sie die Schnur eines Pakets erwischten;das Paket war für ihn. „Ludwig!“,las ich laut. „Hier!“, rief er glücklich,und er trug das Paket auf beidenHänden zu einem Tisch und packteeinen Pyjama aus. Und nun zog ichnacheinander Pakete heraus, rief lautihre Namen, rief einmal „Ludwig“ undeinmal „Hannah“, und sie nahmenglücklich die Geschenke in Empfangund packten sie aus. Heimlich gabmir die Frau ein Zeichen, ihm mit derRute zu drohen; ich schwankte, dieFrau wiederholte ihr Zeichen. Dochjetzt, als ich ansetzen wollte zur Drohung,jetzt drehte sich der Oberst zumir um; respektvoll, mit vorgestrecktenHänden kam er auf mich zu, mitzitternden Lippen. Wieder winkte mirdie Frau, ihm zu drohen – wiederkonnte ich es nicht.„Es ist Ihnen gelungen“, sagte derOberst plötzlich, Sie haben sichdurchgeschlagen. Ich hatte Angst,dass Sie es nicht schaffen würden.“„Ich habe Ihr Haus gleich gefunden“,sagte ich.„Sie haben eine gute Nase, meinSohn.“„Das ist ein Weihnachtsgeschenk,Herr Oberst. Damals bekam ich dieNase zu <strong>Weihnachten</strong>.“„Ich freue mich, dass Sie uns erreichthaben.“„Es war leicht, Herr Oberst; es gingsehr schnell.“„Ich habe jedes Mal Angst, dass Siees nicht schaffen würden. JedesMal –“„Dazu besteht kein Grund“, sagteich, „Weihnachtsmänner kommenimmer ans Ziel.“„Ja“, sagte er, „im Allgemeinenkommen sie wohl ans Ziel. Aber jedesMal habe ich diese Angst, seitDemjansk damals.“„Seit Demjansk“, sagte ich.„Damals warteten wir im Gefechtsstandauf ihn. Sie hatten schon vomStab telefoniert, dass er unterwegswar zu uns, doch es dauerte unddauerte. Es dauerte so lange, bis wirunruhig wurden und ich einen Mannlosschickte, um den Weihnachtsmannzu uns zu bringen.“„Der Mann kam nicht zurück“, sagteich.„Nein“, sagte er. „Auch der Mannblieb weg, obwohl sie nur Störfeuerschossen, sehr vereinzelt.“„Wunderkerzen schossen sie, HerrOberst.“„Mein Sohn“, sagte er milde, „ach,mein Sohn. Wir gingen raus undsuchten sie im Schnee vor demWald. Und zuerst fanden wir denMann. Er lebte noch.“„Er lebt immer noch, Herr Oberst.“„Und im Schnee vor dem Wald lagder Weihnachtsmann, lag da mit einemPostsack und der Rute undrührte sich nicht.“„Ein toter Weihnachtsmann, HerrOberst.“„Er hatte noch seinen Bart um, ertrug noch den roten Mantel und diegefütterten Stiefel. Er lag auf demGesicht. Nie, nie habe ich etwas gesehen,das so traurig war wie der toteWeihnachtsmann.“„Es besteht immer ein Risiko“, sagteich, „auch für den, der Freude verteilt,auch für Weihnachtsmänner bestehtein Risiko.“„Mein Sohn“, sagte er, „für Weihnachtsmännersollte es kein Risikogeben, nicht für sie, Weihnachtsmännersollten außer Gefahr stehen.“24
„Eine Gefahr läuft man immer“, sagteich.„Ja“, sagte er, „ich weiß es. Und darumdenke ich immer, seit Demjanskdamals, als ich den toten Weihnachtsmannvor dem Wald liegensah – immer denke ich, dass er nichtdurchkommen könnte zu mir. Es isteine große Angst jedes Mal, dennvieles habe ich gesehen, aber nichtswar so schlimm wie der tote Weihnachtsmann.“Der Oberst senkte den Kopf, angestrengtmachte seine Frau mir Zeichen,ihm mit der Rute zu drohen:ich konnte es nicht. Ich konnte esnicht, obwohl ich fürchten musste,dass sie sich bei Mulka über michbeschweren und dass Mulka mir etwasvon meinem Verdienst abziehenkönnte. Die muntere Ermahnung mitder Rute gelang mir nicht.Leise ging ich zur Tür, den schlaffenSack hinter mir herziehend; vorsichtigöffnete ich die Tür, als mich ein Blickdes Obersten traf, ein glücklicher,besorgter Blick: „Vorsicht“, flüsterteer, „Vorsicht“, und ich nickte und trathinaus. Ich wusste, dass seine Warnungaufrichtig war.Unten wartete der Kleinbus auf mich.Sechs frierende Weihnachtsmännersaßen im Laderaum, schweigsamund frierend, erschöpft vom Dienstan der Freude. Während der Fahrtzum Hauptquartier sprach keiner einWort. Ich zog das Zeug aus undmeldete mich bei Mulka hinter derbeschlagenen Glasvitrine; er blicktenicht auf. Sein Bleistift kreiste überdem Stadtplan, wurde langsamer imKreisen, schoss herab: „Hier“, sagteer, „hier ist ein neuer Einsatz für dich.Du kannst die Uniform gleich wiederanziehen.“„Danke“, sagte ich, „vielen Dank.“„Willst du nicht mehr? Willst du keineFreude mehr bringen?“„Wem?“ sagte ich. „Ich weiß nicht, zuwem ich jetzt komme. Zuerst mussich einen Schnaps trinken. Das Risiko– das Risiko ist zu groß.“Aus: Das Feuerschiff, Erzählungen25