24PETRA _ <strong>Auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Weg</strong> <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> <strong>Kartographie</strong> <strong>der</strong> Literaturüberset<strong>zu</strong>ng in EuropaÜberset<strong>zu</strong>ng und Markt(betrachtet aus <strong>der</strong>öffentlichen Perspektive)Wer feststellt, dass literarische Überset<strong>zu</strong>ngen innerhalb und außerhalb Europas ein unentbehrlichesInstrument <strong>der</strong> Kulturvermittlung sind, rennt die offene Tür <strong>zu</strong> diesem Konferenzsaal mitWucht ein. Aber gerade in Zeiten, in denen das Messer vielerorts in Europa gnadenlos bei denKünsten angesetzt wird und vage Emotionen über politisch-kulturelle Argumente siegen, in Zeiten,in denen die öffentliche Debatte verarmt und unangemessen verallgem<strong>einer</strong>t wird, in denendie Kenntnisse und das Interesse am Rest <strong>der</strong> Welt <strong>zu</strong>rückgehen und Handelsinteressen schamlosüber interkulturelle Rücksicht gestellt werden, gerade in solchen Zeiten nimmt die Bedeutungvon ÜbersetzerInnen und KulturvermittlerInnen <strong>zu</strong>. Sie sind es, die es den Kulturen ermöglichen,sprachliche und kulturelle Grenzen <strong>zu</strong> überwinden und ein Gegengewicht <strong>zu</strong> einem Klima <strong>zu</strong> bilden,das gute Argumente und jegliche Kreativität im Keim erstickt. Da<strong>zu</strong> kommt, dass kulturellerAustausch auch wirtschaftlich profitabel sein kann und als Motor <strong>der</strong> europäischen Integrationdient, die ja ebenfalls immer weiter <strong>zu</strong> bröckeln scheint.Die ersten Akteure auf <strong>dem</strong> Feld <strong>der</strong> literarischen Vermittlung sind natürlich die Verleger:sie bestimmen an erster Stelle, welche Literatur in Überset<strong>zu</strong>ng auf den Markt kommt undsie wählen die Übersetzer aus. Bei ihren Entscheidungen lassen sie sich idealerweise vomGegenseitigkeitsprinzip leiten, <strong>der</strong> für den interkulturellen literarischen Dialog grundlegendist: wer möchte, dass seine eigenen Bücher von Kollegen im Ausland herausgegeben werden,muss auch bereit sein, Bücher dieser Kollegen in Überset<strong>zu</strong>ng heraus<strong>zu</strong>geben. Aberobwohl je<strong>der</strong> Verlag, <strong>der</strong> etwas auf sich hält, die Bedeutung kultureller Vermittlung unterschreibenund sich dafür möglichst stark einsetzen wird, muss natürlich auch Gewinn erzieltwerden. Und Gewinn macht man nun mal eher mit <strong>der</strong> Überset<strong>zu</strong>ng von internationalenBestsellern als mit literarischen Perlen, die nur ein kleines, ausgewähltes Publikum erfreuen.Daher lässt sich international eine <strong>zu</strong>nehmende Bestsellerkultur feststellen. Es werden möglichstviele international gut laufende Überset<strong>zu</strong>ngen veröffentlicht – häufig aus <strong>dem</strong> Englischen– die <strong>zu</strong><strong>dem</strong> möglichst schnell in den Buchläden liegen müssen um optimal von <strong>der</strong>Werbung profitieren <strong>zu</strong> können.Obwohl es in <strong>der</strong> Verlagswelt immer gute Gewohnheit war, die erwähnten literarischen Perlenfür ein kleines Publikum über den Ertrag aus Bestsellern <strong>zu</strong> finanzieren – womit übrigens nichtgesagt sein soll, dass Bestseller nicht auch <strong>zu</strong> den literarischen Perlen gehören können – lässtsich international ein Rückgang <strong>der</strong> Zahl publizierter Titel mit einem hohen literarischen Gehaltfeststellen. Natürlich herrscht in vielen Län<strong>der</strong>n schon seit Langem eine Überproduktion undgrundsätzlich ist es nicht so schlimm, dass die aktuelle ökonomische Krise in diesem Punkt Einhaltgebietet, aber es ist schade, dass gerade hochwertige Literatur, beson<strong>der</strong>s, wenn sie nichtenglischsprachig ist, dabei auf <strong>der</strong> Strecke bleibt. Das hat Folgen für die Vielfalt des literarischenAngebots – und damit auch für den interkulturellen Dialog.Zu<strong>dem</strong> hat die <strong>zu</strong>nehmende Bestsellerkultur einschneidende Folgen für Literaturübersetzer:<strong>einer</strong>seits sind sie gezwungen ihre Überset<strong>zu</strong>ngen in immer kürzerer Zeit an<strong>zu</strong>fertigen um ihrenVerlagen den optimalen Profit <strong>der</strong> Werbung für einen Bestseller <strong>zu</strong> ermöglichen, an<strong>der</strong>erseits
