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Utopie - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Wintersemester 2012/13 n Heft 17<br />

Zeitschrift der Medien- und Kommunikationswissenschaften<br />

an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-<strong>Wittenberg</strong><br />

Schwerpunkt: <strong>Utopie</strong> | Feature: Tortilla-Chips verbinden Himmel und Erde | Meinung:<br />

Apokalypse … bald!? | Homestory: Im Frühtau der Zukunft | Kulturbeute: Let‘s get dressed for<br />

Outer Space | Gut gerüstet?: Studententypen von morgen | Essay: Zukunft mit ohne Technik?


2<br />

Editorial<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

In <strong>Utopie</strong>n zu denken, ist gar nicht so einfach. Das sieht man schon an den Science-Fiction-Filmen: Märchenanleihen<br />

wohin man schaut, futuristische Kostüme mit aktuellem Chic (S. 19). Wir können eben immer<br />

nur von heute aus denken und auf dem aufbauen, was uns vertraut ist. Das zeigt auch unsere kleine<br />

Umfrage (S. 12). Trotzdem haben wir versucht, den Nebel etwas zu lichten, der die Zukunft verschleiert.<br />

Manches möchte man am liebsten gar nicht so genau wissen: Werden wir wirklich in zehn, zwanzig Jahren<br />

alle mit einem Google- oder Amazon-Chip im Kopf leben (S. 23 und 24)? Möglicherweise behagen<br />

uns auch die Studententypen von morgen nicht so recht (S. 20). Praktisch wäre allerdings zu erfahren, ob<br />

der Weltuntergang am 21. Dezember 2012 nun kommt oder nicht (S. 15). Dann könnte man sich vielleicht<br />

einige Aufreger ersparen, zum Beispiel die Rentendiskussion …<br />

Zukunftsweisend erscheint aber auch manches, das schon da ist: Cultural Hacking (S. 29) und Sexy Anhalt<br />

(S. 33) zum Beispiel. Vielleicht auch der Nebenjob als Fernseh-‚Betroffene‘ für die Verwandlungskünstler<br />

unter den MuK-Studierenden (S. 30). Wie man seriös im Filmbiz Fuß fassen kann, das erzählte uns<br />

MuK-Studentin Kathleen Döbbel (S. 26). Die Aussichten sind nämlich gar nicht so düster, wie unser Cover<br />

vermuten lässt.<br />

Zum Schluss eine Anmerkung in eigener Sache: Unsere langjährige Layouterin Melanie Grießer hat mit<br />

diesem Heft die Stafette an Benjamin Abicht weitergegeben, denn sie beendet ihr Studium. Die bisherige<br />

Redaktionsassistentin Caroline Lange hat es zum Auslandsstudium in nördliche Gefilde gezogen, Anne-<br />

Marie Holze ist ihre Nachfolgerin. Ohne den unermüdlichen Einsatz von Melanie und Caroline wäre das<br />

MuKJournal nicht das geworden, was es ist: allerherzlichsten Dank dafür! Und ein ebenso herzliches<br />

Willkommen an die ‚Neuen‘!<br />

Utopia ist überall, viel Spaß beim Lesen wünscht<br />

Ingrid Brück<br />

Die Redaktion dieses Heftes …<br />

Es wünschen ganz viel Spaß beim Lesen und Gestalten der Zukunft: Sebastian Billhardt, Anja<br />

Fischer, Katja Wernicke, Michelle Sagner, Tina Schwarz, Anne-Marie Holze, Nina Tomaszewski,<br />

Alicia Nicoletti, Anika Garz, Swantje Kasper, Leonie van Dreuten und Luisa Mehl (von<br />

links). Auf dem Foto fehlt Emilia Miguez.<br />

... lässt die Erde hinter sich<br />

und blickt nach vorn<br />

Für dieses Heft hat die Redaktion einmal<br />

geschaut, wo es in den nächsten Jahren<br />

hingehen kann. Wir haben uns ein wenig<br />

treiben lassen. Was passiert wohl mit uns?<br />

Wie würden wir in der Zukunft aussehen?<br />

Wie wird sie überhaupt sein? Sowohl die<br />

nähere, als auch die ganze ferne?<br />

Hier sind weiter gedachte Stereotypen<br />

von Studenten zu finden, sehr persönliche<br />

Einsichten in Lebenssituationen, Karriere-<br />

und Auslandserfahrungen und noch vieles<br />

mehr. Wir laden auf den folgenden Seiten<br />

ein, die Gedanken ein wenig in die Zukunft<br />

schweifen zu lassen, denn in unseren<br />

Händen werden die nächsten Schritte<br />

und Jahre liegen.


Wintersemester 2012/13<br />

Department<br />

Kollektiv d‘Amour - Das „menscheln“ in der DDR | 06<br />

kontrastiv<br />

Uni & Department<br />

Forschung<br />

Mashups. Aus alt mach neu | 08<br />

Publiziert<br />

Kurz gemeldet | 09<br />

Alles muss immer schneller werden. So auch beim<br />

DHL-Luftfrachtdrehkreuz in Leipzig. Es geht aber auch<br />

langsamer, wie auf dem Reiterhof in Dittichenrode am<br />

Südrand des Harzes. Von seinem Leben in zwei Geschwindigkeiten<br />

erzählt Sebastian Billhardt. S. 16<br />

utopisch<br />

Ein Morgen wie jeder andere für die MuK-Studentin<br />

der Zukunft: Die Frühstückskapsel mit viel Kalzium<br />

und Koffein fällt aus dem Automaten, die To-Do-Liste<br />

leuchtet an der Wand und die Scannbrille bringt den<br />

Professor samt Vorlesung ins Haus. Konzentration wird<br />

leider nicht mitgeliefert … S. 18<br />

Studieren & Leben<br />

Interview<br />

MuK-Studentin unterwegs im Filmbusiness | 26<br />

Indoor<br />

Anker FM - Studierende On Air | 28<br />

Cultural Hacking | 29<br />

Outdoor<br />

Alles für das liebe Geld | 30<br />

Weit weg<br />

Von Stereotypen und Bettwanzen | 32<br />

Meinung<br />

Sexy Anhalt | 33<br />

Interview / Impressum<br />

Fortsetzung des Interviews und Impressum | 34<br />

Dates<br />

Termine im Wintersemester 2012/13 | 35<br />

Vom Verhältnis zur Sexualität in der DDR handelt<br />

Uta Kolanos Buch „Kollektiv d’Amour“. Wie die MuK-<br />

Dozentin über die Philosophie und Filmwissenschaft<br />

schließlich als Dokumentarfilmerin und Autorin zu diesem<br />

Thema kam, berichten Anne-Marie Holze und Alicia<br />

Nicoletti. S. 6<br />

Schwerpunkt: <strong>Utopie</strong><br />

Umfrage<br />

12 | In die Zukunft und zurück<br />

Feature<br />

14 | Tortilla-Chips verbinden Himmel und Erde<br />

Meinung<br />

15 | Apokalypse … bald!?<br />

Reportage<br />

16 | Schneller. Oder langsamer.<br />

Homestory<br />

18 | Im Frühtau der Zukunft<br />

Kulturbeute<br />

19 | Let‘s get dressed for Outer Space<br />

Gut gerüstet?<br />

20 | Studententypen von morgen<br />

Kontrovers<br />

22 | Wie durchsichtig möchten wir sein?<br />

Essay<br />

24 | Zukunft mit ohne Technik?<br />

sexy<br />

leidenschaftlich<br />

Wer in L. A. ankommt, hat es geschafft. Über ihre Leidenschaft<br />

zum Filmemachen, ihre Erfahrungen am Set<br />

von „Die Kriegerin“, ihre Arbeit als Casterin an der Westküste<br />

und ihren Traumberuf Regieassistentin sprach die<br />

Magister-Studentin Kathleen Döbbel mit Swantje Kasper.<br />

S. 26<br />

Inhalt<br />

3


4<br />

Update<br />

Zusammengestellt von Emilia Miguez<br />

Hannes-Meyer-Preis 2012<br />

Im Rahmen des Architekturpreises und der Ausstellung zu<br />

Hannes Meyer im Mitteldeutschen Medienzentrum (MMZ)<br />

haben MuK-Studierende des 6. Semesters innerhalb des Praxisseminars<br />

kurze Dokumentarfilme für den Bund Deutscher<br />

Architekten gedreht. Zum zweiten Mal verlieh der Bund den<br />

Hannes-Meyer-Preis an besondere Projekte in Sachsen-Anhalt.<br />

Im Mittelpunkt standen vor allem Arbeiten von hoher gestalterischer<br />

Qualität, die einem bewussten Umgang mit Ressourcen,<br />

Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Relevanz verpflichtet<br />

sind. Neben einem Porträt von Hannes Meyer wurden in den<br />

Filmen die Projekte der Preisträger vorgestellt, unter anderem<br />

die Museumserweiterung in der Moritzburg <strong>Halle</strong> (Saale) durch<br />

das international bekannte Architekturbüro Nieto Sobejano.<br />

Die Filmproduktionen wurden bei der Preisverleihung am 14.<br />

September präsentiert und durch Minister Thomas Webel ausgezeichnet.<br />

Die Filme und Ausstellung sind noch bis zum 29.<br />

Oktober 2012 im MMZ zu sehen.<br />

8 www.bda-sachsen-anhalt.de/architekturpreis.html<br />

Drehmomente Sommer 2012<br />

Das Light Cinema in <strong>Halle</strong>-Neustadt war auch am 28. Juni dieses<br />

Jahres wieder mit Filmfans gefüllt. Rund 200 Zuschauer<br />

kamen, um die neuesten Produktionen der MuK-Studierenden<br />

anzuschauen, unter anderem den zweiten Teil der Soap „WG<br />

geeignet?“. Bis auf die letzte Sekunde war die neue Folge in der<br />

Postproduktion und konnte zum Glück noch rechtzeitig fertiggestellt<br />

werden. Betreut wurden die Projekte von Uta Kolano<br />

und Prof. Dr. Gerhard Lampe.<br />

Auch der Aufwand für die Dokumentarfilme machte sich bezahlt.<br />

„Man muss sich einfach für die Welt interessieren, das<br />

andere ist Handwerk“, merkt Uta<br />

Kolano an. Das spiegelte sich in<br />

den drei Dokumentarfilmen der<br />

ehemaligen Drittsemester wider.<br />

Besonders begeisterte der Abschlussfilm<br />

„Möbel auf der Straße“<br />

der Erasmus-Studentin Rosa<br />

Miraflores aus Spanien. Sie zeigt<br />

in ihrem Film die Angewohnheit<br />

der Deutschen, Sperrmüll auf die<br />

Straße zu stellen und erzählt von<br />

Menschen, die aus diesem Sperrmüll<br />

geeignete Gegenstände mit<br />

nach Hause nehmen. Dieses Phänomen gibt es in Spanien nicht.<br />

Nach der Präsentation leerte sich der Kinosaal rasch, denn für<br />

die meisten hieß es Leinwandwechsel, um das Halbfinale der<br />

EM zu verfolgen.<br />

Kurz gemeldet<br />

Alle Informationen zum Hannes-Meyer-Preis lassen sich auf der<br />

Internetseite des Bundes Deutscher Architekten (BDA) nachlesen<br />

(Screenshot)<br />

Bundesfestival Video ab 2013 in <strong>Halle</strong><br />

Das Bundesfestival Video findet 2013 erstmals in <strong>Halle</strong> statt,<br />

geleitet von Prof. Dr. Gerhard Lampe und Patrick Boose. Auch<br />

nächstes Jahr wird wieder der „Deutsche Jugendvideopreis“<br />

an Nachwuchstalente vergeben. Ältere Medienmacher können<br />

sich um den Preis für das „Video der Generationen“ bemühen.<br />

Gefördert vom Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend gibt es<br />

seit 1988 die Initiative zur<br />

Förderung von Jugendlichen<br />

Filmemachern und seit 1990<br />

auch den Filmwettbewerb<br />

für Senioren, um eine Brücke<br />

zwischen den Generationen<br />

zu schlagen. Alte und junge<br />

Filmemacher sind aufgerufen,<br />

bis zum 15. Januar 2013 ihre<br />

Filme einzusenden.<br />

Die Sonderthemen „Letzte<br />

Reise“ oder „Crash-Kaboom“<br />

bieten genügend Spielraum für Kreativität, aber auch die freie<br />

Themenwahl lässt spannende Produktionen zu. Die Filme werden<br />

von einer Fachjury ausgesucht und während des Festivals<br />

im Juni präsentiert. Neben der Preisverleihung werden den Teilnehmern<br />

auch interessante Workshops angeboten.<br />

8 www.jugendvideopreis.de/ausschreibung/index.htm


UNI &<br />

DEPARTMENT<br />

Department Kollektiv d‘Amour - Das „Menscheln“ in der DDR | Forschung Mashups.<br />

Aus alt mach neu | Publiziert Neue Publikationen aus dem Department<br />

5


6<br />

Department<br />

Kollektiv d’Amour –<br />

Das „Menscheln“ in der DDR<br />

In Ostdeutschland gab es etwas, das die Menschen verband. Ein Gefühl. Das Zwischen-<br />

menschliche scheint besonders gewesen zu sein. Uta Kolano, Dozentin des MuK-Departments,<br />

wollte herausfinden, was dieses Gefühl ausgemacht hat. Sie sprach mit Zeitzeugen, sammelte<br />

fundierte Fakten, fügte ihre persönliche Note hinzu. Über die so entstandene Mischung haben<br />

Von Anne-Marie Holze und Alicia Nicoletti<br />

assen Sie uns über Sex sprechen. Über Liebe und Partnerschaft<br />

gleich noch dazu. Schauen wir Fernsehen oder in die<br />

Zeitungen, springen uns nackte Tatsachen entgegen. Aber<br />

darüber reden? Lieber nicht. Oder nur selten. In der DDR<br />

musste auch nicht viel darüber geredet werden. Die<br />

Menschen verliebten sich, ohne über den sozialen<br />

Status des Angebeteten nachzudenken. Uta Kolano,<br />

Dozentin am MuK-Department, spricht und schreibt. Wie Liebe,<br />

Partnerschaft und Sexualität die ostdeutsche Gesellschaft<br />

in nicht unerheblichem Maße bestimmten, zeigt sie in ihrem<br />

aktuellen Buch „Kollektiv d’Amour“. Dieses Thema beschäftigt<br />

die Autorin schon länger. Bereits 1994 produzierte sie für die<br />

ARD die Dokumentation „Der nackte Osten. Erotik zwischen<br />

oben und unten“. Quotenhit. 2010 folgte im RBB die Reihe<br />

„Das älteste Gewerbe“. Aufsehenerregend.<br />

Der Wunsch zu zeigen war es, der Uta Kolano vom Studium<br />

der Philosophie zur Filmwissenschaft brachte. „Mir war früh<br />

klar, dass ich zum Film gehen will, um ethische und moralische<br />

Fragen in eben dieser Gesellschaft zu verhandeln - speziell in<br />

welchem Verhältnis das Individuum zur Gesellschaft steht und<br />

umgekehrt“, erzählt sie uns gleich am Anfang<br />

unseres Gespräches. Die Öffentlichkeit sollte<br />

darüber diskutieren, in welchen Verhältnissen<br />

sie lebte. Nach einem Praktikum bei<br />

der DEFA wusste Kolano, dass dies der<br />

Weg war, den sie weiter gehen möchte.<br />

1990 drehte sie die Reportage „Abgeschlossen.<br />

Vom Ost- in den Westknast.“<br />

Seit 1995 als freie Redakteurin tätig,<br />

folgte die Dokumentation „Wolfsburg<br />

– Eisenhüttenstadt“. Eine Autorenschaft<br />

für das Theaterstück „Alegría.<br />

Fremdbildnis der Frida Kahlo“,<br />

das Businessfernsehen der<br />

wir uns mit ihr unterhalten.<br />

Deutschen Bahn und 2006 das Drehbuch für den Kinofilm<br />

„Nellys Abenteuer“ zeigen die Vielseitigkeit der Freiberuflerin.<br />

Dass nach den Filmen schließlich ein Buch folgte, ergab sich<br />

aus den verschiedenen medialen Mitteln. „Auch wenn man Filmemacher<br />

ist, braucht man die Schrift. Was man nicht ausdrücken<br />

kann, sieht man auch nicht im Film“, erklärt uns die<br />

Autorin.<br />

Etwas wurde anders …<br />

Nach dem Mauerfall 1989 wurde etwas anders. Was anders<br />

wurde, konnte auch Uta Kolano nicht wirklich definieren. Um<br />

den Blick zu öffnen für das, was dieses „andere“ sei, musste sie<br />

die vorherigen Verhältnisse betrachten. Für die studierte Philosophin<br />

ist „das, was zwischen den Geschlechtern stattfindet, ob<br />

gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts, ein Grundverhältnis<br />

der Gesellschaft“. Und so fing sie an den Fragen nach Liebe,<br />

Partnerschaft und Sexualität nachzugehen, um „ein Stück<br />

„Man hat sich eben schneller verliebt,<br />

es gab keine Konsequenzen“<br />

Kulturgeschichte“ zu verstehen. Dazu führte Kolano zahlreiche<br />

Interviews mit ostdeutschen Zeitzeugen. Es sei eben ein besonderes<br />

Gefühl zwischen den Menschen gewesen, welches<br />

die Beziehungen beherrschte, die Nähe, das bessere Verstehen,<br />

versuchten die Gesprächspartner ihre Empfindungen zu umschreiben.<br />

Schließlich brachte es eine Rentnerin auf den Punkt:<br />

Es „menschelte“ mehr. Was jenes „Menscheln“ bedeuten sollte<br />

oder woher es kam, wollte die Autorin herausfinden. Sie schaute<br />

dafür auch auf ihre eigene Jugend zurück und sagt, dass ihr<br />

Buch oft subjektiv sei. Manche würden sich vermutlich nicht<br />

wiedererkennen.<br />

In der DDR kamen die Menschen zusammen: „Man ist relativ<br />

schnell, egal mit wem man zusammen saß, auf die Themen<br />

Staat, Stasi, Misswirtschaft und Meinungsfreiheit gekommen.<br />

Uta Kolano<br />

Uta Kolano spricht über ihr Buch „Kollektiv d´amour“ und somit nicht minder aus<br />

ihrem Leben. Die Autorin sieht sich nicht als Spezialistin auf diesem Gebiet; sie<br />

