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<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>Wie im ländlichen Raumdemokratische Kulturgestaltet werden kann


VorwortTimo Re<strong>in</strong>frank, Stiftungskoord<strong>in</strong>ator der Amadeu Antonio StiftungMit Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgern auf dem Lande neueFormen des Engagements wagen, Menschen Sicherheit<strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Rechtsextremismusgeben und versuchen, diejenigen mit e<strong>in</strong>zubeziehen,die sich sonst nicht engagieren: Das waren unsere Beweggründe,das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikationim ländlichen Raum zu entwickeln. Im ländlichenRaum schienen es Neonazis leichter zu haben, Kommunikationsräumezu besetzen. So berichtete etwa e<strong>in</strong>Kollege von e<strong>in</strong>er Projektreise durch Vorpommern, wiedie sogenannten »Boten«, die lokalen Anzeigenblätterder NPD, genauso wie der »Ikea«-Katalog <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emDorf von Haus zu Haus gereicht wurden, ohne, dass es über deren menschenverachtendeInhalte e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung gab. Andererseits wollten wir uns nicht mitdem gängigen Klischee des »brauen« ländlichen Raums zufrieden geben, das immerim Raum steht, wenn es folgenlose politische Apellen nach den Wahlerfolgen vonRechtsextremen gab. Die sehr unterschiedlichen ländlichen <strong>Region</strong>en Deutschlandswollten wir im Projekt nicht nur unter Aspekten der Peripherisierung, Abwanderungund Überalterung betrachten, sondern auch als Spiel- und Freiräume wahrnehmen,die wir nutzen können. Mit dem Projekt wollten wir e<strong>in</strong>erseits analysieren,wie auf Nazipräsenz und rechtsextreme Wahlerfolge reagiert wird und andererseits,wie gegenseitige Achtung, Würde und demokratische Kultur auf dem Lande gestärktwerden können. Dies ersche<strong>in</strong>t besonders wichtig, weil die Rechtsextremenden ländlichen Raum mit der verme<strong>in</strong>tlich »<strong>in</strong>takten Volksgeme<strong>in</strong>schaft« seit Jahrengegen die städtische »Multikulti«-Globalisierung als Alternative <strong>in</strong> Stellungbr<strong>in</strong>gen und dies durch strategische Raumgreifungsversuche und Immobilienkäufeuntermauern.Bezugsrahmen des Projektes war dabei der normative, prozess- und handlungsorientierteDemokratiebegriff des amerikanischen Philosophen John Dewey, sowiedie Überlegungen des Frankfurter Soziologen Jürgen Habermas zur deliberativenDemokratie, die auf die partizipatorische Mitwirkung aller Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgersetzt. Zentral ist bei Habermas’ Demokratiebegriff die Öffentlichkeit, die beiihm mehrere Funktionen besitzt: Sie ist nötig für das Wahrnehmen von Problemenund deren Thematisierung sowie für Transparenz und Kontrolle im Umgangdamit. Garant für die Übernahme der Funktionen ist die demokratische Zivilge-5


ereitet, wobei die Auswertung Gegenstand des zweiten Teils des Buches ist. BeideProjekte nutzen e<strong>in</strong>en aktivierenden Ansatz, der mit soziokulturellen Methodenund künstlerischen Interventionen verschränkt ist. Hier kam dem Projekt die guteZusammenarbeit mit der Compagnie The Work<strong>in</strong>g Party zu Gute, die auf die partizipatorischeErarbeitung von Inszenierungen spezialisiert ist. Deren Co-RegisseurBenno Plassmann reflektiert im Kapitel »Kommunikation und Kunst« über die Verknüpfungvon künstlerischer und gesellschaftlicher Dramaturgie. Ebenso werdenauch beide Projektorte anhand ihrer Erfahrungen im Projekt von Stella H<strong>in</strong>demithund Kathar<strong>in</strong>a Husemann analytisch beschrieben. Fehlschläge, Handlungskonzepteund Erfolge des Projektes bilanziert Swantje Tobiassen im ihrem abschließendenBeitrag »Der Osten ist nur auf der Karte rechts?!«Die Umsetzung von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> wäre nicht möglich gewesen ohne die guteZusammenarbeit mit unseren Partner<strong>in</strong>nen und Partnern <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern,dem schloss bröll<strong>in</strong> e. V., e<strong>in</strong>er weit über die Grenzen Mecklenburg-Vorpommernsbekannten »<strong>in</strong>ternational art research location« und der Brandenburger Bürger<strong>in</strong>itiativeZossen zeigt Gesicht mit ihrem Sprecher Jörg Wanke, die sich seit Jahrenmit großem persönlichem E<strong>in</strong>satz gegen Rechtsextremismus <strong>in</strong> Teltow-Fläm<strong>in</strong>gengagiert, sowie der Stadt Pasewalk mit ihrem Bürgermeister Ra<strong>in</strong>er Dambach undder Kulturamtsleiter<strong>in</strong> Jutta Bressem sowie der Stadt Zossen mit der Bürgermeister<strong>in</strong>Michaela Schreiber und dem Pressesprecher Axel Jürs. Danken möchten wirauch allen beteiligen E<strong>in</strong>richtung und den engagierten Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgernaus Zossen und Vorpommern. Ganz besonders möchten wir uns auch für die Unterstützungdes Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums und der Regiestelle von »Zusammenhaltdurch Teilhabe« und der Freudenberg Stiftung bedanken, die uns die Durchführungdieses Projektes ermöglicht haben.Das Projekt kann sich über e<strong>in</strong>e rege Beteiligung vieler Initiativen, E<strong>in</strong>richtungenund Vere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> beiden Projektregionen freuen, viele dauerhafte Kooperationen s<strong>in</strong>dentstanden und die Handreichungen und e<strong>in</strong>e Ausstellung zu den Projektergebnissenh<strong>in</strong>terlassen nachhaltige Anregungen für die Verbesserung der demokratischenKultur vor Ort. Aber das kont<strong>in</strong>uierliche Engagement ist ke<strong>in</strong> Selbstläufer. Im Laufedes Projektes ist deutlich geworden, dass auch immer ganz konkrete <strong>Aktion</strong>en notwendigs<strong>in</strong>d, um sich <strong>in</strong> akuten Fällen rechtsextermer Gewalt und neonazistischenRaumgreifungsversuchen entgegenzustellen, wie dies bei e<strong>in</strong>em NPD-»Pressefest«sehr erfolgreich gelungen ist, oder wie die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen der RAAMecklenburg-Vorpommern po<strong>in</strong>tiert das Thema Polenfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> der Grenzregionbearbeitet haben. Die Gestaltung der demokratischen Kultur bleibt <strong>in</strong> jedemFall e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Daueraufgabe, für alle Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger, ebenso wiefür Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung. E<strong>in</strong> Gradmesser dafür ist und wird es<strong>in</strong> Zukunft noch stärker se<strong>in</strong>, der Umgang mit M<strong>in</strong>derheiten, E<strong>in</strong>wanderern undE<strong>in</strong>wander<strong>in</strong>nen und Menschen, die aufgrund von Bürgerkriegen, ethnischer undreligiöser Verfolgung oder wirtschaftlicher Not Zuflucht <strong>in</strong> Deutschland suchenund der Perspektive von Frauen und älteren Menschen.7


E<strong>in</strong>e besondere Herausforderung:Rechtsextremismus und der ländliche RaumAnetta KahaneBereits kurz nach ihrer Gründung setzte die Amadeu Antonio Stiftung e<strong>in</strong>en Schwerpunktim ländlichen Raum. Dabei konzentrierte sie sich auf Gegenden <strong>in</strong> Sachsenund Vorpommern. Sie sollten zu Modellregionen für die Arbeit der Stiftungwerden. <strong>Zum</strong> e<strong>in</strong>en, weil der Rechtsextremismus dort besonders präsent war. Undzum anderen, weil es dort oft besonders schwer fällt, aktiv zu werden. In kle<strong>in</strong>enStädten und Dörfern fehlte oft e<strong>in</strong>e couragierte Zivilgesellschaft, also engagierteBürger<strong>in</strong>nen und Bürgern, die selbst dafür sorgen können, dass junge Leute sichnicht radikalisieren und Erwachsene <strong>in</strong> die Schranken gewiesen werden, die siedurch hasserfüllten Populismus auch noch dar<strong>in</strong> bestärken. Seit der Wiedervere<strong>in</strong>igunghat sich der Rechtsextremismus im Osten Deutschlands weiter entwickelt,aber er bleibt präsent. Rechtsextremismus kam aus der Mitte der DDR-Gesellschaftund mischte sich mit e<strong>in</strong>em rebellischen Antikapitalismus zu e<strong>in</strong>em neuen nationalenSozialismus. Er drang <strong>in</strong> die Jugendkultur e<strong>in</strong> und wurde dabei flankiert vonder Abwehr der erwachsenen Mehrheitsgesellschaft gegen »die Ausländer«. OhneRassismus als Alltagsphänomen quer durch alle politischen Haltungen hätte derRechtsextremismus niemals so erfolgreich werden können. Es fehlte Empathie fürjene, die von rassistischer Verachtung getroffen wurden. Das machte es leichter, auchoffensichtlichen Rechtsextremismus zu verdrängen, zu verleugnen oder sogar gut zuheißen. Der Anpassungs- und Konformitätsdruck, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Ortschaften besonderspräsent, erschwerte es Menschen über viele Jahre sehr, sich gegen diesen Trendzu stellen.Die Amadeu Antonio Stiftung entstand als Antwort auf diese Vere<strong>in</strong>zelung derEngagierten gerade <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Orten. Nachdem bereits vor der Gründung der Stiftungdurch die RAA (<strong>Region</strong>ale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie)und das Zentrum Demokratische Kultur die Situation <strong>in</strong> Kommunen analysiert undHandlungsempfehlungen entwickelt wurden, lag es auf der Hand, die gewonnen Erfahrungenund Erkenntnisse durch die Stiftungsarbeit zu multiplizieren und darausweitere Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Wichtigste war: die zivile Gesellschaftvor Ort ist die e<strong>in</strong>zig denkbare Partner<strong>in</strong>, um Rechtsextremismus entgegentretenzu können. Gibt es niemanden dort, dann stehen die D<strong>in</strong>ge zunächst schlecht. Gibtes jedoch jemanden, auch wenn er noch nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt, dann kann sichauch e<strong>in</strong>e demokratische Alltagskultur entwickeln, deren entscheidender Grundsatzdie Gleichwertigkeit aller Menschen ist. Potenzielle Partner und Partner<strong>in</strong>nenzu f<strong>in</strong>den, sie zu ermutigen und zu unterstützen, ist die zentrale Aufgabe der AmadeuAntonio Stiftung. Wer können diese Partner<strong>in</strong>nen und Partner se<strong>in</strong>? Oder anders8


formuliert: Wer gehört eigentlich zur Zivilgesellschaft, und wer nicht? Dieser Fragekommt <strong>in</strong> der Folge noch e<strong>in</strong>ige Bedeutung zu.Der ländliche Raum hat sich <strong>in</strong> den letzten Jahren entwickelt. E<strong>in</strong>igen <strong>Region</strong>engeht es wirtschaftlich sehr gut, andere haben mit Abwanderung und Überalterungzu tun. E<strong>in</strong>igen ist es gelungen, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrativer Ort für Menschen zu se<strong>in</strong>, auchwenn die Gesellschaft sich ausdifferenziert hat. Bei anderen gibt es dafür wenigerChancen. In manchen Orten stieß der Rechtsextremismus irgendwann auf Widerstandoder Unmut, der es schaffte, ihn unattraktiv werden zu lassen. In anderenist das nicht gelungen. Gel<strong>in</strong>gen oder Missl<strong>in</strong>gen hat mit vielen Aspekten zu tun.Allerd<strong>in</strong>gs spielt die wirtschaftliche Lage meist ke<strong>in</strong>e wesentliche Rolle. Alle Orte<strong>in</strong> ländlichen <strong>Region</strong>en haben sich verändert – <strong>in</strong> ihrer Struktur, ihren Bauten, ihrerBevölkerung. Und unabhängig davon, um welche Veränderung es sich handelt, dieMenschen müssen sie zunächst wohl oder übel akzeptieren. Solche Entwicklungenverlaufen dynamisch oder langsam, je nach den Umständen, doch sie s<strong>in</strong>d – gemessenan der Zeit um den Mauerfall – <strong>in</strong> jedem Fall auffällig und meist auch dramatisch.Alle<strong>in</strong> dies hat dafür gesorgt, dass die Menschen sich dazu verhalten müssen;sie begrüßen diesen Wandel oder wehren sich gegen ihn und sie tun dies unmittelbarerals <strong>in</strong> großen Städten. Es ist e<strong>in</strong> Teil ihrer Alltagskommunikation.Die ZivilgesellschaftDer Begriff Zivilgesellschaft hat e<strong>in</strong>e lange Geschichte. In ihr spiegelt sich, um es starkzu vere<strong>in</strong>fachen, die Geschichte des Aufbegehrens gegen die jeweils herrschendeMacht mit zivilen Mitteln. Ziel dabei war und ist immer mehr, möglichst viele Teileder Gesellschaft <strong>in</strong> die Ausformung der Rechte von Individuen e<strong>in</strong>zubeziehen.Der Adel gegen die absolute Monarchie verlangte Mitbestimmung, das Bürgertumgegen den Adel, das Parlament gegen die Monarchie, die Frauen gegen ihren Ausschlussvom Wahlrecht und so weiter. In der parlamentarischen und repräsentativenDemokratie gibt es auch weiter verme<strong>in</strong>tliche M<strong>in</strong>derheiten, die nach der Ausformungihrer Rechte verlangen. Dabei ist die Gleichstellung und Partizipation derjeweiligen Gruppen stets das Ziel ihrer zivilen Bemühungen. Heute beispielsweises<strong>in</strong>d es Homosexuelle und E<strong>in</strong>wanderer, die nach gleichen Rechten verlangen. Vore<strong>in</strong>igen Jahren waren es Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen, die e<strong>in</strong>e Anpassung desöffentlichen Lebens auf ihre Situation bestanden.Die zivile Gesellschaft, manchmal wird sie auch Bürgergesellschaft genannt,kennt aber auch mittelbare Ziele. So ist die Bewegung zum Umweltschutz <strong>in</strong>zwischenselbstverständlich und hat auch <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht.Die Umwelt kann sich nicht selbst vertreten im Gegensatz zu Menschen, die fürihre Rechte e<strong>in</strong>treten. Deshalb hat die Umweltbewegung unter anderem dafür gesorgt,dass im Gesetz Handlungen zum Nachteil der Umwelt auch strafbar s<strong>in</strong>d,auch wenn die Umwelt selbst sie nicht anzeigen kann. Dies tun Organisationender zivilen Gesellschaft, die ihre Interessen vertreten. Etwas Ähnliches für die demokratischeKultur <strong>in</strong>s Gesetz zu br<strong>in</strong>gen würde es möglich machen, Handlungenunter Strafe zu stellen, die eben diese demokratische Kultur im gesellschaftlichen9


und öffentlichen Leben unmöglich machen. Wäre es zum Beispiel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ortallgeme<strong>in</strong>e Praxis, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht mit dem Schutzder Behörden vor Übergriffen und Schikanen rechnen können, dann könnte e<strong>in</strong>ezivilgesellschaftliche Organisation dies anklagen. Solches Vorgehen würde rasch zurVerbesserung der Standards <strong>in</strong>nerhalb der Institutionen führen, genauso wie es imUmweltschutz zu neuen Normen <strong>in</strong> der Industrie gekommen ist.Doch bevor es soweit ist, müssen die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger bereit se<strong>in</strong>, sich fürsolche Ziele zu engagieren. Damit kommt die Frage auf, wer eigentlich zur Zivilgesellschaftgehört. In e<strong>in</strong>er immer differenzierter arbeitenden Demokratie, <strong>in</strong> derimmer mehr Menschengruppen die Ausformung ihrer Rechte erreichen, könnensich entsprechend auch immer mehr engagieren. Denn dies wird zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellenEntscheidung und muss niemanden ausschließen. In der Geschichte des BegriffsZivilgesellschaft gab es Momente harter gesellschaftspolitischer Gegnerschaft,die kaum e<strong>in</strong> Abweichen aus den jeweiligen Rollen zuließen. Im Konflikt zwischender absoluten Monarchie und dem Bürgertum oder niederem Adel war es kaumvorstellbar, dass der Hof selbst sich für die Rechte der Niederen stark gemacht hätte.Heute aber muss es ke<strong>in</strong>en Gegensatz zwischen Politik und Verwaltung auf dere<strong>in</strong>en Seite und dem Anliegen der Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen auf der anderen Seitegeben. Protestieren Bewohner und Bewohner<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es Ortes gegen Neonazis undverlangen mehr Aufmerksamkeit durch die Kommune, dann muss es ke<strong>in</strong>esfalls heißen,dass alle Personen, die <strong>in</strong> der Kommune arbeiten, gegen e<strong>in</strong>en solchen Protestoder e<strong>in</strong> solches Verlangen wären. Im Gegenteil: der Mitarbeiter e<strong>in</strong>er Verwaltung,e<strong>in</strong>e Parlamentarier<strong>in</strong> oder sogar e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ister können sich für e<strong>in</strong>e solche Forderungstark machen. In diesen Institutionen f<strong>in</strong>den sich viele Menschen, die genauwie andere D<strong>in</strong>ge bewegen und die etwas erreichen wollen. Gerade beim ThemaRechtsextremismus sollte dies Konsens se<strong>in</strong>. Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d alle. ZivileGesellschaft können viele se<strong>in</strong>, nämlich diejenigen, die sich für die Ausformungund den Schutz von Rechten e<strong>in</strong>setzen – auch gegen e<strong>in</strong>e Mehrheitsme<strong>in</strong>ung.Das Handeln von Personen kann selbstverständlich <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne engagiertund mutig se<strong>in</strong>, auch wenn sie im Staatsapparat beschäftigt s<strong>in</strong>d. Gerade auf kommunalerEbene ist es wichtig, solche Personen zu f<strong>in</strong>den und auch sie zu ermutigenund zu unterstützen. Rechtsextremismus zu bekämpfen ist e<strong>in</strong> komplexes Feld. Esreicht nicht, Nazis zu vertreiben. Um e<strong>in</strong>e demokratische Alltagskultur lebendig zumachen, muss sich oft <strong>in</strong> vielen Bereichen des kommunalen Lebens etwas ändernoder weiterentwickeln. Was genau das jeweils se<strong>in</strong> muss, sollten engagierte Bürger<strong>in</strong>nenund Bürger außerhalb und <strong>in</strong>nerhalb der Verwaltungen erdenken. Für manchesbraucht es ke<strong>in</strong>erlei staatliches Handeln, für anderes schon. In manchem kannder Staat beh<strong>in</strong>dernd se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> anderem hilfreich. Allen, die <strong>in</strong> diesem Feld arbeiten,sei also dr<strong>in</strong>gend geraten, hier ke<strong>in</strong>e ideologischen Abgrenzungen vorzunehmen,sondern sich von den Chancen und realen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Kommunikationund Kooperation leiten zu lassen. Anders ist das komplexe Ziel e<strong>in</strong>er Kommunemit e<strong>in</strong>er Alltagskultur ohne Diskrim<strong>in</strong>ierung von Gruppen und Personen nicht zuerreichen. Ist man sich über dieses Ziel im Klaren und darüber, dass es hier ke<strong>in</strong>en10


ideologischen Konflikt geben sollte, dann kann über die Art der Kommunikationund Kooperation nachgedacht werden. Die Amadeu Antonio Stiftung hat sich seitBeg<strong>in</strong>n ihrer Arbeit im ländlichen Raum <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne für e<strong>in</strong>e offene, an denGegebenheiten und Möglichkeiten orientierte Kultur der Zusammenarbeit allerGruppen und Personen e<strong>in</strong>gesetzt.Kommunikation und KooperationWie bereits festgestellt, ist die Kommunikation im ländlichen Raum stets unmittelbarerals <strong>in</strong> der Anonymität der Großstädte. Hier kennen sich die Bewohner<strong>in</strong>nenund Bewohner; sie verb<strong>in</strong>det das Auf und Ab ihres Ortes, die persönlichen Hochsund Tiefs von Nachbarn, Freunden und Freund<strong>in</strong>nen oder sogar Fe<strong>in</strong>den und Fe<strong>in</strong>d<strong>in</strong>nen.Sie s<strong>in</strong>d verbunden mit dem Ort auf e<strong>in</strong>e Art, die <strong>in</strong> der deutschen Spracheam besten mit dem Wort Heimat se<strong>in</strong>en Ausdruck f<strong>in</strong>det. In diesem Wort spiegeltsich Tradition wie Verbundenheit, es assoziiert ebenso die Geme<strong>in</strong>schaft von Menschenwie die Landschaft e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong>. Trotz dieser Reihe positiv besetzter Begriffewaren und s<strong>in</strong>d die Kommunikation und Kooperation nicht immer <strong>in</strong> gleicherWeise positiv. Gerade wenn die Erwartungen an e<strong>in</strong>en Ort als heimatliche Idylle besondersgroß s<strong>in</strong>d, prallen sie ungebremst auf die Probleme des Alltags und des Lebensim Allgeme<strong>in</strong>en. Besonders offensichtlich war die Diskrepanz zwischen Idylleund Realität <strong>in</strong> den Zeiten des Nationalsozialismus. Aus der aggressiven Abwehrgegen alles verme<strong>in</strong>tlich Fremde wurde die Ausgrenzung der eigenen Nachbarnund schließlich ihre Vertreibung und der Mord an ihnen. Diese krasse Diskrepanzhat dafür gesorgt, dass der Heimatbegriff heute ambivalent und umstritten wahrgenommenwird.Die Verteidigung der Idylle um jeden Preis hat gerade die schlimmste Barbarei,zu der Menschen <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, gerechtfertigt oder sogar hervorgebracht. DiesemHeimatbegriff wird bis heute angelastet, dass er Konflikte vermeidet, ausblendet,abwehrt und damit Aggression und Hass potenziert. Der Zivilisationsbruch vonHolocaust und Vernichtungskrieg konnte möglich werden, weil e<strong>in</strong>e konfliktbereitezivile Gesellschaft kaum vorhanden war. Im ländlichen Raum, der als S<strong>in</strong>nbilddeutscher Heimat, deutschen Blutes und deutschen Bodens galt, traf dies besonderszu. E<strong>in</strong>e Kultur von Geme<strong>in</strong>schaft, die Verschiedenheit, Konflikte und Widersprüchlichkeite<strong>in</strong>schließt, zieht heute Schritt für Schritt auch <strong>in</strong> den ländlichenRaum e<strong>in</strong>. Die alte, eher auf Abschottung beruhende Geme<strong>in</strong>schaft ist def<strong>in</strong>itiv e<strong>in</strong>Auslaufmodell. Die Frage ist nur, wie Menschen und Politik mit dieser Tatsacheumgehen. Nehmen sie diese Herausforderung an und gestalten die Zukunft? Oderwehren sie sich, beharren auf Abgrenzung? Wie diese Frage beantwortet wird, sagtviel über die Kommunikation und Kooperation <strong>in</strong>nerhalb des Geme<strong>in</strong>wesens. Inden Kommunen gibt es oft unterschiedliche Auffassungen über das richtige Vorgehen.Daher spielen diejenigen Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e besondere Rolle, dieals Me<strong>in</strong>ungsführer und Me<strong>in</strong>ungsführer<strong>in</strong>nen gesehen werden. Sie können es quaAmt se<strong>in</strong>, so wie Bürgermeister und Bürgermeister<strong>in</strong>nen oder Pfarrer und Pfarrer<strong>in</strong>nen,aufgrund ihres E<strong>in</strong>flusses wie Unternehmer und Unternehmer<strong>in</strong>nen oder11


Redakteure und Redakteur<strong>in</strong>nen, oder als Vertreter und Vertreter<strong>in</strong>nen von traditionsreichenVere<strong>in</strong>en. Andere werden gehört, weil ihre Persönlichkeit sie E<strong>in</strong>flussund Ausstrahlung haben lässt, weil sie beispielsweise besonders organisations- undkonfliktfähig s<strong>in</strong>d.Im öffentlichen Leben <strong>in</strong> der Kommune hängt viel von den Me<strong>in</strong>ungsführernund Me<strong>in</strong>ungsführer<strong>in</strong>nen ab. Oft sogar mehr als von Vertretern und Vertreter<strong>in</strong>nenvon Parteien oder Verbänden. Das ist, neben der größeren Nähe der Menschenuntere<strong>in</strong>ander, e<strong>in</strong> wichtiger Unterschied zwischen dem urbanen und dem ländlichenRaum. Hier werden die Konflikte ausgetragen, das Selbstbild des Ortes bestimmt,verteidigt oder verändert. In kle<strong>in</strong>en Orten aber gelten Konflikte häufig alse<strong>in</strong> Zeichen dafür, dass die erhoffte Geme<strong>in</strong>schaft nicht richtig funktioniert. Deshalbkann es Bemühungen geben, Konflikte kle<strong>in</strong> zu halten, abzuwehren oder garunter den Teppich kehren zu wollen. Obwohl lebendiges Aushandeln von Konfliktenoft weit produktiver und <strong>in</strong>tegrativer für die Kommune ist, erzeugt es bei manchene<strong>in</strong> Gefühl von Unsicherheit oder gar Furcht, <strong>in</strong> diesen Konflikten zu versagenoder zu unterliegen.Bei den Aktivitäten der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus geht es vorallem anderen um demokratische Alltagskultur im Ort, die allen Mitsprache ermöglichtund das Klima im Ort dauerhaft verändert. Demokratische Alltagskulturerprobt sich oft zunächst unabhängig von Strukturen der repräsentativen Demokratieim Ort – bevor sie diese <strong>in</strong>spiriert. Es kann also se<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong> der Zivilgesellschafte<strong>in</strong> Thema diskutiert wird und erst sehr viel später im Prozess der Ause<strong>in</strong>andersetzungdie lokalen Parlamente erreicht und <strong>in</strong> Beschlüssen mündet. DemokratischeKultur, dies sei an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>mal betont, me<strong>in</strong>t das generelle Klima, dieMöglichkeit, offen über Themen sprechen zu können, die die Rechte von M<strong>in</strong>derheitenbetreffen, mit dem Ziel, Standards auszuhandeln, die diese Rechte schützen.Die Frage, ob e<strong>in</strong>e Kommune beispielsweise e<strong>in</strong>e Asylunterkunft als Fremdkörperbekämpft oder sich um deren Bewohner und Bewohner<strong>in</strong>nen bemüht, sagt vielüber den Grad der demokratischen Kultur aus. Das Gleiche gilt beim Rechtsextremismus.Wird er als Problem wahr- und ernstgenommen oder wird er relativiertoder gar entschuldigt als krisenbed<strong>in</strong>gtes Verhalten junger Rebell<strong>in</strong>nen und Rebellen,deren abweichende politische Orientierung auch noch der »großen Politik« angelastetwird? Häufig geht e<strong>in</strong>e solche Haltung gegenüber dem Rechtsextremismusmit dem Wunsch e<strong>in</strong>her, von derlei Problemen nichts an die Außenwelt dr<strong>in</strong>gen zulassen, um so dem Ruf des Ortes nicht zu schaden. Die Identifikation mit dem Ortoder der Verwaltungse<strong>in</strong>heit des Ortes ist dabei oft erstaunlich hoch und geht mitunterweit über das h<strong>in</strong>aus, was mit Heimatort geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> kann, denn viele Kommunenunterliegen <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Verwaltung mit anderen, weiterentfernt liegenden Orten, die wenig mit gewachsenen Strukturen zu tun haben.Alle diese D<strong>in</strong>ge spielen bei der Kommunikation und Kooperation im ländlichenRaum e<strong>in</strong>e große Rolle. Es erfordert von sämtlichen Beteiligten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aushandlungs-und Diskussionsprozess e<strong>in</strong>e solide Kenntnis der Verhältnisse und e<strong>in</strong>ensouveränen Umgang mite<strong>in</strong>ander. Das schließt ke<strong>in</strong>eswegs heftige Kontroversen12


aus. Der erste und wichtigste Schritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kommunikation, die zu Kooperationführen soll, ist zunächst Respekt vor dem Gegenüber – auch um die Furcht vorKonflikten und Veränderungen generell abzubauen. Ebenso wichtig ist es, deutlichzu machen, dass der Ruf e<strong>in</strong>er Kommune umso besser wird, wenn sie sich nicht vorKonflikten drückt, sondern Lösungen dafür anstrebt. Das mag e<strong>in</strong>fach kl<strong>in</strong>gen, istjedoch unter den Bed<strong>in</strong>gungen des ländlichen Raums die größte Herausforderung.Die Bewohner und Bewohner<strong>in</strong>nen mitzunehmen und sie auch <strong>in</strong> anderen Fragenpartizipieren zu lassen, wird so e<strong>in</strong>facher und ist e<strong>in</strong> weiterer Schritt zu e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong>wesen,das sich vor demokratischer Kultur nicht fürchtet, sondern sie vielmehrals Gew<strong>in</strong>n begreift.<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Vorpommern und ZossenDas Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> ist von der Amadeu Antonio Stiftung konzipiert worden,um <strong>in</strong> der Praxis herauszuf<strong>in</strong>den, wie <strong>in</strong> ländlichen <strong>Region</strong>en dem wachsendenE<strong>in</strong>fluss Rechtsextremer am gelungensten entgegengewirkt werden kann. Gerade <strong>in</strong>Ostvorpommern zeigte sich während der Wahlkämpfe, dass die NPD dort sehr aktivist und viele Anhänger und Anhänger<strong>in</strong>nen hat, während sich die demokratischenParteien immer weiter zurückziehen. Die Vernetzung der Rechtsextremen wuchs,die der Demokrat<strong>in</strong>nen und Demokraten war wenig vorhanden. NPD-Mitgliedergaben sich als Kümmerer aus, während die staatlichen Strukturen gerade <strong>in</strong> wenigbesiedelten Gebieten immer mehr ausgedünnt wurden. Klassische Medien und dielokale Öffentlichkeit wie <strong>Region</strong>alzeitungen hatten mit Anzeigenrückgängen undLeserschwund zu kämpfen. Populistische Slogans der NPD griffen Konflikte <strong>in</strong> denKommunen auf, vor denen die standardisierten Antworten der Demokraten undDemokrat<strong>in</strong>nen verblassten. Mit anderen Worten: die Rechtsextremen profitiertenvom allgegenwärtigen Unwillen, sich mit Konflikten ause<strong>in</strong>anderzusetzen. Als dieNPD jedoch beschloss, ihr Pressefest <strong>in</strong> Viereck bei Pasewalk abzuhalten, beganne<strong>in</strong> Wendepunkt. Die Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>, die die Entwicklungder NDP und der Nazikameradschaften bisher eher schweigend missbilligt haben,organisierten nun e<strong>in</strong>e große Gegenveranstaltung mit mehr als 2.000 Teilnehmernund Teilnehmer<strong>in</strong>nen und blieben auch später dem Problem gegenüber aufmerksam.Die Situation <strong>in</strong> Zossen ist anders. Hier gibt es e<strong>in</strong>e lokale rechtsextreme Szeneund aktive Neonazis, jedoch ke<strong>in</strong>e flächendeckend funktionierende Strategie derNPD. Die Nazis s<strong>in</strong>d präsent und auch gewaltbereit, jedoch dom<strong>in</strong>ieren sie nichtdie Kultur im Ort. Die <strong>Region</strong> Zossen ist weniger dünn besiedelt und hat daherke<strong>in</strong>e Probleme mit dem Rückzug kommunikativer oder staatlicher Strukturen.Die Strukturprobleme unterscheiden sich hier kaum von denen anderer <strong>Region</strong>en.Im Gegenteil: der Geme<strong>in</strong>de, der auch verschiedene kle<strong>in</strong>e Ortschaften angehören,geht es wirtschaftlich gut. Durch kle<strong>in</strong>e und größere Unternehmen und Betriebeist hier e<strong>in</strong>e ansehnliche Mittelschicht herangewachsen. Das hat viel Mühe gekostet<strong>in</strong>mitten von Brandenburg, und auch deshalb fürchten die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger,dass es vielleicht nicht so bleiben könnte. Konkrete Gründe braucht es für diese13


Sorge nicht. Der verhältnismäßig gelungene Aufstiegs birgt immer auch e<strong>in</strong>e Angstvor Abstieg.Auch aus diesem Grund reagieren Stadtverwaltung und e<strong>in</strong>flussreiche Bürgerund Bürger<strong>in</strong>nen besorgt, wenn von rechtsextremen Übergriffen berichtet wird. Siesehen dar<strong>in</strong> den Ruf ihrer Stadt und ihres Standortes bedroht und sich Vorwürfenausgesetzt, nicht genug gegen Rechtsextremismus zu tun, oder ihn des Images wegensogar zu verharmlosen. In dieser Rolle gefangen, war es kaum möglich, Allianzenmit jenen zu bilden, die ihre Aufgabe <strong>in</strong> der Bekämpfung des Rechtsextremismussahen. Und umgekehrt konnten Initiativen wie die Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigtGesicht nicht aus der Rolle der Ankläger<strong>in</strong> über die Zustände <strong>in</strong> Zossen heraus, diestets auch e<strong>in</strong>e Kritik an der abwehrenden Haltung der Stadtverwaltung enthielt.So baute sich e<strong>in</strong> Konflikt <strong>in</strong> der Stadt auf, der auch <strong>in</strong> den Medien wahrgenommenwurde. Das führte schließlich dazu, dass die Stadtverwaltung umso heftigerbedrängt wurde, je mehr sie versuchte, die Berichterstattung über Nazivorfälle mitdem H<strong>in</strong>weis darauf abzuwehren, dass Zossen ja noch weit mehr zu bieten habe,worüber sich doch auch positiv berichten ließe.In beiden Orten ist e<strong>in</strong> Prozess <strong>in</strong> Gang gekommen, bei dem Kommunikationund Kooperation e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen. In beiden Orten f<strong>in</strong>den zahlreicheProjekte statt, über die e<strong>in</strong>e neue Art Geme<strong>in</strong>schaft ihren Anfang haben kann. Dochder Weg ist sehr lang. In Zossen ist das Ziel, dass alle Beteiligten die Notwendigkeite<strong>in</strong>er Kooperation der Zivilgesellschaft anerkennen und dass daraus niemand ausgeschlossenbleiben muss, der sich für demokratische Kultur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jeweiligenRolle engagiert. In der <strong>Region</strong> Vorpommern ist das Ziel, mehr Selbstorganisationbei den Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgern zu fördern und weniger Fixierung auf den Staat,der alles zu regeln hat. Dies ist e<strong>in</strong>es der Grundprobleme <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>, die zu langerPassivität geführt und damit den Nazis Erfolge ermöglicht hat. Die Menschen <strong>in</strong>beiden <strong>Region</strong>en haben Grund stolz zu se<strong>in</strong>, auf das, was sie erreicht haben. Darausauch Selbstbewusstse<strong>in</strong> zu schöpfen, ist sehr wichtig. Denn nur mit selbstbewussterSouveränität können die nächsten Schritte <strong>in</strong> die Kommune der Zukunft unternommenwerden, <strong>in</strong> der ke<strong>in</strong> Platz mehr ist für e<strong>in</strong> Klima der Angst, weil sich Menschenvon Nazis bedroht sehen. Wahrsche<strong>in</strong>lich verschw<strong>in</strong>den Rechtsextreme nichte<strong>in</strong>fach. Doch <strong>in</strong> den Kommunen im ländlichen Raum sollte ihnen klar gemachtwerden, dass es hier e<strong>in</strong>en Konsens gibt, der sich klar gegen jede Art von Hass aufM<strong>in</strong>derheiten wendet. Dabei müssen alle mitmachen. Was wir brauchen, ist ebene<strong>in</strong>e <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>.Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstandes der Amadeu Antonio Stiftung. Als erste unde<strong>in</strong>zige Ausländerbeauftragte des Magistrats von Ost-Berl<strong>in</strong> warnte sie e<strong>in</strong>drücklich vorden Gefahren des Rechtsextremismus. 1991 gründete sie die RAA e. V. für die neuen Bundesländer(<strong>Region</strong>ale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie). 1998 gründetKahane die Amadeu Antonio Stiftung und ist seit 2003 deren Kuratoriumsvorsitzende. ImSommer 2002 wurde Anetta Kahane mit dem Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berl<strong>in</strong>ausgezeichnet.14


Engagement <strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>stadt:Wenn Nähe Vorteil und Belastung zugleich istVersicherungsmakler Jörg Wanke engagiert sich im brandenburgischen Zossen gegen Rechtsextremismus.Die Stadt hat 17.500 E<strong>in</strong>wohner<strong>in</strong>nen und E<strong>in</strong>wohner. Lokale hochagressiveKameradschaftsnazis machen dieses Engagement notwendig und nicht gerade ungefährlich.E<strong>in</strong> Gespräch über Motivationen und Frustrationen bei der Arbeit gegen Rechtsextremismusim ländlichen Raum. Das Interview führte Stella H<strong>in</strong>demith.Seit wann und warum engagieren Sie sich gegen Rechtsextremismus?Im Jahre 2008 kam es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Heimatstadt Zossen zu verschiedenen rechtsextremenAktivitäten, die vor allem von den damals noch nicht verbotenen »Freien KräftenTeltow-Fläm<strong>in</strong>g« ausg<strong>in</strong>gen. So bemerkte ich an e<strong>in</strong>em Novemberabend, als ichaus dem Büro kam, e<strong>in</strong>e fast gespenstisch wirkende »Mahnwache« von Rechtsextremenauf dem Zossener Marktplatz. Fackeln tragend marschierten sie vom Platz. Dashätte ich vordem nicht für möglich gehalten und empfand es als e<strong>in</strong>e <strong>Zum</strong>utung!Nachdem ich mit Freunden und Bekannten gesprochen hatte, denen es ähnlichg<strong>in</strong>g, gründeten wir Anfang 2009 die Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht. Das Motiv,mich zu engagieren, war anfangs eher emotional geprägt. Zunehmend gelangteich zu der Überzeugung, dass Rechtsextremismus für die Demokratie e<strong>in</strong>e Gefahrdarstellt. Ich lebe und arbeite <strong>in</strong> der Stadt Zossen und habe damit auch e<strong>in</strong>e Mitverantwortungfür deren demokratischen Bestand und Entwicklung.Wie sieht Ihr Engagement konkret aus?Seit dem Entstehen der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der Sprecherund <strong>in</strong>sbesondere für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Natürlich arbeite ich auch<strong>in</strong> der Bürger<strong>in</strong>itiative bei den verschiedenen Projekten mit: Informations- und Bildungsveranstaltungen,Lesungen, Diskussionsrunden. Derzeit trifft sich die Bürger<strong>in</strong>itiativemonatlich, um über die Projekte zu sprechen. In diesem Jahr befassen wiruns vor allem mit der Aufarbeitung der Geschichte Zossens im Jahre 1933.Das Engagement nimmt neben der Arbeit viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch, mehrere Stundenpro Woche. Aber es ist mehr als Arbeit. In der Bürger<strong>in</strong>itiative hat sich e<strong>in</strong> Kreisvon Menschen gefunden, die sehr effektiv mite<strong>in</strong>ander arbeiten und sich gegenseitigschätzen. Trotz der ernsten Themen wird auch viel gelacht!Wie organisieren und vernetzen Sie sich? Welche Unterstützung erfahren Sie wo?Die Bürger<strong>in</strong>itiative versteht sich als Netzwerk. Hier gilt das Pr<strong>in</strong>zip, dass jeder undjede an den Themen mitwirken und sie gestalten kann. Die Bürger<strong>in</strong>itiative selbst istim Land Brandenburg vernetzt. Wir arbeiten mit dem <strong>Aktion</strong>sbündnis gegen Gewalt,Rechtsextremismus und Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit, hier b<strong>in</strong> ich auch Vorstandsmitglied, demToleranten Brandenburg, der Opferperspektive, den Mobilen Beratungsteam und anderenzusammen. Diese Unterstützung von außen war gerade <strong>in</strong> den Aufbaujahren der15


