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Albmagazin - Ausgabe Heidengraben 2/2015

Regionales Albmagazin auf der Schwäbischen Alb für die Region Heidengraben, Grabenstetten, Hülben, Erkenbrechtsweiler, Hochwang und Böhringen

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Beim letzten Gang ging`s steil bergab<br />

Alb-Magazin <strong>Ausgabe</strong> 2/<strong>2015</strong><br />

Eine furchterregende Wegbezeichnung und ihre Herkunft<br />

Manchmal sind sie nach Dichtern, manchmal nach Vogelarten, Blumen oder Politikern benannt und wieder andernorts mögen<br />

sie auch an Berufe und Gepflogenheiten in der Ortsgeschichte erinnern. Manchmal kommen sie klangvoll und vielversprechend<br />

daher, manchmal zeigen sie sich rätselhaft oder gar unerklärlich, wieder andernorts präsentieren sie sich einfach nur nichtssagend.<br />

Und nicht selten haben sie auch eine regelrecht erheiternde Wirkung auf den, der sie im Vorübergehen – sei es bewusst<br />

oder unbewusst – wahrnimmt. Die Rede ist von unseren Straßennamen oder Wegbezeichnungen, von denen wir innerorts<br />

buchstäblich umzingelt sind. Vielfach gehen wir an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten, meist schenken wir ihnen nur dann unsere<br />

Aufmerksamkeit, wenn wir etwas suchen. Und doch gibt es auch die – zugegeben selteneren – Momente, da es einer von<br />

ihnen schafft, unseren Blick auf sich zu ziehen und unsere Beachtung für sich zu gewinnen.<br />

