13.07.2015 Aufrufe

Thomas von Aquin: STh, I - vaticarsten.de

Thomas von Aquin: STh, I - vaticarsten.de

Thomas von Aquin: STh, I - vaticarsten.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>Inhaltsübersicht1. Einleitung S. 22. Der Lehre zur Erkenntnis <strong>de</strong>r Körperdingenach <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong> S. 4Hauptteil3. Summa theologicae I, q. 87, art. 1:Erkennt sich die Verstan<strong>de</strong>sseele durch ihre Wesenheit?3.1 <strong>Thomas</strong>’ Antwort S. 63.2 Der Weg zur Lösung <strong>de</strong>s Problems S. 73.3 An<strong>de</strong>re Anschauungen und ihre Entkräftung S. 133.4 Der Schluss S. 154. Literatur- und Quellenangabe S. 151


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>1. EinleitungDer heilige <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>, <strong>de</strong>r wohl be<strong>de</strong>utendste Philosoph und Theologe <strong>de</strong>s Hochmittelalters,ist in vielen seiner Lehren und Schriften noch heute aktuell. 1225 in <strong>de</strong>r Nähe Neapels alsSohn adliger Eltern geboren, kam er bald zur Erziehung und Schulbildung zu <strong>de</strong>n Benediktinern.Später trat er dann <strong>de</strong>m Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dominikaner bei, in <strong>de</strong>ren Auftrag er an verschie<strong>de</strong>nen Universitätenlehrte, hauptsächlich tat er das in Paris und Rom.Bis zu dieser Zeit galten die platonistischen Ansichten <strong>von</strong> Augustinus in <strong>de</strong>n philosophischtheologischenBereichen <strong>de</strong>r meisten Universitäten als unumstritten. Im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt än<strong>de</strong>rtesich das jedoch, da neue Schriften <strong>de</strong>s Aristoteles ent<strong>de</strong>ckt und kommentiert wur<strong>de</strong>n. Da diesegegenüber <strong>de</strong>m bisher bekannten und geschätzten Platonismus sehr profan wirkten, war ihr Studiumsehr umstritten, in Paris beispielsweise sogar verboten, da die Glaubenshüter fürchteten, dieMenschen könnten durch eine Philosophie, die so weltlich war, <strong>de</strong>n rechten Glauben verlieren.<strong>Thomas</strong> aber war Aristoteliker, er las <strong>de</strong>ssen Schriften und kommentierte sie. Zwar distanzierte ersich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Radikalen, die sich um <strong>de</strong>n damals bekanntesten Aristoteles-Kommentator, Averroes,scharten, doch auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite setzte er <strong>de</strong>n Aristotelismus <strong>de</strong>m Platonismus <strong>de</strong>s Augustinusund <strong>von</strong> Bonaventura offen entgegen. Sein Ziel war <strong>de</strong>nnoch nicht <strong>de</strong>r Sturz <strong>de</strong>r augustinischenPhilosophie, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren Vereinigung mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Aristoteles. <strong>Thomas</strong> war zu sehr einMensch <strong>de</strong>s Mittelalters, als dass er alte und geschätzte Überlieferungen schlicht außer Kraft gesetzthätte. So suchte er in allen seinen Werken, Diskussionen und Lehren die Ansichten Augustinus’und die eigenen stark aristotelisch geprägten, zu vereinen, was unmöglich <strong>de</strong>r ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rensystematischen Uneinigkeit entbehren konnte. Oft spricht man in diesem Zusammenhang <strong>von</strong>einem „christlichen Aristotelismus“, was allerdings <strong>de</strong>n dionysischen und augustinischen Zugeständnissen,die <strong>Thomas</strong> macht, nicht gerecht wird.<strong>Thomas</strong> schrieb viele Werke, eines seiner letzten ist die Summa theologicae, ein Werk in dreiBän<strong>de</strong>n, das er bei seinem Tod, 1274, unvollen<strong>de</strong>t zurück ließ. Er schrieb es zu einer Zeit, zu <strong>de</strong>ran <strong>de</strong>r Pariser Universität heftige Diskussionen über die aristotelische Lehre entflammt waren. Sieversetzten allgemein und in vielerlei Hinsicht und Ausprägung die Welt <strong>de</strong>r Philosophie undTheologie, welche sich zunehmend gegeneinan<strong>de</strong>r abgrenzten und auszuschließen drohten, was<strong>Thomas</strong> ebenfalls zu verhin<strong>de</strong>rn versuchte, in Aufregung versetzten.Die Summa theologicae sollte ein Lehrwerk für Anfänger <strong>de</strong>r Theologie wer<strong>de</strong>n, das wichtigsteWissen sollte kurz, prägnant und in einer übersichtlichen Anordnung dargestellt und erklärt wer<strong>de</strong>n.Dabei zeichnet sich vor allem <strong>de</strong>r erste Teil <strong>de</strong>r Summa durch seine didaktische Klarheit aus.Zu einem großen Thema, einer quaestio, wer<strong>de</strong>n mehrere kleine „Unterfragen“, articuli, gestellt,<strong>de</strong>ren Klärung im Einzelnen zur Lösung <strong>de</strong>s Gesamtproblems führt. Diese einzelnen Artikel sind2