Bürger<strong>in</strong>itiative sehr wichtig. Heute nutzen wir die guten Kontakte vor allem, wennes konkrete Fragen gibt. Nur durch diese Zusammenarbeit im Land Brandenburg,oft auch als »Brandenburger Weg« <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Rechtsextremismusbezeichnet, konnte die Bürger<strong>in</strong>itiative entstehen und sich festigen.Persönlich erhalte ich viel Unterstützung <strong>in</strong> der Bürger<strong>in</strong>itiative. Aber auch durchZossener Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen, die mich oft fragen, ob sie helfen können.Auf welche Widerstände oder Probleme stoßen Sie?Von Beg<strong>in</strong>n an wurde die Bürger<strong>in</strong>itiative <strong>in</strong> der Stadt Zossen von Teilen der Politikund von der Bürgermeister<strong>in</strong> der Stadt als Störfaktor betrachtet. Ursache hierfürist vor allem die unterschiedliche Bewertung des Rechtsextremismusproblems <strong>in</strong>der Stadt, aber auch der Umgang damit. Immer wieder wird uns vorgeworfen, dasswir den Rechtsextremismus unnötig aufbauschen oder überbewerten. Aber auchunsere Konzepte gegen den Rechtsextremismus, die sich vor allem für e<strong>in</strong>e lebendigedemokratische Kultur e<strong>in</strong>setzen, wurden nicht unterstützt oder sogar abgelehnt.Besonders deutlich wurde das bei dem Versuch des Wiederaufbaus des Hauses derDemokratie, das durch e<strong>in</strong>en rechtsextremen Brandanschlag Anfang 2010 völlig zerstörtwurde. Hier wurde argumentiert, e<strong>in</strong> Haus der Demokratie <strong>in</strong> Zossen sei nichtnotwendig, da man schon das Rathaus hätte.Werden Sie von Rechtsextremen bedroht?Die Strategie der rechtsextremen »Freien Kräfte Teltow Fläm<strong>in</strong>g« war <strong>in</strong> Zossen immervorrangig auf Gewalt ausgerichtet. Die Bürger<strong>in</strong>itiative sollte e<strong>in</strong>geschüchtertund von ihrem Engagement abgebracht werden. Dabei war die politische Arbeitzur Durchsetzung rechtsextremer Zielstellungen zweitrangig. Der Brandanschlagauf das Haus der Demokratie, Morddrohungen gegen Mitglieder der Bürger<strong>in</strong>itiative,Sachbeschädigungen <strong>in</strong> Form von e<strong>in</strong>geschlagenen Fensterscheiben und gesprengtenBriefkästen, Schändungen von Denkmälern und den Zossener Stolperste<strong>in</strong>ensowie unzählige Farbschmierereien traten von 2009 bis 2012 immer wieder auf. Sowurde über e<strong>in</strong>en langen Zeitraum e<strong>in</strong>e Bedrohungssituation geschaffen und auchich musste lernen, mit diesen teilweise sehr persönlichen Angriffen umzugehen. E<strong>in</strong>Tiefpunkt war dabei der Angriff auf unser privates Haus Ende letzten Jahres.Wie gehen Sie damit um?Natürlich gehen diese Gewalttaten nicht spurlos an mir vorbei. Mit der Angst lebenlernen musste ich <strong>in</strong>sbesondere nach dem Anschlag auf unser Haus, der noch immerunaufgeklärt ist. Im Laufe der Zeit haben sich zwei Strategien des Umgangs mitdieser Angst herausgebildet. Erstens gibt es e<strong>in</strong>e große Solidarität <strong>in</strong>nerhalb der Bürger<strong>in</strong>itiativegerade <strong>in</strong> solchen Situation. Schnell wird e<strong>in</strong> Treffen organisiert, überdie Vorfälle gesprochen und Maßnahmen des gegenseitigen Schutzes besprochen.E<strong>in</strong>e große Rolle spielt dabei auch die Hilfe die aus dem Landkreis Teltow-Fläm<strong>in</strong>g,den befreundeten Initiativen aus den Nachbarorten und dem Land Brandenburgkommt. Die Landesregierung, wie auch das Tolerante Brandenburg, hat sich immer16


sofort gemeldet, wenn es e<strong>in</strong>e schwierige Situation <strong>in</strong> Zossen gab. Zweitens stellenwir nach derartigen Gewalttaten sofort Öffentlichkeit her und <strong>in</strong>formieren dieregionalen und überregionalen Medien. Die Öffentlichkeit ist e<strong>in</strong> wichtiger Schutz.Natürlich s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Lebensgefährt<strong>in</strong>, die selber seit langer Zeit <strong>in</strong> der Bürger<strong>in</strong>itiativeaktiv ist, und me<strong>in</strong>e Familie wichtige Hilfen. Ohne diese Unterstützung wäree<strong>in</strong> solches, teilweise gefahrvolles, Engagement nicht möglich.Welche Vorteile und welche Nachteile sehen Sie dar<strong>in</strong>, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>stadt gegenRechtsextremismus zu engagieren?Hier sehe ich zuerst die Vorteile: die Akteure und Akteur<strong>in</strong>nen, die gegen denRechtsextremismus e<strong>in</strong>treten, kennen sich besser, auch die Motive und Interessendes Handelns s<strong>in</strong>d bekannt. Entscheidend ist jedoch der enge Bezug zur überschaubarenStadt oder <strong>Region</strong>. Die Resultate des Engagements s<strong>in</strong>d deutlicher spür- undsichtbar, man hat das berechtigte Gefühl, etwas bewegen oder erreichen zu können!Nachteilig ist die ständige Belastung und Konfrontation mit den Konflikten, diedas Engagement mit sich br<strong>in</strong>gt. Es gibt weniger Rückzugsmöglichkeiten und manwird <strong>in</strong> allen Bereichen des Lebens, bei der Arbeit, im Sportvere<strong>in</strong>, bei anderenkommunalpolitischen Aktivitäten, etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bürger<strong>in</strong>itiative, die sich um e<strong>in</strong><strong>in</strong>frastrukturelles Problem kümmert, mit dem Engagement gegen Rechtsextremismus<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht. Und das häufig nach me<strong>in</strong>er Erfahrung nicht immerpositiv. Diese Konflikte vor Ort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>stadt, die Beschimpfungen von Teilender Politik als »Nestbeschmutzer« oder »Hassprediger«, weil wir e<strong>in</strong> Problem <strong>in</strong> derStadt benannt haben, kosteten <strong>in</strong> der Vergangenheit mehr Kraft und Zeit als dieAuse<strong>in</strong>andersetzung mit den Rechtsextremen.Seit anderthalb Jahren beteiligen Sie sich am Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>. Welche positivenEntwicklungen gab es aus Ihrer Sicht <strong>in</strong>nerhalb dieses Zeitraums <strong>in</strong> Zossen?Das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> hat die politische Kultur <strong>in</strong> Zossen entscheidend bereichert.Es entwickelten sich neue <strong>Aktion</strong>sformen und Herangehensweisen. Zudemwurden völlig neue Gesprächspartner und Gesprächspartner<strong>in</strong>nen erschlossen. Esgibt auch spürbare atmosphärische Änderungen <strong>in</strong> der Stadt. Die von dem Projektgenutzten <strong>Aktion</strong>sformen kommen bei den Bürgern und Bürger<strong>in</strong>nen an undschaffen neue Zugänge.Jörg Wanke gründete im Januar 2009 geme<strong>in</strong>sam mit anderen die Bürger<strong>in</strong>itiative Zossenzeigt Gesicht. Seitdem ist er e<strong>in</strong>er der Sprecher der Initiative und vor allem für die Öffentlichkeitsarbeitzuständig. Jörg Wanke ist außerdem Vorstandsmitglied des <strong>Aktion</strong>sbündnissesBrandenburg. Er arbeitet seit 1990 <strong>in</strong> Zossen als selbstständiger Versicherungsmaklerund gehört ke<strong>in</strong>er Partei an.17


I. Die Bedeutungvon Kommunikationbei derBekämpfungvonRechtsextremismusim ländlichenRaumFoto: René Fietzek


Besonderheiten von Kommunikationim ländlichen Raum OstdeutschlandsJohannes StaemmlerIm Spiegel der öffentlichen Wahrnehmung sieht der ländliche Raum Ostdeutschlandslandschaftlich hübsch, aber sozial düster aus. Als charakteristisch werden derWegzug der Jüngeren und Überalterung der lokalen Gesellschaft, die Häufungrechtsextremer Vorfälle, Arbeitslosigkeit, niedrige Wahlbeteiligung, ger<strong>in</strong>ge Zustimmungzu demokratischen Institutionen und unterdurchschnittliches zivilgesellschaftlichesEngagement angeführt. Dieser Beitrag betrachtet den ländlichenostdeutschen Raum als e<strong>in</strong> Zusammenspiel kommunikativer Arenen, die vor großeHerausforderungen gestellt s<strong>in</strong>d.Kommunikation im ländlichen Raum ist geprägt durch die relative Nähe dermite<strong>in</strong>ander Kommunizierenden und durch den geme<strong>in</strong>samen Rückgriff auf ähnlicheVorstellungen von Geme<strong>in</strong>schaft und Kultur sowie auf geme<strong>in</strong>same Erfahrungen<strong>in</strong> der Vergangenheit. Über die Familie h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d es für die Bürger<strong>in</strong>nenund Bürger drei kommunikative Arenen, die von zentraler Bedeutung s<strong>in</strong>d für dieHerstellung von S<strong>in</strong>nzusammenhängen. Es s<strong>in</strong>d gleichzeitig jene Bereiche, die fürpolitische Willensbildung und Engagement wichtig s<strong>in</strong>d. Das s<strong>in</strong>d Staat und Politik,Zivilgesellschaft und Medien.Überall da, wo gehäuft mentales oder physisches Exit-Verhalten auftritt, steigt dieGefahr der Ausbreitung rechtsextremer Gedanken und Handlungen, da diese ke<strong>in</strong>eausreichende Entgegnung f<strong>in</strong>det. Jeder Bürger und jede Bürger<strong>in</strong> entscheidet sich,bewusst oder nicht, zwischen den Optionen, sich physisch oder mental e<strong>in</strong>er sozialenSituation zu entziehen oder dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Standpunkt zu formulieren und sich <strong>in</strong>die Interaktion mit anderen Menschen zu begeben. Aber wer s<strong>in</strong>d die Bürger undBürger<strong>in</strong>nen, die vor Ort vor die Entscheidung gestellt werden, sich zu entziehenoder sich zu bekennen?Es s<strong>in</strong>d diejenigen, die mit wenig Demokratieerfahrung 1990 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> System gekommens<strong>in</strong>d, was sie mit e<strong>in</strong>er Vielzahl von Entbehrungen konfrontiert hat. Dievielen Chancen der Nach-1990-Zeit konnten im ländlichen Raum nicht genutztwerden. Dazu kommt e<strong>in</strong> negatives und medial multipliziertes Image sozial verödeterLandstriche. Oft fehlen Erfahrungen mit Engagement, Diskussion und Protest.Die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger s<strong>in</strong>d es nicht gewohnt, ihr Leben und ihre Umweltdurch aktives E<strong>in</strong>greifen zu gestalten.Rechtsextremismus ist hier auch e<strong>in</strong>e Folge anderer gesellschaftlicher Trends, die<strong>in</strong> der Gesellschaft für kommunikative Lücken sorgen: Der demografische Wandelmit der Überalterung der Gesellschaft bei gleichzeitigem Wegzug der Jüngeren, Gebildeteren,die De-Industrialisierung Ostdeutschlands seit 1990, die Arbeitslosigkeit20


Ostdeutschland: »Im Spiegel der öffentlichen Wahrnehmung landschaftlich hübsch, abersozial düster.«Foto: Peter van Heesenzur Folge hatte, e<strong>in</strong>e eher schablonenhafte Aufarbeitung der DDR-Geschichte, etwadie unh<strong>in</strong>terfragte Darstellung als »antifaschistischer Staat«, obwohl dies nur perDoktr<strong>in</strong> verordnet war und ke<strong>in</strong>eswegs durch Aufarbeitung der NS-Zeit unterfüttert.Dazu kommen e<strong>in</strong> mangelndes Verständnis und die mangelnde Übung dar<strong>in</strong>,was demokratische Teilhabe eigentlich bedeutet.Rechtsextremismus <strong>in</strong> Ostdeutschland ist nicht nur, aber auch, e<strong>in</strong> kommunikativesProblem. Dabei gibt es zwei Dimensionen, die vone<strong>in</strong>ander zu trennen s<strong>in</strong>d:Rechtsextremismus äußert sich als Werthaltung und als entsprechende Handlung.E<strong>in</strong>en Indikator für Handlungen f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Statistiken der Polizei, die Gewalt-und Propagandadelikte mit rechtsextremem H<strong>in</strong>tergrund registrieren. Auchwenn die Dunkelziffer höher liegt als die offiziellen Statistiken zeigen, so sprechendiese schon e<strong>in</strong>e starke Sprache. In Ostdeutschland und besonders <strong>in</strong> der ostdeutschenProv<strong>in</strong>z werden überdurchschnittliche viele Gewaltakte und Propagandadelikteverübt, denen rechtsextreme Motive zugrunde liegen (Jaschke 2011). Auskommunikativer Sicht erzielen diese Handlungen e<strong>in</strong>e doppelte Wirkung. Diedirekten Handlungen s<strong>in</strong>d Ausdruck von Menschenverachtung und die direktenAdressat<strong>in</strong>nen und Adressaten müssen häufig um ihre physische und psychischeUnversehrtheit bangen. Diese Wirkung wird aber medial noch e<strong>in</strong>mal multipliziert.Damit entsteht <strong>in</strong> kommunikativer H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e Verdichtung von Begriffen, die21


Ostdeutschland und Rechtsextremismus als Wortpaar s<strong>in</strong>nhaft mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det.So entsteht vorauseilende Abschreckung und E<strong>in</strong>schüchterung.Was wir vorf<strong>in</strong>den ist der Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Schweigespirale (Noelle-Neumann/Petersen2008). Bei kontroversen und moralisch aufgeladenen Themen, zu denen Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit,wirtschaftlicher Abschwung und Rechtsextremismus zählen, bestehtgenerell e<strong>in</strong> Bedürfnis nach medialer Bearbeitung und Austausch. Wenn diesemediale Bearbeitung aber nicht als ausgewogen wahrgenommen wird, könnenMehrheiten sich ausgeschlossen fühlen und zu den besprochenen Themen schweigenaus Angst vor sozialer Isolation. Es kann dazu führen, dass es unausgesprocheneund mehrheitlich geteilte Ansichten gibt, die nicht zur Sprache kommen, da derenTräger aus Angst vor Bloßstellung sich nicht trauen, das Wort zu ergreifen. Der Rufnach dem »Aufstand der Anständigen« ist das oft wiederholte Plädoyer an dieseschweigende Mehrheit, von der angenommen wird, dass sie e<strong>in</strong>en Beitrag zur Debatteüber Rechtsextremismus leisten könnte, wenn sie nicht e<strong>in</strong>geschüchtert se<strong>in</strong>würde, <strong>in</strong> lokalen Kontexten bedroht oder isoliert zu werden.Wenn wir Rechtsextremismus aber auch als Werthaltung begreifen, dann könnenwir uns dem über die Forschung zur »politischen Kultur« annähern (Jaschke2011). Diese befragt Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen kont<strong>in</strong>uierlich zu ihren E<strong>in</strong>stellungen<strong>in</strong> Bezug auf Demokratie, Institutionen, Vertrauen und ähnlichem. Dabei f<strong>in</strong>denForscher und Forscher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der ostdeutschen Prov<strong>in</strong>z häufig e<strong>in</strong> erhöhtes rechtsextremesE<strong>in</strong>stellungspotential (Botsch 2007), was sich etwa <strong>in</strong> latenter Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeitausdrückt. Auch das Vertrauen <strong>in</strong> demokratische Institutionen sowiedas Wirtschaftssystem ist hier niedriger ausgeprägt als im Bundesdurchschnitt. Dasist nicht untypisch für Staaten, die <strong>in</strong> ihrer jüngeren Vergangenheit e<strong>in</strong>e Transformationdes politischen Systems erlebt haben, <strong>in</strong> dem es gehäuft zu Unsicherheitenund Enttäuschungen gekommen ist (Jaschke 2011). Diese Transformationen br<strong>in</strong>genimmer »Gew<strong>in</strong>ner und Gew<strong>in</strong>ner<strong>in</strong>nen« und »Verlierer und Verlierer<strong>in</strong>nen« hervor,wovon letztere anfälliger für radikale Lösungen s<strong>in</strong>d. In dieses Unsicherheitsgefühlstoßen rechtsextreme Deutungsangebote im Rahmen von Wahlkämpfen, aber auchim alltäglichen Gespräch. »Wissenschaftler s<strong>in</strong>d unterschiedlicher Auffassung, ob etwadas Aufwachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em autoritären Staat, das familiäre Umfeld, ger<strong>in</strong>ge Bildung oderGewalterfahrung <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit ausschlaggebend s<strong>in</strong>d oder eher wirtschaftliche Benachteiligung,Armut und Arbeitslosigkeit.« (Kröhnert/Kl<strong>in</strong>gholz 2007: 67) Beides spielt aber<strong>in</strong> der ostdeutschen Prov<strong>in</strong>z zusammen und h<strong>in</strong>terlässt vor allem junge, schlechtausgebildete Männer mit hohem Frustrationspotenzial.Jenseits der rechtsextremen Straftaten, deren bewusster oder unbewusster Effektdie E<strong>in</strong>schüchterung ist, treten Rechtsextreme gezielt <strong>in</strong> die kommunikativen Lükken, die <strong>in</strong> den drei gesellschaftlichen Bereichen – Politik, Zivilgesellschaft, Medien– entstanden s<strong>in</strong>d. Immer da, wo durch den physischen oder mentalen Exit derlokalen Bevölkerung kommunikative Brachen entstehen, bieten sich Möglichkeitenfür Nazis, diese zu füllen. Sie übernehmen Aufgaben <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en und FreiwilligenFeuerwehren, sie stellen Medien bereit, die sche<strong>in</strong>bar die Sorgen der Menschen aufgreifen,sie bieten Parteien an, die latente Ängste formulieren und sie s<strong>in</strong>d auf öffent-22


lichen Veranstaltungen präsent, <strong>in</strong>dem sie bei öffentlichen Veranstaltungen störenund sagen, »was doch mal gesagt werden muss« (Botsch 2007: 37).Was tun, um die Situation zu verbessern? Wichtig ist, den Menschen vor Ort positiveErfahrungen zu ermöglichen und diese sichtbar zu machen. Dabei könnenPolitik, Zivilgesellschaft und Medien e<strong>in</strong>en Beitrag leisten, <strong>in</strong>dem sie zu allererst dielokale Bevölkerung ernst nehmen und kont<strong>in</strong>uierlich Gelegenheiten entwickeln,Positionen und Me<strong>in</strong>ungen auch zu äußern. Die Chance lokaler Kommunikationliegt <strong>in</strong> der Nähe der verschiedenen Akteure und Akteur<strong>in</strong>nen zue<strong>in</strong>ander. Vere<strong>in</strong>e,Stammtische, Parteien und lokale Zeitung müssen sich nicht erst f<strong>in</strong>den, sie kennensich. Ihre Öffnung für Menschen, die bisher von ihrer eigenen Stimme kaumGebrauch gemacht haben, ist e<strong>in</strong> Weg zu mehr Integration. E<strong>in</strong> zweiter Weg istdas Aufgreifen von Themen, die für e<strong>in</strong>zelne Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger von Bedeutungs<strong>in</strong>d. So kle<strong>in</strong> diese Themen se<strong>in</strong> mögen, die Menschen erkennen ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten,wenn es um sie geht und sie das Gefühl haben, gehört zuwerden. Im Prozess der Artikulation, der Debatte und des Austauschs nutzen sichExtreme ab und die Fähigkeit nimmt zu, sich auch mit rechtsextremen Positionenause<strong>in</strong>ander zu setzen und diesen zu entgegnen.Literatur und QuellenBotsch, Gideon (2007): Was ist Rechtsextremismus? In: Julius Schoeps, Gideon Botsch, ChristophKopkem Lars Rensmann (Hg.). Rechtsextremismus <strong>in</strong> Brandenburg. Handbuch für Analyse, Präventionund Intervention. Berl<strong>in</strong>: Verlag für Berl<strong>in</strong>-Brandenburg.Jaschke, Hans-Gerd (2011): Analyse der politischen Kultur Brandenburgs im H<strong>in</strong>blick auf ihredemokratiestützende oder demokratieproblematische Wirkung. Im Auftrag der Enquete-Kommission»Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und desÜbergangs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg« des Landtags Brandenburg.Kröhnert, Steffen; Re<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>gholz (2007): Not am Mann. Von Helden der Arbeit zur neuenUnterschicht? Berl<strong>in</strong>-Institut für Bevölkerungsforschung.Noelle-Neumann, Elisabeth; Thomas Petersen (2008): The Spiral of Silence and the Social Natureof Man. In: Ly<strong>in</strong>da Lee Kaid (Hrsg.) Handbook of Political Communication Research. NewYork/London: Routledge. S. 339-356.Johannes Staemmler, Politikwissenschaftler, wurde 1982 <strong>in</strong> Dresden geboren. Er war Doktorandan der Freien Universität Berl<strong>in</strong> und Stipendiat der Hertie School of Governanceund IFOK. Se<strong>in</strong> Promotionsthema lautete: Zivilgesellschaft <strong>in</strong> strukturschwachen Städten.Johannes Staemmler ist Mit<strong>in</strong>itiator von 3te Generation Ostdeutschland und arbeitetderzeit für die Leibniz-Gesellschaft.Die komplette Expertise f<strong>in</strong>den Sie im Netz.http://7.ly/pTV23


»Kommunikation gegen Rechtsextremismus:e<strong>in</strong>e andere Me<strong>in</strong>ung und Widerstand sichtbarmachen«Der Soziologe Sighard Neckel über rechtsautoritäre Traditionen <strong>in</strong> Deutschland, das Phänomendes Lokalismus und die Bedeutung öffentlicher Debatten <strong>in</strong> lokalen Kontexten. DasInterview führte Marion Kraske.Rechtsextremismus ist im Osten und Westen der Republik verbreitet. Was ist dasSpezifische <strong>in</strong> den neuen Bundesländern?Im Unterschied zum Westen gab es <strong>in</strong> Ostdeutschland seit 1933 ke<strong>in</strong>e demokratischeTradition. Damit hatte der westdeutsche Widerstand der Zivilgesellschaft gegenrechtsextreme Tendenzen bessere Voraussetzungen, weil man an Protestbewegungenund Demokratisierungsbestrebungen anknüpfen konnte, zum<strong>in</strong>dest seit den1960er Jahren. Im Osten hat es Formen der demokratischen Selbstregierung auchnach 1949 kaum gegeben. Immerh<strong>in</strong> existierte hier die Bürgerbewegung, die e<strong>in</strong>wichtiger Markste<strong>in</strong> für die Entwicklung demokratischen Bewusstse<strong>in</strong>s war. DasProblem war allerd<strong>in</strong>gs, dass <strong>in</strong> den 1990er Jahren der Rechtsextremismus von vielen<strong>in</strong> Ostdeutschland zunächst als Reaktion auf die Vere<strong>in</strong>igung gedeutet wurde. Es hatdann fast zehn Jahre gedauert, bis diese vorherrschende Deutung überwunden warund deutlich wurde, dass die Entstehung des Rechtsextremismus gerade auch <strong>in</strong> denautoritären Traditionen Ostdeutschlands ihre Wurzel hat.Sie haben <strong>in</strong> Ihrem Buch Waldleben die Transformation e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>stadt <strong>in</strong> Brandenburgnachgezeichnet. Dar<strong>in</strong> beschreiben Sie die Akteure und Akteur<strong>in</strong>nen derneuen Zivilgesellschaft. Wie ist es um diese heute bestellt?Historisch betrachtet hat sich die Zivilgesellschaft hier sehr spät entwickelt. Dennochist festzuhalten, dass der Protest zunächst gegen das DDR-Regime und nachherauch gegen rechtsextreme Entwicklungen mit e<strong>in</strong>em viel größeren Risiko undviel höherem Ausmaß an Mut verbunden war als anderswo. Der Widerstand gegenrechtsextreme Tendenzen mit se<strong>in</strong>en vielfältigen Initiativen verdient daher denvollsten Respekt, weil die Bed<strong>in</strong>gungen ungleich schwieriger waren als <strong>in</strong> Westdeutschland.In e<strong>in</strong>igen <strong>Region</strong>en ist dieser Widerstand auch bis heute eher kümmerlich. In Vorpommernetwa erzielt die NPD ihre höchsten Wahlergebnisse. Warum?Man muss <strong>in</strong> die Geschichte blicken: Der Nationalsozialismus traf gerade im deutschenNordosten auf e<strong>in</strong>e breite Zustimmung, auch der Antisemitismus – obwohles dort kaum Juden gab. Solche historischen Traditionsl<strong>in</strong>ien f<strong>in</strong>den sich auch imWesten, etwa <strong>in</strong> der Lüneburger Heide, wo die Nationalsozialisten leichtes Spiel hatten.Bis <strong>in</strong> die 1960er Jahre war die NPD hier ungeheuer stark. Diese Traditionsl<strong>in</strong>ienverb<strong>in</strong>den sich heute mit aktuellen Entwicklungen. Nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung24


kam es vor allem <strong>in</strong> den ländlichen <strong>Region</strong>en Ostdeutschlands zu e<strong>in</strong>er Konzentrationsozialer Verlierergruppen, ger<strong>in</strong>g Qualifizierte, Arbeitslose blieben da, während alljene, die über e<strong>in</strong>e bessere Ausbildung verfügten, wegzogen. Diese Entvölkerung hatdazu geführt, dass vor allem jene geblieben s<strong>in</strong>d, die anderswo die ger<strong>in</strong>gsten Berufschancengehabt hätten. Unter ihnen ist der Rechtsextremismus besonders stark, dieFremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit dient ihnen als Erklärungsmuster für die eigene soziale Notlage.Wie stellt sich <strong>in</strong> ländlichen Gegenden das Verhältnis der Bevölkerung zum Staat dar?Die Bevölkerung war zu DDR-Zeiten schon staatsabhängig, so dass es vielen so vorkommt,als seien sie von e<strong>in</strong>er Abhängigkeit <strong>in</strong> die nächste gewechselt. Heute ersche<strong>in</strong>tvielen der Staat als sozialpolitischer Diszipl<strong>in</strong>arstaat, der e<strong>in</strong>e starke Kontrolleausübt. Gleichzeitig wird die DDR verklärt, <strong>in</strong>dem man ihr nachsagt, sie habe diesozial Schwächeren wie selbstverständlich mitgezogen. Tatsache ist: Zu DDR-Zeitenwurden diese Gruppen nicht bedrängt, man hat ihnen ihre E<strong>in</strong>stellungen, ihre Weltsichtbelassen. So war unter der Decke des Internationalismus e<strong>in</strong> gewisses Maß anNationalismus selbstverständlich, den etwa auch die polnischen Nachbar<strong>in</strong>nen undNachbarn zu spüren bekommen haben. Diese E<strong>in</strong>stellungen und Deutungsmusterhaben sich von e<strong>in</strong>er Generation zur anderen übertragen. Sie wirken bis heute nach– paradoxerweise auch <strong>in</strong> jenen, die die DDR gar nicht mehr aktiv erlebt haben.Nur allzu oft bricht sich gerade <strong>in</strong> ländlichen <strong>Region</strong>en der Lokalismus Bahn: AllesBöse kommt von außen. Was steckt dah<strong>in</strong>ter?Das ist e<strong>in</strong>e weit verbreitete E<strong>in</strong>stellung, die <strong>in</strong> allen eher geschlossenen Gruppierungenauf der ganzen Welt zu beobachten ist. Im ländlichen Raum ist sie jedochbesonders ausgeprägt. In der ostdeutschen Transformationsgeschichte wurde derWesten dafür verantwortlich gemacht, von außen alles Schlechte e<strong>in</strong>geschleppt zuhaben. Obwohl die deutsche Vere<strong>in</strong>igung die Lebensqualität verbessert und Freiheitgebracht hat, hat sie <strong>in</strong>folge der De<strong>in</strong>dustrialisierung auch Verlierergruppenproduziert. Betroffen s<strong>in</strong>d ger<strong>in</strong>ger Qualifizierte und ältere Jahrgänge, die e<strong>in</strong>e langeZeit der Beschäftigungslosigkeit und Sche<strong>in</strong>beschäftigung <strong>in</strong> Qualifizierungsmaßnahmendurchzustehen hatten. In diesen Gruppen entstand e<strong>in</strong> gehöriges Maß anGroll, e<strong>in</strong>e Art gehemmte Wut – gerade <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren Städten, die nicht <strong>in</strong> demMaße von der Öffnung profitierten wie das <strong>in</strong> Leipzig oder Dresden der Fall war.Nach e<strong>in</strong>er neuen Studie über rechtsextreme E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> der Gesellschaft sprechensich 15,3 Prozent der Westdeutschen und 19,4 Prozent der Ostdeutschen füre<strong>in</strong>e starke Partei aus, die die »Volksgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong>sgesamt verkörpert«. Immerh<strong>in</strong>9,4 Prozent (West) und 12,4 Prozent (Ost) wollen e<strong>in</strong>en »Führer, der Deutschlandzum Wohle aller mit starker Hand« regiert. Haben wir es im vere<strong>in</strong>ten Deutschlandversäumt, den Wert der Demokratie zu vermitteln?Zunächst e<strong>in</strong>mal: Ich b<strong>in</strong> mir nicht sicher, ob die Ergebnisse <strong>in</strong> Italien, Spanienoder Österreich nicht ähnlich hoch wären. Fest steht aber: Das Ressentiment gegendemokratische Institutionen und gegen die Demokratie als solche verb<strong>in</strong>det25


sich heute auch mit den Verwerfungen, die im Kontext der europäischen Krise entstandens<strong>in</strong>d. Davon ist nicht nur Ostdeutschland, sondern <strong>in</strong> erheblichem Maßeauch Westdeutschland betroffen. Hier hat sich e<strong>in</strong>e öffentliche Armut ausgebildet,<strong>in</strong>folge derer e<strong>in</strong>zelne Kommunen kaum noch <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, die öffentliche Versorgungüber Museen, Schwimmbäder, Bibliotheken und ähnliches zu garantieren.Und so haben sich zwanzig Jahre nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung antidemokratischeRessentiments längst durch viele andere Themen angereichert, die <strong>in</strong>sbesondere mitder europäischen Integration zu tun haben.Gibt es so etwas wie e<strong>in</strong>e Krise des demokratischen Bewusstse<strong>in</strong>s? Anders ausgedrückt:E<strong>in</strong>e Entwicklung h<strong>in</strong> zur Postdemokratie?Das bezweifele ich. Es gibt ja auch Kritik, etwa an der EU, die gerade im Namender Demokratie geäußert wird. Da wird Brüssel nicht ohne Berechtigung als zu wenigdemokratisch legitimiert kritisiert. E<strong>in</strong> entscheidender Punkt aber ist der, dasses der deutschen Demokratie gelungen ist, rechtsextreme und rechtspopulistischeParteien an e<strong>in</strong>er wesentlichen Mitwirkung und Repräsentanz <strong>in</strong> den Parlamentenzu h<strong>in</strong>dern. Anders ausgedrückt: Man hat es geschafft, diese Tendenzen parlamentarische<strong>in</strong>zudämmen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist dies e<strong>in</strong>entscheidender Verdienst der deutschen Demokratie, e<strong>in</strong> Erfolg des demokratischenBewusstse<strong>in</strong>s – auch wenn e<strong>in</strong>zelne Kommunen <strong>in</strong> der Fläche beziehungsweise <strong>in</strong>den Landkreisen Ostdeutschlands diesbezüglich e<strong>in</strong>e Ausnahme bilden. Hier hatdie NPD e<strong>in</strong>e Bedeutung, die sie <strong>in</strong> Deutschland ansonsten aber nicht hat.Eben <strong>in</strong> diesen Gegenden versuchen zivile Akteur<strong>in</strong>nen und Akteure wie dieAmadeu Antonio Stiftung mit Maßnahmen wie <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> Demokratisierungsanschübezu leisten. Wie wichtig ist so e<strong>in</strong> Impuls von außen?Es ist s<strong>in</strong>nvoll, wenn e<strong>in</strong> derartiger Impuls von außen kommt. Man muss dabeiaber sehr behutsam vorgehen. Es darf nicht se<strong>in</strong>, dass die lokale Bürgerschaft <strong>in</strong> dieSolidarität mit ihren schwarzen Schafen getrieben wird. Das konnte ich vor Jahren<strong>in</strong> Waldleben beobachten. Dort fühlten sich die Menschen von außen angegriffen.Umso wichtiger ist es, dass Impulsgeber oder Impulsgeber<strong>in</strong> <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die vorf<strong>in</strong>dbarenlokalen Akteure und Akteur<strong>in</strong>nen, die sich gegen den Rechtsextremismuswenden, unterstützen und <strong>in</strong>tegrieren. Ke<strong>in</strong>esfalls sollten man den Rechtsextremendas Geschäft so erleichtern, dass man die Kommune als Ganzes angreift und sichdie Rechtsextremen – angesichts e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlichen kollektiven Angriffs von außen– als Verteidiger und Verteidiger<strong>in</strong>nen des gesamten Geme<strong>in</strong>wesens aufspielenkönnen. Es muss klar getrennt werden zwischen dem rechtsextremen Milieu undden Gruppierungen, die es stützen – e<strong>in</strong>erseits – und den Kommunen als Ganzesandererseits.Was können Maßnahmen zur Demokratisierung bewirken?Sie bewirken sehr viel, wenn sie dafür sorgen, dass öffentlich sichtbar e<strong>in</strong>e andereMe<strong>in</strong>ung kundgetan wird. Gerade <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Städten und auf dem Land ist es so,26


dass rechtsextreme und demokratiefe<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>stellungen als lokales Selbstverständnispräsentiert werden und auch ersche<strong>in</strong>en, vor allem dadurch, dass Neonazisden öffentlichen Raum durch Gewalt, durch Aufmärsche, durch das Auftrumpfen<strong>in</strong> Kneipen oder <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en erobern. In solchen lokalen Zusammenhängen istschon viel gewonnen, wenn e<strong>in</strong>e andere Me<strong>in</strong>ung sichtbar und kommunizierbarwird. Damit wird der Alle<strong>in</strong>vertretungsanspruch der Rechtsextremen gebrochen.Debatte ist also <strong>in</strong>tegraler Bestandteil der Arbeit gegen Rechtsextremismus?Ja, aber nicht jede Debatte ist grundsätzlich geeignet zur Arbeit gegen Rechtsextremismusund Demokratiefe<strong>in</strong>dlichkeit. In Waldleben wurde vor 20 Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emJugendzentrum ernsthaft mit rechtsgerichteten Jugendlichen über die so genannteAuschwitzlüge diskutiert. Das ist e<strong>in</strong>e völlig fehlgeleitete Form von Jugendarbeit.Gut geme<strong>in</strong>t zwar, aber man stärkt die Tendenzen damit, weil man den E<strong>in</strong>druckerweckt, als sei diese Frage tatsächlich zu diskutieren.Was ist im Umgang mit rechtsextremen Tendenzen notwendig?Es müssen kont<strong>in</strong>uierlich demokratische Positionen bezogen werden. Der Staat istgefragt, Recht und Gesetz umzusetzen, um ke<strong>in</strong>e rechtsfreien Räume entstehen zulassen. Es bedarf der Festigkeit und Beharrlichkeit und der klaren Entschlossenheit– etwa von Gerichten, Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrern und Polizei, Rassismus und Demokratiefe<strong>in</strong>dlichkeitentschlossen zu begegnen. Wo andere Gruppen angegriffen werden,muss man repressiv tätig se<strong>in</strong> – ohne Wenn und Aber. Für die Zivilgesellschaftgilt: Der Widerstand gegen solche Tendenzen muss <strong>in</strong> der Öffentlichkeit sichtbargemacht werden und darf sich aus dem lokalen Raum nicht verdrängen lassen.Oft werden jene, die das Problem des Rechtsextremismus benennen, von den Verantwortlichen<strong>in</strong> den Kommunen zu »Nestbeschmutzer<strong>in</strong>nen und Nestbeschmutzern«erklärt, das eigentliche Nazi-Problem wird verleugnet.Wenn es auf der lokalen Ebene ke<strong>in</strong>e Unterstützung gibt, müssen übergeordneteStellen, die Kreise oder die Länder um Hilfe gebeten werden. Vor allem auch diedemokratischen Parteien. Jene, die vor Ort Lokalpolitik betreiben, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesenParteien verankert. Entsprechend muss hier Druck ausgeübt werden, die Organisationmuss der Hebel se<strong>in</strong>. Das ist ja gerade der Vorteil unserer Parteiendemokratie:Politische Funktionsträger sollen demokratischen Grundsätzen verpflichtet se<strong>in</strong>.Entsprechend müssen wir die demokratischen Parteien <strong>in</strong> die Pflicht nehmen, umden Pr<strong>in</strong>zipien unseres Rechtsstaates Rechnung zu tragen.Sighard Neckel ist Professor für Soziologie der Goethe-Universität <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong>und Mitglied der Leitung des Instituts für Sozialforschung.27


