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Mogadischu - Schauspiel Stuttgart

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*36------------<strong>Mogadischu</strong>Fensterplatz------------nach--Friedrich Christian Delius36 mogadischu fensterplatz


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schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzMOGadischuFensterplatzMOGadischu FensterplatzAm 13. Oktober 1977 startet die Lufthansamaschine »Landshut« vonMallorca mit dem Ziel Frankfurt am Main. Ein Urlaubsflieger auf demWeg nach Hause.Eine halbe Stunde nach dem Start verwandelt sich die Rückkehr in denAalltag in einen Albtraum. Er währt für die 82 Passagiere und die fünf Besatzungsmitgliederfünf Tage. Vier Entführer, zwei Männer, zwei Frauen,bemächtigen sich der Maschine und zwingen sie zu einer Odyssee querdurch Europa nach Afrika. Endstation <strong>Mogadischu</strong>.Die Flugzeugentführung, deren Zusammenhang mit der Entführung desAarbeitgeberpräsidenten und den damit verknüpften Forderungen derTerroristen im Flugzeug bald deutlich formuliert wird, hält die Bundesrepublikin Atem. Nicht mehr nur Fahrer/Mitarbeiter der im Visier der RAFstehenden Bosse aus Wirtschaft und Politik oder Polizisten (»Handlangerdes Systems«) werden in die Attentate verwickelt, plötzlich sind 87 ganzund gar unbeteiligte Zivilisten, Mallorcaurlauber und eine Flugzeugbesatzung,Ziel eines Anschlags; werden zur Verhandlungsmasse im Ringenum Macht: Wer behält die Oberhand? Der Staat, der sich in seinen Grundfestenerschüttert sieht, oder diejenigen, die gegen das bundesrepublikanischeSystem als ein faschistisch-korruptes anrennen?Die Regierung spielt zunächst auf Zeit und gibt schlussendlich grünesLicht für eine spektakuläre, abenteuerliche Befreiungsaktion der GSG 9.Die Maschine wird in <strong>Mogadischu</strong> gestürmt, die Flugzeuggeiseln werdengerettet und drei der Entführer getötet. Nur eine Terroristin, Souhailaandrawes, überlebt.Dass diese Staatsaktion das Leben des Arbeitgeberpräsidenten Schleyerkostet, ist die Kehrseite jener Dokumentation polischer Entschlossenheit.Iin aller Deutlichkeit wird klargemacht: Schleyers Ermordung ist das»kleinere Übel«. Erpressungen werden nicht hingenommen. Koste es,was es wolle!Die Ereignisse der Oktobertage des Jahres ’77 definieren das Verhältniszwischen Staatsmacht und ihren Widersachern mit einer bis in die Gegenwartreichenden Endgültigkeit. Der Apparat hat gesiegt, er ist zum Retterder misshandelten Opfer geworden. Die in Stammheim lebenslänglicheinsitzenden Spitzenfunktionäre der ersten RAF-Generation antwortendarauf mit Selbstmord. RAF oder Tod!F.C. Delius, der sich in einer Romantrilogie mit verschiedenen Aspektendes »Deutschen Herbstes« auseinandersetzt, beschreibt in mogadischufensterplatz den Gedankenstrom der Passagierin Andrea Boländer, diesich zufällig in der Maschine befindet und zur Betroffenen und Augenzeuginjener fünftägigen Entführung wird. Physische und psychische Qual,s: 6 ˚s: 7 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzdas Hin- und Hergerissensein zwischen Hoffnung und Verzweiflung, derVersuch zu verstehen, in welchem Spiel sie zur Schachfigur, aus einerZzuschauerin zur unmittelbar Betroffenen geworden ist – wer überhauptdie Spieler sind, bestimmen die Reflexionen der Ich-Erzählerin, die akribischdie Stationen und Erlebnisse des gewaltsam verordneten Flugs überdie Kontinente notiert. »Warum ich, warum ausgerechnet ich?