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>selbst innerlich noch einmal drei geteilt. Zu Beginn eines je<strong>de</strong>n Artikels wer<strong>de</strong>n drei Positionenan<strong>de</strong>rer Philosophen zur Lösung <strong>de</strong>r Artikel-Frage dargestellt. Es folgt die Argumentation <strong>von</strong><strong>Thomas</strong>, die mit einer Lösungstheorie seinerseits en<strong>de</strong>t. Im dritten Teil wer<strong>de</strong>n, im Rückverweisauf die vorangegangenen Argumentationsschritte, die eingangs vorgestellten Positionen entkräftet.Innerhalb <strong>de</strong>s ersten Teils <strong>de</strong>r Summa theologicae befassen sich die Fragen 84 bis 88 mit <strong>de</strong>r intellektuellenErkenntnis. <strong>Thomas</strong> entwickelt dabei eine Erkenntnistheorie, die auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>rAkt- und Potenzlehre <strong>von</strong> Aristoteles aufbaut und soweit wie möglich die augustinische Traditioneinzubin<strong>de</strong>n versucht.Thema dieser Hausarbeit ist <strong>de</strong>r erste Artikel <strong>de</strong>r 87. Frage aus <strong>de</strong>m ersten Band <strong>de</strong>r Summa theologicae:„Erkennt die Verstan<strong>de</strong>sseele sich selbst durch ihre Wesenheit?“ Eine Frage, <strong>de</strong>r nachzugehenauf <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r thomanischen Lehre zur Erkenntnis stofflicher Körper als nichtbeson<strong>de</strong>rs einfach erscheint, da die Seele als unstoffliche Substanz nicht auf gleiche Weise wiestoffliche Substanzen erkannt wer<strong>de</strong>n kann. Wichtig ist diese Frage bei <strong>Thomas</strong> auch im Hinblickauf die Stellung <strong>de</strong>s Menschen in <strong>de</strong>r Welt und vor Gott und hinsichtlich <strong>de</strong>ssen, was das Wesen<strong>de</strong>s Menschen ist. Es ergibt sich nämlich aus <strong>de</strong>r Argumentation eine Art Rechtfertigung o<strong>de</strong>rBeweisführung <strong>de</strong>ssen, dass <strong>de</strong>r Mensch Geschöpf Gottes ist, welcher ihm in seiner Gna<strong>de</strong> dieGabe, unter Zuhilfenahme <strong>de</strong>s Körpers geistig erkennen zu können, gegeben hat. Gott hat <strong>de</strong>mMenschen Anteil an seinem ewigen Licht gegeben, nämlich im tätigen Verstand. Der Verstand ist(als passiver und aktiver) untrennbar mit <strong>de</strong>m Körper verbun<strong>de</strong>n, weswegen es <strong>Thomas</strong> nicht wiePlaton so sieht, dass die Seele im Körper gefangen gehalten wird, son<strong>de</strong>rn sie ist natürlicher Partner<strong>de</strong>r Körpers. Der ganze Mensch hat Anteil am Licht Gottes durch seinen aktiven Verstand,durch <strong>de</strong>ssen Akt ihm eben diese eigene Teilnahme am göttlichen Licht offenbar wird.<strong>Thomas</strong>’ Argumente und seine Antwort auf die Frage nach <strong>de</strong>r Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Verstan<strong>de</strong>sseelesollen so ausführlich, wie es im Rahmen einer Hausarbeit möglich erscheint, nachvollzogenwer<strong>de</strong>n. Um die erkenntnistheorethische Argumentation hinsichtlich <strong>de</strong>r Seele als einer an sichstofflosen Form <strong>de</strong>s Körpers zu verstehen, scheint es wichtig, die Grundlagen <strong>de</strong>r thomanischenErkenntnislehre zu kennen und zu beachten, da sie nicht nur die Basis für die Körpererkenntnisist, son<strong>de</strong>rn auch für die Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seele, wie nachfolgend genauer erklärt wer<strong>de</strong>n wird.Daher wird diese grundlegen<strong>de</strong> Erkenntnistheorie gleich im nächsten Punkt noch einmal so ausführlichwie es nötig und so kurz wie es möglich scheint, dargestellt. Die weiteren Erklärungen imsich dann andschließen<strong>de</strong>n Hauptteil <strong>de</strong>r Arbeit, greifen oftmals auf diese Grundlage zurück. SolcheRückgriffe auf die allgemeine Erkenntnistheorie wer<strong>de</strong>n im Hauptteil nicht mehr genau erläutert,son<strong>de</strong>rn es wird durch einen Hinweis auf die Erklärung „weiter oben“ aufmerksam gemacht.Der Hauptteil dieser Arbeit beschäftigt sich sodann mit <strong>de</strong>r genannten Problemstellung selbst.Hierzu wird als erstes kurz die Antwort <strong>de</strong>s <strong>Thomas</strong> vorweg genommen, damit die Argumente3


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>besser nachvollzogen wer<strong>de</strong>n können, dies scheint mit <strong>de</strong>m Wissen um das Ziel <strong>de</strong>s Argumentationsgangeseinfacher, da die einzelnen Schritte so gleich im richtigen Licht gesehen wer<strong>de</strong>n können.Anschließend wer<strong>de</strong>n die einzelnen Stufen <strong>de</strong>r Argumentation Schritt für Schritt nachvollzogenund teilweise mit Beispielen belegt. Das Werk <strong>de</strong>s <strong>Thomas</strong> bil<strong>de</strong>t ein enges Gefüge einzelnerArgumentationsschritte, welche zum Teil nicht ein<strong>de</strong>utig gegeneinan<strong>de</strong>r abgrenzbar sind, son<strong>de</strong>rnineinan<strong>de</strong>r übergehen. Die Darlegung <strong>de</strong>r einzelnen Schritte geschieht in engem Bezug zum Text<strong>de</strong>r Summa theologicae I.In einem Unterpunkt <strong>de</strong>s Hauptteiles dieser Arbeit wer<strong>de</strong>n die <strong>von</strong> <strong>Thomas</strong> angeführten Positionenan<strong>de</strong>rer Philosophen dargestellt und ihre Wi<strong>de</strong>rlegung aus <strong>de</strong>r Lösung und Argumentation <strong>de</strong>s<strong>Thomas</strong> heraus erklärt. Dabei ist es, wie auch im argumentativen Teil dieser Arbeit, nicht möglich,die Positionen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Philosophen ausführlich darzulegen, da es <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r Arbeitsprengen wür<strong>de</strong>. Aus <strong>de</strong>m gleichen Grund kann nicht <strong>de</strong>tailliert beschrieben wer<strong>de</strong>n, inwieweit<strong>Thomas</strong> an diversen Stellen auf Aristoteles, Augustinus o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren Philosophen zurückgreifto<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ssen ursprüngliche Anschauung in einigen Teilen zu seinen Zwecken neu interpretiertund <strong>de</strong>r eigenen Theorie anpasst. Setzt er Lehren voraus, so wer<strong>de</strong>n diese nicht eingehen<strong>de</strong>rläutert, son<strong>de</strong>rn nur so weit es für das Verständnis <strong>de</strong>s Textes nötig ist erwähnt. Ein persönlicherSchlusssatz befin<strong>de</strong>t sich nicht am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Arbeit, sie schließt vielmehr mit einer komprimiertenZusammenfassung <strong>von</strong> <strong>Thomas</strong>’ Problemlösung, da dieser wohl nichts mehr hinzuzufügen ist.2. Der Lehre zur Erkenntnis <strong>de</strong>r Körperdinge nach <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>Das Erkennen <strong>de</strong>s Menschen ist ein einheitlicher Prozess, <strong>de</strong>r sich aus mehreren Stufen zusammensetzt.Gerichtet ist die Erkenntnis naturgemäß auf materielle Dinge in <strong>de</strong>r Welt, die für dieSinne erfassbar sind, <strong>de</strong>nn die natürliche Umgebung <strong>de</strong>s Menschen ist die sinnlich erfahrbareWelt. Alles Immaterielle ist vom Menschen nur durch Abstreifen <strong>de</strong>r Materie, durch Abstraktionerkennbar. So erkennt <strong>de</strong>r Mensch allgemein, d. h. aus einem Individuum nimmt er im Verstanddas Allgemeine wahr, während er die sinnlich erkennbare Materie, die das Individuelle ausmacht,abstreift.Grob ist die Erkenntnis <strong>de</strong>s Menschen in Sinnes- und Verstan<strong>de</strong>serkenntnis zu unterteilen, wobeidiese im Menschen wesensmäßig zusammenfallen, da die Seele, die substantielle Form <strong>de</strong>s Menschenist, ohne ihren materiellen „Teil“, <strong>de</strong>n Körper, nichts erkennen kann, das er zu ihrem Wesengenauso dazu gehört, wie ihr geistiger Anteil. Der Tätigkeit <strong>de</strong>r Seele muss eine Reizung, Affizierung,<strong>de</strong>r Sinne vorangehen. Die Anregung <strong>de</strong>r Sinne durch ein <strong>de</strong>m jeweiligen Sinn entsprechen<strong>de</strong>sObjekt bil<strong>de</strong>t so die Grundlage je<strong>de</strong>r Erkenntnis. Denn: „Der menschliche Verstand ist mit4