lässt andere zu Wort kommen, bringt aber ihre eigenen Erfahrungen mit ein


Das war ganz wichtig und verband uns.“ Im Freundes- und Bekanntenkreis<br />

diskutierte man, es gab genug Aspekte, die nicht<br />

so gut liefen im Staat. In der emotional aufgeladenen Atmosphäre<br />

entstanden rasch Liebesverhältnisse. Einerseits, weil es<br />

nicht so viel Auswahl gab wie heute, erzählt uns die Berlinerin<br />

lächelnd. Andererseits bekam man in kleinen Kreisen schneller<br />

mit, was denn so möglich sei. „Man hat sich eben schneller<br />

verliebt, es gab keine Konsequenzen.“ Die selbst mit 21 Jahren<br />

Verheiratete beschreibt „das private Leben der Leute, das heißt<br />

mit der Familie, Freunden und Liebschaften, war in der Diktatur<br />

der einzige Freiraum.“ Die Menschen zogen sich in ihre<br />

Beziehungen zurück, sie gaben ihnen Sicherheit. Doch kam es<br />

ebenso zu schnellen Scheidungen. „Es gab bei Trennung oder<br />

Scheidung keinen Besitz zu verteilen, man brauchte keine Existenzangst<br />

zu haben.“ Gegen Ende des sozialistischen Staates<br />

gingen rund 66 Prozent der Scheidungen von Frauen aus. Auch<br />

Uta Kolano ging diesen Weg.<br />

„Dass man einen anderen Umgang mit Sexualität<br />

und Partnerschaft hatte, das hing mit der<br />

Rolle der Frau in der Gesellschaft zusammen“,<br />

sagt sie. Die Frau war gleichberechtigt und<br />

nutzte dies auch. Zudem sollte Weiblichkeit<br />

nicht vermarktet werden. Die Frau sollte kein<br />

Sexobjekt sein. Pornographie wurde verboten.<br />

„Die Medien unterlagen dem Einfluss der älteren<br />

Führungsriege und Generation, so dass<br />

man als Redakteur oft nicht über Sexualität<br />

reden konnte.“ Man durfte auch nicht sehen.<br />

Die Grenze zwischen ästhetischer Nacktheit<br />

und Pornografie wurde streng gezogen. Das<br />

politische Dogma und das Menschenbild in<br />

der DDR erlaubten keine Freizügigkeit. Dass<br />

der Vorwurf der Pornographie genutzt wurde,<br />

um politisch unliebsame Medienprodukte<br />

zu verbieten, blieb im Dunkeln. Die obersten<br />

Staatsmänner wussten sich zu helfen. Auch<br />

wenn es um Prostitution in Ostdeutschland<br />

ging. Sie war verboten. Der Arbeits- und Bildungsprozess<br />

stand den Frauen offen, niemand<br />

sollte es nötig haben, seinen Körper zu<br />

verkaufen. Natürlich war das gut. Schließlich<br />

wurde Prostitution „doch toleriert und Anfang der 70er Jahre<br />

politisch ausgenutzt“: Frauen dieses Gewerbes wurden als<br />

Spitzel engagiert und sollten Informationen über Freier an den<br />

Staat liefern. In unserem Gespräch schmunzeln wir darüber,<br />

dass auch aus dieser eigentlich unliebsamen Sache Profit geschlagen<br />

wurde. „Die DDR war ein äußerst widersprüchliches<br />

Gebilde“, meint Uta Kolano.<br />

Angst vs. Rationalität<br />

Die Nacktheit lässt sie hilflos erscheinen,<br />

doch dann trifft einen<br />

dieser paradox selbstbewusste<br />

Blick. Dieser geheimnisvolle<br />

Charakter schmückt das Cover<br />

des Anfang 2012 erschienenen<br />

Buches „Kollektiv D´Amour-<br />

Liebe, Sex und Partnerschaft in<br />

der DDR“<br />

Die Angst, welche die sozialistische Führungsriege hatte und<br />

welche sich in weiteren Verboten ausdrückte, richtete sich gegen<br />

alles, was nicht dem Gesellschaftsideal entsprach. „Alles,<br />

was fremd war, war ihnen suspekt“, erinnert sich die Autorin<br />

kopfschüttelnd. So war zum Beispiel auch Homosexualität anders.<br />

Anders war gefährlich. Oppositionsbildung durch Grup-<br />

penbildung. Homosexualität gab es nicht in den Medien. Auch<br />

im Staat sollte es sie nicht geben. Sie wurde aber nicht mehr<br />

gesetzlich verfolgt, Aufklärer plädierten für die Natürlichkeit<br />

dieser sexuellen Orientierung. Trotzdem. Auch der FKK-Strand<br />

war zuerst verboten. Der Körper sollte nicht zur Schau ge-<br />

Mehr Informationen gibt es hier:<br />

8 www.medienkomm.uni-halle.de/kontakt/mitarbeiter/<br />

kolano/<br />

Department<br />

Das politische Dogma und das Menschenbild in der<br />

DDR erlaubten keine Freizügigkeit<br />

stellt werden. Dass es darum gar nicht ging, war den Politikern<br />

scheinbar nicht bewusst. Doch auch hier eroberten sich<br />

die Bürger ihre Freiheiten. Die Tradition der Körperkultur war<br />

schließlich das Ergebnis einer reformerischen Bewegung Ende<br />

des 19. Jahrhunderts. Und Traditionen hieß die DDR gut. FKK<br />

wurde erlaubt.<br />

Der verordnete rationale Umgang mit Sexualität<br />

spiegelte sich weiterhin in den Medien wider:<br />

fachliche Beschreibungen, Skizzen statt Abbildungen,<br />

wissenschaftliche Definitionen … Die<br />

Entwicklung in Ostdeutschland ging zwei Wege.<br />

Einerseits erkannte die Führungsriege, dass es<br />

Probleme in Partnerschaft, Liebe und Sexualität<br />

gab, welche nicht nur Einzelne interessierten. Es<br />

wurde als „Grundbedürfnis“ akzeptiert, die Menschen<br />

aufzuklären. So konnten „Liebesredaktionen“<br />

entstehen, welche sich mit Leserfragen<br />

auseinandersetzten. Wenn schon in den Büchern<br />

wenig lebensnahe Erklärungen zu finden waren,<br />

las man sie eben hier. Andererseits wollten auch<br />

Wissenschaftler mehr über die Sexualität und<br />

Partnerschaften der Menschen erfahren, um weiter<br />

aufklärerisch tätig zu sein. Hier bedienten sich<br />

die Staatsmänner wieder eines Tricks. Papier war<br />

in der DDR knapp. Man konnte nicht forschen. Die<br />

Knappheit durfte nicht weiter steigen. „Die Politiker<br />

hatten wieder Angst, Angst vor den empirischen<br />

Ergebnissen“, stellt Kolano nüchtern fest.<br />

In der DDR setzte man auf das Verschweigen: In<br />

der Forschung, in der Aufklärung, in den Medien. Die Angst<br />

war zu groß. Im Privaten hatte man keine Angst. Im Gegenteil.<br />

Es wurde offen über Missstände diskutiert, man kam sich näher.<br />

Das Gefühl der existenziellen Sicherheit, durchaus durch den<br />

Staat vermittelt, schuf den Platz für andere Gedanken. Diese<br />

zu äußern war jedoch gefährlich. Man suchte Menschen, denen<br />

man vertrauen konnte. Dann wurde geredet. Liebe und Sexualität<br />

lassen sich nicht verschweigen. n<br />

7


8<br />

Forschung<br />

Mashups. Aus alt mach neu<br />

Durch die Technik der digitalen Medien kann mittlerweile jeder zum Produzenten werden,<br />

ohne dabei alle Inhalte neu zu erstellen. Der Vorgang scheint simpel zu sein: Man nehme<br />

etwas Altes, mische es mit Neuem, und erhält ein neues Produkt, genauer gesagt: ein Mashup.<br />

Was genau dahinter steckt, wurde auf einer Fachtagung in Leipzig diskutiert.<br />

Von Michelle Sagner und Tina Schwarz<br />

er Begriff Mashup wird vom englischen „to mash“<br />

abgeleitet, was so viel bedeutet wie „etwas vermischen“<br />

oder „Unterschiedliches miteinander verbinden“.<br />

Der Terminus steht für das Vermischen<br />

von auditiven, visuellen und audiovisuellen Elementen,<br />

die eigentlich nicht zusammen gehören.<br />

Schon vor der Digitalisierung entstanden Mashups,<br />

etwa in Form von Collagen. Heute bietet das Internet einen<br />

Fundus von verfügbarem Material, das im Prinzip jedem zur<br />

Verfügung steht. Dieses kann in der Medienproduktion kreativ<br />

eingesetzt werden, um etwas Neues daraus entstehen zu<br />

lassen.<br />

Fachsimpeln auf der Mashup-Tagung: Dr. Claudia Kusebauch und die<br />

MuK-Dozenten Dr. Steffi Schültzke und Dr. Thomas Wilke<br />

Im Juni dieses Jahres fand in Leipzig eine Fachtagung zu diesem<br />

Thema statt. Veranstaltet wurde sie vom Zentrum für Wissenschaft<br />

& Forschung Medien in Zusammenarbeit mit dem<br />

Institut Kommunikations- und Medienwissenschaft der <strong>Universität</strong><br />

Leipzig sowie dem Department für Medien- und Kommunikationswissenschaft<br />

der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>. Vom Department<br />

waren Prof. Dr. Reinhold Viehoff, Dr. Steffi Schültzke und Dr.<br />

Thomas Wilke vertreten. Letzterer eröffnete als Mitorganisator<br />

die Tagung. Vier Schwerpunkte wurden fokussiert: Theorie, Ästhetik,<br />

Methoden und Praktiken.<br />

Vier Themenblöcke<br />

Zur theoretischen Annäherung befassten sich die Referenten<br />

zunächst mit der medialen und kulturellen Einordnung des<br />

Phänomens, dessen Gegenständlichkeit oder Medialität sowie<br />

den Grenzen und Möglichkeiten der Analyse von Mashups.<br />

Thomas Wilke führte in das Themenfeld ein und zeigte an<br />

Musik-Beispielen, dass Mashups ein „individueller und gesellschaftlicher<br />

Umgang mit kulturellen Artefakten“ und ein ganz<br />

alltägliches Phänomen sind. Reinhold Viehoff referierte über<br />

Figur und Form der Mashups sowie über deren mediale Prägnanz.<br />

„Mit der Vielzahl von audiovisuellen Möglichkeiten<br />

umzugehen und daraus auf die Theorie zu schließen,<br />

muss mehr in die Lehre integriert werden“<br />

Im zweiten Block wurden Mashups in den Kontext einer digitalen<br />

Ästhetik gestellt. Als Drittes wurden methodische und systematische<br />

Zugänge zur Analyse von Mashups diskutiert. Steffi<br />

Schültzke stellte ihre Überlegungen zur Funktion von Mashups<br />

in der Lehre vor. Im letzten Schwerpunkt ging es um popkulturelle<br />

Praxen, Gesten und Techniken der Darstellung, der Inszenierung<br />

und der Performativität. Fragen des Urheber- und<br />

Medienrechts wurden ebenfalls behandelt.<br />

In einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk erläutert<br />

Dr. Wilke die kulturelle Bedeutung, die Mashups schon<br />

vor dem digitalen Zeitalter hatten: „Ich denke, dass es schon<br />

immer eine Auseinandersetzung mit Inhalten gegeben hat, und<br />

man sich dabei aber immer im Anschluss befand - im Anschluss<br />

an Traditionen, an bestehende Kulturtechniken und diese fortentwickelnd<br />

zu Neuem vorgestoßen sind, bis sich irgendwann<br />

das Innovationspotential erschöpft hat und man dann wieder<br />

- mit einem Blick zurück - Altes aufgegriffen und neu kontextualisiert<br />

hat.“<br />

Mashups im Studium<br />

Dr. Steffi Schültzke<br />

Wo diese Umwandlung von Alt zu Neu überall stattfinden kann,<br />

erklärte uns Dr. Schültzke: Sie beschäftige sich besonders mit<br />

dem Einsatz von Mashups in der Lehre, um durch praktische<br />

Beispiele den Zugang zur Filmtheorie zu erleichtern. Erleichtert<br />

wird dies durch die ständige Verfügbarkeit von Material und<br />

spezieller Programme zur Produktion von Mashups.


„Wir lernen mit Schrift umzugehen, wir lernen mit dem Computer<br />

umzugehen, Hausarbeiten zu schreiben und wir lernen<br />

auch Filme zu machen. Aber mit dieser Vielzahl von audiovisuellen<br />

Möglichkeiten umzugehen und daraus auf die Theorie<br />

zu schließen, muss mehr in die Lehre integriert werden.“ Steffi<br />

Schültzke wandte dies erstmals im letzten Sommersemester<br />

im Seminar „Medientheorie II“ an. Die Studierenden haben die<br />

verschiedenen Filmtheorien mit Hilfe von eigenen Videoclips<br />

reflektiert. Ausschnitte aus Film, Schrift und Musik wurden mit<br />

eigens gedrehtem Material zusammengeschnitten.<br />

Mashups sind längst ein Phänomen unseres Alltags<br />

geworden, ohne dass es uns bewusst ist<br />

Auf der Tagung zeigte Dr. Schültzke eines der im Seminar<br />

entstandenen Produkte: Die Studierenden griffen auf einen<br />

Ausschnitt aus Georges Franjus Dokumentarfilm „Das Blut der<br />

Tiere“ zurück. Er zeigt die Arbeit auf einem Schlachthof, auf<br />

dem Tiere qualvoll sterben, während die Arbeiter diese Grausamkeiten<br />

lächelnd verrichten. Die Studierenden haben sich<br />

selbst in den Videoclip eingefügt, indem sie eine Sequenz aus<br />

dem Dokufilm angewidert verfolgen und später dann im Supermarkt<br />

eingepacktes Fleisch kaufen. Abgepacktes, anonymes<br />

Fleisch. Ohne Gedanken an das vorher Gesehene. Der Rückgriff<br />

auf vorhandenes Material ist dabei der zentrale Bestandteil,<br />

kurz gesagt: Das Kopieren.<br />

Das Kopieren<br />

Damit beschäftigte sich während der Tagung Dirk von Gehlen,<br />

wenn auch nur per Videobotschaft. Der Redaktionsleiter<br />

des Onlinemagazins jetzt.de der Süddeutschen Zeitung und<br />

seine Redaktion wurden bereits mit dem Axel-Springer-Preis<br />

und dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In seinem Buch<br />

„Mashups. Lob der Kopie“ spricht er sich für das Kopieren aus,<br />

denn nur dadurch können im Mashup-Prozess neue Werke entstehen.<br />

Er zeigt aber auch, wie notwendig die Debatte über das<br />

gute Kopieren und das betrügerische Abschreiben ist.<br />

Prof. Reinhold Viehoff greift diese Thematik in seinem Gespräch<br />

mit dem Deutschlandfunk auf: „Früher war die Read-<br />

Kultur - da konnte man die Sachen nur lesen. Heute sind wir<br />

in der Kultur, in der wir sowohl lesen als auch schreiben können<br />

- readandwrite. Weil wir alles, was zum Lesen angeboten<br />

ist, selbst wieder sozusagen benutzen können als Gegenstand<br />

unserer eigenen Verschriftlichung, indem wir es kopieren oder<br />

weiter benutzen und Ähnliches. Das ist sicher eine neue Möglichkeit.<br />

Aber die ist eigentlich nur neu als Massenerscheinung.“<br />

Im Internet findet man jede Menge Rohmaterial, doch das Copyright<br />

bremst die Kopierwut aus.<br />

Veraltetes Copyright<br />

Der feste Griff des Copyrights muss gelockert werden, um der<br />

neuen Zeit gerecht zu werden. So meint Viehoff, dass nur des-<br />

sen Überarbeitung die Demokratisierung des Internets voranbringt.<br />

Die Verteidigung desselben sieht er als Rückzugsgefecht<br />

der kommerziell Interessierten: „Die wollen das natürlich nicht<br />

kampflos aufgeben. Es wird über kurz oder lang neue Möglichkeiten<br />

geben, im Internet Copyright darzustellen, zu schützen,<br />

modifizierbar zu machen, flexibel zu machen. Ich habe keine<br />

Lösung dafür, aber ich denke ganz sicher, dass historisch für die<br />

jetzige Form des Copyrights, wie sie seit 180 Jahren existiert,<br />

keine Überlebenschance besteht.“<br />

Auch für das Internet wäre eine Lockerung wünschenswert,<br />

da es allmählich selbst zu einem Mashup mutiert. Denken wir<br />

nur an Google Maps. Die meisten Internetnutzer haben diesen<br />

Dienst schon einmal genutzt, um Orte zu finden oder Routen<br />

zu berechnen. Google Maps bietet seinen Nutzern außerdem<br />

die Möglichkeit, neue Anwendungen daraus zu schaffen, indem<br />

die Suchmaschine auf anderen Websites eingebunden und<br />

erweitert werden kann. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile<br />

unzählige Mashups, die auf Google Maps basieren. Zum Beispiel<br />

kann man bei Jogmap weltweit Laufstrecken hinzufügen<br />

oder mit Hilfe von Panoramio Fotos bei Google Maps einbinden.<br />

Jogmap hat über 1 000 000 Laufstrecken mit Google Maps<br />

verbunden und macht es somit möglich, an jedem Ort der Welt<br />

Joggingrouten zu finden<br />

So wird deutlich, dass Mashups längst Phänomene unseres<br />

Alltags geworden sind, ohne dass es uns bewusst ist. Die Tagung<br />

in Leipzig war ein weiterer Schritt für die systematische<br />

medien- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit<br />

dieser Thematik. Steffi Schültzke stellt fest: „Die Tagung war<br />

sehr spannend, da sie die Bandbreite von Mashups aus verschiedenen<br />

Ecken beleuchtet hat. Wir haben über die aktuelle<br />

Gesellschaftssituation gesprochen und unter diesem Dach aus<br />

verschiedenen Richtungen diskutiert.“ Es wird wohl nicht die<br />

letzte wissenschaftliche Auseinandersetzung zu diesem Thema<br />

gewesen sein, denn in allen vier Themenblöcken sind noch viele<br />

Fragen offen. n<br />

Die Interviews des Deutschlandfunks finden Sie hier:<br />

8 www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1782736<br />

Buchtipp:<br />

Dirk von Gehlen: „Mashup. Lob der Kopie“ (2011)<br />

Forschung<br />

9


10<br />

Publiziert<br />

Neue Publikationen aus dem Department<br />

Zusammengestellt von Katja Wernicke<br />

Sara Ginolas:<br />

Weblogs iranischer Frauen<br />

Die Ergebnisse einer Magisterarbeit als halma-Heft<br />

Weblogs gehören in vielen westlichen Ländern zur allgemeinen<br />

(Internet-) Kultur, haben sich schnell etabliert sowie verbreitet.<br />

Im Iran haben diese Internet-Tagebücher vor allem unter<br />

Frauen einen hohen Stellenwert. Können sie doch dank dieses<br />

Mittels gesellschaftlich heikle Themen diskutieren, ohne auf die<br />

traditionellen Normen Rücksicht nehmen zu müssen. Welche<br />

Hürden die Frauen dabei nehmen müssen, wie gefährlich die<br />

nicht-anonyme Meinungsäußerung im Iran ist und wieso gerade<br />

politische Themen im Vordergrund der vielen Blogs stehen,<br />

stellt Sara Ginolas in ihrer Magisterarbeit anschaulich dar.<br />

Zentrale Fragen der Arbeit sind daher, welche Themen von den<br />

iranischen Frauen behandelt werden, auf welche Weise dies<br />

stattfindet und wie sich die Gestaltung des Freiraumes auf die<br />

Verfasserinnen auswirkt. Neben der Darstellung der Entstehung<br />

von Weblogs, der rechtlichen und technischen Bedingungen<br />

sowie der generellen gesellschaftlichen Lage der Frauen, lässt<br />

sie Raum für individuelle Aussagen der Betroffenen, welche in<br />

einer exemplarischen Untersuchung eines Weblogs erhoben<br />

wurden.<br />

Dabei stellt Ginolas fest, dass die Erfahrung der Kommunikation<br />

und des Austausches mit anderen Frauen neue Wege<br />

zur Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung bildet. Gleichzeitig<br />

wird die Aussicht formuliert, dass die jüngere, iranische<br />

Internet-Generation durch die neuen Mittel in der Lage sein<br />

wird, die gesellschaftlichen Strukturen schrittweise zu ändern.<br />

Die Rolle des Weblogs und andere „Internetangebote als Mittel<br />

zur Organisation und Information“ wären laut Ginolas künftig<br />

zu untersuchen.<br />

Sara Ginolas. Weblogs iranischer Frauen. Freiräume für Kritik<br />

und Selbstausdruck. <strong>Halle</strong>: halma. 20 1.<br />

Golo Föllmer et al.:<br />

Online-Publikation Sound Exchange<br />

Während aktuelle Musikrichtungen bereits stark erforscht wurden,<br />

waren die Traditionslinien experimenteller Musikkulturen<br />

Mitteleuropas bisher nur schwer zugänglich. In der Online-Anthologie<br />

„Sound Exchange“ wollen Experten der Musik-, Medien-<br />

und Kulturwissenschaften aus acht Ländern dieses Defizit<br />

beseitigen. Die unterschiedlichen Autoren veröffentlichen ihre<br />

Dokumente als eine Mischung aus digitaler und lebendiger Dokumentation.<br />

Neben einer Bündelung von aktuellen musikästhetischen<br />

Positionen stößt man auch auf historische Funde<br />

von Protagonisten sowie Elemente lokaler Spurensuche.<br />

Ziel dieser Arbeit ist es, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten<br />

der internationalen Geschichte experimenteller Musik herauszufinden<br />

und zu diskutieren. Die dabei entstandenen Texte<br />

belegen eine Atmosphäre der Öffnung und internationalen<br />

Vernetzung nach jahrzehntelanger politischer Repression in<br />

Mit experimentellem Design sollen Leser<br />

der Webseite „Sound Exchange“ angesprochen werden<br />

Mittelosteuropa. Die Online-Anthologie wurde parallel zur Veranstaltung<br />

„Sound Exchange“ erstellt, bei welcher Künstler in<br />

Konzerten, Workshops oder einer Wanderausstellung die experimentelle<br />

Musikszene in Mittelosteuropa darstellen.<br />

Bereits in der 15. Ausgabe des MuKJournals haben wir über<br />

dieses engagierte Projekt, welches 2011 in Bratislava und Krakau<br />

begonnen hat und zwischen dem 15. und 18. November<br />

2012 in Chemnitz mit dem „Sound Exchange Festival Chemnitz“<br />

sein Ende findet, berichtet. Dabei wurde klar, dass das von<br />

Musikwissenschaftler Jun.-Prof. Dr. Golo Föllmer entwickelte<br />

Grundkonzept, Barrieren in Bezug auf Wissenschaftler, Kompositionen<br />

und Publikum überwinden soll.<br />

8 www.soundexchange.eu/#anthology_de


SCHWERPUNKT:<br />

UTOPIE<br />

Umfrage In die Zukunft und zurück | Feature Tortilla-Chips verbinden Himmel und<br />

