</strong>rholtesich die Prozedur, das Kommando lautete diesmal: "Heraustreten <strong>zum</strong> Frühsport!"Au weia, dachte ich mir, das hört sich ja sehr nach <strong>de</strong>n Gepflogenheiten an, die ich 1944im Wehrertüchtigungslager am Madü-See südostwärts von Stettin, bei Stargard,kennengelernt hatte, als ich dort 6 Wochen lang für <strong>de</strong>n Endkampf <strong>de</strong>s Dritten Reichestrainiert wur<strong>de</strong>. Da wur<strong>de</strong> mir doch etwas beklommen <strong>zum</strong>ute.Am Frühsport brauchten wir noch nicht teilzunehmen, wur<strong>de</strong>n <strong>zum</strong> Frühstück geführt unddann auf die Stuben aufgeteilt, meist lagen zehn Mann in einer Mannschaftsstube. Um9.00 Uhr bei <strong>de</strong>r ersten Einweisung wur<strong>de</strong> uns mitgeteilt, daß wir nunmehr zur3.Volkspolizeibereitschaft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Bran<strong>de</strong>nburg gehören wür<strong>de</strong>n, und zwar <strong>zum</strong> 2.Zug


<strong>de</strong>r 1.Hun<strong>de</strong>rtschaft <strong>de</strong>s II. Kommandos dieser Bereitschaft. Mein unmittelbarerVorgesetzter war ein VP-Hauptwachtmeister. Die Hun<strong>de</strong>rtschaften wur<strong>de</strong>n von VP-Kommissaren geführt, die Kommandos von VP-Oberkommissaren, Leiter <strong>de</strong>r Bereitschaft(von etwa 1000 Mann) war ein Polizeirat. Die Vorgesetzten waren fast ausnahmslosGefreite, Unteroffiziere o<strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>r ehemaligen Wehrmacht, die meist in sowjetischerKriegsgefangenschaft gewesen und dort o<strong>de</strong>r danach für diesen Dienst als Ausbil<strong>de</strong>rgewonnen wor<strong>de</strong>n waren. Nun wur<strong>de</strong> mir auch klar, auf welchem Wege mein VaterKun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Volkspolizei erhalten und warum er mir <strong>de</strong>n Rat gegeben hatte, mich dortzu mel<strong>de</strong>n.Uns wur<strong>de</strong> erklärt, daß wir in einem einjährigen Lehrgang zu Wachtmeistern, d.h. Unterführernfür künftige weitere Einheiten ausgebil<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>m ehemaligen FliegerhorstPrenzlau wür<strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>e für die Volkspolizeibereitschaften ausgebil<strong>de</strong>t, die <strong>zum</strong>Schutz <strong>de</strong>r am 7.Oktober 1949 gegrün<strong>de</strong>ten Deutschen Demokratischen Republik vorbewaffneten Anschlägen, vor Diversanten und Agenten geschaffen wur<strong>de</strong>n.In <strong>de</strong>n ersten Unterrichten wur<strong>de</strong>n wir an <strong>de</strong>utschen Waffen, <strong>de</strong>m Karabiner 98, <strong>de</strong>nMaschinenpistolen 38 und 44 sowie <strong>de</strong>r Pistole 08 als <strong>de</strong>n Standard-Schützenwaffenwährend <strong>de</strong>s zweiten Weltkrieges ausgebil<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>r nächsten Ausbildungsphase folgtendann die leichten Maschinengewehre 34 und 42. Als dann auch das schwereMaschinengewehr und <strong>de</strong>r Granatwerfer erklärt und vorgeführt wur<strong>de</strong>n, bekam ich dochwie<strong>de</strong>r Magendrücken ob <strong>de</strong>s zunehmend militärischen Charakters meiner künftigenLaufbahn, die ich mir eigentlich mehr zivil - im Sinne eines Kriminal- o<strong>de</strong>r Schutzpolizisten- vorgestellt hatte. Über die mit Zeltbahnen abge<strong>de</strong>ckten Großgeräte auf <strong>de</strong>mKasernenhof wur<strong>de</strong> gemunkelt, es han<strong>de</strong>le sich um Geschütze, Panzer und Artillerie-Selbstfahrlafetten für die Volkspolizeibereitschaft in Boitzenburg.Als junger, politisch noch unbeleckter Mensch folgte ich aufmerksam <strong>de</strong>n Unterrichten zuTagesfragen, zur Weltpolitik, <strong>zum</strong> Charakter <strong>de</strong>r Gesellschaftsordnungen, zu <strong>de</strong>nVerbrechen <strong>de</strong>r Faschisten und <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges. Ich erfuhr, daß imWesten Deutschlands die alten herrschen<strong>de</strong>n Klassen, die Konzerne und Junker, nichtentmachtet wor<strong>de</strong>n waren, son<strong>de</strong>rn dazu übergehen wür<strong>de</strong>n, sich eine neue Wehrmachtzu schaffen und die verlorenen Ostgebiete zurückzuerobern, wenn sie erst einmal starkgenug dazu gewor<strong>de</strong>n wären. Die Aussage, daß die <strong>de</strong>utschen Arbeiter und Bauern in <strong>de</strong>rDDR erstmals in einem <strong>de</strong>utschen Staat die Macht in ihre eigenen Hän<strong>de</strong> genommenhätten und nun aus eigener Kraft, ohne Kapitalisten und Junker, eine neue<strong>de</strong>mokratische, antifaschistische und friedlieben<strong>de</strong> Gesellschaft aufbauen wür<strong>de</strong>n, stärktemein Selbstbewußtsein, fühlte ich mich doch zu diesen einfachen Werktätigen gehörig.Und was die Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeiter betraf, so hatte ich sie als Knecht mit einer enormlangen Arbeitszeit bei nur 20 Mark Monatslohn am eigenen Leibe gespürt.Die Ausbildung machte mir Spaß. Als junger Mensch wur<strong>de</strong> ich gefor<strong>de</strong>rt und konnte michbeweisen. Zu Disziplin und Ordnung war ich von klein auf erzogen wor<strong>de</strong>n. Denmilitärischen Ton kannte ich vom Jungvolk, die physischen Anfor<strong>de</strong>rungen machten mirnichts aus, da ich harte körperliche Arbeit von 10 bis 14 Stun<strong>de</strong>n gewöhnt war. Nur dasGeräteturnen bereitete mir Schwierigkeiten. Meine Vorgesetzten erkannten auch bald,daß sie aus mir etwas machen konnten ("entwicklungsfähiger Ka<strong>de</strong>r" nannte man dasdamals). So habe ich mich mit <strong>de</strong>r Entscheidung, zur Volkspolizei zu gehen, relativ schnellabgefun<strong>de</strong>n.Den Karabiner 98 und die Pistole 08 konnte ich nach wenigen Tagen exakt beschreibenund auch <strong>de</strong>n komplizierten Vorgang in <strong>de</strong>r Waffe beim Schuß knapp und zutreffenddarlegen. Bereits nach drei Monaten wur<strong>de</strong> ich vorzeitig zu einem sechswöchigenspeziellen Unterführerlehrgang kommandiert. Einer <strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r in diesem Lehrgang warVP-Kommissar Sühnram, ein "Tapferkeitsleutnant" <strong>de</strong>r Wehrmacht (so wur<strong>de</strong>n jene<strong>Offizier</strong>e bezeichnet, die ohne <strong>Offizier</strong>sausbildung <strong>info</strong>lge militärischer Leistungen vom


Unteroffiziersdienstgrad <strong>zum</strong> <strong>Offizier</strong> beför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n). Kommissar Sühnram war durchund durch Soldat, ein Ausbil<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r alles selber vormachte und perfekt beherrschte, <strong>de</strong>runs junge Anwärter begeistern und mitreißen konnte.Die Gelän<strong>de</strong>ausbildung erfolgte <strong>zum</strong>eist auf <strong>de</strong>m nahe gelegenen, ziemlich tristenFliegerhorst, die Komplexausbildung hingegen wur<strong>de</strong> auf einem Übungsplatz südlich vonPrenzlau, bei Röpersdorf, in <strong>de</strong>r Großen Hei<strong>de</strong> (Prenzlauer Stadtforst) o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r KleinenHei<strong>de</strong> (Forst Lychen) durchgeführt. Dort befand sich auch <strong>de</strong>r Schießplatz. Hin- undRückmarsch erfolgten zu Fuß, manchmal als "Gewaltmarsch", d.h. im Dauerlauf, dieVorgesetzten immer vorneweg.Nach <strong>de</strong>m Lehrgang wur<strong>de</strong> ich als Gruppenführer eingesetzt. Mit meinen 18 Jahren warich auf einmal Vorgesetzter von 10 VP-Anwärtern. Der Zug war 20 Mann stark und wur<strong>de</strong>von einem ehemaligen Unteroffizier <strong>de</strong>r Wehrmacht geführt. Ihn, die Komman<strong>de</strong>ure <strong>de</strong>rHun<strong>de</strong>rtschaften und <strong>de</strong>r Kommandos habe ich wegen ihrer menschlichen Art, ihreskameradschaftlichen Umgangs mit <strong>de</strong>n Unterstellten und ihrer vorbildlichen Leistungen in<strong>de</strong>r Ausbildung sehr geachtet. Die Handgriffe und Kommandos, die sie mir damalsbeibrachten, beherrsche ich noch heute.Ich wur<strong>de</strong> Mitglied <strong>de</strong>r Freien Deutschen Jugend und erhielt meine erste gesellschaftlicheFunktion - Kassierer <strong>de</strong>r FDJ-Gruppe. Der Freizeitkontakt mit an<strong>de</strong>ren Jugendlichen, diegemeinsamen Erlebnisse waren eine für mich neue und wertvolle Erfahrung. Hinzu kam,daß noch vor Weihnachten das erste Monatsgehalt ausgezahlt wur<strong>de</strong> - 336 Mark, mehrals das Fünfzehnfache <strong>de</strong>s bisherigen Monatslohns. Außer<strong>de</strong>m kostenlose Verpflegung,Bekleidung und Unterbringung, Reisegeld für die Fahrt in <strong>de</strong>n Wochenend- o<strong>de</strong>rJahresurlaub - gera<strong>de</strong>zu paradiesische Zustän<strong>de</strong> gegenüber meinem bisherigen Leben.So war durchaus erklärlich, daß ich nach einer Jugend als Maurerkind, Ostflüchtling,geprügelter "Polackenjunge" und ausgebeuteter Landarbeiter mich diesem Staat unddieser Regierung verbun<strong>de</strong>n und zu Dank verpflichtet fühlte. Die sozialistische Weltanschauung,die in <strong>de</strong>r politischen Schulung, in Büchern, Zeitschriften und Zeitungenverbreitet wur<strong>de</strong>, erschien mir zutreffend, das Ziel <strong>de</strong>r Befreiung von Unterdrückung,Ausbeutung und Vernichtung <strong>de</strong>s Menschen durch <strong>de</strong>n Menschen aller Ehren undhöchster persönlicher Anstrengungen wert. In diesen ersten Jahren bei <strong>de</strong>r Volkspolizeiwur<strong>de</strong> das Fundament meiner Überzeugungen und Verhaltensweisen gelegt - vor allemdie Überzeugung, <strong>de</strong>r gerechtesten Sache <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>m Kampf um eine neueGesellschaft <strong>de</strong>r von Ausbeutung und Unterdrückung befreiten Werktätigen zu dienen.Gleichzeitig sah ich <strong>de</strong>n Kampf um ein einheitliches, <strong>de</strong>mokratisches und friedlieben<strong>de</strong>sDeutschland, <strong>de</strong>n die Regierung, die Nationale Front, die SED als die stärkste Partei unddie FDJ als einheitliche Jugendorganisation im Osten auch nach <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r BRDund <strong>de</strong>r DDR als vorrangiges Ziel allen politischen Han<strong>de</strong>lns propagierten, auch als meinpersönliches Ziel an, ich konnte mich mit dieser Politik und <strong>de</strong>n sie tragen<strong>de</strong>n Parteienund Politikern auch in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren immer voll i<strong>de</strong>ntifizieren.Das so entstan<strong>de</strong>ne vorbehaltlose Vertrauen verschloß, aus heutiger Sicht, allerdingsauch <strong>de</strong>n kritischen Blick auf Erreichtes und Verfehltes, auf <strong>de</strong>n zunehmend breiterenSpalt zwischen Theorie und Praxis, zwischen schematisch propagierter Weltanschauungund wi<strong>de</strong>rspruchsvoller Wirklichkeit, zwischen hehren Grundsätzen sozialistischer Moralund schäbigen Verhaltensweisen auch so mancher Funktionäre.Für mich persönlich war seit dieser ersten Zeit bei <strong>de</strong>r Volkspolizei klar, daß ich diesenStaat bejahte und ihn zu schützen bereit war - ohne äußeren Zwang o<strong>de</strong>r nur aus Anpassung,son<strong>de</strong>rn aus innerer Überzeugung, freiwillig und engagiert. Alles war sonnenklar,wer <strong>de</strong>r Freund und wer <strong>de</strong>r Feind ist.Weit weniger klar stand es um meine familiären Bindungen und ihre Entwicklung. Wiesollte ich mich <strong>zum</strong> zweiten Ratschlag meines Vaters, <strong>de</strong>r ja eine ultimative For<strong>de</strong>rungdarstellte, verhalten? In vielen schlaflosen Nächten habe ich verzweifelt darüber nach-