«Immer wieder treibt sie die Frage um, wer ihre Gegner, wer ihre Verbündetensind. Und bis zum Schluss, bis zur letztendlichen Befreiung istsie sich ihrer Antwort darauf nicht sicher. Am Ende scheint es sogar, alshaben Entführer und Befreier das gleiche Gesicht.Auf der Bühne erhalten (im Unterschied zum Roman) verschiedene PersonenStimme, sie alle sind direkt oder indirekt mit den Ereignissen imFlugzeug verknüpft. Es sind Überlebende und Tote, es sind Täter undOopfer. Aus der fiktiven Jetztzeit taucht jede der Figuren in die Vergangenheitein und spielt Erfahrungen von damals durch.Erneut werden die Passagiere von 1977 zum Verhandlungsgegenstand;hineingeworfen in eine unberechenbare Situation, die das Grundvertrauenin die Welt erschüttert. Ein weiteres Mal begibt sich ein Regierungsvertreterauf eine riskante Abenteuerexpedition (mit glücklichem Ausgang),kämpft ein Entführer um die Akzeptanz seiner Forderungen und erinnerteine Ex-Terroristin den Weg ihrer Radikalisierung.»Was uns geschah, war die Erbschaft des Terrors, der den Palästinensernvon den Juden angetan worden war, der Terror der Juden wiederum wargeerbt vom Terror der Nazis, war ein Teil jener rücksichtslosen Selbstbehauptung,moralisch gedeckt nach alldem, was die Nazis ihnen angetanhatten. Da war ich wieder bei unseren Vätern, Großvätern. Wo keineLogik und kein Sinn und keine Humanität mehr zu finden sind, da landenwir bei den Vätern und Großvätern. Ich verfluchte mich, weil ich zuwenig wußte von der Geschichte und den Motiven unserer Naziväter, ichverfluchte sie und war ihnen dankbar, denn nun hatte ich endlich diepassenden Feinde gefunden, die ich haftbar dafür machen konnte, daßwir in diesen Kreislauf hineingezogen wurden,« notiert Andrea Boländer,Delius’ Hauptfigur, während ihres Horrortrips. Unversöhnlich stehen dieverschiedenen Positionen nebeneinander. Es gibt keine offenen Wundenmehr, aber Narben. Phantomschmerz ist auch Schmerz!Eingeschlossen in einen Bühnenraum kann keiner dem anderen, demFeind, dem Freund aus dem Weg gehen. Gemeinsam sind alle für dieDdauer eines Theaterabends zum Erinnern gezwungen …beate seidels: 8 ˚s: 9 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzAus aus dem Archiv:Perspektiven desDeutschen Herbstes.(1970 – 1979)Eckart Munz,40 Jahre Karikaturist der<strong>Stuttgart</strong>er NachrichtenIch hatte da neulich einen Traum … da hat das Kapital denTerrorismus erfunden, um den Staat zu zwingen, es besser zu schützen.Das ist sehr komisch, nicht?rainer werner fassbinder»Ene, mene, muh, schuld … bist … du!«s: 10 ˚ s: 11 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzDie Erdsatelliten»Das könnte der Sockel für Ihr Denkmal sein!«s: 14 ˚s: 15 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatz»Wer für die Verbreitung des Kreuzes sorgt, ist unserer Liebe gewiß!«»Aber meine Mandantin hat blaue Flecken davongetragen!«s: 16 ˚s: 17 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzAm Steuerrad der WeltgeschichteEnttarnts: 18 ˚s: 19 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzOpfer --------- - (Zeitzeugen)ZeitzeugenJürgen Vietor, Copilot in der »Landshut«Das Sich-Erinnern-Müssen schmerzt. Hitze, Terror und Tod in der »Landshut«,daran mochte ich am liebsten gar nicht mehr denken. Das Gefühl, erschossen,angezündet, in die Luft gesprengt zu werden, das will man wegschließen.Unmittelbar nach der Entführung hatte ich mir geschworen, mich intensiv mit derRAF und dem Palästinenserproblem auseinanderzusetzen, die Reden von Mahmudklangen mir ja noch wochenlang in den Ohren. Also kaufte ich mir einige Bücher,aber irgendetwas blockierte mich innerlich dann doch, sie zu lesen. Ich habe einfachimmer ein sehr privates Leben geführt, dorthin kehrte ich zurück.Auch den RAF-Attentaten nach 1977 habe ich keine große Beachtung geschenkt.Vielleicht ist das ein innerer Mechanismus, daß man sich so abkapselt von