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong><strong>de</strong>m Leib verbun<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>shalb sind <strong>de</strong>r ihm eigentümliche Gegenstand die Naturen körperlicherDinge o<strong>de</strong>r die Wesenheiten, insofern sie in materiellen Dingen verwirklicht sind.“ 1Das Sinnvermögen <strong>de</strong>r Wahrnehmung wird in Gang gesetzt, in<strong>de</strong>m ein o<strong>de</strong>r mehrere Sinne durcheinen Gegenstand gereizt wer<strong>de</strong>n, sich gewissermaßen eine ständig mögliche Beziehung zwischenSinn und Ding tatsächlich aufbaut. Die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s wird durch <strong>de</strong>n vermitteltensinnlichen Eindruck (species sensibilis) ermöglicht. Dieser geht nicht vom Gegenstand o<strong>de</strong>r<strong>de</strong>m Menschen als erkennen<strong>de</strong>m Subjekt aus, son<strong>de</strong>rn ist das, wodurch ein Gegenstand wahrgenommenwird. Durch das Zusammenwirken <strong>de</strong>r einzelnen Sinne <strong>de</strong>s Gemeinsinnes, <strong>de</strong>s Sinngedächtnissesund <strong>de</strong>r Einbildungskraft entsteht eine Vorstellung (phanstasma) <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s in<strong>de</strong>r Seele. Diese Wahrnehmung ist allerdings noch nicht mit Erkennen gleichzusetzen, da das Wesen,<strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s noch nicht erfasst ist, son<strong>de</strong>rn lediglich seine materielle Beschaffenheit.Um ein sich ein wahres Urteil zu bil<strong>de</strong>n, was erstes Ziel einer Erkenntnis ist (es wird dabeinicht übersehen, dass das letzte Ziel <strong>de</strong>r Erkenntnis immer Gott ist), da sie erst in ihm wirklichvollzogen wird, muss über die Phantasmata hinaus noch mehr erkannt wer<strong>de</strong>n, nämlich das Wesen<strong>de</strong>r Dinge, also das, was ein Ding ist, muss begriffen wer<strong>de</strong>n, es muss Begriffe geben. Dieskann nicht <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Sinnen, son<strong>de</strong>rn muss vom Verstand geleistet wer<strong>de</strong>n. Dieser stellt zunächstein passives, rezeptives Erkenntnisvermögen dar (intellectus possibilis), das sich seiner Möglichkeitnach auf alle Dinge erstreckt, also alles sein kann, aber nicht unmittelbar ist, <strong>de</strong>nn es ist passivo<strong>de</strong>r potentiell. Der Verstand muss also, wie die Sinne auch, <strong>von</strong> einem An<strong>de</strong>ren in Gang gesetztwer<strong>de</strong>n. Analog zum sinnlichen Eindruck ist hier die entsprechen<strong>de</strong> Form, <strong>de</strong>r verstehbareEindruck (species intelligibils) <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s bzw. <strong>de</strong>s im Verstand vorgestellten Bil<strong>de</strong>s verantwortlich,sie gleicht das Ding <strong>de</strong>m Verstand an. Durch dieses Wodurch wird <strong>de</strong>r möglicheVerstand in Wirklichkeit überführt, aktualisiert. In<strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r tätige Verstand (intellectus agens)<strong>de</strong>m wahrgenommenen Phantasma zuwen<strong>de</strong>t, kommt es zu einer Herauslösung, einer Abstraktion<strong>de</strong>s Verstehbaren (Intelligiblen) aus <strong>de</strong>m sinnlich Wahrgenommenen; <strong>de</strong>r Verstand begreift nundas allgemeine Wesen <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s, getrennt <strong>von</strong> <strong>de</strong>n individuellen Akzi<strong>de</strong>nzien. Diese conversioad phantasma <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s ist <strong>de</strong>r Punkt, wo Verstand und Sinn ineinan<strong>de</strong>r greifen, <strong>de</strong>rpotentielle Verstand zum aktiven Verstand wird, <strong>de</strong>r er in <strong>de</strong>r spontanen Zuwendung bereits ist.Diese Tätigkeit braucht keine körperliche Beihilfe, es muss zwischen Sinn und Verstand vermitteltwer<strong>de</strong>n, dies tut <strong>de</strong>r intellectus agens. Im Akt <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s wird also das Verstehbare inihm, in <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>s Dinges, verstan<strong>de</strong>n.Offensichtlich erfolgt die Erkenntnis also aposteriorisch, <strong>de</strong>nn nur durch Sinnerfahrung wird <strong>de</strong>rVorgang ausgelöst, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r mögliche Verstand spontan in einen wirklichen überführt wird. AlsVorbedingung <strong>de</strong>r Erkenntnis ist jedoch ein apriorisches Moment nötig, ohne das <strong>de</strong>r Mensch1 Summa Theologicae I q. 84, art. 7 c.5


