Mehrfachbelastungen durch Pestizide auf Mensch und Umwelt

Mehrfachbelastungen durch Pestizide auf Mensch und Umwelt Mehrfachbelastungen durch Pestizide auf Mensch und Umwelt

05.12.2012 Aufrufe

6. Kombinierte Wirkung von Pestizid-Wirkstoffen In der wissenschaftlichen Literatur und in der Fachwelt besteht kein allgemeingültiger Konsens über die Terminologie von kombinierten Wirkungen. So werden beispielsweise für eine mehr als additive Wirkung von Einzelstoffen unter anderen die Begriffe overadditivity, synergism, synergy oder inter- action verwendet. Bei der kombinierten Wirkung von Stoffen müssen zwei Prinzipien unterschieden werden: Die addi- tive Wirkung (Non-interaction) und die Interaktion. Additive Wirkung Die Wirkung zweier oder mehr Stoffe in einer Mischung summiert sich. Dies entspricht dem Konzept der Wirkungs-Additivität oder „Nicht-Interaktion“: Kein Stoff in der Mischung verstärkt die Wirkung eines anderen Stoffes oder schwächt sie ab. Voraussagen über die Ausprägung der Gesamtwir- kung können über folgende zwei Konzepte berechnet werden: Dosis/Konzentrations-Additivität/(DA/CA): Die Stoffe wirken in gleicher Weise, gleicher kritischer Effekt, gleiche oder ähnliche Wirkungsweise oder Effekt-Additivität (Response Addition, RA; Unabhängige Wirkung/Independant Action, IA): Die Stoffe wirken in unterschiedlicher Weise, sie haben verschiedene kritische Effekte, Zielorgane und Wirkungsweisen. Interaktion, Synergismus, Antagonismus Zwei oder mehr Stoffe ergänzen sich in ihrem Effekt, so dass ihre Gesamtwirkung stärker oder schwächer ist als die Summe der Wirkungen der Einzelstoffe. Ist die Gesamtwirkung stärker, spricht man von überadditiver oder synergistischer Wirkung, ist sie schwächer, spricht man von antagonis- tischer Wirkung. Da die Erkenntnisse zu kombinierter Wirkung von Chemikalien in den letzten Jahren immer zahlrei- cher geworden sind, hat die DG Environment der EU-Kommission 2007 eine Studie zum Stand der Wissenschaft und der Regulierung der Toxizität von Gemischen in Auftrag gegeben. Diese „State of the art“ genannte Studie wurde im Dezember 2009 vorgelegt (Kortenkamp 2009). Es wurden wis- senschaftliche Studien zu Kombinationswirkungen von Chemikalien ausgewertet, Methoden zur Bewertung von Gemischen analysiert und der Stand der Regulierung von Stoffgemischen beschrie- ben. Zentrale Aussagen dieser Studie sind: • Wir wissen sehr wenig über die Fähigkeit von Stoffen, die Toxizität anderer Komponenten des Stoffgemischs zu beeinflussen. • Studien haben sichere Beweise dafür geliefert, dass Wirkungen von Stoffgemischen entstehen, wenn verschiedene Chemikalien in Dosen oder Konzentrationen um oder unterhalb der PODs 7 kombiniert werden. 7 POD = Point of Departure: Punkt auf der Dosis-Wirkungs-Kurve, von dem aus bestimmte Schwellenwerte abgeleitet 18

• Entscheidende Beweise gibt es auch für Chemikalien mit verschiedener Wirkungsweise: Wirkungen von Stoffgemischen mit verschiedener Wirkungsweise können nicht ausgeschlossen werden, auch wenn alle Einzelstoffe unterhalb ihrer individuellen NOAELs oder NOAECs 8 liegen. Dies steht im Gegensatz zu der weitläufig verbreiteten Ansicht, dass Mischungen von verschiedenartig wirkenden Stoffen sicher seien. NOAELs weisen eine Reihe von Mängeln auf. Sie sind keine festen Werte; vielmehr reflektieren sie die Eigenschaften des speziellen experimentellen Ansatzes. Breiter angelegte Studien zeigen Effekte bei geringeren Konzentrationen und damit auch niedrigere NOAELs. • Ob Risiken durch Stoffgemische vorliegen, kann nur auf Basis besserer Informationen zu relevanten Expositionen von Mensch und Tier bewertet werden. Diese Informationen gibt es derzeit nicht. Sie stellen eine hohe Herausforderung für den Risikobewertungsprozess dar. • Stoffgemische in der Umwelt bestehen gewöhnlich aus einer großen Zahl von Stoffen, mit verschiedenen Strukturen und Wirkungsweisen. Leider ist dies genau der Typ von Stoffgemischen, der am wenigsten untersucht ist. Die Kortenkamp-Studie fokussiert nicht auf Pestizide, sondern bezieht sich generell auf Chemika- lien. Einige Beispiele für kombinatorische Wirkungen erwähnen aber auch Pestizide. In einer aktuellen Veröffentlichung (Kortenkamp 2012) für die European Food Safety Authority (EF- SA) wird der Stand der Forschung zu Chemikalien mit verschiedenartiger Wirkung in Lebensmitteln untersucht. Hierbei kommen die Autoren zu dem Ergebnis: Es wäre machbar und gerechtfertigt, Methoden der kumulativen Risikobewertung (CRA), die ursprünglich für ähnlich wirkende Mischun- gen entwickelt wurden, auch für Kombinationen von unähnlich wirkenden Chemikalien zu nutzen. Dies könne ein einheitlicher Ansatz für den regulatorischen Umgang mit Mischungen sein, der als pragmatisch und vorsorgend bezeichnet wird. Ergebnisse der vorliegenden Studie Die Beteiligung der Pestizide an den kombinatorischen Wirkungen von Chemikalien wird anhand einer Literaturrecherche analysiert: Welche Kombinationseffekte von Pestiziden werden beobachtet, welche Stoffe und andere Bedingungen treten mit Pestiziden in Wechselwirkung und welche Hin- weise gibt es zu den Stoffmengen, die Effekte hervorrufen. Die Recherche wurde zu Kombinationseffekten (und Synonyme) UND Pestiziden (und Synonyme) ODER den 39 am häufigsten nachgewiesenen Wirkstoffen in Lebensmitteln (siehe Kapitel ) durch- geführt, die in wissenschaftlichen Studien der letzten fünf Jahre (31.1.2007 bis 03.05.2012) be- schrieben wurden. Es wurde die Datenbank PubMed verwendet. Der Suchalgorithmus der Literatur- recherche findet sich im Anhang. werden, z.B. der NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) = die Stoffmenge im Testsystem, unterhalb der keine Schäden mehr beobachtet wurden. Vom NOAEL ausgehend werden mit bestimmten „Sicherheitsfaktoren“ toxikologische Aufnahmegrenzwerte wie der ARfD oder der ADI festgesetzt. 8 No Observed Adverse Effect Concentration/Level = die Stoffmenge im Testsystem, unterhalb der keine Schäden mehr beobachtet wurden 19