Peter Bergsma _ Überset<strong>zu</strong>ng und Markt (betrachtet aus <strong>der</strong> öffentlichen Perspektive)25sehen sie sich mit <strong>einer</strong> Verarmung des literarischen Angebots konfrontiert, beson<strong>der</strong>s, wenn sienicht aus <strong>dem</strong> Englischen übersetzen. Aber gleichzeitig droht, so paradox es auch klingen mag,ein internationaler Übersetzermangel infolge <strong>der</strong> Vergreisung dieser Berufsgruppe.Zusammengefasst steht <strong>der</strong> internationale Überset<strong>zu</strong>ngsmarkt also vor folgenden Problemen:––Eine Verarmung des literarischen Angebots infolge <strong>der</strong> Bestsellerkultur––Zunehmen<strong>der</strong> Arbeitsdruck für LiteraturübersetzerInnen, beson<strong>der</strong>s aus <strong>dem</strong> Englischen,kombiniert mit <strong>einer</strong> völlig un<strong>zu</strong>reichenden Stellung und Bezahlung––Ein drohen<strong>der</strong> Mangel an LiteraturübersetzerInnen in naher ZukunftEs folgen einige Empfehlungen, teilweise mit Beispielen <strong>zu</strong> Best Practices aus <strong>dem</strong> Verlagsbereich,die einen Beitrag <strong>zu</strong>m Erhalt und <strong>zu</strong> noch größerer Blüte <strong>der</strong> europäischenÜberset<strong>zu</strong>ngskultur liefern können, wenn sie regional, national und europäisch realisiertbeziehungsweise ausgeweitet und intensiviert werden.För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> VielfaltNatürlich sind an erster Stelle die Verlage selbst aufgerufen <strong>der</strong> Verarmung literarischer Vielfaltentgegen<strong>zu</strong>steuern. Aber lei<strong>der</strong> sind vor allem die großen internationalen Verlage, die ausgrenzübergreifenden Fusionen entstanden sind, im Bereich <strong>der</strong> Literatur schon lange keineTrendsetter mehr, son<strong>der</strong>n sie folgen auf Anweisung ihrer financial controllers viel stärker <strong>dem</strong>Markt. Und dieser Markt, o<strong>der</strong> das Publikum, interessiert sich immer stärker für die angelsächsischeKultur und damit Literatur. Dieser Trend ist seit den siebziger Jahren des letztenJahrhun<strong>der</strong>ts <strong>zu</strong> beobachten. Darum ist es ein glücklicher Umstand, dass es in vielen Län<strong>der</strong>nLiteraturfonds gibt, die den Verlagen – und damit auch den Übersetzern – bei ihrem kulturellen<strong>Auf</strong>trag behilflich sind. Die meisten dieser Stiftungen beschäftigen sich bisher jedochhauptsächlich mit <strong>dem</strong> Export ihrer eigenen Literatur, in<strong>dem</strong> sie ausländischen Verlagen Überset<strong>zu</strong>ngs<strong>zu</strong>schüssegewähren. Zu<strong>dem</strong> vergibt ein Fonds <strong>der</strong> Europäischen Kommission Überset<strong>zu</strong>ngs<strong>zu</strong>schüssean Verlage. So sinnvoll diese Zuschüsse auch sind, sie folgen streng <strong>dem</strong>Markt, denn sie schließen sich <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Verlage an, die, wie oben festgestellt, selbst ehermarktkonform handeln statt eine Vorreiterrolle <strong>zu</strong> übernehmen. Aus diesem Grund liegen inden europäischen Buchhandlungen immer häufiger dieselben übersetzten Titel, wie auch inden Einkaufsstraßen immer häufiger Filialen <strong>der</strong>selben Kette eröffnen. Der Ne<strong>der</strong>lands Letterenfondshat 2010 die Initiative ergriffen und die Website Schwob eingerichtet, um diesenKreislauf <strong>zu</strong> durchbrechen. Die Website www.schwob.nl , benannt nach <strong>dem</strong> französischenSchriftsteller, Essayisten und Übersetzer Marcel Schwob,. stellt bedeutende Literatur aus allerHerren Län<strong>der</strong> vor, die noch nicht in nie<strong>der</strong>ländischer Überset<strong>zu</strong>ng vorliegt. Dabei kann es sichum vergessene Klassiker handeln o<strong>der</strong> um unentdeckte zeitgenössische Autoren. Übersetzer,ausländische Verlage, Literaturwissenschaftler, Leser und Kritiker stellen in Essays, Interviewso<strong>der</strong> Buchbesprechungen sowie durch Überset<strong>zu</strong>ng von Fragmenten jeden Monat einen Titelausführlich ins Rampenlicht. Da<strong>zu</strong> kommen Informationen <strong>zu</strong> <strong>Auf</strong>lagezahlen, Preisen, ausländischenZuschussmöglichkeiten und <strong>zu</strong> den Lizenzen. Nie<strong>der</strong>ländische Verlage können sich anden Letterenfonds wenden und einen Zuschuss von bis <strong>zu</strong> siebzig Prozent <strong>der</strong> gesamten Veröffentlichungskostenbeantragen, um das finanzielle Risiko <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>einer</strong> neuenliterarischen Überset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> verringern. Diese Initiative will ausdrücklich keinen Schutzraumfür ungeliebte Bücher schaffen, son<strong>der</strong>n hochwertiger Literatur eine realistische kommerzielleChance bieten. Ebenso wenig soll so das Vorgehen von Literaturverlagen gesteuert o<strong>der</strong>gar diktiert werden, es geht ausschließlich darum, den literarischen Horizont <strong>zu</strong> erweitern.Zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> literarischen Vielfalt verdient diese Initiative Nachfolger, sowohl auf nationalerals auch auf europäischer Ebene.