Erde | Meinung Apokalypse … bald!? | Reportage Schneller. Oder langsamer. | Home-<br />

story Im Frühtau der Zukunft | Kulturbeute Let‘s get dressed for Outer Space! | Gut<br />

gerüstet? Studententypen von morgen | Kontrovers Wie durchsichtig möchten wir<br />

sein? | Essay Zukunft mit ohne Technik?<br />

11


12<br />

Umfrage<br />

In die Zukunft und zurück<br />

Wie stellst du dir die Welt in 50 Jahren vor? Diese Frage ist knifflig. Sie ist eigentlich nicht<br />

beantwortbar, aber sie ist googlebar. Mir werden in 0,18 Sekunden immerhin 34 100 000<br />

Treffer ausgespuckt. Meine kleine Umfrage ist dagegen bescheiden: Vier MuK-Studierende<br />

haben mir von ihren Hoffnungen, Spekulationen und Ängsten erzählt.<br />

Interviews durchgeführt von Alicia Nicoletti<br />

„Ich kann mir das Leben in 50 Jahren<br />

gar nicht so richtig vorstellen.<br />

Man sieht ja auch bei alten Sciene-<br />

Fiction-Romanen, dass es ziemlich<br />

fantastische Dinge waren, die man<br />

sich damals vorgestellt hat. Tatsächlich<br />

hat die Realität das Meiste sogar<br />

übertroffen. “<br />

Milan Stipanovic<br />

MuK/BLIK<br />

„Eigentlich glaube ich, in 50 Jahren<br />

existiert die Welt nicht mehr. Es gibt<br />

dank der Technik wahrscheinlich eine<br />

krasse atomare Katastrophe. Die Welt<br />

geht sowieso 2012 unter. Ich hoffe,<br />

du kannst das Interview noch vor dem<br />

Termin abgeben, also vor der Maya-<br />

Apokalypse.“<br />

Kathrin Schröder<br />

MuK/Musikwissenschaften<br />

„Einen Atomkrieg halte ich für sehr<br />

wahrscheinlich. Gerade dann wird<br />

Technik einen hohen Stellenwert haben.<br />

Früher ist man mit einer dicken<br />

Ritterrüstung aufeinander losgerannt,<br />

heute drückt man einen Knopf. Das ist<br />

alles Technik.“<br />

Oliver Müller-Lorey<br />

MuK/Geschichte<br />

Technik<br />

„Alles wird hochtechnisch entwickelt<br />

sein. Fliegende Autos, vielleicht auch<br />

gar keine Autos und wir schweben auf<br />

Gefährten, die mit Erdmagnetismus<br />

funktionieren … Natürlich wäre es<br />

auch toll, wenn man zeitlich springen<br />

könnte.“<br />

Nadja Heinisch<br />

MuK/Politikwissenschaften


„Das Internet wird an Bedeutung gewinnen.<br />

Zeitungen, wie wir sie kennen,<br />

werden es noch schwerer haben,<br />

sich gegen die digitalen Nachrichten<br />

durchzusetzen! Höchstens für spezielle<br />

Themenbereiche braucht man dann<br />

die Zeitung noch.“<br />

Oliver Müller-Lorey<br />

MuK/Geschichte<br />

„Die Medien ignorieren einfach alles,<br />

zum Beispiel Fukushima! Das ist immer<br />

noch nicht vorbei. Klar sind das<br />

nicht nur die Medien, sondern vor allem<br />

die Politiker. Das ist ein wichtiger<br />

Grund, weswegen ich die Zukunft einfach<br />

nicht sehe.“<br />

Kathrin Schröder<br />

MuK/Musikwissenschaften<br />

„Richtig cool wäre es, wenn man einen<br />

Planeten entdecken würde, auf<br />

dem Menschen in einem anderen<br />

Entwicklungsstadium leben. Also Neandertaler,<br />

oder sogar Menschen die<br />

schon wie Roboter aussehen!“<br />

Nadja Heinisch<br />

MuK/Politikwissenschaften<br />

„Ich denke das Internet wird noch<br />

wichtiger für uns werden, vielleicht<br />

sogar elementar. Ich hoffe, dass Soziales,<br />

wie Familie und Freundschaft,<br />

nicht darunter leiden wird.“<br />

Oliver Müller-Lorey<br />

MuK/Geschichte<br />

Leben<br />

„Medien werden noch mehr Lebensbereiche<br />

durchdringen und das Verlangen<br />

der Menschen nach neuen<br />

Formaten wird steigen. Besonders<br />

Kinder werden stärker denn je von<br />

den Medien beeinflusst sein. Wie sich<br />

das alles auf die Entwicklung und<br />

Fantasie der Kinder auswirkt, wird sich<br />

dann zeigen.“<br />

Nadja Heinisch<br />

MuK/Politikwissenschaften<br />

Medien<br />

„Ich vermute, dass klassische Medien<br />

an Einfluss verlieren werden. Schon<br />

heute verlassen sich die Leute nicht<br />

mehr blind auf Informationen und<br />

prüfen immer öfter selbst via Internet.<br />

Ich finde diese Entwicklung sehr positiv,<br />

da es den Spielraum für Manipulation<br />

sehr einengt.“<br />

Milan Stipanovic<br />

MuK/BLIK<br />

„Höchstwahrscheinlich wird die Natur<br />

ziemlich zu Grunde gerichtet sein. Na<br />

gut, die Menschheit wird auf jeden<br />

Fall einen Weg finden zu überleben,<br />

aber es wird nicht sonderlich schön<br />

sein. Trotzdem würde ich das aus reiner<br />

Neugierde gerne miterleben.“<br />

Milan Stipanovic<br />

MuK/BLIK<br />

„Falls in 50 Jahren noch ein Leben<br />

herrscht, wenn wir Menschen es bis<br />

dahin tatsächlich noch schaffen zu<br />

leben, dann wäre es sehr erfreulich,<br />

wenn wir in uns gehen würden, so<br />

dass alle Menschen auf diesem Planeten<br />

friedlich zusammen leben können.“<br />

Kathrin Schröder<br />

MuK/Musikwissenschaften<br />

Umfrage<br />

13


14<br />

Feature<br />

Tortilla-Chips verbinden Himmel und Erde<br />

Von Swantje Kasper<br />

Erstmals Kontakt zu E. T. & Co. im Jahre 2096?<br />

n einer weit entfernten Galaxis, mehrere Lichtjahre von<br />

dem Planeten Erde entfernt, sitzen kleine ulkige Kreaturen<br />

zusammen: grünes Gesicht, lange Stilaugen, eine<br />

hervorstehende, trompetenartige Nase. Heiter und sichtlich<br />

begeistert, wippen sie im Takt zum Beatles-Song „Across<br />

The Universe“. Gleichzeitig schauen sie gebannt auf eine sechsstündige<br />

Dauerreklame für amerikanische Tortilla-Chips. Ihnen<br />

läuft das Wasser im Mund zusammen. Sie lecken sich die Lippen,<br />

streichen sich über ihren runden Bauch und geben ähnliche<br />

Geräusche von sich: hmmm.<br />

Dank ihrer Trompetennase können die grünen Männchen –<br />

und Weibchen – elektromagnetische Wellen aus den Tiefen des<br />

Weltalls empfangen. Sie wandeln diese in rhythmische Impulse<br />

um und erzeugen runde ausgedehnte Seifenblasen, die sich<br />

zur transparenten Leinwand umbilden. Mit einem leisen Surren<br />

werden die Inhalte der elektromagnetischen Wellen auf die Fläche<br />

projiziert. Warum sind Tortilla-Chips eigentlich rot? Keine<br />

Farbe für Grünlinge. Drei von ihnen wenden sich nun einer<br />

160-minütigen ARTE-Sendung zu. Fasziniert folgen sie der<br />

klaren, tiefen Männerstimme, die detailliert und anschaulich<br />

den Körperbau des Menschen erklärt. Beine, Zehen, Arme, Ellenbogen,<br />

Handgelenk - all das ist ihnen neu. Nie zuvor haben<br />

sie auf ihr Aussehen geachtet, die Glücklichen. Langsam, von<br />

unten nach oben, wandern ihre Blicke prüfend über die Gestalt<br />

des Nebenmanns. Alle sind sich einig. Die Menschen verfügen<br />

über ein ungewöhnliches Erscheinungsbild. Höchst<br />

merkwürdig. So gar nicht nach ihrem Geschmack!<br />

Diese Vorstellung erscheint absurd und unrealistisch?<br />

Sie ist es aber nicht ganz, denn der<br />

Mensch versucht schon seit geraumer Zeit, Lebewesen<br />

aus dem All zu kontaktieren. Begonnen hat alles<br />

mit der Pioneer 10 und 11 im Jahre 1972 und 1973,<br />

einer US-amerikanischen Raumsonde, die zur Erforschung<br />

des Pla- neten Jupiter, des interplanetaren Mediums<br />

und des Asteroidengürtels eingesetzt<br />

wurde. Es folgten 1977 die Voyager<br />

1 und 2. Einige der wohl wichtigsten<br />

Apparate, die die beiden Raumsonden<br />

mit sich führten, waren<br />

eine Alu-Plakette<br />

sowie eine Datenplatte.<br />

Erstere wies<br />

eine schematische<br />

Dar-<br />

stellung von Mann und Frau auf. Tiefgründiger auf das<br />

menschliche Leben gingen dagegen die mehr als hundert analog<br />

gespeicherten Bilder ein. Ebenso die anderthalb-stündige<br />

Musik von Beethoven, Bach und Mozart, die in verschiedenen<br />

Sprachen gesprochenen Grüße sowie Naturgeräusche. Und damit<br />

die Geschöpfe aus der anderen Welt auch wissen, wem<br />

Was kommt also nach Chips-Werbung und<br />

Fernseh-Doku? Womit müssen die Außerirdischen<br />

noch rechnen?<br />

sie das Ganze zu verdanken haben, enthält die Voyager eine<br />

Botschaft des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter: „Dies<br />

ist ein Geschenk einer kleinen, weit entfernten Welt, eine Probe<br />

unserer Klänge, unserer Wissenschaft, unserer Bilder, unserer<br />

Musik, unserer Gedanken und unserer Gefühle. Wir versuchen,<br />

unser Zeitalter zu überleben, um so bis in Eure Zeit hinein<br />

leben zu dürfen.“<br />

Natürlich könnte man sich nun fragen, ob die grünen Kreaturen<br />

ihre Wohnungen mit all den Bildern, die sie von der<br />

Raumsonde Voyager geschickt bekommen haben, schön bunt<br />

tapeziert haben oder nun hingerissene Fans der Beatles und<br />

des ARTE-Senders sind. – So sie denn Wohnungen haben und<br />

die Botschaften überhaupt decodieren können. – Darüber kann<br />

man vorerst leider nur spekulieren, denn ungefähr im Jahre<br />

2096, also nach einer aktuellen Wartezeit von mehr als 80<br />

Jahren, ist mit einer Antwort zu rechnen. Auch in Zeiten von<br />

Smartphones, Twitter und sozialen Netzwerken können solch<br />

große Distanzen nicht in kurzer Zeit überwunden werden.<br />

Doch der Mensch hat schon oft bewiesen, dass er zu neuen<br />

Ufern aufbrechen kann. Was kommt also nach Chips-Werbung<br />

und Fernseh-Doku? Womit müssen die Außerirdischen noch<br />

rechnen? Oder sollten wir uns ganz andere Fragen stellen? Zum<br />

Beispiel, ob sich die Grünlinge durch unsere kommunikative<br />

Umwelt-Verschmutzung belästigt fühlen? Und sie deshalb so in<br />

Rage waren, dass sie uns bereits Protestbotschaften auf die Erde<br />

zurückgeschickt haben und wir es nur nicht bemerkt haben?<br />

Absurde Dinge gibt es jedenfalls schon genug: Traumschiff-Serien,<br />

Tamagotchis, Schlumpf-Lieder. Wenn wir in fünfhundert<br />

Jahren endlich Wege gefunden haben, unsere grünen Freunde<br />

persönlich zu besuchen, können wir uns zum Dauerreklame-<br />

Gucken dazu gesellen. Das wäre vielleicht die gerechte Strafe<br />

für unsere galaktische Umwelt-Verschmutzung. n


Von Tina Schwarz<br />

Apokalypse … bald!?<br />

Wir sind gespannt auf den 21. Dezember 2012<br />

ine riesige Flutwelle überrollt die Nordhalbkugel, verheerende<br />

Erdbeben lassen die Erde aufreißen und zerstören<br />

alles Menschengeschaffene; Vulkanausbrüche<br />

verdunkeln den Himmel über uns. Für Mensch und Tier<br />

gibt es keine Rettung mehr, das Ende der Welt ist gekommen ...<br />

Ungefähr in diesem Ausmaß zeigt Apokalypsen-Experte Roland<br />

Emmerich sein neustes Weltuntergangsszenario im Film „2012“.<br />

Inspiriert hat ihn die Schreckensnachricht des Maya-Kalenders,<br />

der am 21. Dezember 2012 endet. Für Emmerich kein neues<br />

Thema, schließlich war dies nicht sein erster Weltuntergang.<br />

Hollywoods einziger deutscher Filmemacher ist nämlich dafür<br />

bekannt, permanent die Welt in die Luft zu jagen, sie in einen<br />

Gefrierschrank zu verwandeln oder sie anderweitig ins Jenseits<br />

zu befördern.<br />

Aber nicht nur die Filmindustrie liebt und braucht das Drama.<br />

Auch für andere Massenmedien sind solche Prophezeiungen<br />

immer wieder ein gefundenes Fressen. Kaum war der Maya-Kalender<br />

auch nur halbwegs ausgebuddelt, waren die Zeitungen<br />

voll von diversen Schreckensmeldungen rund um das nahende<br />

Ende der Menschheit.<br />

Manch einer fing bei dieser Nachricht schon an, sich zu freuen.<br />

Vor allem die Weihnachtsmuffel sahen dadurch eine Möglichkeit,<br />

den Stress der Feiertage zu umgehen und ihren Geldbeutel<br />

zu schonen. Auch hätte der immer wiederkehrende und an die<br />

nervliche Substanz gehende Weihnachts-Hit „Last Christmas“<br />

von Wham! endlich mal seine Bedeutung erfüllt.<br />

Ob in dieser Stufenpyramide das Geheimnis des Maya-Kalenders aufbewahrt<br />

ist? Den Forschern gibt das Bauwerk zumindest Rätsel auf<br />

Besonders nach der Nostradamus-Pleite 2000 suchten die sensationssüchtigen<br />

Nachrichtenredaktionen händeringend nach<br />

neuen Horrorszenarien, um ihre Titelblätter mit Schlagzeilen zu<br />

füllen. Und der gierige Leser saugte diese wie ein vertrockneter<br />

Schwamm in sich auf. Aber warum sind wir so süchtig nach<br />

solchen Meldungen, die doch unser Verderben voraussagen?<br />

Meinung<br />

Warum sind wir so süchtig nach solchen Meldungen,<br />

die doch unser Verderben voraussagen?<br />

Fakt ist, dass das Interesse an Weltuntergängen in unserer Kultur<br />

tief verwurzelt ist. Bereits die Bibel thematisiert die Apokalypse<br />

in Form einer gewaltigen, lebenszerstörenden Sintflut.<br />

Jagt uns die Unendlichkeit solche Angst ein, dass wir uns ein<br />

frühzeitiges Ende herbeisehnen oder mögen wir einfach nur<br />

den angenehmen gruseligen Nervenkitzel der Weltuntergangsszenarien?<br />

Da scheiden sich die Geister, während sich die einen mit Weltuntergangsequipment<br />

wie Eis-Pickel, Schweizer Taschenmesser<br />

und Trinkflasche ausrüsteten, luden die anderen vorsorglich<br />

ihre 250 Facebook-Freunde zur feucht-fröhlichen Weltuntergangsparty<br />

ein. – Doch zu früh gefreut! Forscher fanden einen<br />

weiteren Maya-Kalender, der mit seinen eingemeißelten Daten<br />

die Aussicht auf das baldige Ende und die große Party verdirbt.<br />

Und die Medien? Tja, die werden sich auf die Suche nach neuen<br />

Katastrophen begeben. Wenigstens darauf ist Verlass. n<br />

20 Dezember 21 Dezember 22 Dezember<br />

Weltuntergang<br />

wurde abgesagt!!<br />

15


16<br />

Reportage<br />

Schneller. Oder langsamer.<br />

Mein Freund Gunnar sagte zu mir: „Basti, das Leben ist keine Einbahnstraße, du kannst<br />

zurückfahren, abbiegen, nach links, oder rechts. Du kannst anhalten, auch mal richtig Gas<br />

geben oder einfach nur in den Sonnenuntergang rollen!“ Jetzt schau ich mal auf meines! Da<br />