Kommunikation und Sicherheit –<strong>Zum</strong> Umgang mit E<strong>in</strong>schüchterungsversuchendurch die rechte SzeneLOBBIBarbara Schmidt ist wachsam. Sie lebt mit ihrem Mann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorf, <strong>in</strong> dem zurLandtagswahl 2011 rund 33 Prozent der Menschen die NPD wählten. Sie engagiertsich gegen nazistische Umtriebe, klärt auf, schaut nicht weg – und hat deswegen vieleFe<strong>in</strong>d<strong>in</strong>nen und Fe<strong>in</strong>de. Die schleichen nachts um das Haus der Schmidts, legentote Tiere <strong>in</strong> den Briefkasten und greifen sie auf der Straße verbal an. Frau und HerrSchmidt s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen im Dorf, die sich öffentlich gegen Rechtsextremismusaussprechen.Gesicht zeigen? Gerade im überschaubaren ländlichen und kle<strong>in</strong>städtischenRaum zögern Menschen, sich <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit extrem rechten Strukturenund E<strong>in</strong>stellungen allzu sehr zu exponieren. Dies ist verständlich, denn dieseSzene stellt ihre Gewaltbereitschaft immer wieder <strong>in</strong> Wort und Tat unter Beweis.Mehr noch: Neonazis wissen um diesen Effekt und verstärken ihn gezielt mit jederbedrohlich wirkenden <strong>Aktion</strong>. Mitglieder zivilgesellschaftlicher Bündnisse berichtensolche Vorfälle: Autos, die demonstrativ am Wohnhaus vorbeifahren, Namenoder Fotos auf rechten Websites veröffentlicht werden, Fahrzeuge beschädigt oderBüroräume beschmiert. »Wir lassen uns nicht e<strong>in</strong>schüchtern!« heißt es dann oft <strong>in</strong>der Öffentlichkeit. Allerd<strong>in</strong>gs ist das leichter gesagt als getan.Offenheit und RücksichtDie guten Erfahrungen aus vielen Orten zeigen: meist ist es möglich, <strong>in</strong> Bündnissenmitzuarbeiten, ohne gleich Angriffen der rechtsextremen Szene ausgesetzt zu se<strong>in</strong>.Doch schon alle<strong>in</strong> die Furcht, <strong>in</strong> den Fokus von Neonazis zu geraten, kann dazu führen,eigenes Engagement e<strong>in</strong>zuschränken oder gar nicht erst zu beg<strong>in</strong>nen. Wollenzivilgesellschaftliche Gruppen also verh<strong>in</strong>dern, dass Mitglieder deshalb ihr Engagementbeenden und den E<strong>in</strong>stieg neuer Mitstreiter<strong>in</strong>nen und Mitstreiter erleichtern,ist e<strong>in</strong> offener und rücksichtsvoller Umgang mit diesen Ängsten unerlässlich. DieKommunikation über Unsicherheitsgefühle sollte deshalb e<strong>in</strong> unaufgeregter undnormaler Bestandteil der Bündnisarbeit se<strong>in</strong>. Weil zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsseaus vielen verschiedenen Menschen bestehen, müssen sich die Mitgliederüber ihr Handeln austauschen – und dabei unterschiedliche Herangehensweisen respektieren.Gerade eher offensiv auftretende Menschen sollten sich rückversichern,ob sie nicht die vorsichtiger agierenden Gruppenmitglieder »überfahren«.28


Vorbereitung gibt SicherheitE<strong>in</strong>e gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gende Methode, mit der von Neonazis aufgebauten Drohkulisseumzugehen, ist das Besprechen oder Durchspielen möglicher Szenarien. HabenMenschen sich im Bündnis, persönlich oder im Freundeskreis auf Situationen vorbereitet,erhöht dies ihre Handlungssicherheit und m<strong>in</strong>dert so die Angst – selbst wenndiese Situationen gar nicht e<strong>in</strong>treten. Sollte es zu e<strong>in</strong>em Notfall kommen, reagierenBetroffene weniger hilflos und überfordert, wenn grundlegende Fragen bereits beantwortets<strong>in</strong>d: »Wen kann ich anrufen, wenn zu Hause etwas passiert? Gibt es e<strong>in</strong>eTelefonkette? Wer reagiert wie bei Veranstaltungen auf Störungen durch die rechteSzene? Wie heißt der Ansprechpartner bei der Polizei? Wo bekomme ich Beratungund Unterstützung?« Auch die Mitglieder des Bündnisses Vorpommern: Weltoffen,demokratisch, bunt! haben ihre Erfahrungen mit E<strong>in</strong>schüchterungsversuchen seitensder Nazis ausgetauscht, um sich gegenseitig zu stärken (»De<strong>in</strong>e Erfahrung ist ke<strong>in</strong>E<strong>in</strong>zelfall.«) und sich gegenseitig Tipps und Unterstützung gegeben. So wirkt etwadie Installation e<strong>in</strong>es Bewegungsmelders abschreckend auf Personen, die nachts umdie Häuser schleichen.Solidarische ReaktionenAls Nazis <strong>in</strong> Zossen nachts den Briefkasten von Petra Re<strong>in</strong>hard und Jörg Wankesprengten und versuchten, die Wohnungstür e<strong>in</strong>zuschlagen, solidarisierten sich ihreNachbarn und zeigten deutlich: Ihr seid nicht alle<strong>in</strong>! Mit dem Angriff fühlen wiruns alle geme<strong>in</strong>t, die wir uns den Nazis <strong>in</strong> den Weg stellen.Denn wenn Neonazis jemanden wegen des Engagements gegen Rechtsextremismusim Internet beschimpfen, Scheiben e<strong>in</strong>werfen oder Hetzflugblätter verteilen,ist es e<strong>in</strong>e politische und ke<strong>in</strong>e persönliche Ause<strong>in</strong>andersetzung. Deshalb darf esnicht das »private« Problem der Betroffenen bleiben. Neonazis stellen sich gern alsVollstrecker<strong>in</strong>nen und Vollstrecker e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlichen »Volkswillens« dar. Nuraktive solidarische Reaktionen zeigen den Täter<strong>in</strong>nen und Täter und den Angegriffenenselbst, dass dies nicht der Fall ist. Für die Betroffenen können selbst kle<strong>in</strong>ereVorfälle, die vielleicht als Bagatellen angesehen werden, äußerst e<strong>in</strong>schüchternd wirken.Gerade <strong>in</strong> diesen Situationen greifen die »üblichen« rechtlichen Möglichkeitennur selten. Darum s<strong>in</strong>d Unterstützung und e<strong>in</strong>e klare Positionierung durch die Zivilgesellschaftumso wichtiger.Praktische UnterstützungAllerd<strong>in</strong>gs gibt es meist erschreckend wenige hilfreiche Reaktionen – auch, weilviele nicht wissen, was sie tun können. Oft s<strong>in</strong>d aber schon ganz e<strong>in</strong>fache Schrittesehr wirkungsvoll, etwa Anteil zu nehmen, die Betroffenen anzusprechen und sichnach ihrer Situation zu erkundigen, wie es beispielsweise e<strong>in</strong> Nachbar von PetraRe<strong>in</strong>hardt und Jörg Wanke tat. Während des Angriffs zeigte er sich sofort am Fensterund rief den beiden zu: »Ich komme sofort zu euch runter!«Auch kle<strong>in</strong>ere praktische Erledigungen oder Aktivitäten erhöhen gerade <strong>in</strong> denersten Tagen das Sicherheitsgefühl: zum Beispiel geme<strong>in</strong>sam die Parole an der Haus-29


wand zu übermalen, e<strong>in</strong>en Bewegungsmelder zu <strong>in</strong>stallieren, zusammen zur Polizeizu gehen, mit Freund<strong>in</strong>nen und Freunden <strong>in</strong> den Abendstunden zu Besuch kommenoder auf dem Weg zur Arbeit oder Schule zu begleiten.Verantwortung e<strong>in</strong>fordernWenn Nazi-Gegner<strong>in</strong>nen und -Gegner gezielt und offensiv verunsichert werden, istdas <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstse<strong>in</strong>s lokaler rechterSzenen. Diesem Dom<strong>in</strong>anzanspruch müssen auch staatliche Akteure und Akteur<strong>in</strong>nenentgegentreten. Daher ist es legitim und notwendig, etwa von Bürgermeister<strong>in</strong>nenund Bürgermeister oder Stadt- und Geme<strong>in</strong>devertretungen e<strong>in</strong>e klare Positionierunge<strong>in</strong>zufordern. Auch die Polizei muss im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegenstrafbare Bedrohungen vorgehen. Tatsächlich besteht aber die größte Chance, dieWirkung rechter E<strong>in</strong>schüchterungsversuche zu schwächen, <strong>in</strong> der Kommunikationund Kooperation von E<strong>in</strong>zelpersonen und Gruppen <strong>in</strong>nerhalb der Zivilgesellschaft.Der Vere<strong>in</strong> LOBBI unterstützt parteiisch die betroffenen rechter Gewalt, sensibilisiert dieÖffentlichkeit für die Opferperspektive und thematisiert den gesellschaftlichen Kontext derAngriffe. Die LOBBI will damit e<strong>in</strong>en wirksamen Beitrag leisten, für e<strong>in</strong> gesellschaftlichesKlima der Anerkennung und Gleichberechtigung, <strong>in</strong> dem rechten, rassistischen und antisemitischenDiskrim<strong>in</strong>ierungen entgegengetreten wird.Im Fokus von Neonazis. Rechte E<strong>in</strong>schüchterungsversuche auf der Straße – zu Hause undim Büro – bei Veranstaltungen – im Internet. Handreichung für Betroffene und UnterstützerInnen.http://7.ly/pTW30


Warum Lokalpresse so wichtig ist:»Die Schweigespirale durchbrechen«Michael Seidel war von 2009 bis 2012 Chefredakteur des Nordkuriers. Seit 2013 leitet er dieRedaktion der Schwer<strong>in</strong>er Volkszeitung (SVZ). Das Interview führte Marion Kraske.Vorpommern ist demokratiepolitisch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Gebiet: Seit Jahren s<strong>in</strong>kt dieBevölkerung rapide, die Arbeitslosigkeit ist hoch, zudem erreicht die NPD hier ihrehöchsten Wahlergebnisse. Wie kann e<strong>in</strong>e <strong>Region</strong>alzeitung diesen Themenfeldernbegegnen?Indem sie nicht die Augen verschließt, sondern die Themen anpackt. Das gilt vorallem für den Rechtsextremismus. Man muss dort andocken, wo die Sympathien fürdie rechtsextreme Szene ansetzen.Wo sehen Sie die Gründe für diese Sympathien?Die Hauptursache für die große Resonanz ist das Defizit an Demokraten undDemokrat<strong>in</strong>nen und an demokratischer Zivilgesellschaft. Diese Defizite müssenrecherchiert und benannt werden. Das ist zielführender als plakativ und anlassbezogenre<strong>in</strong>e »Nazi-Berichterstattung« zu machen.Michael Seidel (rechts) beim Treffen mit dem <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>-Team auf Schloss Bröll<strong>in</strong>:»Als Zeitung <strong>in</strong> gesellschaftliche Belange e<strong>in</strong>mischen.« Foto: Kathar<strong>in</strong>a Husemann31


Also die Probleme der Menschen ernst nehmen. Aber wie sieht das konkret aus?Ich muss als Redaktion zu den Leuten h<strong>in</strong>gehen und fragen, wo der Schuh drückt.Warum gibt es <strong>in</strong> entlegenen Geme<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong>e Parteienvertreter<strong>in</strong>nen und -vertretermehr, warum gibt es ke<strong>in</strong>en Kümmerer, der die Probleme der Menschen aufe<strong>in</strong>e Ebene transportiert, wo sie mit demokratischen Mehrheiten behandelt werdenkönnen?Also muss die <strong>Region</strong>alzeitung <strong>in</strong> die Rolle dieses Kümmerers schlüpfen?Im Grunde ja, weil die demokratischen Parteien auch mangels Masse e<strong>in</strong>e sehrschwache Basis im ländlichen Raum haben. Dort aber, wo Parteien nicht mehr vertretens<strong>in</strong>d, nur noch bei politischen Großereignissen, wenden sich die Menschenab. Sie erkennen die Politiker und Politiker<strong>in</strong>nen nicht mehr als ihre Interessenvertreteran. Entweder organisieren sie sich dann selbst, an diesem Impuls mangelt esaber häufig. Stattdessen wenden sie sich denen zu, die so tun, als <strong>in</strong>teressierten siesich für die Probleme, den rechtsextremen Kameradschaften oder der NPD.Durch das Aufzeigen der Probleme werden diese aber noch nicht gelöst.Die Zeitung kann aber durch ihre Reichweite dazu beitragen, dass Behördenvertreter<strong>in</strong>nenund -vertreter zu den Problemen Stellung beziehen. In Ueckermünde etwawurde lange geleugnet, dass es e<strong>in</strong> Rechtsextremismusproblem gibt. Obwohl sichjedes Jahr die Nazis <strong>in</strong> prom<strong>in</strong>enter Form auf e<strong>in</strong>em Stadtfest präsentieren konnten,<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Guerillataktik. Dass sich die Verantwortlichen dann doch <strong>in</strong> denReigen jener Bürgermeister e<strong>in</strong>gereiht haben, die sich gegen Rechtsextremismuspositioniert haben, war e<strong>in</strong> Erfolg. Dies wäre nicht passiert, wenn der Nordkurier dasProblem nicht zum Thema gemacht hätte.Also lässt sich Zeitung auch dazu nutzen, e<strong>in</strong>zelne Akteure oder Akteur<strong>in</strong>nen zumHandeln zu zw<strong>in</strong>gen?Im extremsten Fall: ja. Es geht darum, anzuschieben, die Kräfte der Gesellschaft, dieoftmals die Fähigkeit verloren haben, mite<strong>in</strong>ander zu reden, so zu organisieren, dasssie wieder gesprächsfähig werden – das ist die zentrale Aufgabe e<strong>in</strong>es Mediums imländlichen Raum.Der Nordkurier berichtete jüngst über Hakenkreuzschmierereien, auch darüber, dasssie falsch herum gezeichnet waren. Der Tenor lautete: »Dumme Nazis«. Ist das auche<strong>in</strong> Mittel, die kritische Distanzierung, weil es sie <strong>in</strong> der öffentlichen Ause<strong>in</strong>andersetzungnicht mehr ausreichend gibt?Sicherlich ist das auch e<strong>in</strong> Mittel. Es geht aber vor allem darum, Öffentlichkeit zuschaffen. Als die Pasewalker Zeitung vor e<strong>in</strong>iger Zeit darüber berichtete, dass Pferdemärktevon den Gatt<strong>in</strong>nen bekannter Rechtsextremer organisiert wurden, gab es <strong>in</strong>Folge e<strong>in</strong>e öffentliche Debatte. Zeitungen s<strong>in</strong>d nicht die Öffentlichkeitsmasch<strong>in</strong>erieirgendwelcher Behörden oder Kommunalvertreter, sondern haben e<strong>in</strong> Wächteramt<strong>in</strong>ne, das im Landespressegesetz festgeschrieben ist. Das ist unsere Kernaufgabe: Wir32


müssen die Schweigespirale, die von vielen Offiziellen vor Ort verfolgt wird, durchbrechen.Indem relevante Entwicklungen öffentlich gemacht werden, wird e<strong>in</strong> Diskurs<strong>in</strong> Gang gesetzt, der es ermöglicht, dass am Ende richtige Entscheidungen getroffenwerden können.Die Aufgabe als vierte Macht gilt umso stärker im ländlichen Raum?Unbed<strong>in</strong>gt. E<strong>in</strong>e Zeitung, die sich nur lieb K<strong>in</strong>d macht, verfehlt ihre Aufgabe. Andersals irgendwelche Anzeigenblättchen muss die Tageszeitung versuchen, Qualitätsjournalismuszu machen, gerade im Lokalen. Es geht nicht darum, Edelfeder-Journalismus zu betreiben, dafür gibt es wenig Raum und Muße. Es geht um e<strong>in</strong>enehrlichen, aufklärerischen Journalismus, der die Aufgabe ernst nimmt, D<strong>in</strong>ge vonöffentlichem Interesse öffentlich zu machen.Die persönliche Nähe im ländlichen Raum ist ja sehr groß …Lokalberichterstattung erfordert mitunter mehr Mut als Mantelberichterstattung,weil man den Leuten vor Ort tagtäglich ausgesetzt ist. Es ist daher wichtig, die Reporterund Reporter<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> die Lage zu versetzen, die Rolle des Wächters undKümmerers anzunehmen. Das geht mit redaktions<strong>in</strong>ternen Schulungen, mit Ermutigungen.Wir haben beim Nordkurier regelmäßig Sem<strong>in</strong>are zum Rechtsextremismusangeboten, Blattkritik geübt, uns e<strong>in</strong> Redaktionsleitbild gegeben, das explizitdie Rolle der Zeitung als Gegenstimme zum Rechtsextremismus def<strong>in</strong>iert.Widerstand gegen das »Pressefest« der »Deutschen Stimme« <strong>in</strong> Viereck bei Pasewalk.Foto: Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!33


Womit haben die Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen zu kämpfen, wenn sie im ländlichenRaum über Rechtsextreme berichten?Sie werden beschimpft, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Internetforen besudelt. Sie werden bedroht:Wenn sich der W<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>mal drehe, dann seien sie die ersten, die an denBäumen hängen. Der Pasewalker Lokalchef fand sich vor e<strong>in</strong>igen Jahren auf Steckbriefenwieder, die <strong>in</strong> der Stadt aufgehängt wurden, weil er sich geweigert hatte, dieBerichterstattung zu bestimmten Themen e<strong>in</strong>zustellen. Mit diesen Kollegen mussman sprechen, ihnen die nötige moralische und praktische Unterstützung zukommenlassen. Notfalls sollte Polizeischutz gewährt werden. Gegen die Täter muss mangerichtlich vorgehen. Das hilfreichste Mittel ist auch hier wieder: Öffentlichkeit herstellen.Welche Erfolge sehen Sie durch die klare Positionierung des Nordkuriers ?Der Nordkurier hat lange belanglosen Journalismus gemacht. Heute wird er, auchaufgrund der Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung, als aktive Zeitung wahrgenommen,die sich <strong>in</strong> gesellschaftliche Belange e<strong>in</strong>mischt und die ländliche Gesellschaftmobilisieren kann. Heute können wir das Gefühl vermitteln: Wenn dudich engagierst, dann passiert etwas. Me<strong>in</strong>e schönste Erfahrung war die, als Teilnehmerund Teilnehmer<strong>in</strong>nen der Menschenkette <strong>in</strong> Pasewalk im Sommer 2012 gegendas geplante NPD-»Pressefest« sagten, sie hätten 15 Jahre lang gekämpft, nun endlichhätte sich der Kampf gelohnt. Dass dieses Engagement, das sich an e<strong>in</strong>em Nazi-Event entzündet hat, ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>tagsfliege war, sondern auch nachhaltige Formen derzivilen E<strong>in</strong>mischung ausgebildet hat, ist e<strong>in</strong>er der größten Erfolge, die man dieserZeitung anhängen kann.Kann man mit politischer Positionierung auch wirtschaftlichen Erfolg haben?Def<strong>in</strong>itiv. Dann nämlich, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass diese Zeitungüber ihre Lebensumwelt schreibt und den Mut hat, unbequem zu se<strong>in</strong> und sichaufzulehnen – sowohl gegen Nazis als auch gegen die Defizite demokratischer Parteienvertreter.Ist es nicht aber die Quadratur des Kreises, bei wirtschaftlichem Druck anspruchsvollenLokaljournalismus betreiben zu wollen?Wir haben die Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen der Redaktion aus wirtschaftlichen Gründennötigen müssen, Verzicht zu üben. Das war mitunter schmerzhaft. Dafür konntenwir die Kopfzahlen <strong>in</strong> der Redaktion hochhalten und verstärkt <strong>in</strong> die Flächegehen, um dort vernünftigen Journalismus zu machen.Der Nordkurier will nun die Mantelredaktion mit der SVZ auflösen. Wollen sichVerlage wieder verstärkt ihrer demokratischen Verantwortung stellen?Umfragen haben ergeben: Die Leser<strong>in</strong>nen und Leser honiereren es, wenn e<strong>in</strong>eZeitung <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> aktiv ist. Wenn erklärt wird, was überregionale Inhalte fürden E<strong>in</strong>zelnen bedeuten. Der re<strong>in</strong>e Nachrichtenjournalismus hat <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>al-34


zeitung ausgedient. E<strong>in</strong>e Zeitung, die Lebendigkeit ausstrahlt, Engagement undPositio nierung übt, <strong>in</strong> der schaltet man auch wieder Anzeigen.Wie hat sich Ihre Wahrnehmung der Probleme <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> verändert?Als die Amadeu Antonio Stiftung mit <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> starten wollte, kam man mitder These daher, dass sich die großen Medien dort aus der Fläche zurückzögen.Das hat mich geärgert, weil wir <strong>in</strong> dieser Phase gerade dabei waren, neue lokaleStandorte aufzubauen. Es war somit e<strong>in</strong>e Provokation zum richtigen Zeitpunkt. DerNordkurier hat diese richtig genutzt, um aus dem geme<strong>in</strong>samen Anliegen e<strong>in</strong> aktivesBürgermedium zu <strong>in</strong>stallieren, das die Zeitung und die Gesellschaft vorangebrachthat. Die anfängliche Kritik habe ich als Herausforderung angenommen. Dass dieLokalredaktionen des Nordkurier dann so richtig <strong>in</strong> die Gänge gekommen s<strong>in</strong>d, betrachteich auch als Erfolg dieser geme<strong>in</strong>samen Arbeit.Also auch hier: Ause<strong>in</strong>andersetzung als befruchtendes Element?Wichtig war der Impuls von außen. Und die Expertise, die dank der Stiftung vor Ort<strong>in</strong> die Kooperation h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gekommen ist. Wenn die Amadeu Antonio Stiftung allerd<strong>in</strong>gsnicht so aktiv mit den regionalen Akteuren und Akteur<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Kommunalpolitikzusammen gearbeitet hätte, also mit Menschen, die von den E<strong>in</strong>wohnernund E<strong>in</strong>wohner<strong>in</strong>nen akzeptiert werden, wäre das nicht so erfolgreich verlaufen.Das ist aus me<strong>in</strong>er Sicht e<strong>in</strong>e riesengroße Leistung: Dass ausgerechnet <strong>in</strong> Vorpommerndie Helfer und Helfer<strong>in</strong>nen von außen als Unterstützer und Impulsgeberakzeptiert wurden.Wie hat sich <strong>in</strong> der Folge die Berichterstattung über Rechtextremismus ver ändert?Früher war die Berichterstattung anlassbezogen, nachrichtlich und zudem verschämt,weil man sich auch als Nestbeschmutzer sah. Das hat sich gewandelt, weilviele Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen durch die Impulse von außen und die redaktions<strong>in</strong>ternenMaßnahmen erkannt haben, dass man sich mit dem Sujet des Rechtsextremismusaufrichtig befasst. Analyse, H<strong>in</strong>tergrund – das alles ist wichtiger geworden,vor allem die Bewertung und E<strong>in</strong>ordnung. Wir haben gelernt, Flagge zu zeigen, dasMotto des Nordkuriers wörtlich zu nehmen. Auch wenn man sich damit nicht überallFreunde und Freund<strong>in</strong>nen macht. Nach anfänglichem Unmut gab es zuletzt abere<strong>in</strong>e ausgesprochene Honorierung unserer klaren Positionierung. Der Titel »<strong>Region</strong><strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>« ist somit auch zum Leitspruch des Nordkuriers geworden.Was nehmen Sie mit nach Jahren als Chefredakteur des Nordkuriers?Dieses Grundverständnis: Nicht nur die Realität abbilden zu wollen, nicht nur e<strong>in</strong>enTransmissionsriemen darzustellen, nicht Pressesprecher von Behörden und Politikernzu se<strong>in</strong>, sondern auf Augenhöhe zu berichten, sich e<strong>in</strong>zumischen, zu versuchen,e<strong>in</strong>e <strong>Region</strong> zu aktivieren. Es geht darum, e<strong>in</strong>en Gesprächswert zu gew<strong>in</strong>nen.Kurz: Relevant zu werden.35


Unterhaltsam kommunizierenFür jegliche Kommunikationsform s<strong>in</strong>d natürlich die Inhalte von entscheidender Bedeutung.Dies betrifft den Nachrichten- und Informationswert, aber <strong>in</strong>sbesondere imInternet auch den unterhalterischen Wert. Dies muss nicht im Widerspruch zur Ernsthaftigkeitdes Anliegens stehen. Auch schwierige Themen können mit Geschichten,Bildern und e<strong>in</strong>er ansprechenden Inszenierung an Attraktivität gew<strong>in</strong>nen. Ins Extremewird das etwa durch Storch He<strong>in</strong>ar getrieben. Diese Art des Umgangs mit rechtenPhänomenen mag umstritten se<strong>in</strong>, der kommunikative Erfolg ist es nicht. Durch Witzund Charme beschäftigen sich die Menschen gern mit dem Thema.Erste Schritte der KommunikationKommunikation ist e<strong>in</strong> zentrales Mittel für die erfolgreiche Arbeit von Initiativen.Welche Art von Kommunikation der richtige Weg ist, hängt von den Ressourcenund Fähigkeiten der Beteiligten sowie von den Zielen und Zielgruppen ab. Bevordas Licht der Öffentlichkeit gesucht wird, sollten deshalb e<strong>in</strong>ige strategische Entscheidungengetroffen werden. Erster Schritt ist die Entwicklung e<strong>in</strong>es Leitbildes.Das Leitbild besteht aus der Vision, also dem Selbstverständnis und den Beweggründender Organisation sowie der Mission, also dem eigenen Anspruch und derAufgabe, der man sich verschreibt. Aus diesem Leitbild werden die konkreten Zieleund Aktivitäten abgeleitet. Das Leitbild verschafft der externen Kommunikation dienötige Klarheit und schließt <strong>in</strong>tern die Reihen. E<strong>in</strong> Workshop mit allen Beteiligtenist hier der beste Weg. Das Ergebnis dieser Arbeit sollte sich <strong>in</strong> wenigen Sätzen ausdrückenlassen, um als Handlungsleitfaden für die Beteiligten und als Kurz<strong>in</strong>formationfür Außenstehende dienen zu können.Nach abgeschlossener Leitbildentwicklung wird mit strategischen Überle gungenzur Kommunikationsarbeit begonnen. Folgende Fragen gilt es dabei zu klären:n Was genau ist das Ziel der Kommunikationsarbeit? Langfristig und kurzfristig? Esgilt: weniger ist mehr.n Daraus ergibt sich die Zielgruppe. Wen gilt es zu erreichen? Welche Bedürfnissehaben diese Menschen? Umso klarer die def<strong>in</strong>ierte Zielgruppe, desto erfolgreicherdie Kommunikation.n Welche Inhalte und Botschaften sollen vermittelt werden?n Mit welchen Maßnahmen und welchen Kanälen werden Ziele und Zielgruppenam besten erreicht?Grundsätzlich gilt für die Zielgruppendef<strong>in</strong>ition der Weg der Mitte. VerausgabenSie sich nicht an jenen, die nicht überzeugt werden können. Investieren Sie aberauch nicht zu viel Energie, Menschen zu überzeugen, die sich bereits engagieren.Frank Me<strong>in</strong>ke ist Leiter »Strategie und Konzeption«, der Serviceplan Gruppe Berl<strong>in</strong> undMitglied im Beirat von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>.Aus dem Reisebuch »<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – E<strong>in</strong>e Reise durch Vorpommern«: Initiativen <strong>in</strong> derNachbarschaft entdecken – Klausthaler Puppenbühne. Foto: Peter van Heesen38


Verschiedene Perspektiven mitdenken –die Kategorie Gender und die Arbeit gegenRechtsextremismusHeike Radvan ist Leiter<strong>in</strong> der Fachstelle Gender und Rechtsextremismusprävention bei derAmadeu Antonio Stiftung. Das Interview führte Swantje Tobiassen.Gerade Frauen verlassen den ländlichen Raum. Warum?Wer die <strong>Region</strong> verlässt, s<strong>in</strong>d die gut Ausgebildeten, hier ist die Abwanderung wenigerstark geschlechtsspezifisch. Aber: Gerade die gut qualifizierten Frauen verlassen die<strong>Region</strong>. Das sche<strong>in</strong>t verschiedene Gründe zu haben: So ist es nach wie vor für Männer,die nicht als ethnisch anders wahrgenommen werden, <strong>in</strong> vielen Berufszweigen leichter,Anstellungen zu f<strong>in</strong>den. Und viele Frauen sche<strong>in</strong>en flexibler <strong>in</strong> ihren Mobilitätsentscheidungenzu se<strong>in</strong>, sie verlassen häufiger den vertrauten Wohnort, um Chancenwahrzunehmen und neue Erfahrungen zu machen. Verbessert sich die wirtschaftlicheLage, so kehren nicht Wenige – sowohl Männer als auch Frauen – gern zurück.Was bedeutet dies für die <strong>Region</strong>…Ich würde Wanderung und Migration generell positiv bewerten: Wenn Menschensich entscheiden, an e<strong>in</strong>en anderen Ort zu gehen, kann dies neue Erfahrungs räumeeröffnen, <strong>in</strong>teressante Lebenswege ermöglichen. Was diese Abwanderung für die»verlassene« <strong>Region</strong> heißt, lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Zuallererst bedeutet dies, dass sich politisch Verantwortliche überlegen können, wie siedie <strong>Region</strong> attraktiver für Menschen machen, die zuwandern wollen oder können.Wir haben momentan e<strong>in</strong>e hohe Zuwanderung beispielsweise aus südeuropäischenStaaten, was also ließe sich tun, um diesen Menschen hier e<strong>in</strong>e Aussicht auf e<strong>in</strong>enattraktiven Wohnort zu geben? Wenn man diese Frage diskutiert, beantwortet mannicht nur wirtschaftliche Fragen, auch atmosphärische spielen e<strong>in</strong>e Rolle: Wie lässtsich Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit, Rassismus so thematisieren, dass es e<strong>in</strong>e Aufmerksamkeithierfür gibt und e<strong>in</strong>en Konsens, dass Ausgrenzung und Diskrim<strong>in</strong>ierung generellnicht okay, nicht gewollt s<strong>in</strong>d.… und <strong>in</strong> Bezug auf Geschlechterbilder?Betrachtet man die Statistik, so bedeutet diese Entwicklung, dass e<strong>in</strong>e gewisse Überzahlan jungen, weniger gut ausgebildeten Männern <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> bleibt. Was bedeutetdies atmosphärisch und aus e<strong>in</strong>er soziologischen Perspektive? Generell würdeich sagen, dass dies e<strong>in</strong>e Herausforderung für die Bildung ist: Es ist nicht biologischoder zwangsläufig gegeben, dass Männer <strong>in</strong> homosozialen Gruppen häufiger gewalttätigwerden und erst mit den Frauen deren »Sozialisierung« ermöglicht wird.Insofern braucht es Vorbilder moderner Männlich- aber auch Weiblichkeiten, andenen sich K<strong>in</strong>der generell orientieren können und <strong>in</strong> denen soziale Kompetenzen,Kooperationsfähigkeit, aber auch Weltoffenheit an oberster Stelle stehen.40


Weshalb ist es wichtig, die Genderperspektive bei der Projektarbeit im Blickfeld zuhaben?Die Kategorie Geschlecht prägt unseren Alltag ebenso wie andere Kategorien, beispielsweiseethnische Zugehörigkeit, das Alter, Bildung oder e<strong>in</strong>e körperliche Bee<strong>in</strong>trächtigung.Als gut gebildete, e<strong>in</strong>heimische Frau habe ich bessere Chancen aufe<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz als e<strong>in</strong> ebenso gut gebildeter Mann, dessen Eltern aus e<strong>in</strong>emafrikanischen Land e<strong>in</strong>gewandert s<strong>in</strong>d. Nutze ich e<strong>in</strong>en Rollstuhl, um mich fort zubewegen, schränken sich me<strong>in</strong>e Zugangsmöglichkeiten im öffentlichen Raum starke<strong>in</strong>. Geschlecht spielt nicht selten auch hier e<strong>in</strong>e Rolle, so s<strong>in</strong>d Frauen mit körperlichenBee<strong>in</strong>trächtigungen signifikant hoch von sexualisierter Gewalt betroffen. Ichwürde also dafür plädieren, generell Verschiedenheiten, die sich aufgrund unterschiedlicherGruppenzugehörigkeiten ergeben, im Blick zu haben; Geschlecht iste<strong>in</strong>e davon. Um gesellschaftliche Ungleichheiten erkennen und im nächsten Schrittdagegen aktiv werden zu können, bedarf es e<strong>in</strong>er differenzierten Wahrnehmung.Nicht selten hilft e<strong>in</strong> Blick auch auf die F<strong>in</strong>anzen: Mit dem so genannten GenderBudget<strong>in</strong>g kann ich etwa analysieren, wer <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Kommune, Schule welchesGeld wofür erhält. Oder strukturelle Benachteiligung erkennen: Wann wird dieSporthalle an wen vermietet? Hier wird nicht selten deutlich, dass Benachteiligungensich überschneiden: Mädchen und Frauen haben häufig generell zu unattraktiverenZeiten Zugang zu Sporthallen, migrantische Sportvere<strong>in</strong>e ebenso.Wie kann Gender <strong>in</strong> die Projektarbeit <strong>in</strong>tegriert werden?Das wirft zunächst die Frage nach dem Begriffsverständnis auf: Was verstehe ichunter »Gender«? Generell ist damit geme<strong>in</strong>t, dass unsere Gesellschaft nach wie vorsehr stark geschlechtsspezifisch sozialisiert, K<strong>in</strong>der wachsen mit bestimmten Anforderungenauf, sich als »richtiger Junge«, »richtiges Mädchen« zu präsentieren.Anders gesagt: Wir konstruieren täglich unseren Alltag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art und Weise, dieGeschlecht als e<strong>in</strong> zweiteiliges Schema wieder herstellt und reproduzieren damitbestehende Ungleichheiten. Letzteres zu h<strong>in</strong>terfragen und andere Angebote zu unterbreiten,ist me<strong>in</strong>es Erachtens Aufgabe von Projektarbeit. Wie dies <strong>in</strong>tegriert werdenkann, muss dann im konkreten Fall diskutiert werden. Das kann zum Beispielheißen, dass auch Angebote gemacht werden, die traditionellen Vorstellungen vonJunge- und Mädchense<strong>in</strong> widersprechen: Kochkurse generell allen Teilnehmendenanzubieten oder Fußball auch für Mädchen. Oder sich mit Schüler<strong>in</strong>nen undSchülern auf die Suche zu begeben, welche Rolle Geschlecht <strong>in</strong> ihrem Klassenraumspielt? Wer hat welche Chancen, wo f<strong>in</strong>den sich E<strong>in</strong>schränkungen?Heike Radvan ist Erziehungswissenschaftler<strong>in</strong> und promovierte im Jahr 2009 zum Thema»Pädagogisches Handeln und Antisemitismus« an der Freien Universität Berl<strong>in</strong>. Seit 2002arbeitet sie <strong>in</strong> der Amadeu Antonio Stiftung, u.a. zu den Themen Antisemitismus <strong>in</strong> derDDR und Gender und Rechtsextremismusprävention.41


II. PraktischeAnsätze fürKommunikationsarbeitgegenRechtsextremismusFoto: Peter van Heesen


Projektansätze, die e<strong>in</strong>e <strong>Region</strong> aktivierenkönnen – e<strong>in</strong> ÜberblickAnna Richter»Ich möchte Teil e<strong>in</strong>er Jugendbewegung se<strong>in</strong>,« sangen Tocotronic 1995 und sprachendamit vielen Jugendlichen aus dem Herzen. Dieser Wunsch sche<strong>in</strong>t gerade <strong>in</strong> ländlichenund peripherisierten Gegenden, vor allem <strong>in</strong> den neuen Bundesländern, <strong>in</strong>sH<strong>in</strong>tertreffen geraten zu se<strong>in</strong>. Statt von Jugendbewegungen berichten die Medien vonRechtsextremen, Abwanderung und Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig hat sich e<strong>in</strong>e lebendigeProjektlandschaft herausgebildet, die von zivilgesellschaftlichen, politischen undkünstlerischen Initiativen und Organisationen bespielt wird. So werden mittels vielfältigerAnsätze Netzwerke aufgebaut, Veranstaltungen angeboten und Diskussionengeführt. Nicht selten werden diese Projekte wissenschaftlich begleitet und evaluiert.Doch bleibt kritisch anzumerken, dass viele dieser Projekte »<strong>in</strong> die <strong>Region</strong>en h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragenwerden« statt <strong>in</strong> ihnen selbst zu entstehen. Wollen die Menschen nicht mehrTeil e<strong>in</strong>er (Jugend-)Bewegung se<strong>in</strong>? Was wollen sie denn eigentlich?Aktivierende Befragung: Was wollen Sie tun?In den letzten Jahren ist besonders die so genannte aktivierende Forschung beziehungsweiseBefragung zum E<strong>in</strong>satz gekommen, die sich aus der <strong>Aktion</strong>sforschungentwickelt hat (H<strong>in</strong>te & Karas 1989; Richers 2009). Die Methode der aktivierendenBefragung bietet im Gegensatz zu vielen anderen Forschungsansätzen den Vorteil,dass die Forschungsobjekte zu Forschungssubjekten werden. Das heißt, dass die Beforschtenselbst zu Forschenden werden und selbst ihren Forschungsgegenstandbestimmen. Zentral geht es bei der aktivierenden Befragung darum, Probleme,Wünsche und Perspektiven der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em relativ klar begrenzten Gebiet lebendenMenschen mit den Menschen selbst zu thematisieren und sie so <strong>in</strong> ihrer eigenenWahrnehmung zu bestärken, diese Probleme, Wünsche und Perspektiven als Ansatzpunktzu eigenem zivilgesellschaftlichem Handeln zu nehmen (Empowerment).Der Forschungsansatz geht davon aus, »dass Menschen nur dann bereit s<strong>in</strong>d, sichfür etwas zu engagieren, wenn es <strong>in</strong> ihrem eigenen Interesse liegt und sie von dessenNotwendigkeit überzeugt s<strong>in</strong>d« und verfolgt den Zweck, »durch aktivierende Gesprächeherauszuf<strong>in</strong>den, wie die Betroffenen denken und fühlen, was sie als veränderungsbedürftigansehen und was sie bereit s<strong>in</strong>d zu tun, damit sich etwas ändert« (Richers2009: 60). Dieser Ansatz wird vor allem <strong>in</strong> Stadtteil- und Geme<strong>in</strong>wesenarbeitherangezogen, da er erlaubt, kle<strong>in</strong>teilig zu arbeiten. Er ist besonders hilfreich, wennes darum geht, nicht für, sondern mit betroffenen Menschen Veränderungswünschezu artikulieren und konkrete Handlungsansätze zu entwickeln.Der aktivierende Ansatz ist aufwändig und zeit<strong>in</strong>tensiv und erfordert e<strong>in</strong>e Offenheith<strong>in</strong>sichtlich der sich herausentwickelnden Richtung von Seiten der Auftrag-44


geber<strong>in</strong>nen und Auftraggeber, da Ziele und Arbeitsschritte nicht von vornhere<strong>in</strong>feststehen und somit auch nicht geplant werden können. Deshalb ist darauf h<strong>in</strong>zuweisen,dass der Ansatz durchaus auch missbraucht und dann eher zur Manipulationwerden kann, etwa wenn Menschen für e<strong>in</strong>en bestimmten Zweck aktiviertwerden, der nicht ihren eigenen Bedürfnissen entstammt. Um auf den Song vonTocotronic zurückzukommen, reicht es nicht, Teil e<strong>in</strong>er Jugendbewegung se<strong>in</strong> zuwollen, sondern die Menschen dar<strong>in</strong> zu aktivieren, ihre eigenen Vorstellungen vonund Ansprüche an Zivilgesellschaft zu formulieren und sie <strong>in</strong> ihrem Engagementzu unterstützen. Ganz zentral ist deshalb das Respektieren des Eigen<strong>in</strong>teresses unddes Selbstbestimmungsrechts der Menschen, die aktiviert werden sollen. Das bedeutetauch, dass es nicht darum geht zu helfen, sondern e<strong>in</strong>e Neugier dafür zu entwickeln,was die zu aktivierenden Menschen selbst für wichtig halten und welcheZusammenhänge sie aufmachen (Stark 1993).Beteiligung: Austausch und Anerkennung für VerbündeteAktivierende Ansätze zeigen Parallelen zu anderen Ansätzen der Zivilgesellschaftsarbeit,wie etwa Zukunftswerkstätten. Diese haben laut Stracke-Baumann (2008: 72-73) fünf wichtige Effekte, die es freizusetzen und zu fördern gilt: Demokratisierung,Lernen, Synergie, Motivation und Kreativität. Die Idee der Demokratisierung gehtauf die Absicht zurück, »Bürger/<strong>in</strong>nen an ihrer Lebensgestaltung zu beteiligen undihre Tendenz zur politischen Resignation abzubauen« (Stracke-Bauman 2008: 72;Junck 1978; Junck 1994). Es geht dabei ganz zentral um e<strong>in</strong>e Politisierung, also dieErfahrung, sich aktiv für etwas e<strong>in</strong>zusetzen und darüber sowohl e<strong>in</strong>e Anerkennungder eigenen Position zu erfahren, selbst wenn letztere vielleicht durch Ablehnunge<strong>in</strong>es Vorschlages oder Gedankens ausgedrückt wird.Lernen heißt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch, die Darstellung e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong>oder e<strong>in</strong>es Themas selbst als soziale Konstruktion zu verstehen und Möglichkeitenaufzuzeigen, diese nicht nur zu kommunizieren, sondern auch zu verändern. WieMenschen über ihre Umgebung denken, wie sie Probleme, aber auch Stärken wahrnehmen,ist nicht objektiv gegeben, sondern wird über Kommunikationen, also imsozialen Austausch konstruiert und lässt sich deshalb auch neu oder anders konstruierenund <strong>in</strong> Frage stellen. Lernen bedeutet, für diese kommunikativen Möglichkeitene<strong>in</strong> Gespür zu entwickeln.Weil die Beteiligten aus verschiedenen Altersgruppen und sozialen und beruflichenFeldern kommen, können sie Erfahrungen austauschen und geme<strong>in</strong>samPositionen entwickeln, für die sie als Individuen entweder nicht e<strong>in</strong>treten würdenoder deren Bedeutung ihnen alle<strong>in</strong> nicht bewusst würde. H<strong>in</strong>sichtlich der Synergieeffektegeht es vor allem um die Erfahrung der Kooperation, des Sich-Aufe<strong>in</strong>ander-Verlassens und Respektierens. Statt sich als Konkurrent<strong>in</strong>nen und Konkurrentenwahrzunehmen, gilt es Vertrauen zu entwickeln und <strong>in</strong> gegenseitigen Vorschlägeneher geme<strong>in</strong>same Gew<strong>in</strong>ne als e<strong>in</strong>en Wettbewerb untere<strong>in</strong>ander zu sehen.Direkt daran anschließend s<strong>in</strong>d Motivationseffekte zentral für die Verstetigungneuer Zusammenschlüsse, die oft nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gangsphase wieder e<strong>in</strong>schlafen.45


