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Arbeitsmartpolitik Aktiv 1/13 - DSE Wien

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IN MEDIAS RESOb Film, TV, Print oder Internet: Diese Rubrik widmet sich arbeitsmarktrelevanten News mit Medienbezug.ARBEITSLOSIGKEIT IM ÖSTERREICHISCHEN FILMFilmisches Gedenkenan Marienthalw„Einstweilen wird es Mittag“ notiert ein Arbeitsloser in einemZeiterhebungsbogen, der seinen Tagesablauf beschreibt.Diesen Titel wählte Karin Brandauer für ihren 1987/88 gedrehtenSpielfilm „nach der Studie von Marienthal“. Auf Originalnamenwird verzichtet, die Inhalte der Studie sollen visuell zugänglich gemachtwerden. Eindringlich gelingt es, die veränderte Zeitwahrnehmungund fortschreitende soziale Tristesse unter den Arbeitslosendarzustellen. Zugleich nimmt sich der Film die dramaturgischeFreiheit, politische Schlussfolgerungen aus denForschungsergebnisse zu ziehen, die sich auf die Aussage verkürzenließen: Massenarbeitslosigkeit treibt die Arbeiterklasse in dieHände der Nazis. Solche Interpretation kommen in der Studieselbst nicht vor, 1933, zum Zeitpunkt des Erscheinen des Buchs inLeipzig, wäre es verlagstechnisch unmöglich gewesen. Dennochliegt der Film mit dieser Sichtweise richtig, wie Paul Lazarsfeld inder Neuauflage 1975 schreibt: „Die apathisierende Wirkung der totalenArbeitslosigkeit hilft rückblickend zu verstehen, warum dieFührer-Ideologie des heraufziehenden Nationalsozialismus so erfolgreichwar.“ Dem Spannungsbogen eines Spielfilms ist es wohlgeschuldet, dass die Beziehung zwischen Jahoda und Lazarsfeld –das Ehepaar lebte damals bereits getrennt – über Gebühr vielPlatz einnimmt. Ein Punkt, den Marie Jahoda in einem späteren Interviewdeutlich kritisiert. Ebenso wie die gezeigten aggressivenÜbergriffe mancher Arbeitsloser auf das ForscherInnen-Team, die„reine Erfindung“ seien. Der Film ist kurzweilig anzusehen, schenktgute Einblicke in die Arbeitsweise des Forschungsteams, allein dieschauspielerische Leistung wird den vielschichtigen Charakterender echten Personen kaum gerecht.RAINER BARBEYRecht auf Arbeitslosigkeit?Ein historisches Lesebuch über Leistung,Faulheit und die Zukunft der ArbeitMEDIAS res1984 ist Schlöglmühl, nahe Gloggnitz, mit einer ähnlichen Situationkonfrontiert wie Marienthal 1930 – mit einem Schlag werdenpraktisch alle BewohnerInnen arbeitslos, der größte Arbeitgeberdes Ortes sperrt zu. Im Vorspann widmet Egon Humer die Dokumentation„Postadresse: 2640 Schlöglmühl“ den StudienautorInnen.Der Film macht viel Lokalkolorit spürbar, genau zeigt erdas aktuelle Gesicht der Massenarbeitslosigkeit: Isolation. Wird einganzes Dorf arbeitslos, kappt die Beziehung zum Ort, sichtbarwird eine umfassende Depression. Zurück bleiben Menschen in einerArt Dämmerzustand vor dem Fernseher, ein wenig getröstetvom Alkohol. Obwohl wenige Tage vor Weihnachten die Papierfabrikschließt, gibt es kein mediales Interesse für die hunderten Arbeitslosen.Glaubwürdig zeigt der ehemalige Betriebsrat Wut undFrust, auch darüber von den eigenen Genossen im Stich gelassenworden zu sein. Trotz allem wird in dem Film kaum gejammert,eher viel geschwiegen. Die sensibel gemachte Doku vermittelt damitjene Enge, schwerem Atmen gleich, dieses Gefühl, das sichauch beim Lesen der Marienthal-Studie einstellt.2012, 150 Seiten, Klartext-Verlagw34 Beiträge zu einem Bibliothekenfüllenden Thema, was kannman sich da erwarten? Jede Mengeprominenter Philosophen: Die Väterder Arbeit – Hegel und Marx – die„Faulheits“-Philosophen Paul Lafargueund Bertrand Russel und ein Textdes Frühsozialisten Charles Fourier(1829), der mit seiner visionären Radikalitätbeeindruckt, forderte er bereits1829 ein Existenzminimum. ArbeitsmarktpolitikerInnensei „Die Antiquiertheitder Arbeit“ ans Herz gelegt, die für Günther Anders inder Verkehrung von Zweck und Mittel besteht. Früher lag das Zielder Arbeit in der Bedürfnisbefriedigung, heute in Zeiten derAutomatisierung ist „Arbeitsbeschaffung selbst die Aufgabe der Arbeit“.Die Frankfurter Schule ist in dem Buch häufig wie widersprüchlichvertreten, und