Von Sebastian Billhardt<br />

kommen noch ganz andere Fragen auf: Autobahn oder Feldweg?<br />

ur Zeit fahre ich auf einer Autobahn und auf einem<br />

Feldweg. Ich lebe in zwei Geschwindigkeiten, man<br />

könnte fast sagen: zwei Leben. In einem zählen Minuten,<br />

Sekunden und Informationen, die ad hoc weltweit<br />

jederzeit abrufbar sind. Zahlen, Fakten, Statistiken<br />

geben hier den Takt an. Im anderen hingegen werde<br />

ich gefragt, wie es mir geht. Es ist Zeit da, um<br />

sich auch mal kurz hinzusetzen oder in den Arm zu nehmen.<br />

Auf der Autobahn<br />

Ich bin Student an der MLU, Medien im Nebenfach, Wirtschaft<br />

im Hauptfach. Ich habe gelernt, wie wichtig Aktualität und Geschwindigkeit<br />

sind. Alles so effektiv und effizient wie nur möglich.<br />

Meinen Lebensunterhalt verdiene ich im DHL Hub Leipzig,<br />

dem modernsten Umschlagpunkt des DHL-Konzerns. Das Areal<br />

hat eine Größe von zwei Millionen Quadratmetern. Allein das<br />

Verteilzentrum umfasst 48 000 Quadratmeter Grundfläche, das<br />

Verwaltungsgebäude 11 900. Jede Nacht kommen 70 Flugzeuge<br />

und 60 LKWs an, um kurz darauf, mit neuer Ladung,<br />

ein anderes Ziel auf einem der Kontinente anzusteuern. Sie<br />

werden innerhalb von acht Stunden entladen, die Fracht neu<br />

sortiert und wieder rausgeschickt. 250 000 Sendungen, über<br />

1 000 Container und mehr als 2 000 Tonnen Fracht, die bewegt<br />

werden. In Schkeuditz läuft vieles automatisiert ab. Mehr als<br />

sechs Kilometer Transportbänder, die bis zu 60 000 Pakete pro<br />

Stunde sortieren können, kreisen über hunderten von emsigen<br />

Arbeitern. Inmitten dieses riesigen Klotzes sitze ich.<br />

Eine ganze Nacht lang brummt und dröhnt es<br />

in meinen Ohren, als würde die Waschmaschine<br />

neben mir laufen<br />

Mit 72 Dezibel soll es eine der leisesten Anlagen überhaupt<br />

sein. Doch die ganze Nacht lang brummt und dröhnt es in<br />

meinen Ohren, als würde die Waschmaschine neben mir laufen.<br />

Meine Aufgabe besteht darin, jedes Gefahrgut, das über<br />

unseren Flughafen kommt, zu kontrollieren. Vor mir türmen<br />

sich immer mehr und mehr Wagen, die mit allerlei gefährlichen<br />

Dinge beladen sind: leicht Entzündliches, Magnetisches,<br />

als Gas, flüssig oder fest, in Fässern, Kisten, Pappkartons. Jedes<br />

wird von mir in die Hand genommen und sortiert, danach schicke<br />

ich einen Kollegen hinaus, um es zu verladen. Die Namen<br />

von Kollegen kenne ich nicht, außer von jenen, mit denen ich<br />

unmittelbar zusammen arbeite. Aber dafür die Kennzeichen<br />

der Flugzeuge und wohin sie fliegen. Um 6 Uhr morgens ist<br />

der ganze Spuk vorbei und ich verabschiede die Piloten nach<br />

Hongkong, New York, Italien oder Moskau, bis zur nächsten<br />

Nacht. Feierabend. Ab ins Auto und ab auf die Autobahn, Gott<br />

sei Dank ist sie leer. Wer fährt auch schon zu dieser Zeit? Ich<br />

muss mich bremsen, 160 km/h sollten reichen!<br />

Eine von circa 70 Maschinen, die auf dem DHL Hub Leipzig<br />

mit bis zu 100 Tonnen Fracht beladen werden


Auf dem Feldweg<br />

Kaum eine Stunde später: Die Sonne ist aufgegangen, ich lächle<br />

entspannt und schau auf meinen Tacho, 100 km/h und meine<br />

Abfahrt kommt. Am Ortseingang drei Schilder, zuerst Dittichenrode,<br />

dann Sackgasse und als Letztes begrüßt mich eine 30.<br />

Gleich bin ich zu Hause auf unserem Bauernhof am Südrand<br />

des Harzes, zu Füßen Kaiser Barbarossas. Die 130 Einwohner<br />

kenne ich alle und auch jedes Gebäude, 56 an der Zahl, die<br />

Hälfte davon Scheunen. Hier leben mehr Tiere als Menschen,<br />

alle Wege aus diesem verschlafenen Örtchen enden zwischen<br />

weiten Feldern, die im Sommer in vollem Korn stehen, oder<br />

in Wäldern, durch die ich oft stundenlang mit den Hunden<br />

gehe, keine Menschenseele weit und breit. Handys funktionieren<br />

erst gar nicht, bzw. nur bei günstigem Wind. Wenn die<br />

Sonne untergeht, glüht das ganze Tal vor mir und die Nacht<br />

gibt Milliarden kleiner Lichter frei. Jeden Stern sehe ich, die<br />

Glühwürmchen tanzen, in der Ferne am Hügel auf der anderen<br />

Seite ein Lagerfeuer. Mittendrin stehen auf einem kleinen Hügel<br />

unsere Pferde. Meine Schwester Franzi betreibt einen Hof<br />

für Verhaltens- und Bewegungstherapie, wo Menschen durch<br />

den Kontakt mit Tieren geholfen wird und man immer ein offenes<br />

Ohr hat.<br />

Wenn die Sonne untergeht, glüht das ganze Tal<br />

vor mir und die Nacht gibt Milliarden kleiner<br />

Lichter frei<br />

Gerade wird Winnie, eine bildschöne Tinkerstute, für die erste<br />

Reitstunde vorbereitet. Sie bleibt ganz ruhig stehen, genießt<br />

es, wenn Schweif und Mähne gekämmt werden, sie gestriegelt<br />

wird und schaut mich mit einem braunen und einem blauen<br />

Auge zufrieden an. Gleich wird Sina reiten. Sie ist an den Rollstuhl<br />

gebunden und kann nicht klar sagen, wie sie sich fühlt.<br />

Doch das Strahlen in den Augen hat sie mit allen kleinen und<br />

großen Reitern gemein, wenn sie voller Stolz ein so großes Tier<br />

lenken darf, dieses auf sie aufpasst und jede Unsicherheit spürt.<br />

Nun sind beide fertig und es geht los. Franzi sitzt hinter ihr<br />

auf dem Pferd und muss sie halten. Langsam bewegt sich der<br />

Tross Richtung Reitplatz, verschwindet aus meinem Sichtfeld.<br />

Da höre ich Sina laut aus ganzem Herzen lachen. Am Ende der<br />

Reitstunde wird sie alleine auf dem großen Rücken liegen, ganz<br />

langsam die sonst von Krämpfen angespannte Hand öffnen<br />

und sich bei Winnie für das Vertrauen bedanken. Auch für die<br />

Eltern bedeutet es viel, hier zu sein. Sie können durchatmen,<br />

die schwere Verantwortung und die Sorgen für eine kurze Zeit<br />

einmal loslassen und alles diesem wunderbaren, weiß-braungescheckten<br />

und ruhigen, großen Tier überlassen. Und so, wie<br />

sich Sinas Muskeln entspannen, lösen sich auch ihre tiefen Falten.<br />

Und die Freude steckt an. Die Uhr scheint hier langsamer<br />

zu gehen; wird etwas mehr Zeit benötigt, dann ist sie da.<br />

Inzwischen hat mich Monty entdeckt, ein 45 Kilogramm leichter<br />

afrikanischer Löwenjagdhund. Ich muss aufpassen, dass er<br />

mich bei seiner stürmischen Begrüßung nicht umwirft, denn<br />

ich bin richtig müde und muss erst einmal ins Bett. Ich erinnere<br />

mich, wie ich schon als kleines Kind hier geschlafen habe und<br />

wie ungewohnt es damals war, gar nichts zu hören, außer Vogelgezwitscher<br />

und bellenden Hunden. Draußen fängt jetzt der<br />

Tag an und meiner geht zu Ende. Wenn ich wieder aufstehe,<br />

bin ich erholt und ruhig, auch wenn ich weiß, dass dann Ausmisten<br />

an der Reihe ist und ich noch den einen oder anderen<br />

Text für die Uni zu lesen habe. Was hier im Garten aber gar<br />

nicht schwer fällt.<br />

Gegenseitige Liebe, Wertschätzung und Vertrauen zwischen<br />

Franzi und ihrem großen Wallach Wheatus<br />

Muss ich mich entscheiden?<br />

Muss ich mich nun entscheiden? Ich merke für mich, dass ich<br />

beides brauche. Natürlich ist es schön, morgens gleich alles zu<br />

bekommen, was ich am Vortag bestellt habe. Auch die Herausforderung,<br />

schnell Entscheidungen zu treffen und Verantwortung<br />

zu tragen, macht Spaß. Doch würde ich es dafür aufgeben,<br />

mit Menschen in Kontakt zu treten, um nur noch Nachtschichten<br />

zu schieben? Sieht die Zukunft denn so aus, dass ich mein<br />

Leben bei Facebook in eine Wolke lade und meine Freunde<br />

sehen, wie es mir geht und wo ich war, während ich schlafe?<br />

Keine Zeit mehr zu haben, um danke zu sagen und schön, dass<br />

es dich gibt, für einen Schulterklopfer oder eine Umarmung?<br />

Wir Menschen werden immer älter, haben viel mehr Jahre zur<br />

Verfügung und haben doch viel weniger Zeit. Mein Freund<br />

Gunnar hat schon recht gehabt, ich muss mich jetzt noch nicht<br />

entscheiden und wenn ich einmal eine Richtung eingeschlagen<br />

habe, kann ich immer noch schauen, ob es die richtige ist, war<br />

oder sein wird. Die Zukunft bleibt also spannend und unberechenbar,<br />

auch wenn DHL mir jetzt schon sagen möchte, wie<br />

viele Pakete zu Weihnachten wahrscheinlich verschickt werden.<br />

Und, liebe Freunde, bestellt mal schnell noch bei Zalando die<br />

neuen Reitstiefel. Ich sorge dafür, dass sie morgen da sind und<br />

dann geht es zur Erholung auf den Reiterhof. n<br />

Weitere Informationen unter:<br />

8 www.dp-dhl.com/de/logistik_populaer/aus_den_unternehmensbereichen/hub_leipzig.html<br />

8 www.reit-therapiehof-billhardt.de<br />

Reportage<br />

17


18<br />

Homestory<br />

Im Frühtau der Zukunft<br />

Zwischen Kaffeekapselautomaten und Mikrostrahlenpointern<br />

Von Emilia Miguez<br />

er Strand und mein Blick aufs Meer lösen sich auf.<br />

Es ertönt mein Lieblingslied. Die Massage setzt ein,<br />

ich mache die Augen auf. Ich starre an die Decke, wo<br />

meine To-Do-Liste in schwarzen und roten Buchstaben<br />

leuchtet. „Es ist 8 Uhr. Sie sind gerade aus der Traumphase<br />

erwacht. Stehen Sie auf und kleiden Sie sich an. Nach der<br />

Zahnsäuberung begeben Sie sich zum Kapselautomaten und<br />

nehmen Ihr Frühstück ein.“ Weiter möchte ich jetzt noch nicht<br />

denken und befehle dem System: „Stopp!“. Die sanfte Stimme<br />

setzt aus. Nun hört auch die Massage auf, nur die Musik tüdelt<br />

weiter. Ich nehme den vom System vorgeschlagenen blauen<br />

anti-transpiranten Overall vom Reinigungsständer, anscheinend<br />

gibt es heute viel zu tun. Am Mikrostrahlenpointer wähle ich<br />

Zahnreinigung, einige grüne Strahlen tasten für wenige Sekunden<br />

mein Gebiss ab. Ratlos stehe ich danach vor dem Kapselautomaten.<br />

Aus den verschiedenen Frühstückmenus wähle ich<br />

ein eiweißhaltiges mit viel Kalzium, dazu Koffeinstärke fünf.<br />

Ich fühle mich nach einer starken Koffeindosis heute Morgen.<br />

Dem System funktioniere ich mal wieder nicht schnell genug.<br />

Es erinnert mich mahnend: „Sie haben noch 15 Minuten bis<br />

zur Lektüreeinheit! Sie haben heute noch keinen Pflichtpunkt<br />

bearbeitet!“ Mein Blick huscht kurz zur Wand, an der wieder<br />

meine To-Do-Liste leuchtet. Uff, ziemlich lang heute, einzelne<br />

Punkte leuchten rot. Ein kurzes Signal ertönt, und schon fällt<br />

eine braune Frühstückskapsel in meine Hand. Nach meinem<br />

ausgiebigen Urlaubstraum scheint mir ein Gespräch mit meiner<br />

Freundin, auch Studentin der Medienwissenschaften, ein guter<br />

Start in den Tag: „Verbindung - Sheela.“<br />

An der Wand erscheinen meine 25 Mitstudierenden<br />

und ein Herr im weißen Overall<br />

Das System wählt und an meiner Wand erscheint Sheela, in<br />

ihrem Sessel sitzend, schon einen Text für die Lektüreeinheit<br />

scannend. Sie nimmt die Scanbrille ab und schaut mich fragend<br />

an: „Na, was ist denn los heute Morgen? Hast du mal<br />

wieder geträumt? Stell mal lieber Filmgeschichte ein, dann bist<br />

du traumhaft auf die Lektüreeinheit vorbereitet.“ Ich starre Sie<br />

nur an. Was habe ich auch erwartet? Sheela ist eine Musterstudentin<br />

und würde nie an dem Auswahlhebel für den Traummodus<br />

herumspielen. Trotzdem verstehen wir uns gut. „Ich weiß<br />

doch“, sage ich leicht genervt. „Das System hat mich gestern<br />

Abend auch schon darauf hingewiesen. Du scannst schon wieder<br />

fleißig?! Ich habe noch nicht mal richtig auf meine To-Do-<br />

Liste geschaut.“ Nebenbei tippe ich im Navigationsmenü an<br />

der Wand auf „Text“. Die Klappe in der Decke geht auf und die<br />

Scanbrille fällt in meinen Schoß.<br />

Ich setze sie kurz auf, ein Text zu „Star Wars“ flitzt an meinen<br />

Augen vorbei. Gelangweilt nehme ich sie wieder ab. Mir ist gerade<br />

eingefallen, weshalb das System mir den blauen Overall<br />

vorgeschlagen hat: „Gestern ist mir was echt Blödes passiert.“<br />

Sheela runzelt skeptisch die Stirn. „Ich war mit dem Citycruiser<br />

unterwegs und habe den Autopiloten ausgeschaltet. Ohne<br />

macht es mehr Spaß! Beim Einparken habe ich dann das Eingangstor<br />

meines Nachbarn gerammt. Jetzt ist eine Delle drin<br />

und dafür entschuldigt habe ich mich auch noch nicht.“<br />

„Blick in die Zukunft“<br />

Ich schaue auf die leuchtendroten Wörter auf meiner Liste.<br />

Deutlich blinkt mir „Reparatur und Entschuldigung“ entgegen.<br />

Sheela stöhnt kurz: „Dass du auch immer so unvernünftig sein<br />

musst! Bleib doch einfach mal in deinem Life-Room. Du siehst<br />

ja, mir passiert so ein Mist nie. Hast du dich schon informiert,<br />

wie man eine Delle repariert?“ Mein fragender Blick lässt darauf<br />

schließen, dass ich das natürlich noch nicht getan habe. Es ist<br />

echt ‘ne harte Strafe, einem den Assistenzroboter wegzunehmen.<br />

Jetzt muss ich das selbst reparieren. Das System erinnert<br />

mich an einen weiteren unangenehmen Punkt: „Sie haben noch<br />

fünf Minuten bis zum Beginn der Lektüreeinheit. Bitte scannen<br />

Sie Ihre Textinformationen.“<br />

Nun setzt pünktlich die Wirkung des Koffeins ein und ich bin<br />

bereit, mich auf den Text zu konzentrieren. „Willst du nach der<br />

Einheit zu mir kommen? Und wir versuchen das gemeinsam?<br />

Täte dir auch mal ganz gut, deinen Life-Room zu verlassen!“<br />

Wir setzen unsere Scanbrillen auf. „Die Lektüreeinheit beginnt.<br />

Sie werden mit Ihren Kommilitonen und dem Professor für<br />

Filmgeschichte vernetzt“. An der Wand erscheinen meine 25<br />

Mitstudierenden und ein Herr im weißen Overall. Alle haben<br />

schon ihre Scanbrillen auf und der Professor fängt pünktlich<br />

an, den Text zu kommentieren, der über unsere Brillengläser<br />

schnellt. n


Von Anja Fischer<br />

Let‘s get dressed for uter Space!<br />

Modevisionen aus Science-Fiction-Filmen<br />

antastische Hairstyles, hautenge<br />

Overalls und nietenbesetzte<br />

Schulterpolster – wo<br />

jetzt der Realist nüchtern die<br />

Nase rümpft, bekommt der Science-<br />

Fiction-Fan schon feuchte Hände.<br />

Doch wer glaubt, Space-Wear sei<br />

nur was für echte Raumschifffahrer,<br />

hat falsch gedacht.<br />

Denn die Weltraum-Mode<br />

ist eine Wissenschaft für sich<br />

(auch wenn dem Thema auf Wikipedia<br />

noch kein Artikel gewidmet wurde). Betrachten<br />

wir die Science-Fiction-Fashion<br />

jeglicher Epochen genauer, finden wir<br />

modische Elemente sowohl aus der Vergangenheit,<br />

der Gegenwart als auch der<br />

Zukunft. Denn Space-Couture bedeutet<br />

das Aufleben vergangener Visionen. So<br />

wurde das Grundkonzept, der körperbetonten<br />

und<br />

strengen Klamotten der<br />

Sci-Fi-Protagonisten,<br />

stets mit aktuellen<br />

Modeerscheinungen<br />

verknüpft: Stehkragen<br />

Anfang des<br />

Zwanzigsten Jahrhunderts,<br />

Minirock in den 60ern und<br />

bauchfreie Tops in den 90ern.<br />

Tatsächlich existiert die innovative<br />

Mode der Zukunft nämlich<br />

bereits seit mehr als einem Jahrhundert.<br />

Und wem verdanken<br />

wir das? Jules Verne, dem Vater<br />

der Science-Fiction. Sein Roman<br />

„De la terre à la lune“ von 1865<br />

(in Deutschland 1873 unter dem Titel<br />

„Von der Erde zum Mond“ veröffentlicht)<br />

schlug ein wie eine Bombe,<br />

oder besser gesagt wie ein Meteorit.<br />

Die Idee vom Weltraumreisenden hat<br />

sich seitdem in den Köpfen der Menschen<br />

verankert und nahm schließlich mit dem<br />

Aufkommen des Films konkret Gestalt an.<br />

In Anbetracht dessen wird klar: Auch die<br />

Oma hätte schon in einem hautengen Overall<br />

die Straßen rocken können. Doch ich<br />

vermag mich spontan nicht an meine Oma<br />

in einem superstraffen Körpersuite zu<br />

erinnern. Dennoch: Die Stereotypen<br />

der Science-Fiction-Fashion<br />

haben sich von Beginn an bei den<br />

Filmemachern durchgesetzt.<br />

Schon mit den ersten Stummfilmen<br />

kamen Sci-Fi-Streifen<br />

ins Kino. Georges<br />

Méliès gilt mit seinem<br />

Film „Die Reise zum Mond“ aus<br />

dem Jahre 1902 als absoluter Pionier.<br />

Inspiriert von Jules Verne,<br />

werden hier zum ersten Mal in der<br />

Menschheitsgeschichte Außerirdische im<br />

Outer Space gezeigt: in engen Strumpfhosen<br />

und abstehenden Metallspitzen.<br />

Kontinuierlich wurde der stereotype<br />

Dresscode von Generation zu Generation<br />

weitergetragen. Doch seine wahre<br />

Blüte erlebte der abgespacede Weltraum-Fummel<br />

erst in den 60er Jahren<br />

mit dem ‚Wettlauf ins All‘. So sieht man in<br />

„Planet der Affen“ (1968) die Astronauten im<br />

hautengen Overall, ganz in weiß. Hier ist von<br />

Innovation die Rede: Man hatte sich zum Ziel<br />

gesetzt, alte Konventionen aufzubrechen und<br />

den Körper zu betonen. Gleichzeitig wollte man<br />

aber beim Vertrauten bleiben. - Typisch für die<br />

Mode in Science-Fiction-Filmen: neuartig und<br />

trotzdem gegenwartsbezogen.<br />

Kulturbeute<br />

Typisch für die Mode in Science-Fiction-Filmen:<br />

neuartig und trotzdem gegenwartsbezogen<br />

Im nächsten Jahrzehnt wurde es dann bahnbrechend im Weltraumsektor<br />

und eine wahre Sci-Fi-Religion entstand - denn ab<br />

sofort regiert „Star Wars“ die Kinoleinwände dieser Welt. Stylisch<br />

verpackte Actionhelden präsentieren weiterhin enge und<br />

einfarbige Outfits. Die Kleidung zeigt ab den 70ern auch viele<br />

futuristisch anmutende Plastik-Elemente auf. Wenn man nun<br />

aber mal überlegt, was der Ritter des 15. Jahrhunderts getragen<br />

hat, wird sichtbar, dass sich der Sci-Fi-Dresscode von der<br />

Vergangenheit inspirieren lässt. „Star Wars“ ist und bleibt das<br />

Paradebeispiel des Space-Movies und kommende Filme haben<br />

sich stets an seinen Stereotypen orientiert. Was wir nun wirklich<br />

in Zukunft tragen werden (und ob wir überhaupt etwas<br />

tragen werden), das steht in den Sternen. n<br />

19


20<br />

Gut gerüstet?<br />

Klischees – es gibt sie überall. Auch vor Studierenden machen sie nicht halt. Wer kennt nicht<br />

die Vorurteile über den ‚typischen‘ Natur-, Sport- oder Wirtschaftswissenschaftler. Oder den<br />

MuKler. Wir haben schon mal Ausschau gehalten nach Mutationen, Exoten und anderen Zu-<br />

Von Michelle Sagner<br />

Studententypen<br />

von morgen<br />

Der NaWi<br />

2012<br />

2096<br />

mutungen, die uns in einigen Jahrzehnten heimsuchen könnten.<br />

Der Naturwissenschaftler wird von den einen als Genie gesehen, von der Mehrheit<br />

aber als Nerd. Mit zwischenmenschlichen Beziehungen hat er nicht viel am<br />

Hut, aber dafür gibt es ja Ersatz: das Internet. Trifft er sich doch mit echten<br />

Menschen, dann nur zu Lan-Partys oder gemeinsamen Tüftelstunden, denn dafür<br />

benötigt er kaum soziale Kompetenzen. Auch Chemiebaukästen oder seltene<br />

Insekten in Gläsern sind tägliche Begleiter, aber sie machen die Kontaktaufnahme<br />

zur Außenwelt nicht leichter. Modisch verhält sich der NaWi unauffällig bis<br />

schräg: gedeckte Farben, zu kurze Jeans und bunt bedruckte T-Shirts. Unverzichtbar<br />

sind die altmodische Brille und der Haarschnitt von Mutti.<br />

Zukünftig wird es der NaWi viel einfacher haben. Jahrhundertelang hockte er<br />

rätselnd in muffigen Räumen, jetzt er hat sie endlich gelöst: die Superformel.<br />

Sie ist die Antwort auf alle Phänomene der Welt und macht für den Naturwissenschaftler<br />

soziale Kontakte berechenbar. Nun ist er der Frauenversteher und<br />

kann mit den neuen Kompetenzen glänzen. Die Insektengläser mussten einer<br />

animierten 5-D-Show weichen, jetzt herrscht statt Ekel pure Faszination bei<br />

den Damen. Der olle Chemiebaukasten hat sich in ein hochmodernes High-<br />

Tech-Labor zur Duftherstellung verwandelt. Die künstlichen Pheromone ziehen<br />

auch die bislang desinteressiertesten Frauen scharenweise an. Der NaWi-Kodex<br />

untersagt es natürlich, all diese wertvollen Geheimnisse preiszugeben, weshalb<br />

die naturwissenschaftlichen Fächer überrannt werden. Vom Nerd zum angesagten<br />

Typen – der NaWi ist der Gewinner unserer <strong>Utopie</strong>!


