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Harmonie durch Musik

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BE - ARBEIT zum Thema HARMONIE • 2002<br />

<strong>Harmonie</strong> <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong><br />

1.) ALLGEMEINE DEFINITION<br />

Andrea Hufnagl, 8a<br />

Laurent de la Hyre: Allegorie der <strong>Musik</strong><br />

<strong>Harmonie</strong> ist zunächst als musikalisches Fachwort aus dem griechisch, -lateinischen harmonia<br />

entlehnt, das ursprünglich „Fügung, Fuge, Bund, Ordnung“ bedeutet.<br />

Zum griechischen Grundwort harmózein (zusammenfügen) gehören auch die Neubildungen<br />

Harmonika, Harmonium, Philharmoniker, das Adjektiv harmonisch „den Gesetzen der <strong>Harmonie</strong> entsprechend<br />

bzw. ebenmäßig, stimmig“.<br />

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Auch das Verb harmonieren, „gut zusammenpassen, übereinstimmen“, das sich im 17.Jhdt.<br />

einbürgerte, leitet sich aus dem Grundwort harmonia ab.<br />

Harmonia (lat., auch armonia) ist das „Prinzip“ der griechischen <strong>Musik</strong> und der<br />

Ausgangspunkt ihres anscheinend schon von Terpandros von Antissa begründeten Systems; von hier aus<br />

wurde <strong>Harmonie</strong> (ähnlich wie Logos und Symmetrie) zu einem Grundbegriff der antik-abendländischen<br />

<strong>Musik</strong>-, Kunst- und Weltanschauung.<br />

Das Prinzip der <strong>Harmonie</strong> wurde so früh aufgestellt, dass Harmonia als Tochter von Ares<br />

und Aphrodite (Personifikation von „Auseinanderklang“ und „Zusammenklang“) und Gemahlin des zu<br />

„Kosmos“ umgedeuteten Kadmos noch in den gemein-griechischen Mythos aufgenommen wurde.<br />

Bei Euripides galt Harmonia als Mutter der Musen, später (so bei Nonnos) überhaupt als Personifikation<br />

von Ordnung und Eintracht.<br />

<strong>Harmonie</strong> ( griechisch eigentlich „Fügung“) bedeutet in erster Linie Einklang, Übereinstimmung<br />

und stellt ein ausgewogenes, ausgeglichenes Verhältnis dar.<br />

Dieser Einklang nimmt einen sehr hohen Stellenwert im Leben des Menschen ein, da er sich<br />

ja zeitlebens mit diesem Gedanken beschäftigt oder besser gesagt – beschäftigen muss. Denn der<br />

Mensch ist immer bestrebt – und war es in der ganzen Entwicklungsgeschichte der Menschheit immer<br />

schon – nach dem „Einklang mit sich selbst und der Natur“ und damit auch mit seinen Mitmenschen.<br />

Dass der Mensch ein sehr großes <strong>Harmonie</strong>bedürfnis besitzt, also den Wunsch nach einem ausgewogenen,<br />

ausgeglichenen Verhältnis, zeigt sich an unzähligen Beispielen des täglichen Lebens. So zum<br />

Beispiel der immerwährende Wunsch nach Versöhnung nach einem Streit. Auch eine Partnerschaft,<br />

natürlich auch eine Familie können als eine solche harmonische Einheit betrachtet werden. Wenn etwas<br />

oder jemand mit etwas anderem harmoniert, heißt das, dass diese nicht nur gut miteinander auskommen,<br />

sondern auch gut zusammenpassen, angenehm zusammenklingen.<br />

Wenn jemand harmonisch mit einem anderen Menschen umgeht, bedeutet dies, dass er<br />

eine ausgewogene, wohlgestaltete Beziehung in gutem Einvernehmen führt.<br />

<strong>Harmonie</strong> bedeutet also ein Verhältnis ohne jegliche Dissonanzen, sie bildet gerade das<br />

Gegenteil dazu und sie ist somit auch frei von Gewalt, denn Gewalt kann nur als Folge von Dissonanz<br />

passieren.<br />

In der bildenden Kunst wird <strong>Harmonie</strong> als ausgewogenes, maßvolles Verhältnis der Teile<br />

einer Bildkomposition zueinender verstanden. In der Ästhetik ist <strong>Harmonie</strong> die intuitiv erfassbare Übereinstimmung<br />

aller Teile der Erscheinung. Von W. Leibniz als Einheit in der Mannigfaltigkeit definiert, ist<br />

<strong>Harmonie</strong> vom Grad der Gesetze bestimmt, die in der Zuordnung der Teile eines Ganzen zueinander<br />

bestehen. In der klassischen Ästhetik, die besonders seit der Renaissance bis ins 19. Jh. Für die<br />

Kunstauffassung maßgebend war, entspricht <strong>Harmonie</strong> dem Begriff des Schönen.<br />

Die vielen Begriffe, die das Wort „<strong>Harmonie</strong>“ beschreiben, führen bereits zur <strong>Musik</strong>. Nicht<br />

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zufällig stehen in der Definition für Balance und <strong>Harmonie</strong> die Wörter Übereinstimmung, Einklang,<br />

wohltönender Zusammenklang, sowie wohlklingend, Abstimmung, „stimmig“ und auch die Ablehnung<br />

Harmonik, die bereits einen Begriff aus der <strong>Musik</strong> bildet.<br />

In der griechischen <strong>Musik</strong> ist Harmonik eine kunstvolle Mischung aus dem Hohen („scharf“)<br />

und Tiefen („schwer“) des Klangs, analog dem Begriff des Rhythmus, den Platon im Symposion als eine<br />

kunstvolle Mischung aus schneller und langsamer Bewegung erklärt. Die Griechen machten bereits eine<br />

Unterscheidung gemäß den Tongeschlechtern (enharmonisch, chromatisch, diatonisch) – ein „Systema<br />

teleion“. Auch gab es eine Unterscheidung der Klänge als symphonoi („zusammenklingende“) und diaphonoi<br />

(„auseinanderklingende“), im Lateinischen con- und dissonantes. Die so strukturierte Harmonik<br />

bildet als Ganzes ein in wechselseitiger Spannung in sich ausgewogenes Gefühl, das Heraklit mit der<br />

widerstrebend-zusammenstrebenden Fügung des Bogens vergleicht. Gemäß der Ansicht, <strong>Harmonie</strong> sei<br />

ein universales Prinzip, dem alle Dinge des Mikro,-und Makrokosmos unterworfen sind, wurde die<br />

erklingende <strong>Musik</strong> seit der Antike als ein sinnlich wahrnehmbarer Repräsentant dieses Prinzips verstanden.<br />

Aber auch die höheren Stufen der Musica wurden in Spätantike und Mittelalter als<br />

Paradigmata von <strong>Harmonie</strong> aufgefasst, die Musica humana vor allem als <strong>Harmonie</strong> von Leib und<br />

Seele, die Musica mundana als die <strong>Harmonie</strong> des Weltganzen ( Sphärenharmonie), als Ausdruck für<br />

die göttliche Ordnung der Welt. Die mittelalterliche <strong>Musik</strong>anschauung übernahm die Idee der<br />

Sphärenharmonie als musica mundana, davon unterschied sie die musica humana, die menschliche<br />

<strong>Harmonie</strong> zwischen Leib und Seele, und die musica instrumentalis, die erklingende <strong>Musik</strong>. Mit der<br />

Entwicklung der <strong>Musik</strong>theorie von einer spekulativ- philosophischen Disziplin zu einer mehr an der<br />

Kompositionspraxis orientierten Lehre begann der kosmologische Aspekt des <strong>Harmonie</strong>begriffs in den<br />

Hintergrund zu treten, und schließlich wurde <strong>Harmonie</strong> gleichbedeutend mit Zusammenklang bzw.<br />

Harmonik verwendet.<br />

Harmonik, die Bezeichnung für das Ganze der musikalischen Erscheinungen, ergibt sich<br />

aus den Zusammenklängen mehrerer Töne. Als Gegenstand der Theorie behandelt die Harmonik den<br />

jeweils geschichtlich bedingten Vorrat der Klänge und Akkorde, ihren Aufbau, ihre Wertigkeit und ihre<br />

Verbindungsmöglichkeiten untereinander. Dabei umfasst sie einen zentralen musikalischen Bereich<br />

neben Melodik und Rhythmik, mit denen sie eigentlich eng verbunden ist (<strong>Harmonie</strong> - ein ausgewogenes<br />

Verhältnis).<br />

Seit dem Altertum gehörte Persönlichkeitserziehung <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong> zu den Selbstverständlichkeiten<br />

erzieherischer Maßnahmen. Dem lag die Annahme zugrunde, „gute“ <strong>Musik</strong> sei<br />