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>3. 2 Der Weg zur Lösung <strong>de</strong>s Problems<strong>Thomas</strong>, <strong>de</strong>r in seine Erkenntnislehre die wichtigsten aristotelischen Grundlagen aufnimmt, versuchtauf dieser Basis die Frage nach <strong>de</strong>r Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Verstan<strong>de</strong>sseele zu lösen, wobeieinen scheinbaren inneren Wi<strong>de</strong>rspruch bei Aristoteles lösen sucht, und außer<strong>de</strong>m probiert, sofernes im Rahmen seiner Argumentation möglich ist, die augustinische Auffassung beizubehalten.„Jedwe<strong>de</strong>s Ding ist erkennbar, sofern es in Wirklichkeit und nicht sofern es in Möglichkeit ist.“ 5So schreibt Aristoteles in <strong>de</strong>r Metaphysik, <strong>Thomas</strong> übernimmt diese These als Grundlage für dieEntwicklung seiner Theorie. Es ist nicht sehr missverständlich, was er damit meint, <strong>de</strong>nn etwaskann nur so sein, wahr sein und erkannt wer<strong>de</strong>n, wie es auch in Wirklichkeit ist. Man kann nichtwahrnehmen, dass beispielsweise ein Gesicht rot sein kann, die Möglichkeit hat rot zu sein /zuwer<strong>de</strong>n, wenn es augenblicklich, in Wirklichkeit, blass ist. Man erkennt die Röte im Gesicht alsonicht, weil man das Gesicht mit <strong>de</strong>m Gesichtssinn sieht, son<strong>de</strong>rn nur, weil und wenn sie wirklichvorhan<strong>de</strong>n ist. Genau so wie in es in diesem Beispiel mit <strong>de</strong>n Sinnen ist, ist es mit <strong>de</strong>m Verstand.Erkennt er körperliche Dinge, so kann er nicht erkennen, was nicht ist, son<strong>de</strong>rn nur möglicherweisesein kann. Daher kommt es, dass die Seele auch <strong>de</strong>n Urstoff, die materia prima, an sich unddurch sich selbst, nicht erkennen kann, son<strong>de</strong>rn nur im Verhältnis zu seiner jeweilig wirklichenForm. Denn <strong>de</strong>r Urstoff hat die Möglichkeit alles zu wer<strong>de</strong>n, und wird er einer Form (als Substrat)zugeordnet, so wird er wirklich und damit erkennbar. Als pure Möglichkeit ist er, wie das potentiellrote Gesicht, nicht zu erkennen. Hier besteht eine Parallele zur Verstan<strong>de</strong>sseele, in <strong>de</strong>r <strong>Thomas</strong>’Problemlösung schon hier, zu Anfang seiner Argumentation, angerissen wird: Der aufnahmebereiteVerstand kann in seiner Möglichkeit alles sein (s. o.), er kann aber unmöglich als alleserkannt wer<strong>de</strong>n, da er es ja nur sein kann, aber nicht ist. Sobald er aber aktiv wird und das Intelligibleaus <strong>de</strong>m Gegenstand herauslöst, wird er wirklich und kann überhaupt erst –egal wie- erkanntwer<strong>de</strong>n, so wie auch <strong>de</strong>r Urstoff erst in einer Form aktualisiert erkannt wer<strong>de</strong>n kann.Von dort ausgehend kann man mit <strong>Thomas</strong> zunächst schließen, dass also auch stofflose Substanzen,zu diesen gehört <strong>de</strong>r Verstand ja, nur in Wirklichkeit, in ihrem Akt, erkennbar sind. „Soweiteine je<strong>de</strong> <strong>von</strong> ihnen Wirklichkeit ist, ebensoweit ist sie auch durch ihre Wesenheit verstehbar.“ 6Nach<strong>de</strong>m dieser Aspekt geklärt ist, wen<strong>de</strong>t sich <strong>Thomas</strong> <strong>de</strong>m nächsten zu, er setzt die Art undKraft <strong>de</strong>r Verstan<strong>de</strong>sseele <strong>de</strong>s Menschen in Beziehung zur Erkenntniskraft Gottes und <strong>de</strong>r Engel.Es gibt gewissermaßen drei Stufen innerhalb <strong>de</strong>r Gattung <strong>de</strong>s Verstehbaren, absteigend <strong>von</strong> Gottals <strong>de</strong>r vollkommenen Erkenntnis hinab zum Menschen mit seinem Verstand als niedrigste Stufe.5 „ ‘quod unumquodque cognoscibile est secundum quod est in actu, et non secundum quod est in potentia’ ” S. th. I,q. 87, art. 1 c.6 „secundum quod unaquaeque earum se habet ad hoc quod sit in actu per suam essentiam, ita se habet ad hoc quod sitper suam essebtiam intelligibilis.“ S. th. I, q. 87, art. 1c.7


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>und grenzt seine These daher <strong>de</strong>utlich gegen an<strong>de</strong>re ab. So kommt er auf <strong>de</strong>n Platonismus zusprechen und trennt <strong>de</strong>ssen Theorie zur Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seele streng <strong>von</strong> <strong>de</strong>r seinen.So wie die einzelne Stufen <strong>de</strong>r Erkenntnisweise unterteilt wer<strong>de</strong>n, also in vollkommene Aktualitätbei Gott, Aktualität und Potenz beim Engel und reine Potenz beim Menschen, womit das sich verstehen<strong>de</strong>und verwirklichen<strong>de</strong> Sein Gottes oben an <strong>de</strong>r Spitze steht, so setzen die Platoniker verstehbareund verstandschenken<strong>de</strong>, teilgeben<strong>de</strong> Formen, nämlich die I<strong>de</strong>en, über die Kraft <strong>de</strong>s teilnehmen<strong>de</strong>nVerstan<strong>de</strong>s. Sie sagen nämlich, dass <strong>de</strong>r Verstand nur verstehen kann, in<strong>de</strong>m er andiesen höher stehen<strong>de</strong>n Seinsheiten teilhat. Ihnen zu Folge wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verstand aktiv, also wirklich,in<strong>de</strong>m er sich durch die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Sinnesdinge an die höher gestellten I<strong>de</strong>en blitzartigerinnern und so die Dinge in <strong>de</strong>r Welt erkennen wür<strong>de</strong>. Durch solche Teilhabe an <strong>de</strong>n immateriellenDingen wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r menschliche Verstand sich <strong>de</strong>mnach selbst erkennen.Doch so kann es nicht sein. Denn alle Menschen leben in einer Körperwelt, sind ja selbst Körperund wären ohne Körper nicht das, was sie sind. Da also <strong>de</strong>r Körper untrennbar zum Wesen <strong>de</strong>sMenschen gehört, genau wie <strong>de</strong>r Verstand auch, ist es für <strong>de</strong>n Menschen, und damit auch für seineSeele, ganz natürlich, dass er sich in dieser Welt auf an<strong>de</strong>re stoffliche Körper, die er mit seinenSinnen erkennen kann, bezieht. Dies ist im siebten Artikel <strong>de</strong>r 84. Frage <strong>de</strong>sselben Werkes <strong>von</strong><strong>Thomas</strong> erklärt. Es wäre somit paradox zu behaupten, dass, obwohl <strong>de</strong>r Mensch als Sinneswesenin einer Körperwelt lebt, er sich zur Erkenntnis auf konkrete, aber unstoffliche, mit <strong>de</strong>n Sinnennicht greifbare Formen bezieht, zu <strong>de</strong>nen er nur in einer Erinnerung gelangen kann, zumal es sichnur schlecht mit <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>de</strong>s Menschen durch Gott verbin<strong>de</strong>n lässt, dass die Seele vor ihrer„Einkerkerung“ in <strong>de</strong>n menschlichen Körper schon in einer überweltlichen „I<strong>de</strong>enzone“ gelebtund sich dort die Grundlagen für ihre späteren Erinnerungen angeeignet hat.Wenn man nun alles, was bisher erklärt wur<strong>de</strong> zusammennimmt, so folgt: Da <strong>de</strong>r Verstand nurdas erkennen kann, was wirklich da ist, aber nichts, was nur möglich ist, da er die Möglichkeit,Dinge zu erkennen, aus sich heraus hat, aber aktuell wer<strong>de</strong>n muss, um die Erkenntnis zu vollziehen,was wie<strong>de</strong>rum nur über die sinnliche Wahrnehmung geschieht und nicht <strong>von</strong> einem getrenntexistieren<strong>de</strong>n Formenreich kommen kann, kann sich <strong>de</strong>r Verstand nur soweit erkennen, wie „...erin die Wirklichkeit (<strong>de</strong>r Tätigkeit) versetzt wird durch die mittels <strong>de</strong>s Lichtes <strong>de</strong>s tätigen Verstan<strong>de</strong>sabgezogenen Erkenntnisbil<strong>de</strong>r.“ 10 . Dies ist die Schlussfolgerung, mit <strong>de</strong>r das Problem eigentlichgelöst ist.Um die Ausführung noch genauer zu begreifen, scheint es noch wichtig zu verstehen, was diesesschon weiter oben angesprochene Licht ist und bewirkt. Das Licht bewirkt, dass etwas aus <strong>de</strong>rMöglichkeit <strong>de</strong>s Erkennens heraus in <strong>de</strong>n Akt überführt wird, also etwas <strong>de</strong>r Möglichkeit nach10 „...secundum quod fit in actu per species a sensibilibus abstractas per lumen intellectus agentis...“ S. th. I, q. 87,art.1 c.9