Der MuKler<br />

2012<br />

2096<br />

Eine Gruppe MuK-Studierender kann man schon von weitem erkennen: ein bunter Haufen, der mit unverständlichen<br />

Worten wie Dolly oder Cam Cat um sich wirft, meistens weiblich, bepackt mit einer kompletten Kameraausrüstung.<br />

Die Eckdaten des bevorstehenden Videoprojekts werden schnell noch mal gecheckt - natürlich auf einem Macbook.<br />

In der Zukunft wird Apple für die MuK-Studierenden einiges bereithalten: Ein Smartphone, mit dem man nicht nur<br />

HD-Filme drehen kann, sondern auch gleich das eigene Schnitt- und Tonstudio immer bei sich trägt. Da der MuKler<br />

nun nicht mehr stundenlang in dunklen Studios herumsitzen muss, hat er noch mehr Zeit, um kreativ zu sein – zum<br />

Leidwesen seiner Mitmenschen. Alles und jeder wird gefilmt, immer in der Hoffnung, die Oscar-reife Story vor die Linse<br />

zu bekommen. Einmal ein gutes Team zusammengestellt, bekommt man ihn kaum ohne seine Crew zu Gesicht. Schaut<br />

man über diese kleinen Unarten hinweg, dann erkennt man, dass der MuKler das kreative Genie unserer <strong>Utopie</strong> ist.<br />

Der SpoWi<br />

2012<br />

2096<br />

Die Sportstudenten trifft man nie vor Mittag an, da sie ein freudiges Partyvolk sind. Trauen sie sich vorher aus dem<br />

Bett, dann nur in Jogginghose, auch wenn Sport absolut nicht auf dem Tagesplan steht. Die obligatorische Sonnenbrille<br />

auf der Nase kaschiert dunkle Augenringe – denn Regel Nr.1 besagt: Ein Sportstudent sieht immer gut aus. Auch<br />

die Sportstudentin trägt tagsüber meist Jogginghose und Kapuzenpulli, denn sie setzt auf den Überraschungseffekt:<br />

Nachts präsentiert sie ihren durchtrainierten Körper in einem knappen Kleidchen und ist damit garantiert der Hingucker<br />

des Abends!<br />

Der zukünftige SpoWi ist nur noch mit Sprungstelzen unterwegs, das sieht nicht nur gut aus, sondern ist<br />

auch zeitsparend. So hat er mehr Zeit für das Wesentliche des Lebens: Schlafen, Partys, Flirten. Um lästige<br />

Uniarbeit muss er sich nicht mehr kümmern, dafür hat er seinen vollautomatischen Unibot, der nicht nur<br />

zu Vorlesungen geht und Prüfungen schreibt, sondern auch der Oma zum Geburtstag gratuliert. Modisch setzt<br />

er nun auf hautenge Spezialkleidung, die den Anzügen der Superhelden ähnelt – damit ist der Sportwissenschaftler<br />

windschnittiger und kann ganz nebenbei seine Muskeln zeigen. Auch die Mädels im Cat- oder<br />

Wonderwoman-Outfit sind ein echter Blickfang! Leider birgt der Superheldenanzug keine besonderen<br />

Kräfte in sich, somit ist der SpoWi der Blender unserer <strong>Utopie</strong>!<br />

Der WiWi<br />

2012<br />

2096<br />

Die Wirtschaftswissenschaftler sind ein selbstbewusstes Volk: Lässig flanieren sie über den Campus, die Jungs immer<br />

mit Sonnenbrille auf den perfekt gestylten Haaren und hochgestelltem Poloshirtkragen. Die Mädels sind hübsch herausgeputzt,<br />

der Shopper hängt lässig in der Armbeuge, knallroter Lippenstift wird gern getragen. Bussi links, Bussi<br />

rechts, dann geht’s zusammen zur Vorlesung. Für die Multitasking-Talente ist es kein Problem, mit dem Coffee to<br />

go in der linken und dem schicken Smartphone in der rechten Hand, über den Homo oeconomicus zu fachsimpeln.<br />

Mit diesem Business-Look übt der WiWi schon mal für den Ernst des Lebens.<br />

In der Zukunft schwebt der WiWi-Student mit seinem Hoverboard über den Boden, für einen ultimativ coolen Auftritt<br />

auf dem Campus. Die dicke Armbanduhr an seinem Handgelenk sieht nicht nur schick aus, sondern ist Terminplaner,<br />

Handy und Laptop in einem. Schnell mal eine Website in die Luft projizieren oder mit einem Kommilitonen<br />

über die nächste Party quatschen, alles kein Problem. Die Kurzsichtigen werden vielleicht eher zur Google-Brille<br />

greifen, um die latest News zu checken und die angesagtesten Trends nachzulesen. So sind sie immer up-to-date<br />

und allen anderen einen Schritt voraus. Keine Frage, der WiWi ist der Technikfreak unserer <strong>Utopie</strong>!<br />

Gut gerüstet?<br />

21


22<br />

Kontrovers<br />

Wie durchsichtig möchten wir sein?<br />

Daten, Daten und nochmal Daten. Heutzutage ist das Fortbewegen in unserer medial ge-<br />

prägten Gesellschaft ohne die Nutzung und Freigabe unserer persönlichen Daten kaum mehr<br />

möglich. Ob nun beim Klamottenshopping im Internet oder bei der Nutzung unseres Smart-<br />

phones. Jeder will unsere Daten und wir geben diese meist auch bereitwillig her. Transpa-<br />

Von Luisa Mehl und Nina Tomaszewski<br />

renz ist das Gebot der Stunde. Jetzt und für alle Zeiten?<br />

ir schreiben das Jahr 2012. Die Frage, ob sich<br />

‚dieses Internet‘ überhaupt durchsetzen wird,<br />

die Anfang der 90er Jahre aufkam, ist längst<br />

beantwortet. Mobiler Datenaustausch ist heutzutage<br />

fast überall auf der Welt möglich, sogar<br />

im tiefsten Wald und am Strand, so suggeriert<br />

es zumindest die Werbung. Ein kleiner Tipp auf<br />

das Smartphone, ein kurzer Klick auf das Browsersymbol des<br />

Desktops und zack ist der Nutzer mittendrin in einem riesigen<br />

Meer von Fakten, Informationen und Werbung – seine Daten<br />

auch. Was genau geschieht mit ihnen? Wie transparent sind die<br />

Verfahren der Datenerfassung und -vermarktung?<br />

Zwei Seiten der „Datenmedaille“<br />

Das Thema der Datennutzung und Weitergabe ist nicht neu,<br />

erhält in Zeiten mobiler Kommunikation und sozialer Medien<br />

jedoch neue Brisanz. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter<br />

Schaar warnt davor, dass Internetkonzerne umfassend Profile<br />

ihrer User anlegen könnten. So müsse man vor allem bei<br />

Nutzung von Google-Diensten damit rechnen, dass aus Sucheinträgen<br />

umfangreiche Profile erstellt würden. Da stellt sich<br />

die Frage: Wie konnte das passieren? Es müssen zwei Seiten<br />

berücksichtigt werden: Erstens der Nutzer und zweitens die<br />

Anbieter. Der eine Nutzer macht seine Daten bewusst transparent,<br />

indem er sie bei sozialen Netzwerken wie Facebook,<br />

Twitter oder Google+ veröffentlicht bzw. einer Einwilligung der<br />

Weiter- und Freigabe seiner Daten zustimmt. Der andere Nutzer<br />

ist weder bei Facebook noch bei Google+ angemeldet und<br />

seine Daten werden trotzdem mithilfe von Statistiken und Einträgen<br />

bei Suchmaschinen gesammelt. Für den einen wie den<br />

anderen gilt die Warnung der Datenschützer vor kommerzieller<br />

Ausbeutung der erstellten Profile. Der User glaubt zu wissen,<br />

wem er seine Daten ‚schenkt‘. Was damit passiert, kann er aber<br />

oft nicht kontrollieren.<br />

Die zweite Seite betrifft die Datennutzung großer Firmen wie<br />

Payback, Facebook oder eben Google. Diese sammeln die Daten<br />

ihrer Nutzer und niemand weiß genau, ob oder wann und an<br />

wen sie weitergegeben werden. Die Nutzung der immer beliebter<br />

werdenden Apps auf Smartphones ist nicht ganz durchsichtig.<br />

Schnell ist die App heruntergeladen und die klitzekleinen<br />

Hinweise, was mit den Daten passiert, überlesen oder gar nicht<br />

vorhanden. Stiftung Warentest untersuchte die Datensicherheit<br />

bei 63 beliebten Apps für Smartphones. Darunter neun „sehr<br />

kritische“, 28 „kritische“ sowie 26 „unkritische“. Bemängelt<br />

wurde, dass die Details über das Kundenverhalten häufig an<br />

Datensammler wie flurry, Localytics und mobclix gehen. Diese<br />

analysieren und verknüpfen die Informationen und generieren<br />

daraus Kundenprofile, die auch für individuelle Werbung<br />

genutzt werden. Dazu gehören Passwörter sowie Inhalte von<br />

Adressbüchern mit echten Namen, realen Telefonnummern und<br />

E-Mailadressen. Ein weiteres Problem ist die Unübersichtlichkeit<br />

der meisten Datenschutzerklärungen, da sich die wenigsten<br />

User diese Textdinosaurier komplett durchlesen. Schnell ist<br />

ein Haken gesetzt, mit dem ich Anderen gestatte, über meine<br />

Daten zu verfügen. Vielleicht sollten die Nutzer einfach eine<br />

Vereinfachungserklärung dieser extrem langen und verwirrenden<br />

Erklärungen verlangen.<br />

Asymmetrie der Transparenz<br />

Vergleicht man die beiden Seiten, fällt auf, dass<br />

das Verhältnis Nutzer/Firmen ungleichgewichtig ist.<br />

Die Nutzer-Daten sind transparent, die Firmen-Strategien<br />

sind es nicht. Obwohl Letztere mit Transparenz werben. Die<br />

üblichen Erklärungen gaukeln dem Kunden Sicherheit vor, bieten<br />

diese bei präziser Analyse aber nicht. Im Moment sitzen wir<br />

als User und als Lieferant von persönlichen Informationen für<br />

die großen Internet-Firmen zwischen den Stühlen. Wir können<br />

unsere Daten nicht nicht preisgeben, da diese uns mittlerweile<br />

viele Türen öffnen, die uns sonst verschlossen blieben. Wir<br />

müssen uns bewusst machen, dass unsere individuellen Merkmale<br />

— ob nun mit oder ohne Datenschutzerklärung — nie<br />

ausschließlich dort landen, wo wir sie vermuten.


Rückblick:<br />

15 Jahre NeuroModule<br />

(2003-2018)<br />

Kaufen und genießen. Wie hat man das denn damals gemacht?<br />

Vor einigen Jahren musste man noch umständlich<br />

seinen Kaffee bei der Servicekraft bestellen und bezahlen.<br />

Selbst Online-Shopping war ein wahnsinniger Aufwand!<br />

Nutzerprofile wurden noch über Suchanfragen bei Google<br />

und anderen Suchmaschinen erstellt. Der Kunde musste<br />

sich seine ‚Einkaufsliste‘ selbst zusammenstellen, bestellen<br />

und eine Überweisung tätigen. Eine Zeitverschwendung<br />

sonder gleichen. Ganz klar: Es musste sich etwas verändern!<br />

Bereits im Jahre 2003 entwickelte die NASA neben Speicherchips<br />

für persönliche sowie finanzielle Daten der Konsumenten<br />

auch neuro-elektronischen Sensoren, die in der<br />

ersten Forschungsphase Herzschlag und Hirnströme lesen<br />

und an einen Empfänger leiten konnten. Damals wurden<br />

die Sensoren noch entwickelt, um Terroranschläge auf<br />

Flughäfen vorzubeugen. Aus unbekannten Gründen wurde<br />

die Forschung relativ schnell wieder eingestellt. Die Sensoren<br />

kamen nie auf den Markt. Eine Weiterentwicklung<br />

gab es erst Anfang 2015. Die NASA nahm ihre Forschungen<br />

offiziell wieder auf, kooperierte mit IBM und begann<br />

die Speicherchips mit den neuro-elektronischen Sensoren<br />

zu verbinden. NeMo, so der Name dieses Moduls, konnte<br />

nicht nur die Hirnströme lesen, sondern diese auch schon<br />

verbalisieren. Der Durchbruch gelang Ende besagten Jahres.<br />

NeMo hat unsere Gesellschaft in einem Maße weiter<br />

gebracht, wie keine menschliche Entwicklung zuvor.<br />

Sowohl die NASA als auch IBM waren inzwischen nicht<br />

mehr daran interessiert, die Menschheit vor Terroranschlägen<br />

zu bewahren. Dieses Problem wurde mit dem flächen-<br />

deckenden Einsatz von Scanner-Drohnen auf Plätzen,<br />

Flughäfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln bereits gelöst.<br />

Beide Institutionen stellten ihre Entwicklungen nun<br />

der Werbeindustrie und Konsumförderung zur Verfügung.<br />

Amazon sprang sofort auf und bot seinen aktivsten Kunden<br />

ab Ende 2015 an, die Kosten für die Einpflanzung<br />

von NeMos zu übernehmen, wenn diese einen mehrjährigen<br />

Vertrag unterschrieben.<br />

Der Clue der Chips: Amazon sparte sich ab sofort, die<br />

Suchprotokolle der Kunden einzuspeisen und der Kunde<br />

sparte sich die aufwendige Suche nach Produkten,<br />

die Bestellung und die Überweisung. Zunächst ging die<br />

Rechnung der Konzerne nicht ganz auf. NeMo wurde nur<br />

zögerlich angenommen. Erst mit einer Erweiterung des<br />

Wirkungskreises auf den Raum außerhalb des Internets<br />

kam der Durchbruch:<br />

Cafés, Einkaufs-Zentren und Supermärkte installierten<br />

Reader, die NeMo auslesen konnten. Die Aussicht darauf,<br />

nicht nur bargeldlos, sondern auch ohne Kreditkarte<br />

einzukaufen – heute eine Selbstverständlichkeit – wurde<br />

begeistert angenommen. Dank der direkten Verlinkung<br />

zum Bankkonto würde sich der Kaffee beim Verlassen des<br />

Etablissements nun endlich von allein bezahlen. Für uns<br />

kaum noch nachvollziehbar ist die Sorge um Verlust von<br />

Geldbörse, Kreditkarte oder Personalausweis, die vor Einführung<br />

des Chips allgegenwärtig war.<br />

In Amerika war die Einpflanzung von Neuro-Sensoren von<br />

Beginn an kein großes Thema gewesen. Dass dies im europäischen<br />

Raum von den Regierungen zunächst rigoros<br />

abgelehnt wurde, hat dort niemand wirklich verstanden.<br />

Doch mit dem rapiden Anstieg der Nachfrage sah sich<br />

auch Europa gezwungen, die Reglementierungen zu lockern.<br />

Die hohen Gewinne der beteiligten Unternehmen,<br />

die die US-amerikanischen Börsen täglich verkündeten,<br />

dürften ihren Teil dazu beigetragen haben.<br />

Hinzu kamen die regelmäßigen Massendemonstrationen,<br />

auf denen Menschen verschiedenen Alters europaweit die<br />

Genehmigung von NeMos forderten. Sie empfanden die<br />

Einschränkung der Entscheidungsfreiheit und die fehlende<br />

Selbstbestimmung als unerträglich und setzten sich massiv<br />

dagegen zur Wehr. Ihrem Einsatz verdanken wir, dass das<br />

Leben durch NeMo viel einfacher geworden ist. Einkaufen,<br />

Verreisen und medizinische Versorgung — alle Daten sind<br />

in uns. Egal, wo wir sind, dank fest installierter Reader in<br />

Einkaufs-Zentren ist bezahlen heutzutage kein stressiges<br />

Unterfangen mehr. Es gab einen Unfall? Daten von mobilen<br />

Readern der Rettungsdienste garantieren schnelle und<br />

zuverlässig medizinische Versorgung. Warum wollten die<br />

Menschen ihre Daten damals eigentlich verstecken? n<br />

Kontrovers<br />

23


24<br />

Essay<br />

Von Katja Wernicke<br />

Zukunft mit ohne Technik?<br />

Die Google-Brille befreit - Wer will schon selber denken<br />

uturistische Filme wie Star Trek & Co. haben ihre Vision<br />

der technisierten Zukunft schon Mitte des 20.<br />

Jahrhunderts auf die Mattscheibe geworfen: Lebensdurchdringende<br />

und allumfassende Technik, die uns zwar<br />

ständig umgibt, aber nur in den seltensten Augenblicken als<br />

revolutionäre Erscheinung des Alltags wahrgenommen wird.<br />

Was damals als visionäre <strong>Utopie</strong> erschien, hat heute mit Smartphone,<br />