Abbild kosmischer Ordnung und beeinflusse die Seele des Menschen auf positive Weise.<br />

Bereits im China der Chou - Dynastie (ca. :1:100-250 v. u. Z.) galt <strong>Musik</strong> (yüeh) nicht allein als machtvolles<br />

Zaubermittel, das Naturkräfte beeinflussen kann. Als Spiegel von kosmischer Ordnung und<br />

<strong>Harmonie</strong> wies ihr Konfuzius (55:1-479 v. u. Z.) eine besondere Rolle für die ethischen Belange des<br />

feudalen Staatsgefüges zu. Entsprechend nutzten die chinesischen Herrscher die <strong>Musik</strong> als<br />

Erziehungsmittel zur Regulierung der menschlichen «Gemütsbewegungen». Nach dem «Buch der Sitte»<br />

(Li Chi) manifestieren sich diese Bewegungen in den «fünf Tönen» (sheng) der pentatonischen Leiter des<br />

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BE - ARBEIT zum Thema H A R M O N I E • 2002<br />

frühen China. Für die Aufrechterhaltung der musikalischen und zugleich auch staatlichen Ordnung war<br />

seit ca. 200 v. u. Z. das kaiserliche <strong>Musik</strong>-Amt (yüeh-fu) zuständig, das formell bis zum Ende der Ts'ing-<br />

Dynastie im Jahr :19:12 bestand.<br />

Wie die chinesische yüeh weit mehr als nur das Erklingende einschließt, stellt auch die musike<br />

im klassischen Griechenland eine Dimension dar, in der <strong>Musik</strong>alisches auf das engste mit kultischreligiösen<br />

und ethisch-gesellschaftspolitischen Inhalten verbunden ist. Fast selbstverständlich konnte<br />

daher Platon (427-347 v. u. Z.), der entscheidende Repräsentant der antiken Ethoslehre, die<br />

Wirkungen von <strong>Musik</strong> und die Entwicklung des Menschen in Beziehung setzen. Aus dieser Beziehung<br />

leitete er eine besondere Bedeutung der <strong>Musik</strong> für das Staatswesen und vor allem für die Erziehung der<br />

Jugend ab. Tonarten, Zeitmaße (Rhythmen), Instrumente und musikalische Gattungen wurden nach ihrer<br />

ethisch-erzieherischen Wirksamkeit skaliert, staatsgefährdende ausgeschieden (...).<br />

Für Aristoteles (384-322 v. u. Z.) zielt die staatliche Erziehung der Jugend nicht mehr allein<br />

auf die Einübung in staatskonforme Tugenden, sondern auch auf die sinnvolle Freizeitgestaltung (Muße).<br />

Hier trägt die «genussbereitende» <strong>Musik</strong> Zur Selbst-Bildung des sich im Staat verwirklichenden<br />

Menschen bei.<br />

Im deutschen Idealismus des angehenden :19. Jahrhunderts erlangt die <strong>Musik</strong>, da sie «am<br />

tiefsten in die Seele zu dringen» vermag (Herder, 1803), erste pädagogische Priorität bei der<br />

Humanisierung des Menschen: «Mit Recht ist Orpheus' Leier unter die Sterne versetzt; sie hat mehr getan<br />

als Herkules´ Keule; sie macht den Unmenschen menschlich ; (zit. nach Abel-Struth, :1985,)'<br />

Diese Form von Menschenbildung, der Bildung von Individualität <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong>, wird exemplarisch in<br />

Goethes «pädagogischer Provinz» dargestellt. Der hier meist erstaunlich reglementierte Weg einer<br />

<strong>Musik</strong>erziehung als Ausgangsbasis für eine planvolle Erziehung zur Selbsttätigkeit geht in der Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts in einer wissenschaftlich begründeten <strong>Musik</strong>pädagogik auf .<br />

In den 2oer Jahren unseres Jahrhunderts aus der Jugendbewegung entwickelte sich die Idee der musischen<br />

Erziehung. Sie zielt auf eine Ganzheit der Künste, in deren Rahmen «<strong>Musik</strong> zur Beseelung, nicht<br />

zur Versittlichung dient. Nach Adorno bildet die <strong>Musik</strong> in der musischen Bewegung ein „sanktioniertes<br />

Schutzgebiet von Irrationalität“. Hier sind, unter dem Deckmantel des <strong>Musik</strong>antischen und<br />

Antiintellektuellen, Gemeinsamkeiten mit dem Faschismus nachweisbar. Alle Konzeptionen einer<br />

Erziehung <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong> sind letztlich und vorrangig geprägt von Selektion und Ausgrenzung. Sie basieren<br />

mehr oder weniger offen auf einer Zensurierung der in der jeweiligen Zeit praktizierten <strong>Musik</strong>en<br />

nach dem Kriterium von gut und schlecht.<br />

Auch der musische Bildungsgedanke ist – mit mancherlei Varianten – dieser Auffassung verpflichtet.<br />

Ein tiefgreifender Wertewandel seit Beginn unseres Jahrhunderts lässt allerdings eine Trennung<br />

in gute und schlechte, zur Erziehung taugliche und untaugliche <strong>Musik</strong> so ohne weiteres nicht mehr zu.<br />

Darüber hinaus hat der Nationalsozialismus (in aller Schärfe z. B. in Arbeits- und Konzentrationslagern;<br />

s. John, 1991) gezeigt, dass brutalste Inhumanität und im traditionellen Sinn als gut verstandene <strong>Musik</strong><br />

einander keineswegs auszuschließen brauchen. So fragwürdig damit der Gedanke an die Möglichkeit<br />

einer Persönlichkeitserziehung <strong>durch</strong> «gute» <strong>Musik</strong> auch geworden ist, so sicher lässt sich doch sagen,<br />

dass jeder Umgang mit <strong>Musik</strong> zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.<br />

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Die <strong>Musik</strong> leistet einen sehr wesentlichen Beitrag bei der Erlangung der <strong>Harmonie</strong> und der<br />

Balance – dem inneren Gleichgewicht des Menschen.<br />

Hiermit gerät der sozialisationstheoretisch höchste relevante Begriff der Aneignung in den Mittelpunkt<br />

der Betrachtung. Er wird verstanden als Grundbedingung menschlichen Lebens und umschreibt Formen<br />

des produktiven Verhaltens gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen und ihren Anforderungen wie<br />

Möglichkeiten.<br />

Im heutigen Zeitalter wird der Mensch immer und überall im täglichen Leben von der <strong>Musik</strong><br />

begleitet und <strong>Musik</strong> stellt ein besonders interessantes Medium der Auseinandersetzung mit der Kultur<br />

dar. Denn <strong>Musik</strong> ist als Bestandteil von Kultur immer auch Erzeugnis eines oder mehrerer Individuen und<br />

schafft somit ein Verhältnis von Individuum zu Kultur. So vollzieht sich die Entwicklung der Persönlichkeit<br />

in der Aneignung materieller Kultur <strong>durch</strong> aktive, auf äußere Dinge bezogene Tätigkeit (<strong>durch</strong> handfeste<br />

Wirklichkeitsbewältigung also) und in der Aneignung symbolischer Kultur über das Medium der<br />

Kommunikation. Hierzu zählt vor allem die Rezeption „jugendeigener“ <strong>Musik</strong>, die sich vom Rock 'n' Roll<br />

der 50ger über den Beat der frühen 60er, die Rockmusik der 70er, Punk und Disco der 80er, Rap und<br />

Techno-Pop der 9oer Jahre zu einer bedeutenden Sozialisationsinstanz geformt hat. Als wesentliche<br />

Kategorie für die Entwicklung von Identität und Selbstbedeutung bei Jugendlichen beschreibt<br />

Zimmermann die «rebellische» Aneignungsform von Rockmusik. In der Aneignung von Rockmusik sind<br />

Formen potentieller Eigentätigkeit, wie Provokation, Abgrenzung oder Enttabuisierung enthalten. Wenn<br />

auch Rockmusik keinen eigenständigen Sozialisationsfaktor darstellt, so ist doch die Bedeutung des<br />

musikalischen Alltags Jugendlicher für die Persönlichkeitsentwicklung nicht zu unterschätzen. Dies zumal<br />

als bei den 14- bis 19jährigen die auditiven Medien Radio, CDs und MP3s in der Mediennutzung an<br />

erster Stelle stehen und die kultur, -und jugendkritische Rede von einer «Dauerberieselung» <strong>durch</strong> triviale<br />

Pop, - und Rockmusik an den vielfältigen Formen vorbeigeht, mit denen sich Jugendliche derartige<br />