gedacht. Ich hing sehr an meiner Mutter, sagte mir aber verstan<strong>de</strong>smäßig, sie habe ja nunwie<strong>de</strong>r einen Partner, kleine Kin<strong>de</strong>r (1950 wur<strong>de</strong> mein zweiter Halbbru<strong>de</strong>r Joachim geboren)und wür<strong>de</strong> sicher <strong>de</strong>n Weggang <strong>de</strong>s fast erwachsenen Sohnes leichter verschmerzenals <strong>de</strong>r Vater, <strong>de</strong>r ja nieman<strong>de</strong>n habe. So ging das bis Weihnachten 1949.Im Urlaub fuhr ich nach Grube zu meiner Mutter, verlebte dort zwei schöne Tage und fuhrdann weiter nach Mieckow zu meinem Vater. In Grube hatte ich wie<strong>de</strong>rum nichts vonmeiner inzwischen getroffenen Entscheidung verlauten lassen. Mich würgte es nur bei<strong>de</strong>m Gedanken: Du siehst Deine Mutter, Deinen kleinen Bru<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>inen Stiefvater, <strong>de</strong>nDu inzwischen schätzen und lieben gelernt hast, nie wie<strong>de</strong>r.Diesen schweren Entschluß habe ich meiner Mutter brieflich mitgeteilt. Mein Vater hatmeine Entscheidung zur Kenntnis genommen, mich nur mit harten Worten gewarnt,dagegen zu verstoßen. Er ging wie<strong>de</strong>r als Maurer, später als Fliesenleger auf Montageund hat an vielen Orten in Mecklenburg und Vorpommern, auch auf Rügen, sogar imErzgebirge gearbeitet, gutes Geld verdient und bald ein neugebautes Einfamilienhaus inWockern bei Teterow bezogen. Er hat auch wie<strong>de</strong>r geheiratet. Ich habe meinen Vater1950 und 1951 zwei- bis dreimal besucht, dann immer seltener. Die schönsten Stun<strong>de</strong>nverlebte ich in Mieckow bei meiner Tante Fine, ihrem Mann und ihrem Sohn, dortherrschte eine echte Familienatmosphäre.Erst 1954, als ich selbst bereits verheiratet war und eine Tochter hatte, habe ich meinemVater geschrieben, daß ich mich nicht mehr an seine For<strong>de</strong>rung und mein Versprechengebun<strong>de</strong>n fühle und wie<strong>de</strong>r Kontakt zu meiner Mutter und ihrer Familie aufnehmen wer<strong>de</strong>.Es gab danach noch einige kühle Besuche, 1976 war <strong>de</strong>r letzte persönliche Kontakt, un<strong>de</strong>rst im Dezember 1994 habe ich ihn wie<strong>de</strong>r gesprochen und mich mit ihm versöhnt. MeinVater war damals 87 Jahre, schwer krank und verstarb kurz darauf. Zur Familie meinerMutter entwickelte sich ab 1954 ein überaus herzliches Verhältnis.Beruflich war ich mit <strong>de</strong>m Dienst in <strong>de</strong>r VP-Bereitschaft voll ausgefüllt. Meine Stubenkamera<strong>de</strong>nstammten meist aus <strong>de</strong>r näheren Umgebung von Prenzlau und weilten imAusgang o<strong>de</strong>r Kurzurlaub bei ihren Verwandten und Bekannten. Es blieben nur wenigemeiner Kamera<strong>de</strong>n am Wochenen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Kaserne.Die bran<strong>de</strong>nburgische Kreisstadt Prenzlau als Zentrum <strong>de</strong>r Uckermark hatte wohl einezauberhafte Umgebung - <strong>de</strong>n direkt angrenzen<strong>de</strong>n Unterueckersee und die mit Laubwäl<strong>de</strong>rnbewachsene, seenreiche und hügelige Moränenlandschaft. Die Stadt selber waraber in <strong>de</strong>n letzten Wochen <strong>de</strong>s zweiten Weltkrieges schwer, das Zentrum mit <strong>de</strong>rherrlichen Marienkirche zu 85% zerstört wor<strong>de</strong>n. Nur die Umfassungsmauer, ihre Türmeund die wehrhaften, reich geschmückten Tore waren von einer <strong>de</strong>r schönsten nord<strong>de</strong>utschenAltstädte übrig geblieben.Prenzlau hatte schon im 30jährigen Krieg und in <strong>de</strong>n Napoleonischen Kriegen schwergelitten, erst mit <strong>de</strong>m Eisenbahnanschluß hatte sich Industrie entwickelt (Eisengießereien,Maschinenfabriken, Molkerei, Mühlen, Zuckerfabrik). Als Garnisonsstadt hingegen hattePrenzlau seit <strong>de</strong>m 17.Jahrhun<strong>de</strong>rt wachsen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung erlangt, 1905 bestand die Hälfte<strong>de</strong>r rund 21.000 Einwohner aus Militärs und ihren Angehörigen, namentlich <strong>de</strong>s Bezirkskommandosund eines Infanterieregiments. Reichswehr und Wehrmacht hatten vor allemArtillerie in Prenzlau stationiert, die Sowjetarmee nach 1945 Panzertruppen.Der Himmelfahrtstag 1950 - ein schöner, sonniger Maientag - war so recht <strong>zum</strong> Ausganggeeignet. Ein Stubenkamerad nahm mich mit, abends gingen wir in <strong>de</strong>n Kurgarten amUeckersee <strong>zum</strong> Tanz. Dort lernte ich Gisela Meinke kennen, es war wohl Liebe auf <strong>de</strong>nersten Blick.Ihre Familie wohnte in Prenzlau direkt neben unserer Kaserne, sie konnten auf <strong>de</strong>nKasernenhof blicken. Ihr Vater war nicht glücklich über mein erstes Aufkreuzen, hatte erdoch recht wenig für die "Arbeitsscheuen in <strong>de</strong>n blauen Uniformen" übrig. Wenn ich ihm


später dieses - auch für meine Kamera<strong>de</strong>n durchaus unzutreffen<strong>de</strong> - Vorurteil unter dieNase rieb, bekam ich höchstens das unwillige Zugeständnis zu hören, ich wäre eben dieberühmte Ausnahme von <strong>de</strong>r Regel. Dennoch wur<strong>de</strong> ich herzlich in die Familie Meinkeaufgenommen, wodurch mir die Trennung von meiner Mutter nicht so schwer fiel.Viele schöne Stun<strong>de</strong>n erlebten wir in diesem Sommer. Spaziergänge mit Gisela in <strong>de</strong>rStadt, im Bürgergarten mit seinen Zierfischteichen, <strong>de</strong>n Rosenbeeten und <strong>de</strong>n herrlichenalten Bäumen o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n damals noch gepflegten Wegen und Anlagen entlang <strong>de</strong>sUeckersees bis zu einer Gaststätte am sogenannten "Kap" auf einer Anhöhe <strong>de</strong>sOstufers, etwa 4 km vom Zentrum entfernt, Schwimmen an versteckten Ba<strong>de</strong>stellen undSonnen auf <strong>de</strong>r Liegewiese <strong>de</strong>s Freiba<strong>de</strong>s füllten die Freizeit aus.Auch die Besuche bei Giselas Verwandten in <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n Ortschaften, darunter dieTeilnahme an einer Hochzeitsfeier, die zu einem richtigen gemütlichen Dorffest wur<strong>de</strong>,sind mir in guter Erinnerung geblieben. Nicht weniger fröhlich ging es oftmals in unsererMannschaftsstube o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Kameradschaftsaben<strong>de</strong>n zu, wenn Episo<strong>de</strong>n erzählt o<strong>de</strong>rLie<strong>de</strong>r gesungen wur<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen ich viele heute noch wie<strong>de</strong>rgeben kann.Schnell verging <strong>de</strong>r Sommer 1950. Anfang Oktober sollte das Ausbildungsjahr mit einemAppell abgeschlossen wer<strong>de</strong>n und die Ernennung bzw. Beför<strong>de</strong>rung zu höherenDienstgra<strong>de</strong>n erfolgen. Wenige Tage zuvor war ich <strong>zum</strong> Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r Bereitschaftbefohlen wor<strong>de</strong>n. Er teilte mir mit, daß ich zusammen mit fünf an<strong>de</strong>ren von insgesamt 900Kursanten wegen ausgezeichneter Leistungen <strong>zum</strong> Polizeimeister ernannt wür<strong>de</strong>, allean<strong>de</strong>ren <strong>zum</strong> VP-Hauptwachmeister. Von diesen sechs Mann, die um einen Dienstgradhöher eingestuft wur<strong>de</strong>n, sollte ich die Dankesworte sprechen. Das hat zwar meine Brustschwellen, mich aber auch einige Nächte sehr schlecht schlafen lassen.Vor 1000 Mann am Mikrofon sprechen - ich habe es überstan<strong>de</strong>n, und wie meine Giselameinte, die es von ihrer Wohnung aus sehen und hören konnte, ganz gut. Sie gratuliertemir <strong>de</strong>nn auch an <strong>de</strong>r Kasernenwache mit einer frisch gebackenen Torte - und das voraller Augen!Nach <strong>de</strong>r Ernennung wur<strong>de</strong> ich als Führer eines selbständigen Zuges für vier Wochennach Boitzenburg abkommandiert. Ich hatte das ehemalige Schloß <strong>de</strong>r Familie von Arnimzu bewachen, aus <strong>de</strong>m vor kurzem eine VP-Bereitschaft abgezogen wur<strong>de</strong>, nach<strong>de</strong>m dortein Großbrand ausgebrochen war. Ob es sich bei diesem Brand um Fahrlässigkeit o<strong>de</strong>rBrandstiftung han<strong>de</strong>lte, ist nie geklärt wor<strong>de</strong>n.Ich bestand diese Bewährungsprobe und kehrte nach Prenzlau zurück. Dort stellte icherstaunt fest, daß die Mehrzahl <strong>de</strong>r ernannten Unterführer bereits zu an<strong>de</strong>ren Dienststellenversetzt wor<strong>de</strong>n war. Nur etwa 40 Kamera<strong>de</strong>n warteten noch auf ihren Einsatzbefehl.Völlig überraschend wur<strong>de</strong> uns eines Tages mitgeteilt, wir wären für die Heranbildungzu VP-Offzieren vorgesehen.Am Abend <strong>de</strong>s 5.Dezember 1950 wur<strong>de</strong>n wir mit unserem gesamten persönlichenGepäck auf drei LKW "verla<strong>de</strong>n" und begaben uns mit unbekanntem Ziel auf die Nachtfahrt.Ich wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m plötzlichen Aufbruch ziemlich überrascht, <strong>de</strong>nn Gisela und ihreMutter hatten mir am Vortage eröffnet, ich wür<strong>de</strong> wahrscheinlich Vater. Da fielen wie<strong>de</strong>rdienstliche und familiäre Weichenstellungen zusammen. Am Horizont zeichneten sich dieVerantwortung für eine eigene Familie und die höhere Verantwortung als <strong>Offizier</strong> ab. Mit<strong>de</strong>r Jugendzeit war es wohl nun endgültig vorbei.Ausbildung <strong>zum</strong> <strong>Offizier</strong>Als wir am späten Abend in Prenzlau, <strong>de</strong>m Standort <strong>de</strong>r 3.VP-Bereitschaft Bran<strong>de</strong>nburg,mit drei LKW <strong>de</strong>s Typs H 3 (ein Horch-Dreitonner) aufbrachen, kannte keiner von unsUnterführern das Ziel <strong>de</strong>r Fahrt. Wir merkten nur, daß unsere Fahrt zu Beginn über eine


Landstraße führte und dann an <strong>de</strong>n regelmäßigen Stößen <strong>de</strong>r Fugen auf <strong>de</strong>r Fahrbahn,die auf unsere Holzpritschen übertragen wur<strong>de</strong>n, daß wir auf <strong>de</strong>r Autobahn rollten. Wirnahmen an, daß wir in Richtung Berlin fuhren, <strong>de</strong>nn nach Nordosten en<strong>de</strong>te die Autobahnnach Stettin bald an <strong>de</strong>r polnischen Grenze. Eine kurze Rast bestätigte unsereVermutung, <strong>de</strong>r Kolonnenführer hielt sich aber konsequent an sein Schweigegebot überdas Endziel.Später, als ich Darstellungen und Erlebnisberichte über die Geschichte <strong>de</strong>r KaserniertenVolkspolizei und ihres Vorgängers, <strong>de</strong>r Hauptverwaltung für Ausbildung las, erfuhr ich,daß in dieser Nacht überall in <strong>de</strong>r DDR Dutzen<strong>de</strong> von LKW unterwegs waren. In <strong>de</strong>rersten großen Reorganisation <strong>de</strong>r HVA wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesamte "Personalbestand", wie dasbei uns hieß, gründlich durcheinan<strong>de</strong>rgewirbelt.Armeegeneral Heinz Hoffmann hat das im zweiten Band seiner Erinnerungen, <strong>de</strong>r unter<strong>de</strong>m Titel "Moskau - Berlin" noch 1989 erschienen ist, recht drastisch beschrieben. Soblieben von <strong>de</strong>n 8 VP-Bereitschaften Bran<strong>de</strong>nburg nur die 3.VPB in Prenzlau bestehen,von <strong>de</strong>n 4 in Bran<strong>de</strong>nburg stationierten Schulen blieben die in Glöwen, Potsdam undDoberlug, die Prenzlauer VP-Schule wur<strong>de</strong> nach Erfurt verlegt.Nach<strong>de</strong>m wir uns die Beine vertreten hatten, setzten wir die Fahrt ins Ungewisse fort. Eswar eine klare Nacht mit nur wenigen Minusgra<strong>de</strong>n. Wir wickelten uns wie<strong>de</strong>r in dieDecken, allmählich dämmerte es.. Der Himmel hatte sich bezogen, leichte Nebelschleierlagen über <strong>de</strong>r Landschaft. Mit <strong>de</strong>m Hellerwer<strong>de</strong>n spähten wir durch die Ritzen <strong>de</strong>sRückver<strong>de</strong>cks, wir hatten inzwischen die Autobahn verlassen. Nach Durchfahren einerOrtschaft lasen wir das Ortsschild: Ostrau. Wo aber lag Ostrau?Es wur<strong>de</strong> heller, aber <strong>de</strong>r Nebel hatte sich verdichtet. Einfahrt in eine Stadt - Stop, dasÖffnen <strong>de</strong>r Beifahrertür und die Frage nach Papieren war zu hören. Die LKW fuhrenwie<strong>de</strong>r an und hielten dann nebeneinan<strong>de</strong>r, das Kommando <strong>zum</strong> Absitzen ertönte. Wirstan<strong>de</strong>n auf einem größeren, viereckigen Hof, eingerahmt von zwei langgestreckten,dreistöckigen Gebäu<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>r Stirnseite <strong>de</strong>s Platzes lagen zwei kleinere Gebäu<strong>de</strong>,daneben die Einfahrt mit <strong>de</strong>r Wache. Im Hintergrund <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Schmalseite sahen wirflache Gebäu<strong>de</strong> und ein größeres mit langen Fenstern.Auf uns zu kam ein <strong>Offizier</strong> in <strong>de</strong>r dunkelblauen Uniform <strong>de</strong>r Volkspolizei, begrüßte unsfreundlich und teilte uns mit, daß wir uns in <strong>de</strong>r Volkspolizeischule Döbeln befän<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>r wir nunmehr zu <strong>Offizier</strong>en ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollten. Die Spannung wich, wir warenmit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r langen Fahrt und ihrem Ziel zufrie<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n wir doch nicht irgendwoin <strong>de</strong>r Taiga abgesetzt. Döbeln, so wur<strong>de</strong> uns erklärt, sei eine Kreisstadt immittelsächsischen Bergland, durchflossen von <strong>de</strong>r Freiberger Mul<strong>de</strong>, mit entwickelterIndustrie und einem ertragreichen landwirtschaftlichen Umland, klimatisch begünstigtdurch <strong>de</strong>n weiten Talkessel. Döbeln besaß einen schönen alten Stadtkern mitbemerkenswerten Kirchen und an<strong>de</strong>ren Zeugnissen seiner tausendjährigen Geschichte.Das Theater, die Parkanlagen, das Freibad und das Stadtbad boten im Sommer wie imWinter vielfältige Erholungsmöglichkeiten.Aber nicht nur als Industriestandort, son<strong>de</strong>rn auch als Garnison hatte Döbeln langjährigeTraditionen. Schon vor <strong>de</strong>m ersten Weltkrieg war hier ein komplettes sächsischesInfanterieregiment stationiert.Nach einer kurzen Vorstellung wur<strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n Speisesaal geführt, Frühstücksschnittenund heißer Tee stan<strong>de</strong>n bereits auf <strong>de</strong>n Tischen. Dann wur<strong>de</strong>n wir auf die Kompanien,Züge und Gruppen aufgeteilt. Meine Einweisung lautete: 2. Kompanie (Kompaniechef VP-Oberkommissar Baum), 3. Zug. Dabei wur<strong>de</strong> ich als einer von drei Polizeimeistern diesesZuges (alle an<strong>de</strong>ren Kamera<strong>de</strong>n hatten <strong>de</strong>n Dienstgrad Hauptwachmeister) als Zughelfer,d.h. Stellvertreter <strong>de</strong>s Zugführers, vorgestellt. Das war ja eine schöne Überraschung, <strong>de</strong>nnstatt geruhsamen Lernens wür<strong>de</strong>n zusätzliche Arbeit, wahrscheinlich auch Ärger undAuseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit Unterstellten und Vorgesetzten auf mich warten. Soviel hatte