Laptop, Tablet oder MP3-Player längst Einzug in unser<br />

Leben gehalten. Doch Kabelwust, wunde Finger und Ohren<br />

sowie blinkende Lämpchen gehören bald der Vergangenheit<br />

an, denn das bekannte Suchmaschinen-Imperium Google<br />

schafft Abhilfe: Wissenschaftler arbeiten aktuell unter Hochdruck<br />

an der sogenannten Google-Brille, die durch Projektionen<br />

im Sichtfeld die Realität erweitern soll – die sogenannte<br />

„augmented reality“. Das zukünftige Gestell auf der Nase kann<br />

Wirklichkeit und Virtualität miteinander verschmelzen lassen,<br />

indem praktische Navigationshinweise, (Video-) Chatanfragen,<br />

Arbeitsdokumente, Telefongespräche oder Terminplaner den<br />

modernen User mit Inhalten versorgen. Und das alles, während<br />

die Medientheorie-Vorlesung läuft. McLuhan lässt grüßen.<br />

All das liegt nicht mehr in ferner Zukunft, denn der Unternehmensriese<br />

arbeitet in seinen heiligen <strong>Halle</strong>n bereits an den<br />

entsprechenden Techniken. Das Hardware-Projekt „Google<br />

Compute Engine“ hält die verschiedensten Neuerungen für<br />

uns bereit: Suchanfragen funktionieren per Sprachsteuerung,<br />

für die nötige Orientierung sorgt die geografische, weltumfassende<br />

Datenbank „Knowledge Graph“ und mittels bekannter<br />

Dienste wie „Calender“ vergisst man dann mit Sicherheit<br />

keinen einzigen Termin mehr. Ganz zu schweigen von dem<br />

neuen Alltags-Assistenten „Now“, der unseren gesamten Tagesablauf<br />

plant. Somit schafft es das leicht und komfortabel<br />

zu tragende Titanaccessoire, Google aus dem Internet direkt<br />

auf unsere Nase zu katapultieren. Und vielleicht auch direkt<br />

in unsere Köpfe?<br />

Eine solche Brille, die im Gegensatz zur herkömmlichen Sehhilfe<br />

bewusst wahrgenommen werden soll, schafft nicht nur<br />

Kommunikation, sondern verhindert diese zugleich in zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen. Schwer vorstellbar, dass ein<br />

Gerät, das dazu gedacht ist, in unserem Gesicht permanent<br />

Platz zu nehmen, die breite Masse anspricht. Die Vision des<br />

Google-Mitbegründers Sergey Brin ist jedoch recht deutlich:<br />

„Es wird in ein paar Jahren merkwürdiger aussehen, wenn<br />

Leute im Gehen die ganze Zeit auf ihr Smartphone schauen.“<br />

Kommt diese Technik tatsächlich, wird sie aller Voraussicht<br />

nach mit individualisierter Werbung und vorsortierten<br />

Informationen noch direkter in unsere Entscheidungsprozesse<br />

eingreifen als bisher. Vorwürfe von Datenschützern oder „Realitätsverfechtern“<br />

weist das in Mountain View ansässige Unter-<br />

nehmen jedoch konsequent zurück. Trotz Hightech-Brille soll<br />

die Welt immer noch persönlich erkundbar sein und die bisherigen,<br />

menschlichen Eigenschaften positiv erweitern. Doch<br />

man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass unsere<br />

Denk- und Herangehensweisen durch die neue Informationsflut<br />

von Grund auf verändert werden würden. Denn von Marshall<br />

McLuhan wissen wir: „The medium is the message“.<br />

Werden wir in Zukunft so aussehen?<br />

Ständige Informationsverarbeitung bedeutet auch eine zeit-<br />

intensive Auseinandersetzung und die fortschreitende Vertreibung<br />

der Zivilisation in die Abgeschiedenheit der Google-<br />

Welt, weg von persönlichen Wahrnehmungen und Emotionen.<br />

McLuhans Argument von einem menschlichen „Wesen mit einem<br />

tiefgründigen Gespür dafür, dass er in allen Bereichen mit<br />

der gesamten Menschheit verflochten ist“, klingt zwar ganz<br />

nett, aber will man das wirklich? Sind wir bereit für ständige<br />

Vernetzung, Informiertheit und Erreichbarkeit, eine fortschreitende<br />

Deinvididualisierung und Verfügbarkeit in Kauf zu<br />

nehmen? Im Gegensatz zur Google-Brille brauchen wir unsere<br />

Auszeit, damit unsere Software nicht durchbrennt. Nicht nur<br />

meine Augen sind dankbar, sondern auch mein Gedankenschatz,<br />

wenn die „augmented reality“ nicht 16 Stunden am<br />

Tag aktiv ist. Die einfache Realität genügt mir zumeist.<br />

Bleibt die Frage, wie weit eine solche Entwicklung noch gehen<br />

könnte: Brillen stören einen irgendwann, wenn die Gläser<br />

beschlagen oder sie von der Nase rutschen. Praktischer wären<br />

da Kontaktlinsen, aber immer in die Augen fassen ist auch<br />

unschön. Da bietet sich ein Chip, der direkt in den Kopf implementiert<br />

wird, wunderbar an. Einmal eine OP vollziehen und<br />

sich nie wieder eigene Gedanken machen müssen … n


STUDIEREN<br />

& LEBEN<br />

Interview MuK-Studentin unterwegs im Filmbusiness | Indoor Anker FM - Studie-<br />

rende On Air | Cultural Hacking | Outdoor Alles für das liebe Geld | Weit Weg Von<br />

Stereotypen und Bettwanzen | Meinung Sexy-Anhalt | Impressum | Dates Termine<br />

im WiSe 2012/13<br />

25


26<br />

Interview<br />

MuK-Studentin unterwegs im Filmbusiness<br />

Kathleen Döbbel arbeitete am Set des Autorenfilms „Die Kriegerin“ als Praktikantin der<br />

Aufnahmeleitung. Für ein neues Projekt ging sie als Regieassistentin und Casterin nach Los<br />

Angeles. Die 27-jährige Magister-Studentin spricht über ihre ersten Projekte in <strong>Halle</strong>, ihre<br />

Das Interview führte Swantje Kasper<br />

Erfahrungen beim Film und die Kinokultur in L. A.<br />

Kathleen, wolltest du schon immer Medien- und Kommunikationswissenschaften<br />

studieren?<br />

Da ich mich für sehr viele Themengebiete interessiere, hatte<br />

ich zahlreiche Berufswünsche: Kriminalpsychologin, Ärztin,<br />

Agrarwissenschaften studieren und Bäuerin werden oder als<br />

Journalistin arbeiten. Also eine recht breite Spanne. Ich habe<br />

mich dann für das MuK-Studium entschieden, weil sich damit<br />

die Möglichkeit ergab, in alle genannten Bereiche hinein<br />

zu schnuppern. Auch die Schulzeit prägte meinen beruflichen<br />

Werdegang. Schon damals nahm ich Vorträge auf Video auf,<br />

erfand Produkte und entwickelte Werbespots.<br />

Inwieweit hast du dich im MuK-Studium mit Praktika und<br />

Projekten engagiert?<br />

Auch über das Studium hinaus habe ich mich für Projekte engagiert,<br />

viele viele Praktika absolviert. Ich habe stets versucht,<br />

die Theorie mit der Praxis zu verbinden und in allem, was ich<br />

tue, einen Sinn zu sehen. Meine erste Praktikantenstelle hatte<br />

ich bei Radio Corax. Es folgten Stationen wie Radio Brocken<br />

und der MDR. Interessant war dabei der Unterschied zwischen<br />

„Ohne Teamarbeit im Film geht gar nichts. Zwar<br />

gibt es Hierarchien, jedoch müssen alle an einem<br />

Strang ziehen“<br />

Kathleen Döbbel<br />

dem freien, öffentlich-rechtlichen sowie privaten Hörfunk. Zum<br />

Film bin ich aber durch Radio Corax gekommen. Ein Tonmeister<br />

bot mir an, den Ton bei „Liebeslied“ (Kinospielfilm/ZDF Kleines<br />

Fernsehspiel 2007) zu angeln. Ich war eine Exotin am Set, denn<br />

welches Mädchen wollte schon mit Tontechnik arbeiten? Obwohl<br />

mir zum ersten Mal bewusst wurde, wie aufwendig solch<br />

eine Filmproduktion eigentlich ist, hatte mich der Film in seinen<br />

Bann gezogen.<br />

Wie hast du den Job bei der Aufnahmeleitung und als<br />

Casterin gefunden?<br />

Eigentlich durch den Film „Die Kriegerin“ (Kinospielfilm/ ZDF<br />

Kleines Fernsehspiel 2011). Angestellt war ich in der Set-Aufnahmeleitung<br />

und habe mich unter anderem um die jugendli-<br />

Kathleen Döbbel<br />

Geboren: 1984 in Atzendorf.<br />

Hat bisher an folgenden Projekten<br />

mitgewirkt: „Liebeslied“<br />

(2007), „Gangs“ (2008), „Invasion“<br />

(2010), „Die Kriegerin“<br />

(2011), „Evil Date“ (2011), „Der<br />

weiße Hummer“ (2012)<br />

chen Hauptdarsteller gekümmert. Besonders meine Verbindung<br />

zu den zwei afghanischen Jungs, die erst wenige Monate in<br />

Deutschland lebten, war für den Regisseur sehr wichtig. Er übertrug<br />

mir Aufgaben, die sonst eine Regieassistenz übernimmt.<br />

Somit schaffte ich den Spagat zum Regiedepartment. Das Beste,<br />

was mir passieren konnte! Der Regisseur David Wnendt erhielt<br />

den MFG-Star auf dem Filmfest in Baden-Baden. Der Preis<br />

umfasste ein Stipendium in der Villa Aurora in Los Angeles.<br />

Aufgrund der tollen Zusammenarbeit bei der „Kriegerin“ hatte<br />

mich David zu diesem Zeitpunkt schon für ein neues Projekt<br />

ins Boot geholt. Und er nahm mich mit nach L. A., jippi! Bei<br />

unserem neuen Projekt, einer Romanverfilmung, arbeite ich als<br />

Regieassistentin und Casterin. (Projekt derzeit noch geheim;<br />

Anm. d. R.)<br />

Mit welchen Erwartungen bist du an den Job im Film „Die<br />

Kriegerin“ gegangen?<br />

Meine Erwartung war, ganz viel zu lernen. Ich fand die Thematik<br />

spannend, wie der Film ästhetisch umgesetzt wird und die<br />

Dreharbeiten verlaufen. Hinzu kam, dass „Die Kriegerin“ in unserer<br />

Region, in Wolfen-Bitterfeld, gedreht wurde. Ich habe mir<br />

das Projekt genau ausgesucht, alles andere hab ich dann auf<br />

mich zukommen lassen und wollte einfach meine Aufgaben<br />

zu vollster Zufriedenheit erfüllen. – In dem Film geht es um<br />

ein rechtsextremistisches Mädchen, das versucht, ihr Leben zu<br />

ändern. Mit dem sensiblen Film, der im Sommer 2010 gedreht,<br />

2011 auf Festivals gespielt wurde und dieses Jahr schließlich in<br />

die Kinos kam, reichte David Wnendt seinen Diplom-Film ein<br />

und gewann den deutschen Filmpreis. Ich finde, dass der Film<br />

sehr gut gelungen ist, denn er nimmt den Zuschauer so emotional<br />

mit, dass er am Ende sogar Empathie für die rechtsextreme<br />

Hauptfigur entwickelt. Und gerade das ist das Erschreckende<br />

und zugleich Faszinierendste.


Wie war die Arbeitsatmosphäre am Film-Set?<br />

Ohne Teamarbeit im Film geht gar nichts. Zwar gibt es Hierarchien,<br />

jedoch müssen alle an einem Strang ziehen. Teamarbeit<br />

ist wie ein großes Uhrwerk, wo sich oben ein stattliches<br />

Zahnrad befindet. Weiter unten folgen mehrere kleine Räder,<br />

die aber alle ineinander greifen. Und erst dann funktioniert die<br />

Uhr. Ich kannte beim Dreh zunächst niemanden. Jedoch waren<br />

alle bemüht, effektiv zusammenzuarbeiten. Gut war auch, dass<br />

das gesamte Team auch außerhalb des Drehs Zeit zusammen<br />

verbrachte. Nach den 35 Drehtagen von „Die Kriegerin“ entstanden<br />

zahlreiche Freundschaften sowie Kontakte für weitere<br />

Projekte. Ich möchte die Zeit nicht missen.<br />

Wie lange warst du in L. A. und hattest du auch Zeit, dir<br />

die Gegend anzusehen?<br />

Ich war insgesamt sechs Wochen da, wovon<br />

fünf wie ganz normale Bürotage verliefen<br />

und die letzte Woche zum Reisen<br />

genutzt wurde. Ich war bisher noch nie<br />

wirklich weit weg von meinem Heimatort<br />

Atzendorf gewesen. Aber das hat mich<br />

auch wenig gereizt. Ich hatte immer viele<br />

Pläne: Lehrgänge besuchen, Tanzkurs,<br />

Motorrad-Fahrschule und Ferienfreizeiten<br />

organisieren. Der Regisseur von der „Kriegerin“<br />

fragte mich, ob ich nicht nach L. A.<br />

mitkommen möchte und natürlich konnte<br />

ich nicht nein sagen. Es war Zeit für<br />

mich, die große Welt zu entdecken. L. A.<br />

hat nicht so einen Großstadtcharakter wie<br />

Berlin. Da geht es entspannter und idyllischer<br />

zu. Das Meer ist gleich um die Ecke<br />

und die Gebäude gehen eher in die Breite<br />

als in die Höhe. Für mich als Landei genau<br />

das Richtige! Kinobesuche standen ganz<br />

oben auf der To-Do-Liste. Die Kinokultur<br />

ist in Amerika ja eine ganz andere. Die<br />

Stimmung war ausgelassen. Wenn geweint<br />

wurde im Film, weinten auch die Zuschauer;<br />

lachten die Schauspieler, so lachte<br />

auch das Publikum. Schon beim Vorspann<br />

applaudierten die Zuschauer. Es war unglaublich.<br />

Zudem gibt es in Hollywood<br />

tolle Arbeitsutensilien fürs Set. Auch ich musste mir unbedingt<br />

so eine grandiose Gürteltasche kaufen. Zudem gibt es spezielle<br />

Bücherläden rund um den Film, unter anderem zu den Themen<br />

Dialoge schreiben und Regieassistenz. So etwas findet man<br />

nicht in Deutschland.<br />

Wie lief ein ganz normaler Arbeitstag in L. A. ab?<br />

Los ging es immer 7 Uhr früh. Ich habe mich an den PC gesetzt<br />

und recherchiert, besonders in Modeblogs. Blogs sind sehr<br />

hilfreich, um sich in verschiedenen Jugendkulturen umzusehen:<br />

Welche Mode passt zu den einzelnen Szenen? Welche Mädchen<br />

aus dem deutsch-sprachigem Raum wären die Neuentdeckung<br />

für eine Rolle? Am Anfang hat es ewig gedauert, geeignete In-<br />

Drehmomente von „Die Kriegerin“; Regissseur<br />

David Wnendt beim Verfassen des neuen<br />

Drehbuchs in L. A. (von oben nach unten)<br />

formationen und Personen aufzulisten. Dann hatte ich eine riesige<br />

Datenbank, über die ich Kontakte knüpfen konnte. Allgegenwärtig<br />

war natürlich auch die Diskussion der Thematik und<br />

der Umsetzung des Films. Wenn es Fachfragen gab, dann war<br />

es meine Aufgabe, alles zu recherchieren. Schließlich war um 17<br />

Uhr Feierabend und wir konnten die Stadt erkunden.<br />

Welcher Unterschied besteht zwischen Regieassistenz und<br />

Casting?<br />

Der Regieassistent wird in der Regel erst sechs bis acht Wochen<br />

vor dem Dreh ins Projekt involviert. Er bereitet sich auf die organisatorischen<br />

Dinge vor, liest das Drehbuch, durchdenkt das<br />

logisch, macht dazu Hauptauszüge und listet für jedes Department<br />

wichtige Details für den Dreh auf, kommuniziert zwischen<br />

allen Bereichen der Filmproduktion. Er<br />

versucht letztendlich die Kommunikation<br />

aufrecht zu halten und koordiniert alle Abläufe.<br />

Als Casterin bin ich schon vor allen<br />

anderen Teammitgliedern engagiert. Mit<br />

Hilfe von Rollendefinitionen vom Regisseur<br />

werden die passenden Darsteller gesucht<br />

und vorgeschlagen. Der Job der Casterin<br />

endet, wenn die Rollen besetzt sind.<br />

Konntest du Wissen und Erfahrungen<br />

aus dem MuK-Studium anwenden?<br />

Ja, sehr sogar, denn ich konnte theoretisches<br />

Wissen aus dem Studium nutzen.<br />

Filmanalyse, Wahrnehmungspsychologie,<br />

Schnittseminare, Rhetorik, Seminare zur<br />

Fehlkommunikation und zu journalistischem<br />

Schreiben haben dazu beigetragen,<br />

dass ich heute über ein breites Wissen verfüge,<br />

das ich im Bereich Film anwenden<br />

kann.<br />

Was konntest du aus den Projekten<br />

für die Zukunft mitnehmen?<br />

Ich weiß nun, dass ich erste Regieassistentin<br />

sein möchte. Mein absoluter Traumberuf.<br />

Ich bin sehr froh, etwas gefunden zu<br />

haben, wofür ich vor Leidenschaft brenne.<br />

Aber man darf auch nicht vergessen, dass es ein harter Job ist:<br />

Die Arbeitszeiten sind unregelmäßig, lang; die freie Wirtschaft<br />

spielt eine große Rolle; es gibt bei der Projektarbeit nicht die<br />

gleiche finanzielle Sicherheit wie in einem festen Job. Regieassistentin<br />

zu sein, ist sehr reizvoll, aber empfehlen würde ich<br />

es keinem (lacht). Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, sich<br />

selbst zu strukturieren, niemals den Faden zu verlieren und in<br />

schwierigen Situationen nicht in Panik zu verfallen. Prioritäten<br />

müssen gesetzt werden, denn alles soll am besten vorgestern<br />

geschehen. Zeitmanagement, Optimismus und ein wenig Gelassenheit<br />

sind hier gefragt. Und falls einem doch mal ein Fehler<br />

unterläuft, kann Teamarbeit es wieder wettmachen.<br />

Fortsetzung des Interviews auf Seite 34.<br />

Interview<br />

27


28<br />

Indoor<br />

Von Anne-Marie Holze<br />

enn das Semester anfängt, kehrt der routinierte<br />

Unialltag zurück. Seminare über Theorien, welche<br />

uns die Medienwelt erklären sollen, jedoch mehr Fragen<br />

aufwerfen als sie beantworten. Texte, in welchen<br />

wir die Überschriften unterstreichen, weil es uns suggeriert,<br />

etwas verstanden zu haben. Im Modul „Medienpraxis Audio“<br />

von Jun.-Prof. Dr. Golo Föllmer gingen wir das Thema Webradios<br />

mal nicht theoretisch an: Er machte uns den Vorschlag,<br />

ein eigenes, im Kollektiv erarbeitetes Radio in den Weiten des<br />

Internets zu erschaffen. Ein eigenes Radio kreieren? Das klang<br />

spannend und weckte unsere Neugier. Also, alle an Bord!<br />

Welche Zielgruppe haben wir? Wofür interessieren wir uns?<br />

Eine Crew von knapp 35 Radioneugierigen wollte ein Meer<br />

voller Möglichkeiten ausschöpfen und Aspekte betrachten, die<br />

Studierende wirklich ansprechen. So kreierten wir verschiedene<br />

Ressorts: Medienmagazine, musikalische Sendungen<br />

oder Uni-spezifische Themen. Auch die Idee für ein „Do-ityourself“-Sendeformat<br />

entstand in unseren Köpfen. In dessen<br />

Umsetzung wurde gekocht oder gebastelt und schließlich live<br />

on tape aufgenommen. Es gab es einen regelmäßigen Sendeplatz,<br />

der den Klang <strong>Halle</strong>s ins Radio brachte. Atmosphäre<br />

von der Peißnitzinsel oder O-Töne beim Public-Viewing der<br />

Europameisterschaft dokumentierten, wie sich die Saalestadt<br />

anhört. Nachts schlief das Radio. Buchstäblich fing es an zu<br />

schnarchen und erst mit dem Weckerklingeln am Morgen erwachte<br />

es wieder. Ob ernsthafte Interviews oder einzelne Geräusche,<br />

‚Kapitän’ Golo Föllmer schränkte unsere Kreativität<br />

nicht ein.<br />

Ein eigenes Radio kreieren? Das klang spannend<br />

und weckte unsere Neugier<br />

Anker FM – Studierende On Air<br />

Mit voller Kraft zum eigenen Webstream<br />

Bevor man so richtig loslegen kann, braucht ein Radiosender<br />

erst mal einen Namen. Verschiedene Kombinationen von Campus,<br />

Air, Time und Uni wurden probiert. Campus On Airtime?<br />

Campus Time? TimeAirCampusUniCampusAir? Überzeugt haben<br />

uns diese Zusammenstellungen alle nicht. Der Vorschlag<br />

„Anker FM“ kam vom Anglizismen-Gegner Bosse Klama: „Anker,<br />

da Ankerstraße, Saale, Wasser, unser MuK-Department<br />

eben!“ Schließlich war <strong>Halle</strong> mal eine Hansestadt und konnte<br />