Tausche Gemüse gegen Kunst für die Suppe der Superlative bei held/<strong>in</strong>_dorf. Engagementbraucht (Mitmach-)möglichkeiten und Anlässe.Foto: Kaspar WimberleyBilden sich die Demokratisierungs-, Lern- und Synergieeffekte aus, kann e<strong>in</strong>e Motivation»von <strong>in</strong>nen heraus« entstehen, die wirkungsvoller ist als Anreize von außen.Schließlich werden Kreativitätseffekte genannt, die dadurch entstehen, dass Beteiligtesich aktiv e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, statt nur als Zuschauer<strong>in</strong>nen und Zuschauer oder Zuhörer<strong>in</strong>nenund Zuhörer (Publikum) teilzunehmen. Diese Art der Inspiration istbesonders effektiv, da Beteiligte häufig erst <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit anderenMenschen eigene Interessen und diejenigen anderer anerkennen und vor allem formulierenkönnen.Projektarbeit: E<strong>in</strong> Mittel auch gegen Vere<strong>in</strong>zelung und EntpolitisierungIm Laufe der letzten Dekade hat sich e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> dafür durchgesetzt, dass gesellschaftlichesMite<strong>in</strong>ander gerade <strong>in</strong> Zeiten gesellschaftlicher (und ökonomischer,sozialer etc.) Veränderungen und Krisen gefährdet se<strong>in</strong> kann und vielfach tatsächlich<strong>in</strong> Gefahr ist: »Viele Kommunen sehen sich häufig überfordert, wenn Gewaltden privaten Rahmen verlässt und <strong>in</strong> ethnisierten oder politisierten Formen das Zusammenlebengefährdet« (Arajärvi & Kunter 2008: 4). Auch rassistische Übergriffewerden noch immer nicht unbed<strong>in</strong>gt als strukturelle, die ganze Gesellschaft angehendenProbleme anerkannt. Oft werden sie sogar aus Angst oder stillschweigender46


Akzeptanz ignoriert oder e<strong>in</strong>fach verschwiegen. Hier können aktivierende Projekteund Forschungen ansetzen.Die sich weitende Schere zwischen Arm und Reich, die Abwanderung aus strukturschwachen<strong>Region</strong>en sowie der schrittweise Abbau des Wohlfahrtsstaates mitse<strong>in</strong>em ausgleichenden Paradigma führen zu e<strong>in</strong>er Verschärfung der sozialen Gegensätze.Das kann besonders junge Menschen so desillusionieren, dass sie eigeneVorstellungen und Interessen aufgeben, statt sich für sie e<strong>in</strong>zusetzen. Gerade deshalbist Projektarbeit und <strong>in</strong>sbesondere die aktivierende e<strong>in</strong> zentrales Mittel, um etlichenFolgeersche<strong>in</strong>ungen entgegen zu wirken: der weiteren Vere<strong>in</strong>zelung von Menschen<strong>in</strong> ländlichen <strong>Region</strong>en, der Peripherisierung ganzer <strong>Region</strong>en und der Entpolitisierungpolitischer Zusammenhänge. In der Projektarbeit lernen die Engagierten,sich auch gegen Widerstände durchzusetzen und sich von den sich entwickelndenZielen und Aktivitäten überraschen und wiederum <strong>in</strong>spirieren zu lassen.Literatur und Quellen:Arajärvi, Outi; Kunter, Björn (2008): Konfliktbearbeitung <strong>in</strong> der Nachbarschaft. In: Arajärvi,Outi; Kunter, Björn (Hg.): Konfliktbearbeitung <strong>in</strong> der Nachbarschaft. Sieben Praxisbeispiele füre<strong>in</strong> friedliches Mite<strong>in</strong>ander aus Deutschland, der Slowakei, den Niederlanden und Frankreich.E<strong>in</strong> Kooperationsprojekt von Bund für Soziale Verteidigung und Stiftung Mitarbeit, S. 4-12.H<strong>in</strong>te, Wolfgang; Karas, Fritz (1989): Studienbuch Gruppen- und Geme<strong>in</strong>wesenarbeit. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führungfür Ausbildung und Praxis. Frankfurt / Ma<strong>in</strong>.Junck, Robert (1978): Statt auf den großen Tag zu warten Über das Pläneschmieden von Unten.E<strong>in</strong> Bericht aus »Zukunftswerkstätten«. In: Michel, Karl; Wieser, Harald. Kursbuch 53. Utopien.Lust an der Zukunft. Berl<strong>in</strong>: Rowohlt.Junck, Robert (1994): Trotzdem. Me<strong>in</strong> Leben für die Zukunft. München: Knaur.Lüttr<strong>in</strong>ghaus, Maria; Streich, Angelika (2009): »10 M<strong>in</strong>uten nach dem Beratungsgespräch«: AktivierendeElemente im Alltag professioneller Beratungstätigkeit. In: Ley, Astrid; Weitz, Ludwig(Hg.): Praxis Bürgerbeteiligung. E<strong>in</strong> Methodenhandbuch. Bonn: Stiftung Mitarbeit, S. 64-68.Richers, Hille (2009): Aktivierende Befragung. In: Ley, Astrid; Weitz, Ludwig (Hg.): Praxis Bürgerbeteiligung.E<strong>in</strong> Methodenhandbuch. Bonn: Stiftung Mitarbeit, S. 60-63.Stark, Wolfgang (1993): Die Menschen stärken. Empowerment als e<strong>in</strong>e neue Sicht auf klassischeThemen von Sozialpolitik und sozialer Arbeit. In: Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg(Hg.): Blätter der Wohlfahrtspflege. Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit. Stuttgart, Heft 2, S.41-44.Starcke-Baumann, Claudia (2008): Nachhaltigkeit von Zukunftswerkstätten. Bonn: Stiftung Mitarbeit.Anna Richter studierte Anglistik und Soziologie <strong>in</strong> Bremen. Promotion <strong>in</strong> Leeds (GB) zurPolitik der Partizipation <strong>in</strong> Liverpool, Kulturhauptstadt Europas 2008. Sie ist wissenschaftlicheMitarbeiter<strong>in</strong> am Leibniz-Institut für <strong>Region</strong>alentwicklung und Strukturplanung <strong>in</strong>Erkner, wo sie unter anderem an der wissenschaftlichen Begleitung von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>der Amadeu Antonio Stiftung arbeitet.47


Ke<strong>in</strong> Ort für Neonazis – wenn Zivilgesellschaftund Verwaltungen zusammenarbeitenHeiko PultMenschenverachtende E<strong>in</strong>stellungen haben viele Ursachen, neonazistische Strukturenhaben viele Ersche<strong>in</strong>ungsformen. Um darauf angemessen und schnell reagierenzu können, s<strong>in</strong>d viele verschiedene Akteure und Akteur<strong>in</strong>nen nötig, die ihre Erfahrungen,Informationen und Ressourcen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Dabei können sowohl zivilgesellschaftlicheGruppen wie Bürger<strong>in</strong>itiativen, <strong>Aktion</strong>sbündnisse oder Vere<strong>in</strong>e, alsauch Bürgermeister<strong>in</strong>nen und Bürgermeister sowie öffentliche Verwaltungen e<strong>in</strong>enwichtigen Beitrag leisten. Schaffen beide Strukturen e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit, wirdes für Neonazis und andere Demokratiefe<strong>in</strong>de schwer, ihre E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> derGesellschaft salonfähig zu machen und ihre Strukturen zu festigen. Wenn zivilgesellschaftlicheGruppen und öffentliche Verwaltungen dagegen nicht zusammenarbeiten oder sie sich gar untere<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Konflikten verlieren, entstehen dagegenFreiräume für Neonazis, die diese geschickt auszunutzen wissen.Anhand der Erfahrungen, die <strong>in</strong> der Zusammenarbeit zwischen Pasewalks öffentlicherVerwaltung und dem <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch,bunt! sowie im Rahmen des Projektes <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> der Amadeu Antonio Stiftunggesammelt wurden, sollen e<strong>in</strong>ige Vorteile des kooperativen Agierens im Kampf gegenRechtsextremismus beschrieben werden.Pasewalk, Sommer 2012: E<strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>sbündnis, e<strong>in</strong>e Verwaltungund 1.000 NeonazisMitte Juni 2012 wird bekannt, dass der »Deutsche Stimme«-Verlag der NPD se<strong>in</strong>alljährliches »Pressefest« bei Pasewalk ausrichten möchte. Man erwartet auf demGelände des Vere<strong>in</strong>s »Sport und Wiese e. V.« über 2.000 Neonazis aus ganz Deutschland.In den regionalen und überregionalen Medien wird die Befürchtung geäußert,dass kaum e<strong>in</strong> nennenswerter Widerstand durch die Behörden und die Zivilgesellschaftzu erwarten wäre. Und tatsächlich liegt der Schock erst e<strong>in</strong>mal tief. Nachdemdie Nachricht vom NPD-»Pressefest« bei der Verwaltung durchgesickert ist, sagt derPasewalker Bürgermeister Ra<strong>in</strong>er Dambach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dienstbesprechung resigniert:»Da kann man nix machen!« Nur wenige Wochen später wird er zur Symbolfigurim Widerstand gegen das »Pressefest«. Er motiviert und unterstützt die Verwaltungdar<strong>in</strong>, alle Möglichkeiten auszunutzen, um das Pressefest nicht zu e<strong>in</strong>em Erfolgfür die neonazistische Szene werden zu lassen. Aber auch <strong>in</strong> der Zivilgesellschaftregt sich unvermuteter Widerstand gegen das Neonazi-Fest. Der E<strong>in</strong>ladung für dasGründungstreffen des <strong>Aktion</strong>sbündnisses Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!folgen über 100 Menschen. Hoch motiviert organisiert das Bündnis <strong>in</strong> Kooperation48


mit der Verwaltung <strong>in</strong> kürzester Zeit den bunten Protest gegen das neonazistische»Pressefest«. Mit Erfolg. An den Veranstaltungen des <strong>Aktion</strong>sbündnisses nehmenüber 2.000 Menschen teil, was se<strong>in</strong>esgleichen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> sucht. Zugleich fälltdas »Pressefest« mit »nur« 1.000 Neonazis deutlich kle<strong>in</strong>er und e<strong>in</strong>en Tag kürzer ausals geplant – auch e<strong>in</strong> Verdienst der strengen behördlichen Auflagen. Noch heuteengagiert sich das <strong>Aktion</strong>sbündnis mit vielfältigen <strong>Aktion</strong>en und Veranstaltungenfür e<strong>in</strong> demokratisches Mite<strong>in</strong>ander und gegen Neonazis <strong>in</strong> Vorpommern.Das Beispiel Pasewalk zeigt, wie das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und öffentlicherVerwaltung den Raum für neonazistische Aktivitäten wirksam verr<strong>in</strong>gernkann. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass dies ke<strong>in</strong> Zufall war und derartigeKooperationen auch <strong>in</strong> anderen <strong>Region</strong>en die Erfolgschancen <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzungmit Neonazis und menschenverachtenden E<strong>in</strong>stellungen verbessern können.Kooperationen verstärken Engagement gegen RechtsextremismusKooperationen können zwei Ziele verfolgen: Sie können etwas Neues schaffen, wasalle<strong>in</strong>e nicht möglich ist (synergetische Kooperation) und sie können Kosten, Zeitund Effizienz durch die Zusammenfassung von Prozessen oder Abläufen optimieren(additative Kooperation) (WIFI Unternehmerservice 2008).Im Falle von Pasewalk s<strong>in</strong>d beide Effekte e<strong>in</strong>getreten. Das <strong>Aktion</strong>sbündnis hat <strong>in</strong>Kooperation mit der Verwaltung für die <strong>Region</strong> neue <strong>Aktion</strong>sformen und Netzwerkeentwickelt, die e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nie da gewesene Anzahl von Menschen für denProtest gegen Neonazis mobilisiert haben. Zugleich haben sich beide Strukturen<strong>in</strong> der Vorbereitung der Proteste und dem behördlichen Umgang mit dem Pressefestmit ihren sehr unterschiedlichen Ressourcen durch klare Absprachen s<strong>in</strong>nvollergänzt. Dadurch konnten wichtige Ressourcen gespart und zugleich die Wirkungdes geme<strong>in</strong>samen Handelns verstärkt werden – zum Nachsehen des »DeutschenStimme«-Verlages, der NPD und der Gäste des neonazistischen »Pressefestes«.Was genau Kooperationen im Kampf gegen Rechtsextremismus br<strong>in</strong>genGegenseitige Motivation: Die Aussage des Pasewalker Bürgermeisters »Da kannman nix machen« kann als Synonym für den <strong>in</strong> der Verwaltung und <strong>in</strong> der Zivilgesellschaftanfänglich vorherrschenden Pessimismus verstanden werden. DiesesGefühl begann sich zu wandeln, als externe Institutionen, wie die Amadeu AntonioStiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V. und der Demokratieladen aus Anklam ihre Unterstützungsignalisierten. Mit ihrer Hilfe wurde das Gründungstreffen des <strong>Aktion</strong>sbündnissesorganisiert, welches zur Initialzündung für den Widerstand gegen das Pressefestwurde. Fortan hieß es: »Da muss man und da kann man was machen«.Unterstützung der Verwaltung im Umgang mit dem Neutralitätsgebot undParteienprivileg: Im Vorfeld des »Pressefestes« der »Deutschen Stimme« gab esfür die Pasewalker Verwaltung e<strong>in</strong>e große Herausforderung, mit der alle öffentlichenVerwaltungen immer wieder aufs Neue konfrontiert werden. Jutta Bressem,49


die Fachbereichsleiter<strong>in</strong> für Kultur <strong>in</strong> Pasewalk, beschreibt die Herausforderungwie folgt: »Man darf sich als Angestellte der Verwaltung nicht politisch äußern. E<strong>in</strong>Großteil (der Verwaltungsangestellten) hat sich auch dah<strong>in</strong>ter verschanzt und hatgesagt: Gutes Argument, dass ich nichts machen muss. Aber e<strong>in</strong>ige hatten da auchwirklich Angst und haben gesagt: Nee, ich kann mich da nicht äußern, aber ichunterstütze euch.«Der Pasewalker Bürgermeister erfuhr hautnah, wie schwer es ist, dem Neutralitätsgebotgerecht zu werden. Nachdem er auf der Homepage des Rathauses die E<strong>in</strong>ladungzum Gründungstreffen des <strong>Aktion</strong>sbündnisses unter se<strong>in</strong>em Namen veröffentlichte,verklagte ihn die NPD mit Erfolg. Das Gericht sah dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Verstoßgegen das Neutralitätsgebot und das Parteienprivileg, das die Benachteiligung vonParteien verbietet. Auch wenn für Ra<strong>in</strong>er Dambach die Zahlung e<strong>in</strong>es Bußgeldes <strong>in</strong>ger<strong>in</strong>ger Höhe gut verschmerzbar war, s<strong>in</strong>d es solche Beispiele <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mitmangelndem Wissen, die viele Beamt<strong>in</strong>nen und Beamte verunsichern und deswegensehr zurückhaltend auf neonazistische Aktivitäten reagieren lassen.Dies alle<strong>in</strong> kann jedoch ke<strong>in</strong>esfalls die Inaktivität und Ignoranz mancher öffentlichenVerwaltungen bei diesem Thema rechtfertigen. Denn tatsächlich gibt eszahlreiche Möglichkeiten, wie trotz des Neutralitätsgebots und Parteienprivilegs adäquatagiert und reagiert werden kann.E<strong>in</strong>e Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, sich für alle erkenntlich nicht als Verwaltungsangestellte,sondern als Privatpersonen zu politischen Themen zu äußern und zuengagieren. So hat der Bürgermeister Ra<strong>in</strong>er Dambach nach dem Gerichtsurteil se<strong>in</strong>Engagement gegen Neonazismus als Privatperson fortgesetzt, <strong>in</strong> dem er beispielsweisejedes Treffen des neu gegründeten <strong>Aktion</strong>sbündnisses besucht hat, allerd<strong>in</strong>gs,wie er immer ausdrücklich betonte, als Privatperson. Dass er immer noch als Bürgermeistervon Pasewalk wahrgenommen wurde, ist kaum zu vermeiden und warvermutlich auch beabsichtigt.E<strong>in</strong>e andere Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, den durchaus vorhanden rechtlichenSpielraum von Verwaltungen auszunutzen. Im Fall des »Pressefestes« wurden zumBeispiel die Bestimmungen zum Lärmschutz, zur öffentlichen Sicherheit und zumUmweltschutz sehr restriktiv ausgelegt. Mit den Effekten, dass das »Pressefest« zume<strong>in</strong>em organisatorisch aufwendiger und vermutlich teurer als geplant war undzum anderem <strong>in</strong> der Dimension deutlich ger<strong>in</strong>ger ausfiel, womit wohl auch diegewünschte Außenwirkung ausblieb. Neonazistische Gruppen werden sich daherzukünftig etwas genauer überlegen, ob sie derartige Veranstaltungen <strong>in</strong> und umPasewalk anmelden.Gleichzeitig ist es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kooperation, wie sie <strong>in</strong> Pasewalk zwischen der Verwaltungund dem <strong>Aktion</strong>sbündnis stattgefunden hat, für die Verwaltung möglich,das Neutralitätsgebot zu wahren und gleichzeitig zivilgesellschaftliches Engagementgegen Neonazis zu unterstützen. Denn zivilgesellschaftliche Gruppen s<strong>in</strong>d janicht von Beschränkungen betroffen, denen Verwaltungen unterliegen, und könnendadurch deutlich freier agieren. Derartige Kooperationen werden sogar vom Staatausdrücklich gewünscht. Im Bericht der vom Deutschen Bundestag beauftragten50


Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements wird allen staatlichenInstitutionen empfohlen, die Rolle der »Ermöglichenden« e<strong>in</strong>zunehmen undzivilgesellschaftliche Gruppen zu unterstützen sowie mit ihnen zusammenzuarbeiten(Deutscher Bundestag 2002: 282).Natürlich sollten Verwaltungen <strong>in</strong> der Kooperation mit zivilgesellschaftlichenGruppen das Neutralitätsgebot im Auge behalten. Der Pressesprecher des <strong>Aktion</strong>sbündnisses,Benno Plassmann, beschreibt es als fortwährenden Prozess, den richtigenAbstand beziehungsweise die richtige Nähe zue<strong>in</strong>ander zu f<strong>in</strong>den. Dabeierleich terte das Bündnis der Verwaltung die Zusammenarbeit, <strong>in</strong> dem es als <strong>Aktion</strong>sbündnisVorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! nicht nur e<strong>in</strong>e »Für-Botschaft« imNamen trägt, sondern dies auch mit se<strong>in</strong>er Öffentlichkeitsarbeit und se<strong>in</strong>enAktivitäten unterstreicht.Das Neutralitätsgebot und die Wahrung des ParteienprivilegsVerwaltungsangestellte und Bürgermeister<strong>in</strong>nen und Bürgermeister unterliegenals Beamt<strong>in</strong>nen und Beamte besonderen E<strong>in</strong>schränkungen und Gesetzen (etwadem Bundesbeamtengesetz (BBG)). Dies betrifft auch ihr Verhältnis zur Politik.Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrem Amt zur politischen Neutralität verpflichtet, was heißt, dass sieihre private Me<strong>in</strong>ung und ihr Verwaltungshandeln trennen müssen. Allerd<strong>in</strong>gsbedeutet dies nicht, dass sie sich nicht als Privatpersonen zum Beispiel gegenNeonazis positionieren dürfen, wie ausdrücklich vom Deutschen Beamtenbundund Tarifunion (dbb) klargestellt wird: »Beamt<strong>in</strong>nen und Beamte können sichpolitisch betätigen, sich für e<strong>in</strong>e – nicht verfassungswidrige – Partei engagierenund auch e<strong>in</strong> Mandat anstreben – und sie können ihre politische Me<strong>in</strong>ungäußern – aber außerhalb des Dienstes.« (www.dbb.de/themen/beamte/beamteund-politik.html,Zugriff 29. 1. 2013). Auch während der Dienstzeit wird der E<strong>in</strong>flussder persönlichen Sicht nicht völlig negiert. So stellt der dbb fest, dass beiVerwaltungsentscheidungen und der Rechtsauslegung die persönliche Sicht e<strong>in</strong>fließt,»eben weil hier auch e<strong>in</strong>e persönliche Entscheidung gefordert ist. DieseSpielräume s<strong>in</strong>d notwendig, weil die Verwaltung flexibel bleiben muss und weilauch der beste Gesetzgeber nicht jeden Lebenssachverhalt regeln kann.« (ebd.)Dies eröffnet Beamt<strong>in</strong>nen und Beamten die Möglichkeit, nach eigenem Wissenund Gewissen zu handeln, zum Beispiel auch im Umgang mit neonazistischenAktivitäten.In Verb<strong>in</strong>dung mit dem Neutralitätsgebot steht die Verpflichtung von Beamt<strong>in</strong>nenund Beamten, das im Grundgesetz (GG, Art. 21) verankerte Parteienprivilegzu wahren. Dieses verbietet die Benachteiligung von Parteien, solange sie vomBundesverfassungsgesetz nicht für verfassungswidrig erklärt werden. Das erklärtzum Teil, warum manche öffentliche Verwaltungen bei Aktivitäten der NPDsehr zögerlich und ängstlich agieren. Die folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes(2 BvR 337/08) sollte jedoch dazu ermutigen, sich klar gegen51


neonazistische Gruppen zu positionieren: »Die Treuepflicht verlangt mehr alsnur e<strong>in</strong>e formal korrekte, (…) <strong>in</strong>nerlich distanzierte Haltung gegenüber Staatund Verfassung; sie fordert vom Beamten, dass er sich e<strong>in</strong>deutig von Gruppenund Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, se<strong>in</strong>e verfassungsmäßigen Organeund die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren.«(www.bverfg.de/entscheidungen/rk20080506_2bvr033708.html, Zugriff 29.1. 2013)Informationen und Erfahrungen teilen: In den Wochen vor dem »Pressefest« gabes e<strong>in</strong>en engen Informationsaustausch zwischen den Akteuren und Akteur<strong>in</strong>nen im<strong>Aktion</strong>sbündnis und der Verwaltung. Jutta Bressem resümiert: »Der Informationsflusswar sehr, sehr gut. Das Ordnungsamt Pasewalk war immer im direkten Kontaktmit dem Ordnungsamt des Landkreises. Das wurde <strong>in</strong> den Dienstberatungenkommuniziert und da wurde abgesprochen, was kann davon das Bündnis erfahren,wo können wir agieren, wo können wir die Information s<strong>in</strong>nvoll anwenden. Undumgekehrt, Sachen, die das Bündnis hat, wurden wieder <strong>in</strong> die Verwaltung here<strong>in</strong>getragen.« Neben dem schnellen Informationsaustausch profitierten beide Seitenvom Erfahrungsaustausch. Dadurch konnten zum Beispiel geme<strong>in</strong>sam neue Handlungsansätzeentwickelt werden, wie die Idee von e<strong>in</strong>em Bündnis der Bürgermeister<strong>in</strong>nenund Bürgermeister. Dem Aufruf des Pasewalker Bürgermeisters folgten 41Bürgermeister<strong>in</strong>nen und Bürgermeister aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg:E<strong>in</strong> Novum für die <strong>Region</strong> mit großer Symbolkraft und e<strong>in</strong>igem nochauszuschöpfenden Potenzial.Ressourcen und Netzwerke teilen: Im Falle Pasewalks wurde seitens der Verwaltungdas <strong>Aktion</strong>sbündnis durch Bereitstellung von Infrastruktur, wie Räumlichkeitenund technischen Support, sowie durch e<strong>in</strong>e schnelle Bearbeitung der Anfragenund Anmeldungen für die geplanten Veranstaltungen unterstützt. Das <strong>Aktion</strong>sbündnisund deren professionelle Unterstützer<strong>in</strong>nen und Unterstützer (AmadeuAntonio Stiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V., Demokratieladen) übernahmen dagegen im stärkerenMaße die Organisation und Durchführung der Veranstaltungen rund um das»Presse fest«. Bei der Mobilisierung für die Veranstaltungen ergänzten sich beideStrukturen durch ihre unterschiedlichen Netzwerke: E<strong>in</strong> Grund für die breite Beteiligungaus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsteilen.Solidarität üben: E<strong>in</strong>e weitere Form von gegenseitiger Unterstützung ist e<strong>in</strong> solidarischesMite<strong>in</strong>ander. So verfasste das <strong>Aktion</strong>sbündnis und die demokratischen Parteiendes Landkreises nach dem Urteil gegen den Pasewalker Bürgermeister e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>samePresse<strong>in</strong>formation. Dar<strong>in</strong> wird begründet, warum aus deren Sicht Ra<strong>in</strong>erDambach nicht gegen das Parteienprivileg verstoßen hat, als er den Bündnisaufrufauf der Rathaushomepage veröffentlichte, sondern nach demokratischen Grundsätzenhandelte. Diese Solidarität stärkte die Position des Bürgermeisters und dessenMotivation im Umgang mit dem neonazistischen »Pressefest«.52


Prestige nutzen: Die breite Beteiligung an den (Gegen-)Veranstaltungen rund umdas »Pressefest« ist auch auf die Beteiligung zahlreicher regional bekannter Politiker<strong>in</strong>nenund Politiker sowie anderen Persönlichkeiten zurückzuführen. Wiederumspielte der Pasewalker Bürgermeister dabei e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle. Er beschreibtse<strong>in</strong> Engagement selbst wie folgt: »Ich war ja fast bei jeder Veranstaltung dabei, ume<strong>in</strong>fach zu demonstrieren, ich stehe dazu, ich unterstütze es.« Weiter beschreibt erdie Wirkung und die Absicht, die h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em Engagement stand, so: »Dass vieleLeute Angst haben, dass viele Leute Bedenken haben, das kannst du dadurch entkräften,<strong>in</strong> dem du sagst, dann schreite ich eben mit voran. Dadurch kriegen dieanderen auch Sicherheit.« Se<strong>in</strong> persönlicher E<strong>in</strong>satz hat nicht nur den Engagiertenim <strong>Aktion</strong>sbündnis Mut gemacht, sondern hat auch geholfen, Unterstützung ausKreisen zu gew<strong>in</strong>nen, die sich üblicherweise nicht <strong>in</strong> zivilgesellschaftlichen Gruppenengagieren. Umgekehrt hat die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem <strong>Aktion</strong>sbündnisvermutlich das Ansehen des Bürgermeisters und der Verwaltung <strong>in</strong> derBevölkerung positiv bee<strong>in</strong>flusst.Literatur und QuellenDeutscher Bundestag (2002): Bericht der Enquete-Kommission »Zukunft des BürgerschaftlichenEngagements«, S. 282; unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/089/1408900.pdfWIFI Unternehmerservice der Wirtschaftskammer Österreich (2008): Leitfaden: Kooperationen<strong>in</strong> Forschung und Entwicklung; unter http://www.bmwfj.gv.at/ForschungUndInnovation/Foerderungen/Documents/Kooperationsleitfaden.pdfHeiko Pult engagiert sich seit 14 Jahren <strong>in</strong> verschiedenen politischen Gruppen. Viere<strong>in</strong>halbJahre davon hat er im RAA-<strong>Region</strong>alzentrum für demokratische Kultur Menschen zu denThemen gruppenzogene Menschenfe<strong>in</strong>dlichkeit und Demokratie beraten und unterstützt.Heute arbeitet Heiko Pult im Kommunikations-Kollektiv (KoKo) als Moderator und bietetWorkshops für Gruppen an, die ihre Struktur, Entscheidungsf<strong>in</strong>dung und Kommunikationreflektieren und verbessern möchten.53


Ergebnisse der Sozialraumanalyse<strong>in</strong> VorpommernVon Oktober 2011 bis März 2012 wurden im Altkreis Uecker-Randow, dem südlichenTeil von Vorpommern-Greifswald, Multiplikatoren und Multiplikator<strong>in</strong>nenund Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger zu ihren Bedürfnissen und Wünschen <strong>in</strong> Bezug aufKommunikationsmittel und -wege befragt sowie e<strong>in</strong>e Sozialraumanalyse durchgeführt.In der aktivierenden Befragung wurden die Befragten zur Reflexion ihrerSituation und eigenem Aktivwerden anregt.Die Mehrheit der befragten Personen die <strong>Region</strong> als sehr lebenswert betrachtet.Gerade die landschaftliche Schönheit und die Ruhe wurden hierbei hervorgehoben.Auch wurden von e<strong>in</strong>zelnen die dörfliche Geme<strong>in</strong>schaft und die Nähe zu Polen alse<strong>in</strong> wichtiger Grund warum sie <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> gekommen oder <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> gebliebens<strong>in</strong>d, benannt. Darüber h<strong>in</strong>aus benennen e<strong>in</strong> Viertel der befragten Personen dievorhandenen Freiräume, mit leer stehenden Gebäuden, Freiflächen, dünner Besiedlungund auch fehlender Konkurrenz als e<strong>in</strong>en sehr positiven Aspekt.Als Schwachpunkte beklagten viele der Befragten den spürbaren demographischenWandel und se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf den kommunikativen Austausch. ÖffentlichePlätze s<strong>in</strong>d meist leer, die Chancen auf direkte, soziale Begegnungen immer seltener.Im ländlichen Raum führt die Verödung öffentlicher Treffpunkte zu e<strong>in</strong>er Verm<strong>in</strong>derungvon Kommunikation und gesellschaftspolitischer Ause<strong>in</strong>andersetzung. VieleMenschen wissen nicht mehr, wie sie sich vor Ort e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können. Sie fühlensich kaum mehr als Mitgestalter und Mitgestalter<strong>in</strong>nen ihrer <strong>Region</strong>. Die Bürger<strong>in</strong>nenund Bürger ziehen sich zurück und werden offen für sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>fache Lösungenund rechtsextreme Parolen. Um dem entgegen zu wirken, wird die Stärkungvon Kultur als Chance für die Entwicklung der <strong>Region</strong> gesehen. Mit der Teilnahmean kulturellen Angeboten wird e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nstiftende Funktion verknüpft.Des Weiteren werden wachsende soziale Ungleichheiten und das mental undmedial verfestigte schlechte Image als problematisch betrachtet. Die Befragtenäußerten e<strong>in</strong> Bedürfnis nach e<strong>in</strong>er positiven Identifikation mit der <strong>Region</strong>. IhrerMe<strong>in</strong>ung nach kann auch das durch Kommunikationsmöglichkeiten und Austauschverbessert werden. Dem entgegen steht die schlechte Infrastruktur im Nahverkehrund <strong>in</strong> der Information und sowie große Wegdistanzen. Zudem bemängeltene<strong>in</strong>zelne, dass es sehr schwierig sei, Informationen über kulturelle Angebote zubekommen. Für gute Angebote müssen weite Wege <strong>in</strong> Kauf genommen werden.E<strong>in</strong>e große Sorge gilt der Abwanderung von jungen Menschen. Diese zum Bleibenzu motivieren, ihnen e<strong>in</strong> Heimatbewusstse<strong>in</strong> zu vermitteln und ihnen e<strong>in</strong>eZukunftsperspektive bieten zu können, sei dafür essentiell.54


Den hohen Zuspruch, den die NPD und rechtsextreme E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> Vorpommernerhalten, benannten nur zwei Befragte als bedenklich und als Kritik am Leben<strong>in</strong> der <strong>Region</strong>. Besorgnis erregend ist, dass das Rechtsextremismusproblem vonden meisten der befragten Menschen nicht ernst genommen wird.Von Zeitung, Radio und Fernsehen wünschen sich die befragten Personen e<strong>in</strong>egut recherchierte Berichterstattung mit H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen zu den jeweiligenThemen. Aktuelle Probleme sollten kritisch und <strong>in</strong>formativ aufgearbeitet undunterschiedliche Me<strong>in</strong>ungsbilder vorgestellt werden. Viele Befragte s<strong>in</strong>d sich sicher,dass über e<strong>in</strong>e positivere Berichterstattung die regionalen Interessen auch überregionalgestärkt und gefördert werden könnten, um dauerhaft an e<strong>in</strong>em besserenImage der <strong>Region</strong> zu arbeiten.Zu dem Thema »Fremde« wurde von allen Befragten am wenigsten erzählt unddie Aussagen waren zum Teil sehr widersprüchlich, was mehrere Schlüsse zulässt.»Fremdheit« ist e<strong>in</strong> Thema, mit dem sich die Befragten bisher wenig beschäftigthaben. Obwohl fast alle der Befragten polnische Nachbarn haben und Stett<strong>in</strong> alsnächste Großstadt e<strong>in</strong>ige Angebote zur Verfügung stellt, die es <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nichtgibt, äußerte die Hälfte der Befragten, dass die Nähe zu Polen für sie überhauptke<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> ihrer Lebenswirklichkeit spiele. Auf Nachfrage, warum Stett<strong>in</strong> nichtals Bezugspunkt wahrgenommen wird, wurden Verständigungsschwierigkeiten angeführt,aber auch Vorurteile genannt.Für e<strong>in</strong> Drittel der Befragten ist der Austausch mit Polen selbstverständlicher Teildes Alltags. Diese Befragten haben familiäre oder berufliche Kontakte zu Polen undfahren regelmäßig <strong>in</strong>s Nachbarland. Für sie bietet Stett<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kulturelle Bereicherungund auch Fachkräfte, die es <strong>in</strong> der ländlichen <strong>Region</strong> kaum gibt.Durch diese Aussagen wird deutlich, dass persönliche Kontakte zu »Fremden«wichtig s<strong>in</strong>d, um die Scheu vor Fremdheit abzubauen und diese zunehmend selbstverständlichals Etablierte zu <strong>in</strong>tegrieren.Um e<strong>in</strong>e demokratische Kultur <strong>in</strong> der ländlichen <strong>Region</strong> zu stärken, ist es <strong>in</strong>sbesonderewichtig, die Menschen vor Ort zu ermächtigen, ihre Interessen und Anliegenzu formulieren und eigenständig umzusetzen. Die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger sollenmerken, dass es nicht anderer bedarf, die sich für sie e<strong>in</strong>setzen, sondern dass sieselbst über das Potenzial und die Mittel verfügen, ihre Bedürfnisse zu artikulierenund dadurch Wege zu entwickeln, diese auch zu befriedigen. Dies zu ermöglichenbraucht es Treffpunkte und Foren, angepasst an die Bedürfnisse vor Ort, um Kommunikationund gesellschaftspolitische Debatten im Nächstraum zu stärken. DieseInteraktion hat nicht nur e<strong>in</strong>en identitätsstiftenden Effekt mit der <strong>Region</strong>, sondernbefördert vor allem auch die Wertschätzung untere<strong>in</strong>ander und die Stärkung e<strong>in</strong>erdemokratischen Kultur.Die komplette Analyse f<strong>in</strong>den Sie unter: http://7.ly/pT255


Die Kunst,mit Kunst zubewegen:Die Reiseheld/<strong>in</strong>_dorfKathar<strong>in</strong>a HusemannFoto: René Fietzek


