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Weihnachten 2013 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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erhören? Ein Stein müsste sich doch erbarmen!“ Und dann stand sie auf undsagte: „Es gibt keinen Gott“, und sie wurde ungläubig. Aber nicht für immer.So vergingen sieben Monate in dem Lager. Gretel betete nie mehr, hatte aberneben ihrem eigenen Leid viel Mitgefühl für die leidenden Menschen um sieherum. Sie vergoss viele Tränen, auch aus Mitgefühl für die Pferde, die krankund elend waren und unbarmherzig behandelt wurden. Im Lager schlief manauf Strohpritschen, in denen es von Läusen und Flöhen wimmelte. Gegessenwurde Grütze und Pferdefleisch.Im Oktober 1945 wurden alle schwangeren und kranken Frauen in Lastwagengepackt, nach Berlin gefahren und auf die Straße gesetzt. Jede bekam einBrot, Mehl und eine Flasche Öl. Sie blieben zwei Tage auf der Straße, dannbrachte das Stadtkommando von Ostberlin sie in ein Lager bei Strelitz, wo siein einem Tanzsaal einquartiert wurden. Dieser war schon überfüllt. Jeden Tagstarben die Menschen vor Hunger und Kälte und viele an Typhus.Gretel war nun hochschwanger. Da lernte sie eine Frau kennen, die ihr einesTages zuflüsterte: „Liebe, gute Frau, Sie tun mir so leid, ich sehe, wie tapferSie trotz allem sind. Ich wohne bei einer Hausfrau im Dienstmädchenzimmer.Heute will ich schwarz in den Westen, die Frau weiß nichts davon. Sie könnenmein Zimmer haben.“ So wurde es gemacht. Gretel überraschte am nächstenMorgen die Hausfrau. Zuerst gab es Ärger und böses Blut, aber die Fraunahm den Tausch dann hin.Die armen Flüchtlinge lebten von Pilzen, selbst die Blätter von den Bäumenwaren ihre Nahrung. Auf Schutthalden wurden Kartoffelschalen gesammeltund auf der Küchenplatte gebraten. Gretel ging auch betteln, aber trotz ihresZustandes wurden ihr die Türen nicht geöffnet. „Wir heven nix, wir geven nix!“So ging Gretel oft nachts aufs Feld und suchte Kartoffeln, die sie sich für denWinter sammelte, um etwas zum Essen zu haben, wenn das Kind da war. Am15. Dezember kam das Kind zur Welt. Unter den Lagerleuten war eine Hebamme,die Gretel half.Der Bürgermeister sorgte endlich dafür, dass den Lagerleuten eine geringeMenge an Lebensmitteln zugeteilt wurde. So wurde pro Kopf ein halbesPfund Zucker und ein Pfund Mehl im Monat ausgegeben!Als Gretel an das Versteck ging, um die Kartoffeln zu holen, auf die sie ihreganze Hoffnung gesetzt hatte, war das Versteck leer. Gretels Entsetzen wargroß. Sie war verzweifelt. Wie sollte sie ihr Kind durchbringen? Es gab keinePilze mehr und keine Blätter. Die Brust war leer, das Kleine weinte vor Hunger,und Gretel weinte vor Trostlosigkeit. Sie nahm das Kind ins Bett, wickeltees fest ein, um es zu ersticken. Sie konnte das Weinen nicht mehr ertragen.Da ging mit einmal die Tür auf, und ein Russe kam herein. „Was machen Sieda?“, fragte er. „Wir wollen sterben“, antwortete Gretel. „Wir haben nichtsmehr zu essen.“ „Und die Wirtin hat?“, sagte der Russe. „Ja“, erwiderte Gretel,„wir sind von den hiesigen Deutschen auf den Friedhof eingeladen.“ DerRusse verließ das Zimmer und brachte nach einer halben Stunde Gretel einenSack Kartoffeln. Die Freude war bei Gretel riesig groß, aber der Hass der Wirtinwar größer.62

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