ich ja in meinem ersten Jahr bei <strong>de</strong>r Volkspolizei mitbekommen.Jung, wie ich war, sagte ich mir, du wirst es schon packen. Außer<strong>de</strong>m hatte ja <strong>de</strong>rZugführer die Hauptverantwortung für <strong>de</strong>n Zug von 30 <strong>Offizier</strong>sschülern, geglie<strong>de</strong>rt in dreiGruppen zu jeweils 10 Kursanten. Wie sollte ich ahnen, daß <strong>de</strong>r Zugführer (ein VP-Kommissar, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>slehrgang in Döbeln gera<strong>de</strong> been<strong>de</strong>t hatte) nach wenigenWochen erkranken und ich im weiteren <strong>de</strong>n Zug eigenverantwortlich führen mußte.Bereits nach wenigen Tagen konnte ich erkennen, daß mir die Erfahrungen in <strong>de</strong>r BereitschaftPrenzlau, als Unterführer, Ausbil<strong>de</strong>r und auch während <strong>de</strong>r Kommandierung nachBoitzenburg jetzt zugute kamen. Das war ein Vorteil gegenüber <strong>de</strong>m Zugführer, <strong>de</strong>rwährend <strong>de</strong>r einjährigen Ausbildung an <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule immer in Reih und Glied undnie vor <strong>de</strong>r Front gestan<strong>de</strong>n hatte. Trotz<strong>de</strong>m haben wir uns in <strong>de</strong>n wenigen Wochengemeinsamen Dienstes gut verstan<strong>de</strong>n und gegenseitig ergänzt. Schließlich waren wir allefast im gleichen Alter von 18 bis 20, nur wenige Kamera<strong>de</strong>n zählten 23 bis 24 Jahre.Wir <strong>Offizier</strong>sschüler <strong>de</strong>r 1. bis 6. Kompanie <strong>de</strong>s Lehrgangs 1951 hatten alle als Unterführerpraktische Erfahrungen gesammelt, waren Willens, gute <strong>Offizier</strong>e zu wer<strong>de</strong>n undsind es auch fast alle gewor<strong>de</strong>n. Der Lehrkörper <strong>de</strong>r Schule hat uns soli<strong>de</strong> ausgebil<strong>de</strong>tund or<strong>de</strong>ntlich erzogen, vor allem auch Führungsfähigkeiten beigebracht. Der Leiter <strong>de</strong>rSchule, VP-Komman<strong>de</strong>ur Günther, genoß großes Ansehen und war bei uns beson<strong>de</strong>rswegen seiner väterlichen Art <strong>de</strong>s Umganges beliebt.Als Zugführer war ich nicht nur für <strong>de</strong>n inneren Dienstbetrieb verantwortlich, son<strong>de</strong>rn hatteauch die Ausbildung <strong>de</strong>s Zuges im Exerzieren sowie in Teilbereichen <strong>de</strong>r Taktik- undSchießausbildung, <strong>de</strong>r Topographie und <strong>de</strong>s Sportes durchzuführen. Dafür reichten meineKenntnisse von Prenzlau natürlich nicht aus, also mußte abends intensiv Selbststudiumbetrieben wer<strong>de</strong>n, um am nächsten Tag <strong>de</strong>n Unterricht gestalten zu können. Hinzu kam,daß ich von Pädagogik und Psychologie, überhaupt von Menschenführung im allgemeinenwie beson<strong>de</strong>rs im militärischen Bereich bis dahin kaum etwas wußte. Die "Lehrmethodik"und die Behandlung <strong>de</strong>r "Schüler" folgten eher <strong>de</strong>r Intuition, vor allem <strong>de</strong>m Prinzip: Machees möglichst so, wie du es von guten Vorgesetzten bisher erlebt hast und geh mit <strong>de</strong>nKamera<strong>de</strong>n so um, wie du möchtest, daß <strong>de</strong>ine Vorgesetzten mit dir umgehen.Dabei habe ich viel Verständnis von <strong>de</strong>n Kamera<strong>de</strong>n meines Zuges erfahren, sicher auch<strong>de</strong>shalb, weil ich mich häufig mit ihnen über das "Wie" <strong>de</strong>r zu lösen<strong>de</strong>n Aufgaben beriet.In guter Erinnerung sind mir noch einer <strong>de</strong>r drei Gruppenführer, <strong>de</strong>r etwas ältere<strong>Offizier</strong>sschüler Weihrauch, und einer meiner bei<strong>de</strong>n Stubenkamera<strong>de</strong>n, <strong>Offizier</strong>sschülerWerner. Auch Werner war älter als ich, stammte aus Thüringen und war Mitglied <strong>de</strong>r SED.In seiner ruhigen Art gab er mir oft Empfehlungen, wie ich an dieses o<strong>de</strong>r jenes Ausbildungsproblemherangehen könnte. Häufig diskutierten wir abends über <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>sLebens, über persönliche Zielstellungen, über politische Probleme wie die Rolle <strong>de</strong>rArbeiter in <strong>de</strong>r DDR, <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r SED auf die Staatspolitik und das Bündnis mit <strong>de</strong>rSowjetunion.Das Jahr an <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule Döbeln war insgesamt gesehen hart, beson<strong>de</strong>rs was dieAusbildung betraf. Ein Fußmarsch über 60 km ins Sommerlager <strong>zum</strong> TruppenübungsplatzZeithain nördlich von Riesa ist mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Obgleichwir bereits mehrere Vorbereitungsmärsche absolviert hatten, war diese Strecke - mitpersönlichem Gepäck und Waffe - eine große Herausfor<strong>de</strong>rung. Die Mehrzahl hat es trotzBlasen an <strong>de</strong>n Füßen geschafft.Die anschließen<strong>de</strong>n 4 Wochen Ausbildung in Gottes freier Natur, in niedrigen Zelten (nuraus unseren persönlichen Zeltbahnen errichtet) und unter primitivsten hygienischenBedingen, bei Hitze, Sand und gelbem Ginster trugen wesentlich zu unserer körperlichenStählung bei. In einem Buch über die Wehrmacht ("Die Jungs die übrig blieben") las ichfolgen<strong>de</strong> Re<strong>de</strong>wendung: "Zeithain, wenn ich <strong>de</strong>in ge<strong>de</strong>nke, zittern mir die Kniegelenke!"Solche sadistischen Schikanen <strong>de</strong>r Vorgesetzten, wie sie dort beschrieben wer<strong>de</strong>n, habe


ich glücklicherweise we<strong>de</strong>r an unserer <strong>Offizier</strong>sschule, noch in an<strong>de</strong>ren Dienststellen <strong>de</strong>rKasernierten Volkspolizei o<strong>de</strong>r später <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee erlebt.Der Rückmarsch verlief ohne Komplikationen. Beim Einmarsch in Döbeln - empfangenund begleitet von <strong>de</strong>r Musikkapelle <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule - schmetterten wir im festenMarschtritt unsere Lie<strong>de</strong>r und fühlten uns stolz wie die Spanier. Auch die späterenSommerlager, mehrmals im Zellwald bei Roßwein und nicht selten 14 Tage lang imRegen, haben uns nichts mehr anhaben können, selbst wenn kein Fa<strong>de</strong>n mehr trockenwar.Dieses Jahr als <strong>Offizier</strong>sschüler war alles in allem sehr wertvoll für mich. Ich erwarbFähigkeiten in <strong>de</strong>r Menschenführung und in <strong>de</strong>r Leitung militärischer Kollektive, bekam vorallem ein Gespür dafür, was "ankam" und was nicht. Ich machte die Erfahrung, daß dasEingestehen eigener Fehler <strong>de</strong>r Autorität eines Vorgesetzten viel weniger scha<strong>de</strong>t als dasstarre Festhalten an falschen Entschlüssen und Metho<strong>de</strong>n. Vor allem begriff ich, daß mansich auf <strong>de</strong>n Kern eines Kollektivs, auf die aktivsten und kreativsten Kamera<strong>de</strong>n stützenmuß, <strong>de</strong>nn ohne das Kollektiv ist <strong>de</strong>r Einzelne auf die Dauer nicht erfolgreich.Was ich allerdings erst allmählich begriff, zunächst verdrängte, das war meineVerantwortung für Gisela Meinke, die im 350 km entfernten Prenzlau ein Kind unter ihremHerzen trug. Ich fand einfach nicht <strong>de</strong>n Mut, im Wochenendurlaub von Döbeln nachPrenzlau zu fahren, <strong>de</strong>r Briefwechsel blieb die einzige Verbindung zu Gisela und ihrerFamilie. Abgelenkt durch die Ausbildung und die gesellschaftliche Arbeit, schob ich dieFahrt nach Prenzlau Woche um Woche hinaus. Als weitere Ausre<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m eigenenGewissen diente die soziale Lage - ich war ja nichts und hatte nichts, schon gar nicht diePosition, eine Familie zu grün<strong>de</strong>n und zu ernähren.Am 2.September 1951 wur<strong>de</strong> meine Gisela von einem gesun<strong>de</strong>n Mädchen entbun<strong>de</strong>n.Sie war auf <strong>de</strong>n schönen Namen Heidrun getauft wor<strong>de</strong>n. Das war <strong>de</strong>r letzte Anstoß -neben <strong>de</strong>n kameradschaftlichen Mahnungen meines Stubenkamera<strong>de</strong>n Werner ausThüringen - mich <strong>zum</strong> Bahnhof zu begeben und nach Prenzlau zu fahren. Der Empfangwar recht kühl - verständlich - sowohl von Gisela als auch von ihrer Mutter, <strong>de</strong>r Vater warzur Arbeit. Lange betrachtete ich Heidrun in <strong>de</strong>r Wiege, dann fuhr ich wie<strong>de</strong>r, ohne einenEntschluß gefaßt zu haben, nach Döbeln.Nach langem Überlegen, nach Gesprächen auch mit meinem Stubenkamera<strong>de</strong>n,entschloß ich mich, um Giselas Hand anzuhalten - wie das laut Knigge in <strong>de</strong>utschenLan<strong>de</strong>n damals üblich war. Ich bekam schriftlich eine zustimmen<strong>de</strong> Antwort, geheiratetsollte aber erst wer<strong>de</strong>n, wenn eine Wohnung in Aussicht war.Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres wur<strong>de</strong> meinem Zug <strong>de</strong>r Titel "Bester Zug" verliehen, ichselber wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Ernennung <strong>zum</strong> <strong>Offizier</strong> als bester <strong>Offizier</strong>sschüler ausgezeichnet.Darauf war ich stolz. Mit diesen Auszeichnungen waren nicht nur unsere Leistungen imDienst und im Studium gewürdigt wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch unsere gesellschaftlichenAktivitäten.So ging von <strong>de</strong>r FDJ-Gruppe meines Zuges die Initiative <strong>zum</strong> freiwilligen Ausbau <strong>de</strong>sSportstadions hinter <strong>de</strong>r Eisenbahnlinie, die an <strong>de</strong>r Kaserne vorbeiführte, aus. VieleStun<strong>de</strong>n Freizeit wur<strong>de</strong>n dafür eingesetzt. Das Stadion wur<strong>de</strong> ein Schmuckstück <strong>de</strong>rKreis- und Garnisonsstadt Döbeln, harmonierte mit <strong>de</strong>m nahegelegenen Bürgerpark, <strong>de</strong>mTeich, <strong>de</strong>m Pavillon und <strong>de</strong>n verschlungenen Wegen dieses Parks.Wie mein weiterer Einsatz als nunmehriger Unterkommissar erfolgen sollte, teilte mir <strong>de</strong>rSchulleiter in einem persönlichen Gespräch mit: Zugführer in <strong>de</strong>r 1.Kompanie. Ob ichdazu bereit wäre, fragte er mich. Ich habe ohne zu zögern mit "Ja" geantwortet, weil mirdas Jahr <strong>de</strong>r Vertretung <strong>de</strong>s erkrankten Zugführers das Selbstvertrauen gegeben hatte,eine solche Aufgabe auch regulär wahrzunehmen.