einembestimmten Geschehen vielleicht ein gesunder Prozeß, ein gesunder Egoismus.Obwohl ich mich nie bewußt dafür entschieden habe, mich so zu verhalten. Ichweiß noch, daß mich die Ermordung Hanns Martin Schleyers tief berührte. Aber esblieb keine langanhaltende Betroffenheit. Ich war in dieser Zeit einfach viel zu sehrmit meinem Schicksal beschäftigt, ich wollte ans Leben denken.Die Lufthansa hatte uns sechs Wochen Sonderurlaub gegeben für jeden Tagder Entführung eine Woche. Gegen Ende der letzten Woche ging ich auf meinenFlottenchef zu und bat: »Ich möchte ausprobieren, ob ich wieder fliegen kann.«Fünf Tage lang stand mir ein Check-Kapitän zur Seite. Wie ich mich im Cockpitgefühlt habe? Ich habe vor diesen fünf Tagen viel nachgedacht: »Wie wird es sein,wenn du wieder ein Flugzeug betrittst? Drehst du dich auf dem Absatz um undgehst wieder? Durchlebt man die Entführung erneut?«Letztlich hatte ich keine Schwierigkeiten.ZeitzeugenGabriele von Lutzau, Stewardess in der »Landshut«Während des Rückflugs nach Deutschland hatte ich schon etwas geschlafen, allerdingssehr unruhig. Das Wissen, jetzt ist es wirklich vorbei, setzte sich nur langsamin meinem Kopf fest. Wann immer ich wach wurde, mußte ich mir erst einmal klarmachen:»Es gibt keine Terroristen mehr an Bord. Niemand will dich erschießenoder in die Luft sprengen!«Ich kam auch zu Hause in den ersten Tagen gar nicht zur Ruhe. Die Angst, diedoch immer wieder hochkam und die Wirklichkeit verschwimmen ließ, war einfachnoch zu groß. Erst nach unserer Befreiung erfuhr ich, daß es einen Zusammenhangzwischen unserer Entführung und der von Hanns Martin Schleyer gegeben hatte.Ich war wütend und empfand auch Trauer angesichts der Ermordung von Schleyer,für mich vermischten sich diese Gefühle mit der eigenen Geschichte.Es hat lange gedauert, bis sich bei mir wieder eine gewisse Normalität im Lebeneinstellte. In den ersten Jahren nach 1977 verfolgte mich stets das Gefühl derBedrohung: »Sie holen dich zur Erschießung!« Ich hörte unmittelbar nach derEntführung auf, als Stewardess zu fliegen. Ganz und für immer mit dem Fliegenaufzuhören, ist als Frau eines Piloten indes natürlich schwer durchzuhalten. Nachein paar Monaten flog ich mit Rüdiger zusammen in Urlaub, und es ging, obwohlständig Erinnerungen hochschossen. Wohl fühlte ich mich nicht, aber da wirktensicher mein Stolz und auch Trotz in mir, sich von den Terroristen nicht denRest des Lebens bestimmen lassen zu wollen. Man schafft es nicht immer, dieseErinnerungsbarriere zu überwinden, aber hier ging es.Ich war nach der Befreiung sehr schnell schwanger geworden. Rückblickend denkeich, wir haben intuitiv ein neues Leben angefangen. Ein wenig empfand ich auchhier Trotz gegenüber den Terroristen: »Seht her, ich habe es nicht nur überlebt. Ichvermehre mich sogar!«Opfer --------- - (Zeitzeugen)Die ChronikAm 13. 10. 1977 gehen Andrawes, Shehadah, Akache und Harb mit gefälschtenPässen in Palma de Mallorca an Bord der »Landshut«. Sie werden beim Einsteigennicht kontrolliert und können so unbemerkt Handgranaten, Pistolenund Plastiksprengstoff in die Maschine bringen.⁄›› Eine halbe Stundenach Start beginntder Überfall. Die vierTerroristen übernehmendie Maschine mit Gewalt.