»Ich wusste gar nicht, dass es das alles gibt«, sagt der Busfahrer erstaunt. Fünf Stundenhat er e<strong>in</strong>en voll besetzten Bus durch die <strong>Region</strong> um Fahrenwalde gefahren.Dabei hat er <strong>in</strong> Orten gehalten, die er bisher nur vom Namen kannte und erfahren,was dort alles los ist. Erstaunt ist er von der Vielzahl an Initiativen, Projekten, engagiertenMenschen und Vere<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Gegend. Dazu gehören der Treckervere<strong>in</strong> ausZüsedom, das Kulturhaus Brüssow und der Dorfchronist aus Damerow, aber auch die[Gender]Werkstatt Ram<strong>in</strong>, das neue deutsch-polnische Land Nowa Amerika und dasBürgerbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! Auch hat er die »verrückten«Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler vom Schloss Bröll<strong>in</strong> kennengelernt. Die habenmit den Fahrern die Tour durchgesprochen und die gemieteten L<strong>in</strong>ienbusse mitTonanlagen ausgestattet. Während der Fahrt konnten die Fahrgäste den zuvor geführtenInterviews über heutige Held<strong>in</strong>nen und Helden lauschen, um so dem Titelund Thema der Reise held/<strong>in</strong>_dorf näher zu kommen. Und dass der Reiseleiter, dersich ihm als Schauspieler vorstellte, die Mitfahrenden dazu brachte, David Bowies»Heroes« zu s<strong>in</strong>gen, sei geradezu unglaublich.Die held/<strong>in</strong>_dorf-Reise begann auf Schloss Bröll<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>em Ort, an dem Künstler<strong>in</strong>nenund Künstler aus Deutschland, Polen und der ganzen Welt Tanz-, Theater- undPerformanceprojekte entwickeln und e<strong>in</strong>studieren. In denkmalgeschützten Feldste<strong>in</strong>bautenwird seit mehr als 20 Jahren e<strong>in</strong>e Produktionsstätte für professionellezeitgenössische Kunst betrieben, die wie e<strong>in</strong> UFO <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ländlich geprägten<strong>Region</strong> existiert, die mit demografischem Wandel, dem Wegbrechen von Kommunikationsortenund den Nazis zu kämpfen hat.Die <strong>Region</strong> mit neuen Augen entdeckenIn dieser Situation drängt sich die Frage auf, wie das künstlerische Schaffen genutztwerden kann, um demokratiebildend E<strong>in</strong>fluss zu nehmen. »Kommunikationsräumeund Austausch wiederbeleben, um e<strong>in</strong>ander kennen zu lernen!«, ist die Antwortder Initiator<strong>in</strong>nen und Initiatoren des Projekts <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> der Amadeu AntonioStiftung, von schloss bröll<strong>in</strong> und der Theaterformation The Work<strong>in</strong>g Party. Aber wielassen sich Verb<strong>in</strong>dungen mit den Nicht-Künstlern und Nicht-Künstler<strong>in</strong>nen vorOrt schaffen?Um dieser Frage nachzugehen, suchen die Projektbeteiligten das persönlicheGespräch mit Leuten aus den umliegenden Dörfern. So kam es auch zur Begegnungmit Jolanta Grenke. »Viele sagen, hier ist überhaupt nichts los, das ist aberüberhaupt nicht der Fall!«, sagte sie im Interview. Wenig später sitzt sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erGesprächsrunde mit fünfzig anderen, die sich wie sie <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Initiativen <strong>in</strong> derländlichen <strong>Region</strong> engagieren. Sie war der E<strong>in</strong>ladung zu e<strong>in</strong>em »Dialogtag« gefolgt,wo sie unter anderem auf e<strong>in</strong>e Vertreter<strong>in</strong> der Landfrauen, auf e<strong>in</strong>e Frau, die sich fürden deutsch-polnischen Austausch e<strong>in</strong>setzt, und auf e<strong>in</strong>en engagierten Töpfer trifft.Erst ist sie verunsichert, da sie solche Gesprächsrunden bisher nicht kennt: Hierwird Beteiligung gefördert und jede und jeder kommt zu Wort, so ganz ohne Me<strong>in</strong>ungsmache.In Arbeitsgruppen werden Vorschläge für weitere Netzwerkbildungund neue Zusammenschlüsse erarbeitet. Hier erkennt sie, dass sie nicht alle<strong>in</strong> ist.58


Sie hat Menschen kennengelernt, die auf ihrer Wellenlänge s<strong>in</strong>d, hat Anregungenbekommen, Kontakte geknüpft und es hat ihr Mut gemacht! Alle beschäftigen sichmit denselben Themen: Wie halten wir unser Umfeld lebenswert? Die Antwort warschnell klar: Nur geme<strong>in</strong>sam. Gerne geme<strong>in</strong>sam. So macht es mehr Spaß und wirdmehr Wirkung zeigen. Und nebenbei wird so durch die offene Zusammenarbeitauch e<strong>in</strong>e demokratische Kultur vor Ort gestärkt.Erst etwas scheu, dann aber auch neugierig macht sie bei diesem Kunstprojektmit. Unter dem Titel held/<strong>in</strong>_dorf wird e<strong>in</strong>e Busreise geplant, auf der Initiativen ausder <strong>Region</strong> vorgestellt werden sollen. Jolanta Grenke will ihr Kulturhaus bekanntmachen. Schnell wird ihr klar: auch ihre Ideen werden angenommen und diskutiert.Sie werden verknüpft mit künstlerischen <strong>Aktion</strong>en und Besuchen bei weiterenInitiativen. Etwas befremdlich f<strong>in</strong>det sie zunächst den Titel held/<strong>in</strong>_dorf. Ich b<strong>in</strong>doch ke<strong>in</strong>e Held<strong>in</strong>, denkt sie. Doch auch der Nordkurier, die lokale Zeitung, stelltplötzlich Held<strong>in</strong>nen und Helden vor, die sich selbst gar nicht als solche sahen: Menschenaus der <strong>Region</strong>, die sich engagieren.Bei weiteren Treffen auf Schloss Bröll<strong>in</strong> wird auf e<strong>in</strong>er großen Karte die Bustouraufgemalt und mit allen Beteiligten der Ablauf geplant. Zusammen überlegen sie,wie und was genau passieren kann wenn die Busse ankommen und die vielen Menschenaussteigen. Grenkes Idee, an diesem Tag e<strong>in</strong>e deutsch-polnische Ausstellungzu eröffnen und alle aus dem Dorf e<strong>in</strong>zuladen, wird sofort angenommen.Bei der Generalprobe lernt Jolanta Grenke die weiteren Orte kennen, tauscht sichmit den anderen Teilnehmenden über Kunst, Geschichte und Landschaft aus, überEr<strong>in</strong>nerungen und darüber, warum sie hier wohnt. Bei der held/<strong>in</strong>_dorf-Bustour amnächsten Tag kann sie nicht mitfahren. Sie hat genug mit den Vorbereitungen für denEmpfang der Gäste zu tun. Jedoch den Markt der Möglichkeiten, auf dem sich weitereInitiativen aus der <strong>Region</strong> vorstellten, besucht Jolanta Grenke. Informiert über Weiterbildungs-und Jugendangebote, faires Handeln, regionale Netzwerke, Kunst- und Kulturangeboteund falsche Vorurteile gegen Polen und Pol<strong>in</strong>nen. Sie macht sich gestärktdurch e<strong>in</strong> paar Schnittchen vom Arbeitslosenverband auf den Weg zum Kulturhaus.Aufregend ist es, als dann die Busse an ihrem Kulturhaus halten, sie über ihreArbeit berichtet und die Ausstellung vorstellt. Kaffee hat sie gekocht und die Frauenim Dorf haben Kuchen gebacken. Ihre polnischen Freund<strong>in</strong>nen und Freunde forderndie Reisenden zum Tanzen auf, zu Tangomusik auf der Ziehharmonika. Durchdie Erlebnisse der Busreise <strong>in</strong>spiriert gibt es viel zu erzählen und zu lachen. AmAbend dann ist sie, wie auch der Busfahrer und die anderen Teilnehmenden, zumEssen auf Schloss Bröll<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geladen.Die Suppe der Superlative, gekocht aus Gemüsespenden der Gärtner<strong>in</strong>nen undGärtner der <strong>Region</strong>, ist e<strong>in</strong> Festmahl, das Schloss ist bunt beleuchtet, es gibt Ansprachenund Musik. An langen Tafeln tauschen sich die mehr als 100 Menschenüber die Erlebnisse des Tages aus, über ihr Engagement und ihre Motivation. Nichtnur die Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer der Busreise s<strong>in</strong>d gekommen, auch dieGärtner<strong>in</strong>nen und Gärtner, die das Gemüse gespendet haben, s<strong>in</strong>d da. So tauschensich ganz unterschiedliche Menschen aus, die ansonsten kaum <strong>in</strong> Kontakt kommen.59


Und erkennen, dass die bisher Unbekannten gar nicht so anders s<strong>in</strong>d als sie selbst.Wie auf den Dialogtagen spüren die Beteiligten, dass sie nicht alle<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d, dass esMöglichkeiten gibt, sich zusammen zu tun – und dass dies Kraft gibt. Geme<strong>in</strong>samhaben sie geschafft, Lebensfreude und so auch e<strong>in</strong> lebendiges Bild von der <strong>Region</strong>zu vermitteln. Jolanta Grenke lernt nicht nur andere Initiativen und Menschen ausden Nachbardörfern kennen, sondern bekommt auch Mut, um Neues zu wagen.Stärkung der demokratischen Kultur vor OrtWährend der Projektlaufzeit von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> gründet sich parallel, befördertauch durch die Dialogtage, das <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch,bunt!, das sich seitdem regelmäßig trifft, um aktiv demokratische Strukturen zu stärken.Als weiterer Projektbauste<strong>in</strong> entsteht e<strong>in</strong> Reisebuch, <strong>in</strong> dem die vielen Initiativen,Netzwerke, Menschen vorgestellt werden, die für e<strong>in</strong> demokratisches Mite<strong>in</strong>anderstehen. Aufgezeigt werden Möglichkeiten, sich zu engagieren. Der Nordkurierberichtet weiterh<strong>in</strong> über die Aktivitäten des Bündnisses und der Initiativen, dieHeld<strong>in</strong>nen und Helden der <strong>Region</strong> und die künstlerischen <strong>Aktion</strong>en – weil dies dieMenschen <strong>in</strong>teressiert. Schließlich macht es Mut, von Held<strong>in</strong>nen und Helden zulesen, besonders wenn sie aus dem eigenen Dorf kommen.Für die Initiator<strong>in</strong>nen und Initiatoren hat sich bestätigt: Durch Projekte dieserForm kann vor Ort viel bewegt werden. Die Komb<strong>in</strong>ation von künstlerischer Kreativitätund Engagement vor Ort birgt Potenzial, Neues zu wagen oder Altes neuwahrzunehmen.Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d derartige Demokratie-Kultur-Projekte mit Aufwand verbunden.Gerade <strong>in</strong> der ländlichen <strong>Region</strong> s<strong>in</strong>d die Wege lang. Auch s<strong>in</strong>d viele Initiativennicht sichtbar. Das Herausfiltern der Ansprechpersonen, das Aufbauen von Kontakten,das Knüpfen von Verb<strong>in</strong>dungen und das E<strong>in</strong>beziehen <strong>in</strong> ungewöhnlicheZusammenhänge brauchen viel Zeit und Sensibilität. Aber wer dies e<strong>in</strong>setzt, wirdüberrascht se<strong>in</strong> über die Ergebnisse. Türen gehen auf und Neues entsteht!Kunst und Kultur s<strong>in</strong>d die herausragenden Potenziale der <strong>Region</strong>. Sie schaffenregionale Identität, s<strong>in</strong>d demokratiebildend und können die Grundlagen für regionaleEntwicklung, Wertschöpfung und Verbesserung der Lebensqualität se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>elebendige Kunst- und Kulturszene birgt kreative Schöpfkraft, bildet Brücken undschafft Foren der Kommunikation. In ihrem Umfeld entstehen kreative Ideen fürlokales Handeln. Dies gilt für die ökonomische, soziale, politische und kulturelleDimension. Kunst und Kultur bergen wertvolle Impulse für die Entwicklung der<strong>Region</strong>. Denn nur mit selbstbewussten, selbstbestimmten und schöpferischen Menschenist e<strong>in</strong>e Entwicklung von <strong>in</strong>nen heraus möglich!Kathar<strong>in</strong>a Husemann ist Kulturmanager<strong>in</strong>. Seit 2011 ist sie im Rahmen des Projektes<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> für den Projektteil Schloss Bröll<strong>in</strong> (Foto) tätig. Als Gründungsmitgliedvon schloss bröll<strong>in</strong> e.V. und freie Projektmanager<strong>in</strong> <strong>in</strong>itiiert sie seit 1996 künstlerische undsoziokulturelle Projekte, bei denen Austausch und persönliche, kulturelle, gesellschaftlicheund politische Weiterentwicklung im Fokus stehen.60


Polenfe<strong>in</strong>dlichkeit und der Umgangmit Pol<strong>in</strong>nen und PolenNiels GatzkeBesonders an der deutsch-polnischen Grenze s<strong>in</strong>d die Beziehungen zwischen Deutschenund Polen und Pol<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong>tensiver geworden. Pol<strong>in</strong>nenund Polen ziehen zum Beispiel <strong>in</strong> Wohnungen <strong>in</strong> Vorpommern oder arbeitenals Dachdecker <strong>in</strong> Sachsen. Manche Menschen auf der deutschen Seite sehen dieseEntwicklung nicht positiv. Sie sagen, dass Polen und Pol<strong>in</strong>nen krim<strong>in</strong>ell seien, dasssie das deutsche Sozialsystem mit se<strong>in</strong>en Leistungen wie Wohn- und K<strong>in</strong>dergeldausnutzten oder dass Polen und Pol<strong>in</strong>nen ihnen die ohneh<strong>in</strong> schon knappen Arbeitsplätzewegnähmen.Diese negativen Positionen lassen sich durch Fakten und Statistiken nicht belegen.Sie zeigen aber, dass viele Menschen <strong>in</strong> der Grenzregion zu Polen Angst habenund unsicher s<strong>in</strong>d, wie sich die E<strong>in</strong>wanderung von Polen und Pol<strong>in</strong>nen und diegegenseitige Annäherung <strong>in</strong> Zukunft auf ihre eigene Situation auswirken werden.Sie fragen sich: Werde ich durch e<strong>in</strong>en Polen me<strong>in</strong>en Arbeitsplatz verlieren? S<strong>in</strong>dme<strong>in</strong> Auto und Haus noch sicher? Bekommt die polnische Familie, die <strong>in</strong> die Wohnungnebenan gezogen ist, mehr Wohngeld als ich? Diese Vorurteile und Ängstekönnen leicht fatale Auswirkungen haben, wie e<strong>in</strong> Fall von Selbstjustiz gegenüberpolnischen Erntehelfern im Mai 2013 <strong>in</strong> Kremmen <strong>in</strong> Brandenburg gezeigt hat. Dorthatten E<strong>in</strong>wohner drei unschuldige polnische Bürger nach e<strong>in</strong>em Wohnungse<strong>in</strong>bruchverprügelt und gefesselt.Polenfe<strong>in</strong>dlich ist, wer glaubt, dass Polen und Pol<strong>in</strong>nen schlechter s<strong>in</strong>d als andereMenschen. Polenfe<strong>in</strong>dlichkeit ist e<strong>in</strong>e Ausprägung von Rassismus, weil sie Ausdrucke<strong>in</strong>er Ger<strong>in</strong>gschätzung beziehungsweise Abwertung von Menschen ist.Wenn man bemerkt, dass sich Menschen aus dem eigenen Umfeld polenfe<strong>in</strong>dlichäußern, sollte man sich trauen, zu widersprechen. Es stimmt etwa nicht, dass Polenund Pol<strong>in</strong>nen anderen die Arbeit wegnehmen, weil sie häufig <strong>in</strong> Branchen tätig s<strong>in</strong>d,<strong>in</strong> denen Unternehmen aus Deutschland noch Fachkräfte suchen (etwa Gebäudere<strong>in</strong>igung,Pflegeberufe, Baugewerbe). Es ist auch nicht richtig, dass alle Polen undPol<strong>in</strong>nen krim<strong>in</strong>ell s<strong>in</strong>d – Krim<strong>in</strong>alität gibt es <strong>in</strong> allen Ländern und Bevölkerungen.Schließlich entspricht es nicht der Wahrheit, dass Polen und Pol<strong>in</strong>nen Sozialleistungenerschleichen. Vielmehr verbessern sie das E<strong>in</strong>kommen von Kommunen, weil sieSteuern, Miete und andere Abgaben zahlen.Gegen Vorurteile und Ängste hilft es, mit Menschen aus Polen <strong>in</strong> Kontakt zu treten,ihre Kultur kennen zu lernen und zu erfahren, wie es <strong>in</strong> ihrem Land aussieht.Demokratische Initiativen bieten die Gelegenheit, polnische Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgere<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. Dafür ist es wichtig, dass sie sich dort willkommen fühlen und als62


gleichwertige Menschen angenommen werden. Die Zusammenarbeit mit Pol<strong>in</strong>nenund Polen gel<strong>in</strong>gt besser, wenn man e<strong>in</strong> paar e<strong>in</strong>fache D<strong>in</strong>ge beachtet:Sprachen Auch wenn jemand nicht perfekt Deutsch spricht, sollte man se<strong>in</strong>e eigene Wortwahlund Aussprache nicht vere<strong>in</strong>fachen. Oft macht man dies automatisch und unterbewusst,daher ist es besser, sich selbst e<strong>in</strong>mal mehr zu überprüfen.n Falls polnische Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen Probleme mit dem Verständnis der deutschenSprache haben, sollte man dies nicht am E<strong>in</strong>zelfall <strong>in</strong> der gesamten Gruppediskutieren. Besser denkt man vorher daran und setzt die Person mit Sprachproblemenneben jemanden, die oder der als Sprachmittler oder -mittler<strong>in</strong> fungierenkann. Natürlich kann <strong>in</strong> der Gruppe diskutiert werden, ob man die Veranstaltungoder zukünftige Treffen zweisprachig gestaltet, aber dies nicht an e<strong>in</strong>zelnen Personenfestmachen.Polnische Ortsbezeichnungenn Oft haben Deutsche »Komplexe« mit der Bezeichnung von polnischen Orten undversuchen, sie bewusst Polnisch auszusprechen, während der polnische Bürger aufdeutsch die deutsche Bezeichnung benutzt. Am besten man geht »unverkrampft«damit um. Man kann ruhig »Stett<strong>in</strong>« sagen, man sagt auf Deutsch auch meistens»Mailand« statt »Milano«.n Das andere Extrem zum »verkrampften Umgang« mit polnischen Bezeichnungenist die konsequente Bezeichnung kle<strong>in</strong>erer polnischer Orte <strong>in</strong> deutschen Bezeichnungen.Dies ist e<strong>in</strong>fach nicht mehr zeitgemäß, die meisten Menschen <strong>in</strong> Deutschlandund Polen kennen diese e<strong>in</strong>fach nicht mehr, hier ist es praktischer die polnischenBezeichnungen zu verwenden, auch wenn man sie nicht korrekt ausspricht.Unterschiede nicht überbetonenn Akzeptieren Sie Unterschiede! Menschen s<strong>in</strong>d unterschiedlich und nicht alles,was beim Gegenüber anders ist, muss se<strong>in</strong>e Ursache <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen kulturellenPrägung aufgrund von Nationalstaaten haben. Unterschiede sollten nicht mit denAdjektiven deutsch oder polnisch versehen werden. Häufig kann man diese Unterschiedevon menschlichen Eigenschaften auch zwischen Deutschen f<strong>in</strong>den, undman macht sie vorschnell an der unterschiedlichen Herkunft fest.n Somit wird deutlich, dass man <strong>in</strong> Gruppensituationen ke<strong>in</strong> »Wir« und »Ihr« herstellt.Am besten man vermeidet Äußerungen, wie »ihr Polen« oder »schön, dassauch Polen mitarbeiten«. Auch positive Diskrim<strong>in</strong>ierung führt zu e<strong>in</strong>em unterschiedlichenGruppenverständnis und nicht zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen »Wir« <strong>in</strong> derGruppe.Niels Gatzke ist Politikwissenschaftler und Berater im <strong>Region</strong>alzentrum für demokratischeKultur Vorpommern-Greifswald der RAA Mecklenburg-Vorpommern e. V. Er hat zwei Jahredas Projekt »perspektywa« gegen Polenfe<strong>in</strong>dlichkeit und polenbezogene Ressentiments geleitet.63


»Wier kohntenn ees e<strong>in</strong>fach nicht. Glauben die Mau-er war weeg.« »Willst Du, dassich weiterlese?«, fragt Marlies, die Erzieher<strong>in</strong>. Der Junge schaut angestrengt vondem Blatt mit der unleserlichen Handschrift se<strong>in</strong>er Mutter hoch, nickt erleichtertund reicht Marlies den Brief. »Also, noch mal«, beg<strong>in</strong>nt sie. »Wir konnten es e<strong>in</strong>fachnicht glauben: Die Mauer war weg!« Aufmerksam hören die K<strong>in</strong>der der AGInteressengeme<strong>in</strong>schaft Heimatkunde des Hortes der Erich Kästner Grundschule ihrerErzieher<strong>in</strong> zu. Sie haben an diesem Mittwochnachmittag im September Briefe ihrerEltern mitgebracht, <strong>in</strong> denen diese ihre Er<strong>in</strong>nerungen an den 9. November 1989, denTag des Mauerfalls, schildern. Der Reihe nach lesen die K<strong>in</strong>der nun die Texte vor,stellen Fragen und diskutieren. Manchmal erläutern die Erzieher<strong>in</strong>nen etwas odererzählen aus ihren eigenen Er<strong>in</strong>nerungen. Am spannendsten f<strong>in</strong>den die K<strong>in</strong>der dieGeschichte e<strong>in</strong>es Vaters, der bei der Armee war. Er hat nicht nur e<strong>in</strong>en Text geschrieben,sondern se<strong>in</strong>em Sohn auch e<strong>in</strong> Foto mitgegeben, welches ihn <strong>in</strong> Uniform zeigt.Kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Er<strong>in</strong>nerungskulturSeit Wochen schon sammeln die K<strong>in</strong>der Geschichten über die verschiedenen Bedeutungendes 9. November <strong>in</strong> der deutschen Geschichte, sprechen über die Ausrufungder Republik 1918, die Reichspogromnacht 1938 und den Mauerfall 1989. <strong>Zum</strong>9. November 1918 und 1938 haben sie ke<strong>in</strong>e Geschichten aus ihren Familien gehört,sondern sich mit Zossener Lokalgeschichte befasst. <strong>Zum</strong> Beispiel mit der Geschichteder Familie Cohen, die bis 1942 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus am Zossener Marktplatz lebteund dann nach Theresienstadt verschleppt wurde. »Ihr Schicksal bleibt bis heuteunklar«, wird es dazu später im Theaterstück 9. November: Zossen Zeitreise heißen,welches die Theaterpädagog<strong>in</strong> Pip Hill von The Work<strong>in</strong>g Party auf Grundlage dergesammelten Geschichten und Interessen der K<strong>in</strong>der erarbeiten und mit ihnen probenwird. Zu dessen Aufführung – die am 9. November stattf<strong>in</strong>det – kommen dieverschiedenen Menschen, die zu se<strong>in</strong>er Entstehung beigetragen haben: Eltern undAngehörige, Vertreter und Vertreter<strong>in</strong>nen der Stadtverwaltung, der Bürger<strong>in</strong>itiativeZossen zeigt Gesicht und viele andere Menschen aus Zossen.So wie an diesem Abend ganz unterschiedliche Menschen beteiligt s<strong>in</strong>d, so f<strong>in</strong>densich an e<strong>in</strong>em verregneten Novembervormittag zwei Wochen nach der AufführungPersonen aus unterschiedlichen <strong>in</strong>stitutionellen und zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen<strong>in</strong> der Zossener Stubenrauchstraße e<strong>in</strong>. Heute wird e<strong>in</strong> Stolperste<strong>in</strong> fürden Zossener Werner Robert Dahlen verlegt, e<strong>in</strong>en jüdischen Anwalt, der 1941 <strong>in</strong>sGetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert wurde. Die Bürger<strong>in</strong>itiative, die die LebensgeschichteWerner Robert Dahlens recherchiert hat, ist anwesend, die Bürgermeister<strong>in</strong>Michaela Schreiber, Super<strong>in</strong>tendent<strong>in</strong> Kathar<strong>in</strong>a Furian, Mitglieder der Stadtverordnetenversammlungund viele andere Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger: In Zossenkann man sich darauf verlassen, dass viele Menschen kommen, wenn es um Gedenkveranstaltungengeht. Die Bereitschaft, sich <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne zu engagieren, ist hoch.Bürgermeister<strong>in</strong> Michaela Schreiber spielt dafür oft e<strong>in</strong>e positive Rolle: 2013 ist siebeispielsweise – geme<strong>in</strong>sam mit Kirche und Zivilgesellschaft – Initiator<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Veranstaltungsreihe,die sich der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem66


Verlauf der nationalsozialistischen Terrorherrschaft widmet. Jedes Jahr erkl<strong>in</strong>genam 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust,städtische Sirenen; sie sollen an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitzer<strong>in</strong>nern. Und auch unbequeme Ause<strong>in</strong>andersetzungen scheuen die Vertreter<strong>in</strong>nenund Vertreter der Zossener Verwaltung nicht: So wurde auf Initiative der Bürgermeister<strong>in</strong>die Ausstellung Das hat’s bei uns nicht gegeben: Antisemitismus <strong>in</strong> der DDRder Amadeu Antonio Stiftung gezeigt, <strong>in</strong> der es um die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzungmit Er<strong>in</strong>nerungskultur und das lange tabuisierte Thema des Antisemitismus <strong>in</strong> derDDR geht. Inhaltlich e<strong>in</strong> heißes Eisen, rüttelt die Ausstellung doch am Selbstverständnisvieler Ostdeutscher, die DDR nach wie vor als antifaschistischen Staat zusehen, der den Antisemitismus qua se<strong>in</strong>er Gründung überwunden habe. KritischeAuse<strong>in</strong>andersetzungen mit Er<strong>in</strong>nerungskultur auf kommunaler Ebene s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegsselbstverständlich, diese Erfahrung macht die Amadeu Antonio Stiftung immerwieder. Dabei s<strong>in</strong>d diese essentiell für die Bekämpfung von Antisemitismus, demnicht aufgearbeitete Lokalgeschichte und nicht reflektierte Er<strong>in</strong>nerungskultur e<strong>in</strong>fruchtbarer Nährboden ist. Alles gut also <strong>in</strong> Zossen, könnte man me<strong>in</strong>en – wenn danicht die Kommunikation über aktuellen Rechtsextremismus wäre.Die tägliche Bedrohung durch Nazis»S<strong>in</strong>d zwei Nazis gekommen. Ich geh nicht aufs Podium, solange die hier s<strong>in</strong>d.« JörgWanke, Sprecher der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht, deutet mit e<strong>in</strong>em Kopfnickenauf zwei Männer, die Bier tr<strong>in</strong>kend am Tresen im Café des Zossener E-Werksstehen. Hier f<strong>in</strong>det heute Abend auf Initiative der Grünen LandtagsabgeordnetenMarie Luise von Halem e<strong>in</strong>e Vorführung des Films »Krieger<strong>in</strong>« mit anschließenderDiskussion über Rechtsextremismus <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> statt. »Sollen wir die rausschmeißenlassen?« überlegt Jörg laut, dreht sich auf dem Absatz um und geht aufdie beiden Polizisten zu, die am E<strong>in</strong>gang des E-Werks stehen. Wenige Augenblickespäter geleiten diese die beiden Nazis vor die Tür. Betont lässig schlendern sie zumAusgang, schauen sich immer wieder um; e<strong>in</strong>er von ihnen dreht sich, als er die Türerreicht, noch e<strong>in</strong>mal dem Raum zu, bleibt stehen, mustert die anwesenden Gäste.»Man kann es schon mit der Angst zu tun bekommen«, me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Frau.Im Anschluss an den Film hallt der Auftritt der beiden Nazis im Publikumsgesprächwider: War es richtig, sie herauswerfen zu lassen? Hätte man nicht mit ihnendiskutieren müssen? Wäre es nicht gut, wenn sie den Film sehen und das Gewaltpotenzialihrer Ideologie vorgeführt bekämen? Diese und andere Fragen werden andiesem Abend diskutiert; Probleme, für deren Lösung es ke<strong>in</strong> Patentrezept gibt unddie der Ause<strong>in</strong>andersetzung bedürfen. E<strong>in</strong>ige der Anwesenden haben Erfahrungenmit Nazis <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> Zossen gemacht, sie berichten von e<strong>in</strong>er Elternsprecher<strong>in</strong>,die bei der NPD ist, von rechtsextremen Graffitis und CDs mit rechtsextremen Inhalten,die auf Schulhöfen verteilt wurden. Es s<strong>in</strong>d Menschen ganz unterschiedlichenAlters und mit unterschiedlichen beruflichen H<strong>in</strong>tergründen, die hier an diesemAbend mite<strong>in</strong>ander diskutieren. Was die Situation besonders und das Themabrisant macht: Jörg Wanke steht <strong>in</strong> diesen Wochen unter Polizeischutz. Knappe zwei67


Wochen vorher haben Rechtsextreme e<strong>in</strong>en Anschlag auf se<strong>in</strong> Haus verübt, seitdemsteht jede Nacht e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satzwagen vor se<strong>in</strong>er Tür.So wie an dem Abend im E-Werk deutlich wird, dass es viele Menschen gibt, dieetwas gegen Rechtsextremismus unternehmen wollen, so ist der Anschlag auf JörgWankes Haus zwar e<strong>in</strong> besonders krasser Fall neonazistischer Gewalt, jedoch nichtdie erste Erfahrung dieser Art, die die Bürger<strong>in</strong>itiative gemacht hat. 2010 haben Nazisdas von der Bürger<strong>in</strong>itiative betriebene Haus der Demokratie abgebrannt, immerwieder haben Rechtsextreme Gedenkveranstaltungen <strong>in</strong> Zossen gestört, Morddrohungengegen Mitglieder der Bürger<strong>in</strong>itiative an Häuserwände geschmiert oderDenkmäler geschändet. An dem Wochenende, an dem der Anschlag auf das Hausvon Jörg Wanke verübt wurde, wurden Stolperste<strong>in</strong>e geschändet, Hakenkreuze aufMüllconta<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der Stadt gesprüht und der Gedenkste<strong>in</strong> der Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgtendes Naziregimes (VVN) im Stadtpark geschändet.»Nachdem im August und September bis jetzt m<strong>in</strong>destens 30 Schmierereien vonHakenkreuzen und mehrere rechtsextremistische Parolen registriert werden mussten,nachdem dreimal Gedenkste<strong>in</strong>e der Opfer des Nationalsozialismus geschändetwurden und die Häuser von zwei Familien der Stadt Zossen Opfer von rechtsextremistischenAnschlägen wurden gibt es dr<strong>in</strong>genden Gesprächsbedarf! (…) Wiemachen wir weiter? Auf wen können wir zählen <strong>in</strong> der offensichtlich sich wieder zuspitzendenAuse<strong>in</strong>andersetzung mit dem Rechtsextremismus?« , schreibt der Sprecherratder Bürger<strong>in</strong>itiative <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung zum ersten Treffen von Zossen zeigtGesicht nach dem Anschlag. Mehr als 50 Personen folgen ihr, unter ihnen Menschenaus Zossen und Umgebung, aber auch aus ganz Brandenburg. Engagiert diskutierendie Anwesenden darüber, was nun zu tun sei, welche Netzwerke erschlossen werdenkönnten, wer für die Unterstützung der Bürger<strong>in</strong>itiative gewonnen werden könnte.Es dauert nicht lange, bis e<strong>in</strong> Mann aufsteht und <strong>in</strong> den Raum fragt: »Hier s<strong>in</strong>dheute Abend nicht nur Leute aus Zossen, sondern hier s<strong>in</strong>d Leute angereist aus ganzBrandenburg, um euch zu unterstützen. Warum ist niemand aus dem Rathaus hier?«»Über die Bürgermeister<strong>in</strong> wollen wir nicht mehr reden, dass die uns nicht unterstützt,wissen wir doch längst – wir kommen <strong>in</strong> unserer Arbeit nicht weiter, wennwir uns immer wieder darüber aufregen,« entgegnet e<strong>in</strong> Mitglied der Bürger<strong>in</strong>itiative.Trotzdem entsp<strong>in</strong>nt sich im Anschluss e<strong>in</strong>e Diskussion, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>ige Anwesendeihrem Frust und ihrer Enttäuschung darüber Luft machen, dass die Bürgermeister<strong>in</strong>nicht anwesend ist. Das Thema brennt so manchen unter den Nägeln. So vergehtder Abend, ohne dass konkrete Schritte geplant werden, wie der aktuellen Situationbegegnet werden kann.Unterschiedlicher Umgang mit RechtsextremismusVertreter und Vertreter<strong>in</strong>nen der Zossener Verwaltung engagieren sich zwar er<strong>in</strong>nerungspolitisch,und wenn Stolperste<strong>in</strong>e geschändet werden, sorgen sie dafür, dassDer Engel der Geschichte <strong>in</strong> der Zossener Friedenseiche von 1817: Ause<strong>in</strong>andersetzung mitlokaler Er<strong>in</strong>nerungskultur im Projekt denkmal_weg.Foto: Fridol<strong>in</strong> Welti68


sie schnell gere<strong>in</strong>igt werden. Dem Engagement der Bürger<strong>in</strong>itiative stehen sie jedochambivalent gegenüber: E<strong>in</strong>erseits sehen sie die Notwendigkeit, etwas gegenNazis zu tun, gleichzeitig ist ihre Sorge, das Problem des Rechtsextremismus könneübertrieben und der Ruf der Stadt geschädigt werden. So zitiert die Märkische Allgeme<strong>in</strong>eZeitung Bürgermeister<strong>in</strong> Michaela Schreiber zwei Tage nach dem Anschlagauf das Haus von Jörg Wanke mit den Worten, dass es ihr »für Herrn Wanke persönlichLeid tue, so wie für jeden anderen auch, der von e<strong>in</strong>er solchen Sachbeschädigungbetroffen sei.« (Hasselmann 2012). Die Tat rechtfertige jedoch nicht, »dassdurch den Sprecher der Initiative die Stadt zum wiederholten Mal <strong>in</strong> der Öffentlichkeitbewusst als Hort des Rechtsextremismus dargestellt werde.« (Hasselmann 2012).Die Worte der Bürgermeister<strong>in</strong> kl<strong>in</strong>gen be<strong>in</strong>ahe so, als wiege die Sorge, der Ruf derStadt könne ru<strong>in</strong>iert werden, schwerer als die Sorge, dass es Rechtsextreme waren,die den Anschlag verübt haben. Schlussendlich ist die Annahme, der Anschlag seianderen Sachbeschädigungen gleichzusetzen, e<strong>in</strong>e Verharmlosung. In e<strong>in</strong>er E-Mailan Jörg Wanke, die zitiert werden darf, äußert sich Rathaussprecher Axel Jürs außerdem:»auch, wenn es im Falle e<strong>in</strong>er nicht politisch orientierten ›Sachbeschädigung‹immer noch e<strong>in</strong> Anschlag auf Euer Sicherheitsgefühl wie auch Eigentum und damitnicht wesentlich weniger bestürzend wäre, möchte man doch hoffen, dass eske<strong>in</strong> Signal dafür ist, dass sich Neonazis <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> wieder zu neuen Gewalttatenh<strong>in</strong>reißen lassen. Da das jedoch nicht auszuschließen ist, b<strong>in</strong> ich vor diesem H<strong>in</strong>tergrundbesonders froh, dass Frau Furian, Frau Schreiber und Herr von Eichborn (…)im Jahr 2013 mit e<strong>in</strong>er besonderen Form des Gedenkens an die Machtübernahmeder Nationalsozialisten vor dann 80 Jahren er<strong>in</strong>nern wollen.«Jörg Wanke hat <strong>in</strong> den vergangenen Jahren immer wieder Interviews gegebenund öffentlich über Rechtsextremismus <strong>in</strong> Zossen gesprochen. Er sieht das als Teilse<strong>in</strong>er Arbeit – wie soll sich die Situation bessern, wenn man nicht darüber spricht,darüber aufklärt, diskutiert? Wie sollen Menschen <strong>in</strong> ähnlichen Situationen ermutigtwerden, sich zu engagieren, wenn sie nicht erfahren, dass es <strong>in</strong> anderen Ortenauch so ist? Jörg Wanke, der nicht nur Sprecher der Bürger<strong>in</strong>itiative ist, sondernauch Vorstandsmitglied des <strong>Aktion</strong>sbündnisses Brandenburg, weiß sehr wohl, dassRechtsextremismus nicht nur <strong>in</strong> Zossen, sondern <strong>in</strong> ganz Brandenburg e<strong>in</strong> Problemist. Michaela Schreiber und auch manche Mitglieder der Stadtverordnetenversammlungf<strong>in</strong>den jedoch, dass die mediale Berichterstattung und Wankes Bereitschaft,Interviews zu geben, dazu führen, dass Zossen e<strong>in</strong>en schlechten Ruf bekommen hat.Im Dezember, zwei Monate nach dem Anschlag, veröffentlicht die Stadtverordnetenversammlungdementsprechend e<strong>in</strong>e von 21 ihrer 29 Mitglieder unterzeichnetePresseerklärung. Dar<strong>in</strong> heißt es, die Stadtverordneten verwahrten sich »im Namenihrer Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger gegen e<strong>in</strong>e haltlose Verunglimpfung ihrer HeimatstadtZossen und der dar<strong>in</strong> wohnenden Menschen als brandenburgisches »Zentrumneonazistischer Aktivitäten«, »Hochburg des Rechtsextremismus« (...) wie sie <strong>in</strong> derVergangenheit immer wieder <strong>in</strong> und von Medien verbreitet wurden.« (Plan B 2012).Statt sich mit der Arbeit der Bürger<strong>in</strong>itiative zu solidarisieren und öffentlich deutlichzu machen, dass die Verwaltung h<strong>in</strong>sieht, wenn es um rechtsextreme Gewalt70


geht und bereit ist sich geme<strong>in</strong>sam mit ihren Bürgern zu engagieren, konnte durchdas Zitat der Bürgermeister<strong>in</strong> beziehungsweise die Presseerklärung der Stadtverordnetenversammlungder E<strong>in</strong>druck entstehen, sie verharmlosten die Situation undsähen das Problem nicht bei den Rechtsextremen, sondern bei den Personen, dieüber Rechtsextreme sprechen. Über die E-Mail des Rathaussprechers wurde zwarkommuniziert, dass man besorgt sei, diese war jedoch nur halb-öffentlich – und derVerweis auf das er<strong>in</strong>nerungspolitische Engagement <strong>in</strong> der Stadt sche<strong>in</strong>t wenig passend,schließlich g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> diesem Moment um aktuellen Rechtsextremismus undnicht um die Vergangenheit.In der <strong>in</strong>nerhalb des Projekts durchgeführten Sozialraumanalyse stellt sich heraus,dass die Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen der Bürger<strong>in</strong>itiative und der Verwaltungvon den Zossener Bürgern und Bürger<strong>in</strong>nen als abschreckend wahrgenommenwird. Der Konflikt zwischen dem Rathaus der Stadt und der Bürger<strong>in</strong>itiative spielt<strong>in</strong> der Befragung e<strong>in</strong>e große Rolle, allerd<strong>in</strong>gs ohne, dass die Befragten auf den Kernder Ause<strong>in</strong>andersetzung – die unterschiedliche E<strong>in</strong>schätzung des Themas Rechtsextremismusund wie man damit umgehen kann – e<strong>in</strong>gehen. Der Konflikt überlagert<strong>in</strong> Zossen die Wahrnehmung von Rechtsextremismus. Und sogar die Bürger<strong>in</strong>itiativeblockiert sich <strong>in</strong> ihrer Arbeit immer wieder selbst, weil sie sich mit dem Konfliktmit der Verwaltung ause<strong>in</strong>andersetzt, anstatt sich um ihr eigentliches Thema, dasEngagement gegen Nazis, zu kümmern. Dabei wissen alle Beteiligten, spricht mane<strong>in</strong>zeln mit ihnen, das Engagement gegen Rechtsextremismus von allen demokratischenKräften geme<strong>in</strong>sam getragen werden kann und sollte. Durch den Konfliktsche<strong>in</strong>t es so viele Verletzungen auch persönlicher Natur gegeben zu haben, dass erimmer wieder <strong>in</strong> den Vordergrund tritt. So gerät die Bürger<strong>in</strong>itiative <strong>in</strong> die Rolle deröffentlichen Ankläger<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem sie der Verwaltung vorwirft, nicht genug gegen Naziszu tun, während Vertreter und Vertreter<strong>in</strong>nen der Verwaltung darauf beharren,die Bürger<strong>in</strong>itiative schädige Zossens Ruf und habe ke<strong>in</strong> Recht darauf, dies zu tun.<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> hat sich bemüht, im Rahmen se<strong>in</strong>er er<strong>in</strong>nerungskulturellen Projektee<strong>in</strong>en <strong>in</strong>haltlichen Bogen zwischen Er<strong>in</strong>nerung an historische Entwicklungen,aktuellen Ersche<strong>in</strong>ungsformen menschenfe<strong>in</strong>dlicher Ideologien und demokratischerKultur zu schlagen. Dabei wurde <strong>in</strong> den Projekten bewusst über die Konfliktl<strong>in</strong>ien<strong>in</strong> der Stadt h<strong>in</strong>weg gearbeitet. Dafür konnte das gute Verhältnis zu Verwaltungund Bürger<strong>in</strong>itiative <strong>in</strong>tensiviert und neue Kontakte <strong>in</strong> der Stadt etabliertwerden. Bewusst wurden Angebote geschaffen, die für alle Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgerder Stadt offen se<strong>in</strong> sollten, um trotz des Konflikts Begegnungsmöglichkeiten zuhaben, <strong>in</strong> denen sich alle demokratisch engagierten Personen beteiligen konnten.Gleichzeitig wurde die kommunikative Situation durch die Öffnung für Personen,die vorher noch nicht engagiert waren, von vorne here<strong>in</strong> entzerrt. Da sich <strong>in</strong> derSozialraumanalyse heraus gestellt hatte, dass die Zossener Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgersich von dem Konflikt so betroffen fühlen, dass sie sich aus zivilgesellschaftlichemEngagement zurück ziehen, war es besonders wichtig, diese für die Projektarbeit zugew<strong>in</strong>nen und auch immer wieder mit Personen, die den Konfliktparteien angehören,zusammen zu br<strong>in</strong>gen.71