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>Verstehbares auch wirklich verstan<strong>de</strong>n wird. Es (das Licht) ist die „...Wirklichkeit <strong>de</strong>s möglichenVerstan<strong>de</strong>s“ 11 also <strong>de</strong>r Grund, weswegen wir Menschen verstehen können, es ist <strong>de</strong>r intellectusagens selbst. Der Ursprung dieses Lichtes liegt in Gott, welcher selbst das ewige unerschaffeneLicht ist. Dem Menschen hat er, wie oben schon erwähnt, bei seiner Schöpfung einen, wenn auchschwachen, Anteil dieses Lichtes mitgegeben, eingepflanzt. So nimmt dieser am ewigen göttlichenLicht Teil, und hat dadurch die Kraft wirklich zu erkennen, aus <strong>de</strong>n Sinnesbil<strong>de</strong>rn zu abstrahieren.Die Erkenntnis ist folglich ein Geschenk Gottes an <strong>de</strong>n Menschen.Diese thomistische Theorie <strong>de</strong>r Teilnahme, <strong>de</strong>r participatio, am göttlichen Licht ist nicht gleichzusetzenmit <strong>de</strong>r augustinischen Illuminationslehre, die besagt, dass wie für das Sehen das Licht<strong>de</strong>r Sonne, so für die Erkenntnis eine Erleuchtung <strong>von</strong> Seiten Gottes notwendig sei. Diese bestehedarin, dass ewige Wahrheiten durch Gott in <strong>de</strong>n Menschen einstrahlen. Die Einstrahlung, illuminatio,ist <strong>de</strong>mnach in gewisser Weise schon mit „...Keimgrün<strong>de</strong>n schwanger.“ 12 , also ist eine aprioischeErkenntnis im Menschen grundgelegt. Demgegenüber hat das natürliche Licht, das lumennaturale, bei <strong>Thomas</strong> eine ganz neutrale Funktion und ist Gabe Gottes, die noch keine apriorischeErkenntnis <strong>de</strong>r Dinge mit sich bringt.Um das Wichtigste <strong>de</strong>r allgemeinen Erkenntnis und damit auch <strong>de</strong>r Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seeleganz komprimiert zusammenzufassen, kann man sagen: Das Erkennen einer Wirklichkeit außerhalb<strong>de</strong>s Subjekts kann man als ein „Hinausgehen <strong>de</strong>s Erkennen<strong>de</strong>n zum Objekt“ 13 bezeichnen.Das Prinzip <strong>de</strong>r Erkenntnis, das partizipieren<strong>de</strong> Licht, <strong>de</strong>r intellectus agens, kommt in einer Reflexionauf sich selbst zu sich selbst zurück. Zurück vom Erkenntnisakt, <strong>de</strong>r irgendwo zwischen <strong>de</strong>merkennen<strong>de</strong>n Subjekt und <strong>de</strong>m zu erkennen<strong>de</strong>n Objekt liegt. In dieser Rückkehr geschieht die Erkenntnis<strong>de</strong>s eigenen Wesen, das ja in diesem Moment aktuell ist. Und „In <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>seigenen Wesens vollen<strong>de</strong>t sich diese Rückkunft geistbegabter Wesen.“ 14 . Die Seele erkennt alsoerst ihr Objekt, dann in ihrer Tätigkeit ihre Wirklichkeit und zuletzt, nämlich in ihrer Wirklichkeit,ihre Natur. Sich erkennen heiß für die Seele also „zu sich (zurück-)kommen“.So kann man in einem Satz sagen: „Unser Verstand erkennt sich also nicht durch seine Wesenheit,son<strong>de</strong>rn durch seine Wirklichkeit (seine Tätigkeit).“ 15Diese Lösung <strong>de</strong>s Ausgangsproblems gilt gleich in zweifacher Weise. Und zwar spricht <strong>Thomas</strong>hierbei <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Erkenntnis im Einzelnen gegenüber <strong>de</strong>r Erkenntnis im Allgemeinen; die bei<strong>de</strong>nsind <strong>von</strong>einan<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>n.11 „...quod est actus (...) mediantibus intellectus possibilis.” Ebd.12 P. Böhner, E. Gilson, „Christliche Philosophie“, Pa<strong>de</strong>rborn 1954.13 R. Heinzmann, „<strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>“, Stuttgart, Berlin, Köln, 1994.14 Vgl. Heinzmann, S. 50.15 „Non ergo per essentiam ausm, sed per acttum suum se cognoscit intellectus noster.“ S. th. I, q. 87, art. 1c.10