⁄›› Weil derTreibstoffvorrat nichtreicht, landet die»Landshut« zunächstin Rom-Fiumicino.s: 20 ˚ s: 21 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzZeitzeugenSouhaila Andrawes, Ex-TerroristinZeitzeugenInge Viett, Ex-Terroristintäter --------- - (Zeitzeugen)SIE reden viel üBER das UNRECHT,DAS IHNEN IHRER MEINUNG nach inDEUTSCHLAND widerfahren ist. HabenSIE einmal darüBER nachgedacht,WELCHES LEID SIE den GEISELN zugefüGTHABEN, die während der EntfüHRUNGDER »LANDSHUT« tagelang um ihr LEBENZITTERN muSSTEN?S. Andrawes Mit dieser Schuld kann ich bisheute kaum leben. Nur damals – als jungesMädchen – erschien mir dieses Leid geringim Vergleich zu all dem, was ich im Libanonmit eigenen Augen gesehen habe.UND dieses UNRECHT wollten SIEDURCH eine FLUGZEUGENTFüHRUNGUNGESCHEHEN machen?S. Andrawes Damals habe ich eine solcheAktion als einzige Chance gesehen, derStimme des palästinensischen Volkes weltweitGehör zu verschaffen.WAS denken SIE heute üBER»TERRORISTISCHE« Aktionen?S. Andrawes Ich kann das nicht verdammen,auch wenn ich solche Aktionen fürsinnlos halte. Bevor ich die Hintergründekenne, würde ich so etwas aber nie pauschalverurteilen.Es gibt das berüHMTE BILD, wo SIENACH der ERSTüRMUNG der »LANDSHUT«DURCH die ANTI-TERROREINHEIT GSG 9SCHWERVERLETZT auf der BAHRE liegendIHRE FINGER zum VICTORy-ZEICHEN aus-BREITEN und »KILL me, kill me!« schreien.WAS ist in diesem MOMENT in IHNEN vor-GEGANGEN?S. Andrawes Da brachen in einem existentiellenMoment einfach Gefühle ausmir heraus. Jemand riß meinen Kopf nachhinten, damit ich fotografiert werden konnte.Ich habe versucht, mein Gesicht mit demArm zu schützen, weil ich nicht wollte, daßjemand mich so fotografiert. Ich hatte dasGefühl zu sterben und wollte – ohne darübernachzudenken – für alle Palästinenser, diediese Bilder zu sehen bekommen würden,ein Zeichen der Hoffnung setzen. Daß auchdurch unseren Tod ein gerechter Kampfnicht zu Ende ist. »Kill me, kill me« habe ichgerufen, weil ich entsetzliche Angst davorhatte, daß man mich foltert, um Informationenüber den palästinensischen Widerstand zubekommen.(AUSZUG aus einEM taz-GESPRächvom 29.07. 1997)Die heutigen Fragen: Wieso habt ihr zu den Waffen gegriffen?Was und wer hat euch legitimiert? etc. möchte ich immerhäufiger mit der Gegenfrage beantworten: Wieso haben nurwir – ein paar Hände voll – zu den Waffen gegriffen? Wiesosind Zigtausende, die auf dem Weg waren, zurückgefallen,obwohl sie begriffen hatten, in welch verbrecherischemGesellschaftssystem ihr Leben verdingt wird, mit welchentödlichen Methoden es sich erhält und ausbreitet,obwohl auch sie dieses schwache Moment, diese Krise,in der Geschichte des Kapitalismus erkannt hatten, seinemomentane Defensive …obwohl – und das ist der entscheidende Unterschied zuheute – die noch existenten Alternativen zum Kapitalismuseine gewisse ideologische und materielle Rückendeckunggaben. Es gab philosophische Horizonte und Häfen für unsereAnstrengungen.täter --------- - (Zeitzeugen)⁄›› Die Entführer stellen ein Ultimatum. Zweipalästinensische und 11 Stammheimgefangene,darunter Baader, Raspe und Ensslin, sollen freigelassenwerden. Es wird außerdem eine Summevon 15 Millionen Dollar als Lösegeld verlangt.⁄›› Die »Landshut« wird aufgetanktund kann weiterfliegen.Die italienische Regierung willeine Konfliktlösung auf ihremTerritorium verhindern.s: 22 ˚s: 23 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzDer politiker --------- - (Zeitzeugen)ZeitzeugenHelmut Schmidt, Ex-BundeskanzlerHABEN SIE üBER den VERSUCH eines DIALOGS mit derRAF zu irgendeinem ZEITPUNKT nachgedacht?H. Schmidt Nein, niemals.WARUM?H. Schmidt Ich sah darin keinen Sinn.Hatten SIE VERSTändnis dafür, daSS die STUDENTEN-BEWEGUNG die AUFARBEITUNG des DRITTEN REICHSVERLANGTE?H. Schmidt Verständnis ja, aber keinerlei Billigung der gewalttätigenMethoden. Diese jungen Leute waren doch im Wohlstandaufgewachsen. Es ist ihnen doch recht gut gegangen im Vergleichzu meiner Generation. Sie brauchten keine Angst zu haben, fürsystemkritische Äußerungen nach Auschwitz zu kommen.Kriegsgefangenschaft mußten sie auch nicht fürchten oder dieBomben, die auf Hamburg und