Zugführer und Taktiklehrer an <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschuleDer Zug, <strong>de</strong>n ich zu übernehmen hatte, bestand aus Angehörigen <strong>de</strong>r ehemaligen 7. und8.Kompanie. Es waren <strong>Offizier</strong>sschüler, die bereits ein Jahr in Döbeln hinter sich hatten,aber vorher direkt aus zivilen Bereichen (Schulen und Betrieben) gekommen waren unddie nun als erste in <strong>de</strong>n Genuß einer zweijährigen <strong>Offizier</strong>sausbildung kamen.Obwohl ich mit meinen 19 Jahren nicht älter als meine Unterstellten war, fiel mir <strong>de</strong>r Startin das <strong>Offizier</strong>sleben nicht schwer, hatte ich doch <strong>de</strong>n Vorteil eines Jahres Truppenpraxis.Als Zugführer <strong>de</strong>s 1.Zuges hatte ich gleichzeitig <strong>de</strong>n Kompaniechef bei <strong>de</strong>ssenAbwesenheit zu vertreten. Auch das versetzte mich nicht in Unruhe.Als vorteilhaft erwies sich, daß ich jetzt auch an lehrmethodischen Maßnahmen teilnehmenkonnte, die zur pädagogischen Qualifizierung <strong>de</strong>s Lehrkörpers durchgeführt wur<strong>de</strong>n.Ich bekam persönlichen Kontakt vor allem zu <strong>de</strong>n Taktik- und Schießlehrern. Das brachtees mit sich, daß ich bald zusätzlich zu <strong>de</strong>n Ausbildungsstun<strong>de</strong>n, die ich als Zugführerselber geben mußte, auch zu solchen herangezogen wur<strong>de</strong>, die eigentlich <strong>de</strong>n Fachlehrernvorbehalten waren.Mitte <strong>de</strong>s Jahres 1952 erhielt ich die Aufgabe, mit <strong>de</strong>r Kompanie vor <strong>de</strong>r ZentralenSchulungsgruppe <strong>de</strong>s damaligen Chefs <strong>de</strong>r Hauptverwaltung für Ausbildung, GeneralinspekteurHeinz Hoffmann, eine Lehrvorführung zur Exerzierausbildung nach <strong>de</strong>n neu beiuns eingeführten Vorschriften <strong>de</strong>r Sowjetarmee vorzubereiten und durchzuführen.Derselbe Kasernenhof, auf <strong>de</strong>m ich an einem kalten Dezembermorgen <strong>de</strong>s Jahres 1950vom LKW gestiegen war, stand mir nun in seiner ganzen Größe zur Verfügung. Es klapptewie am Schnürchen und brachte <strong>de</strong>r Kompanie und mir eine Belobigung <strong>de</strong>sKomman<strong>de</strong>urs <strong>de</strong>r Schule ein. Das stärkte natürlich mein Selbstvertrauen.Selbst mein körperliches Leistungsvermögen, vor allem die Gewandtheit beim Geräteturnen,hatte sich verbessert. Die Riesenwelle am Reck und <strong>de</strong>r Sprung über das Langpferdin voller Uniform (Jacke, Stiefel, Koppel) bereiteten mir keine Schwierigkeiten mehr.Und beim Schießen mit Karabiner, Pistole und Maschinengewehr war mir immer die Note1 sicher. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres wur<strong>de</strong> mein Zug wie<strong>de</strong>r als "Bester Zug"ausgezeichnet.Mein Privatleben war "ins Lot" gekommen, <strong>de</strong>r "innere Druck" <strong>de</strong>s schlechten Gewissensgegenüber Gisela verschwun<strong>de</strong>n. Der zweite Besuch bei <strong>de</strong>r Familie Meinke - jetzt schonals <strong>Offizier</strong> - war wesentlich freundlicher. verlaufen. Ein Jahr lang bin ich noch zwischenDöbeln und Prenzlau gepen<strong>de</strong>lt. Je<strong>de</strong>r Groschen <strong>de</strong>r Dienstbezüge wur<strong>de</strong> gespart undintensiv nach einer Wohnung gefahn<strong>de</strong>t. Schließlich eröffnete sich die Möglichkeit,zusammen mit einer an<strong>de</strong>ren Familie in eine Vierraumwohnung zu ziehen, bei gemeinsamerNutzung von Küche und Bad.Mit dieser freudigen Nachricht fuhr ich nach Prenzlau, <strong>de</strong>r Familienrat stimmte zu, <strong>de</strong>rHochzeitstermin wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n 20.September 1952 festgelegt. Wir wur<strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>samtlichund auch kirchlich (ich in Uniform) getraut. Ich war ja getauft, evangelisch erzogenund konfirmiert wor<strong>de</strong>n, bin erst 1956, als ich zu einer an<strong>de</strong>ren Sicht <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>s Lebensund <strong>de</strong>r Gesellschaft gelangt war, aus <strong>de</strong>r Kirche ausgetreten.Zusammen mit einer freundlichen Nachbarin habe ich die Wohnung - einschließlichGardinen und Blumen - eingerichtet und meine Frau dadurch ziemlich verblüfft. Schwiegervater,von Beruf Tischler, hat viel mit selbstgebauten Möbeln zur Einrichtung beigesteuert.Ab En<strong>de</strong> 1952 waren wir nun eine komplette Soldatenfamilie, lebten am Dienstortzusammen und waren recht zufrie<strong>de</strong>n, spürten auch Dankbarkeit gegenüber <strong>de</strong>m Staatund <strong>de</strong>r Gesellschaft, die uns ein glückliches Leben in Frie<strong>de</strong>n ermöglichten. Denn auchdie Familie meiner Frau hatte 1945 in Prenzlau, nach<strong>de</strong>m sie die Wohnung verlorenhatten, völlig neu anfangen müssen.


Aus <strong>de</strong>m Willen heraus, selber noch aktiver zur Gestaltung dieser Gesellschaft beizutragen,wur<strong>de</strong> ich 1952 Kandidat <strong>de</strong>r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - imAugust 1953 hat mich dann die SED-Grundorganisation an <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule als Mitgliedaufgenommen. Es waren nicht Karrieregrün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn persönliche Überzeugungen undErlebnisse, die mich wie viele an<strong>de</strong>re meiner Kamera<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> in jenen Jahren zudiesem Schritt geführt haben.Mit Beginn <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres 1953 erfolgte mein Einsatz als Stellvertreter <strong>de</strong>sKompaniechefs <strong>de</strong>r 2. Kompanie mit <strong>de</strong>r Orientierung, verstärkt als Schieß- undTaktiklehrer herangezogen zu wer<strong>de</strong>n. Das entsprach meinem persönlichen Ziel, michstärker in einer speziellen Richtung zu qualifizieren. Die Rolle eines Fachlehrers für Taktiksagte mir am meisten zu, weil in <strong>de</strong>r Führung eines Zuges o<strong>de</strong>r einer Kompanie in <strong>de</strong>nverschie<strong>de</strong>nen Gefechtsarten die Ergebnisse aller an<strong>de</strong>ren Ausbildungszweige zusammenflossen.Anfang 1953 wur<strong>de</strong> ich dann strukturmäßig in die Gruppe <strong>de</strong>r Taktiklehrerunter Leitung von Major Heckert berufen.Inzwischen hatten wir nämlich militärische Dienstgra<strong>de</strong> und eine neue Uniform, in Khakiund mit ähnlichem Schnitt wie die <strong>de</strong>r Sowjetarmee, erhalten. Die Schulen und Bereitschaften<strong>de</strong>r Hauptverwaltung für Ausbildung waren im Spätsommer 1952 in die KasernierteVolkspolizei (KVP) umformiert, mit sowjetischen Waffen und Vorschriften ausgestattetwor<strong>de</strong>n. Auch die Besoldung wur<strong>de</strong> angehoben, die Anre<strong>de</strong> "Genosse" statt"Herr" eingeführt. Ich war jetzt Leutnant <strong>de</strong>r KVP.Der Einsatz als Fachlehrer für Taktik war eine große Herausfor<strong>de</strong>rung - immerhin war icherst 21 Jahre und hatte im Unterschied zu älteren Genossen keine Kriegserfahrung. Meinpersönlicher Tagesdienstablauf begann 6.00 bis 7.00 Uhr mit <strong>de</strong>r letzten Vorbereitung aufdie kommen<strong>de</strong>n Ausbildungsstun<strong>de</strong>n und en<strong>de</strong>te offiziell 19.00 Uhr, werktags war ich abernie vor 21.00 Uhr zu Hause und sonnabends auch kaum vor 15.00 Uhr. (DienstfreieSonnaben<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> erst 1985 eingeführt, zweimal im Monat, und 1990 nach<strong>de</strong>r Volkskammerwahl generell).Gemäß <strong>de</strong>m zentralen Plan <strong>de</strong>r Schulleitung in Döbeln zur Kontrolle <strong>de</strong>s Tagesdienstes in<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Kompanien <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschüler hatte ich an bestimmten Tagen von6.00 Uhr (Wecken, Frühsport, Stubenreinigung, Frühstück, 8.00 Uhr Ausbildungsbeginn)bis 22.00 Uhr (Zapfenstreich) Kontrollen durchzuführen, dazu kam <strong>de</strong>r periodische Einsatzim Taktik-Kabinett bis 21.00 Uhr.Fast alles war neu für mich. Voller Tatendrang stürzte ich mich in die Arbeit, konnte michauf die Hilfe meiner Kamera<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Vorgesetzten verlassen und übertrug meineVerbissenheit, <strong>de</strong>n Dienst möglichst gut durchzuführen, auch auf meine For<strong>de</strong>rungengegenüber <strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>sschülern. Schon bald hatte ich meine Spitznamen weg: "Paragraphenhengst"und "Regimentsbläke" (wegen meiner lauten Kommandosprache) warenvermutlich nicht die schärfsten. Das wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>sschülern bei einemKameradschaftsabend auch meiner Frau erzählt (unter <strong>de</strong>m Siegel strengster Verschwiegenheit,versteht sich), die es naturgemäß nicht für sich behielt.Ich habe mich nicht son<strong>de</strong>rlich darüber geärgert. Ich war mir <strong>de</strong>ssen bewußt, daß ich von<strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>sschülern immer nur das verlangte, was ich selber leisten konnte, und daß ichSommer wie Winter, bei 30° Hitze und 20° Kälte vor <strong>de</strong>r Front stehend, auch bei Regenund Schnee, die Ausbildung leitete. Höchstes Privileg war es für mich, bei einem Kfz-Marsch einmal in <strong>de</strong>r Fahrerkabine statt auf <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>fläche zu sitzen, wenn gera<strong>de</strong> keinan<strong>de</strong>rer Vorgesetzter dort Platz genommen hatte.Im Mai 1953 wur<strong>de</strong> Generalmajor Heinrich Heitsch als Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschuleDöbeln eingesetzt. Er hat, wie wahrscheinlich kein an<strong>de</strong>rer ehemaliger Generalstabsoffizier<strong>de</strong>r Wehrmacht, die Ausbildung <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>r KVP und <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, namentlich diemilitäraka<strong>de</strong>mische Ausbildung, im Sinne <strong>de</strong>r Verbindung sowjetischer Erfahrungen mit<strong>de</strong>n progressiven Traditionen <strong>de</strong>r bürgerlichen <strong>de</strong>utschen Militärwissenschaft und <strong>de</strong>r


Truppenpraxis beeinflußt.Von 1945 bis 1949 nacheinan<strong>de</strong>r in amerikanischer, sowjetischer und polnischerKriegsgefangenschaft, war <strong>de</strong>r Major i.G. <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Heeres 1949 Stellvertreten<strong>de</strong>rStabschef <strong>de</strong>r Hauptverwaltung für Ausbildung und dann Chef <strong>de</strong>r Rückwärtigen Dienstegewor<strong>de</strong>n, bevor er von 1953 bis 1955 die Infanterie-<strong>Offizier</strong>sschule Döbeln leitete. Bis1957 besuchte er die Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>s Generalstabes <strong>de</strong>r sowjetischen Streitkräfte undwur<strong>de</strong> anschließend <strong>zum</strong> Stellvertreter <strong>de</strong>s Komman<strong>de</strong>urs <strong>de</strong>r Hochschule für <strong>Offizier</strong>e inDres<strong>de</strong>n ernannt, aus <strong>de</strong>r 1959 die Militäraka<strong>de</strong>mie "Friedrich Engels" hervorging.Generalmajor Heitsch wirkte bis zu seinem Ausschei<strong>de</strong>n 1977 als 1.Stellvertreter <strong>de</strong>sChefs <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie und war beson<strong>de</strong>rs für Forschung und Lehre fakultätsübergreifendzuständig.Durch seine lehrmethodischen Veranstaltungen hat Generalmajor Heitsch schon inDöbeln meine eigene Entwicklung als <strong>Offizier</strong> und Lehrer wesentlich beeinflußt. Das gingsoweit, daß er mir eines abends von 22.00 Uhr bis Mitternacht anhand eines von mirerarbeiteten Konspekts die herausragen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Stabskultur für diecharakterliche Formung <strong>de</strong>s <strong>Offizier</strong>skorps erläuterte. Mit <strong>de</strong>m Lineal <strong>de</strong>monstrierte er miran <strong>de</strong>n Unregelmäßigkeiten meines Schriftbil<strong>de</strong>s - Linearität, Größe, Abstän<strong>de</strong> - wie einsauberes Konspekt auszusehen habe. Das sei keine Nebensache, meinte GeneralHeitsch, <strong>de</strong>nn ein <strong>Offizier</strong> trage Verantwortung für Leben und Tod seiner Soldaten, dakönnten oftmals "Kleinigkeiten" entschei<strong>de</strong>nd wer<strong>de</strong>n.Generalmajor Heitsch sorgte sich auch um die kulturelle Bildung seiner <strong>Offizier</strong>e, er ließEstra<strong>de</strong>n mit Künstlern <strong>de</strong>r sächsichen Bühnen, von Oper und Operette, durchführen, undmancher Gesellschaftsabend mit <strong>de</strong>n Frauen <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>e, z.B. anläßlich vonStaatsfeiertagen, ist meiner Frau und mir in dankbarer Erinnerung geblieben. Ich habeübrigens auch später an <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie und in meiner Dienststellung im Orgbereich oftseinen Rat gesucht.Viel gelernt habe ich durch die Teilnahme an <strong>de</strong>n Lehrgängen, die in Naumburg vomdamaligen Oberst Gall durchgeführt wur<strong>de</strong>n. Zu <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Lehrkörpers <strong>de</strong>r<strong>Offizier</strong>sschule, <strong>de</strong>ren Arbeit ich mir <strong>zum</strong> Vorbild nahm und die mir auch in brenzligenFragen halfen, gehörten die Hauptfachlehrer Müller und Graviat sowie die FachlehrerLeistner, Jürgeleit, Schaal, Wolf, Schönfel<strong>de</strong>r und beson<strong>de</strong>rs Major Förster, die an sichselbst in <strong>de</strong>r Regel min<strong>de</strong>stens so harte Anfor<strong>de</strong>rungen stellten wie an die<strong>Offizier</strong>sschüler. Försters Leitspruch "Schweiß spart Blut" hat sich mir unauslöschlicheingeprägt.Als junger Taktiklehrer - nicht älter als meine "Schüler" - hielt ich engen Kontakt zu <strong>de</strong>nZügen <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschüler und beson<strong>de</strong>rs zu <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r mir zugeteilt war. Wir erprobtengemeinsam neue Ausbildungsmetho<strong>de</strong>n, so eine über zwei bis drei Tage durchgehen<strong>de</strong>Komplexausbildung - rund um die Uhr, nur von <strong>de</strong>n notwendigen Ruhe- und Schlafpausenunterbrochen.Mein Drang, alles selbst vorführen und vorher ausprobieren zu wollen, spielte mirmanchen bösen Streich. So hatten wir im Ausbildungsprogramm auch mehrere Stun<strong>de</strong>nfür das Thema "Der Schützenzug bei einem Stoßtruppunternehmen" zu absolvieren. Umes interessanter zu gestalten, wollten wir die aktiven Handlungen aus einem Waldstücksüdlich Döbeln über die Mul<strong>de</strong> hinweg führen. Die Freiberger Mul<strong>de</strong> sollte mitSchlauchbooten forciert wer<strong>de</strong>n.Zur Vorbereitung sahen wir uns - Major Förster und ich - das vorgesehene Gelän<strong>de</strong> an,um es nicht nur von <strong>de</strong>r Karte aus beurteilen zu können. Wir kamen ans Ufer <strong>de</strong>r Mul<strong>de</strong> -natürlich ohne ein Schlauchboot mitzuführen. Aber siehe, an einem Steg lag ein kleiner,flacher Fischerkahn. Ich sprang - ungeachtet aller Warnungen meines Majors - hinein,stieß ab und begann mit <strong>de</strong>m Pad<strong>de</strong>l zu ru<strong>de</strong>rn. Es war Februar, leichte Minusgra<strong>de</strong>,keine Eisflächen, erhöhter Wasserstand und noch stärkere Strömung als gewöhnlich,