<strong>Musik</strong> aneignen.<br />

Es wird vermutet, dass dieser <strong>Musik</strong> die „wichtige Rolle zufällt, sozusagen akkustische Räume aufzubauen,<br />

in denen psychische Dynamik entfaltet, in ihren Grenzen und Reichweiten erfahren und damit<br />

in die Identitätsfolie eingestanzt werden können“.<br />

Bei der Entwicklung verschiedener Stilrichtungen der <strong>Musik</strong> waren in den einzelnen<br />

Epochen Normen und Verhaltensregeln maßgeblich. So wäre z.B. im Europa des 19. Jhts. Jazz, Pop<br />

und Rock nicht möglich gewesen und das nicht nur wegen des herrschenden <strong>Musik</strong>geschmacks sondern<br />

auch wegen genereller Verhaltensweisen (wie z.B. Ablehnung exaltierter, körpernaher Affekte).<br />

Die <strong>Musik</strong> übernimmt also im Leben des Menschen verschiedene Funktionen:<br />

Zum gesellschaftlich-kommunikativen Funktionsbereich zählen:<br />

• sakrale Funktionen: sie haben die <strong>Musik</strong> des Abendlandes zumindest bis zum Beginn der<br />

Säkularisierung entscheidend mitgeprägt;<br />

• Repräsentations- bzw. Glorifizierungsfunktionen: <strong>Musik</strong> als Statussymbol, als klingender<br />

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und schließlich:<br />

Ausdruck von wirtschaftlicher politischer und kultureller Potenz;<br />

• Festlichkeitsfunktion: <strong>Musik</strong> als Rahmen für das Besondere, Außeralltägliche. Sowohl im<br />

Leben des Einzelnen (Geburt, Geburtstag, Hochzeit,...) als auch in der Gemeinschaft<br />

(Festtage, Feiern,..)<br />

• Funktion der Bewegungsaktivierung- und Koordination: beim Volks- und<br />

Gemeinschaftstanz (auch in der Disco), sowie bei Marsch- und Parademusik.<br />

• gemeinschaftsbindende gruppenstabilisierende Funktion: <strong>Musik</strong> bestimmt soziale Gruppen<br />

und Schichten, die sich jeweils mit ihrer <strong>Musik</strong> identifizieren.<br />

• erzieherische Funktionen: <strong>Musik</strong> als Mittel zur Bildung, zur richtigen „Gesinnung“, zur<br />

Etablierung von ästhetischen Normen;<br />

• Verständigungsfunktionen: <strong>Musik</strong> als Metasprache, als symbolhaftes Kommunikationsmedium<br />

neben der Sprache und über die Sprache hinaus.<br />

• Kontaktfunktion: <strong>Musik</strong> als nonverbales Mittel der Kontaktaufnahme und zur Klärung<br />

zwischenmenschlicher (meist positiver) Beziehungen.<br />

• gesellschaftliche Funktionen: <strong>Musik</strong> als Ausdrucksmittel von Minderheiten, um auf Missstände<br />

in der Gesellschaft hinzuweisen.<br />

• die Funktion der Selbstverwirklichung: besonders beim eigenen <strong>Musik</strong> machen, aber <strong>durch</strong>aus<br />

auch beim gezielten und eigenbestimmten <strong>Musik</strong>hören.<br />

Alle diese Teilfunktionen sind abhängig von der jeweiligen Situation.<br />

Weniger kontextabhängig und stärker personenorientiert ist der individuell-psychische<br />

Funktionsbereich: Hierbei spielen Assoziationen und Vorstellungen im Zusammenhang mit der eigenen<br />

psychischen Bedürfnislage eine wichtige Rolle:<br />

• die emotionale Kompensationsfunktion: die Projektion oder Abreaktion von Stimmungen,<br />

Gefühlen, Wünschen, Träumen und Vorstellungen <strong>durch</strong> die <strong>Musik</strong>.<br />

• Funktion der Einsamkeitsüberbrückung: <strong>Musik</strong> gibt dann Verbindungen zum gesellschaftlichen<br />

Umfeld vor die real nicht gegeben sind.<br />

• Konfliktbewältigungsfunktion: die Flucht aus den Zwängen des Alltags <strong>durch</strong> meist reggressive<br />

Versenkung in die <strong>Musik</strong>, die dabei abstrakt und realitätsüberhöhend wirkt. Æ <strong>Musik</strong><br />

als Drogenersatz<br />

• Entspannungsfunktion: <strong>Musik</strong> als stressregulierendes, Emotion glättendes Therapiemittel<br />

• Aktivierungsfunktion: geistige und körperliche Stimulierung und Stimmungsoptimierung <strong>durch</strong><br />

<strong>Musik</strong>, die dem eigenen <strong>Musik</strong>geschmack entspricht.<br />

• Unterhaltungsfunktion: Empfinden von Spaß, Wohlgefallen und Lustgewinn durc h<br />

Identifikation bei <strong>Musik</strong>, die als schön empfunden wird.<br />

Heutzutage dient <strong>Musik</strong> leider oft der unterhaltsamen Ablenkung , als Freudenbringer und<br />

schwindelhaftes Versprechen von Glück, als Ersatzbefriedigung von Selbstbestätigung, als triebbeding-<br />

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ter Abwehrmechanismus.<br />

Die Veränderung unserer akkustischen Umwelt <strong>durch</strong> die Entwicklung der technischen<br />

Medien hat dazu geführt, dass <strong>Musik</strong> in nahezu alle Lebensbereiche eindringt. Klagen über die<br />

„Vertreibung der Still“ oder „musikalischen Umweltverschmutzung“ werden mittlerweile abgelöst <strong>durch</strong><br />

die Forderung nach einer „Ästhetisierung der Umwelt“.<br />

Der eigentliche Sinn der <strong>Musik</strong> zur Erlangung der <strong>Harmonie</strong> wird oft missverstanden und<br />

sogar als gezieltes Mittel zum Zweck eingesetzt.<br />

MISSBRAUCH VON MUSIK:<br />

Heutzutage dient <strong>Musik</strong> leider oft der unterhaltsamen Ablenkung, als Freudenbringer und<br />

schwindelhaftes Versprechen von Glück , als Ersatzbefriedigung und Selbstbestätigung, als triebbedingter<br />

Abwehrmechanismus.<br />

Die Veränderung unserer akustischen Umwelt <strong>durch</strong> die Entwicklung der technischen<br />

Medien hat dazu geführt, dass <strong>Musik</strong> in nahezu alle Lebensbereiche eindringt.<br />

Klagen über die „Vertreibung der Stille“ oder „musikalische Umweltverschmutzung“ werden mittlerweile<br />

abgelöst <strong>durch</strong> die Forderung nach einer „Ästhetisierung der Umwelt“.<br />

Der eigentliche Sinn der <strong>Musik</strong> zur Erlangung der <strong>Harmonie</strong> wird oft missverstanden und<br />

sogar als gezieltes Mittel zum Zweck eingesetzt. In westlichen Kulturen hat <strong>Musik</strong> häufig eine eskapistische<br />

Funktion. Mit Ihrer Hilfe kann man dem Alltag entfliehen, Probleme des Alltages verdrängen.<br />

<strong>Musik</strong> kann subsitutiv (ersetzend) sein, das heißt an die Stelle eines anderen Bereiches, z.B. der Religion<br />

treten (---_ Konzertbezogene Verhaltensrituale). Sie kann emotional positiv stimulierende Wirkung ausüben<br />

(_ <strong>Musik</strong> als Mutermacher), sie kann daseinssteigernd und alltagserklärend wirken (vor allem als<br />

Live-<strong>Musik</strong>).<br />

Unter kulturbezogenem Blickwinkel bedeutsam ist die Frage, in welchen Rahmen (Setting) <strong>Musik</strong> ausgeübt<br />

wird. In unserer Kultur sind solche Settings der Konzertsaal, das Opernhaus, die Kneipe, das<br />

Stadion,…In solchen Settings kann <strong>Musik</strong> zentral oder peripher sein, also im Mittelpunkt stehen oder<br />

aber auch unterstützend, begleitend sein.<br />

In traditionellen Kulturen sind Hörer und <strong>Musik</strong>interpreten immer räumlich zusammen, während<br />

sie in unserer Kultur weit getrennt sein können.<br />

Die Ve rmittlung erfolgt dann über Speichermedien wie Schallplatten, Kassetten, CDs und<br />

Distributionsmedien, Hörfunk oder Fernsehen.<br />

Die Art des Mediums bestimmt die Funktion von <strong>Musik</strong> in einer Kultur sehr stark mit.<br />