Zivilgesellschaftliches Engagement als Ausdruck demokratischen HeimatbezugsEs wäre empfehlenswert, dass die Verwaltung das Engagement der Bürger<strong>in</strong>itiativeund das öffentliche Sprechen über Rechtsextremismus nicht als »Verunglimpfung«der Stadt sieht, sondern beg<strong>in</strong>nt, es als Engagement für Zossen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er positiven,reflektierten Verantwortung für den Ort zu begreifen. Schließlich ist zivilgesellschaftlichesEngagement immer Ausdruck der Identifikation mit e<strong>in</strong>em Ort sowie derVerbundenheit mit ihm. Darüber h<strong>in</strong>aus ist e<strong>in</strong>e aktive zivile Gesellschaft das Herzstückmoderner und multikultureller Demokratien. Sie vertritt charakteristischerweiseMe<strong>in</strong>ungen und Themen, die nicht mehrheitsfähig s<strong>in</strong>d, und leistet so e<strong>in</strong>enwichtigen Beitrag zum Prozess der Demokratisierung der Gesellschaft. Dabei mussZivilgesellschaft gewählte politische Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter nicht ausschließen,die wie alle anderen Teil von ihr se<strong>in</strong> können. Wenn es gel<strong>in</strong>gt, solch e<strong>in</strong> Verständnisherzustellen und gesellschaftspolitisches Engagement auf verschiedenen Ebenennicht <strong>in</strong> Konkurrenzen zu denken, können <strong>in</strong> der Arbeit gegen RechtsextremismusKoalitionen zwischen politisch unterschiedlichen Kräften entstehen und der verme<strong>in</strong>tlicheGegensatz zwischen gewählten politischen Vertretern und Vertreter<strong>in</strong>nenund Personen, die sich <strong>in</strong> Initiativen zusammen schließen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er kooperierendenZivilgesellschaft aufgehoben werden. Zu demokratischer Kultur gehört auchder Umgang mit Konflikten. Die Verwaltung kann hier mit gutem Beispiel voran gehen,zeigen, dass sie alle Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger vertritt und der geme<strong>in</strong>same E<strong>in</strong>satzgegen Nazis Priorität hat. Nur so können Rechtsextreme ausgegrenzt und nur so kann<strong>in</strong> der Stadtgesellschaft kommuniziert werden, dass es Streit <strong>in</strong>nerhalb des demokratischenSpektrums geben kann, dass dadurch jedoch der Konsens nicht <strong>in</strong>s Wankengeraten darf, dass rechtsextreme Ideologien nicht <strong>in</strong> dieses Spektrum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehören.Auch, wenn der Konflikt <strong>in</strong> der Stadtgesellschaft nicht von heute auf morgen gelöstwerden wird: In geme<strong>in</strong>samen, auf diesem Konsens beruhenden Projekten könnensich verschiedenen Personen begegnen und im S<strong>in</strong>ne demokratischer Kultur kooperierenund kommunizieren.Literatur und QuellenHasselmann, Fred (2012): Politisches Motiv nicht ausgeschlossen. Kripo ermittelt. In: Märki sche Allgeme<strong>in</strong>eZeitung, 9. 10. 2012, http://www.maerkischeallgeme<strong>in</strong>e.de/cms/beitrag /12404365/62249/Briefkastenanschlag-Kripo-ermittelt-Politisches-Motiv-nicht-ausgeschlossen.html (Zugriff 5. 6.2013)Plan B (2012): Presseerklärung der Stadt Zossen vom 15. Dezember 2012, http://plan-b-zossen.de/<strong>in</strong>dex.php/comments-and-articels/583-presseerklaerung-der-stadt-zossen-stadtverordnetenversammlung,(Zugriff 6. 5. 2013)Stella H<strong>in</strong>demith ist Amerikanist<strong>in</strong> und arbeitet seit 2012 für die Amadeu Antonio Stiftungim Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> als Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> für den Projektort Zossen. Zuvor hat sie <strong>in</strong>unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen und <strong>in</strong>stitutionellen Zusammenhängen zu Antisemitismusund Gender gearbeitet.denkmal_weg Zossen: Theater als Raumaneignung.Foto: Fridol<strong>in</strong> Welti72


Anregungen für das »Kritik üben«Heiko PultVor der Kritik: Zunächst kann es hilfreich se<strong>in</strong>, sich Zeit zu nehmen, um Emotionenzu beruhigen und die Kritik zu formulieren. Hier e<strong>in</strong> paar Fragen, die helfen können,die zentralen Punkte der Kritik herauszuarbeiten:n Welche Ziele werden mit der Kritik verfolgt? Was genau wird kritisiert? Wass<strong>in</strong>d mögliche Ursachen für das kritisierte Verhalten? Was für Veränderungen werdengewünscht? Was könnte der eigene Beitrag dazu se<strong>in</strong>?n Äußerung der Kritik: Es lohnt sich fast immer, den persönlichen Kontakt zusuchen. Manchmal ist es hilfreich, e<strong>in</strong>e von beiden Seiten akzeptierte Person e<strong>in</strong>zuladen,die die Gesprächsführung unterstützt. Bei der Äußerung von Kritik erleichternIch-Botschaften die Kritik.n Nach der Kritik: Es lohnt sich als kritisierte Person oder Institution, sich etwasZeit zu nehmen, um über die Kritik zu reflektieren. Bei Bedarf kann e<strong>in</strong> weiteresGespräch hilfreich se<strong>in</strong>, um angemessen auf die Kritik e<strong>in</strong>gehen zu können undgeme<strong>in</strong>sam Lösungen zu erarbeiten.Zuvor nicht für möglich gehalten: 2.000 Menschen stellen sich <strong>in</strong> Vorpommern den Nazisentgegen.Foto: Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!74


Wertschätzend mite<strong>in</strong>ander umgehenHeiko Pult»Die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger leisten (…) wesentliche und notwendige Beiträgezu e<strong>in</strong>em funktionsfähigen und lebendigen demokratischen Rechtsstaat. (…) <strong>Zum</strong>anderen erfüllt bürgerschaftliches Engagement <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Verbänden, Initiativenund politischen Parteien den Rechtsstaat und die Demokratie mit Leben.« Das stelltder Bericht der Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements fest,der vom Deutschen Bundestag beauftragt wurde (Deutscher Bundestag 2002: 282).Das Zitat beschreibt, wie der Staat gegenwärtig zivilgesellschaftliches Engagementwertet und sollte daher auch grundlegend für die kommunale Regierungs- und Verwaltungsebenegelten. Leider ist <strong>in</strong> der Praxis diese wertschätzende Grundhaltungnicht <strong>in</strong> allen Rathäusern und Behördenstuben anzutreffen. Aber Pasewalks BürgermeisterRa<strong>in</strong>er Dambach etwa zeigt, wie es geht: »Mir wäre es recht, wenn es mehrBürger<strong>in</strong>itiativen geben würde. Es gibt zu wenige Möglichkeiten für Bürger, sichaktiv e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Es bedarf der Mitwirkung der Bürger – permanent. Das schadetke<strong>in</strong>er Kommune, im Gegenteil, das stärkt die Kommune. Wenn es der Verwaltungnicht gel<strong>in</strong>gt, den Bürger am Geme<strong>in</strong>wesen zu <strong>in</strong>teressieren, wird es über längereZeit schwierig, das Geme<strong>in</strong>wesen vernünftig weiter zu entwickeln. Es lebt letztlichvom Engagement, von den Ideen, Gedanken se<strong>in</strong>er Bürger und auch von dem E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gender Bürger. Ich b<strong>in</strong> grundsätzlich der Me<strong>in</strong>ung, dass Verwaltung, egal welche,Bürger<strong>in</strong>itiativen ernst nehmen muss.«E<strong>in</strong>e wertschätzende Grundhaltung ist natürlich ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bahnstraße. Auchzivilgesellschaftliche Gruppen sollten sich bemühen, die Leistungen ihrer gewähltenVertretungen und Verwaltungen objektiv zu bewerten und nicht nur die Fehler,sondern auch das Gelungene hervorzuheben. E<strong>in</strong>en ähnlichen Bedarf sieht auch e<strong>in</strong>Sprecher der Bürger<strong>in</strong>itiative aus Zossen: »Natürlich haben wir als Bürger<strong>in</strong>itiativedie Probleme und Konflikte vorrangig im Blick. Wir gucken wenig und vielleichtzu wenig, auf das was eben an positiven D<strong>in</strong>gen da ist, was schon erreicht wurde.«Um e<strong>in</strong>e wertschätzende Haltung e<strong>in</strong>nehmen zu können, kann es sowohl fürzivilgesellschaftliche Gruppen als auch Politik und Verwaltung förderlich se<strong>in</strong>,sich stärker mit den Zielen, Aufgaben, Strukturen und Handlungsmöglichkeiten,aber auch -beschränkungen (etwa das »Neutralitätsgebot« bei Verwaltungen) derjeweiligen anderen Seite zu beschäftigen. Dadurch lassen sich e<strong>in</strong>erseits über höhteErwartungen und daraus resultierende Enttäuschungen vermeiden, anderseits wirddarüber klarer, was vone<strong>in</strong>ander m<strong>in</strong>destens erwartet und dementsprechend auche<strong>in</strong>gefordert werden kann.Literatur und QuellenDeutscher Bundestag (2002): Bericht der Enquete-Kommission »Zukunft des BürgerschaftlichenEngagements«, S. 282; unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/089/1408900.pdf75


Ergebnisse der Sozialraumanalyse <strong>in</strong> ZossenWie empf<strong>in</strong>den Zossener Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger das Leben <strong>in</strong> ihrer Geme<strong>in</strong>de? Wie empf<strong>in</strong>densie die Informationsversorgung durch die lokalen Medien? Wie schätzen sie die Möglichkeitensozialer Teilhabe <strong>in</strong> Zossen e<strong>in</strong>? Die Sozialraumanalyse mit e<strong>in</strong>er Befragungunter Zossener Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgern geht diesen Fragen nach.Als problematisch beschreiben die Befragten die Geme<strong>in</strong>degebietsreform. Obwohles <strong>in</strong> Zossen viele kulturelle und soziale Angebote gibt, können Menschen, dienicht oder e<strong>in</strong>geschränkt mobil s<strong>in</strong>d, diese Angebote kaum wahrnehmen, da ZossensOrtsteile geografisch weit verstreut s<strong>in</strong>d. Gerade bei älteren Menschen entstehtdeshalb das Gefühl, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu se<strong>in</strong>. Die E<strong>in</strong>wohner<strong>in</strong>nenund E<strong>in</strong>wohner der verschiedenen Ortsteile haben zudem nicht dasGefühl, zusammen zu gehören, und vermissen das Gefühl e<strong>in</strong>er Identitätsgeme<strong>in</strong>schaft– auch im Zusammenhang mit Engagement. Zwar gibt es <strong>in</strong> Zossen e<strong>in</strong>evielfältige Zivilgesellschaft, jedoch beklagen die Interviewten, dass den engagiertenBürger<strong>in</strong>nen und Bürgern viele Menschen gegenüberstehen, die ke<strong>in</strong> Interesse ane<strong>in</strong>em aktiven Geme<strong>in</strong>wesen zeigen.Am meisten beschäftigt die Befragten jedoch der Streit zwischen der Bürgermeister<strong>in</strong>,die der Wählervere<strong>in</strong>igung Plan B angehört, manchen Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlungund der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht (BI). DerKonflikt zwischen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern der Verwaltung und BI ist imDemokratische Jugendkulturen stärken: Nach zehnjährigem Engagement durch ZossenerSkater und Skater<strong>in</strong>nen wird gegen Widerstände der Stadt e<strong>in</strong> Skatepark eröffnet.Foto: Swantje Tobiassen76


Grunde genommen e<strong>in</strong> Konflikt über die E<strong>in</strong>schätzung des Rechtsextremismus <strong>in</strong>Zossen. Während die Bürger<strong>in</strong>itiative der Verwaltung vorwirft, sie täte nicht genuggegen Rechtsextremismus, sehen viele Angehörige der Verwaltung und Mitgliederder Parteien CDU und Plan B die E<strong>in</strong>schätzung der Bürger<strong>in</strong>itiative von Nazis <strong>in</strong>der <strong>Region</strong> als übertrieben an. Auch fürchten sie um den Ruf ihrer <strong>Region</strong>. Bemerkenswertist, dass die Befragten nicht über die Inhalte des Konflikts sprechen, sondernnur über dessen Existenz und die Belastung der Stadtgesellschaft durch ihn.Deutlich wird der Wunsch nach e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit der lokalen Akteure undAkteur<strong>in</strong>nen sowie e<strong>in</strong>em stärkeren Zusammengehörigkeitsgefühl. Dieses Geme<strong>in</strong>schaftsbedürfnislässt sich allerd<strong>in</strong>gs nicht ausschließlich mit dem Konflikt erklären,auch wenn die Distanzierung von politischen Grabenkämpfen die Sehnsucht nache<strong>in</strong>er kollektiven Orientierung sicherlich verstärkt. In den Interviews wird jedoche<strong>in</strong> Gegenentwurf e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft beschrieben, <strong>in</strong> der sich alle geme<strong>in</strong>sam füre<strong>in</strong> übergeordnetes Ziel e<strong>in</strong>setzen. Diese Vorstellung entspricht allerd<strong>in</strong>gs nichte<strong>in</strong>er pluralistischen und demokratischen Gesellschaft, zu der unterschiedlicheInteressen und Positionen notwendigerweise gehören. Das heißt auch: Nur, weil <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Sozialraum e<strong>in</strong> größeres Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl herrscht, ist er damit nicht unbed<strong>in</strong>gtdemokratischer. Problematisch ist etwa, wenn konkurrierende Standpunktezu e<strong>in</strong>er gegenseitigen Abwertung ihrer Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter führen, wiee<strong>in</strong>ige Interviewte berichten. Dass hier also demokratischer Wettstreit kaum möglichsche<strong>in</strong>t, ohne zugleich e<strong>in</strong>e Rhetorik e<strong>in</strong>zuschließen, die auf die persönlicheIntegrität der Streitenden abstellt, verweist unter Umständen auf e<strong>in</strong> defizitäresDemokratieverständnis.Die Zossener Rundschau der Märkische Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung (MAZ) wird <strong>in</strong> den Interviewsvon e<strong>in</strong>em Drittel der Befragten gelobt. Andere Befragte lesen die ZossenerRundschau aus Mangel an Alternativen. E<strong>in</strong> Drittel der Befragten thematisiert dieE<strong>in</strong>seitigkeit und parteiische Berichterstattung der Zossener Rundschau. Die Artikelder Zeitung seien e<strong>in</strong>seitig und befangen, kritische Me<strong>in</strong>ungen würden nicht veröffentlichtwerden, es kämen nur Institutionen zu Wort. Im Verhältnis der Befragtenzur Zossener Rundschau spiegelt sich die Teilung der Zossener Gesellschaft <strong>in</strong> Konfliktparteiendeutlich wider.Mehrheitlich gehen die Interviewten davon aus, dass Zossen »<strong>in</strong>tegrationsfreundlich«sei. Da sich unter den Befragten nur e<strong>in</strong>e Person bef<strong>in</strong>det, die nicht deutscherHerkunft ist und diese Person als e<strong>in</strong>zige thematisiert, von Rechtsextremen drangsaliertworden zu se<strong>in</strong>, bleibt die Frage, ob dieses Bild der Zossener Gesellschaft auchaus der Perspektive von M<strong>in</strong>derheiten realistisch ist.Die komplette Analyse f<strong>in</strong>den Sie unter:http://7.ly/pT677


Kommunikationund Kunst:Wie <strong>in</strong>künstlerischkreativenProzessenPersonen <strong>in</strong>sGespräch kommenBenno PlassmannFoto: Fridol<strong>in</strong> Welti


Im Rahmen des Projekts <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> wurden geme<strong>in</strong>sam mit der fachlichenPartner-Organisation The Work<strong>in</strong>g Party e<strong>in</strong>e Reihe von künstlerisch-kreativen <strong>Aktion</strong>enentwickelt und umgesetzt. Diese hatten <strong>in</strong>nerhalb der Projektstruktur, zum Teilauch über den ursprünglichen Projektplan h<strong>in</strong>ausgehend, e<strong>in</strong>e zentrale kommunikativeFunktion. The Work<strong>in</strong>g Party hat unter wechselnden Vorzeichen immer wiederversucht, sich dem Anspruch zu stellen, e<strong>in</strong>e kreative oder künstlerische Dramaturgiemit e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen oder menschlichen Dramaturgie zu verb<strong>in</strong>den.Im Folgenden soll versucht werden, an diesen <strong>Aktion</strong>en Möglichkeiten und Ideenzu beschreiben, e<strong>in</strong>ige Schlüssel-Konzepte zur Kommunikationsförderung durchKunst herauszuarbeiten – auch unter H<strong>in</strong>weis auf zum Teil weitreichende analytische,konzeptionelle und praktische Probleme.Zweckfreiheit ist e<strong>in</strong> zentraler Wert von Kunst. Den Zweck e<strong>in</strong>er direkten Bekämpfungvon Nazis kann sie nicht erfüllen. Warum also überhaupt künstlerischeMittel hier <strong>in</strong>s Spiel br<strong>in</strong>gen?Die held/<strong>in</strong>_dorf-Performance <strong>in</strong> und um Schloss Bröll<strong>in</strong> im September 2012, dieerzählerische Stadtbegehung Zossen Zeigen im Juni 2012, die Geschichtenwerkstatt2012 mit abschließender Aufführung 9. November: Zossen Zeitreise und die performativeStadtbegehung denkmal_weg <strong>in</strong> Zossen am 8. Mai 2013 basierten alle auf jeweilsklar geplanten gesellschaftlichen Dramaturgien. Entsprechend der Projektziele von<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> wurde daran gearbeitet, verschiedene Gruppen kommunikativ mite<strong>in</strong>ander<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu setzen und zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen kreativen Prozesszu animieren, der zu e<strong>in</strong>em öffentlich sichtbaren Resultat führen sollte, mith<strong>in</strong> zumehr kommunikativen Anlässen.Im E<strong>in</strong>ladungsschreiben zum ersten Dialogtag auf Schloss Bröll<strong>in</strong> am 9. Februar2012 <strong>in</strong> Vorbereitung auf die held/<strong>in</strong>_dorf-Performance hieß es:»Wir möchten Sie alle e<strong>in</strong>laden, sich die Zeit zu nehmen und e<strong>in</strong>ander die Zeit zu geben,geme<strong>in</strong>sam über Visionen für unsere <strong>Region</strong> und konkrete Ansatzpunkte für ihre Umsetzungnachzudenken. Das große Ganze f<strong>in</strong>det sich ja so oft im Konkreten und im Konkretensieht man so viel Großes. In diesem S<strong>in</strong>ne möchten wir mit Ihnen und Vertreter<strong>in</strong>nen undVertretern anderer Organisationen aus der <strong>Region</strong> geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>er neuen Vernetzung undgegenseitigen Verständigung Raum geben.«Zu dem Zeitpunkt bestand bereits die Idee für e<strong>in</strong>e größere geme<strong>in</strong>same Aufführungim September 2012. Ab e<strong>in</strong>er bestimmten Projektgröße lassen die Vorlaufzeitenfür Antragstellungen und E<strong>in</strong>werbung von F<strong>in</strong>anzierung ja auch gar ke<strong>in</strong>eandere Wahl, als sehr vieles schon lange vorher zu denken und zu planen. Jedochfanden diese Ideen und Grob-Planungen im E<strong>in</strong>ladungsschreiben bewusst ke<strong>in</strong>eErwähnung. Auch bei den anderen <strong>Aktion</strong>en war es oft so, dass mögliche Szenarienzu Beg<strong>in</strong>n des kommunikativen Prozesses zwischen den angesprochenen Gruppennicht notwendigerweise genau benannt wurden.Dies geschah wegen e<strong>in</strong>er der Problematiken von kreativ-künstlerischen Prozessen,an denen Nicht-Künstler und Nicht-Künstler<strong>in</strong>nen beteiligt s<strong>in</strong>d oder (hoffent-80


lich) beteiligt se<strong>in</strong> wollen. Wenn aus e<strong>in</strong>er Grundhaltung der Transparenz herausbereits bestehende Ziele wie e<strong>in</strong>e Performance genau beschrieben werden, dannkann e<strong>in</strong>e Reaktion se<strong>in</strong>: »Na, da wollen doch nur e<strong>in</strong> paar Künstler ihr D<strong>in</strong>g durchziehen,ist eh schon alles festgezurrt, lohnt es sich da h<strong>in</strong>zugehen?« oder »Nee, mitKreativität und Kunst habe ich nichts am Hut, das ist nichts für mich, das traue ichmich nicht«. Wenn andererseits <strong>in</strong> aller Transparenz e<strong>in</strong> völlig offener Prozess angebotenwird, für den noch nicht e<strong>in</strong>mal mögliche Szenarien und praktische Schrittevorgeschlagen werden, dann kann e<strong>in</strong>e Reaktion se<strong>in</strong>: »Wozu b<strong>in</strong> ich gebeten, lohntsich das da h<strong>in</strong>zugehen, beziehungsweise, was will ich hier?«Wie <strong>in</strong> vielen pädagogischen Prozessen gilt es auch hier, e<strong>in</strong>e Balance zu halten.Für Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler kann es nicht genug se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>fach nur »daszu machen, was die Leute wollen«. Im S<strong>in</strong>ne demokratischer Grundwerte vonSelbstbestimmung und Teilhabe ist letzteres selbstverständlich. Im Falle der Zusammenarbeitvon erfahrenen Künstler<strong>in</strong>nen und Künstlern mit Nicht-Künstlernund Nicht-Künstler<strong>in</strong>nen kommt e<strong>in</strong>e solche Haltung <strong>in</strong> Wirklichkeit aber e<strong>in</strong>erVerantwortungsverweigerung durch die auf ihrem Gebiet erfahreneren Künstler<strong>in</strong>nenund Künstler gleich. Nur »das zu machen, was die Leute wollen« wird dah<strong>in</strong>tendieren, Bekanntes zu reproduzieren und kaum dazu, darüber h<strong>in</strong>auszukommen,was schon gewusst oder gewollt ist. Kreative und künstlerische Schaffensprozessestreben gerade danach, über bereits bekannte Horizonte h<strong>in</strong>auszukommen.Mart<strong>in</strong> Danziger, Künstlerischer Leiter des schottischen Theatre Modo, der <strong>in</strong> denschottischen Highlands seit Ende der 1990er Jahre kreativ-künstlerische Arbeitenim Zentrum von Geme<strong>in</strong>wesenentwicklungsprozessen leitet, beschreibt die Problematikdes Balancehaltens folgendermaßen:»Je mehr (ich diese Arbeit mache), umso mehr wird mir klar, wie wichtig es ist, dassim Zentrum die Kraft e<strong>in</strong>er künstlerischen Vision steht. Denn das ist, was die anderenverstehen können, (…) das ist was spannend se<strong>in</strong> muss und andere hoffentlich <strong>in</strong>spiriert.Dann gibt es natürlich e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Umständen: was Leute machen wollen, welcheErfahrung sie haben und so weiter. Die künstlerische Vision wird (entsprechend dieser Umstände)weiterentwickelt, denn es geht ja darum, e<strong>in</strong>en Weg zu f<strong>in</strong>den, wie die Anfangssituationumgedreht werden kann: das Resultat soll ja se<strong>in</strong>, dass man den Enthusiasmus (derTeilnehmer und Teilnehmer<strong>in</strong>nen) wahrnimmt und nicht De<strong>in</strong>e anfängliche Verführung.«(<strong>in</strong>: Plassmann 2008: 187).Danziger beschreibt hier e<strong>in</strong>e Rolle von Künstlern und Künstler<strong>in</strong>nen mit ihrenkünstlerischen Visionen als Herzstück offener und zweckfreier Prozesse, die sichaber gleichzeitig ihrer Leitungsverantwortung und Funktion als Inspiratoren undInspirator<strong>in</strong>nen bewusst s<strong>in</strong>d und e<strong>in</strong>e hohe gesellschaftliche Interaktivität zur Folgehaben.Bei den kreativ-künstlerischen Arbeiten im Rahmen von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> g<strong>in</strong>g esweder darum, dass Künstler und Künstler<strong>in</strong>nen ihre Visionen ausdrücken konntenunter Ausnutzung nicht-bezahlter, nicht-künstlerischer Mitarbeiter und Mitarbeiter<strong>in</strong>nen.Noch g<strong>in</strong>g es darum, e<strong>in</strong>fach das zu machen, »was die Leute wollten«.Sondern es g<strong>in</strong>g zentral darum, e<strong>in</strong>en Begegnungsraum zu ermöglichen, <strong>in</strong> dem81


alle Beteiligten (<strong>in</strong>klusive der verantwortlich leitenden Personen) schöpferisch überErwartungen und das jeweils von ihnen bereits Gekannte oder Gewusste h<strong>in</strong>ausgehenkönnen.Kunst wird <strong>in</strong> unserer Gesellschaft viel verzweckt. Oft ist sie Statussymbol, mandenke nur an die Prestigespiele des Kunstmarkts oder die vom Theater-, KonzertoderMuseumsbesuch erhoffte positive Abgrenzung gegenüber anderen. Odersie dient wirtschaftlichen Zwecken, man denke an die gentrifizierende Rolle vonKunst <strong>in</strong> der Stadtentwicklung. Und nicht zuletzt muss sie oft als sozialpolitischeBeruhigungspille herhalten, mit der Teilhabe und Partizipation oft genugnur vorgespielt werden sollen.Ob so e<strong>in</strong> Begegnungsraum funktioniert, hängt zentral davon ab, den e<strong>in</strong>geladenenpotenziellen Mitwirkenden Vorschläge zu machen. Wenn es aus den oben genanntenGründen auch vermieden werden soll, von vornehere<strong>in</strong> e<strong>in</strong> detailliert beschriebenes,umzusetzendes Ziel vorzugeben, so müssen motivierende und handfesteMöglichkeiten für e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit vorgeschlagen werden.Für die held/<strong>in</strong>_dorf-Performance wurden unter anderem durch aufsuchendeInterviews über persönliche Gedanken zum Thema Held<strong>in</strong>nen und Helden vielemenschliche Gesprächssituationen geschaffen; gleichzeitig wurde e<strong>in</strong> kritischesBewusstse<strong>in</strong> für diese nicht immer e<strong>in</strong>fache Kategorie gestärkt. Durch e<strong>in</strong>e parallelstattf<strong>in</strong>dende Reihe von Porträts von E<strong>in</strong>zelpersonen oder Initiativen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>alzeitungNordkurier wurde dieses Thema dann noch breiter problematisiert undaußerdem fand e<strong>in</strong>e Art der Anerkennung und Wertschätzung statt. Diese wirktesich nicht nur auf die <strong>in</strong> der Zeitung porträtierten Personen aus, sondern auf alljene, die sich auf den geme<strong>in</strong>samen kreativen Prozess zu dem Thema e<strong>in</strong>gelassenhatten.Die notwendige Balance zwischen vorher entwickelter Grundidee und den Möglichkeitenzur offenen Entwicklung <strong>in</strong> der Projektarbeit konnte erfolgreich gehaltenwerden. E<strong>in</strong>e kreativ gestaltete Busfahrt war die Grund-Idee für die Performance,wodurch so handfeste Parameter festgelegt werden konnten wie Zeiten und anfahrbareOrte. Engagierte Personen aus den besuchten Orten konnten auftretenund erzählten über ihre Arbeit. Aus den Interviews entstand viel überraschendesMaterial, mit dem e<strong>in</strong>e Klang-Installation im Bus gemacht wurde. Außerdem wardies Interview-Material e<strong>in</strong> wichtiger Teil der <strong>in</strong>haltlichen Arbeit im zweiwöchigen<strong>in</strong>ternationalen Theaterworkshop LIFT Off zum Thema hero:held:bohater, der <strong>in</strong>Vorbereitung auf die Busreise auf Schloss Bröll<strong>in</strong> stattfand. Aus Diskussionsrundenund sehr <strong>in</strong>tensiver praktischer Workshop-Arbeit entstanden kurze ortsspezifischePerformances für drei Dörfer, die mit dem Bus angefahren wurden: an e<strong>in</strong>em Kriegerdenkmalfür Gefallene des 1. und 2. Weltkriegs, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buchenha<strong>in</strong> auf demDorfanger und an der Bushaltestelle außerhalb e<strong>in</strong>es Dorf-Kulturhauses. Dar<strong>in</strong> wurdenklassische Motive des Theaters oder popkulturelle Bezüge verarbeitet, immermit dem klaren Ziel, Konzepte und Funktionen von Heldentum zu h<strong>in</strong>terfragen82


oder zu dekonstruieren. Aus dem Begegnungsraum der geme<strong>in</strong>samen Arbeit vielerLeute im Projektprozess entstand am Ende e<strong>in</strong>e bewusst gestaltete kommunikativeSituation. In ihrer Komb<strong>in</strong>ation von Ästhetik und Reflexion hatte sie viele künstlerischeElemente – ohne deswegen aber alle<strong>in</strong> von den leitenden Künstlern undKünstler<strong>in</strong>nen geschaffen worden zu se<strong>in</strong>. Für alle am Prozess Beteiligten warenbereichernde Interaktionen entstanden.Die Vorbereitung der erzählerischen Stadtbegehung Zossen Zeigen im Juni 2012g<strong>in</strong>g von e<strong>in</strong>em Vorschlag an K<strong>in</strong>der im Grundschulalter aus. Anlass war der Besuche<strong>in</strong>er Reisegruppe der 3ten Generation Ostdeutschland <strong>in</strong> Zossen, denen ke<strong>in</strong>e üblicheStadtführung gegeben werden sollte. So wurde den K<strong>in</strong>dern, später auch Skater<strong>in</strong>nenund Skatern, der Vorschlag gemacht, ob sie diese Erwachsenen nicht durchZossen führen wollten. Die K<strong>in</strong>der zeigten den Besucher<strong>in</strong>nen und Besuchern vonaußerhalb besondere D<strong>in</strong>ge auf ihrem Schulweg (der durch das Gelände des ehemaligenHauptquartiers der Sowjet-Armee <strong>in</strong> der DDR und dem Oberkommando desHeeres <strong>in</strong> der Nazi-Zeit führt), während e<strong>in</strong>e Gruppe von Skater<strong>in</strong>nen und Skaternden Besuchern und Besucher<strong>in</strong>nen ›ihre‹ Stadt zeigte (mit den Rampen, Parkplätzenund dem kürzlich erstrittenen Skate-Park). Diese kommunikativen Situationenerlaubten e<strong>in</strong>e emanzipatorische Arbeit an dem Gestus des Zeigens: wer zeigt wemwas wie und aus welchem Grund?Bei der Geschichtenwerkstatt mit Grundschulk<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>klusive abschließenderAufführung von Zossen Zeitreise: 9. November war die Fasz<strong>in</strong>ation der Vielschichtigkeitdiesen Datums <strong>in</strong> der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts Ausgangspunktfür die Arbeit. K<strong>in</strong>der im Alter von 7 bis 11 Jahren wurden ermuntert, <strong>in</strong> ihrenFamilien dazu Fragen zu stellen. Außerdem gab es Term<strong>in</strong>e mit anderen Zeitzeugenund Zeitzeug<strong>in</strong>nen oder historisch versierten Personen. So entstanden aus beidenVorschlägen ganz eigene <strong>in</strong>teressante Begegnungsräume und Gesprächssituationen.Aus den von den K<strong>in</strong>dern gesammelten Materialien wurde dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweitenSchritt von der Theaterpädagog<strong>in</strong> Pip Hill von The Work<strong>in</strong>g Party e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Aufführungzusammengestellt und mit den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>studiert. Ganz bewusst war es hiermöglich, den Begegnungsraum der Projektarbeit mit e<strong>in</strong>er auch kritischen Reflexionbestimmter historischer Themen zu verb<strong>in</strong>den.Der denkmal_weg <strong>in</strong> Zossen wollte anregen, sich Gedanken zu machen über denUmgang mit Denkmälern <strong>in</strong> der Stadt. Um diesem Vorschlag e<strong>in</strong>e gewissen Bedeutungund Dr<strong>in</strong>glichkeit zu verleihen, wurde der 8. Mai als Term<strong>in</strong> der Performanceausgewählt. Schließlich gibt es e<strong>in</strong>e Reihe vorher bestehender Rituale oder Erwartungendarüber, wie man an das Ende der Nazi-Schreckensherrschaft und die NiederlangeDeutschlands im II. Weltkrieg er<strong>in</strong>nern sollte. Denkmäler mit ihren meistprom<strong>in</strong>enten Orten im Stadtraum laden förmlich zu performativen <strong>Aktion</strong>en imöffentlichen Raum e<strong>in</strong> und bieten e<strong>in</strong>e gute Gelegenheit, an e<strong>in</strong>em Verständnis derEr<strong>in</strong>nerungskultur vergangener Epochen oder der eigenen zu arbeiten. In Vorbereitungder vielschichtigen Performance <strong>in</strong> Zossen am 8. Mai 2013 wurde neben diesemgrößeren Anliegen allen teilnehmenden Gruppen e<strong>in</strong> Vorschlag gemacht, wiesie sich an e<strong>in</strong>er Neu-Wahrnehmung bekannter Ort <strong>in</strong> der Stadt beteiligen könnten:83


Choreographien, Erzählen, wie es <strong>in</strong> vergangenen Zeiten gewesen ist, S<strong>in</strong>gen, Musikmachen,Skateboard fahren und so weiter.Kreativ-künstlerische Praxis taucht im Repertoire von Projekten für demokratischeKultur und gegen Rechtsextremismus immer wieder auf. Doch handelt essich dabei um vielschichtige Prozesse, die nicht mit simplen Generalisierungenbeschrieben werden können. Die Vielzahl von Theaterstücken, Medienprojekten,DJ-Kursen und ähnlichem aus der Schatztruhe der kulturellen K<strong>in</strong>der- undJugendbildung besagt ja nicht notwendigerweise etwas über den Grad von Problematisierungund Reflexion aus, aus dem e<strong>in</strong>e solche Projektarbeit entsteht,der mit ihr e<strong>in</strong>hergeht oder den sie bewirkt.Bei den oben beschriebenen Schaffensprozessen, oft auch ganz allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> denperformativen Künsten, handelt es sich um die Zusammenarbeit e<strong>in</strong>er Vielzahl vonPersonen. Diese simple Tatsache sollte nicht übersehen werden. Denn dies bedeutet,dass diese Prozesse die Lösung e<strong>in</strong>er Vielzahl von praktischen Aufgaben oder garProblemen erfordert: Zeitplanung, Bereitstellung von Arbeitsorten, daraus resultierendef<strong>in</strong>anzielle oder weitere organisatorische Probleme (wie etwa Genehmigungenbei Arbeiten an öffentlichen Plätzen). Wenn also von e<strong>in</strong>em offenen Prozess dieRede ist, oder davon, dass für unvorhergesehene Entwicklungen aus der geme<strong>in</strong>samenArbeit heraus Raum gelassen werden soll, dann heißt dies nicht, dass es ke<strong>in</strong>eStruktur oder Verantwortlichkeiten gäbe. Im Gegenteil, da es sich um offene Prozessehandelt, die von vielen Personen gestaltet werden, handelt es sich bei solchenkreativ-künstlerischen Arbeiten um e<strong>in</strong>en Freiheitsraum menschlicher Beziehungen,der hohe professionelle Anforderungen stellt und Austausch vermittelt.Dies alle<strong>in</strong> ist schon e<strong>in</strong> Gegenentwurf zu der Art von Beziehungsräumen, nachdenen Nazis streben. Aus deren geschlossenem Weltbild, hegemonialen Identitätskonzeptenund kulturellen Symbolen entstehen kulturelle Strategien, die demZweck dienen, Ideologien von Unfreiheit, Gewalt, Unterdrückung und AbwertungAnderer darzustellen und zu befördern. Diese kulturellen Strategien gehen auchmit symbolischen oder ästhetischen Strukturen um (wie etwa Kleidung, Musik,<strong>Aktion</strong>en im öffentlichen Raum); aber nur weil es e<strong>in</strong>e wiedererkennbare Ästhetikgibt, handelt es sich dabei noch nicht um Kunst.Diskussionen um die Zweckfreiheit von Kunst führen also nur bed<strong>in</strong>gt weiter.Neben denen, die die Zweckfreiheit von Kunst als fast schon metaphysischesPr<strong>in</strong>zip verteidigen, gibt es ja auch solche, die dieses Konzept an sich wiederumals bürgerliches Prestigespiel ansehen: schließlich könne es sich nicht jeder leisten,über solche D<strong>in</strong>ge zu räsonieren. Es wird hilfreicher se<strong>in</strong>, von der Zweckfreiheitdes künstlerischen Schaffensprozesses zu sprechen. Denn der schöpferischeProzess, aus dem das Resultat e<strong>in</strong>es dann im zweiten Schritt auch zweckorientiertnutzbaren Kunstwerks erst entsteht, ist als offener Prozess essentiell vonZweckfreiheit durchdrungen.84


