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Albmagazin - Ausgabe Heidengraben 2/2015

Regionales Albmagazin auf der Schwäbischen Alb für die Region Heidengraben, Grabenstetten, Hülben, Erkenbrechtsweiler, Hochwang und Böhringen

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Historisches Gasthaus Grüner Baum<br />

Alb-Magazin <strong>Ausgabe</strong> 2/<strong>2015</strong><br />

Der Namensgeber steht direkt vor der Türe<br />

Vieles verändert sich, Leute kommen und gehen, Häuser werden gebaut, umgenutzt oder abgerissen, Läden öffnen und<br />

schließen. Aber es gibt auch Felsen in der Brandung, die allen Veränderungen widerstehen: Zwar zeugen bei vielen der<br />

alten Wirtschaften auf der Schwäbischen Alb nur noch blinde Fenster und vergilbte Speisekarten vor Tür von ihrer<br />

Existenz, aber es gibt sie noch, die alten Gaststätten, die sich in den langen Jahren ihres Bestehens nicht vom Zeitgeist<br />

beeinflussen ließen: Ein Besuch im Grünen Baum zu Böhringen.<br />

Namensgeber: Die mächteige Linde wurde vor rund 145 Jahren gepflanzt<br />

„Jakob, was drengsch do?“, fragt Wirtin<br />

Friedlinde Kuhn. „Oi Bier, an Urtyp“, antwortet<br />

der ältere Herr kurz aufblickend<br />

von der schon etwas betagten, aber munteren<br />

Männerrunde, die sich an diesem<br />

Freitag Abend um den einfachen Tisch im<br />

Schankraum des Grünen Baums eingefunden<br />

hat. Wie jeden Freitag übrigens, man<br />

kennt sich.<br />

Anderswo würden Gasthäuser wie der<br />

Grüne Baum in der Albstraße vielleicht als<br />

Museum herausgeputzt und man könnte<br />

der Speisekarte entnehmen, wann das<br />

Gebäude von welchem Urururahn nach<br />

welchem Bauernkrieg erbaut wurde. Im<br />

Grünen Baum scheint die lange Vorgeschichte<br />

des alten Fachwerkhauses keine<br />

größere Rolle zu spielen. Wann es gebaut<br />

wurde? Oje, meint die Wirtin, das Gebäude<br />

sei über 300 Jahre alt: „Aber wenn sie<br />

was Genaueres wissen wollen, da ist mein<br />

Mann der richtige Ansprechpartner.“ Den<br />

4<br />

Herren am Nebentisch gehen mittlerweile<br />

die Getränke aus, Friedlinde Kuhn springt<br />

auf und sorgt unverzüglich für Nachschub<br />

– der Gast ist noch König im Grünen Baum.<br />

Einen „Baumwirt“ gibt es schon lange<br />

Apropos Baum – der Namensgeber des<br />

Lokals steht direkt vor der Türe. Eine<br />

mächtige Linde streckt ihre dicken grünen<br />

Äste und Zweige über den Hof. Gepflanzt<br />

wurde sie vor rund 145 Jahren als Friedenslinde<br />

anlässlich des zu Ende gegangenen<br />

Deutsch-Französischen Krieges von<br />

1870/71. Vermutlich stand aber an selber<br />

Stelle schon vormals ein großer Baum,<br />

schließlich wurde das Gebäude bereits<br />

1706 erbaut und 1711 als Gaststätte eröffnet,<br />

wie der mittlerweile hinzugekommene<br />

derzeitige „Baumwirt“ Gerhard Kuhn<br />

beizutragen weiß. Und wie die Böhringer<br />

Ortschronik berichtet, war schon anno dazumal<br />

die Rede vom „Baumwirt“. Weiter<br />

ist in besagter Chronik zu lesen, dass der<br />

Vorgängerbau des heutigen Hauses abgebrannt,<br />

aber vermutlich schon seit 1454<br />

eine Wirtschaft gewesen sei.<br />

Seit wann die Gaststätte im Besitz seiner<br />

Familie ist, weiß Gerhard Kuhn indes ganz<br />

genau: „1874 heiratete mein Urgroßvater<br />

Christian Bögel, der ursprünglich aus<br />

Böttingen kam, auf den Grünen Baum.“<br />

Bis dato hatte nämlich die Familie Schilling<br />