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>Mit <strong>de</strong>r Erkenntnis im Einzelnen ist gemeint, dass einem je<strong>de</strong>n Menschen sein Verstand bewusstist, was alleine dadurch geschieht, dass dieser immer in irgen<strong>de</strong>iner Form da ist, ständig gegenwärtigbleibt. Das erkennt ein Mensch einfach, in<strong>de</strong>m er bemerkt, dass er <strong>de</strong>nkt und erkennt, undzwar nicht nur ab und zu son<strong>de</strong>rn in gewisser Weise ununterbrochen. Denn um je<strong>de</strong>rzeit spontanerkennen zu können muss etwas vorhan<strong>de</strong>n sein, was die Grundlage dafür ist, und dieses ist <strong>de</strong>rmögliche und aktive Verstand. Daher „...nimmt Sokrates o<strong>de</strong>r Plato wahr, daß er eine verstandbegabteSeele hat, in<strong>de</strong>m er wahrnimmt, daß er <strong>de</strong>nkt.“ 16 Diese erste Erkenntnis <strong>de</strong>r Seele im Einzelfallbesteht also aus einem Gegenwartsbewusstsein <strong>de</strong>s eigenen Verstan<strong>de</strong>s. Dabei „..hält <strong>Thomas</strong>an einer Art augustinisch geprägter habitueller Selbstgegenwart <strong>de</strong>r menschlichen Geistigkeitfest...“ 17 .Die zweite Erkenntnis vom menschlichen Geist, nämlich die allgemeine Erkenntnis über dieNatur <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, ist nicht so offensichtlich, sie erfor<strong>de</strong>rt, über die ständige Selbstgegenwart<strong>de</strong>s Geistes hinaus, eine genauere Untersuchung. Daher ist auch verständlich, warum sich vor<strong>Thomas</strong> nach <strong>de</strong>ssen Ansicht schon so viele in dieser Frage geirrt haben. Um zu dieser allgemeinenErkenntnis über die Natur <strong>de</strong>s menschliche Verstan<strong>de</strong>s zu kommen, muss bei <strong>de</strong>ssen Akt angesetztwer<strong>de</strong>n, da wir ja, wie schon erklärt, nur hierdurch überhaupt irgen<strong>de</strong>twas <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Seeleerkennen können. Nur durch die Wirklichkeit <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s können wir ihn erkennen und unsein Urteil über ihn bil<strong>de</strong>n. Aus <strong>de</strong>m Akt <strong>de</strong>r Seele schließen wir also in einer Art „Doppelreflexion“(<strong>de</strong>r Erkennnisakt wird nocheinmal aktuiert) auf die göttliche Natur <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s. In <strong>de</strong>rAbstrahierung <strong>de</strong>s Verstehbaren aus <strong>de</strong>r sinnlich wahrnehmbaren Materie stellt <strong>de</strong>r Verstand fest,dass er nicht <strong>von</strong> <strong>de</strong>r gleichen Art, <strong>de</strong>r gleichen Gattung und Substanz wie die Materie ist, son<strong>de</strong>rn<strong>von</strong> ihr verschie<strong>de</strong>n. Es folgt, dass er feststellt, dass er immateriell und so <strong>von</strong> allen Dingen indieser Welt, ausgenommen <strong>de</strong>m Verstand an<strong>de</strong>rer Menschen, substantial verschie<strong>de</strong>n ist. Dies istnatürlich nur möglich, wenn <strong>de</strong>r Geist, seiner selbst bewusst, sich selbst und <strong>de</strong>r Welt gegenübergegenwärtig ist und sich nicht außerhalb <strong>de</strong>r Welt zu verstehen sucht. Dieser Theorie passt auch indie Ansicht <strong>Thomas</strong>’ bezüglich <strong>de</strong>s Menschen als untrennbare Einheit <strong>von</strong> Leib und Seele hier in<strong>de</strong>r Welt. Der Geist ist wie <strong>de</strong>r Körper in <strong>de</strong>r Welt gegenwärtig. Dementsprechend interpretiert<strong>Thomas</strong> auch Augustinus hinsichtlich <strong>de</strong>r Forschung nach <strong>de</strong>m Geist: „Deswegen sagt Augustinus(...): ‚Nicht wie einen Abwesen<strong>de</strong>n suche sich <strong>de</strong>r Geist zu erkennen, son<strong>de</strong>rn er suche <strong>de</strong>n Gegenwärtigenheraus zu erkennen.’ d. h. er soll seine Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Dingen und damitseine Wesenheit und seine Natur zu erkennen suchen.“ 18 Der Verstand erkennt seine Natur,16 „...Socrates vel Plato percipit se habere animam intellectivam, ex hoc quod percipit se intelligere.“ S. th. I, q.87, art.1c17 M. Gumann, „Vom Ursprung <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>s Menschen bei <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>“, Regensburg, 1999, S. 97.18 „Propter Augustinus dicit (...): ‚Non velut absentem se quaerant mens cernere; sed praesentem quaerat discernere’,i<strong>de</strong>st cognoscere differentia suam ab aliis rebus, quod es cognoscere quidditatem et naturam suam.“ S. th. I, q. 87, art.11


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong><strong>de</strong>ren göttlichen Ursprung, also in seiner Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Dingen. Nun kann er dies,wie alle an<strong>de</strong>ren Dinge, jedoch nur durch das ihm geschenkte am Licht Gottes teilnehmen<strong>de</strong> Verstan<strong>de</strong>slicht.Er erkennt seine Natur und seinen Ursprung folglich durch diese, seine Natur undseinen Ursprung, selber. Das partizipierte Licht ist Prinzip je<strong>de</strong>r Erkenntnis. Die Erkenntnis„...kommt uns zu, sofern sich das Licht unseres Verstan<strong>de</strong>s <strong>von</strong> <strong>de</strong>r göttlichen Wahrheit herleitet,in <strong>de</strong>r die Urbil<strong>de</strong>r aller Dinge enthalten sind (84,5).“ 19 Mit diesem Satz, <strong>de</strong>r eingangs noch einmaldas Verstan<strong>de</strong>slicht als Grundlage <strong>de</strong>r Erkenntnis betont, wird weiter eine Aussage <strong>de</strong>s Augustinus’eingeleitet, die <strong>Thomas</strong> für seine Theorie verwen<strong>de</strong>n kann. In <strong>de</strong>r göttlichen Wahrheit sinddie Urbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dinge enthalten, insofern Gott reine Wirklichkeit ist und so alles Erkennbare insich fasst. „Daher sagt Augustinus: ‚wir schauen in <strong>de</strong>r unverletzlichen Wahrheit aus <strong>de</strong>r wir sovollkommen wie möglich bestimmen, nicht wie eines je<strong>de</strong>n Menschen Geist beschaffen ist, son<strong>de</strong>rnwie er nach <strong>de</strong>n ewigen Urbil<strong>de</strong>n beschaffen sein soll.’“ 20 Während Augustinus hier ursprünglich,entsprechend seiner Erkenntnistheorie, sicherlich meinte, dass man <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>sMenschen nicht durch Summierung einzelner Begegnungen mit Menschengeistern erhält, son<strong>de</strong>rndadurch, dass die <strong>von</strong> <strong>de</strong>n ewigen Grün<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n rationes aeternes, aus, <strong>de</strong>m Verstand, gleich <strong>de</strong>rblitzartigen Erinnerung, wie sie Platon beschreibt, schon vor aller Erfahrung eingepflanzt ist, undmit einem Mal einleuchtet, was das Wesen und die Natur <strong>de</strong>s menschlichen Geistes ist, interpretiert<strong>Thomas</strong> es, bezogen auf <strong>de</strong>n eigenen Erkenntnis-Entwurf, an<strong>de</strong>rs: Wir erkennen die Natur<strong>de</strong>s menschlichen Geistes durch unsere Teilhabe am göttlichen Licht und damit in <strong>de</strong>n ewigenGrün<strong>de</strong>n. Wir erkennen die Natur unseres Verstan<strong>de</strong>s durch das Licht in uns, das <strong>de</strong>n Verstandaktuell wer<strong>de</strong>n, erkennen und damit reflektieren lässt, wodurch letzten En<strong>de</strong>s die göttliche Natur<strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, wie eben erklärt, erkannt wird.3. 3 An<strong>de</strong>re Anschauungen und ihre Entkräftung:Während <strong>Thomas</strong> diese Theorie entwickelte, lagen ihm aus <strong>de</strong>r Philosophie(-Geschichte) an<strong>de</strong>rePositionen vor, mit <strong>de</strong>nen er sich auseinan<strong>de</strong>rsetzen musste, was er innerhalb seiner Argumentationauch tut. Seine Argumentationsschritte selbst implizieren die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit diesenan<strong>de</strong>ren Positionen und rechtfertigen die Stellung <strong>Thomas</strong>’. Aus seiner Theorie geht hervor, dass1c. - In wiefern <strong>Thomas</strong> Augustinus hier authentisch interpretiert o<strong>de</strong>r diesem seine eigene Meinung in <strong>de</strong>n Mundgelegt hat, ist an dieser Stelle schlecht nachzuvollziehen.19 „...compedit nobis secundum <strong>de</strong>rivationem luminis intellectus nostri a veritate divina, in quae rationes rerum omn i-um conttinentur, sicut supra dictum est.“ S. tth. I, q. 87, art. 1c.20 „Und et augustinus dicit, in 9 <strong>de</strong> Trin (cap.6): ‚Inttuemur inviolabilem veritate ax qua perffecte, quantum possumus,<strong>de</strong>finimus non qualis uniuscujusque hominis mens, sed qualis esse sempiternis rationibus <strong>de</strong>beat.’“ S. th. I,.12