• Entscheidende Beweise gibt es auch für Chemikalien mit verschiedener Wirkungsweise:<br />

Wirkungen von Stoffgemischen mit verschiedener Wirkungsweise können nicht ausgeschlossen<br />

werden, auch wenn alle Einzelstoffe unterhalb ihrer individuellen NOAELs oder<br />

NOAECs 8 liegen. Dies steht im Gegensatz zu der weitläufig verbreiteten Ansicht, dass Mischungen<br />

von verschiedenartig wirkenden Stoffen sicher seien. NOAELs weisen eine Reihe<br />

von Mängeln <strong>auf</strong>. Sie sind keine festen Werte; vielmehr reflektieren sie die Eigenschaften<br />

des speziellen experimentellen Ansatzes. Breiter angelegte Studien zeigen Effekte bei geringeren<br />

Konzentrationen <strong>und</strong> damit auch niedrigere NOAELs.<br />

• Ob Risiken <strong>durch</strong> Stoffgemische vorliegen, kann nur <strong>auf</strong> Basis besserer Informationen zu relevanten<br />

Expositionen von <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Tier bewertet werden. Diese Informationen gibt es<br />

derzeit nicht. Sie stellen eine hohe Herausforderung für den Risikobewertungsprozess dar.<br />

• Stoffgemische in der <strong>Umwelt</strong> bestehen gewöhnlich aus einer großen Zahl von Stoffen, mit<br />

verschiedenen Strukturen <strong>und</strong> Wirkungsweisen. Leider ist dies genau der Typ von Stoffgemischen,<br />

der am wenigsten untersucht ist.<br />

Die Kortenkamp-Studie fokussiert nicht <strong>auf</strong> <strong>Pestizide</strong>, sondern bezieht sich generell <strong>auf</strong> Chemika-<br />

lien. Einige Beispiele für kombinatorische Wirkungen erwähnen aber auch <strong>Pestizide</strong>.<br />

In einer aktuellen Veröffentlichung (Kortenkamp 2012) für die European Food Safety Authority (EF-<br />

SA) wird der Stand der Forschung zu Chemikalien mit verschiedenartiger Wirkung in Lebensmitteln<br />

untersucht. Hierbei kommen die Autoren zu dem Ergebnis: Es wäre machbar <strong>und</strong> gerechtfertigt,<br />

Methoden der kumulativen Risikobewertung (CRA), die ursprünglich für ähnlich wirkende Mischun-<br />

gen entwickelt wurden, auch für Kombinationen von unähnlich wirkenden Chemikalien zu nutzen.<br />

Dies könne ein einheitlicher Ansatz für den regulatorischen Umgang mit Mischungen sein, der als<br />

pragmatisch <strong>und</strong> vorsorgend bezeichnet wird.<br />

Ergebnisse der vorliegenden Studie<br />

Die Beteiligung der <strong>Pestizide</strong> an den kombinatorischen Wirkungen von Chemikalien wird anhand<br />

einer Literaturrecherche analysiert: Welche Kombinationseffekte von <strong>Pestizide</strong>n werden beobachtet,<br />

welche Stoffe <strong>und</strong> andere Bedingungen treten mit <strong>Pestizide</strong>n in Wechselwirkung <strong>und</strong> welche Hin-<br />

weise gibt es zu den Stoffmengen, die Effekte hervorrufen.<br />

Die Recherche wurde zu Kombinationseffekten (<strong>und</strong> Synonyme) UND <strong>Pestizide</strong>n (<strong>und</strong> Synonyme)<br />

ODER den 39 am häufigsten nachgewiesenen Wirkstoffen in Lebensmitteln (siehe Kapitel ) <strong>durch</strong>-<br />

geführt, die in wissenschaftlichen Studien der letzten fünf Jahre (31.1.2007 bis 03.05.2012) be-<br />

schrieben wurden. Es wurde die Datenbank PubMed verwendet. Der Suchalgorithmus der Literatur-<br />

recherche findet sich im Anhang.<br />

werden, z.B. der NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) = die Stoffmenge im Testsystem, unterhalb der keine<br />

Schäden mehr beobachtet wurden. Vom NOAEL ausgehend werden mit bestimmten „Sicherheitsfaktoren“ toxikologische<br />

Aufnahmegrenzwerte wie der ARfD oder der ADI festgesetzt.<br />

8 No Observed Adverse Effect Concentration/Level = die Stoffmenge im Testsystem, unterhalb der keine Schäden mehr<br />

beobachtet wurden<br />

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