das Sagen. Christian Bögel ehelichte<br />

eine Tochter der Familie Schilling und<br />

musste dann allerdings noch seinen Neu-<br />

Schwager Johannes Schilling mit einem<br />

schon damals ganz erklecklichen Sümmchen<br />

auszahlen, um Haus und Wirtschaft<br />

zu übernehmen. „Der Johannes Schilling<br />

wiederum kaufte mit diesem Geld dann<br />

den Hirsch, der schon seit 1714 eine Wirtschaft<br />

war“, so Gerhard Kuhn weiter. Und<br />

da schließt sich der Kreis wieder: Der Grüne<br />

Baum und der Hirsch sind heute die beiden<br />

ältesten Gasthäuser von Böhringen,<br />

die noch in Betrieb sind.<br />

Vom Preisbinokel erzählen noch die Leute<br />

Und dann erzählt er, wie das war, als das<br />

Lokal noch von der Mutter betrieben wurde.<br />

Bis 1989 hatte der Grüne Baum jeden<br />

Tag geöffnet, als die Mutter älter wurde,<br />

sprang immer wieder die Schwester mit<br />

ein. „Auch ich habe von klein auf im Baum<br />

mitgeholfen. Da hängt schon viel Herzblut<br />

dran“, so der Haupterwerbslandwirt. Über<br />

viele Jahre hinweg war der zweite Weihnachtsfeiertag<br />

ein Pflichttermin für alle<br />

leidenschaftlichen Kartenklopfer: Vom<br />

traditionellen Preisbinokelturnier am 27.<br />

Dezember erzählen sich heute noch die<br />

Leute. Oder der Sportverein, der den Baum<br />

quasi als Vereinsgaststätte nutzte, bis er<br />

in den 1970er Jahren ein eigenes bewirtschaftetes<br />

Etablissement in der Nähe der<br />

Sportplätze eröffnete. „Und immer sind<br />

viele Handwerker gekommen und auch die<br />

Landwirte von Böhringen und anderswo,<br />

um noch ein Bier zu trinken“, erinnert sich<br />

Gerhard Kuhn. Eine Speisekarte suchte<br />

Der Freitag-Abend-Stammtisch im grünen Baum wird von Friedlinde und Gerhard Kuhn(rechtes Bild) bewirtet<br />

Die Tante vom heutigen Baumwirt und zwei Gäste<br />

stehen um 1920 vor der Gaststätte<br />

man auch damals schon vergebens: „Es<br />

gab immer nur Getränke.“ Heute hat Friedlinde<br />

Kuhn immerhin Butterbrezeln im Angebot.<br />

Steter Tropfen höhlt den Stein<br />

Nach dem Tod der Mutter ruhte der Betrieb.<br />

Zwischen 1990 und 2003 öffneten<br />

die Kuhns die Wirtschaft nur ein Mal im<br />

Jahr, um ihre Schankkonzession nicht zu<br />

verlieren. „Wir sind beide berufstätig. Da<br />

bleibt nicht viel Zeit“, erklärt Friedlinde<br />

Kuhn. Dann haben sich die Böhringer beschwert,<br />

und – steter Tropfen höhlt den<br />

Stein – die Kuhns öffnen den Grünen<br />

Baum seit über zehn Jahren wieder regelmäßig<br />

jeden Freitag Abend.<br />

„Es ist schon viel Geschäft“, stöhnt Friedlinde<br />

Kuhn, „Ob wir den Baum weiterführen<br />

weiß ich nicht, es ist sehr viel Arbeit.<br />

Und eigentlich ist das eher das Hobby von<br />

meinem Mann.“ Der hat aber mit seinem<br />

landwirtschaftlichen Betrieb – immerhin<br />

rund 78 Hektar Land, 30 Ar Wald und 40<br />

Milchkühe – besonders im Sommer viel<br />

um die Ohren und kommt oft erst später.<br />

Der Baumwirt hält sich in punkto möglicher<br />

Schließung bedeckt und blättert derweil<br />

weiter in der Ortschronik. Friedlinde Kuhn<br />

serviert dem Stammtisch nebenan noch<br />

ein paar Butterbrezeln, die Äste der Linde<br />

draußen rauschen im Wind und ein Kälbchen<br />

aus dem nahegelegenen Stall muht<br />

- wie immer halt...<br />

Text: Kerstin Dannath<br />

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