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>an<strong>de</strong>re Meinungen zu <strong>de</strong>r Frage, ohne in <strong>de</strong>r Entwicklung zur Lösung selbst genannt zu wer<strong>de</strong>n,nicht richtig sein können. Sie wer<strong>de</strong>n systematisch ausgeschlossen.Um dies noch einmal zu ver<strong>de</strong>utlichen greift <strong>Thomas</strong> drei Theorien heraus, an <strong>de</strong>nen er noch einmalseine Position in Unterschied zu an<strong>de</strong>ren ver<strong>de</strong>utlicht.Der <strong>de</strong>m Platonismus zugeneigte Kirchenlehrer Augustinus, auch zu <strong>Thomas</strong>’ Zeit nicht nur inGlaubensfragen eine absolute Autorität, vertrat in seiner Schrift „De Trinitate“ die Auffassung:„Der Geist erkennt sich selbst durch sich selbst, <strong>de</strong>nn er ist körperlos.“ 21 Grundlegend für dieseAussage ist ein Verständnis <strong>von</strong> Erkenntnis, nach <strong>de</strong>m Gleiches nur <strong>von</strong> Gleichem erkannt wer<strong>de</strong>nkann, also Körperdinge vom Körper und körperlose Dinge nur <strong>von</strong> Körperlosem. Demzufolgewür<strong>de</strong> sich die intellektive Seele also durch ihr Wesen selbst erkennen, da sie stofflos ist und esihr Wesen ist, Stoffloses zu erkennen. Die Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seele besteht folglich in einer Art<strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>s eigenen Wesens noch bevor überhaupt etwas an<strong>de</strong>res erkannt wer<strong>de</strong>n kann.In diesem Punkt ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>Thomas</strong> offensichtlich. Die Selbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seele istbei ihm ein Akt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erkenntnis eines an<strong>de</strong>ren Dinges in <strong>de</strong>r Reflexion und Rückkehr <strong>de</strong>r Seelezu sich selbst folgt und nicht eine apriorische Wesenseigenheit <strong>de</strong>r Seele. Denn sie erkennt sichja, wie ganz zu Beginn <strong>de</strong>r thomanischen Argumentation erklärt wird, durch ihre Wirklichkeit.Der Verstand erkennt sich selbst in <strong>de</strong>r Erkenntnis, „... ‚weil er sich selbst liebt’...“ 22 , wie Augustinusan <strong>de</strong>r letzt zitierten Stelle fortfährt. Lieben kann man aber nur das, was man kennt. DerGeist erkennt sich also schon auf gewisse Weise durch sein Wesen. Aber nicht in <strong>de</strong>r Art, wie esAugustinus <strong>de</strong>r allgemeinen Auffassung nach meinte. Denn etwas kann entwe<strong>de</strong>r durch sichselbst, also durch sein Wesen bekannt sein, weil man es schlicht nicht auf irgen<strong>de</strong>ine an<strong>de</strong>re Weiseerkennen kann, wie es beispielsweise bei einem <strong>de</strong>r ersten Prinzipien <strong>de</strong>r Erkenntnis, <strong>de</strong>r Erkenntnis<strong>de</strong>s Seins, ist. Je<strong>de</strong>r weiß, was Sein ist, weil es ihm als einzige apriorische Grundlagezusammen mit <strong>de</strong>m Licht <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s <strong>von</strong> Gott geschenkt wur<strong>de</strong>. So ist es erklärtermaßen mit<strong>de</strong>r Seele nicht, wie es jedoch die gemäß <strong>de</strong>r original-augustinischen Auffassung wäre. O<strong>de</strong>r mankennt etwas durch sich selbst, da man ihm nichts hinzufügen muss, um es zu erkennen. Die Substanzzum Beispiel ist nur erkennbar, wenn ihr etwas, nämlich eine bestimmte Form, zugefügtwird. Sie ist folglich nicht durch sich selbst erkennbar. An<strong>de</strong>rs ist es z. B. mit <strong>de</strong>r Farbe, die manerkennt, ohne, dass etwas bestimmtes Weiteres vorhan<strong>de</strong>n ist, die also als durch sich bekannt geltenkann. In dieser Hinsicht ist auch die verstandbegabte Seele durch sich erkennbar. Nämlichnicht durch Hinzufügung, son<strong>de</strong>rn durch <strong>de</strong>n ihr wesenseigenen Akt.Als Zweites greift <strong>Thomas</strong> die Feststellung auf, dass die verstandbegabte Substanz, die Gott <strong>de</strong>nEngeln verlieh, die gleiche sei, wie diejenige, welche er bei <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>de</strong>m Menschen21 „ ‘mens seipsam per seipsam novit, quoniamest incorporea’ “. S. th. I, q. 84,art.1 ad 122 „... ‚quia ipsa seipsam amat’ ...“ S. th. I, q. 87, art.1, ad 1.13