natürlich durfte der am häufigsten zitiertePhilosoph nicht fehlen – Friedrich Nietzsche. Die Wirtschafts seitein MEDIAS reBeide Filme sind in der Edition Österreichischer Film erschienen;online zu bestellen bei: www.Hoanzl.atvertreten John Maynard Keynes und Henry Ford und aktuell derGlobalisierungskritiker Günther Altvater. Als einzige Frau schafftees Hannah Arendt in der Sammlung aufgenommen zu werden, an„Vita activa“ gibt es kaum ein Vorbei. Der feministische Beitrag zurDebatte um Arbeit und Leistung ist hingegen völlig ausgespart,ohne den ein differenzierter Arbeitsbegriff undenkbar ist.Die Kehrseite einer Verherrlichung der Arbeit ist ein mitunter gewalttätigerArbeitszwang. Schockierend schreibt Lenin über möglicheSanktionsmaßnahmen für Menschen, die sich vor der Arbeit drücken:man wird sie „ins Gefängnis stecken“, „Klosett reinigen lassen“,ihnen „gelbe Pässe aushändigen“ und „des Parasitentums schuldigmachen und erschießen“. Auch der Text des Dichters Ernst Jüngerdokumentiert totalitäres Denken, indem er den Freiheitsanspruch alsArbeitsanspruch beschreibt. Wenig später führte diese Art des menschenverachtendenDenkens zu der Aussage „Arbeit macht frei“, dieam Eingang einiger Konzentrationslager angebracht wurde.Das Nachwort des Herausgebers versucht die inhaltlich wiesprachlich so unterschiedlichen Texte zu fassen; es vorneweg zulesen ist angeraten. Doch das Buch überfordert selbst den/die interessiertesteLeserIn: Zu viel, zu beliebig, mit zu wenigen Hintergrundinformationenwird das Lesebuch zu einem Labyrinth derIdeen ohne erkennbaren roten Faden.WALTER J. PFEIL / CLEMENS SEDMAK (HG)Arm trotz Erwerbstätigkeit.Working poor in Österreich2012, 174 Seiten, ÖGB-VerlagElf Buchbeiträge bieten einen gutw lesbaren Themeneinstieg: Zahlenund Fakten für Österreich und die EU,verschiedene Ansätze von Erwerbsarmutwerden erklärt, die Grenzen derVergleichbarkeit aufgezeigt, und Veränderungsvorschlägefür das Sozial- undArbeitsrecht wie für eine solidarischeLohnpolitik werden gemacht.Working poor ist ein neuer Name fürein altes Problem: sei es, weil das Einkommenauf zu viele Personen in derFamilie aufgeteilt wird, die Arbeitszeit zu gering ist oder in Niedriglohnbranchengearbeitet wird. Der Grenzwert für Working poorliegt bei einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 60 % desländerspezifischen Medianeinkommens. Die teilweise großenländer spezifischen Unterschiede erklären sich durch soziale Sicherungssysteme,Lohnverhandlungssysteme und Maßnahmen zurVereinbarkeit von Beruf und Familie. Hinsichtlich der geschlechts -spezifischen Analyse stellt Birgit Buchinger fest: Niedriglohn istweiblich – branchenspezifisch und teilzeitbedingt. Bei „in-workpoverty“geht es nicht nur um Geld, besser ist es als Verursachungszusammenhangzu verstehen, denn arm kann man auch anSozialkontakten, Bildung oder sozialen Dienstleistungen sein. MarcelFink schlägt dazu einige strategische Lösungsansätze vor: Erhöhungder Erwerbsintensität in den Haushalten bzw. eine gleichereVerteilung des bestehenden Arbeitsvolumens; Reduktionder Steuern und Abgaben von Niedrigeinkommen; bedarfsabhängigeErhöhung der Transfereinkommen und höhere Bruttostundenlöhne.Abschließend denkt Clemens Sedmak über „armseligeArbeit“ nach, Arbeit mit wenig monetärer und noch weniger sozialerAnerkennung. Anna Sam schreibt in „Die Leiden einer jungenKassiererin“ über ihre Erfahrungen an der Supermarktkasse, wie siespürte selbst zum Gegenstand zu werden, bisweilen offenes Zielder Erniedrigungen von KundInnen. Diese Arbeitsberichte im StilGünther Wallraffs erschüttern, machen klar, dass Working poor dieeigene Selbstachtung durchlöchert und auf die Dauer die eigeneIdentität untergräbt. Es geht auch darum, stärker den politischenZusammenhang mit „Non working rich“ herzustellen. Den Beitragbeschließt ein radikaler Satz, der öfters gesagt werden sollte: „EineGemeinschaft, die sich Working poor leistet, schwächt sich selbst.“12 arbeitsmarktpolitik aktiv arbeitsmarktpolitik aktiv <strong>13</strong>

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