<strong>Weihnachten</strong>Ich sehn’ mich so nach einem Landder Ruhe und Geborgenheit.Ich glaub’, ich hab’s einmal gekannt,als ich den Sternenhimmel weitund klar vor meinen Augen sah,unendlich großes Weltenall.Und etwas dann mit mir geschah:Ich ahnte, spürte auf einmal,dass alles: Sterne, Berg und Tal,ob ferne Länder, fremdes Volk,sei es der Mond, sei’s Sonnenstrahl,dass Regen, Schnee und jede Wolk,dass all das in mir drin ich find,verkleinert, einmalig und schön.Ich muss gar nicht zu jedem hin,ich spür das Schwingen, spür die Tön’ein’s jeden Dinges, nah und fern,wenn ich mich öffne und werd’ stillin Ehrfurcht vor dem großen Herrn,der all dies schuf und halten will.Ich glaube, das war der Moment,den sicher jeder von euch kennt,in dem der Mensch zur Lieb’ bereit:Ich glaube, da ist <strong>Weihnachten</strong> nicht weit!Hermann Hesse26
Die erste Nachkriegs-WeihnachtVon Siegfried. F. WiechertSie saß andächtig neben mir auf dervollbesetzten Kirchenbank am Weihnachtsabend1945. Ein schmächtigesaltes Mütterchen, ihr Haar bedeckteein geblümtes Schauertuch,wie es Frauen oft bei der Landarbeitim Osten trugen. Ihre dürren knochigenFinger hielten ein abgegriffenesGesangbuch. Während des Weihnachtsliedes“O du fröhliche, o duselige, Gnaden bringende Weihnachtszeit”,hörte ich ihre helle Stimmeheraus, sie klang fröhlich undhoffnungsvoll. Als das letzte Gebetgesprochen wurde und der Pfarrerder Gemeinde den Segen erteilte,begleitete den Heimweg der Gottesdienstbesucherder melodische Dreiklangder Glocken. Sie ging vor mir inStiefeln. Ihr langer Mantel, aus grauenWehrmachtsdecken zusammengenäht,berührte die verharschteSchneedecke, die das Kopfsteinpflasterder Straße bedeckte. DerStoff ihres Mantels war an einigenStellen ziemlich abgenutzt und anden Nähten aufgegangen. Ich erahnteihren beschwerlichen Fluchtweg.Im Gehen fragte ich sie, ob ich ihr einensicheren Halt bieten könnte,denn ich sah, wie unsicher und tastendsie ihre kurzen Schritte auf diegefrorene Schneedecke setzte. Einbitterkalter schneidender Wind bliesuns die Schneeflocken ins Gesicht.Es wird ihr fest um den Kopf gebundenesKopftuch gewesen sein undder ständig heulende Wind, der meinefragenden Worte nicht in ihr Ohrdringen ließ. Nun blieb sie stehen,und ich bot ihr nochmals meine Hilfean. Sie schaute mir ein paar Sekundenlang freundlich in die Augen, alswenn sie dieses Entgegenkommen inder Fremde nicht erwartet hätte. Ausihrem blassen faltigen Gesicht und ihrenklaren blauen Augen las ich eininneres Abwägen des Angebotes einesUnbekannten. Dann ergriff siewortlos und vertrauensvoll meinenArm, und wir gingen schweigenddurch die fremde Stadt bis zu ihremHeim.Ihren kurzen Schritten passte ichmich an. Wir kamen nun doch miteinanderins Gespräch. Ihre Stimmekonnte ich bei diesem wütendenHeulen des Windes kaum hören,denn sie sprach leise und langsam,ich musste schon meine Ohren spitzen.Dort, wo die Flüsse Memel undRuß in das Kurische Haff mündeten,sei sie vor der Roten Armee mit ihrenanrollenden Panzern und der Überzahlihrer Krieger geflohen. Ich habeden Namen ihres Heimatortes vergessen.Erinnerlich blieb mir ihreDankbarkeit, von der ihr Herz so erfülltwar, dass sie darüber einfachsprechen musste. Dankbarkeit darüber,dass sie nach langer und zermürbenderIrrfahrt, nach Verlust ihresim Krieg gefallenen Mannes und ihrerbeiden Söhne, ihrer Heimat, ihresHofes und der Tiere hier wieder einengesicherten Platz in der Altensiedlungfand und zur Ruhe gekommen ist. IhrLeben habe noch einmal eine solcheglückliche Wende genommen, undes gab Menschen, die es gut mit ihrmeinten. Sie sprach mit mir wie eineMutter mit ihrem Sohn. Manchmal27
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