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>schenkte. Und da es unstrittig sei, dass die Engel sich selbst durch ihr Wesen erkennen, müsstedies auch die menschliche Seele tun, da sie eben <strong>von</strong> <strong>de</strong>r gleichen Substanz, wie die Erkenntniskraft<strong>de</strong>r Engel sei, und daher auf gleiche Weise erkenne. Auch dieser Einwand ist in <strong>de</strong>r Argumentation<strong>Thomas</strong>’ schon genauer erläutert und außer Kraft gesetzt. Wie beschrieben, ist in <strong>de</strong>nEngeln durch die fast restlose Aktivität ihres Verstan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Verstand und das Verstan<strong>de</strong>ne dasselbe.Sie erkennen sich also tatsächlich durch ihr Wesen. Es stimmt auch, dass im Menschen diegleiche Art <strong>de</strong>r verstandbegabten Substanz wirksam ist. Der Punkt, weswegen die Aussage <strong>de</strong>rSelbsterkenntnis <strong>de</strong>r Seele auf <strong>de</strong>n Menschen nicht zutrifft, ist <strong>de</strong>r schon oben erklärte. DerMensch steht in <strong>de</strong>r Gattung <strong>de</strong>s Verstehbaren auf einer niedrigeren Stufe als <strong>de</strong>r Engel, seinVerstand ist nicht ständig aktuell. Vielmehr ist das Gegenteil ist <strong>de</strong>r Fall. Der Verstand <strong>de</strong>s Menschenist entwe<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Potenz alles zu wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r er ist im Akt die Wirklichkeit <strong>de</strong>s Verstehbaren,<strong>de</strong>r intellectus agens. Und dieser ist das göttliche Licht in ihm.Eine dritte Position vertrat <strong>de</strong>r im Mittelalter neu ent<strong>de</strong>ckte Aristoteles. Seine Auffassung scheintin <strong>de</strong>m Werk „De Anima“ klar ausgedrückt: „In <strong>de</strong>n stofflosen Wesen sind Verstand und das, wasverstan<strong>de</strong>n wird, dasselbe“ 23 . So müsse es also auch für die Verstan<strong>de</strong>sseele gelten, <strong>de</strong>nn sie istohne Stoff. Auch hier die offensichtliche Aussage: Die Seele erkennt sich durch ihr Wesen.Jedoch scheint sich Aristoteles zu wi<strong>de</strong>rsprechen. Denn nur einige Zeilen vor <strong>de</strong>r letztgenannterAussage spricht er in „De Anima“ da<strong>von</strong>, dass <strong>de</strong>r Verstand sich auf die gleiche Weise erkenne,wie er die übrigen Gegenstän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Welt erkennt. Das hieße, dass <strong>de</strong>r Verstand sich durch Abstraktionbegreifen wür<strong>de</strong>, wie es weiter oben unter 1. erklärt wor<strong>de</strong>n ist. Das nun steht offenbarim Gegensatz zu <strong>de</strong>r Aussage, dass die sich die Seele durch ihr Wesen erkennt, <strong>de</strong>nn dadurch erkenntsie die <strong>von</strong> ihr verschie<strong>de</strong>nen Dinge nicht.<strong>Thomas</strong> schafft es, diese bei<strong>de</strong>n Aussagen zu vereinen. Es ist, wie erklärt, tatsächlich so, dass <strong>de</strong>rVerstand in Wirklichkeit das Verstan<strong>de</strong>ne ist, natürlich nur in <strong>de</strong>r Wirklichkeit <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>nseinsund nicht so, als sei ein erkannter Gegenstand selbst in <strong>de</strong>m erkennen<strong>de</strong>n Verstand, dieswird weiter unten erklärt. Wie <strong>de</strong>r Sinn in <strong>de</strong>r erwähnten Form, <strong>de</strong>r specia sensibilis, das sinnlichErfassbare in <strong>de</strong>r Wirklichkeit <strong>de</strong>ssen, wie wahrgenommen wird, ist, genauso ist es mit <strong>de</strong>m wirklichenVerstehen und <strong>de</strong>r species intelligibilis <strong>de</strong>r verstehbaren Dinge. Sie ist dann die „...Form<strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s in Wirklichkeit.“ 24 Der Verstand wird durch diese Form zuerst aktuell, und erkenntsich dann selbst durch die eben erkannte Form, die nun im Erkennen, als Erkannte, auch dieseine ist, selbst. Also erkennt sich <strong>de</strong>r Verstand als einen Erkennen<strong>de</strong>n durch die Form <strong>de</strong>s erkanntenGegenstan<strong>de</strong>s. Kurz: Er erkennt sich in seinem jeweiligen Erkenntnisakt, wie es schonmehrmals erklärt wur<strong>de</strong>. Damit ist <strong>de</strong>r innere Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>von</strong> Aristoteles geklärt. Denn zum23 „ ‚in his quae sunt sine materia, i<strong>de</strong>m est intellectus et quod intelligitur“ S. th. I, q. 87, art. 1, ad 3.24 „...quae est forma intellectus in actu.” S. th. I, q. 87, art.1, ad 3.14


Skript <strong>von</strong> Maike, jakmai@web.<strong>de</strong>. Weitere Downloads unter: www.<strong>vaticarsten</strong>.<strong>de</strong>einen erkennt sich <strong>de</strong>r Verstand, wie an<strong>de</strong>re er Dinge auch erkennt, durch Bil<strong>de</strong>r, die in ihm sind.Durch sie wird er wirklich und kommt zu sich, wobei er sich ja erkennt (s. o.). Zum an<strong>de</strong>ren erkennter sich dadurch, dass er ohne Stoff, und damit das Verstan<strong>de</strong>ne und Verstehbare (die intelligibleForm) <strong>de</strong>s zu verstehen<strong>de</strong>n Dinges ist. Denn <strong>de</strong>r Satz, dass <strong>de</strong>r Verstand das Verstan<strong>de</strong>ne ist,<strong>de</strong>r ausschließlich für stofflose Dinge gilt, wie Averroes erklärt, kann nach <strong>Thomas</strong> auch heißen:„in Wesen, die in Wirklichkeit verstan<strong>de</strong>n sind, sind Verstand und das, was verstan<strong>de</strong>n wird (alsodie species intelligibilis, M.J.), dasselbe“ 25 . Diese auf <strong>de</strong>n ersten Blick vielleicht etwas schwerverständliche Aussage leuchtet ein, wenn man be<strong>de</strong>nkt, dass ein Ding doch nur dann wirklich erkanntist, wenn es stofflos ist, da sie Materie im Erkenntnisprozess ja abgestreift wird. Daher istleicht ersichtlich, dass z. B. im Engel Verstand und Verstan<strong>de</strong>nes dasselbe ist, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Engel istohne Stoff und die Form <strong>de</strong>s erkannten Dinges ist auch ohne Stoff. Bei materiellen Dingen dagegenist <strong>de</strong>r Verstand das Verstehbare an <strong>de</strong>m materiellen Ding, <strong>de</strong>nn hat man verstan<strong>de</strong>n, was einBus ist, so nicht <strong>de</strong>n Bus selbst <strong>de</strong>r Verstand, son<strong>de</strong>rn seine (intelligible) Form.3. 4 Der Schluss:Die Verstan<strong>de</strong>sseele erkennt sich selbst durch ihren Akt. Denn nur darin ist sie wirklich, also erkennbar.Dem Akt vorgeschaltet sind die intelligiblen Formen <strong>de</strong>r Erkenntnisobjekte, die er inseinem Akt selber wird, und durch die er sich letzten En<strong>de</strong>s selbst erkennt, da dies aus <strong>de</strong>r Reflexion<strong>de</strong>r Abstraktion <strong>de</strong>r Form heraus geschieht.4. Literatur- und Quellenangabe:Quelle:<strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>, Summa theologicae I, Q. 87 art.1 in: „Die dt. <strong>Thomas</strong>ausgabe“ Bd. 6, übers.<strong>von</strong> Dominikanern u. Benediktinern Deutschlands u. Österreichs, Verl. Anton Pustet, Salzburg1937.Sekundärliteratur:<strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>, „Fünf Fragen über die intellektuelle Erkenntnis“ 3 (Quaeatio 84-88 <strong>de</strong>s 1.Teils <strong>de</strong>r Summa <strong>de</strong> theologia), übers. v. E. Rolfes, Hamburg 1986.R. Heinzmann, „<strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>“, Stuttgart, Berlin, Köln, 1994.A. Zimmermann, „<strong>Thomas</strong> Lesern“, Stuttgart, Bad Cannstadt 2000M. Gumann, „Vom Ursprung <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>s Menschen bei <strong>Thomas</strong> <strong>von</strong> <strong>Aquin</strong>“, Regensburg1999.P. Böhner u. E. Gilson, „Christliche Philosophie“, Pa<strong>de</strong>rbaorn 1954E. Gilson, „Der Geist <strong>de</strong>r mittelalterlichen Philosophie“, Wien, 1950.25 „in his quae sunt intellecta in actu, i<strong>de</strong>m est, intellectus et quod intelligitur“ S. th. I, q. 87, art. 1,ad 3.15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!