eson<strong>de</strong>rs an <strong>de</strong>r Enge, an <strong>de</strong>r wir uns befan<strong>de</strong>n.Bereits nach wenigen Metern hatte die starke Strömung das leichte Boot erfaßt, drehte esquer <strong>zum</strong> Ufer, eine falsche Bewegung von mir, und schon kippte das Boot, ich lag imWasser. Die Kälte und <strong>de</strong>r Schreck machten die ersten Schwimmstöße ziemlichunbeholfen. Ich war ja in voller Montur, schwerer Wintermantel, Stiefel an <strong>de</strong>n Beinen.Zum Glück war ich nicht weit vom Ufer entfernt und konnte auch mit aller Kraft das Seil<strong>de</strong>s Bootes erreichen. Mit hastigen Schwimmstößen zog ich es hinter mir her, MajorFörster streckte mir seine Hand entgegen und ich kroch durch das Gebüsch ans retten<strong>de</strong>Ufer. Von dort ging es im Dauerlauf <strong>zum</strong> LKW und sofort nach Döbeln in die Wohnung,Sachen wechseln und wie<strong>de</strong>r <strong>zum</strong> Dienst. Meine Frau wun<strong>de</strong>rte sich nur über meinenasse Uniform und die Unterwäsche.Da Jahr 1953 brachte jedoch auch politisch brisante Ereignisse. Damit meine ichbeson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n 17.Juni und die ihm folgen<strong>de</strong>n Tage, die von unseren Medien als"faschistischer Putschversuch", von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Westens als "Volksaufstand gegen dasSED-Regime" apostrophiert wur<strong>de</strong>n.Am 18.Juni 1953 stand meine Frau, die kleine Heidrun im Arm, weinend vor <strong>de</strong>m Kasernentorund erzählte mir - immer noch fassungslos - die Besitzerin <strong>de</strong>s Hauses, in <strong>de</strong>m wirwohnten (eine ältere Dame, <strong>de</strong>ren Gatte nach 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt wor<strong>de</strong>nwar), habe ihr gesagt: "Sehen Sie, Frau Patzer, dort wer<strong>de</strong>n Sie mit Ihrer Tochter hängen,wenn wir die Macht erhalten haben!" Dabei zeigte sie auf einen Lichtmast vor <strong>de</strong>m Haus.Das Bild meiner am ganzen Körper zittern<strong>de</strong>n Frau wer<strong>de</strong> ich nie vergessen. Ich versuchte,sie zu beruhigen und sagte ihr: "Solange wir noch hier sind, wird dich niemand hängen,da müßten sie uns erst alle erschlagen." Trotz<strong>de</strong>m mußte ich sie erst einmal allein wie<strong>de</strong>rnach Hause schicken, wir hatten Befehl, unbedingt in <strong>de</strong>r Kaserne zu bleiben.Zum Glück blieb in Döbeln alles ruhig, wir brauchten nicht gegen die - wie ich inzwischenweiß - berechtigten Streiks und Demonstrationen <strong>de</strong>r Arbeiter eingesetzt zu wer<strong>de</strong>n, diewir damals für Aktionen von Westberlin aus gesteuerter konterrevolutionärer Elementehielten.An <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule gingen wir wie<strong>de</strong>r zur planmäßigen Ausbildung über. Am 7.Oktober1954, <strong>de</strong>m 5.Jahrestag <strong>de</strong>r DDR, wur<strong>de</strong> ich <strong>zum</strong> Oberleutnant beför<strong>de</strong>rt. Im Herbst 1955wur<strong>de</strong> mir von <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>r Lehranstalt eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Badim Zentrum <strong>de</strong>r Stadt angeboten. Die Toilette war zwar über die Treppe im Zwischengeschoßzu erreichen und von vier Familien zu nutzen, naturgemäß war auch nur Ofenheizungvorhan<strong>de</strong>n, aber wir waren endlich allein in einer Wohnung und haben sofortzugesagt.Die Fahrradausflüge in die landschaftlich reizvolle Umgebung von Döbeln - Roßwein,Leisnig, Burg Kriebstein an <strong>de</strong>r gleichnamigen Talsperre - machten uns nun noch mehrFreu<strong>de</strong>. <strong>Vom</strong> Kollektiv <strong>de</strong>r Taktiklehrer wur<strong>de</strong>n ebenfalls gesellige Veranstaltungen in <strong>de</strong>rFreizeit organisiert - sogar eine "Himmelfahrts-Exkursion ins Blaue". Von Döbeln überWaldheim ging es nach Kriebstein, mit <strong>de</strong>m Dampfer über die Talsperre, dann <strong>zum</strong>Schloß Rochlitz und zur Stiftskirche Wechselburg, über Burgstädt bis nach Chemnitz, spätabends zurück.Die Funktionen in <strong>de</strong>r FDJ machten mir ebenfalls Spaß, das gesellige Leben in <strong>de</strong>r Grundorganisationwar noch nicht so auf zentral gesteuerte Kampagnen ausgerichtet wie später.Wir unternahmen Fahrten in <strong>de</strong>n Leipziger Zoo und im Winter in das Erzgebirge, nachBärenfels. Ich stieg über die Wahl vom Gruppenorganisator bis <strong>zum</strong> Leitungsmitglied <strong>de</strong>rFDJ-Organisation <strong>de</strong>s Stabes auf und wur<strong>de</strong> im Januar 1956 in die Parteileitung <strong>de</strong>r SED-Grundorganisation <strong>de</strong>s Stabes <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschule gewählt.Mitte 1956 - inzwischen war mit <strong>de</strong>r Aufstellung <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee auf <strong>de</strong>r Basis<strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Stäbe, Truppenteile und Schulen <strong>de</strong>r KVP begonnen wor<strong>de</strong>n – verdich-


teten sich die Gerüchte, daß die Infanterie-<strong>Offizier</strong>sschule von Döbeln nach Plauen imVogtland verlegt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>.Mit meiner Frau war ich überein gekommen, mich für ein Studium an <strong>de</strong>r Hochschule für<strong>Offizier</strong>e in Dres<strong>de</strong>n zu bewerben. Ich stellte - nach Rücksprache beim Komman<strong>de</strong>ur - einschriftliches Gesuch und erhielt auch positiven Bescheid. Nach <strong>de</strong>r Übernahme in die<strong>NVA</strong> konnte ich noch bis <strong>zum</strong> November in Döbeln bleiben und nutzte die Zeit zurQualifizierung. Auch besuchte ich eine private Fahrschule und erwarb auf einem Opel P 4<strong>de</strong>n Führerschein.Ich wußte, daß die Fahrerlaubnis ohnehin <strong>zum</strong> Muß <strong>de</strong>r Ausbildung <strong>de</strong>r Stabsoffiziere <strong>de</strong>r<strong>NVA</strong> gehörte, außer<strong>de</strong>m sparten wir konzentriert auf einen fahrbaren Untersatz, nach<strong>de</strong>mwir uns die Wohnung eingerichtet hatten, schon wegen <strong>de</strong>r ungünstigen Zugverbindungenzwischen Döbeln und Prenzlau, wo die Eltern meiner Frau wohnten.Im Jahre 1957, als ich schon in Dres<strong>de</strong>n studierte, erwarben wir dann einen neuen PKWvom Typ P-70, <strong>de</strong>m Nachfolger <strong>de</strong>s P-8, <strong>de</strong>r in Zwickau in <strong>de</strong>n ehemaligen Horch-Werken, nun Sachsenring, gebaut wur<strong>de</strong>. Er war <strong>de</strong>r Vorgänger <strong>de</strong>s kleineren P-50, aus<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Folgezeit <strong>de</strong>r legendäre Trabant entwickelt wur<strong>de</strong>.Unser P-70 war lange Zeit <strong>de</strong>r ganze Stolz <strong>de</strong>r Familie. Die erste Fahrt nach Prenzlauwer<strong>de</strong> ich wohl nie vergessen. Nach <strong>de</strong>m Tanken an <strong>de</strong>r Autobahn in Finowfurth bliebunser neues Auto alle Dutzend Kilometer stehen und <strong>de</strong>r Motor sprang erst nach einerkurzen Pause wie<strong>de</strong>r an. So kamen wir bis Prenzlau. Schwiegervater wollte das neuePrachtstück gleich Verwandten im 10 km entfernten Dorf Kleinow vorführen. Auch diesekurze Fahrt wur<strong>de</strong> von einer Zwangspause unterbrochen.Wir waren ratlos. Ein Kfz-Mechaniker, <strong>de</strong>r im Dorf wohnte, stellte dann fest, daß ich inmeiner Begeisterung <strong>de</strong>n Tankverschluß nach <strong>de</strong>m Tanken so fest angedrückt hatte, daßdadurch die Entlüftungslamellen zusammengepreßt wur<strong>de</strong>n. Folglich entstand ein Unterdruckim Tank, das Benzin floß nicht mehr nach (<strong>de</strong>r Motor hatte keine Benzinpumpe).Der Meister bohrte ein kleines Loch in <strong>de</strong>n Tankverschluß, und schon brummte <strong>de</strong>r P-70ohne Aussetzer durch die Uckermark, auch wie<strong>de</strong>r zurück nach Sachsen.Studium an <strong>de</strong>r Hochschule für <strong>Offizier</strong>e Dres<strong>de</strong>nEn<strong>de</strong> November 1956 habe ich von <strong>de</strong>r Familie Abschied genommen und mich an <strong>de</strong>n Ortmeiner künftigen Studien, in die alte Haupstadt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen und die damaligeBezirksstadt Dres<strong>de</strong>n begeben.Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r Hochschule war damals Oberst Wilhelm Adam, <strong>de</strong>r als 1. Adjudant vonGeneralfeldmarschall Paulus 1943 in Stalingrad in sowjetische Kriegsgefangenschaftgeriet, zu einem <strong>de</strong>r aktivsten Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s "Nationalkomitees Freies Deutschland" und<strong>de</strong>s "Bun<strong>de</strong>s Deutscher <strong>Offizier</strong>e" wur<strong>de</strong>, 1949 bis 1952 als Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>sSachsen <strong>de</strong>r National<strong>de</strong>mokratischen Partei Deutschlands und (seit 1950) alssächsischer Finanzminister am Neuaufbau mitwirkte.Ich war als einer von 192 <strong>Offizier</strong>en <strong>zum</strong> ersten Zweijahreslehrgang kommandiert wor<strong>de</strong>n,<strong>de</strong>r an dieser Hochschule durchgeführt wur<strong>de</strong> und in <strong>de</strong>m bereits im Truppen- undStabsdienst erfahrene <strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>r KVP für die Führungsebene Regiment (Komman<strong>de</strong>ur,Stabschef, Leiter von Waffengattungen und Diensten) qualifiziert wer<strong>de</strong>n sollten.Mit Gründung <strong>de</strong>r Hochschule für <strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> entstan<strong>de</strong>n auch die LehrstühleInfanterieausbildung (Oberstleutnant Hermann Große), Artillerieausbildung (OberstleutnantAlfred Schicker) und Panzerausbildung (Oberstleutnant Hans Fischer). Stellvertreter<strong>de</strong>s Komman<strong>de</strong>urs <strong>de</strong>r Schule für Ausbildung war Oberstleutnant Leopold Gotthilf, mit<strong>de</strong>m uns <strong>de</strong>r weitere Lebensweg <strong>de</strong>r Familie noch mehrmals zusammenführte - inStrausberg hat meine Frau dann in seinem Verantwortungsbereich gearbeitet, als er Chef


<strong>de</strong>r Verwaltung Schulen und Weiterbildung wur<strong>de</strong>. Auch <strong>de</strong>n späteren Oberst Rudi Tietzund seine Familie haben wir in Dres<strong>de</strong>n kennengelernt und in Strausberg wie<strong>de</strong>r getroffen,wo er sich in <strong>de</strong>n kommunalen Vertretungen <strong>de</strong>r Stadt und unseres Wohngebietsaktiv engagierte.Die zwei Jahre in Dres<strong>de</strong>n waren recht wertvoll für die militärische wie für die politischeund allgemeine Bildung. Erfahrene Lehrer, nicht wenige noch mit Kriegserfahrung,vermittelten taktisches, operatives und technisches Wissen, hielten Vorträge und führtenpraktische Übungen in Lehrklassen, Kabinetten und im Gelän<strong>de</strong> durch. Von <strong>de</strong>r Einweisungin die Hauptwaffensysteme bis zur Schießausbildung erhielten wir alles, was <strong>zum</strong>Fundus <strong>de</strong>r Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten eines militärischen Führers o<strong>de</strong>rFührungsgehilfen <strong>de</strong>r Führungsebenen Bataillon und Regiment in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren imRahmen <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages gehörte. So habe ich dort z.B. <strong>de</strong>n Führerschein füralle in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> verwen<strong>de</strong>ten Kfz-Typen erworben und wur<strong>de</strong> in die Lage versetzt, eineGranatwerferbatterie im praktischen Schießen zu führen.Der Schwerpunkt lag auf <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Truppe im Gefecht, weniger Wert wur<strong>de</strong> aufsolche Probleme <strong>de</strong>r Streitkräfte im Frie<strong>de</strong>n wie die Planung <strong>de</strong>r Gefechtsausbildung o<strong>de</strong>r<strong>de</strong>s täglichen Dienstbetriebes gelegt. Mir kam meine bisherige Praxis als Taktiklehrerebenso zugute wie meine ausgeprägte Phantasie. Ich konnte mir die möglicheEntwicklung von Gefechtssituationen sowohl an <strong>de</strong>r Karte als auch bei taktischenÜbungen im Gelän<strong>de</strong> vorstellen und war bereits darin geübt, schnelle Entschlüsse zufassen und klare, kurze Befehle zu formulieren.Diese Eigenschaft hatte übrigens <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r Hochschule, Oberst Adam, bereits1955 in Döbeln an mir festgestellt und auch gelobt. Er weilte als Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rZentralen Prüfungskommission <strong>zum</strong> Abschluß <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres 1954/55 an unserer<strong>Offizier</strong>sschule und nahm an <strong>de</strong>r von mir geleiteten Prüfung im Ausbildungsfach Taktik imGelän<strong>de</strong> teil. Meine wirklichkeitsnahe Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausgangslage für die Entschlußfassung<strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschüler hatte ihm gefallen und prompt hat er sich 1957 inDres<strong>de</strong>n im Gelän<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r an mich und die damalige Situation erinnert.Das Buch von Oberst Adam "Der schwere Entschluß" hat mich sehr beeindruckt undbekam wie Manfred von Ar<strong>de</strong>nnes Autobiographie ("Ein glückliches Leben für Technik undForschung") einen Ehrenplatz in meiner kleinen Handbibliothek. Die Vorträge, dieProfessor von Ar<strong>de</strong>nne und Generalfeldmarschall Paulus an <strong>de</strong>r Hochschule hielten,gehörten zu <strong>de</strong>n interessantesten Erlebnissen dieser Jahre.Im April 1957 übergab Oberst Adam die Führung <strong>de</strong>r Hochschule an GeneralmajorHeinrich Dollwetzel, <strong>de</strong>r als Mitglied <strong>de</strong>r KPD 1934 in Abwesenheit <strong>zum</strong> To<strong>de</strong> verurteilt,über Dänemark in die Sowjetunion emigriert war, 1937 in Spanien eine Panzerkompanie<strong>de</strong>r Internationalen Briga<strong>de</strong>n geführt und im zweiten Weltkrieg in sowjetischen Kriegsgefangenenlagernund an Antifaschulen gewirkt hatte. General Dollwetzel wur<strong>de</strong> aucherster Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie "Friedrich Engels", als diese 1959 auf <strong>de</strong>rGrundlage und im Objekt <strong>de</strong>r Hochschule aufgestellt wur<strong>de</strong>. Er schied aber bereits imgleichen Jahr aus gesundheitlichen Grün<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n realen Führungsprozessen aus undging 1961 in <strong>de</strong>n Ruhestand.Die Freizeit und die Wochenen<strong>de</strong>n dieser zwei Jahre in Dres<strong>de</strong>n gehören zu <strong>de</strong>nschönsten unserer Familie. Erstens hatten wir in Dres<strong>de</strong>n-Plauen eine Zweizimmerwohnungerhalten, ich konnte also mit Frau und Tochter Heidrun auch in <strong>de</strong>r Wochezusammen sein. Zweitens ermöglichte uns unser neuer P-70, die nähere und weitereUmgebung Dres<strong>de</strong>ns, die Parks und Schlösser von Großsedlitz und Pillnitz bis Moritzburgsowie <strong>de</strong>n Kranz <strong>de</strong>r Gebirge um das Elbtal zu erschließen. Wir waren an je<strong>de</strong>mWochenen<strong>de</strong> unterwegs, die Tochter immer dabei - Sächsische Schweiz, Erzgebirge,Zittauer Gebirge, Meißen mit <strong>de</strong>r Albrechtsburg, die alte Bergstadt Freiberg, die FestungKönigstein - das alles besichtigten wir.