Lautsprechermusik wird zu einem integrativen Bestandteil des Alltags und ist bezüglich ihres Einsatzortes<br />

multifunktional: Die gleiche <strong>Musik</strong> kann z.B. als Hintergrundmusik zur Arbeit, als Freizeitmusik und <strong>Musik</strong><br />

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im Werbespot eingesetzt werden.<br />

I n t e rnational tätige <strong>Musik</strong>konzerne versorgen den To n t r ä g e rmarkt mit musikalischen<br />

Produkten, die nahezu ausschließlich nach dem Gesetz der Ware gemacht worden sind: als musikalische<br />

Wegwerfobjekte, die das Verlangen nach vergleichbaren und dennoch neuen Produkten steigern<br />

sollen. Die Folge davon ist, dass regional gebundene <strong>Musik</strong>en immer mehr <strong>durch</strong> das musikalische<br />

Fertigwarenangebot verdrängt werden.<br />

MUSIK IN DER GESELLSCHAFT<br />

Die Freiheitsgrade bei der Gestaltung der <strong>Musik</strong> sind in unserer Kultur sehr hoch (Popmusik,<br />

klassische <strong>Musik</strong>, sowie experimentelles Musizieren sind möglich), können aber in anderen Kulturen sehr<br />

eingeschränkt sein (z.B.: das Verbot von Instrumenten im Vatikan _ a capella; das anfängliche Verbot<br />

der Mehrstimmigkeit in der Gregorianik; Verbot „moderner“ <strong>Musik</strong> aber auch von Jazz im 3. Reich)<br />

Zwang und Offenheit in einer Kultur bestimmen bei der <strong>Musik</strong> den Stellenwert, den diese im individuellen<br />

Leben einnehmen kann. So erlaubt es unsere Kultur bis zu einem gewissen Grad, <strong>Musik</strong> zum<br />

Lebensinhalt zu machen aber auch als peripheres, ungewichtiges Geschehen abzutun.<br />

Wie wichtig <strong>Musik</strong> für das gesellschaftlich Zusammenleben ist, zeigen Entstehungsmythen<br />

in allen Kulturen. So z.B. bei den Griechen Orpheus, bei den Chinesen Gu Pa, deren <strong>Musik</strong> Mensch<br />

und Tier, die Seelen der Verstorbenen und der Götter beeinflusst.<br />

ENTSTEHUNG DER MUSIK<br />

Für die Entstehung von <strong>Musik</strong> gibt es verschiedene wissenschaftliche Ursprungstheorien.<br />

Einige behaupten, <strong>Musik</strong> habe sich von der Sprache entwickelt. Charles Darwin dagegen war der<br />

Ansicht, dass musikalische Töne ursprünglich von den Vorfahren des Menschen erworben wurden, um<br />

auf das andere Geschlecht einen Reiz auszuüben. <strong>Musik</strong> also als Liebeswerkzeug, als Ausdruck des<br />

menschlichen Sexualtriebs.<br />

Andere Theorien besagen, <strong>Musik</strong> sei das Ergebnis des menschlichen Spieltriebes oder<br />

eines affektgeladenen Gefühlsausbruch oder ausgelöst <strong>durch</strong> Magie, Kult und Religion. Dabei wird<br />

<strong>Musik</strong> als Mittel religiös-transzendentaler Erfahrung und als Machtinstrument benutzt. In säkularisierten<br />

Formen tritt <strong>Musik</strong> dann daseinserhöhend und erlebnissteigernd bei den politisch Mächtigen auf<br />

(Militärmusik, Hofmusik).<br />

Heutzutage verhält sich „politische <strong>Musik</strong>“ ideologiekritisch zur gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit und widersetzt sich einer bestehenden Daseinsform, als Protest z.B. Politrock, Rock gegen<br />

Rechtsradikalismus, Protestsongs.<br />

MUSIK ZUM ZWECK<br />

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Wer <strong>Musik</strong> liebt, wer sie um ihrer selbst hören will, steht in einem ausgeglichenen, ausgewogenen<br />

Verhältnis zur <strong>Musik</strong>. Er kann die <strong>Musik</strong> dafür nutzen und sie deshalb genießen oder selbst<br />

machen, um inneren Einklang und <strong>Harmonie</strong> zu erreichen.<br />

„Als Kunst ist <strong>Musik</strong> Selbstzweck.“<br />

Andererseits wird <strong>Musik</strong> häufig eingesetzt, um Zwecke, die außer ihr selbst liegen, zu erreichen.<br />

So kann ein junger Mann der auf Eroberung aus ist, mit Hilfe schmelzender <strong>Musik</strong> die<br />

Partnerin zu erreichen suchen; Eltern können eine melodiöse, leise und langsame <strong>Musik</strong> dafür nutzen,<br />

ihre überaktiven Kinder zu beruhigen oder mit Hilfe eines vertrauten monotonen Gesangs zum<br />

Einschlafen zu bringen.<br />

Psychotherapeuten setzten <strong>Musik</strong> ein, um erwünschte Verhaltensweisen bei ihren Klienten zu<br />

erreichen, Sozialpsychologen nutzen <strong>Musik</strong>, um die Interaktion zwischen Menschen da<strong>durch</strong> zu beeinflussen.<br />

Werbegestalter versuchen mit Hilfe von <strong>Musik</strong> Markennamen oder Slogans im Gedächtnis zu<br />

verankern.<br />

Durch <strong>Musik</strong> in Kaufhäusern oder Gaststätten soll das Konsumverhalten angeregt werden.<br />

Auch wird funktionelle <strong>Musik</strong> bewusst in der Arbeit eingesetzt, um die Arbeitsleistung zu steigern.<br />

Der Einsatz von <strong>Musik</strong> zählt grundsätzlich zur Gestaltung des Arbeitsplatzes: Generelles Ziel ist größere<br />

Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, bessere Leistung und schließlich das Überdecken unangenehmer<br />

Geräusche.<br />

FUNKTIONELLE MUSIK<br />

Funktionelle <strong>Musik</strong> soll Atmosphäre schaffen, auch dort, wo eigentlich keine ist (<strong>Musik</strong> als akustisches<br />

Ornament mit Gestaltungsfunktion):<br />

• störende Arbeitsgeräusche übertönen<br />

• die Müden aktivieren und die nervösen beruhigen (<strong>Musik</strong> zur Konditionierung und<br />

Beeinflussung individueller Stimmungen)<br />

• Nachdenken verhindern <strong>durch</strong> Verbreitung von Wohlbefinden mit Hilfe eines vertrauten<br />

musikalischen Bezugsrahmens (Stabilisierung <strong>durch</strong> emotionale Gleichschaltung)<br />

Lautsprechermusik besitzt eine sehr große Funktionsvielfalt (funktionelle <strong>Musik</strong>), sie ist an<br />

immer mehr Orten als alltägliche Zutat zu nicht primär musikalisch bezogenen Situationen allgegenwärtig.<br />

Sie begleitet uns:<br />

• auf Reisen (Auto, Flugzeug, Bahn, Schiff, …): zur subjektiven Distanzverkürzung<br />

• in Wartesälen (Zahnarztpraxis, Flughafen, Kino, …): zur Überbrückung von Langeweile und<br />

zur Zeitverkürzung<br />

• beim Einkauf (Supermarkt, Boutique, …): als Kaufstimulanz und zur Lenkung des Konsumverhaltens<br />

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• am Arbeitsplatz (Büro, Fabrikshalle, …): zur allgemeinen Aktivierung und zum Überspielen<br />

von Leistungstiefs<br />

• in touristischen Orten (auch in Kirchen): zur Verdichtung einer positiven Atmosphäre<br />

• in Gaststätten, öffentlichen Toiletten: zur Übertönung unerwünschter Geräusche<br />

• bei musikalischer, therapeutischer Behandlung (Zahnarzt, Operationssaal, …): als schmerzlinderndes,<br />

angstreduzierendes Mittel<br />

• zu Hause: im Extremfall von morgens bis abends; zur Zerstreuung, als Zeitvertreib und<br />

Klangtapete, zur akustischen Überbrückung von Leere<br />

„Mit Mozart gedeihen Brutkasten-Babys besser“, lautete unlängst das Ergebnis eines<br />

Experimentes, das in der Kölner Kinderklinik <strong>durch</strong>geführt wurde. Dabei wurde der therapeutische Wert<br />

von <strong>Musik</strong> klinisch getestet. Doch die Annahme, man könne sich eine „musikalische Hausapotheke“<br />

anlegen, nach dem Vorschlag: Bruckner-Sinfonien gegen Liebeskummer, Beethoven, Brahms und<br />

