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Auf dem Weg zu einer Kartographie der Literaturübersetzung ... - Petra

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Martin de Haan _ Die (Un-) Sichtbarkeit des Übersetzers21Noch aufschlussreicher sind Kontexte, in denen das Buch und sein Originalautor besprocheno<strong>der</strong> genannt werden, ohne dass ein Zitat daraus erfolgt. In diesen Zusammenhängen ist dieNennung des Übersetzers im Allgemeinen keine rechtliche Verpflichtung (obwohl in manchenLän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Titel rechtlich als Teil des Werks betrachtet wird, sodass allein die Nennung desTitels bereits ein Zitat ist), und so ist es tatsächlich gang und gäbe, den Namen nicht <strong>zu</strong> nennen– auch, wenn <strong>der</strong> Kritiker eindeutig die Überset<strong>zu</strong>ng gelesen hat, nicht das Original. Dieseallgemeine Haltung resultiert natürlich aus <strong>der</strong> irrigen Annahme, dass Überset<strong>zu</strong>ngen mit <strong>dem</strong>Ausgangstext identisch sein sollten (und könnten) – während paradoxerweise in vielen europäischenSprachen die subjektive, einmalige Wie<strong>der</strong>gabe eines Musikstücks mit Worten aus <strong>dem</strong>semantischen Feld <strong>der</strong> Überset<strong>zu</strong>ng beschrieben werden, wie Interpretation o<strong>der</strong> Ausdruck.Im gedruckten Buch wird <strong>der</strong> Name des Übersetzers in <strong>der</strong> Regel genannt: manchmal nur imImpressum (3 von 24 Antworten), meistens aber in <strong>der</strong> Titelei (22 von 24). Aber nur in drei Län<strong>der</strong>nsteht <strong>der</strong> Name regelmäßig vorne auf <strong>dem</strong> Einband, in nur vier Län<strong>der</strong>n hinten. Neben <strong>der</strong>fehlenden Nennung in Kritiken und Besprechungen von übersetzten Büchern zeigt dies deutlich,dass die Urheberschaft <strong>der</strong> Literaturübersetzer noch immer nicht ernst genommen wird – imGegensatz <strong>zu</strong> vergleichbaren Situationen doppelter Autorenschaft, wie bei Musik- o<strong>der</strong> Theateraufführungen(wo außer Zweifel steht, dass <strong>der</strong> Ausführende <strong>der</strong> „zweite Autor“ des Werks ist).Es gibt allerdings Anzeichen für ein Umdenken, denn in fünf von vierundzwanzig Län<strong>der</strong>n findetman den Übersetzernamen immer häufiger auf <strong>dem</strong> Buchumschlag.Kulturelle SichtbarkeitDie Übersetzernennung ist nur die Spitze des Eisbergs und vielleicht ein erstes Anzeichen für dieGesundung des Systems. Dieses Zeichen kann aber auch in die Irre führen: in manchen arabischenLän<strong>der</strong>n erscheint <strong>der</strong> Name des Übersetzers beispielsweise immer vorne auf <strong>dem</strong> Buch,während die Übersetzerhonorare so niedrig sind, dass kein Übersetzer von s<strong>einer</strong> Arbeit lebenund dennoch gute Qualität liefern kann. Allgemein lässt sich aber vermuten, dass <strong>der</strong> Übersetzernameauf <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>seite des Buchs <strong>dem</strong> Leser vergegenwärtigt, dass das Buch durch Geistund Körper eines zweiten Autors gegangen ist und ihn vielleicht da<strong>zu</strong> anregt sich eine Meinung<strong>zu</strong>r Arbeit dieses zweiten Autors <strong>zu</strong> bilden (auch wenn ihm vermutlich nicht klar ist, wie er denTänzer vom Tanz unterscheiden soll). So könnte in Zukunft <strong>der</strong> Übersetzer ein ausschlaggeben<strong>der</strong>Faktor für die Wahl eines Buches werden – und dafür, wie es gelesen wird.Hier fängt die kulturelle Sichtbarkeit des Übersetzers an. Die Sichtbarkeitsumfrage desCEATL bestätigt, dass die Anwesenheit von Übersetzern bei Pressekonferenzen, Buchpräsentationen,Lesungen, Diskussionen und Gesprächsrunden in den meisten europäischen Län<strong>der</strong>nnicht üblich ist. Dass häufig ein Schauspieler gebeten wird in <strong>einer</strong> öffentlichen Lesung die Überset<strong>zu</strong>ngvor<strong>zu</strong>tragen, während <strong>der</strong> Autor das Original liest, sagt schon alles. Literaturübersetzertauchen kaum im Fernsehen auf um über ihre Arbeit <strong>zu</strong> sprechen und werden von Tageszeitungennur dann interviewt, wenn sie einen wichtigen Preis gewonnen o<strong>der</strong> den ganzen Shakespeareo<strong>der</strong> Proust übersetzt haben. Kurz gesagt, sie sind kulturell noch nicht sichtbar.Warum sollten sie es sein? Nicht nur, weil die Qualität <strong>der</strong> Überset<strong>zu</strong>ng und die geistige undphysische Gesundheit <strong>der</strong> Übersetzer davon erheblich profitieren würden, son<strong>der</strong>n auch, unddas ist noch wichtiger, weil die Unsichtbarkeit <strong>der</strong> Überset<strong>zu</strong>ngen und Übersetzer Teil <strong>einer</strong> großenkulturellen Lüge ist, eines Märchens, das die menschlichen Gesellschaften seit <strong>dem</strong> Turmbau<strong>zu</strong> Babel täuscht. Es ist die Lüge <strong>der</strong> Brücken- und Fährenmetaphern, die <strong>zu</strong>r Charakterisierungdes Übersetzens immer bemüht werden: <strong>der</strong> Übersetzer als Brückenbauer o<strong>der</strong> Fährmann(Über-Setzer), <strong>der</strong> einen immer gleichen Text den Fluss zwischen zwei Kulturen und Sprachenüberqueren lässt. Das ist natürlich beruhigend, denn es würde bedeuten, dass Babel nur oberflächlichenSchaden angerichtet hat, <strong>der</strong> ganz einfach durch die Überset<strong>zu</strong>ng behoben werdenkann. Es bleibt aber eine Lüge. Übersetzer transportieren die Texte nicht von <strong>einer</strong> Sprache ineine an<strong>der</strong>e, sie lesen Texte und versuchen mit den Mitteln ihrer eigenen, subjektiven Sprache

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