Meinen persönlichen Wunsch, einmal auf <strong>de</strong>m Königstein zu übernachten, konnte ichallerdings erst 1990 in <strong>de</strong>m kleinen Gästezimmer <strong>de</strong>s Armeemuseums verwirklichen. Dashatte ich <strong>de</strong>r mit uns befreun<strong>de</strong>ten Familie Berthold zu verdanken - Klaus Berthold warviele Jahre Stellvertreten<strong>de</strong>r Direktor <strong>de</strong>s Armeemuseums in Dres<strong>de</strong>n, das eineAußenstelle auf <strong>de</strong>m Königstein unterhielt. Als "Burgherr" durfte ich dann sogar dasHaupttor verschließen und mit meiner Frau in Ruhe die herrliche Aussicht auf das Elbtal,<strong>de</strong>n Lilienstein, <strong>de</strong>n Pfaffenstein und all die an<strong>de</strong>ren bizarren Sandsteinfelsen bis hin zurBastei und <strong>de</strong>n Schrammsteinen in <strong>de</strong>r Abendsonne genießen.Regen Anteil nahmen wir am kulturellen Geschehen in Dres<strong>de</strong>n. Alle Museen, an <strong>de</strong>rSpitze die Galerien Alte und Neue Meister, das Grüne Gewölbe und die Porzellansammlungenwur<strong>de</strong>n besichtigt. Die Semperoper war damals noch Ruine, aber das GroßeHaus, das Kleine Haus und die Staatsoperette waren häufig unser Ziel. "Don Carlos" in<strong>de</strong>r Oper, die "Dreigroschenoper" mit Horst Schulze und "Salome" mit <strong>de</strong>r legendärenDresdner Schauspielerin Christel Goltz im Großen Haus blieben unvergessen - beson<strong>de</strong>rsals nach <strong>de</strong>m Schleiertanz fast eine Stun<strong>de</strong> lang "Standing Ovations" <strong>de</strong>s kunstbegeistertenDresdner Publikums stattfan<strong>de</strong>n.Auch die nächtelangen Diskussionen im Kamera<strong>de</strong>nkreis über "Gott und die Welt", <strong>de</strong>nSinn <strong>de</strong>s Lebens und <strong>de</strong>s Dienstes gehören zu diesen erlebnisreichen Jahren. Beson<strong>de</strong>rsmit <strong>de</strong>r Familie meines Studienkollegen Major Prötzig, die in Görlitz wohnte, haben wirmanche schöne Stun<strong>de</strong> verbracht.Am 1.März 1958, <strong>de</strong>m neu eingeführten "Tag <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee", wur<strong>de</strong> ich <strong>zum</strong>Hauptmann beför<strong>de</strong>rt, und am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres erhielt ich das Abschlußprädikat"Mit Auszeichnung" sowie das Angebot, als Hauptfachlehrer an <strong>de</strong>r Hochschulefür <strong>Offizier</strong>e zu bleiben. Ich habe es abgelehnt, weil ich unbedingt Truppenoffizier wer<strong>de</strong>nwollte - Bataillonskomman<strong>de</strong>ur o<strong>de</strong>r Stellvertreter <strong>de</strong>s Regimentskomman<strong>de</strong>urs.Aber <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>nkt und das Ka<strong>de</strong>rorgan lenkt - nicht <strong>de</strong>r liebe Gott, für <strong>de</strong>n war in <strong>de</strong>r<strong>NVA</strong> keine Planstelle vorhan<strong>de</strong>n. Ich wur<strong>de</strong> nicht in die ersehnte Truppe, son<strong>de</strong>rn in einenStab, in das Kommando <strong>de</strong>s Militärbezirks III nach Leipzig versetzt.Operativer <strong>Offizier</strong> im Kommando <strong>de</strong>s Militärbezirks LeipzigDie Kommandos <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Militärbezirke (III in Leipzig, V in Neubran<strong>de</strong>nburg) waren fürdie Landstreitkräfte bis zur Bildung <strong>de</strong>s Kommandos Landstreitkräfte (1972 in Potsdam-Geltow) die höchsten Führungsorgane <strong>de</strong>r Landstreitkräfte. Ihre Chefs unterstan<strong>de</strong>n direkt<strong>de</strong>m Minister für Nationale Verteidigung. Zu je<strong>de</strong>m Militärbezirk gehörten 2 Mot. Schützen-Divisionen und eine Panzerdivision sowie mehrere selbständige Briga<strong>de</strong>n, Regimenterund Bataillone bzw. Abteilungen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Waffengattungen (Artillerie, Flakusw.), Spezialtruppen (Pioniere, Chemische Abwehr usw.) und Dienste (MedizinischerDienst, Kfz-Dienst usw.) sowie Werkstätten, Lager und an<strong>de</strong>re Einrichtungen. Außer<strong>de</strong>munterstan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Chefs <strong>de</strong>r Militärbezirke die territorialen Führungsorgane <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, d.h.die Wehrbezirks-Kommandos (für je<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r 14 Bezirke und für Berlin) und die Wehrkreiskommandos(für je<strong>de</strong>n Stadt- und Landkreis sowie für die Stadtbezirke Ostberlins).Aus <strong>de</strong>m Kommando je<strong>de</strong>s Militärbezirkes wären im Mobilmachungsfall die Feldführung(d.h. <strong>de</strong>r Befehlshaber, seine Stellvertreter und <strong>de</strong>r Stab) einer Armee (für Neubran<strong>de</strong>nburgursprünglich ein Armeekorps) und das Führungsorgan eines territorialen Militärbezirkshervorgegangen.Mein Einsatz erfolgte zunächst in <strong>de</strong>r Abteilung Ausbildung und kurz danach in <strong>de</strong>r OperativenAbteilung <strong>de</strong>s Stabes <strong>de</strong>s Kommandos <strong>de</strong>s MB III. Damit war ich an einer ziemlichexponierten Stelle angekommen.Chef <strong>de</strong>s Militärbezirks Leipzig war <strong>de</strong>r damalige Generalmajor Kurt Wagner (später als


Generaloberst Stellvertreter <strong>de</strong>s Verteidigungsministers für Ausbildung). Sein Stellvertreterund Chef <strong>de</strong>s Stabes war Oberst Arnold, sein Stellvertreter für Ausbildung OberstStreletz, bei<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n auch später im Ministerium meine Vorgesetzten auf verschie<strong>de</strong>nenFührungsebenen. Die Operative Abteilung wur<strong>de</strong> von Major Wegehaupt, Absolvent einersowjetischen Militäraka<strong>de</strong>mie, geführt.In <strong>de</strong>r Operativen Abteilung arbeitete schon seit längerem Major Leistner. 1959 wur<strong>de</strong> ernach Erfurt als Stabschef <strong>de</strong>r 4. MSD versetzt, nach <strong>de</strong>m Studium an <strong>de</strong>r sowjetischenGeneralstabsaka<strong>de</strong>mie als Chef <strong>de</strong>s Stabes <strong>de</strong>s Militärbezirks V nach Neubran<strong>de</strong>nburg.Mitte <strong>de</strong>r 70er Jahre trafen sich unsere Wege wie<strong>de</strong>r, er wur<strong>de</strong> als Stellvertreter und dannab 1982 als Nachfolger von Generalleutnant Arnold mein Vorgesetzter im Bereich Organisation<strong>de</strong>s Hauptstabes <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>.Ich möchte betonen, daß die Kommandos <strong>de</strong>r Militärbezirke in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> seit KVP-Zeiteneine exponierte Stellung einnahmen, auch noch später nach Bildung <strong>de</strong>s Kommandos <strong>de</strong>rLandstreitkräfte. Nicht nur, daß ihnen die überwiegen<strong>de</strong> Mehrzahl <strong>de</strong>r Armeeangehörigen,<strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong>, Truppenteile und Einrichtungen <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> unterstand. Sie waren auch amengsten mit <strong>de</strong>r militärischen Praxis <strong>de</strong>r Landstreitkräfte und ihrer Ausbildungsbasis verbun<strong>de</strong>nund gleichzeitig das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bin<strong>de</strong>glied zwischen Truppe und Wehrorganenbei <strong>de</strong>r Auffüllung, Ausbildung und Mobilmachungsvorbereitung.Die Arbeit als operativer <strong>Offizier</strong> umfaßte sowohl Tätigkeiten am Schreibtisch als auch an<strong>de</strong>r Basis, etwa im Verhältnis 1:1. Das sagte mir zu, <strong>de</strong>nn ich konnte sowohl meineErfahrungen als Taktiklehrer als auch das Studium an <strong>de</strong>r Hochschule für <strong>Offizier</strong>enutzen. Tagelang war ich außerhalb von Leipzig unterwegs, ohne daß meine Frau wissendurfte, wo ich mich jeweils aufhieltDie Kriterien meiner Arbeit wur<strong>de</strong>n Exaktheit und Termintreue, die vielbeschworene"Stabskultur" bei <strong>de</strong>r Erarbeitung von Befehlen, Anordnungen und Übungsunterlagen. AlsVerbindungs- und Richtungsoffizier zu <strong>de</strong>n Divisionen <strong>de</strong>s Militärbezirks mußte ich mit<strong>de</strong>ren Komman<strong>de</strong>uren und Stabschefs zusammenarbeiten, auf ihre Eigenheiten eingehenund <strong>de</strong>nnoch die Linie und die Weisungen <strong>de</strong>s Kommandos <strong>de</strong>s MB durchsetzen.Allgemeines Gere<strong>de</strong> hätte bei diesen erfahrenen <strong>Offizier</strong>en bald zu verschlossenen Türenund Ohren geführt, nur Wissen und Können wur<strong>de</strong>n akzeptiert.Das galt beson<strong>de</strong>rs bei Überprüfungen <strong>de</strong>r Gefechtsbereitschaft, bei <strong>de</strong>nen ohnehin allesim Streß stand und je<strong>de</strong>r Zeitverlust zu negativen Beurteilungen, ja <strong>zum</strong> Nichterfüllen <strong>de</strong>rgestellten Aufgaben führen konnte.. Die Normen zur Herstellung <strong>de</strong>r Marschbereitschaft in<strong>de</strong>n Kasernen und <strong>zum</strong> Erreichen <strong>de</strong>r Konzentrierungsräume im Gelän<strong>de</strong>, meist aufTruppenübungsplätzen, waren schon damals recht knapp bemessen und keineswegs "mitlinks" zu erfüllen. Maßstab für diese Normen war es, die Truppen einem möglichenÜberraschungsschlag gegnerischer Flieger- und Raketenkräfte zu entziehen und ihreKampfkraft für Gegenschläge zu erhalten.Beson<strong>de</strong>rs erinnere ich mich an eine Übung <strong>de</strong>r 7. Panzerdivision (Dres<strong>de</strong>n) im vollenBestand. Dabei mußten die Panzerbesatzungen über längere Strecken außerhalb vonTruppenübungsplätzen auf Nebenstraßen, Feld- und Forstwegen größere Entfernungenüberwin<strong>de</strong>n. Die anschließen<strong>de</strong>n Manöverbälle unter engagierter Beteiligung <strong>de</strong>r Bevölkerung,die gute Bewirtung <strong>de</strong>r Soldaten allerorts und die herzliche Anteilnahme an ihrenLeistungen wer<strong>de</strong> ich nicht vergessen.Eine Bewährungsprobe beson<strong>de</strong>rer Art hatte ich 1960 zu bestehen: die Teilnahme an <strong>de</strong>rAusarbeitung und organisatorischen Sicherstellung <strong>de</strong>r zweiseitigen mehrstufigen Kommandostabsübungmit Darstellungstruppen, <strong>de</strong>r größten, die bis dahin in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> durchgeführtwur<strong>de</strong>.Der Leitungsstab wur<strong>de</strong> in einem Waldgebiet <strong>de</strong>r Dübener Hei<strong>de</strong> entfaltet. Ich wur<strong>de</strong> alsLeiter <strong>de</strong>r Informations- und Richtungsgruppe eingesetzt und hatte als Diensthaben<strong>de</strong>r