Tschaikowsky gegen Einsamkeit, Strawinsky´s „Sacre du Printemps“ zum Aggressionsabbau, ist ebenso<br />

naiv wie irreführend, da immer ein Bündel von Variablen, die von der Situation abhängen, für die<br />

Wirkung von <strong>Musik</strong> ausschlaggebend sind.<br />

MUSIK HÖREN – TYPOLOGIE DER MUSIKHÖRER<br />

Außerdem gibt es verschiedene „Typen“ des <strong>Musik</strong>hörers, das heißt jeder hat seien individuellen<br />

Präferenzen und Vorstellungen im Bezug auf <strong>Musik</strong> und daher kann die Wirkung der gleichen <strong>Musik</strong><br />

auf jeden Menschen unterschiedlich sein.<br />

Die Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft benannte 1981, orientiert nach musikalischen Vorlieben,<br />

folgende Hörertypen:<br />

• Volkstümlicher Typ (Volksmusik, dt. Schlager)<br />

• Rock-Pop- Typ<br />

• Klassik- Typ (Konzertmusik aus Barock, Klassik und Romantik)<br />

• Vielhörer- Typ (Unterhaltungsmusik, „leichte“ E-<strong>Musik</strong>)<br />

• Progressiver Typ (Avantgardemusik jeden Stils)<br />

Daneben gibt es noch die Typologie des <strong>Musik</strong>hörens, die verschiedenen Arten des Zuhörens:<br />

• sensibles (emotionales)<br />

• ästhetisches<br />

• beseelendes <strong>Musik</strong>hören<br />

Diese drei Arten können jedoch alle bei jedem Menschen individuell dazu verhelfen, das innere<br />

Gleichgewicht zu erlangen und den Einklang mit sich selbst zu erreichen, indem man sich der <strong>Musik</strong><br />

hingibt und <strong>Musik</strong> intensiv erlebt.<br />

Wichtig ist jedoch, dass man bewusst hört und nicht nur mit einem Ohr hinhört oder sich berieseln lässt,<br />

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so wie es in Kaufhäusern oft der Fall ist.<br />

Weitere Hörweisen, die für das Erleben von <strong>Musik</strong> von Bedeutung sein können, sind:<br />

• motorisches Hören („ich möchte mich am liebsten immer bewegen“)<br />

• kompensatorisches Hören („ich fühle mich weniger einsam“)<br />

• vegetatives Hören („<strong>Musik</strong> geht mir regelrecht unter die Haut“)<br />

• diffuses Hören („ich höre gerne nur mit einem Ohr zu“)<br />

• emotionales bzw. sentimentales Hören („ich bade gerne in den Klängen der <strong>Musik</strong>, ich träume<br />

gern e “ )<br />

• assoziatives Hören („ich habe oft bildhafte Vorstellungen“)<br />

• distanziertes Hören („ich versuche den Formaufbau des Stückes zu verstehen“)<br />

Diese Hörweisen sind oft situationsabhängig (Konzert, Walkman, Disco, <strong>Musik</strong>stunde, …)<br />

Funktionelle <strong>Musik</strong> beruft sich meist auf das vegetative und diffuse Hören, z.B. bei Werbung als<br />

Hintergrundmusik, bei Kaufhäusern, zum Nebenbeihören, usw.<br />

MUSIK IM ALLTAG UND BEEINFLUSSUNG DURCH TECHNISCHE MEDIEN<br />

Auf die Dauer kann „unbewusstes“ Hören, also Nebenbeihören oder „mit einem Ohr hinhören“<br />

jedoch sehr anstrengend und nervenaufreibend werden, da man sich der enormen Wirkung,<br />

die <strong>Musik</strong> hervorrufen kann, nicht bewusst ist, wenn man z.B. stundenlang in Geschäften unterwegs ist<br />

und beim Einkaufen, Anprobieren, Zahlen, … dauerberieselt wird und dies gar nicht sosehr wahrnimmt,<br />

ja gar nicht bemerkt!<br />

In Wirklichkeit ist der Körper jedoch dauernd einer Geräuschkulisse ausgesetzt, aus der er<br />

sich immer wieder und wieder die wichtigsten Informationen herausfiltern muss. Unser Gehirn ist es<br />

gewohnt, dass es einer Dauerberieselung ausgeliefert ist und deshalb wird der menschliche<br />

Abwehrmechanismus – selektive Wahrnehmung – sehr stark trainiert. So kann es dazu kommen, dass<br />

man sich nicht weiter etwas dabei denkt, wenn bei einer Werbung das Mozartrequiem als<br />

Hintergrundmusik eingespielt wird.<br />

Eine sehr affektgeladene <strong>Musik</strong>, die jedoch aufgrund der Berieselung und der<br />

Hintergrundrolle, die <strong>Musik</strong> dann einnimmt, nur „mit einem Ohr gehört wird“. Der Mensch wird <strong>durch</strong><br />

Werbung, Medien, generell <strong>durch</strong> ständige Lautsprechermusik im Alltag sosehr beeinflusst und eingelullt,<br />

dass oft „Juwelen der <strong>Musik</strong>“, wie Sequenzen des Mozartrequiems nebenbei und ohne besonderen<br />

Empfindungen gehört werden.<br />

<strong>Musik</strong> wird hierbei rein zum Zweck, eine beständige Wirkung beim Hörer zu erzielen, eingesetzt. Sie<br />

ersetzt dabei oft reale Kollektivität, sie wird als „Kommunikativer Code“ verwendet, wobei<br />

Kommunikation zwischen Menschen umgelenkt, wird auf imaginär-reale Mensch-Ding-Bezüge.<br />

Weitere gesellschaftliche Zwecke, die mit <strong>Musik</strong> verwirklicht werden, sind Lust- und<br />

Machtgewinn oder Angstverlust einerseits, Geldgewinn andererseits. Dieser wirtschaftliche Aspekt von<br />

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BE - ARBEIT zum Thema H A R M O N I E • 2002<br />

<strong>Musik</strong> wird realisiert <strong>durch</strong> verschiedene <strong>Musik</strong>arten und individual- und sozialpsychologische<br />

Wirkungen, die genauestens zusammengestellt werden. So wird nach den Ergebnissen <strong>Musik</strong> „produziert“,<br />

die genauestens zusammengestellt wird, um die größtmögliche Masse anzusprechen und nicht<br />

nur eine bestimmte Zielgruppe. Produzenten von funktioneller <strong>Musik</strong> haben einleuchtende<br />

Produktionskonzepte entwickelt, um so gut wie jedem <strong>Musik</strong>geschmack gerecht zu werden; so werden<br />

viele neue Titel innerhalb kürzester Zeit nach demselben Schema (Muster) zusammengestellt:<br />

• Bekannte, vertraute <strong>Musik</strong> wird in neuem Arrangement gebracht.<br />

Das geschieht in einer derart geschickten Mischung, dass eine direkte Identifizierung der<br />

Stücke nicht möglich ist. Durch Den großen Bekanntheitsgrad soll einerseits eine emotional<br />

positive Zuwendung zur <strong>Musik</strong> garantiert, <strong>durch</strong> die Anonymität der <strong>Musik</strong> andererseits eine<br />

zu starke Aufmerksamkeitszuwendung verhindert werden.<br />

• Die musikalische Struktur ist denkbar einfach gehalten. Kurze, prägnante Motive, häufige<br />

Motivwiederholungen, einfachster <strong>Harmonie</strong>verlauf, Komplikationslose Rhythmik und überschaubare,<br />

symmetrische Periodenbildungen innerhalb des einen Stückes garantieren leichte<br />

Aufnahme.<br />

• Grundlage des Tempos ist der menschliche Puls. Abweichung von diesem Basismuster des<br />

Biorhythmus mit etwa 70 Schlägen pro Minute geschehen nur behutsam.<br />

• Sologesang wird in der Regel vermieden, da hier die Neigung besteht, genauer hinzuhören<br />

und den Text zu verfolgen. Außerdem könnte die Identifikation des Hörers mit dem Star<br />

zu sehr von der Alltagssituation und deren Bewältigung ablenken.<br />

• Die dynamische Breite der Einspielungen wird auf einen möglichst gleich bleibenden<br />

Lautstärkenpegel festgelegt. Auf diese Weise lässt sich die Wiedergabestärke der <strong>Musik</strong> so<br />

exakt dosieren, dass die zwischen 3 dB (am Arbeitsplatz) über dem allgemeinen<br />

Geräuschepegel liegt.<br />

• Die Instrumentation ist derart gewählt, dass Verschmelzungsklänge dominieren. Schrille<br />

Farben und Klangkombinationen werden grundsätzlich gemieden, der Sound wirkt entkernt.<br />