daher getrost als unser Heimathafen bezeichnet werden.<br />

Doch ein guter Seemann lernt nur dazu, wenn er gewohntes<br />

Gefilde verlässt und sich auf offene See traut. So hieß<br />

es für uns am 18. Juni Sendestart. Der war eigentlich schon<br />

zwei Wochen eher angesetzt, aber auch wenn wir hochmotiviert<br />

und engagiert waren, hatten wir uns doch im Netz<br />

der Planereien verheddert. Einmal aus diesem befreit, lief ab<br />

Sendestart jeden Tag ein neuer Beitrag On Air, dazu kamen<br />

Wiederholungen. Fast täglich gab es einen anderen an Bord,<br />

der die Playlists zusammenstellte. Die Liebe zu Disney-Liedern<br />

oder 80er-Jahre-Musik wurde ausgelebt und vom Nächsten<br />

mit Metall-Tönen oder Electrobeats abgelöst. Ein Zweierteam<br />

kümmerte sich um die Gema- und GVL-Rechte; es brachte<br />

schließlich mithilfe des Fachschaftsrates das Schiff in Fahrt.<br />

Jun.-Prof. Dr. Golo Föllmer besprach alle<br />

Entscheidungen mit den Studierenden<br />

Unser Sendeplan war ausgefeilt, unsere Aufgabenverteilung<br />

leider nicht. Ungenaue Absprachen zwischen Redaktionsmitgliedern<br />

rissen ein Leck – das gefürchtete Sendeloch. Totaler<br />

Schock, das passierte uns nicht noch einmal. Nach vielen<br />

investierten Wochenstunden schwammen wir uns frei. Immer<br />

mehr Redaktionen trauten sich an Live-Sendungen heran und<br />

verkürzten damit zwar die Vorbereitungszeit, aber nicht den<br />

Spaß. Engagiert wurde weiter über Inhalte diskutiert, vor allem<br />

aber musste Anker FM bekannter werden. Die Web-Beauftragte<br />

Dora Osinde hisste die Flagge unseres Senders im Internet<br />

und bei Facebook. Dort teaserte jedes Redaktionsteam die<br />

kommende Sendung an und war für die eigene Repräsentation<br />

verantwortlich. Uniweit wurden Plakate ausgehängt, die möglichst<br />

viele Kreative ins Boot holen sollten. Im Wintersemester<br />

wird Anker FM im Modul „Schreiben für die Medien“ mit dem<br />

Seminar „Schreiben fürs Hören“ von den Drittsemestern fortgeführt.<br />

Klar ist es anstrengend und kostet manchmal Nerven, solch ein<br />

Projekt zu betreiben. Der Schönheitsschlaf fällt kürzer aus und<br />

die angefangenen Hausarbeiten bleiben liegen. Dennoch kann<br />

ich jedem nur raten mitzumachen, mitzulernen und sich auszuprobieren.<br />

Ein eigenes Produkt erschaffen zu haben, hinterlässt<br />

nämlich vor allem eins – ein gutes Gefühl! n


Von Nina Tomaszewski<br />

ch verstehe mich als Studentin. Sowohl als wissenschaftlich<br />

Arbeitende, als auch als künstlerisch Schaffende. Das<br />

klingt vielleicht hochtrabend, doch jeder einzelne Beitrag,<br />

sei es ein Hörspiel, ein Kurzfilm für ein praktisches Seminar,<br />

eine Fotografie oder dieser Text, ist ein Werk. Manchmal<br />

auch ein Kunstwerk.<br />

Aktuell arbeite ich in Kooperation mit einer Freundin, die an<br />

der HTW Dresden ihren Bachelor-Abschluss macht, an einem<br />

Kurzfilm. Die Idee ist aus ihren Gedanken entsprungen, ich sitze<br />

an der Umsetzung. Beim Schnitt fällt mir dann Folgendes<br />

auf: In diesem Kurzfilm ist im Hintergrund wenige Sekunden<br />

lang ein Song zu hören, der von CD abgespielt wurde. Panik!<br />

Darf man das? Die aktuellen Urheberrechts-Diskussionen schießen<br />

mir in den Kopf. Ich denke an Urheberrechtsverletzung,<br />

Herzlichen Glückwunsch -<br />

im Outernet wäre das nicht passiert<br />

gesperrte YouTube-Konten und Abmahnungen. Mein Horror-<br />

szenario: Ich saß nun tage-, wenn nicht gar wochenlang im<br />

Schnittraum, bin endlich fertig, möchte das Video an die Öffentlichkeit<br />

bringen. Was wird mein erster Schritt sein? Richtig,<br />

ich lade es bei YouTube hoch. Kurz nachdem mein zitternder,<br />

lediglich von Koffein und Adrenalin gehaltener Finger auf den<br />

Upload-Button klickt: Rumms! Die GEMA sperrt mir mein mühsam<br />

konzipiertes, gefilmtes und zurecht geschnippeltes Werk.<br />

Wenn ich vor der Aufgabe stehe, etwas<br />

zu erschaffen, benötige ich Inspiration,<br />

einen Input, den ich verwerten kann.<br />

Das ist notwendig für den kreativen<br />

Prozess, in dem ich versuche, meine Umwelt<br />

zu begreifen und darzustellen. Mein<br />

Umfeld besteht zum großen Teil aus<br />

Menschen – Kommilitonen, Freunden,<br />

Familie oder Unbekannten auf<br />

der Straße. Hinzu kommt Musik –<br />

von der Platte, aus dem Radio oder<br />

aus meinem Mund. Und Bilder – ein Graffiti an einer<br />

Hauswand, ein Plakat, Ausstellungen, eine Kritzelei im Notizheft<br />

eines Kommilitonen. Das gehört wohl alles zum ‚Outernet‘<br />

– dem abgespeckten, aber immerhin stofflichen Pendant zum<br />

Internet, an dem sich heute so Vieles misst.<br />

So, wie ich auf die Straße heraustreten kann und von Eindrücken<br />

überfahren werde, kann ich auch – ‚klick‘ – das Browserfenster<br />

öffnen und im Rausch von Bildern, Tönen und<br />

Cultural Hacking<br />

Der kreative Tanz auf dem Vulkan<br />

Buchstaben untergehen. Stellenweise tritt es jedoch auf, dass<br />

dieser Rausch, das Rauschen, unterbrochen wird. Eine Meldung<br />

ploppt auf: „Dieser Content wurde von Konzern X aufgrund<br />

einer Urheberrechtsverletzung gesperrt. Wir bitten dies zu entschuldigen.“<br />

Herzlichen Glückwunsch – im Outernet wäre dir<br />

das nicht passiert.<br />

Egal, ob ich meine Inspiration aus dem Inter- oder Outernet<br />

beziehe, verarbeite ich Dinge, die durch andere erschaffen wurde.<br />

Für dieses Phänomen lief mir letztens der Begriff des „Cultural<br />

Hacking“ über den Weg. Ganz klar: Ich handele nach dem<br />

Prinzip, nach dem auch Hacker vorgehen - in andere Systeme<br />

einzudringen, sich darin zu orientieren und dann verschiedene<br />

bestehende Ideen zu kombinieren. Nur eben auf kreativer,<br />

künstlerischer Basis. „Cultural Hacking“<br />

kann wohl jedem Schaffenden unterstellt<br />

werden. Und das nicht erst seit<br />

heute. Das System „Cultural Hacking“<br />

gibt es schon sehr viel länger, ohne dass<br />

es als solches bezeichnet wurde. Die Materialcollagen<br />

Picassos können ebenso<br />

als Beispiel aufgeführt werden, wie<br />

die in den 60er Jahren aufkommende<br />

„Land Art“, welche in den<br />

natürlichen und öffentlichen Raum<br />

eingriff und darin neue Formen schuf.<br />

Verletze ich - und viele andere kreative Menschen auch – deswegen<br />

immer gleich ein Urheberrecht? Ich betrachte dieses<br />

Vorgehen mehr als „kreativen Missbrauch“ denn als „negativen<br />

Missbrauch“ von Produkten. Ich sehe ein, dass ich bei genauer<br />

Betrachtung regelmäßig das Urheberrecht verletze. Was ich<br />

allerdings nicht einsehe, ist, deshalb per se als kriminell abgestempelt<br />

zu werden. n<br />

CULTURAL HACKING bezeichnet die Durchdringung eines<br />

bestehenden Systems durch Neuinterpretation dieses Systems<br />

unter Einbeziehung bestehender Strukturen beziehungsweise<br />

anderer Kontexte. Ein Hack steigert die Anzahl<br />

der möglichen „Lösungen“ innerhalb eines Systems bzw.<br />

verbindet Systeme untereinander in einer Art und Weise,<br />

wie dies zuvor noch nicht geschehen ist. Dadurch werden<br />

die Systeme durch einen Hack vielfältiger und somit an<br />

Ordnung reicher.<br />

Obacht: Ein Hack besteht nur im Moment der Ausführung,<br />

da er danach als bekannt und somit als zum „Establishment“<br />

gehörig gilt.<br />

Indoor<br />

29


30<br />

Outdoor<br />

Alles für das liebe Geld<br />

Nebenjobs gibt es nicht wenige, darunter auch ein paar zwar spezielle, aber spannende<br />

Von Anika Garz<br />

Angebote. Von diesen Kuriositäten haben wir ein paar aufgespürt, aber auch einige<br />

Möglichkeiten, studienbezogene Arbeit zu finden.<br />

uf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit stößt man<br />

auf die üblichen Verdächtigen. Servicepersonal gesucht,<br />

Kassiererin auf 400 Euro-Basis, Zeitungsausträger oder<br />

Pizzafahrer AB SOFORT. Da kann natürlich etwas<br />

Nettes dabei sein, aber grundsätzlich weiß man,<br />

was einen erwartet: eine grau-monotone Folter<br />

der anspruchsvollen Studentenhirne.<br />

Doch manchmal, wenn man sich mit etwas Geduld, offenen<br />

Ohren und mindestens einem wachen Auge durch seine Umwelt<br />

begibt, dann stößt man auf kleine Goldstücke.<br />

Christin Frankowiak, 26, studiert Erziehungswissenschaften<br />

und hat solch ein Goldstück gefunden. Sie war<br />

Kellnerin, Nachhilfelehrerin und Bibo-HiWi, aber auch<br />

‚Jenny Alberts‘ und ‚Isabell Primke‘. Sie wurde zu Jenny,<br />

weil ein Freund sie fragte, ob sie Lust hätte, sich bei der<br />

Wohnungssuche filmen zu lassen. Das gemeinte Format<br />

sollte den meisten bekannt sein. Und JA, es ist alles gestellt!<br />

Christin Frankowiak bekommt das Drehbuch zugeschickt, es<br />

wird besprochen und dann ziemlich zügig in die Tat<br />

umgesetzt. Der Dreh beginnt früh und mit Mittagspause<br />

(die bezahlt wird, also zuschlagen!) war<br />

nach sechs Stunden schon alles im Kasten.<br />

Man bekommt unabhängig von der Dauer<br />

einen Pauschalpreis ausgezahlt und fixe<br />

Menschen können es zu einem Stundenlohn<br />

von circa 30 Euro bringen. Nun könnte man<br />

einwenden, dass es ja eine einmalige Sache<br />

wäre, doch man könnte<br />

auch mit Perücke<br />

oder in einer anderen Sendung der Produktionsfirma mehrmals<br />

wieder auftauchen.<br />

Im Gegensatz zu ‚Jenny‘ hat ‚Isabell‘ bereits ihre wöchentlichen<br />

Sendezeiten. Sie ist Patientin mit großen Sorgen um ihre<br />

Gesundheit, wohnt in<br />

<strong>Halle</strong>-<br />

Neustadt und<br />

die medizinischen<br />

Fachbegriffe sind nicht so<br />

ihr Ding. Christin Frankowiak<br />

spielt hier die Besagte, damit<br />

im Rahmen des SkillsLab angehende<br />

Mediziner ihr Verhalten<br />

und ihre Fähigkeiten in bestimmten<br />

Bereichen verbessern können. Bei Isabell<br />

lernen sie den Umgang mit Patienten im<br />

beratenden und OP-vorbereitenden Gespräch.<br />

Ihre Rolle hat Christin Frankowiak schon fast<br />

verinnerlicht, weiß wie Isabell reagieren würde und<br />

fühlt sich selbst gelegentlich krank. Die Studierenden werden<br />

alle der Reihe nach getestet, mit Kamera aufgenommen<br />

und danach in der Feedbackrunde mit der Tutorin und ‚Isabell‘<br />

ausgewertet. Gerade was die Patientin zu sagen hat, ist<br />

wichtig, denn bereits jetzt kommt bei manchen Kittelträgern<br />

die leicht überhebliche Grundhaltung durch.<br />

Von der Blinddarmpatientin ‚Isabell Primke‘ zum<br />

Clown mit riesigen Schuhen ist es ein kleiner<br />

Sprung, doch das ist eine der<br />

Rollen, in die Isabel Mückel für<br />

ihren Nebenjob schlüpfen<br />

musste. Sie ist


24 und studiert an der Burg Giebichenstein<br />

Keramik- und Glasdesign. Durch<br />

Freundes Freunde ist sie bei<br />

einer Event-Organisation gelandet.<br />

Ohne große Umschweife<br />

wurde sie nach<br />

einem kurzen Gespräch<br />

ins Auto gesetzt und am<br />

Zielort ins kalte Wasser<br />

geschmissen. Einstellungsvoraussetzung:<br />

Führerschein und<br />

Schminktalent. Wer zufällig oder<br />

gewollt auf einem OBI-Sommerfest gelandet ist,<br />

hat sie vielleicht schon bei der Arbeit gesehen.<br />

Die Kostümbandbreite ist sogar ziemlich vielfältig. Weihnachten<br />

trägt sie Engelsflügel und schminkt den Kindern verwunschene<br />

Wesen auf ihre strahlenden Gesichter. Der Clown kommt<br />

an Nichtfeiertagen zum Einsatz und hat flotte Miniautos im<br />

Angebot, mit denen über den Parkplatz gebrettert werden darf.<br />

Auch der Oktober hat sein eigenes Gewand: Ganz dem bayerischen<br />

Fest gewidmet schlüpft Isabel Mückel ins Dirndl und<br />

spielt Hau-den-Lukas. Die Bezahlung liegt leider nur im unteren<br />

Bereich, doch werden die Fahrtzeiten mitberechnet. So<br />

kommt man dann auch bei fünf Euro fünfzig pro Stunde auf<br />

einen netten Tagessatz.<br />

Es gibt schon drollige Arbeiten, doch irgendwann reicht es den<br />

meisten und sie möchten ihr Geld mit anspruchsvollerer Arbeit<br />

verdienen. Um solch ein Plätzchen zu finden reicht es nicht, auf<br />

den Freund eines Freundes zu warten. Aktiv auf die Suche gehen<br />

heißt es nun. Fündig wird man zum Beispiel am schwarzen<br />

Brett der Uni. Gelegentlich schwirren dort auch Angebote für<br />

<strong>Halle</strong> herum. Sucht die Uni studentische Hilfskräfte für die Bibliothek,<br />

heißt es Beeilung. Diese Stellen sind überdurchschnittlich<br />

bezahlt mit acht bis zehn Euro pro Stunde, es ist eine angenehme<br />

Arbeit und mit etwas Glück hat man genug Zeit, um<br />

selbst in ein paar Büchern zu stöbern. Darüber hinaus trägt die<br />

<strong>Universität</strong> auf der Plattform top4jobs diverse Stellenangebote,<br />

auch für Nebenjobs, zusammen. In der besagten Liste finden<br />

sich zwar hauptsächlich Gesuche für Küchen- und Servicepersonal,<br />

Call-Center Mitarbeiter und Verkaufshilfen, aber ein oder<br />

zwei interessante Fundstücke sind meistens dabei.<br />

Deutlich bessere Chancen hat der engagierte Studierende, der<br />

einen kleinen Zwischenstopp im Reich der Praktika macht. Anja<br />

Fischer und Adam Siebenbrodt, sie MuKlerin, er Burgstudent,<br />

haben sich im Praktikum als fähig erwiesen und dadurch eine<br />

Stelle als freie Mitarbeiter ergattert. Adam Siebenbrodt, 24,<br />

studiert Industriedesign. Er hat in der Schule Informatik belegt<br />

und kennt sich mit HTML-Codes aus, dazu hat er sich selbst<br />

den Umgang mit Photoshop beigebracht und schon kann er<br />

seinen Lebenslauf um zwei attraktive Komponenten erweitern.<br />

Damit bewirbt er sich willkürlich bei Firmen in <strong>Halle</strong>. Es<br />

kommt nur eine Antwort zurück, doch<br />

die reicht. In den Semesterferien<br />

beginnt er sein Praktikum<br />

im Multimedia-<br />

bereich eines Radiosenders. Seine Aufgaben<br />

sind nicht allzu spannend, doch sein<br />

persönliches Highlight ist der interne<br />

Newsletter. Dem soll er eine neue Struktur<br />

plus Layout verschaffen. Anscheinend<br />

hat er sich tüchtig ins Zeug gelegt, denn<br />

in seiner letzten Woche wird er zu einer<br />

Weiterführung seiner Arbeit als bezahlter<br />

freier Mitarbeit gebeten. Quasi die gleiche<br />

Arbeit, nur mit einem Stundenlohn, von<br />

dem man als Student nur träumen kann. Leider folgt ein<br />

ABER. Adam Siebenbrodt arbeitet nun von zu Hause aus und<br />

bekommt Aufträge per E-Mail oder telefonisch mitgeteilt. Ihm<br />

fehlt die Interaktion mit den Kollegen, kann nicht nachfragen<br />

und sichergehen, ob seine Arbeit in die richtige Richtung geht.<br />

Denn mittlerweile hat das Semester wieder angefangen und er<br />

arbeitet abends, wenn er mit der Uni fertig ist. Im Endeffekt ist<br />

er erleichtert, dass irgendwann keine E-Mails aus dem Redaktionsbüro<br />

mehr in seinem Postfach landen. Sein Resümee fällt<br />

trotzdem positiv aus.<br />

Anja Fischer hat einen ähnlichen Weg gewählt. Sie ist 23 und<br />

studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften. In der<br />

Zeit vor dem Studium möchte sie sich ausprobieren, gucken<br />

was ihr gefällt und Erfahrungen sammeln. Sie schreibt ebenfalls<br />

mehrere Unternehmen und Betriebe an, auf der Suche nach einem<br />

Praktikumsplatz. Eine hallesche Tageszeitung nimmt sie<br />

auf und zeigt ihr, wie man recherchiert und schreibt. Sie bekommt<br />

den Redaktionsalltag mit und ihre Aufgaben steigern<br />

sich von kleinen Meldungen zu einem mehrspaltigen Feature.<br />

Am Ende des Praktikums steht der Anfang des Semesters; Anja<br />

Fischer ist freie Mitarbeiterin, hat aber keine freie Zeit. Gelegentlich<br />

schafft sie es zu den Vergabesitzungen am Morgen,<br />

schreibt ihren Artikel und kassiert ein paar Groschen, doch zu<br />

guter Letzt verläuft auch diese Fährte im Sand.<br />

Es gibt ein paar Möglichkeiten, das Konto aufzubessern. Dabei<br />

bekommt jeder selbst heraus, was zu ihm passt. Wut auf den<br />

Saftladen, Zoff mit dem Chef, übermüdet, aber tolle Schuhe,<br />

und zwar selbst gezahlt! Das gehört irgendwie dazu und vielleicht<br />

ist es ja auch der Standard-Studentenjob als Kellner, der<br />

euch glücklich macht - oder zumindest das Trinkgeld. n<br />

Outdoor<br />

31


32<br />

Weit weg<br />

Von Luisa Mehl<br />

Von Stereotypen und Bettwanzen<br />

infach mal raus aus Deutschland und in das englische<br />

Studentenleben reinschnuppern. Das dachte sich die<br />

21-jährige MuK-Studentin Julia Bliss und bewarb sich<br />

bei ERASMUS für ein Auslandssemester in Plymouth.<br />

Jedes Semester haben zwei Studierende des MuK-Departments<br />

die Möglichkeit, ein fünfmonatiges Auslandssemester an der<br />

School of Art and Media zu absolvieren. Plymouth im Süden<br />

Englands hat fast so viele Einwohner wie <strong>Halle</strong>. Die Stadt ist<br />