Die Bedeutung für die demokratische Kultur von solchen Begegnungsräumen <strong>in</strong>nerhalboffener kreativ-künstlerischer Prozesse sollte nicht unterschätzt werden.Und dies gilt nicht nur für peripherisierte Räume wie Vorpommern oder Teile Süd-Brandenburgs, <strong>in</strong> denen unter anderem wegen des Abbaus gesellschaftlicher Infrastrukturkommunikative Begegnungsräume immer spärlicher werden. Viel mehrgeht es um kommunikative Räume <strong>in</strong>nerhalb offener und zweckfreier kreativerProzesse welche ganz allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> unserer Gesellschaft immer spärlicher werden,auf ihrem Weg von e<strong>in</strong>er Marktwirtschaft zu e<strong>in</strong>er Marktgesellschaft. Wilhelm Heitmeyerund die Bielefelder Rechtsextremismus-Forscher<strong>in</strong>nen und -Forscher sehendie damit e<strong>in</strong>hergehende fortschreitende Ökonomisierung des Sozialen als e<strong>in</strong>enzentralen Faktor für ihre Analyse von Phänomenen Gruppenbezogener Menschenfe<strong>in</strong>dlichkeit(siehe: Heitmeyer 2008: 55-72).Sich auf Begegnungen ohne vorweggenommene Resultate e<strong>in</strong>zulassen, die sichmit der Zeit vielleicht sogar zu e<strong>in</strong>em offenen kreativen Prozess zu strukturieren,welcher wiederum zu e<strong>in</strong>em öffentlich sichtbaren künstlerischen Resultat führt,heisst also, sich e<strong>in</strong>er solchen Ökonomisierung se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Beziehungsgeflechtezu entziehen. Wichtige praktische Möglichkeiten demokratischer Kulturkönnen so gepflegt werden.Literatur und QuellenHeitmeyer, Wilhelm und Endrikat, Kirsten (2008): Die Ökonomisierung des Sozialen, Folgen für»Überflüssige« und »Nutzlose«, <strong>in</strong>: Heitmeyer, Wilhelm: Deutsche Zustände Folge 6, Frankfurt(Suhrkamp)Plassmann, Benno (2008): Qui e oltre. Un saggio sul teatro <strong>in</strong> luoghi possibili, dalla Scozia, <strong>in</strong>:Guar<strong>in</strong>o, Raimondo: Teatri luoghi citta‘, Roma (offic<strong>in</strong>a edizioni).Benno Plassmann ist nach Studium <strong>in</strong> Ed<strong>in</strong>burgh, Bologna und Malta e<strong>in</strong>er der Gründervon The Work<strong>in</strong>g Party <strong>in</strong> Glasgow im Jahr 2000. Seitdem freie künstlerische und kulturelleProjekte. Mitbegründer und erster Sprecher des <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen,demokratisch, bunt! und seit April 2013 Vorsitzender des schloss bröll<strong>in</strong> e. V.85


Wie geht das:DemokratischeKulturaktivieren?Erkenntnisseaus<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>Anna Richter, Anika NoackFoto: Peter van Heesen


Dieser Beitrag zieht e<strong>in</strong> Resüme aus dem Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikationim ländlichen Raum der Amadeu Antonio Stiftung und bündelt abschließend die darausabgeleiteten Handlungsempfehlungen. So sollen das generierte Wissen, die Erfahrungenund Meilenste<strong>in</strong>e aus diesem Projekt über den konkreten Projekt- sowieräumlichen Kontext h<strong>in</strong>aus nutzbar und anderen Initiativen zugänglich gemachtwerden, ohne dass dabei jedoch der Anspruch erhoben wird, Handlungsanleitungenvorzuschreiben oder gar Erfolgsrezepte zu liefern.Um Rechtsextremismus und Entdemokratisierungstendenzen praktisch und wirkungsmächtigentgegenzutreten, können aus den <strong>in</strong> konkreten Projekten gewonnenenErfahrungen wertvolle Werkzeuge für die Vermittlung zivilgesellschaftlichenMite<strong>in</strong>anders abgeleitet werden. In Form von Handlungsansätzen können sie dazubeitragen, dass Menschen vor Ort über ihre <strong>Region</strong> nachdenken, sich <strong>in</strong>s öffentlicheLeben aktiver e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und e<strong>in</strong> emanzipiertes Verständnis von Zivilgesellschaftentwickeln. Diese Handlungsansätze müssen, so unser Ansatzpunkt, die existierendenRessourcen aufgreifen, an die Lebenswelten und Bedürfnisse der Bewohner<strong>in</strong>nenund Bewohner vor Ort anknüpfen und sie motivieren, sich zivilgesellschaftlichfür die Belange ihrer <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>zusetzen und sich als handlungsfähige Akteure zubegreifen.Aktivierende BefragungDer aktivierende Ansatz, den die Amadeu Antonio Stiftung im Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>verwendet, kommt dieser Zielsetzung besonders entgegen. Im Gegensatz zu imVoraus festgelegten Projektansätzen und genau festgelegten Zielsetzungen hat deraktivierende Ansatz den Anspruch, die Ziele des Projektes ebenso wie die Problemeund Interessen der Menschen vor Ort selbst zum Gegenstand der Projektarbeit zumachen. Obwohl Interessen und Probleme vielfach offensichtlich ersche<strong>in</strong>en undhäufig sogar als quasi natürlich aufgefasst werden, basiert der aktivierende Ansatzdarauf, dass Interessen- und Problembeschreibungen und somit auch Lösungsvorschlägesozial konstruiert, also ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich oder gar natürlichs<strong>in</strong>d. Etwas als unh<strong>in</strong>terfragbar und/oder natürlich darzustellen – nach dem Motto:Das ist schon immer so gewesen – ist Teil e<strong>in</strong>er Strategie, bestehende Machtverhältnissezu stärken. Im Gegensatz dazu verfolgt der aktivierende Ansatz des Projektesdas Ziel, diese unh<strong>in</strong>terfragten »Tatsachen« zu h<strong>in</strong>terfragen, die Menschenzum Nachdenken und Thematisieren anzuregen, ihnen den Raum zu geben, sozialeKon struktionen als solche zu begreifen und ihnen damit das Werkzeug für derenDekon struktion <strong>in</strong> die Hand zu geben.Somit ist bereits die Zielstellung, demokratisches Engagement zu stärken, engmit e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Def<strong>in</strong>ition der vor Ort wahrgenommenen Problemlagenund Wünsche verbunden. Aktivierung alle<strong>in</strong> ist nicht unbed<strong>in</strong>gt zivilgesellschaftlichmotiviert – e<strong>in</strong> Beispiel dafür s<strong>in</strong>d die so genannten »Kümmerer« aus rechtsextremenSzenen, die soziale Aufgaben übernehmen und e<strong>in</strong> Vakuum zu füllenversuchen, das unter anderem durch den voranschreitenden Abbau des Wohlfahrtsstaatsentsteht. Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich unter anderem zum Ziel, diese88


Zusammenhänge aufzuzeigen und arbeitet dabei aufklärerisch, ohne den Zeigef<strong>in</strong>gerzu heben. Dabei geht es vor allem um e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Rechtsextremismussowie damit zusammenhängenden Problemen <strong>in</strong> den <strong>Region</strong>en und ganzzentral um die Erkenntnis, dass rechtsextremes Gedankengut zivilgesellschaftlichemZusammenleben diametral gegenüber steht. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Ergebnis ist deshalbnicht zuletzt die Erkenntnis, dass die von der Projektgruppe formulierte Vermutung,Rechtsextremismus werde von den Befragten als Hauptproblematik genannt,nicht zutraf. Es stellte sich jedoch besonders <strong>in</strong> Zossen heraus, dass die von denAnwohner<strong>in</strong>nen und Anwohnern genannten und erarbeiteten problematischen Aspekte– die Spaltung <strong>in</strong> der Stadt, wenig bis ke<strong>in</strong>en Raum für zivilgesellschaftlichesEngagement außerhalb der beiden »Lager« (Rathaus und Bürger<strong>in</strong>itiative Zossenzeigt Gesicht), ke<strong>in</strong>e unabhängige Berichterstattung e<strong>in</strong>er überregionalen Zeitung– nicht nur zusammenh<strong>in</strong>gen, sondern ganz entscheidend daraus resultierten, dasse<strong>in</strong>e demokratische Kultur weitgehend fehlt.<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – <strong>Aktion</strong> <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>Die Amadeu Antonio Stiftung hat den aktivierenden Ansatz produktiv aufgegriffenund über e<strong>in</strong>en Zeitraum von 27 Monaten <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit schloss bröll<strong>in</strong>e.V., The Work<strong>in</strong>g Party und der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht diverse Formateund Veranstaltungen (etwa öffentliche Vernetzungstreffen, Diskussionsforen)durchgeführt, die von Befragungen von Anwohner<strong>in</strong>nen und Anwohnern begleitetund geleitet wurde. <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> wurde vom Leibniz-Institut für <strong>Region</strong>alentwicklungund Strukturplanung e.V. wissenschaftlich begleitet und evaluiert, wodurch guteRahmenbed<strong>in</strong>gungen für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive und reflektierte Projektarbeit geschaffenwurden.Die vielfältigen <strong>Aktion</strong>en fanden <strong>in</strong> zwei <strong>Region</strong>en statt: Während die <strong>Region</strong>um Fahrenwalde e<strong>in</strong>e ländliche und peripherisierte <strong>Region</strong> <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommernist, die ganz besonders unter dem demographischen Wandel und se<strong>in</strong>enFolgen, etwa dem »Bra<strong>in</strong>-Dra<strong>in</strong>« (vgl. Matthiesen 2004: 17), zu leiden hat, ist dasbrandenburgische Zossen weniger e<strong>in</strong>e schrumpfende als e<strong>in</strong>e alternde Stadt, dienach e<strong>in</strong>em Zuwachs bis 2011 hauptsächlich jüngere Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohnerverlieren wird. Das Zusammentreffen verschiedener, aber sich gegenseitig potenzierenderProblematiken resultiert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Resignation, der nur schwer mittelse<strong>in</strong>er »von außen« angebotenen Projektarbeit begegnet werden kann, weshalb geradehier der aktivierende Ansatz gewählt wurde.E<strong>in</strong> wichtiger Ansatzpunkt des Projekts war deshalb auch die Haltung, dass selbstKrisen e<strong>in</strong> produktives und positives Moment <strong>in</strong>newohnen kann und sie damit Entwicklungspotenzialbieten. Zusammen mit schloss bröll<strong>in</strong> e. V., e<strong>in</strong>em von der lokalenBevölkerung eher mit Skepsis betrachteten Anziehungspunkt für Kunst<strong>in</strong>teressierteund -schaffende aus aller Welt, wurde das Projekt held/<strong>in</strong>_dorf entwickelt, das e<strong>in</strong>en»liebevollen Blick auf die <strong>Region</strong> werfen, die Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> mitnehmenund den Rechtsextremen den Status als alle<strong>in</strong>ige Kümmerer nehmen wollte«. NachdemHelden- und Held<strong>in</strong>nen-Geschichten vor Ort zusammengetragen worden89


waren, wurden Anwohner<strong>in</strong>nen und Anwohner, regionale Initiativen, Künstler<strong>in</strong>nenund Künstler sowie polnische Partner<strong>in</strong>nen und Partner <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Busreisemit ihrer Gegend konfrontiert, die sie aus dem Busfenster gleichsam als Touristenund Tourist<strong>in</strong>nen wahrnehmen konnten. Gleichzeitig wurden sie angeregt, überMenschen <strong>in</strong> ihrer <strong>Region</strong> nachzudenken, die Außergewöhnliches geleistet habensowie diese Geschichten mite<strong>in</strong>ander zu teilen, und besuchten e<strong>in</strong>ige dieser lokalenHeld<strong>in</strong>nen und Helden. Sozialraumbezogene Integrationseffekte waren nicht nurzwischen lokaler Bevölkerung und Künstlern und Künstler<strong>in</strong>nen zu beobachten,auch der <strong>in</strong>terkulturelle Dialog mit Bewohnern und Bewohner<strong>in</strong>nen der polnischenNachbarregion und das Aufe<strong>in</strong>anderzugehen von bislang Fremden wurdeim Zuge des Projektes verstärkt. »Da waren so viele junge Leute vertreten, die sichvorher nicht kannten und die sich verbunden gefühlt haben. Dieses Gefühl verspüreich hier und heute wieder.« (Cramer 2012 <strong>in</strong>: Amadeu Antonio Stiftung 2012: S. 30).Solche Wahrnehmungen von Umbruch und Aufbruchstimmung, von solidarischerBezugnahme der Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohner aufe<strong>in</strong>ander s<strong>in</strong>d wesentlich, umperipherisierte Gebiete zu beleben und dort neue Raumnutzungen zu etablieren.Weiterh<strong>in</strong> können die Projekte der Amadeu Antonio Stiftung und ihrer Partnerund Partner<strong>in</strong>nen als Sonderveranstaltungen angesehen werden, die e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n vonAußeralltäglichkeit und Geme<strong>in</strong>schaft vermitteln, der durchaus von den alltäglichenProblemen ablenken und dadurch neue Perspektiven eröffnen kann (Ibert2003: 81; Getz 2007; Häußermann & Siebel 1993). Für beide Fallregionen wurde vonden Befragten die Besonderheit und geme<strong>in</strong>schaftsstiftende Funktion solcher Feste– <strong>in</strong> Fahrenwalde das Traktorenfest, <strong>in</strong> Zossen das We<strong>in</strong>fest – hervorgehoben. DochFeste alle<strong>in</strong> als Festungen der Demokratie zu verstehen, wäre zu kurz gegriffen, dagerade diese Anlässe (der Traktor als Symbol für autarke Landwirtschaft und We<strong>in</strong>als Heimatprodukt) auch deutsch-national umgedeutet werden können. Es ist deshalbunerlässlich, den durchaus auch <strong>in</strong>strumentellen Charakter von Festen kritischzu h<strong>in</strong>terfragen (vgl. Richter 2010).Trotz e<strong>in</strong>er Vielzahl von Vere<strong>in</strong>en, Initiativen und Begegnungsräumen <strong>in</strong> der<strong>Region</strong> Zossen wissen vor allem ältere Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohner zu wenigüber Beteiligungsangebote und Treffpunkte <strong>in</strong> beiden Fallregionen. Das von denProjektkoord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong>nen herausgegebene Reisebuch <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – E<strong>in</strong>e Reisedurch Vorpommern kommt diesem Informationsbedürfnis entgegen, <strong>in</strong>dem es Initiativen,Anlaufpunkte und Veranstaltungszentren der Gegend systematisch undübersichtlich zusammen führt. Medienpartnerschaften, wie sie <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>beispielsweise <strong>in</strong> Fahrenwalde zwischen Stiftung und schloss bröll<strong>in</strong> e<strong>in</strong>erseits unddem Nordkurier andererseits <strong>in</strong>itiieren konnten, s<strong>in</strong>d diesbezüglich ausgesprochenwertvoll. Im Kontext der Projektrealisierung held/<strong>in</strong>_dorf hat der Nordkurier bereitsHeld<strong>in</strong>nen und Helden und deren Taten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeitungsserie vorgestellt. Fortführenließe sich diese Partnerschaft beispielsweise über e<strong>in</strong>e neue Lokalserie, diezentrale Anlaufstellen und regionale Treffpunkte vorstellt, die zu Startpunkten fürneue Projekt<strong>in</strong>itiativen werden können – und damit für e<strong>in</strong>e breite Resonanz desReisebuchs sorgen.90


Weil Kooperationen, wie es auch für die Medienpartnerschaft der Fall ist, häufigauf personeller Beziehungsebene geknüpft werden, stehen sie <strong>in</strong> Gefahr, durch e<strong>in</strong>eVeränderung personeller Konstellationen zusammen zu brechen. Kooperationsbeziehungens<strong>in</strong>d deshalb nicht zuletzt auch über <strong>in</strong>formelle Kontaktgelegenheitenh<strong>in</strong>aus – <strong>in</strong>sbesondere dann, wenn sie von beiden Seiten als gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend angesehenwerden – dauerhaft zu <strong>in</strong>stitutionalisieren oder zum<strong>in</strong>dest zu fördern. E<strong>in</strong> regelmäßigerAustausch ist dafür die Basis. Informationsaustausch kann e<strong>in</strong>fach überdas E<strong>in</strong>richten von Mail<strong>in</strong>glisten gewährleistet werden. Neben technisch vermitteltenKontaktmöglichkeiten braucht es aber auch h<strong>in</strong> und wieder das persönliche Gesprächim face-to-face Kontakt. Dies bestätigen sowohl die aktivierenden Befragungen<strong>in</strong> den zwei Fallregionen als auch die von der Stiftung veranstalteten <strong>Aktion</strong>en.Literatur und QuellenAmadeu Antonio Stiftung (Hg.) (2012): Mit Kommunikation zivilgesellschaftliches Engagementstärken. Sozialraumanalyse und Befragungsergebnisse der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde. (http://7.ly/pT2)Bernt, M. & Liebmann, H. (Hg.) (2013): Peripherisierung, Stigmatisierung, Abhängigkeit? Wiesbaden:Spr<strong>in</strong>ger.Getz, D. (2007): Event Studies. Theory, research and policy for planned events. Amsterdam: Butterworth-He<strong>in</strong>emann.Häußermann, H. & Siebel, W. (1993): Die Festivalisierung der Politik und die Politik der Festivalisierung.Große Ereignisse <strong>in</strong> der Stadtpolitik. In dies. (Hg.): Festivalisierung der Stadtpolitik.Stadtentwicklung durch große Projekte. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 7-31.Ibert, O. (2003): Innovationsorientierte Planung: Verfahren und Strategien zur Organisation vonInnovation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.Kühn, M. & Weck, S. (2013): Peripherisierung – e<strong>in</strong> Erklärungsansatz zur Entstehung von Peripherien.In: Bernt & Liebmann (Hg.), S. 24-46.Matthiesen, U. (2004): Wissen <strong>in</strong> Stadtregionen. Forschungsresultate und Streitfragen, Orientierungswissenund Handlungsoptionen. In ders. (Hg.): Stadtregion und Wissen. Analysen undPlädoyers für e<strong>in</strong>e wissensbasierte Stadtpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften,S. 11-28.Richter, A. (2010): Exploit<strong>in</strong>g »an army of friendly faces«: Volunteer<strong>in</strong>g and social policy implications.Contemporary Policy Debate. In Journal of Policy Research <strong>in</strong> Tourism, Leisure and Events.2(2), S. 184-188.Anna Richter: siehe Seite 47.Anika Noack studierte Soziologie <strong>in</strong> Dresden. Seit 2001 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong>am Leibniz-Institut für <strong>Region</strong>alentwicklung und Strukturplanung <strong>in</strong> Erkner undarbeitet <strong>in</strong> den Projekten Städtische Raumpioniere im Spannungsfeld zwischen bottom upund top down sowie <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum und lehrtStadtsoziologie an der BTU Cottbus.Aufarbeitung des Forschungsstandeszur Zivilgesellschafts- und Engagementforschung:http://7.ly/xxq91


HandlungsempfehlungenAnna Richter, Anika Noack■■Aktivierende Ansätze vor Ort und mit den Anwohner<strong>in</strong>nen und Anwohnernentwickeln statt ausschließlich methodische Schemata anzuwenden. Es gilt, dieLebenswelten der Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohner sowie ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.■■Interessen und Problemlagen vor Ort geme<strong>in</strong>sam mit Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmernidentifizieren und diskutieren: diese s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlichoder werden automatisch von allen Beteiligten oder Betroffenen geteilt.■■Konflikte anerkennen und transparent, konstruktiv sowie lösungsorientiert angehenstatt ihnen auszuweichen: Die Tatsache, dass Konflikte entstehen, deutetbereits auf heterogene Interessen und Problemwahrnehmungen h<strong>in</strong>, die unterden Beteiligten ausgehandelt werden müssen.■■Aufklären ohne die »Keule« zu schw<strong>in</strong>gen, Zusammenhänge aufzeigen: Rechtsextremismusist hasserfüllt und mörderisch – viele glauben, das wäre »nur« e<strong>in</strong>e»Mode«.■■Auf andere (mehr oder weniger erfolgreiche) Projekte verweisen und diskutieren,warum sie erfolgreich waren oder nicht: Kontexte, Ansätze, Ansprüche, Probleme,Lösungsansätze, Erkenntnisse – was hat man gelernt?■■Überzeugungsarbeit: Emanzipatorisches Engagement ist anstrengend, aber ungleichviel befriedigender und nachhaltiger als »Wohlfühl-Kultur« und Individualismus.■■Projekte mit Symbolcharakter (etwa held/<strong>in</strong>_dorf) <strong>in</strong>itiieren und durch regelmäßigebzw. wiederkehrende <strong>Aktion</strong>en (zum Beispiel jährlicher Markt der Möglichkeiten)<strong>in</strong> die lokale Zivilgesellschaft und das Vere<strong>in</strong>sleben <strong>in</strong>tegrieren.■■bestehende Orte des kommunikativen Austausches als Begegnungsräume stärken(etwa durch das Reisebuch <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>– E<strong>in</strong>e Reise durch Vorpommern).■■Netzwerke vor Ort stärken und dauerhaft <strong>in</strong>stitutionalisieren.E<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n von Außeralltäglichkeit und Geme<strong>in</strong>schaft vermitteln, um neue Perspektivenzu eröffnen: denkmal_weg.Foto: Fridol<strong>in</strong> Welti92


Kunst und Rechtsextremismus:Erfahrungen ermöglichen und HorizonteerweiternUte Seckendorf ist aktuell Projektleiter<strong>in</strong> bei der Bundeszentrale für politische Bildung(bpb) und für die Umsetzung des Bundesprogramms »Zusammenhalt durch Teilhabe« desBundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums zuständig. Das Interview führte Benno Plassmann.Wie hat sich Ihre Erfahrung des Lebens <strong>in</strong> der DDR und der demokratischenWende <strong>in</strong> Ihrer späteren Arbeit für demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismusniedergeschlagen?Seit 1986 habe ich e<strong>in</strong>e Galerie <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt geleitet. Dort haben wir auch Jazzund Performances gemacht. Me<strong>in</strong> Weg war nicht, mich offen gegen das System zustellen, sondern eher, diese Nische zu ermöglichen und sie auszubauen. Wir habenFreiheiten im kulturell-künstlerischen Bereich gesucht und genutzt. Wir waren dreiFrauen und haben damit unsere ersten Erfahrungen gesammelt: Wie gestalte ichselbst Kultur?Das politische Engagement kam dann zwangsläufig. Schon <strong>in</strong> der Galerie Hermannstraßehatten wir Anfang der 1990er Jahre Überfälle von, sagen wir mal so,»Dorf-Nazis«. Die Hermannstraße war direkt am Bahnhof und Busbahnhof, wo amFreitagabend diese »Glatzen« von den Dörfern angekommen s<strong>in</strong>d. Wir waren e<strong>in</strong>erder nächsten Orte mit »komischer« Kunst an der Wand, wir galten als »Zeckenladen«.Wir mussten mehrfach die Erfahrung machen, dass die Polizei nicht kam,wenn wir sie riefen – oder erst Stunden später. Selbst, als es e<strong>in</strong>mal Verletzte gegebenhat! Die Nazis haben uns die Galerie-Tür e<strong>in</strong>getreten, haben alle Bilder runtergerissen– es hat niemanden <strong>in</strong>teressiert, weder <strong>in</strong> der Stadtverwaltung, noch bei der Polizei.Nazis wurden wahrgenommen als e<strong>in</strong>e Art Jugendkultur, und weil alle mit sichselbst zu tun hatten, ist den meisten erst viel zu spät aufgefallen, dass es sich hier ume<strong>in</strong>e menschenverachtende politische Strömung handelt, die gegen demokratischeWerte und das demokratische System ist.Als wir merkten, die Stadtverwaltung nimmt uns nicht ernst, haben wir das NetzwerkStadtteilkultur gegründet, e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung aller freien Träger im Bereich Stadtkultur,oder im weitesten S<strong>in</strong>ne der Soziokultur. Das Netzwerk gründeten wir ausder Erkenntnis heraus: Wir Leute, die wir Kunst und Kultur machen, sollten unsauch als politisch wahrnehmen – auch wenn wir nur angefangen haben damit, <strong>in</strong>der Kneipe zu sitzen und »für den Frieden zu tr<strong>in</strong>ken«. Nun wurde es ernster. Wirakquirierten Mittel und bekamen e<strong>in</strong>en Sitz im Jugendhilfeausschuss. Das war e<strong>in</strong>eEntwicklung von e<strong>in</strong>em halben Jahr. Plötzlich saßen wir mit im Stadtparlament.Dort haben wir versucht, unsere Interessen zu vertreten und Geld zu organisierenfür e<strong>in</strong>en übergreifenden Fördertopf von Jugend und Kultur. Uns Menschen <strong>in</strong> derVerwaltung wird ja manchmal unterstellt, wir hätten ke<strong>in</strong>e Ahnung von dem, was94


da draußen los ist. Aber ich habe Hilflosigkeit und Ignoranz über Jahre von deranderen Seite aus erlebt. Aber ich habe eben auch die Erfahrung gemacht: Mensch,misch dich e<strong>in</strong> – und es geht.Netzwerkbildung war also von Anfang an e<strong>in</strong> wichtiges Thema Ihrer Arbeit. Ist das,Ihrer Erfahrung nach, heute leichter oder schwieriger geworden?Die Anti-Rechtsextremismus-Szene hat sich sehr ausdifferenziert. Unterschiedlichegesellschaftliche Sparten sche<strong>in</strong>en noch viel weniger mite<strong>in</strong>ander zu tun zu habenals <strong>in</strong> den Anfangsjahren. Es gibt e<strong>in</strong>e hochqualifizierte Trägerlandschaft, die seit2001 aus Bundesmitteln gefördert werden, Opferberatungsstellen, mobile Beratungund viele andere Träger. Sichtbar wird aber, dass die Kooperationsbereitschaft nichtbreiter geworden ist. Das mag mit Konkurrenz, auch mit Geld zu tun haben, abernicht nur. Oft fehlt die E<strong>in</strong>sicht, wo Organisationen vone<strong>in</strong>ander profitieren könnten.Nehmen wir zum Beispiel e<strong>in</strong>e Situation, wo es sowohl e<strong>in</strong>e Organisation gibt,deren Aufgabe Eltern-Beratung ist, und e<strong>in</strong>e Gruppe, die sich gegen Rechtsextremismusoder gegen Rassismus engagiert. Nun merkt jemand, dass bei e<strong>in</strong>er bestimmtenEltern-Gruppe etwas nicht stimmt. Dann wäre es doch naheliegend, dass die beidenOrganisationen sagen: Lasst uns geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar dazu machen. Aber ichhabe den E<strong>in</strong>druck, dass die Trennung solcher Bereiche zugenommen hat.Bei der Gestaltung des Förderprogramms »Zusammenhalt durch Teilhabe« habenwir versucht, die Bündnisbildung zu fördern. Beim Blick auf die langen Listenvon Trägern aus verschiedenen Programmen gegen Rechtsextremismus der letztenzehn Jahre ist uns aufgefallen, dass wir auf dem Weg die ganz großen Träger verlorenhaben. Da war niemand mehr vom Sport, niemand mehr von der Feuerwehr, ke<strong>in</strong>Jugendverband mehr, sondern mehr und mehr die Träger mit speziellem <strong>in</strong>haltlichenFachwissen, wie zum Beispiel die Amadeu Antonio Stiftung oder andere, die sicheben seit zehn Jahren professionell mit diesem Thema beschäftigen. Das wolltenwir ändern. Machen wir uns nichts vor, bei bestimmten großen Strukturen wie etwader Feuerwehr gibt es weiterh<strong>in</strong> große Probleme im richtigen Umgang mit demRechtsextremismus. Wenn wir also weiterh<strong>in</strong> am Schwerpunkt »Ländlicher Raum«arbeiten wollen, dann müssen wir darauf achten, wen wir da erwischen wollen:Feuerwehr, Sport, kle<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>e. Die s<strong>in</strong>d dort und haben tagtäglich mit den Menschenzu tun.Was steht Ihrer Erfahrung nach erfolgreicher Bündnis-Arbeit im Wege? Was hilft?Manchmal hilft es, wenn wir als Geldgeber steuernd e<strong>in</strong>greifen. Wir müssen daraufachten, dass Projekte sich mehr den sogenannten schwierigen Zielgruppen zuwenden.In den Oberstufen-Zentren und Berufsschulen, da sitzt doch beispielsweiseunser wichtigstes Klientel. Aber damit tun sich viele schwer, weil sie glauben, ke<strong>in</strong>enZugang zu bekommen. Aber den bekommen sie, wenn sie sich mit Leuten verb<strong>in</strong>den,die vor Ort mit diesen Zielgruppen arbeiten. Von außen irgendwo re<strong>in</strong>zugehenund zu sagen »Hey, ich weiß, wie es geht!« ist e<strong>in</strong>e schwierige Haltung. Man brauchtVerbündete vor Ort.95


Ebenso problematisch ist es, dass viele Organisationen mit e<strong>in</strong>er sehr vorgefasstenMe<strong>in</strong>ung über den Projektverlauf an ihre Arbeit herangehen. Dieses Prozesshafte,geme<strong>in</strong>sam mit Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmern etwas zu entwickeln, wird nichtvon vielen wirklich geübt und umgesetzt. Für Projektpartnerschaften ist das abersehr wichtig. Um dies zu fördern, braucht es me<strong>in</strong>es Erachtens schon etwas sanftenZwang unsererseits, andere Projektpartner zu suchen, auch außerhalb des eigenenWirkungskreises. Natürlich ist das Stress und harte Arbeit. Denn bei der Projektentwicklunggeht es natürlich erst e<strong>in</strong>mal um den Ausgleich von Interessen, dasAushandeln von Vertrauen, auch wenn alle für die gute Sache s<strong>in</strong>d. Aber alle habenja e<strong>in</strong>en leicht anderen Blick darauf, was die gute Sache ist.Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich der Beratungsarbeit im ländlichenRaum gewonnen?Für mich ist e<strong>in</strong>e krasse Erfahrung, wie Presse-Berichterstattung zu e<strong>in</strong>em Wandel<strong>in</strong> der Beratungsarbeit führt! Bei dem letzten von mir geleiteten Programm, Kompetentfür Demokratie, haben wir viele Beratungsstellen <strong>in</strong> allen 16 Bundesländerngefördert. In den Listen über Fälle, die wir auf dem Tisch hatten, ist uns dann überdrei, vier Jahre h<strong>in</strong>weg aufgefallen, dass Fälle immer weniger wurden, die sich zumBeispiel um Feuerwehr und Sport drehten. Da haben wir nachgefragt, wie es dazukommt. Der Weg ist üblicherweise folgendermaßen. Der Ortsbrandmeister, der mitjemandem e<strong>in</strong> Problem hat, weil der »komische« Musik hört, meldet sich beimKreisbrandmeister. Der sagt sofort, obwohl der Ortsbrandmeister noch nicht e<strong>in</strong>malweiß, ob die Musik »Rammste<strong>in</strong>« oder »Störkraft« ist: »mach e<strong>in</strong>fach die Tür zubeim Autowaschen, oder willst du, dass morgen die Presse auf dem Hof steht«. Dasheißt, obwohl Presse dazu da ist, gegen Deckelungen zu arbeiten, gibt es e<strong>in</strong>deutigDynamiken, die doch auch wieder zu Deckelungen führen können. Aus Angst vorder Presse wird dann ke<strong>in</strong>e Beratung gesucht.Deshalb sehen wir die Notwendigkeit, Berater und Berater<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> diesen Organisationenauszubilden. Wir brauchen Personen, zum Beispiel <strong>in</strong> den Feuerwehren,die die Strukturen kennen, die wirklich ‚Stallgeruch‘ haben, und so viel eher dasVertrauen der Leute. So hoffen wir zu vermeiden, dass diese Deckelung beim erstenAnruf stattf<strong>in</strong>det. In Sachsen gibt es nun so e<strong>in</strong>en Feuerwehr-Berater <strong>in</strong> jedem Landkreis.Wir nennen sie »Demokratie-Tra<strong>in</strong>er«, die bekommen e<strong>in</strong>e modulare Weiterbildungüber anderthalb Jahre und wissen dann auch über die anderen Organisationenim Themenbereich Bescheid.Welche Rolle spielen Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler bei derweiteren Demokratisierung der Gesellschaft? Und umgekehrt auch, welche Rollekönnen Projekte demokratischer Kultur bei der Demokratisierung von Kunst undKultur spielen?Oft ist es ja erst e<strong>in</strong>mal nötig, die Kulturförderung zu demokratisieren: Nicht nurdie so genannte Hochkultur zu fördern, sondern eben auch das K<strong>in</strong>dertheater, diefreien Gruppen oder die Popkultur – alle, die e<strong>in</strong>en künstlerischen Anspruch mit96


gesellschaftlichen Fragen verb<strong>in</strong>den – wie das etwa jetzt im »Kulturraumgesetz« <strong>in</strong>Sachsen umgesetzt wird. Dort ist es so, dass alles <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Topf geht und e<strong>in</strong> Beiratüber die Förderung entscheidet. Das gibt zwangsläufig und kont<strong>in</strong>uierlich Diskussionen,aber es ist eben offen, wo was stattf<strong>in</strong>det und wie f<strong>in</strong>anziert wird. Das seheich als e<strong>in</strong>e Form der Demokratisierung im Bereich Kunst und Kultur an.Um Ihre Frage auch auf <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> zu beziehen: Ich weiss, wie lange schlossbröll<strong>in</strong> zum Beispiel schon <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> aktiv ist. Trotzdem bleibt die Frage: Ist dasjetzt Kunst für die Leute? Oder wird hier nur provoziert? Ich f<strong>in</strong>de es sehr beachtlich,wie sich das alles entwickelt hat. Zwar passen das Kunstverständnis der Menschen <strong>in</strong>der <strong>Region</strong> und der künstlerische Anspruch der Künstler und Künstler<strong>in</strong>nen, etwaaus Schloss Bröll<strong>in</strong>, oft nicht wirklich zusammen. Aber wenn ich mir anschaute, werda <strong>in</strong> Pasewalk beim Plenum des <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch,bunt! alles zusammen <strong>in</strong> der Kirche gesessen hat, das fand ich sehr spannend.Die Atmosphäre war wirklich sehr gut und da konnte man sehen, dass es beim gesellschaftlichenEngagement eben doch zusammengehen kann.E<strong>in</strong>e ganz positive Wirkung von solcher Kunst <strong>in</strong> so e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong> ist schließlich,dass Leute e<strong>in</strong>e Erfahrung machen können, dass andere Leute e<strong>in</strong>en anderen Lebensentwurfleben und leben können. Das fördert Toleranz, auch wenn es vielleichtzunächst Konflikte gibt – an denen kann man ja wachsen. Künstler und Künstler<strong>in</strong>nen,die auf der Suche nach ihrer eigenen Ausdrucksform s<strong>in</strong>d, die darf mannicht mit zu vielen Zwecken und Zielstellungen überfrachten. Kunst bereichert dieGesellschaft, aber wenn es zu direkt wird, dann wird es schwierig. Horizonte werdenerweitert, für Erwachsene im Deutschen Theater genauso wie für K<strong>in</strong>der, die zumersten Mal auf der Bühne stehen. Da kann Kultur – ich rede nicht von Kunst – e<strong>in</strong>eBrücke se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>en Dialog anzufangen, das hat ganz großartige Effekte auf Leute.Gibt es schon Ergebnisse aus dem Programm »Zusammenhalt durch Teilhabe«?Wenn ja, welche?Wir haben neue Zielgruppen erreicht, was nicht e<strong>in</strong>fach war. Kirchliche Träger, Bürgerbündnisse,Sport, Feuerwehr, THW, AWO und viele andere. Am Beg<strong>in</strong>n des Programmswaren die Verbände sehr skeptisch. Wir haben sehr oft gehört »Was sollenwir denn noch alles machen«. In der Tat s<strong>in</strong>d dort viele Ehrenamtliche tätig, dienicht nur Fussballtra<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>d, sondern e<strong>in</strong>en Beruf haben und sich meistens auchnoch sehr für die dörfliche Geme<strong>in</strong>schaft engagieren. Wir haben ihnen immer wiedererklärt, dass es nicht darum geht, etwas Neues Zusätzliches zu machen, sondern,dass sie von uns Unterstützung für ihre alltägliche Arbeit bekommen. Wir wollensie sprach- und handlungsfähig machen, wenn es rassistische oder rechtsextremeKonflikte vor Ort gibt. Mittlerweile haben wir über 100 »Demokratie-Tra<strong>in</strong>er« ausgebildet,die <strong>in</strong>nerhalb ihrer Verbände jetzt Ansprechpartner s<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong>e feste Überzeugungist, nach diesen vielen Jahren <strong>in</strong> diesem Thema, e<strong>in</strong> gut funktionierender,demokratischer Sportvere<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>e Ortsfeuerwehr s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> wirksamer Schutzgegen rechtsextreme Ideologien.97


Der Ostenist nur auf derKarte rechts?!E<strong>in</strong>e BilanzSwantje TobiassenFoto: René Fietzek