Häufig ist die <strong>Musik</strong> synthetisch erzeugt und <strong>durch</strong> viel Hall eingeebnet. Denn was weich<br />

und nicht zu stark konturiert erklingt, kann auch nicht auf unangenehme Weise akustisch auf- bzw. eindringlich<br />

wirken. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten jedoch nicht genau beweisen, dass es<br />

eine vorauskalkulierbare <strong>Musik</strong> im Sinne eines Medikamentes gibt. Belegt ist jedoch eine dem Hörer<br />

nicht bewusste Beeinflussung <strong>durch</strong> Tempo, Lautstärke, und die Möglichkeit der emotionalen<br />

Beeinflussung <strong>durch</strong> geläufige musikalische Ausdrucksmodelle, wie: Freude, Heiterkeit, Geborgenheit,<br />

u.ä.<br />

MUSIK ALS DROGE<br />

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Ein anderer Missbrauch von <strong>Musik</strong> – sie nicht einfach der Freude wegen und dem Gefallen<br />

an ihr zu hören – der genauso nicht zum inneren Gleichgewicht führen kann, sondern dieses nur vortäuscht,<br />

ist der Gebrauch von <strong>Musik</strong> als Droge.<br />

Dabei erfüllt <strong>Musik</strong> zielverschobene Bedürfnisse, die auch <strong>durch</strong> andere Mittel zu befriedigen sind. Sie<br />

ist also eine Art „Ersatzbefriedigung“.<br />

Die massenhafte „<strong>Musik</strong>sucht“ ist zwar schlecht für die Individuen, aber kaum störend für<br />

Arbeitskraft und Umsatz, sondern sogar rentabel bzw. fördernd und dies nicht nur für die <strong>Musik</strong>wirtschaft<br />

(_ Beeinflussung des Konsumverhaltens in Kaufhäusern).<br />

Dies umso eher, weil <strong>Musik</strong> (im Gegensatz zu Drogen) als harmlos und als Kunst gilt, was ja der eigentliche<br />

Ursprung der Bedeutung von <strong>Musik</strong> ist.<br />

Überdies ist <strong>Musik</strong> als Genuss- und Rauschmittel das bei weitem Billigste!<br />

J edoch ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand <strong>Musik</strong> genießen kann und sich der<br />

<strong>Musik</strong> völlig mit seinen Gedanken hingibt. (gemeint ist suchtbringendes Genussmittel)<br />

MUSIK ALS MITTEL ZUR SOZIALEN UNTERSCHEIDUNG<br />

Auch bekommt <strong>Musik</strong> die Funktion der Unterscheidung von sozialen Schichten. Geht es bei<br />

„ niederer“ <strong>Musik</strong> oder in den Bereichen des Warenerwerbs von allem hoch her (wenigstens verspricht<br />

das <strong>Musik</strong>), so bei der „seriösen“ oder in staatlichen und offiziellen Zusammenhängen erklingenden ,<br />

vor allem erhabenen und hoheitlich. Und dem „besinnungslosen“ Vergnügen der „Massen“ kontrastiert<br />

das Besinnliche bis Betuliche, gegebenenfalls Feierliche „gehobener“ Schichten.<br />

So ist auch dieser Aspekt der <strong>Musik</strong> ein Missbrauch, da es hier genauso nie zur <strong>Harmonie</strong><br />

und Ausgeglichenheit (zwischen sozialen Schichten) führen kann, ja <strong>Musik</strong> in diesem Fall sogar dafür<br />

genutzt wird, um soziale Ausgeglichenheit zu verhindern und die Ungleichheit in sozialen Strukturen zu<br />

unterstreichen (man brauche nur an die pervers hohen Eintrittspreise bei „gehobenen“ Konzerten, wie<br />

z.B. das Neujahrskonzert zu denken). Wo heute die Stellung der <strong>Musik</strong> quantitativ am mächtigsten ist<br />

und wo sie am meisten realisiert wird, ist sie in der Regel meistens auf Seiten der Macht, Herrlichkeit,<br />

Herrschaft, Profit und Selbstbeherrschung. Die Bedeutung der <strong>Musik</strong> für den Mensch ist damit von ihrer<br />

eigentlich entwichen und aus dem Gleichgewicht.<br />

A LT E R N ATIVEN UND KLANGÖKOLOGIE<br />

Ganz ohnmächtig sind aber die Alternativen doch nicht: gegen die unterdrückende, betäubende,<br />

blinde (Selbst-) Berieselung eine bewusste und wache Tätigkeit des Hörens.<br />

Seit den 60ziger Jahren beschäftigte sich der kanadische Komponist R. Murray Schäfer damit, die<br />

„Klangschaft (Soundscape)“, in der wir leben, präzise zu bestimmen.<br />

Unter „Klangschaft“ versteht man das Zusammenwirken aller akustischen Erscheinungen:<br />

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• Naturgeräusche<br />

• Sprache<br />

• Arbeits- und Maschinenlärm<br />

• <strong>Musik</strong><br />

A u f g rund der industriellen bzw. elektroakustischen Revolution ist die „Low-Noise-<br />

Klangschaft“ zu einer unpersönlichen, kommunikationsarmen „High-Noise-Klangschaft“ verkommen, ein<br />

Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Zusammenhänge.<br />

Darauf wurde der Begriff „Akustik- und Umweltdesign“ geprägt; zur bewussten Veränderung und<br />

Gestaltung unserer Klangschaften, zu neuen kommunikationsfre u n d l i c h e ren und lebensnähere n<br />

Klangräumen <strong>durch</strong>:<br />

• Bewusstmachen der verschiedenen Umweltklänge<br />

• Kritisches Reagieren auf „Klänge von Unten“<br />

• unser ökologisches Bewusstsein, das nicht vor dem alltäglichen Umgang mit Naturklängen<br />

Haltmachen darf (Vogelgezwitscher am Morgen).<br />

Dabei handelt es sich eigentlich um eine Regression, um ein Zurückfinden des menschlichen<br />

Hörverständnisses, das aus dem Gleichgewicht geraten ist. Kann man das menschliche Bewusstsein für<br />

die wunderbaren Naturklänge wieder entdecken und Freude daran empfinden, so ist man auf dem<br />

besten Weg, das Erleben von <strong>Musik</strong> ohne irgendwelchen Bedingungen wiederzuerlangen. Um so<br />

Ausgeglichenheit <strong>durch</strong> Klänge und <strong>Musik</strong> zu erreichen, ohne jeglichen Missbrauch und<br />

Dauerberieselung.<br />

MUSIK IN DER ENTWICKLUNG VON BABYS UND KINDERN<br />

Denn wie wichtig Naturklänge für den Menschen sind, zeigt schon das Hören vor der Geburt. Das<br />

Kind hört vor der Geburt die mütterliche Stimme, wobei die Intonation, die melodische Wirkung des<br />

Gesprochenen deutlich im Uterus wahrzunehmen ist.<br />

Neugeborene können die Mutterstimme von anderen unterscheiden und bevorzugen diese.<br />

Sie stützen sich also beim Erkennen der Mutter von anderen Frauen auf ihr Hörorgan, das sie selbst in<br />

ihrem jungen Alter nie täuscht. Die Mutterstimme ist ihnen von der Schwangerschaft vertraut und hat eine<br />

beruhigende, entspannende Wirkung auf das Kind. Auch der mütterliche Herzschlag hat eine besondere<br />

Bedeutung in Bezug auf spätere musikalische rhythmische Präferenzen. Auch der Schritt der Mutter<br />

wird vom Fötus aufgenommen und ist unterstützend bei der Erfahrung von vielfältigen Rhythmen.<br />

Neugeborene und Säuglinge sind enorm sensitiv gegenüber Sprachlauten, musikalischen Strukturen und<br />

Naturgeräuschen (bzw.– klängen) Es ist unwahrscheinlich, dass diese auditiven Fähigkeiten angeboren<br />

sind, vielmehr scheint die pränatale Hörerfahrung eine wichtige Rolle zu spielen. Die Geburt ist nicht<br />

der Beginn der musikalischen und sprachlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen, sondern dies<br />

geschieht bereits im Mutterleib.<br />

Ursprünglich sind also Naturgeräusche, -und klänge für uns sehr beruhigend und entspannend und<br />

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geben uns Geborgenheit. Deshalb sollten wir uns wieder darauf besinnen, um die eigentliche Schönheit<br />

von Naturklängen, so wie auch Sprache und Herzschlag erleben zu können. Denn das sensible<br />

Hörorgan, das uns bereits so früh gegeben ist, wird leider heutzutage oft sehr misshandelt (laute<br />