So wie der Name des Wegs, um den es hier<br />

gehen soll, das Hülbener Totensteigle. Dieser<br />

taucht vermutlich weder auf einem Straßenschild<br />

noch auf einem Wegzeiger auf.<br />

In aktuellen Flurkarten, so die Auskunft von<br />

Dr. Peter Löffelad, Sprachwissenschaftler<br />

und Flurnamenforscher vom Ellwanger Institut<br />

für Sprachforschung, der sich mit der<br />

Gegend rund um Hülben und Erkenbrechtsweiler<br />

ausführlich beschäftigt hat, ist er auch<br />

nicht zu finden. Nicht einmal Google-Maps,<br />

sonst doch so findig in allen Fragen des Woher<br />

und Wohin, kennt die Bezeichnung. Gibt<br />

man dort die Ortschaft „Hülben“ und als Weg<br />

den Begriff „Totensteigle“ ein, so wird man<br />

erstens aufgefordert, die Schreibweise zu<br />

überprüfen und zweitens auch noch dazu,<br />

den Begriff zur Suchmaschine hinzuzufügen.<br />

Letzteres kommt vielleicht weniger infrage,<br />

doch die Überprüfung der Schreibweise –<br />

hmmm, wer weiß, wäre vielleicht gar keine<br />

so schlechte Idee?! Fragt man nämlich alteingesessene<br />

Hülbener wie beispielsweise<br />

Heinz Christner nach dem Totensteigle, so<br />

erfährt man zunächst einmal zwei Dinge:<br />

erstens, dass das Totensteigle in Hülben eigentlich<br />

„`s Daodaschdoigle“ heißt – so ausgesprochen,<br />

dass die Betonung auf „Daoda“<br />

liegt und zweitens, dass man sich darunter<br />

keinen geschotterten, geschweige denn<br />

geteerten Weg vorstellen dürfe. Vielmehr<br />

handle es sich bei dem Totensteigle lediglich<br />

um einen „Deich“.<br />

Ein Deich am Rande der Alb<br />

Da das Gespräch am Telefon stattfindet,<br />

sieht er zum Glück nicht das Gesicht, das<br />

seine Gesprächspartnerin am anderen Ende<br />

der Leitung macht. Dort herrscht nun erst<br />

mal Funkstille. Sonst des Schwäbischen<br />

durchaus mächtig, kommt sie bei diesem<br />

Begriff nämlich auf eine ganz andere Spur.<br />

„Deich“, das klingt doch nach Nordsee, Küstenschutz<br />

und grasenden Schafen. Was<br />

um alles in der Welt sucht der Deich auf der<br />

Schwäbischen Alb? Der Gesprächspartner<br />

am andern Ende der Leitung hört die – teils<br />

unausgesprochenen – Fragen und klärt auf,<br />

dass unter einem „schwäbischen Deich“ eigentlich<br />

eine Talklinge zu verstehen sei, also<br />

eine Eintiefung – z. B. in einem Abhang. Eine<br />

Erklärung, die sich in ähnlicher Weise übrigens<br />

auch im „Schwäbischen Handwörterbuch“<br />

wiederfinden lässt – auch wenn dort<br />

das Wort mit hartem „T“ geschrieben wird.<br />

Und genau solch eine natürliche Eintiefung<br />

im Albtrauf, die sich von Hülben bis nach Dettingen<br />

hinab zog, stellt das Totensteigle dar.<br />

Dieses nun hat seinen Namen nicht etwa<br />

daher, dass hier besonders viele Wanderer<br />

abgestürzt oder sonstwie verunglückt wären.<br />

Nein, man nutzte es in früheren Zeiten, als<br />

die Ortschaft noch keine eigene Pfarrei besaß,<br />

dazu, um die Verstorbenen hinab ins Tal<br />

und zum Dettinger Friedhof zu bringen. Zugewachsen<br />

und schmal, bei Regen glitschig und<br />

im Winter eisig, mehr einem Trampelpfad<br />

denn einem Weg ähnelnd, müsse man sich<br />

diese Verbindung zwischen oben und unten<br />

vorstellen, erklärt Heinz Christner. Und auch<br />

Prof. Siegfried Kullen, ebenfalls Hülbener Urgestein,<br />

beschreibt das Steigle, das immer<br />

noch begehbar ist, eher als eine Art Albvereinswegle<br />

denn als Steige im heutigen Sinn.<br />

Obwohl es den Hülbenern an und für sich an<br />

Kirchen nicht gemangelt hat – fünf an der<br />

Zahl waren es, die seit der Erbauung einer<br />

Marienkapelle bei den Hülen im Jahr 1233,<br />

immer an derselben Stelle stehend, im Hülbener<br />

Heimatbuch aufgeführt sind – wurden<br />

diese doch die meiste Zeit als Dettinger Filialkirchen<br />

geführt. Das bedeutete, dass alle<br />

zwei Wochen einmal der Dettinger Pfarrer<br />

zum Predigen nach Hülben heraufkam und<br />

in der dazwischen liegenden Zeit der Lehrer<br />

dessen „niedrigere Dienste“ versah. Und es<br />

bedeutete ebenfalls, dass bis etwa zum Jahr<br />

1890 die erwachsenen „Christenmenschen“<br />

auf ihrem letzten Gang im Sarg hinab ins Tal<br />

nach Dettingen gebracht wurden, um dort<br />

drunten – vom Pfarrer ordnungsgemäß bestattet<br />

zu werden. Dass sie dorthin getragen<br />

und nicht etwa gefahren wurden, ist dem<br />

Heimatbuch des Bezirks Urach zu entnehmen,<br />

verfasst im Jahr 1933 von Professor<br />

Hans Schwenkel.<br />

Kinder wurden vom Lehrer bestattet<br />

Nun war es aber nicht etwa so, dass Hülben<br />

keinen eigenen Friedhof gehabt hätte. Dieser<br />

lag bis 1890 direkt bei der Kirche. Hier<br />

bestattet zu werden, war jedoch nur Minderjährigen,<br />

oder um es genauer auszudrücken,<br />

Kindern, die vor ihrer Konfirmation zu Tode<br />

kamen, vorbehalten. Und um diese zu bestatten,<br />

kam nicht etwa der Pfarrer vom Tal<br />

auf die Alb herauf, nein, Beerdigungszeremonien<br />

von Kindern hatte der Lehrer zu übernehmen,<br />

ob er wollte oder nicht. All diese<br />

Gepflogenheiten fanden dann in der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach<br />

ein Ende. Zunächst erhielt im Jahr 1866 Hülben<br />

eine eigene Pfarrei und einen Pfarrer<br />

und war damit endlich unabhängig in kirchlichen<br />

Angelegenheiten. Und im Jahr 1890<br />

fand auch die Unterteilung der Verstorbenen<br />

in Erwachsene und Minderjährige ein Ende.<br />

In jenem Jahr nämlich bekam Hülben einen<br />

neuen Friedhof. Die letzte Beerdigung, die<br />

auf dem alten Hülbener Friedhof bei der Kirche<br />

stattfand, so berichtet das Heimatbuch<br />

„Hülben – Ein Gang durch die Geschichte“,<br />

war am 2. Dezember desselben Jahres die<br />

der zweijährigen Anna Maria Buck. Von da<br />

an lagen Jung und Alt Seite an Seite in derselben<br />

Erde begraben. Und damit dürfte<br />

dann auch das Totensteigle endgültig seiner<br />

Funktion beraubt worden sein. Nur sein<br />

Name – unauffindbar auf Karten, fest verankert<br />

jedoch in den Köpfen derer, die mit Hülben<br />

verwurzelt sind – geistert immer noch in<br />

der Gegend herum.<br />

Text: Petra Zwerenz<br />

Reitanlage Füchsle/Reitverein Hülben e.V.<br />

Heerweg 50<br />

72584 Hülben<br />

0172/7748967<br />

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