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Weihnachten 2013 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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ergriff sie meine Hand und schautemir liebevoll ins Gesicht. Von ihrerVerwandtschaft lebte niemand mehr.An einem klaren sonnigen MorgenAnfang 1945, bei klirrendem Frost,der die Zähne klappern ließ und dieFinger in den Handschuhen und dieZehe in den Schuhen gefühllos werdenließ, haben sie fluchtartig ihreHeimat verlassen. Der Kanonendonneraus dem Osten kam immer näher.Mit ihren Nachbarn kauerte sie indoppelten Kleidern und in Deckengewickelt auf der mit Stroh ausgelegtenLadefläche ihres Treckwagensunter einer Zeltplane. So seien siedurch die letzte Öffnung der Frontlinieüber das brüchige Eis des FrischenHaffes vor der Roten Armee aus<strong>Ostpreußen</strong> geflüchtet. Die mit Ästenabgesteckte Fahrbahn auf der Eisdeckeriss plötzlich. Eine großflächigeEisscholle senkte sich vom Gewichtder Pferde und des Wagens in dieTiefe des Frischen Haffes. Die Pferdewieherten, bevor unser Gespann vonder Eisscholle langsam ins eiskalteWasser rutschte. Der Nachtfrostkonnte die Bruchstelle im Eis vomVortag nicht genügend tragfähig verbinden.Dies sei uns zum Verhängnisgeworden. Von ihrem Platz hinten imWagen rief sie um Erbarmung. Einstarker Arm einer Flüchtlingsfrau, dieneben ihren Pferden des nachfolgendenTreckwagens schritt, lief zu ihr,ergriff sie, zog sie vom Wagen kurzbevor die Räder ihres Treckwagensin die Tiefe auf den Grund des FrischenHaffes sanken. Sie sei demHERRN so dankbar, dass er ihr dieausgestreckte Hand eines Engelsschickte. Sie kenne den 91. Psalmund die Worte: Denn er hat seinenEngeln befohlen über dir, dass siedich behüten auf allen deinen Wegen,dass sie dich auf Händen tragen,und du deinen Fuß nicht an einenStein stoßest. Diese Hoffnungbegleitete sie durchs Leben.Trotz allem Schicksal, das sie erlebte,strahlte sie eine warme Gelassenheitaus, als sei sie versöhnt mit allem. Ichführte sie am Arm bis zur Tür des Altenheims.Im Flur leuchteten die Kerzenam geschmückten Weihnachtsbaumund ich empfand den Geruchvon würzigen Kathrinchen und gebranntenMandeln. Sie umarmtemich, mit drei Fingern berührte siemeine Stirn, meine Brust, die rechte,dann die linke Schulter, bedanktesich für meine Begleitung undwünschte mir Frieden und ein gesegnetesChristfest.Eine Begegnung, die mir im zeitlichenAbstand von 67 Jahren bis heute inErinnerung blieb.28

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