Discos,...) und abgestumpft in der Wahrnehmung aufgrund der Dauerberieselung.<br />

Mit 4 Jahren können Kinder die emotional unterschiedlichen Reaktionen (traurig- lustig)<br />

bereits wahrnehmen, das Gefühl für Tonalität und <strong>Harmonie</strong>, also für Dur und Moll entwickelt sich im<br />

Alter zwischen 5 und 8 Jahren.<br />

MUSIK IN DER KLINISCHEN MEDIZIN<br />

Die regelmäßige Beschallung eines Kindes im Brutkasten mit der Stimme von Mutter und<br />

Vater beeinflusst die Entwicklung sehr positiv. Genauso in der klinischen Medizin wird <strong>Musik</strong> als<br />

Therapeutikum eingesetzt. Sehr hilfreich ist dabei der Einsatz von angst, -stress, .und schmerzlindernder<br />

<strong>Musik</strong> bei Chiru rgie, Zahnmedizin, Anästhesiologie (einschließlich Intensivmedizin), in der<br />

Schmerztherapie, Nervenheilkunde und der Psychiatrie, Altersheilkunde und Geriatrie, Rehabilitation<br />

körperlicher und geistig Behinderter sowie in der Drogenbehandlung.<br />

Bereits im 16.Jh. wurden (unter Descartes) Krankheiten als physiologische Störungen des<br />

menschlichen Gleichgewichts angesehen, das <strong>durch</strong> die Medikamente bzw. <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong> wiederhergestellt<br />

werden musste. Das Funktionieren des menschlichen Körpers wurde in ähnlicher Weise als<br />

„Harmonisches Ganzes“ interpretiert wie die <strong>Musik</strong>.<br />

M U S I K T H E R A P I E<br />

Bereits in der klassischen Antike schrieb man der <strong>Musik</strong> eine erzieherische Macht zu, die<br />

formend in das Innere der Seele eindringt und deshalb bei den Pythagoreern nützlich für die Bildung<br />

der Persönlichkeit gesehen wurde. Aristoteles prägte den Begriff Katharsis: „<strong>Musik</strong> reinigt die Seele und<br />

hat da<strong>durch</strong> eine heilende Wirkung in der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichtes.<br />

Bis zur Gegenwart entwickelte sich die <strong>Musik</strong>therapie, die sich aus der:<br />

• Rezeptiven <strong>Musik</strong>therapie (Hören von <strong>Musik</strong>)<br />

und der<br />

• Aktiven <strong>Musik</strong>therapie (aktives <strong>Musik</strong>machen, Tanzen, mit Zeichnen, Malen,...)<br />

zusammensetzt.<br />

Sie wird einerseits zur Bewahrung der Gesundheit und andererseits zur Behandlung von Krankheiten im<br />

Bereich von psychischen Störungen und in der klinischen Medizin eingesetzt. (zur Senkung von<br />

Arzneimittel und Psychopharmika) Bereits seit einigen Jahren wird in amerikanischen Kliniken <strong>Musik</strong> bei<br />

Sterbenden eingesetzt: Das <strong>Musik</strong>hören beruhigt und schafft ein Gefühl von Geborgenheit. Jedoch wird<br />

üblicherweise die Aktive <strong>Musik</strong>therapie bevorzugt, da <strong>Musik</strong> nicht sosehr da<strong>durch</strong> wirkt, indem die einfach<br />

vorhanden ist, sondern da<strong>durch</strong>, dass ein Klient die <strong>Musik</strong>therapie aufsucht, ihr zuhört oder selbst<br />

aktiv <strong>Musik</strong> improvisiert. Denn das wichtigste Merkmal der <strong>Musik</strong>therapie ist die nonverbale<br />

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Kommunikation: die musikalische Ebene der Kommunikation bietet die Möglichkeit des symbolischen<br />

Ausdrucks von Gefühlen wie Nähe, Kontakt oder Berührung, <strong>durch</strong> musikalische Improvisation.<br />

<strong>Musik</strong> ermöglicht den transverbalen Ausdruck von Aussagen, die nicht durc h<br />

Intellektualisierung in der Sprache verzerrt sind.<br />

DER EMOTIONALE ASPEKT VON MUSIK<br />

Der emotionale Aspekt von <strong>Musik</strong> als „Sprache der Gefühle“ zeigt sich in den verschiedenen<br />

Kulturen und Epochen, wobei die Vielfalt verschiedenen Ausdrucksmodellen zugrunde liegt. Die<br />

zwei häufigsten Emotionen sind Freude und Trauer. <strong>Musik</strong>alisch entsprechen dem Freudetyp meist<br />

schnelle („Presto“), laute, helle, strahlende, heitere Stücke, dem Trauertyp langsame („Adagio“) Stücke,<br />

die leise, dunkel verschmelzend wirken.<br />

Das Machtgefühl wird in der <strong>Musik</strong> <strong>durch</strong> gemessenes Tempo, lauter, voluminöser und massiver<br />

Lautstärke zum Ausdruck gebracht und Zärtlichkeit in gemäßigtem Tempo, leiser, hell <strong>durch</strong> hörbarer<br />

Lautstärke und einfachen <strong>Harmonie</strong>n.<br />

Als bedeutendes musikalisches Ausdrucksmittel von Emotionen und Gefühlen gilt wohl die<br />

menschliche Stimme. Schon die enge Wortverwandtschaft von „Stimme“ mit „Stimmung“ zeigt, dass<br />

dabei ein enger Zusammenhang und Verbindung besteht. Nicht umsonst ist bestätigt, dass die Stimme<br />

des Menschen voll und ganz von der „Stimmung“, der situativen Gefühle abhängt. (Schock- Kloß im<br />

Hals, Trauer - leise Stimme, Freude - kräftige, klangvolle Stimme). Ist der Mensch innerlich ausgeglichen<br />

und somit im harmonischen Gleichgewicht mit sich selbst, spiegelt dies auch die Stimme wider und der<br />

natürliche Ausdruck für seine Ausgeglichenheit ist das Singen oder produktives Musizieren. Denn der<br />

Mensch, wenn es im gut geht und er Freude zum Ausdruck bringen will, singt oder musiziert er. Wer<br />

mit sich, also mit Seele, Körper und Geist im Einklang ist und ein ausgeglichenes Verhältnis zu anderen<br />

Mitmenschen führen kann, der hört <strong>Musik</strong> nicht zur Berieselung oder zum Zeitvertreib ihrer selbst willen.<br />

MUSIK UND PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG<br />

Eine freie Befragung bei Studierenden der Fachrichtung <strong>Musik</strong> an der Gesamthochschule<br />

Kassel im Sommer 1990 über Rock und Pop als Sozialisationsfaktor ergab ein Bündel von<br />

Begründungen dafür, dass jene <strong>Musik</strong>, die gerade im Jugendalter nahezu täglich gehört wird, für die<br />

eigene Persönlichkeitsentwicklung und vor allem auch das eigene Handeln von nachhaltiger Bedeutung<br />

ist (<strong>Musik</strong>alische Sozialisation). Von den Befragten wurde mehrheitlich geäußert:<br />

• Ich bin mit dieser <strong>Musik</strong> groß geworden, sie ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken;<br />

• sie verkörpert für mich Ausdruck von Lebensgefühlen;<br />

• sie ist Motor für außermusikalisches Handeln/ sie war für mich Anreiz zu eigenem musikalischen<br />

Handlung<br />

• sie hat mein Aussehen (Haare, Kleidung) beeinflusst;<br />

• sie war für mich Hilfe bei der Auseinandersetzung mit meiner Umwelt (Protest, Provokation,<br />

Widerstand, Antihaltung);<br />

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BE - ARBEIT zum T hema H A R M O N I E • 20 02<br />

• sie gab und gibt mir die Möglichkeit, Verbotenes zu leben;<br />

• mit ihr kann ich mir eigene Freiräume schaffen;<br />

• sie hat mir zu Körpergefühl (Tanz) und Körperausdruck verholfen;<br />

• sie dient der Entspannung;<br />

• eine Droge im positiven Sinn, ein Heilmittel.<br />

Bei der Mehrzahl der Stellungnahmen fällt auf, dass der <strong>Musik</strong> eine Sozialisationsfunktion<br />

im Zusammenspiel mit anderen Bereichen des Lebens (K1eidung, Lebensgefühl, Tanz, Protest) zugestanden<br />

wird.<br />

Rock/ Popmusik bildet, wie die Untersuchung weiter belegt, eine wesentliche Komponente<br />

bei der Persönlichkeitsentwicklung: 23 Personen bestätigten die indirekte oder auch dire k t e<br />