<strong>Offizier</strong> <strong>de</strong>m damaligen Verteidigungsminister, Generaloberst Willi Stoph, zu mel<strong>de</strong>n.Trotz beträchtlicher Aufregung habe ich das gut überstan<strong>de</strong>n.Nicht weniger lehrreich war für mich die Teilnahme an einer vom Ministerium geleitetenStabsübung mit <strong>de</strong>n Kommandos bei<strong>de</strong>r Militärbezirke im Nor<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Republik, im RaumGüstrow. Der Gefechtsstand <strong>de</strong>s MB III mußte im Kfz-Marsch von Sachsen nachMecklenburg verlegt wer<strong>de</strong>n, immerhin über eine Entfernung von 400 km und dazu nochnachts.Als Leiter <strong>de</strong>r 2. Staffel <strong>de</strong>s Gefechtsstan<strong>de</strong>s hatte ich eine Kolonne von etwa 50 Fahrzeugenzu führen und war heilfroh, daß ich Oberst Arnold pünktlich und ohne Ausfälle dasBeziehen <strong>de</strong>s befohlenen Raumes mel<strong>de</strong>n konnte.Studium an <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie "Friedrich Engels" in Dres<strong>de</strong>nMeinem eigenen Wunsch entsprechend wur<strong>de</strong> ich 1960 zu einem dreijährigen Studium andie Militäraka<strong>de</strong>mie "Friedrich Engels" <strong>de</strong>legiert. Zunächst jedoch hatte ich eineneinjährigen Kurs <strong>zum</strong> Erwerb <strong>de</strong>r Hochschulreife (d.h. das Abitur in <strong>de</strong>n Hauptfächern) an<strong>de</strong>r Vorstudienanstalt <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in Naumburg zu absolvieren. In meinen Fragebögen standja trotz <strong>Offizier</strong>sschule und diversen Qualifizierungslehrgängen immer noch unter <strong>de</strong>rRubrik "Schulbildung": 8.Klasse!Die Vorstudienfakultät hatte am 1.September 1960 ihre Tätigkeit aufgenommen. Leiterwar Oberst Hermann Kittelmann, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r "Antifaschistischen Arbeitergruppe Mittel<strong>de</strong>utschland"aktiv gegen die Nazis Wi<strong>de</strong>rstand geleistet hatte, ab 1948 als Politarbeiter in<strong>de</strong>r HVA, KVP und <strong>NVA</strong> diente, zuletzt als Politstellvertreter <strong>de</strong>s Komman<strong>de</strong>urs einer Mot.Schützendivision.Die Vorstudienfakultät bil<strong>de</strong>te ab Januar 1961 Bewerber für die Militäraka<strong>de</strong>mie, aberauch für sowjetische Militäraka<strong>de</strong>mien in allgemeinbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Fächern und in <strong>de</strong>rrussischen Sprache aus. Ziel war die Hochschulreife in <strong>de</strong>n Fächern Mathematik, Physik,Chemie, Deutsch und Russisch. Dazu kamen die Gesellschaftswissenschaftliche Weiterbildungund die Militärische Körperertüchtigung.Die Kaserne in Naumburg, in <strong>de</strong>r die Vorstudienfakultät untergebracht war, hatte einebewegte Vergangenheit. Erbaut als preußische Ka<strong>de</strong>ttenanstalt 1897-1900, wur<strong>de</strong> sie1920 in eine staatliche Bildungsanstalt umgewan<strong>de</strong>lt, beherbergte nach 1933 eine <strong>de</strong>r"Nationalpolitischen Erziehungsanstalten" <strong>de</strong>r NSDAP, nach 1945 nacheinan<strong>de</strong>ramerikanische und sowjetische Truppen. Nach kurzer Zeit als Gymnasium war von 1949bis 1956 eine <strong>Offizier</strong>sschule <strong>de</strong>r Volkspolizei, dann <strong>de</strong>r KVP hier untergebracht, von 1956bis 1960 die Ka<strong>de</strong>ttenanstalt <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>. Nach <strong>de</strong>r Nutzung als Vorstudienfakultät <strong>de</strong>rMilitäraka<strong>de</strong>mie folgte ab 1965 das Institut für Fremdsprachenausbildung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>. DurchErlaß <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministers <strong>de</strong>r Verteidigung vom September 1991 wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Kaserneeine Außenstelle <strong>de</strong>s Sprachenamtes <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr eingerichtet.Der Wechsel vom anerkannten, von Vorgesetzten wie Unterstellten als kompetentakzeptierten Stabsoffizier <strong>zum</strong> Schüler in <strong>de</strong>n mathematisch-naturwissenschaftlichenGrundlagenfächern fiel mir doch recht schwer. Beson<strong>de</strong>rs die Physik machte mir zuschaffen, mir fehlte das technische Vorstellungsvermögen. Nur mit Hilfe <strong>de</strong>r Lehrer, <strong>de</strong>rKamera<strong>de</strong>n und durch die eigene Hartnäckigkeit, oftmals ganze Nächte hindurch,erreichte ich es, das Abitur mit sehr guten Ergebnissen abzuschließen.En<strong>de</strong> Dezember 1961 wur<strong>de</strong> ich nach Dres<strong>de</strong>n versetzt. Da wir bereits im Oktoberumgezogen waren (es war in unserer jungen Ehe <strong>de</strong>r 5.Umzug, noch zwei weitere solltenfolgen), ergaben sich im Familienleben keine größeren Probleme, nur Tochter Heidrunprotestierte, weil sie sich das dritte Mal in einer neuen Schule anmel<strong>de</strong>n und einlebenmußte.


Der Dienstantritt am 2.Januar 1962 an <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie "Friedrich Engels" war schonnicht mehr so aufregend wie 1956 beim Besuch <strong>de</strong>r Hochschule für <strong>Offizier</strong>e im selbenObjekt. Der Gebäu<strong>de</strong>komplex war 1934 von Prof. Dr. Ing. Wilhelm Kreis als Luftgaukommando(eine <strong>de</strong>m Wehrkreiskommando <strong>de</strong>s Heeres entsprechen<strong>de</strong> Kommandobehör<strong>de</strong><strong>de</strong>r Luftwaffe) errichtet, im Februar 1945 bei <strong>de</strong>n anglo-amerikanischenLuftangriffen teilweise zerstört und bis 1946 wie<strong>de</strong>rhergestellt wor<strong>de</strong>n. Wilhelm Kreis warübrigens einer <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Architekten <strong>de</strong>r ersten Jahrhun<strong>de</strong>rthälfte, hatteschon als Stu<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>n 1. Preis im Wettbewerb um das Leipziger Völlkerschlacht<strong>de</strong>nkmalerhalten und neben vielen Bismarcktürmen und <strong>de</strong>m Burschenschafts<strong>de</strong>nkmal inEisenach auch das Hygiene-Museum in Dres<strong>de</strong>n gebaut.Die Fakultät Landstreitkräfte, zu <strong>de</strong>r ich nun als <strong>Offizier</strong>shörer versetzt war, bestand aus<strong>de</strong>n drei Fachrichtungen Allgemeine Truppenführung, Artillerie und Rückwärtige Dienste.Leiter <strong>de</strong>r Fakultät und Stellvertreter <strong>de</strong>s Komman<strong>de</strong>urs für operativ-taktische Ausbildung<strong>de</strong>r Landstreitkräfte war Generalmajor Bernhard Bechler. Er war als Major undBataillonskomman<strong>de</strong>ur 1943 bei Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft geraten, hattedie Zentrale Antifaschule in Krasnogorsk absolviert und war als Frontbevollmächtigter <strong>de</strong>sNationalkomitees Freies Deutschland bei <strong>de</strong>r Sowjetarmee eingesetzt gewesen. Bis 1949amtierte Bechler als Innenminister <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Bran<strong>de</strong>nburg, ging dann zu <strong>de</strong>nbewaffneten Kräften, wur<strong>de</strong> Stabschef <strong>de</strong>r HVA, Stellvertreter <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>s Hauptstabes<strong>de</strong>r KVP und besuchte 1957-59 die sowjetische Generalstabsaka<strong>de</strong>mie.Bernhard Bechler, <strong>de</strong>r vom Reichskriegsgericht in Abwesenheit <strong>zum</strong> To<strong>de</strong> verurteiltwor<strong>de</strong>n war, hat als überzeugter Antifaschist, talentierter Militärwissenschaftler undStabsarbeiter bei uns hohes Ansehen genossen und hat auch später, als er an <strong>de</strong>r Spitze<strong>de</strong>s neugegrün<strong>de</strong>ten Instituts für Mechanisierung und Automatisierung <strong>de</strong>r Truppenführungin Dres<strong>de</strong>n stand, wesentlich zur wissenschaftlichen Arbeit und zur Weiterbildung<strong>de</strong>s <strong>Offizier</strong>skorps <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> beigetragen.Die operativ-taktische Ausbildung erstreckte sich von <strong>de</strong>r Kommandoebene <strong>de</strong>s Mot.Schützen- und Panzerbataillons bis zu <strong>de</strong>n Grundlagen <strong>de</strong>r operativen Kunst, <strong>de</strong>nHandlungen einer Allgemeinen Armee. Den Hauptinhalt machte die Führung von Regimenternund Divisionen <strong>de</strong>r Kampftruppen, <strong>de</strong>r Mot. Schützen und Panzer aus. Eswur<strong>de</strong>n alle Gefechtsarten - Angriff, Verteidigung und Begegnungsgefecht - sowie <strong>de</strong>rEinsatz aller Waffengattungen, Spezialtruppen und Dienste <strong>de</strong>r Landstreitkräfte gründlichdurchgearbeitet. Die Einsatzprinzipien <strong>de</strong>r Luft- und Seestreitkräfte wur<strong>de</strong>n in Übersichtsvorlesungenerläutert.Dazu kam die Schieß- und Fahrausbildung sowie die praktische Einweisung in alleWaffen, Geräte und Fahrzeuge, die es in <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Allgemeinen Armee gab,einschließlich <strong>de</strong>r Raketentechnik und <strong>de</strong>r Mittel <strong>de</strong>s Schutzes vor Massenvernichtungswaffen.Weitere Fakultäten waren die <strong>de</strong>r Luftstreitkräfte, Luftverteidigung und Truppenluftabwehr,die Fakultät Panzer-Ingenieur-Dienst, die Fakultät Gesellschaftswissenschaften und ab1963 auch die Fakultät Seestreitkräfte. Die Militäraka<strong>de</strong>mie besaß das Promotionsrecht,immer mehr Lehrer und Lehrstuhlleiter erwarben aka<strong>de</strong>mische Gra<strong>de</strong> - Doktor, Dozent,Professor. An allen militärfachlichen Fakultäten waren sowjetische Spezialisten - in <strong>de</strong>rRegel erfahrene höhere Komman<strong>de</strong>ure, Stabsarbeiter und Hochschullehrer - tätig.Komman<strong>de</strong>ur <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie war bei meinem Dienstantritt Generalmajor Fritz Johne.Er hatte als Mitglied <strong>de</strong>r Kommunistischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei 1937-39 in <strong>de</strong>nInternationalen Briga<strong>de</strong>n in Spanien gekämpft, war nach Internierung in Frankreich an dieNazis ausgeliefert und in Sachsenhausen inhaftiert wor<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> nach Rückkehr in dieTschechoslowakei 1947 ausgesie<strong>de</strong>lt und kam über eine Parteifunktion in Sachsen-Anhaltzur Volkspolizei. Nach verschie<strong>de</strong>nen leiten<strong>de</strong>n Dienststellungen auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>rAusbildung und <strong>de</strong>r <strong>Offizier</strong>sschulen <strong>de</strong>r HVA und KVP wur<strong>de</strong> er 1954-56 Chef <strong>de</strong>s


Militärbezirkes Leipzig und besuchte dann bis 1959 die sowjetische Generalstabsaka<strong>de</strong>mie.1963, noch während meiner Studienzeit und kurz nach <strong>de</strong>r Kubakrise,wur<strong>de</strong> Fritz Johne <strong>zum</strong> Botschafter <strong>de</strong>r DDR in Kuba berufen und führte diese Funktionbis 1967 aus.Die Kubakrise 1962 erlebte ich noch in <strong>de</strong>r völligen Befangenheit <strong>de</strong>r damaligen Darstellungunserer Zeitungen und Rundfunksendungen: Schuld an <strong>de</strong>r gefährlichen, bis an<strong>de</strong>n Rand eines weltweiten Raketen-Kernwaffenkrieges reichen<strong>de</strong>n Zuspitzung <strong>de</strong>rinternationalen Lage trüge allein <strong>de</strong>r USA-Imperialismus, das war die eine Behauptung.Die zweite Behauptung lautete, daß hinter <strong>de</strong>r chinesischen Kritik an <strong>de</strong>r sowjetischenAußen- und Militärpolitik in <strong>de</strong>r Kubakrise (Chrustschow sei vor Kennedy feigezurückgewichen) die menschenverachten<strong>de</strong> Auffassung Maos stün<strong>de</strong>, man könne <strong>de</strong>nSozialismus auch auf <strong>de</strong>n Trümmern eines dritten Weltkrieges errichten. Bei<strong>de</strong>Behauptungen, die uns vermittelt wur<strong>de</strong>n, sahen wir als richtig an.Wir ahnten nur, daß es auch in <strong>de</strong>r Sowjetunion und in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sozialistischenLän<strong>de</strong>rn Probleme gab, wie <strong>Offizier</strong>e o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Bekannte nach Auslandsreisenberichteten. Jegliches Abhören westlicher Rundfunkstationen war strikt verboten. Eswur<strong>de</strong> auch von uns selber als schädlich für die eigene Weltanschauung angesehen, alsverdammenswürdiger "Objektivismus" und Verzehr <strong>de</strong>r giftigen Brocken <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischenDiversion <strong>de</strong>s Klassenfein<strong>de</strong>s, wie es in <strong>de</strong>n Publikationen <strong>de</strong>s Zentralkomitees und <strong>de</strong>rPolitischen Hauptverwaltung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> sinngemäß hieß.Ansonsten verlief das Studium ohne Aufregungen o<strong>de</strong>r Sensationen. Abwechslungbrachte die Teilnahme an <strong>de</strong>n Ehrenpara<strong>de</strong>n in Berlin im Rahmen <strong>de</strong>s Marschblocks <strong>de</strong>rMilitäraka<strong>de</strong>mie. In Dres<strong>de</strong>n besuchten wir die Museen und Theater. Viele Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rFreizeit verbrachten wir, häufig gemeinsam mit unseren Frauen, wie schon 1957/58 mitArbeitseinsätzen zur Beseitigung <strong>de</strong>r Trümmer in <strong>de</strong>r schwer zerstörten Innenstadt.Meine Frau nutzte die drei Jahre in Dres<strong>de</strong>n, um sich in einem Kin<strong>de</strong>rhort zu qualifizierenund <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Abschluß als Hortnerin zu erlangen, was es ihr bei meinemspäteren Einsatz in je<strong>de</strong>m Standort ermöglicht hätte, schnell eine Arbeitsstelle zu fin<strong>de</strong>n.Das trat <strong>de</strong>nn auch prompt ein.Im August 1964 ging das Lehrjahr mit <strong>de</strong>n Abschlußprüfungen und <strong>de</strong>r Verteidigung <strong>de</strong>rDiplomarbeit zu En<strong>de</strong>. Ich erreichte wie<strong>de</strong>rum ein sehr gutes Ergebnis, war damitdiplomierter Militärwissenschaftler und durfte das Abzeichen <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie mit <strong>de</strong>mBildnis von Friedrich Engels über <strong>de</strong>r rechten Brusttasche meiner Majorsuniform tragen,am 1.März 1962 war ich zu diesem Dienstgrad beför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n und somit in dieKategorie <strong>de</strong>r Stabsoffiziere aufgerückt. Ich verhehle nicht: darauf war ich ziemlich stolz.Da ich beim abschließen<strong>de</strong>n achttägigen Kriegsspiel an <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie als Stabschefeines Mot. Schützenregiments und im letzten Teil sogar als Regimentskomman<strong>de</strong>ureingesetzt war, zweifelte ich nicht daran, daß ich meinem Wunsch entsprechend in dieTruppe versetzt wür<strong>de</strong>. Das Personalgespräch war ebenfalls in diese Richtung gelaufen.Umso verdutzter war ich dann, als wenige Tage vor <strong>de</strong>r Bekanntgabe <strong>de</strong>r künftigenDienststellungen Oberst Arnold an <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie erschien und mir mitteilte, daß er michfür <strong>de</strong>n Einsatz im Bereich Organisation <strong>de</strong>s Hauptstabes <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, d.h. im Ministerium fürNationale Verteidigung in Strausberg, angefor<strong>de</strong>rt habe.Oberst Arnold war während meiner Dienstzeit in Leipzig Stellvertreter <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>sMilitärbezirkes III und Chef <strong>de</strong>s Stabes und damit mein Vorgesetzter gewesen. Vorwenigen Wochen als Absolvent <strong>de</strong>r Generalstabsaka<strong>de</strong>mie aus Moskau zurückgekehrt,war er nun als Stellvertreter <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>s Hauptstabes für Organisation eingesetztwor<strong>de</strong>n. Jetzt suchte er sich Mitarbeiter für seinen Bereich aus. Ich sollte in <strong>de</strong>rVerwaltung Personelle Auffüllung als Oberoffizier und Leiter <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe Landstreitkräfteeingesetzt wer<strong>de</strong>n, drei <strong>Offizier</strong>e als Unterstellte anleiten (je einen Rich-