beschaulich und besticht durch die schöne Felsenküste, von der<br />

man seinen Blick über das weite Meer schweifen lassen kann<br />

und an der die Wellen bei Flut schlagen.<br />

Es war der 13. September 2011 um 3 Uhr morgens als Julia<br />

Bliss die Reise ins Unbekannte startete. Eine spannende und<br />

lehrreiche Zeit sollte vor ihr legen. „Die ersten Tage waren etwas<br />

chaotisch“, erinnert sie sich. Die Suche nach einer Unterkunft<br />

war schwerer als gedacht. Das Zimmer, in dem sie die ersten<br />

Nächte schlief bis sie in ihre internationale WG zog, teilte sie<br />

mit Bettwanzen: „Ich habe mich noch nie so geekelt. Die Wanzen<br />

waren überall, sogar in meiner Kleidung. Da half nur eine<br />

gründliche Ganzkörper- und Zimmerreinigung.“ Nach erfolgreicher<br />

Beseitigung der Krabbeltiere erkundete Julia Bliss die<br />

neue Stadt und war von den vielen Shoppingmöglichkeiten in<br />

Campusnähe sofort begeistert.<br />

Nach diesen aufregenden ersten Tagen begann die Uni mit einer<br />

Introduction Week. Hier wurden alle wichtigen Fragen geklärt.<br />

Drei praktische Projekte standen auf dem Stundenplan<br />

der ‚Neu-Britin‘: „My international Study Project“, bei dem ein<br />

Kurzfilm erstellt werden sollte, ein „Documentary Project“, bei<br />

dem das Endprodukt freigestellt war und das Pilotprojekt „Something<br />

new for TV“. Die vielen Praxisangebote haben ihr besonders<br />

viel Spaß gemacht, betont Julia Bliss: „Wir als internationale<br />

Studenten konnten das umsetzen, was uns vorschwebte<br />

und durch den kurzen Theorieteil zu Beginn ging es immer<br />

schnell los mit den praktischen Sachen. Den Studenten werden<br />

dabei keine Einschränkungen auferlegt. Wir konnten ohne<br />

Vorgaben unsere eigenen Ideen umsetzen. Bei Fragen stand<br />

uns der Dozent aber immer zur Verfügung. An der MLU haben<br />

die meisten Seminare einen hohen Theorieanteil, in Plymouth<br />

ist der Anteil der Theorie eher gering.“ Dies ist wohl einer der<br />

Unterschiede zu unserem Studiengang. In England sind einige<br />

Studiengänge, darunter auch Media Arts, als eine Mischung<br />

aus Fachausbildung und wissenschaftlichem Studium anzuse-<br />

Ein Auslandssemester in Plymouth<br />

hen. Die ästhetischen Aspekte stehen jedoch im Vordergrund.<br />

An deutschen <strong>Universität</strong>en steht vor allem die Wissenschaft<br />

im Fokus. Beides habe seine Vor- und Nachteile, meint die<br />

Erasmuslerin: „Ich mag sowohl die praktische Arbeit als auch<br />

ein bisschen graue Theorie.“ Besonders in Erinnerung ist der<br />

Hobby-Fotografin ihre eigene, kleine Fotoausstellung geblieben.<br />

Zu sehen waren Fotos, die sie während der Projektarbeiten<br />

zum Thema „Urbanisierung in einem verlassenen Hafenviertel“<br />

fotografiert hat.<br />

„An der MLU haben die meisten Seminare einen<br />

hohen Theorieanteil, in Plymouth ist der Anteil der<br />

Theorie eher gering“<br />

Julia Bliss, ERASMUS-Studentin<br />

Bei der Frage nach der Freizeitgestaltung blüht Julia Bliss förmlich<br />

auf und ich merke schnell, dass so ein Auslandssemester<br />

alles ist, nur nicht langweilig! Jeden Abend eine andere Party,<br />

wenn man möchte sogar in der campuseigenen Disco. Und die<br />

Möglichkeit, Englands schönste Orte zu bereisen. Vor allem aber<br />

betont sie die schönen Stunden mit den anderen internationalen<br />

Kommilitonen, mit denen die Erasmusstudentin, im Nachhinein<br />

betrachtet, viel mehr zu tun hatte als mit den Engländern.<br />

Als ich sie nach Stereotypen frage, muss sie kurz lachen: „Alle<br />

Stereotype, die ich vorher kannte, wurden während meines Semesters<br />

in Plymouth bestätigt. Es gab die temperamentvollen<br />

Portugiesen, die Machoitaliener, die oft über Essen redeten, die<br />

Niederländer, die gerne etwas tiefer ins Glas guckten, die fleißigen<br />

Polen und die warmherzigen Spanier, mit denen ich mich<br />

am besten verstanden habe.“ Alle Erfahrungen — die guten wie<br />

die schlechten —, die sie während ihrer Zeit in England machte,<br />

haben das Auslandssemester einzigartig für Julia Bliss gemacht:<br />

„Es war eine unvergessliche und spannende Zeit, die sich wie<br />

ein Jahr angefühlt hat. Wenn ich zurück denke, vermisse ich die<br />

tollen Stunden mit meinen WG-Mitbewohnern und die Sprache.<br />

Selbst über die schlechten Momente und das eklige Essen lache<br />

ich heute und werde meinen Enkeln später davon erzählen. n<br />

Bei Fragen zu ERASMUS hilft Jun.-Prof. Dr. Golo Föllmer.<br />

8 golo.foellmer@medienkomm.uni-halle.de


Von Leonie van Dreuten<br />

ch lade dich ein, komm nach <strong>Halle</strong>, in die Stadt an der<br />

Saale, irgendwo im Nirgendwo. Dort, wo die Häuser der<br />

Innenstadt leer stehen, die Straßen in mittelalterlichem<br />

Zustand sind und abends die Bürgersteige hochgeklappt<br />

werden. <strong>Halle</strong> ist grau, öde und gruselig - in der Zeit<br />

stehen geblieben. So glauben es viele zu wissen, ohne je hier<br />

gewesen zu sein. Die Stadt hinter den sieben Platten, bei den<br />

sieben Schatten. Komm mich besuchen in der „Verregnetsten<br />

Stadt Europas 2004“. Aber schließ dein klappriges Rad gut an.<br />

Denn Arbeitslose säumen die Straße, Kriminelle bevölkern den<br />

Marktplatz. ‚Hölle-<strong>Halle</strong>‘ eben.<br />

Einheimische kennen ihre ‚Diva in Grau‘ besser und versuchen,<br />

junge Leute zu ködern. In Scharen werden sie im „Land der<br />

Frühaufsteher“ erwartet, dort wo Milch und Honig fließt. Doch<br />

der schlechte Ruf eilt Sachsen-Anhalt weit voraus. Hier kommt<br />

Elke Simon-Kuch, Chefin einer Werbeagentur aus Weißenfels,<br />

ins Spiel. Sie zweifelt nämlich, dass Frühaufstehen junge<br />

Leute anlockt und startete eine Werbekampagne. Seit Anfang<br />

dieses Jahres schmücken nicht mehr leere Sterni-Flaschen die<br />

Straßen von Magdeburg, <strong>Halle</strong> und Weißenfels, sondern Sticker<br />

und Plakate mit der Aufschrift „Sachsen-Anhalt - sexy +<br />

ausgeschlafen“. Der Slogan diente zunächst nur als Motto des<br />

Mitteldeutschen Basketball Clubs (MBC), bis die Mitteldeutsche<br />

Zeitung und der Mitteldeutsche Rundfunk davon berichteten.<br />

Ein Online-Forum soll nun helfen, Sachsen-Anhalts Identität<br />

ausfindig zu machen, denn das Land steckt noch in den Kinderschuhen.<br />

Es weiß nicht, was es mal werden will, wenn es<br />

groß ist.<br />

Wie wäre der Vorschlag, das Bundesland gleich in ,Sachsen-<br />

Bleibe‘ umzubenennen? ,Willkommen bei den attraktiven und<br />

unbeschwerten Kulturbanausen‘. Das olle Frühaufstehen ist<br />

passé. Die arbeitslosen Pfandsammler, alkoholsüchtigen Kriminellen<br />

und verkorksten Provinzler schlafen aus und treten<br />

dynamisch, ja sogar selbstbewusst auf. <strong>Luther</strong>, Händel, Graf<br />

Luckner, Francke oder Feininger wären sicher entzückt.<br />

Willkommen bei den attraktiven und unbeschwerten<br />

Kulturbanausen. Das olle Frühaufstehen<br />

ist passé<br />

Doch das Land in der Mitte von Deutschland hat tatsächlich<br />

mehr zu bieten, als es der Slogan vermuten lässt. Auf den Spuren<br />

Heinrichs I. oder Albrecht des Bären kann man im Harz,<br />

durch Fichtenwälder, an steinigen Berghängen und durch<br />

unberührte Natur wandern. In Quedlinburg gehören die historische<br />

Altstadt und der Domschatz der Stiftskirche auf dem<br />

Sexy-Anhalt<br />

Hauptsache das Image stimmt<br />

Schlossberg genauso zum UNESCO-Welterbe wie das Bauhaus<br />

in Dessau, die <strong>Luther</strong>stätten in <strong>Wittenberg</strong> und Eisleben sowie<br />

das „Gartenreich Dessau-Wörlitz“. Dort, nur einen Steinwurf<br />

von <strong>Halle</strong> entfernt, wird man auf wundersame Weise ins 18.<br />

Jahrhundert zurückversetzt, während man durch die idyllischen<br />

Parkanlagen, auf fast 150 Quadratkilometer, entlang der Elbe<br />

flaniert und die gut erhaltenen Schloss- und Kirchenanlagen<br />

bestaunt. Ob zu Fuß oder per Rad, an Kultur soll es nicht mangeln.<br />

Die Händel-Stadt <strong>Halle</strong> verzaubert jeden Besucher. Sie kann mit<br />

ihrer historischen Altstadt, unzähligen Gründerzeit- und Jugendstilbauten,<br />

den pittoresken Gassen und gemütlichen Cafés<br />

auftrumpfen. Hier ist nicht nur die Bundeskulturstiftung ansässig,<br />

sondern auch die Deutsche Akademie der Naturforscher<br />

Leopoldina, als älteste naturforschende Akademie der Welt.<br />

Das Gebäude der Leopoldina steht symbolisch für die Metamorphose<br />

der ,Diva in Grau‘. Aus dem hässlichen Entlein wird<br />

irgendwann ein schöner weißer Schwan. In dieser Stadt lässt es<br />

sich leben. Spontanpartys werden monatelang von der Stadtverwaltung<br />

geplant. Die Straßenbahnfahrer<br />

halten an, um auf den kleinen Jungen<br />

oder die Oma zu warten. Das jährliche<br />

Laternenfest, das größte Volksfest<br />

Mitteldeutschlands, lohnt immer einen<br />

Besuch. Selbst ein Park- und Halteverbot<br />

wird am Bahnhof in eine<br />

“Kissing-Zone“ verwandelt. Sexy<br />

und ausgeschlafen eben. Ich lade<br />

dich ein … n<br />

George Friedrich<br />

Händel<br />

1685 - 1759<br />

Auch der große<br />

Sohn der Stadt war<br />

es schon: sexy und<br />

ausgeschlafen<br />

Meinung<br />

Das Land steckt noch in den Kinderschuhen.<br />

Es weiß noch nicht, was es mal werden will,<br />

wenn es groß ist<br />

33


34<br />

Interivew / Impressum<br />

Forsetzung des Interviews von Seite 26 und 27.<br />

Was hast du als nächstes vor? Welche Träume möchtest<br />

du dir noch erfüllen?<br />

An erster Stelle steht, mein Studium in <strong>Halle</strong> erfolgreich zu beenden.<br />

Ich könnte mir durchaus vorstellen, meine Dissertation<br />

in Los Angeles zu schreiben (lacht). Zudem möchte ich weitere<br />

Autorenfilme mitgestalten, denn ich bin ein großer Anhänger<br />

des Programm-Kinos. Ein Drehbuch für einen Kinderfilm<br />

schreiben und eine eigene Firma zu gründen, doch da werde ich<br />

wahrscheinlich schon Mitte 40 sein.<br />

Impressum<br />

MuKJournal Nr. 17, Wintersemester 2012/13<br />

Herausgeber<br />

Hallisches Institut für Medien/<strong>Halle</strong> Institute of Media (HIM)<br />

an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-<strong>Wittenberg</strong> e. V.<br />

Prof. Dr. Reinhold Viehoff (Vorsitzender)<br />

Produktion dieser Ausgabe<br />

Dr. Ingrid Brück (verantwortlich für Redaktion)<br />

Benjamin Abicht (verantwortlich für Layout)<br />

Caroline Lange (Assistenz)<br />

Redaktion und Layout: Sebastian Billhardt, Anja Fischer, Anika<br />

Garz, Anne-Marie Holze, Swantje Kasper, Luisa Mehl, Emilia<br />

Miguez, Alicia Nicoletti, Michelle Sagner, Tina Schwarz, Nina<br />

Tomaszewski, Leonie van Dreuten, Katja Wernicke<br />

Bildnachweise<br />

Titel: Anja Fischer | S. 2: Privat, Luisa Mehl (Gruppe) | S. 4<br />

(von oben): bda-sachsen-anhalt.de (Screenshot), Kinder- und<br />

Jugendfilmzentrum in Deutschland, Timo Leich | S. 6: Alicia<br />

Nicoletti | S. 7: Uta Kolano | S. 8: Tina Schwarz | S. 9: jogmap.de<br />

(Screenshot) | S. 10: Katja Wernicke | S. 12: webape/<br />

vecteezy.com c BY-SA 3.0 | S. 13: Profound Whatever/flickr<br />

c BY-NA-SA 2.0 (Brille), ohne Autor/vector.us (Alien) | S. 14:<br />

Swantje Kasper | S. 15: Tina Schwarz (Hintergrundgrafik,<br />

Kalendergrafik), Rodeo/flickr c BY 2.0 | S. 16: DHL | S. 17:<br />

Sebastian Billhardt | S. 18: Francine Midori | S. 19: Anja<br />

Was kannst du uns MuK-Studierenden für eine erfolgreiche<br />

Karriere mit auf den Weg geben?<br />

Die Begeisterung für Projekte und Ideen darf nie fehlen. Es ist<br />

gut, wie ein neugieriges Kind die Hände aufzuhalten, bereit zu<br />

sein, Neues zu entdecken und sich nicht nur auf vorgegebenen<br />

Spuren zu bewegen. Es gibt immer neue Projekte, Herausforderungen,<br />

die angenommen werden können. Wichtig ist, sich in<br />

der Praxis auszuprobieren. Nur so kannst du herausfinden, was<br />

dir liegt und was nicht. Den Menschen, denen du auf deinem<br />

Weg begegnest, solltest du stets mit Respekt begegnen. Ach ja,<br />

und eine Portion Mut kann auch nie schaden. n<br />

Zum diesjährigen Betriebsausflug des MuK-Departments wagten sich die Mitarbeiter auf ihre Drahtessel und<br />

erkundeten die kulturellen Höhepunkte auf dem Petersberg: Kloster und Stiftskirche<br />

Fischer | S. 20/21: Michelle Sagner | S. 22/23: Lisa Hoffmann<br />

| S. 24: Victor Stockert | S. 26/27: Kathleen Döbbel | S. 28:<br />

Dora Osinde (Anker), Anne-Marie Holze (Foto) | S. 29: Lisa<br />

Hoffmann | S. 30/31: Anika Garz | S. 32: Julia Bliss | S. 33:<br />

Leonie van Dreuten | S. 34: MLU <strong>Halle</strong>-<strong>Wittenberg</strong> (Logo),<br />

Clemens Krebs (Fotos) | S. 35: TechSavi/flickr c BY-NC 2.0<br />

(Pinnwand), The iconoclastic yet iconic ionic icon/flickr c BY-<br />

NC-SA 2.0 | S. 36: S Direkt-Marketing GmbH & Co. KG<br />

Anzeigenkontakt<br />

Dr. Ingrid Brück<br />

Tel.: (0345) 55 235 72<br />

E-Mail: ingrid.brueck@medienkomm.uni-halle.de<br />

Druck<br />

DPV GmbH & Co.KG<br />

Pfännerhöhe 61, 06110 <strong>Halle</strong><br />

Auflage: 600<br />

Redaktionsanschrift<br />

<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-<strong>Wittenberg</strong><br />

Institut für Medien, Kommunikation & Sport,<br />

Dept. Medien- und Kommunikationswissenschaften<br />

MMZ, Mansfelder Str. 56, 06108 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />

E-Mail: mukjournal@medienkomm.uni-halle.de


DOK Festival Leipzig<br />

Dokumentar- und<br />

Animationsfilme<br />

29. Oktober - 04.<br />

November 2012<br />

www.dok-leipzig.de<br />

Filmmusiktage Sachsen­Anhalt<br />

Filmfest Dresden<br />

Animations-, Kurzspiel- und<br />

Dokumentarfilme<br />

16. - 21. April 2013<br />

www.filmfest-dresden.de<br />

Fachkongress, der themenspezifische<br />

theoretische und historische Aspekte<br />

sowie aktuelle Entwicklungen der<br />

Branche diskutiert<br />

25. - 27. Oktober, Mitteldeutsches<br />

Multimediazentrum <strong>Halle</strong><br />

www.filmmusiktage.de<br />

Termine im Wintersemester 2012/13<br />

Zusammengestellt von Leonie van Dreuten und Emilia Miguez<br />

Sächsischer Ausbildungs­ und<br />

Erprobungskanal<br />

Förderwerk für Rundfunk und<br />

neue Medien<br />

Rosa-Luxemburg-Straße 29,<br />

04103 Leipzig<br />

www.saek.de (kostenpflichtig)<br />

Werkleitz Festival <strong>Halle</strong><br />

move forward - new mexican<br />

and european media art<br />

05. - 21. Oktober 2012<br />

www.werkleitz.de/moveforward<br />

Leipziger Buchmesse<br />

Auf 69 000 m² präsentieren sich bis<br />

zu 2071 Aussteller aus 44 Ländern<br />

15. - 18. März 2012, Messe Leipzig<br />

www.leipziger-buchmesse.de<br />

CeBIT<br />

Weltgrößte Messe für<br />

Informationstechnik<br />

05. - 09. März 2013,<br />

Messegelände Hannover<br />

www.cebit.de<br />

Medienkompetenz­<br />

zentrum der Landesmedienanstalt<br />

Sachsen­Anhalt<br />

Reichardtstraße 8,<br />

06114 <strong>Halle</strong><br />

www.msa-online.de (kosten-<br />

frei)<br />

Internationales<br />

Kurzfilmfestival<br />

13. - 18. November<br />

2012<br />

www.interfilm.de<br />

Berlinale<br />

Internationale Film-<br />

festspiele<br />

07. - 17. Februar<br />

2013<br />

www.berlinale.de<br />

Medienhistorisches Forum<br />

für Absolventen und Forschungsnachwuchs<br />

des Studienkreises<br />

Rundfunkgeschichte e.V.<br />

02. - 03. November 2012<br />

www.rundfunkgeschichte.de<br />

UNIVATIONS Hochschulgründernetzwerk<br />

Sachsen­Anhalt<br />

Basis- und Intensivworkshops für Existenzgründer,<br />

Technologiepark Weinberg<br />

Campus, Weinbergweg 23, 06120 <strong>Halle</strong><br />

www.univations.de (kostenfrei)<br />

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