Beeinflussung <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong> (zumeist Rock und Pop), 25 die große Rolle, die <strong>Musik</strong> bei der Regulierung<br />

ihres „Gefühlshaushalts“ spielt.<br />

Insgesamt sind es 90 Prozent, für die der Einfluss von <strong>Musik</strong>rezeption auf ihre persönliche,<br />

insbesondere emotionale Entwicklung außer Frage steht.<br />

2. EMOTIONSBEGRIFF<br />

Gefühlsregungen lassen deutlich eine zeitliche Dynamik erkennen. Es handelt sich um akute<br />

oder aktuelle Zustände, um «flüchtige Episoden» -Charakter» aufweisen.. Die Gefühle beziehen sich<br />

immer auf Dinge oder Ereignisse. Stimmungen dagegen sind umfassende :use, ungegliederte<br />

Gesamtbefindlichkeiten des Menschen. Sie e Art Dauertönung eines Erlebnisfeldes dar. Sie sind ungeglie-<br />

Hintergrund des Erlebens und beziehen sich nicht auf bestimmte Dinge und Ereignisse; als<br />

Ergebnisse eines Zumuteseins geben Bezugsrahmen für andere Erlebnisse ab.<br />

Beziehung zwischen <strong>Musik</strong>wahrnehmung und Emotionen<br />

schließlich «


BE - ARBEIT zum Thema H A R M O N I E • 2002<br />

• Gänsehaut, Herzjagen!<br />

• Gähnen und Gefühle in der Magengrube.<br />

Bei einer Analyse der musikalischen Passagen, die derartige Reaktionen hervorrufen, zeigte sich, dass<br />

Tränen vor allem bei Passagen auftraten, die Sequenzen und Appogiaturen enthielten, Schauer hingegen<br />

bei Passagen mit neuen oder unerwarteten <strong>Harmonie</strong>n. Offenbar spielen dabei unmittelbare<br />

Erwartungen hinsichtlich der nächsten Tonsequenzen eine Rolle.<br />

Von Daniel (1988) wurde der Einfluss des Informationsgehaltes von <strong>Musik</strong>stücken sowie der<br />

Länge der Zuhörzeit auf das musikalische Stimmungserleben untersucht. Den 118 vorwiegend studentischen<br />

Versuchspersonen wurden sechs <strong>Musik</strong>stücke mit drei Stilrichtungen von Jazz dargeboten.<br />

Es zeigte sich, dass schnelle <strong>Musik</strong> zur Aktivierung führte und unangenehmer, aber auch eindrucksvoller<br />

wirkte als langsame <strong>Musik</strong>, die als angenehmer, beruhigender, aber auch depressiver und ermüdender<br />

empfunden wurde. Die Länge der Zuhörzeit korrelierte positiv mit einer entspannteren<br />

Wahrnehmung der <strong>Musik</strong>. Die relativ informationsärmsten Stücke gefielen am besten, während die<br />

informationsreicheren nicht eindeutig beurteilt werden konnten.<br />

Steht im ersten Fall das stimmungshafte Aufgehen in der <strong>Musik</strong> mit weitgehender<br />

Ausschaltung rationalen Denkens im Vordergrund, dominiert im zweiten Fall das rationale Element: Der<br />

Hörer befindet sich in einer gewissen Distanz zur <strong>Musik</strong>, das Aufkommen von Emotionen ist unerwünscht.<br />

Die klassische Zugangsweise zur <strong>Musik</strong> ist nach Besseler,1925 aufgeschlossene Hingabe<br />

an das Werk. Es wird nicht als Ausdruck im Sinne des Ausgehens von einem bestimmten Schöpfer und<br />

aus bestimmtem Anlass erlebt, «sondern als lebendige Wirkung, als <strong>Musik</strong>, die <br />

und das Dasein des Hörers unmittelbar angeht.» Die wesentliche musikalische Leistung des Hörers liegt<br />

im inneren Nachvollziehen. Pekrun,1985) weist darauf hin, dass emotionale Zustände einerseits die<br />

Wahrnehmungen von <strong>Musik</strong> beeinflussen, andererseits die emotionalen Aspekte von <strong>Musik</strong> bestimmen<br />

können. So kann die vorherrschende Stimmungslage <strong>durch</strong> <strong>Musik</strong>wahrnehmung verstärkt oder<br />

geschwächt werden (Kongruenz bzw. Kontrastprinzip). Das «Iso»- sagt, «dass therapeutisch genutzte<br />

<strong>Musik</strong> zunächst im Sinneiner Aufmerksamkeitszentrierung der Stimmung der Patienten len ist und<br />

anschließend mit dem Ziel der Stimmungsmodifikation ähnlich in die jeweils erwünschte Richtung verändert<br />

werden kann, :1985, S. :186). Schließlich können emotionelle Zustände ivationsbüdung und<br />

resultierendes Verhalten auch die Hörweise beeinflussen (wenn jemand z. B. sich die <strong>Musik</strong> anhört, die<br />

ihm zu seiner Stimmung zu passen scheint).<br />

leben von <strong>Musik</strong> wird in der Regel vermehrtes Denken emotionale Regungen unterdrücken,<br />

und umgekehrt wird emotionales Mit- , und Betroffensein die Bereitschaft zum vollen Wahrnehmen n.<br />

Werden ästhetische und assoziative Hörweisen einbezogen, Gefühlen und Denken sich ergänzen, d.<br />

h. zu komplementären erden. Die bewusste kognitive Kontrolle und Unterdrückung der Vorgänge beim<br />

<strong>Musik</strong>hören zeigt ein Janusgesicht. Sie wird wahrscheinlich ein klareres, schärferes rationales<br />

Durchdringen der e genauere Analyse der <strong>Musik</strong> erlauben; gleichzeitig aber wird , Schwinden des<br />

«Figur-Charakters» eines Gefühls ein wesentlich situitiver Teil der <strong>Musik</strong> verloren gehen.<br />

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5. MUSIKPHYSIOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN<br />

Physiologischen Untersuchungen zeigte sich immer wieder, Ausmaß der während des<br />

<strong>Musik</strong>hörens auftretenden vegetativen ngen weitgehend von der aktuellen Einstellung des Hörers botenen<br />

<strong>Musik</strong>stück abhängt. Die stärksten vegetativen bzw. ~n Veränderungen fanden wir bei völliger<br />

Hingabe an die <strong>Musik</strong> man sich ihr sozusagen mit «Herz und Seele» ausliefert. Bei rein rationalem<br />

Zuhören oder Analysieren des Dargebotenen hingegen, bei lediglich verstandesmäßiger, kritischer<br />

Einstellung sind vegetative Veränderungen nur in geringerem Maße nachweisbar oder fehlen ganz<br />

(Harrer,1982). Dieses Ergebnis erscheint keineswegs überraschend. Es entspricht der Alltagserfahrung,<br />

dass Ereignisse und Vorgänge, die üblicherweise zur Auslösung von Emotionen führen, ihre emotionsauslösende<br />

Wirkung verlieren, wenn sie einer rationalen Betrachtungsweise unterzogen werden.<br />

MUSIK UND VERÄNDERTE BEWUSSTSEINSZUSTÄNDE<br />

1. Ethnologische und kulturhistorische Definitionen<br />

Veränderte Bewusstseinszustände „altered states of consciousness; ASC“) sind (nach Bourguignon,<br />

1977) <strong>durch</strong>aus allgemein-menschliche Phänomene, die summarisch mit Trance bezeichnet werden. Sie<br />

sind beobachtbare Abweichungen der Erfahrungen und psychischer Funktionen des Individuums von<br />

den Normen eines wachen Bewusstseins, wobei sich die Aufmerksamkeit auf kleine geschlossene<br />

Ausschnitte der Umwelt verengt. Sie folgen vielfach stilisierten und ritualisierten kulturellen Mustern.<br />

Bourguignon unterscheidet zwischen (a) in der Religion institutionalisierter, (b) spontaner (evtl. pathologischer)<br />

und (c) säkular induzierter Trance; ferner zwischen Besessenheit „possession trance“) und<br />

Ekstase.<br />

Quellenverzeichnis:<br />

Brockhaus,<br />

Bertelsmann Enzyklopädie<br />

Herkunftswörterbuch<br />

Sinn -und Sachverwandtes Wörterbuch<br />

Bedeutungslexikon<br />

Lexikon für Redewendungen<br />

Das große <strong>Musik</strong>lexikon<br />

<strong>Musik</strong>psychologie – Ein Handbuch (Bruhn, Oerter, Rösing)<br />

Angewandte Psychologie – Kapitel <strong>Musik</strong>psychologie<br />

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