Im April und Mai 2012 werden alternativ aussehende Jugendliche von Nazis durchAnklam gejagt und verletzt. In den gleichen Monaten werden mehrere E<strong>in</strong>richtungenfür demokratische Kultur <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern zeitgleich Opfer vonButtersäureanschlägen und Nazi-Schmierereien. Drei Monate später, im August2012, veranstaltet die NPD ihr »Pressefest« <strong>in</strong> der Nähe von Pasewalk. Die <strong>Region</strong>Vorpommern gilt als »Modellregion« der Nazis. Hier probieren sie Strategien underwarten erfahrungsgemäß wenig Ärger dabei.Am 9. November 2012 demonstriert die NPD <strong>in</strong> Wolgast gegen e<strong>in</strong>e Unterkunftfür geflüchtete Menschen. Alternative Jugendliche und junge Erwachsene wachenfriedlich vor der Unterkunft, weil sich die Polizei dort nicht sehen lässt, um die Geflüchtetenvor möglichen Angriffen der Nazis zu schützen. Die Bewohner<strong>in</strong>nen undBewohner bieten den Menschen vor ihrem Haus Kekse und Kaffee an und betonenmehrfach, wie froh sie s<strong>in</strong>d, dass sie von ihnen unterstützt werden. Allerd<strong>in</strong>gs ruftder Heimleiter die Polizei. Er fühlt sich von den alternativen Menschen bedroht,die sich mit den Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohnern unterhalten. Bei e<strong>in</strong>em Gesprächmit Heimleitung und Ordnungshütern wird den Menschen vor der Unterkunftvorgeworfen, dass sie den Frieden <strong>in</strong> Wolgast Nord gefährdeten. Die NPD-Demonstration,den eigentlichen E<strong>in</strong>satzgrund, sche<strong>in</strong>en die Polizisten und Polizist<strong>in</strong>nenfast vergessen zu haben. Später am Abend erstattet e<strong>in</strong> Nazi Anzeige gegen alternativeJugendliche wegen e<strong>in</strong>es angeblichen Diebstahls se<strong>in</strong>es Pullovers. Die Polize<strong>in</strong>immt daraufh<strong>in</strong> etwa zwanzig junge Menschen vor der Flüchtl<strong>in</strong>gsunterkunft fest.Der Nazi darf sie bei e<strong>in</strong>er Gegenüberstellung »identifizieren«. Am gleichen Tagwerden <strong>in</strong> Greifswald sämtliche Stolperste<strong>in</strong>e, die an von Nationalsozialisten undNationalsozialist<strong>in</strong>nen ermordete Menschen er<strong>in</strong>nern, von Unbekannten entfernt.Passiert das wirklich im Jahr 2012? Gab es die gleichen Geschichten nicht eher vor20 Jahren?Doch, da gab es sie auch. E<strong>in</strong> Unterschied aber: Im Jahr 2012 regt sich glücklicherweisee<strong>in</strong> großer Widerstand gegen Naziaktivitäten <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>, der bis heuteanhält.Über die Attacken gegen die Jugendlichen und die E<strong>in</strong>richtungen wird ausführlichund kritisch von den <strong>Region</strong>alzeitungen berichtet. In Vorpommern engagierensich zahlreiche zivilgesellschaftliche E<strong>in</strong>richtungen sowie alle demokratischen Parteien,staatliche Akteur<strong>in</strong>nen und Akteure, viele Verwaltungen, der Tourismusverband,Privatpersonen und Vertreter und Vertreter<strong>in</strong>nen aus der Wirtschaft gegendas »Pressefest« der NPD-Zeitschrift »Deutsche Stimme«, organisieren e<strong>in</strong>e Demokratiemeile,e<strong>in</strong> Demokratiefest, zahlreiche weitere Veranstaltungen und rufen das<strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! <strong>in</strong>s Leben. Am Tag des»Pressefests« selbst demonstrieren 2.000 Menschen für demokratische Kultur. DieVerwaltung erklärt darüber h<strong>in</strong>aus das »Pressefest« zu e<strong>in</strong>er öffentlichen Veranstaltung.Somit können erstmalig sämtliche demokratischen Medien direkt vom Veranstaltungsortberichten.Auch <strong>in</strong> Wolgast gehen über 1.000 Menschen gegen den Aufmarsch der Nazis aufdie Straße und solidarisieren sich mit den Geflüchteten, die <strong>in</strong> Wolgast leben.100


E<strong>in</strong> halbes Jahr später werden neue Stolperste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Greifswald verlegt.Was hat sich seit den 1990er Jahren verändert? Und vor allem: Wie?Engagement im ländlichen Raum lohnt sichDemokratische Kultur braucht viele Menschen, die sich für sie e<strong>in</strong>setzen. Und siebraucht Geld, Unterstützung von politischen Verantwortlichen, von Verwaltungenund der Zivilgesellschaft. Sie braucht unterschiedliche Maßnahmen.<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> ist e<strong>in</strong>e solche Maßnahme und verfolgt e<strong>in</strong>en recht außergewöhnlichenAnsatz. Demokratische Kultur wird mit Mitteln der kulturellen Bildung unddarstellenden Kunst gestärkt, die speziell auf Potenziale und Herausforderungen derjeweiligen <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>gehen.Dem Projekt voran steht der Anspruch, explizit auf die jeweiligen Besonderheitenund Gegebenheiten der <strong>Region</strong> zugeschnittene <strong>Aktion</strong>en zu planen und mitden Menschen vor Ort zu arbeiten. Deswegen werden <strong>Region</strong>en ausgewählt, <strong>in</strong> denendie Stiftung bereits Kooperationspartner<strong>in</strong>nen und -partner hat und e<strong>in</strong> gutesVertrauensverhältnis besteht. Der Stiftung ist es darüber h<strong>in</strong>aus wichtig, <strong>in</strong> ihrenProjekten e<strong>in</strong>en »Innen-« und e<strong>in</strong>en »Außenblick« zu diskutieren. Der »Innenblick«kommt von den Menschen vor Ort. Sie verstehen, wie die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger<strong>in</strong> ihrer <strong>Region</strong> denken, wie sie handeln und s<strong>in</strong>d diejenigen, die das Projekt weiterführen,wenn die Förderung ausläuft. Nur über die Menschen von »<strong>in</strong>nen« kannNachhaltigkeit garantiert werden. Der »Außenblick« kommt von überregionalenPartner<strong>in</strong>nen und Partnern. E<strong>in</strong> »Außenblick« ist frei von festgefahrenen Strukturen,kann D<strong>in</strong>ge sehen, die die anderen schon nicht mehr wahrnehmen, den F<strong>in</strong>gertiefer <strong>in</strong> die Wunde legen und vor allem: unbelastet mit den Menschen vor Ort sprechen.Beide Blickw<strong>in</strong>kel helfen, Herausforderungen zu erkennen und zu meistern.Zossen, denkmal_weg: Menschen zusammen br<strong>in</strong>gen, die sich sonst mit Skepsis begegnen.Foto: Fridol<strong>in</strong> Welti101


Die unentdeckten Schätze von Vorpommern und ZossenIn Zossen leben wache Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismusengagieren und sehr gut mit regionalen und überregionalen Akteur<strong>in</strong>nen undAkteuren vernetzt s<strong>in</strong>d. Auch die Verwaltung engagiert sich gegen rechtsextremesGedankengut. Der Bürgermeister<strong>in</strong> beispielsweise liegen Er<strong>in</strong>nerungskultur unddie Aufklärung über Antisemitismus besonders am Herzen. Die Stadt organisiertzu diesem Thema unter anderem Ausstellungen und Veranstaltungen. Zossen iste<strong>in</strong>e prosperierende Stadt, die Zuzug verzeichnet und seit Jahren e<strong>in</strong>e der niedrigstenArbeitslosenquoten im Bundesland hat. Der Stadt geht es ökonomisch gut, sieist e<strong>in</strong> wichtiger Wirtschaftsstandort <strong>in</strong> Brandenburg.Die Diskursbereitschaft von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren und Akteur<strong>in</strong>nenmit der Verwaltung <strong>in</strong> Form von Bürgermeistern, Verwaltungsangestellten,Ordnungsamt und Polizei ist <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> Pasewalk und Vorpommern herausragend.Für e<strong>in</strong> entschiedenes, geme<strong>in</strong>sames Handeln gegen Nazis ist diese Kommunikationskulturvon unschätzbarem Wert.Vorpommern verfügt über viele Freiräume, die besonders gerne von Künstler<strong>in</strong>nenund Künstlern genutzt werden, die deswegen <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> ziehen. Es gibt e<strong>in</strong> anspruchsvollesAngebot an kulturellen Veranstaltungen.Auch die <strong>Region</strong>alzeitung Nordkurier birgt großes Potenzial. Viele Redakteureund Redakteur<strong>in</strong>nen schreiben differenzierte und sorgfältig recherchierte Berichteüber Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>.Da die <strong>Region</strong>alzeitung durchaus zur Stimm- und Me<strong>in</strong>ungsbildung zählt, istdie Zeitung wichtig für die Sensibilisierung der Menschen für nazistische Umtriebeund Propaganda.In beiden <strong>Region</strong>en besteht zwischen den Hauptakteuren und -akteur<strong>in</strong>nen(Ehrenamtliche und Hauptamtliche), die sich gegen Rechtsextremismus engagieren,e<strong>in</strong> sehr gut ausgebautes Netzwerk. Es gibt feste Strukturen mit hauptamtlichenMitarbeitern und Mitarbeiter<strong>in</strong>nen, wie die <strong>Region</strong>alen Arbeitsstellen für Bildung,Integration und Demokratie (RAA) e. V., den Demokratieladen <strong>in</strong> Vorpommern und das<strong>Aktion</strong>sbündnis Brandenburg. Die Mittel, die hauptamtliche Strukturen ermöglichen,s<strong>in</strong>d von hohem Wert bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus und GruppenbezogeneMenschenfe<strong>in</strong>dlichkeit.In Vorpommern und Zossen gibt es viele Vere<strong>in</strong>e und Initiativen, die es den Menschenermöglichen, sich zu diversen Themen zu engagieren. Diese Vielfalt wiederumschafft e<strong>in</strong>en aktiven Umgang mit unterschiedlichen Positionen und Herangehensweisen,der wichtig ist, um das Thema Rechtsextremismus anzugehen und ause<strong>in</strong>er Vielzahl von Ideen die am besten passende Möglichkeit auszuwählen.Die Zeit der Projektentwicklung: Fehlschläge und gutes Gel<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> ZossenHagen Ludwig arbeitet zu Beg<strong>in</strong>n des Projekts als Koord<strong>in</strong>ator für Zossen. Er engagiertsich seit Jahren gegen Nazis <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>. Er ist Künstler und Sozialarbeiterund Mitglied der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht (BI). Ludwig war selbst mehrfachZielscheibe der Nazis. Unter anderem schmierten sie »Hagen Ludwig stirbt102


ald!« an e<strong>in</strong>e Mauer. Ludwig war Nebenkläger im Prozess um das <strong>in</strong> Brand gesetzteHaus der Demokratie. Im Feuer wurden sämtliche se<strong>in</strong>er Skulpturen und Kunstwerkezerstört. Ihm missfällt seit langem, dass die Zossener Rundschau, der Lokalteil derMärkischen Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung (MAZ), wenig bis gar nicht über <strong>Aktion</strong>en der BIberichtet und das Naziproblem <strong>in</strong> Zossen verharmlost. Als das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>beg<strong>in</strong>nt, äußern er und andere Mitglieder der BI, aber auch e<strong>in</strong>ige Befragte derSozialraumanalyse, den Wunsch nach e<strong>in</strong>er eigenen Bürgerzeitung. Diese wollen sieselbst schreiben und an Zossener Haushalte verteilen. In der Befragung zeigt sich derBedarf nach deutlich mehr Lokalberichterstattung, sorgfältig recherchierten H<strong>in</strong>tergründenund Informationen über Rechtsextremismus <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>, aber auch überandere politische Themen. Es wird mehrfach beklagt, dass die Zossener Zeitung dieseInformationen nicht im gewünschten Umfang br<strong>in</strong>ge, verkürzt darstelle und mit zuwenig Distanz über das regierende Wahlbündnis und die Bürgermeister<strong>in</strong> berichte.Nach der <strong>Aktion</strong> denkmal_weg <strong>in</strong> Zossen am 8. Mai 2013 wird Benno Plassmannvon der Zossener Rundschau <strong>in</strong>terviewt. Das Interview wird ungekürzt abgedruckt,jedoch fehlt – angeblich aus Platzgründen – die Nennung von Zossenzeigt Gesicht und vom Haus der Demokratie (siehe Zossener Rundschau vom 10.Mai 2013, Seite 13).Die Idee e<strong>in</strong>er Bürgerzeitung ist <strong>in</strong> der Projektarbeit derzeit sehr populär. Auch dieProjekte Medien auf dem Land der Technischen Universität Berl<strong>in</strong> und Die AUFmacherder Jugendpresse Deutschland, beide ebenfalls vom Bundesm<strong>in</strong>isterium des Innern gefördert,arbeiten mit Bürgermedien. Denn Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger, die auf ihr Geldachten müssen, sparen zuallererst beim Zeitungsabonnement. Da die NPD dieseLücke erkannt hat und bereits vor e<strong>in</strong>igen Jahren anf<strong>in</strong>g, kostenlos ihre Boten zuverteilen, ersche<strong>in</strong>t es wichtig und richtig, diese Entwicklung aufzuhalten.Die erste Ausgabe der Bürgerzeitung der Zossener<strong>in</strong>nen und Zossener wird jedochnicht im Rahmen von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> gedruckt, denn die Artikel sche<strong>in</strong>ennicht geeignet, um <strong>in</strong> Zossen e<strong>in</strong>e Gesprächskultur zwischen den unterschiedlichenGruppen im Engagement gegen Nazis herzustellen. In <strong>Region</strong>en, <strong>in</strong> denen es e<strong>in</strong>egute Kommunikationskultur zwischen allen Beteiligten gibt, kann e<strong>in</strong>e Bürgerzeitungjedoch e<strong>in</strong> Mittel der Wahl se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e kritische Öffentlichkeit herzustellenund zum Diskurs anzuregen. In e<strong>in</strong>er Stadt wie Zossen, <strong>in</strong> der die Kommunikationssituatione<strong>in</strong>e große Herausforderung darstellt, sollten zunächst andere Kommunikationsformategewählt werden.Wiederkehrende Rituale und Anlässe wie Wochenmärkte oder Stadtfeste s<strong>in</strong>dgute Möglichkeiten, viele Menschen anzusprechen, aber auch um Angebote und<strong>Aktion</strong>en dauerhaft zu verankern und nachhaltig zu wirken. In Zossen gibt es denmonatlich stattf<strong>in</strong>denden Kraut- und Rübenmarkt, auf dem regionale Produkte angebotenwerden und auf dem auch Initiativen und Vere<strong>in</strong>e Informationsstände haben.Besucher<strong>in</strong>nen und Besucher haben die Möglichkeit, sich <strong>in</strong> ungezwungener Atmosphäreauszutauschen. Ludwig hält den Markt für e<strong>in</strong>en idealen Ort, um Menschen103


held/<strong>in</strong>_dorf Performance: Das eigene Dorf neu entdecken.Foto: René Fietzekzusammen zu br<strong>in</strong>gen, um sich kennen zu lernen und die angespannte Atmosphäre<strong>in</strong> der Stadt zu lockern. Es soll darum gehen, verschiedene Gruppen aufzufordern,sich selbst am Austausch zu beteiligen und nicht nur an dem Wissen und den Erfahrungenanderer zu partizipieren. Darüber h<strong>in</strong>aus ist der Markt ideal für darstellerische<strong>Aktion</strong>en, die genutzt werden können, Menschen gezielt mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>sGespräch zu br<strong>in</strong>gen und e<strong>in</strong>e positive Selbsterfahrung zu ermöglichen.Die Bürger<strong>in</strong>itiative, die Veranstalter und Veranstalter<strong>in</strong>nen des Marktes, dieAmadeu Antonio Stiftung und Künstler und Künstler<strong>in</strong>nen von The Work<strong>in</strong>g Partyplanen geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> darstellerisches Konzept für alle stattf<strong>in</strong>denden Märkte <strong>in</strong>2012, bei dem viele Marktteilnehmende, aber auch Jugendliche, der Chor und andereGruppen <strong>in</strong> die Planung und Umsetzung e<strong>in</strong>bezogen werden. Zwei Wochen vorder ersten Aufführung und nach e<strong>in</strong>igen Proben mit Interessierten ziehen sich dieVeranstaltungsleiter des Marktes zurück und untersagen die Teilnahme der Stiftungam Kraut- und Rübenmarkt. Sie fürchten um den Fortbestand des Marktes, falls dieStadtverwaltung die darstellerischen <strong>Aktion</strong>en als politische Kundgebung verstehenkönnte. E<strong>in</strong> nachfolgendes Gespräch mit der Bürgermeister<strong>in</strong> bestätigt diese Befürchtungnicht und auch Ludwig und die Bürger<strong>in</strong>itiative s<strong>in</strong>d vom unerwartetenRückzug überrascht.Die Fehlschläge mit der Bürgerzeitung, dem Kraut- und Rübenmarkt sowie die allesbestimmende angespannte Atmosphäre zwischen den demokratischen Akteurenund Akteur<strong>in</strong>nen stellen das Projekt und die Bekämpfung der Nazis vor große Herausforderungen.Ludwig hat zu diesem Zeitpunkt se<strong>in</strong>e Tätigkeit als Projektkoord<strong>in</strong>atorbereits an e<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong> der Amadeu Antonio Stiftung abgegeben. In den104


ersten vier Monaten der Projektlaufzeit wurde allzu deutlich, dass e<strong>in</strong>e Person, dieselbst vom Konflikt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt unmittelbar betroffen ist, kaum e<strong>in</strong>e vermittelndeRolle e<strong>in</strong>nehmen kann. Ludwig bleibt dennoch e<strong>in</strong> wichtiger Ansprechpartner für<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>.Die Bekämpfung von Nazi-Strukturen kann jedoch nicht warten, bis sich alleDemokraten und Demokrat<strong>in</strong>nen auf e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Vorgehensweise gee<strong>in</strong>igthaben. Der Konflikt <strong>in</strong> Zossen ist so allbestimmend, dass die Verständigung noche<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmen wird. Währenddessen lachen sich die Rechtsextremen<strong>in</strong>s Fäustchen: wenn zwei sich streiten, freut sich nun mal der Dritte.Die Projektpartner und- partner<strong>in</strong>nen müssen sich e<strong>in</strong>e andere Methode überlegen,um die demokratische Kultur vor Ort zu stärken und sich vor allem auf e<strong>in</strong>e andereZielgruppe konzentrieren: Bisher nicht zivilgesellschaftlich aktive Menschen,die nicht im Konflikt <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d.Die <strong>Aktion</strong> denkmal_weg beispielsweise br<strong>in</strong>gt Menschen e<strong>in</strong>ander näher, die sichauf der Straße sonst eher mit Skepsis begegnen. Heide Lehmann (Name von derRedaktion geändert) vom Seniorentreff im Alten Haus äußert sich negativ über dieBI und <strong>in</strong>sbesondere über deren Sprecher Jörg Wanke. Zwei Monate später ist sie –neben Jörg Wanke und anderen Mitgliedern der BI – e<strong>in</strong>e von 60 Teilnehmer<strong>in</strong>nenund Teilnehmern der <strong>Aktion</strong> und spricht an vier Stolperste<strong>in</strong>en über die Auslöschungjüdischen Lebens <strong>in</strong> Zossen durch die Nazis.denkmal_weg ist e<strong>in</strong>e künstlerische Stadtbegehung, an der K<strong>in</strong>der von zwei Hortenteilnehmen, Menschen mit Beh<strong>in</strong>derung von den Wünsdorfer Werkstätten, derSeniorentreff vom Mehrgenerationenhaus, der Gospelchor und die Bürger<strong>in</strong>itiativeZossen zeigt Gesicht. Im Rahmen des Gedenkjahres »2013 – Zossen er<strong>in</strong>nert an 1933und die Folgen« der Stadt, br<strong>in</strong>gt denkmal_weg sche<strong>in</strong>bar unpolitische Bürger<strong>in</strong>nenund Bürger mit politischen Menschen zusammen und bezieht auch Zossener<strong>in</strong>nenund Zossener mit e<strong>in</strong>, die häufig vom sozialen Leben <strong>in</strong> der Stadt ausgeschlossenwerden. Über die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Bedeutung der Denkmäler der Stadtund <strong>in</strong>sbesondere mit den Stolperste<strong>in</strong>en, die immer wieder von Nazis geschändetwerden, ist die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Bedrohung der demokratischen Kulturdurch lokale Naziumtriebe im Blickfeld der <strong>Aktion</strong>.Handlungskonzept am Beispiel von held/<strong>in</strong>_dorfKathar<strong>in</strong>a Husemann arbeitet seit 20 Jahren auf Schloss Bröll<strong>in</strong> und lebt abwechselnd<strong>in</strong> Bröll<strong>in</strong> und Berl<strong>in</strong>. Sie ist Kulturmanager<strong>in</strong> und hat das Gefühl, dass SchlossBröll<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong> Ufo <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> wahrgenommen wird. Sie weiß um das Potenzialfür die <strong>Region</strong>, das die Kunstproduktionsstätte birgt, jedoch gel<strong>in</strong>gt es dem Vere<strong>in</strong>zu wenig, die Menschen aus den umliegenden Geme<strong>in</strong>den und Dörfern für den Ortzu begeistern. Aus aller Welt kommen Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler, um auf SchlossBröll<strong>in</strong> zu produzieren (auf die Frage, wo denn Pasewalk liege, sagt e<strong>in</strong> Japaner<strong>in</strong>»Ach, <strong>in</strong> der Nähe von Schloss Bröll<strong>in</strong>!«), aber die Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger, die <strong>in</strong>unmittelbarer Umgebung leben, kennen es nicht oder waren zum<strong>in</strong>dest noch niedort. Kathar<strong>in</strong>a Husemann bemerkt, dass Nazis es sich <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> gemütlich ma-105


chen, weil ke<strong>in</strong>er etwas gegen sie sagt oder tut. Sie kann sich jedoch nicht vorstellen,dass sich außer ihnen auf Bröll<strong>in</strong> niemand an den Nazis stört.Ihr fehlt e<strong>in</strong>e Plattform, e<strong>in</strong>e Austauschmöglichkeit. <strong>Zum</strong> e<strong>in</strong>en liegt es Kathar<strong>in</strong>aHusemann daran, die Menschen für Schloss Bröll<strong>in</strong> zu begeistern und ihnen zu zeigen,welche Angebote es vor ihrer Haustür gibt. Sie würde sich gerne mit Menschenvernetzen, die ähnliche D<strong>in</strong>ge anbieten wie Jugendarbeit, Kunst und Kultur. <strong>Zum</strong>anderen ist ihr daran gelegen, den Nazis nicht den Raum zu überlassen, den sie sichbereits genommen haben.In Vorpommern geht es im Besonderen darum, zivilgesellschaftliche Initiativen,Vere<strong>in</strong>e und E<strong>in</strong>zelpersonen zu vernetzen und untere<strong>in</strong>ander bekannt zu machen.Geme<strong>in</strong>same <strong>Aktion</strong>en s<strong>in</strong>d nicht nur öffentlichkeitswirksamer, sondern signalisierenauch: Wir s<strong>in</strong>d viele und tolerieren ke<strong>in</strong>e rechtsextremen und rassistischen E<strong>in</strong>stellungen.Geme<strong>in</strong>same Planung br<strong>in</strong>gt neue Ideen hervor, macht mehr Spaß undgeme<strong>in</strong>same <strong>Aktion</strong>en machen stark und ermutigen.Die Annahmen von Kathar<strong>in</strong>a Husemann werden <strong>in</strong> der Sozialraumanalyse undBefragung <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> bestätigt. Viele Menschen fühlen sich vere<strong>in</strong>zelt und denken,dass <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> »ja eh nichts los« sei. Denjenigen, die engagiert s<strong>in</strong>d, fehlte<strong>in</strong> Mite<strong>in</strong>ander und Austausch zu bestimmten Themen. So entwickelt Kathar<strong>in</strong>aHusemann geme<strong>in</strong>sam mit der Amadeu Antonio Stiftung und The Work<strong>in</strong>g Party dasProjektkonzept held/<strong>in</strong>_dorf, e<strong>in</strong>e außergewöhnliche Busreise durch die <strong>Region</strong>,denn Engagement und Kommunikation brauchen (Mitmach-)Möglichkeiten, Anlässeund Orte und passieren nicht von alle<strong>in</strong>.Durch die Befragung <strong>in</strong> Fahrenwalde können drei Handlungsfelder identifiziertwerden: Wunsch nach besserer Vernetzung und Austausch; Wunsch nachverbesserter Mobilität und Mitbestimmung; Wunsch, dem raschen regionalendemographischen Wandel E<strong>in</strong>halt zu gebieten, <strong>in</strong> dem sich Firmen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>ansiedeln. <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> kann jedoch nur die Herausforderung nachAustausch bewältigen.E<strong>in</strong> zentraler Punkt im Aufbau von Kommunikationsstrukturen ist die Kontaktherstellungzu Ansprechpartner<strong>in</strong>nen und Ansprechpartnern. Nur wer persönlich e<strong>in</strong>geladenwird, fühlt sich auch angesprochen. Kathar<strong>in</strong>a Husemann arbeitet seit Beg<strong>in</strong>nvon <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> als Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> für den Projektteil <strong>in</strong> Vorpommern. Sierecherchiert <strong>in</strong> monatelanger Arbeit Kontaktdaten und lädt <strong>in</strong> persönlichen E-MailsVere<strong>in</strong>e, Initiativen, E<strong>in</strong>zelpersonen und Netzwerke zu e<strong>in</strong>em ersten Kennlerntreffene<strong>in</strong>. E-Mails eignen sich gut als E<strong>in</strong>ladung, da sie vom Empfänger schnell weitergeleitetwerden können und wie e<strong>in</strong> Schneeballsystem funktionieren. Diejenigen,die nicht auf E-Mails reagieren, ruft Kathar<strong>in</strong>a Husemann an, schreibt e<strong>in</strong>en Brief,oder geht persönlich vorbei. Der Kontaktaufbau ist e<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzendeAufgabe, die viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch nimmt, sich aber h<strong>in</strong>terher auszahlt.Bei den ersten moderierten Treffen geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um das gegenseitigeKennenlernen. Den Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer wird e<strong>in</strong> konkretes Projekt106


Schloss Bröll<strong>in</strong>: Angebote und Mitmachmöglichkeiten vor der Haustür.Foto: Peter van Heesennern. Diese Entwicklung muss nicht unbed<strong>in</strong>gt negativ se<strong>in</strong>, wenn denn weiterh<strong>in</strong>die Möglichkeit besteht, dass Menschen schnell zusammengebracht werden undgeme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e <strong>Aktion</strong> (zum Beispiel gegen e<strong>in</strong> weiteres »Pressefest« der NPD oderanderen Nazi-Veranstaltungen und Bedrohungssituationen) planen und durchführenkönnen.Alltagsrassismus erkennenIn e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong> wie Vorpommern, <strong>in</strong> der es kaum nicht-weiße Menschen gibt, gibtes dementsprechend weniger rassistische Äußerungen oder Übergriffe gegen diese.Was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass es ke<strong>in</strong>en Rassismus gibt.In e<strong>in</strong>em Ort, <strong>in</strong> dem Nazis anders aussehende oder anders denkende Menschennicht mehr jagen und zusammenschlagen, sondern nette und hilfsbereite Nachbar<strong>in</strong>nenund Nachbarn s<strong>in</strong>d, die weißen Deutschen bei Hausaufgaben helfen oderBesorgungen erledigen, bedeutet dies nicht, dass es <strong>in</strong> Ordnung ist, menschenverachtendeAnsichten zu haben und bestimmte Gruppen abzuwerten.Wie kann also e<strong>in</strong> Thema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong> oder Kommune behandelt werden, vondem es ke<strong>in</strong>e Problemwahrnehmung gibt?Kulturelle Bildung und darstellende Kunst eignen sich gut, um Menschen an bestimmteProblematiken heranzuführen. <strong>Zum</strong> e<strong>in</strong>en hat Theater e<strong>in</strong>e sehr eigeneArt, sich Themen zu nähren, zum anderen kann es Fragen aufgreifen, ohne dassdie Menschen sich angegriffen fühlen und sofort e<strong>in</strong>e Abwehrhaltung e<strong>in</strong>nehmen.Über Theater lassen sich die Menschen auch auf kontroverse Themen e<strong>in</strong>, wie amBeispiel von denkmal_weg und held/<strong>in</strong> dorf bereits deutlich wurde.Jedoch s<strong>in</strong>d Kommunikation, Theater und Engagement nicht per se demokratisch.Es gilt also, diese so zu gestalten, dass sie <strong>in</strong>klusiv für alle Menschen s<strong>in</strong>d und108


sich klar gegen Nazi-Ideologien und Alltagsrassismus positionieren. Das funktioniertzum e<strong>in</strong>en über die Wahl der Themen (wie die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzungmit den Denkmälern <strong>in</strong> Zossen und des Begriffs Held<strong>in</strong>nen und Helden <strong>in</strong> Vorpommern),den Dialog auf Augenhöhe und aktive E<strong>in</strong>beziehung <strong>in</strong> Planung undDurchführung von Projekten von bestimmten Gruppen, die häufig von gesellschaftlicherTeilhabe ausgeschlossen werden (wie Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen, ältereMenschen, alternative Jugendliche, Menschen mit unterschiedlichen kulturellenH<strong>in</strong>tergründen), ohne auf Unterschiedlichkeit h<strong>in</strong>zuweisen oder sie vorzuführen.Auch Kommunikation und Engagement müssen mit Inhalten gefüllt werden. Sichnur zu treffen reicht für e<strong>in</strong>e Stärkung der demokratischen Alltagskultur nicht aus.Es geht um die Themen, die verhandelt und diskutiert werden, und wer <strong>in</strong> die Kommunikationund das Engagement e<strong>in</strong>geschlossen und wer ausgeschlossen wird.Demokratische Kommunikation macht aufgeschlossen gegenüber Unbekanntemund Unbekannten. Vorurteile müssen benannt und aufgelöst werden. Dazu gilt esauch, sich selbst immer wieder zu h<strong>in</strong>terfragen. Denn selbst Menschen, die von sichdenken, weltoffen und demokratisch zu se<strong>in</strong>, haben mitunter rassistische oder anderegruppenbezogen menschenfe<strong>in</strong>dliche Ansichten, etwa gegenüber Roma, Pol<strong>in</strong>nenund Polen, Russlanddeutschen oder Jüd<strong>in</strong>nen und Juden oder arbeitslosenMenschen.SchlussfolgerungenMenschen können recht schnell mobilisiert werden, wenn sie Angebote und Mitmachmöglichkeitenerhalten. Jedoch ist auch das Klima <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong> für Engagemententscheidend.Kommunikationsorte müssen nicht erst geschaffen werden, es gibt sie bereits. Jedochist es manchmal notwendig, diese Orte wiederzubeleben oder um Inhalte zuerweitern. Um von den bestehenden Orten und Themen zu erfahren ist es unabd<strong>in</strong>gbar,sich sorgfältig mit der <strong>Region</strong> ause<strong>in</strong>anderzusetzen und den Menschen, diedort leben, aufmerksam zuzuhören. Projektpartner und -partner<strong>in</strong>nen aus dem Ortschaffen Vertrauen und E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die gesellschaftlichen Zusammenhänge. DieAngebote von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> werden vielen Menschen die Augen geöffnet haben,dass Nazis eben ke<strong>in</strong> herangetragenes Problem s<strong>in</strong>d, sondern dass die <strong>Region</strong> selbstdas Problem ist, wenn die Menschen, die <strong>in</strong> ihr leben, nichts zur Stärkung der demokratischenKultur unternehmen.Swantje Tobiassen studierte Sozialwissenschaften und Public Policy <strong>in</strong> Bremen, Budapestund Berl<strong>in</strong>. Seit 2011 leitet sie das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichenRaum der Amadeu Antonio Stiftung. Zuvor arbeitete sie <strong>in</strong> Südafrika und Namibiaunter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)mit zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren im Bereich HIV/AIDS-Prävention.109


Expertisen von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>Tageszeitungen im ländlichen RaumMarion Kraske beschreibt <strong>in</strong> Ihrer Expertise, wie e<strong>in</strong> Weg aussehen könnte, die Bürger<strong>in</strong>nenund Bürger wieder für die Zeitungen zu begeistern. Indem die Redakteur<strong>in</strong>nenund Redakteure dort s<strong>in</strong>d, wo die Menschen s<strong>in</strong>d. Um die Menschenzurückzugew<strong>in</strong>nen und zu halten ist es wichtig, auf ihre Bedürfnisse und Interessene<strong>in</strong>zugehen und Geschichten zu erzählen – ganz lokale Geschichten aus der <strong>Region</strong>.http://7.ly/xxw<strong>Zum</strong> Engagement älterer Menschen <strong>in</strong> den ländlichen RäumenOstdeutschlandsPeter-Georg Albrecht fragt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Expertise wodurch das freiwillige Engagementälterer Menschen <strong>in</strong> ländlichen Räumen bestimmt wird. Denn Engagement fürDemokratie und gegen Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er prekären Situation: Woengagierte junge Menschen fehlen, macht auch das Engagement älterer Menschenhäufig wenig Freude. Was tun?http://7.ly/xxyDie Bedeutung sozialer Netzwerke im ländlichen RaumJohannes Baldaufs Expertise geht auf die Chancen e<strong>in</strong>, die das Internet als Informations-und Vernetzungsplattform <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburgbieten kann. Er verweist auch auf die Schwierigkeit, die Fülle von Informationen zufiltern und seriöse Quellen von Rechtsextremistenpropaganda oder Verschwörungstheorienzu unterscheiden.http://7.ly/xxz110


Danke!Wir möchten an dieser Stelle herzlich allen danken, die uns ermutigt, unterstützt und begleitethaben, das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> durchzuführen.Dem Projektbeirat: Privatdozent<strong>in</strong> Dr. Gabriela Christmann (»Kommunikations- und Wissensdynamikenim Raum« am Leibniz-Institut für <strong>Region</strong>alentwicklung und Strukturplanung),Frank Me<strong>in</strong>ke (»Strategie und Konzeption«, Serviceplan Gruppe), Julia Seeliger (taz-Journalist<strong>in</strong>und Blogger<strong>in</strong>), Michael Seidel (Chefredakteur Schwer<strong>in</strong>er Volkszeitung), Prof. Dr. Roland Roth(Hochschule Magdeburg-Stendal), Ole Seidenberg (Agentur Nest) und Simon Teune (Institutfür Protest- und Bewegungsforschung)Regiestelle Zusammenhalt durch Teilhabe: Ute Seckendorf, Lan Böhm, Mirko Bartzik, LisaDres und Klaus HarnischLandesregierung Mecklenburg-Vorpommern: der M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Arbeit, Gleichstellung undSoziales, Manuela Schwesig, und ihrem Referatsleiter Claus Werg<strong>in</strong> und dem M<strong>in</strong>ister für Bildung,Wissenschaft und Kultur, Mathias BrodkorbLandesregierung Brandenburg: Angelika Thiel-Vigh, Leiter<strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle TolerantesBrandenburg<strong>Aktion</strong>sbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit:Generalsuper<strong>in</strong>tendent<strong>in</strong> Heilgard AsmusLandeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern: Jochen Schmidt und UteSchmidt<strong>Region</strong>ale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Mecklenburg-Vorpommern:Niels Gatzke, Christian Utpatel sowie den Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen im <strong>Region</strong>alzentrumAnklamDemokratieladen Anklam/Demokratisches Ostvorpommern e.V.: Annett Freier, GüntherHoffmann und T<strong>in</strong>a RathNordkurier: Lutz SchumacherStadt Pasewalk: Ra<strong>in</strong>er Dambach, Jutta Bressem und Katarzyna WerthStadt Zossen: Michaela Schreiber und Axel JürsFreudenberg Stiftung: Dr. Pia Gerbersowie: Evi Bähr, Carsten Beier, Prof. Dr. Dierk Borstel (Fachhochschule Dortmund), DanielCorlett, Robert Deutschländer, Super<strong>in</strong>tendent<strong>in</strong> Kathar<strong>in</strong>a Furian, Theresa Heller, DanielHoltermann, Kai Jahns, Tamara Jockenhöfer, Dr. Leif Kramp, Hagen Ludwig, Felix Müller, N<strong>in</strong>aPawlik, Christian Pietrzok, Heike Robrahn, Esther Preußler, Maik Sander, Uwe Stuck, AnneroseWerg<strong>in</strong>, Klaus Voeckler, Timo und dem <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch,bunt!, »Altes Haus« Seniorentreff Zossen, Arbeitslosenverband Deutschland KreisverbandUecker-Randow, AWO Kreisverband Uecker-Randow, E-Werk Zossen, Gender WerkstattRam<strong>in</strong> e.V. mit Jolanta Grenke, Mitglieder des Gospel Chors Zossen, Gutsmuseum und Dorf-Café Damerow, Hexe Klex, HOP Transnationales Netzwerk Odermündung e.V., Hort Wünsdorf,Hort Zossen, JaM-Home Zossen, Kulturhaus K<strong>in</strong>o Brüssow, Pommer‘sche Marktscheune mit Inaund Jürgen, Treacle Theatre, Wünsdorfer Werkstätten, Züsedomer Oldtimer Club sowie allenAutor<strong>in</strong>nen und Autoren, Fotograf<strong>in</strong>nen und Fotografen und Interviewpartner<strong>in</strong>nen und Interviewpartnern.111


REGION IN AKTIONAuf dem Land oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>stadt zu leben undetwas gegen Nazis zu unternehmen, ist besonders dannschwer, wenn die Mehrheit sche<strong>in</strong>bar schweigend Rechtsextremismush<strong>in</strong>nimmt und die engagierten als »Nestbeschmutzer<strong>in</strong>nen«und »Nestbeschmutzer« diffamiert.Das Buch beschreibt, wie mit ungewöhnlichen <strong>Aktion</strong>sformendemokratische Kultur im ländlichen Raum gestärktwerden kann und stellt Erfahrungen und Erfolge aus demProjekt »<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong>« der Amadeu Antonio Stiftungvor. Mit Beiträgen und Interviews von dem FrankfurterSoziologen Sighard Neckel, der Opferberatung LOBBI, demChefredakteur der Schwer<strong>in</strong>er Volkszeitung Michael Seidelund dem Mit<strong>in</strong>itiator der 3ten Generation OstdeutschlandJohannes Staemmler.


Mit Ihrer Spende oder Zustiftungunterstützen Sie dieFörderung von Projektenund Initiativen gegen rechte GewaltSeit ihrer Gründung ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, e<strong>in</strong>e demokratischeZivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus,Rassismus und Antisemitismus wendet. Hierfür hat sie überall <strong>in</strong>Deutschland bereits über 700 lokale Initiativen und Projekte <strong>in</strong> den Bereichendemokratische Jugendkultur, Schule, Opferschutz und Opferhilfe, kommunaleNetzwerke sowie Hilfsangebote für Aussteiger und Aussteiger<strong>in</strong>nen aus derNaziszene unterstützt. Wichtigste Aufgabe der Stiftung ist es, die Projekte übere<strong>in</strong>e Förderung h<strong>in</strong>aus dauerhaft zu ermutigen, Öffentlichkeit für ihre Situationzu schaffen und sich zu vernetzen.Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio Kiowa wurde 1990 von rechtsextremenJugendlichen im brandenburgischen Eberswalde zu Tode geprügelt,weil er e<strong>in</strong>e schwarze Hautfarbe hatte. Er war e<strong>in</strong>es der ersten von heute 183Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit dem Fall der Mauer. Die Amadeu AntonioStiftung wird unter anderem von der Freudenberg Stiftung unterstütztund arbeitet eng mit ihr zusammen. Die Stiftung ist Mitglied im BundesverbandDeutscher Stiftungen und hat die Selbstverpflichtung der Initiative TransparenteZivilgesellschaft unterzeichnet.Kontakt:Amadeu Antonio StiftungL<strong>in</strong>ienstraße 13910115 Berl<strong>in</strong>, GermanyTelefon 030. 240 886 10Fax 030. 240 886 22<strong>in</strong>fo@amadeu-antonio-stiftung.dewww.amadeu-antonio-stiftung.deBankverb<strong>in</strong>dung:GLS Geme<strong>in</strong>schaftsbank eG, BLZ 430 60 967, Konto-Nr. 6005000000BIC: GEN0DEM1GLS, IBAN: DE32 4306 0967 6005 0000 00Bitte geben Sie bei der Überweisung auch e<strong>in</strong>e Adresse an,damit e<strong>in</strong>e Spendenbesche<strong>in</strong>igung zugeschickt werden kann.112

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