tungsoffizier für MB III, MB V und die <strong>de</strong>m Ministerium direkt unterstellten Truppen).Eigentlich mußte mich sein Angebot ehren, hatte er mich doch offenkundig als Stabsarbeiterin guter Erinnerung. An<strong>de</strong>rerseits be<strong>de</strong>utete eine solche Dienststellung eineWen<strong>de</strong> um 180 Grad - vom operativen <strong>zum</strong> administrativen <strong>Offizier</strong>, vom Ausbildungsgelän<strong>de</strong>und <strong>de</strong>r Führungsstelle an <strong>de</strong>n Schreibtisch einer großen bürokratischenInstitution, so meinte ich. Außer<strong>de</strong>m wußte ich aus Leipzig noch, daß im Org.-bereich vielmit Zahlen und Tabellen gearbeitet wur<strong>de</strong> - nicht meine Lieblingsstrecke, eher dasGegenteil. Ich wollte Truppenkomman<strong>de</strong>ur wer<strong>de</strong>n, min<strong>de</strong>stens wie<strong>de</strong>r operativer <strong>Offizier</strong>.Ohne längere Überlegung lehnte ich <strong>de</strong>n Einsatz kategorisch ab - das Gespräch dauertefolglich nur kurze Zeit. Nach wenigen Tagen wur<strong>de</strong> mir jedoch mitgeteilt, daß ich <strong>de</strong>mBefehl - <strong>de</strong>r gleichzeitig als Parteiauftrag aufzufassen war - Folge zu leisten o<strong>de</strong>r dieKonsequenzen zu ziehen hätte. Das konnte bis zur kurzfristigen Entlassung aus <strong>de</strong>maktiven Wehrdienst gehen, <strong>de</strong>nn ich hatte mich ja verpflichtet, an je<strong>de</strong>m Ort meinenDienst zu leisten, an <strong>de</strong>n mich Partei und Regierung <strong>de</strong>legieren bzw. kommandierenwür<strong>de</strong>n.Ergo biß ich in <strong>de</strong>n sauren Apfel - unter <strong>de</strong>m Protest meiner Frau, die über <strong>de</strong>n StandortStrausberg (und seinen Ruf in <strong>de</strong>r Truppe sowie <strong>de</strong>n nachgeordneten Einrichtungen) nochweniger begeistert war als ich. Trotz<strong>de</strong>m haben wir uns sofort um eine Wohnung bemühtund <strong>info</strong>lge <strong>de</strong>r dortigen günstigen Wohnraumsituation auch bekommen. Somit konntemeine Frau schon Anfang Oktober 1964 umziehen, während ich in Berlin an <strong>de</strong>nVorbereitungen zur Ehrenpara<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> anläßlich <strong>de</strong>s 15.Jahrestag <strong>de</strong>r DDR teilnahm.Nach Abschluß <strong>de</strong>r Para<strong>de</strong> fuhr ich nach Strausberg und sah dort die bereits bezogeneWohnung <strong>zum</strong> ersten Mal - drei Zimmer mit Küche, Bad und Korridor, relativ klein, abermit Fernheizung und Warmwasser, für damalige Verhältnisse in <strong>de</strong>r DDR schon gehobeneMittelklasse. Wir sind später in Strausberg noch einmal umgezogen, wie<strong>de</strong>r in eineDreizimmerwohnung in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Sees, in <strong>de</strong>m ich seither in <strong>de</strong>n Sommermonatenmöglichst regelmäßig schwimme.Dienstbeginn im Hauptstab <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>Von <strong>de</strong>n drei Wochen Erholungsurlaub <strong>de</strong>s Herbstes 1964 konnte ich noch knapp zweiWochen mit Frau und Tochter im <strong>NVA</strong>-Erholungsheim Boitzenburg, südlich von Prenzlau,zubringen - in <strong>de</strong>mselben Objekt übrigens, für <strong>de</strong>ssen Sicherheit ich im Herbst 1950einige Wochen verantwortlich gewesen war. Natürlich war ich neugierig, was ich antreffenwür<strong>de</strong>.Das Renaissanceschloß <strong>de</strong>rer von Arnim war zwar in gutem Zustand - vor allem diereichen Holztäfelungen und die Stuckarbeiten erfreuten mein Auge wie auch <strong>de</strong>r großeFestsaal. Aber <strong>de</strong>n herrlichen Buchenpark am hohen Ufer <strong>de</strong>s Schloßteiches traf ich völligverwahrlost an. Die kleinen Gartentempel am Nordufer waren zerstört, die schöneVenusstatue aus einem <strong>de</strong>r Tempel war verschwun<strong>de</strong>n, das Familiengrab <strong>de</strong>r Arnimszerfallen und ungepflegt. Der große Reitstall war in einen Speisesaal umgebaut wor<strong>de</strong>n,das war aber angesichts <strong>de</strong>s Bedarfs für mehr als hun<strong>de</strong>rt Urlauber durchaus zuvertreten.Bei ruhigem und sonnigem Herbstwetter erlebten wir einen "gol<strong>de</strong>nen Oktober", diehügelige Landschaft <strong>de</strong>r Uckermark erlaubte abwechslungsreiche Wan<strong>de</strong>rungen durchfarbenprächtige Wäl<strong>de</strong>r und Bootsfahrten über stille Kanäle und Seen. Nur <strong>de</strong>r bohren<strong>de</strong>Gedanke, was <strong>de</strong>nn die neue Dienststellung bringen wür<strong>de</strong>, versetzte mich in innereUnruhe.Anfang November mel<strong>de</strong>te ich mich <strong>zum</strong> Dienstantritt beim damaligen Chef <strong>de</strong>r VerwaltungPersonelle Auffüllung, Oberstleutnant Krippner. Er war zu diesem Zeitpunkt mit <strong>de</strong>r


Führung beauftragt, <strong>de</strong>r bisherige Chef <strong>de</strong>r Verwaltung, Oberst Huth, war kurz zuvor <strong>zum</strong>Ministerium <strong>de</strong>s Innern versetzt wor<strong>de</strong>n. Der nächste Gang führte <strong>zum</strong> Stellvertreter <strong>de</strong>sChefs <strong>de</strong>s Hauptstabes für Organisation, Oberst Arnold. Die Meldungen im Ministeriumverliefen nach <strong>de</strong>m üblichen Schema: kurze Vorstellung, Information über die Hauptaufgaben<strong>de</strong>s Arbeitsgebietes und über die For<strong>de</strong>rungen, die an mich gestellt wur<strong>de</strong>n,Zuweisung <strong>de</strong>s Arbeitszimmers und Vorstellung meines unmittelbaren Vorgesetzten sowiemeiner künftigen Unterstellten. Mein Abteilungsleiter war Oberstleutnant Haubold, meineUnterstellten waren die Majore Boldt, Planert und Janitz, sämtlich auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>rpersonellen Auffüllung erfahrene <strong>Offizier</strong>e im gleichen Alter wie ich.Wenige Tage nach meinem Dienstantritt übernahm Oberst Steinhöfel die Führung <strong>de</strong>rVerwaltung. Er brachte als bisheriger Chef eines Wehrbezirkskommandos umfangreichepraktische Erfahrungen aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r territorialen Wehrorgane und somit auch auf<strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r personellen Auffüllung bis zur Ebene <strong>de</strong>r Wehrkreiskommandos mit, nichtso umfangreich waren seine Erfahrungen über die entsprechen<strong>de</strong>n Probleme in <strong>de</strong>rTruppe.Ich war zwar jetzt <strong>de</strong>r einzige <strong>Offizier</strong> <strong>de</strong>r Verwaltung mit militäraka<strong>de</strong>mischer Bildung,aber über die Arbeit <strong>de</strong>s Ministeriums auf <strong>de</strong>m Org.-Gebiet (Strukturen und Stellenpläne,Dislozierung, Nachweisführung über die Hauptarten <strong>de</strong>r Bewaffnung und Ausrüstung,Mobilmachung sowie die Planung und Führung <strong>de</strong>r personellen Auffüllung) hatte ich nursehr oberflächliche Vorstellungen und kaum Erfahrungen.Diese Arbeiten wur<strong>de</strong>n zwar auch im Kommando <strong>de</strong>s Militärbezirkes durch einentsprechen<strong>de</strong>s Strukturorgan in Unterstellung <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>s Stabes wahrgenommen,als operativer <strong>Offizier</strong> hatte ich bestimmte Arbeitskontakte in diesen Bereich gehabt, aberaus Geheimhaltungsgrün<strong>de</strong>n erfolgte die Arbeit <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n <strong>Offizier</strong>e grundsätzlichhinter verschlossenen Türen.Am Abend <strong>de</strong>s ersten Tages saß ich allein in meinem spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer(Schreibtisch, Stuhl, Schrank, Buchablage) und grübelte über mein Schicksal.Nichts von <strong>de</strong>r Arbeit, die auf mich zukam, war mir vertraut o<strong>de</strong>r gar gewohnt. Auch imArbeitskollektiv kannte ich niemand. Ein schwacher Trost war es, daß ich in an<strong>de</strong>renTeilen <strong>de</strong>s Org.-Bereiches auf bekannte Gesichter gestoßen war - sei es von <strong>de</strong>r Hochschulefür <strong>Offizier</strong>e o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie her. So u.a. Oberst Schmerler, OberstleutnantDie<strong>de</strong>rich sowie die Majore Menzel und Schulz.Meine Nie<strong>de</strong>rgeschlagenheit <strong>de</strong>r ersten Tage hielt auch zu Hause an. Ich habe weniggesprochen und meist vor mich hin gegrübelt. Die wenigen dienstlichen Aufgaben hatteich ja manchmal in zwei bis drei Stun<strong>de</strong>n erledigt - dann war Leerlauf. Meine Kamera<strong>de</strong>ntrösteten mich mit <strong>de</strong>m Hinweis, es sei ihnen am Anfang ebenso ergangen.Das hatte auch damit zu tun, daß die militärische Organisationsarbeit damals an keinerBildungseinrichtung gelehrt wur<strong>de</strong>, alle Kenntnisse und Verfahrensweisen mußte sichje<strong>de</strong>r im täglichen Dienst selber aneignen. Erst En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er Jahre wur<strong>de</strong> in Erfurt einLehrgang für Org.-<strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> eröffnet, <strong>de</strong>r dann nach Frankfurt/O<strong>de</strong>r verlegt undzur "Ausbildungseinrichtung <strong>de</strong>r Org.-Organe <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>" ausgebaut wur<strong>de</strong>.In Lehrgängen von 5 Monaten und von 4 Wochen wur<strong>de</strong>n hier <strong>Offizier</strong>e, Fähnriche,Unteroffiziere und Zivilbeschäftigte qualifiziert. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre sind alle <strong>Offizier</strong>e <strong>de</strong>rVerwaltung Personelle Auffüllung dort weitergebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n und haben außer<strong>de</strong>m alleeinen militäraka<strong>de</strong>mischen Grad o<strong>de</strong>r einen zivilen Hoch- bzw. Fachschulabschlußerworben. Je<strong>de</strong> Zuversetzung in die Verwaltung erfor<strong>de</strong>rte dann <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>sBesuchs einer <strong>de</strong>r erwähnten Bildungseinrichtungen.Nach<strong>de</strong>m ich mein seelisches Tief überwun<strong>de</strong>n hatte, begann ich damit, je<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>sDienstes und viele während <strong>de</strong>r Freizeit dazu zu nutzen, um mich in die Grundlagen undMetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r personellen Auffüllung zu vertiefen. Mit Genehmigung meiner Vorgesetzten


hielt ich mich - um die Probleme vor Ort kennenzulernen - viel in <strong>de</strong>n Stäben <strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong>,Truppenteile, Einheiten und Einrichtungen auf, <strong>de</strong>n Wehrbezirks- und Wehrkreiskommandos,aber auch in <strong>de</strong>n Kommandos <strong>de</strong>r Militärbezirke sowie <strong>de</strong>r Teilstreitkräfte.Vor allem in <strong>de</strong>n Regimentern und <strong>de</strong>n Wehrkreiskommandos, d.h. <strong>de</strong>r unterstenFührungsebene, auf welcher strukturell Oberoffiziere bzw. <strong>Offizier</strong>e für personelle Auffüllungvorhan<strong>de</strong>n waren, lernte ich das ABC meines Arbeitsgebietes.Das schien mir gut gelungen zu sein, <strong>de</strong>nn bereits nach einem Jahr, im Oktober 1965,wur<strong>de</strong> ich mit <strong>de</strong>r Führung einer Abteilung betraut und im Januar 1966 <strong>zum</strong> Stellvertreter<strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>r Verwaltung und Leiter <strong>de</strong>r Abteilung Perspektivplanung, Analyse undNachweisführung ernannt. Die Arbeit fesselte mich, bereitete mir zunehmend Freu<strong>de</strong> undauch Erfolgserlebnisse, so bei <strong>de</strong>r Schaffung <strong>de</strong>r Grundlagen für die Perspektivplanung<strong>de</strong>r Einberufungen <strong>zum</strong> aktiven und <strong>zum</strong> Reservisten-Wehrdienst sowie für die personelleAuffüllung im Verteidigungszustand.Im September 1967 wur<strong>de</strong> ich zu einer Ka<strong>de</strong>raussprache beim Chef <strong>de</strong>r VerwaltungKa<strong>de</strong>r bestellt. Der Stellvertreter <strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>s Hauptstabes für Organisation, OberstHellmut Arnold, nahm an <strong>de</strong>r Aussprache teil. Mir wur<strong>de</strong> mitgeteilt, daß vorgesehen sei,mich mit Wirkung vom 1.11.1967 als Chef <strong>de</strong>r Verwaltung Personelle Auffüllung einzusetzen,da Oberst Steinhöfel seine Versetzung beantragt hätte. Nach wenigen TagenBe<strong>de</strong>nkzeit solle ich meine Entscheidung mitteilen.Am Wochenen<strong>de</strong> umrun<strong>de</strong>te ich mit meiner Frau <strong>de</strong>n Straussee und fragte sie erneutnach ihrer Meinung - einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>r Konsequenzen, die sich aus meinen noch reativgeringen Erfahrungen und dieser größeren Belastung für die Familie ergeben wür<strong>de</strong>n.Meine Frau, unsere Freun<strong>de</strong> und auch die Genossen <strong>de</strong>s Dienstbereichs rieten mir zurZusage, und am 1.November 1967 trat ich als Oberstleutnant (seit 1.März 1966) dieDienststellung eines Generalmajors im Verteidigungsministerium an. Damit war mir dieVerantwortung für die gesamte stabsmäßige Planung, Organisation und Führung <strong>de</strong>rpersonellen Auffüllung <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee übertragen wor<strong>de</strong>n - eine Aufgabe, dieich dann bis <strong>zum</strong> Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m aktiven Wehrdienst 23 Jahre lang ausübte.(Über seine Arbeit in dieser Dienststellung hat <strong>de</strong>r Autor in seinem Aufsatz „Die personelleAuffüllung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>“ berichtet, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Band „Rührt euch ! Zur Geschichte <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>“enthalten ist, erschienen in <strong>de</strong>r edition ost, Berlin 1998)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!