Dresden fielen. Ich habe Verständnisdafür, daß sie sich über Deutschlands Vergangenheitempörten, die Gewalttaten kann ich nicht billigen. Castro wareiner ihrer großen Helden oder Mao Tsetung, Leute, von denensie keine Ahnung hatten. Aber Mao war weit genug weg, um ihnzum Helden hochzustilisieren in der eigenen Vorstellung.Wenn die Studenten etwas mehr gewußt hätten, dann wären sievielleicht etwas vorsichtiger geworden.Wenn man heute auf die GESCHICHTE der RAFZURüCKBLICKT, hat es vor allem eine AUSEINANDER-SETZUNG mit der TäTERSEITE gegeben. WAS, denkenSIE, ist der GRUND dafür?H. Schmidt Politische Attentate haben immer die Phantasievon Menschen angeregt und Neugier geweckt für beideSeiten. Doch während Opfer, sofern sie überlebt haben, oderdie Angehörigen von Ermordeten sich aus einem verständlichenReflex heraus eher zurückziehen, gehen Täter eher andie Öffentlichkeit. Sie suchen die Öffentlichkeit. Ob das nunAnarchisten in Rußland waren, die den Zaren umbringenwollten, oder die Baader-Meinhof-Gruppe. Es werden Fernsehfilmedaraus gemacht.KANNTEN SIE OPFER der RAF persöNLICH?H. Schmidt Ich kannte Hanns Martin Schleyer recht gut undhabe auch etwas von ihm gehalten. Mit Jürgen Ponto warenmeine Frau und ich sogar ein bißchen befreundet. Mindestenseines der Ponto-Kinder besuchte die Schule, an der meine FrauDer Politiker --------- - (Zeitzeugen)⁄›› 20.28 Uhr landet die Maschine in Larnaka. EinemAppell, Kinder und ältere Passagiere freizulassen,wird jetzt und auch später nicht stattgegeben.Danach werden Damaskus, Bagdad und schließ lichKuweit angeflogen. Alle Flughäfen sind gesperrt.s: 24 ˚s: 25 ˚⁄›› Nach einer Zwischenlandung in Bahrein am 14.Oktober fliegt die Maschine Richtung Dubai. Auch hierist der Flughafen zunächst geschlossen, die Landebahnblockiert. Stundenlang kreist das Flugzeug über demAirport, bis es im letzten Moment doch noch landen darf.


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzDie Dialektik des Deutschen Herbstes – das Terrorjahr 1977und die FolgenDer politiker --------- - (Zeitzeugen)als Lehrerin arbeitete. Die Familie und wir wohnten in Hamburgnicht weit voneinander entfernt. Ich kannte Peter Lorenz und auchKarl Heinz Beckurts und Alfred Herrhausen. Mir liegt es sehram Herzen, daß die Seite der Opfer Beachtung findet nicht nurder prominenten Personen, die ermordet wurden, sondern auchder kleinen Kriminal beamten, der Fahrer …… sie machen mehr als die HäLFTEDER OPFER der RAF aus …H. Schmidt Das ist richtig. Jeder Mord ist verwerflich; und esgibt keinen Unterschied der Opfer. Aber die Morde an diesenMenschen zeigen einmal mehr, daß die Leute der RAF einfachVerbrecher waren; denn es hat ihnen nichts ausgemacht, diejenigenumzubringen, für die sie angeblich kämpften – Arbeiter,für die sie angeblich ihre Revolution machten. Das muß zumAusdruck kommen, wenn man sich mit den Opfern beschäftigt.GIBT es etwas, das SIE den ANGEHöRIGENDER RAF-OPFER gern sagen wüRDEN ?H. Schmidt Ich kann ihnen nur Trost wünschen. Aber heute,fast 30 Jahre nach diesen Morden, bedürfen sie wahrscheinlichdes Trostes durch den damaligen Regierungschef überhaupt nicht.Die Bundesrepublik, hört man in diesem Sommer immer wieder, habe sichdurch die Erschütterungen des Herbstes 1977 gewandelt, vielleicht sogargefestigt. Was sich jedoch in Staat und Gesellschaft, was sich im Einzelnenverändert hat, darüber schwanken die Ansichten. Von den drei Wendepunktender Nachkriegsgeschichte – 1967, 1977, 1989 – macht die Würdigung desJahres 1977 am meisten Schwierig keiten. Gewiß, es fehlt derzeit nicht anpublizistischem Fleiß, die damaligen Ereignisse zu deuten und auszuleuchten.Neugier und Emotionen werden wach, verdrängte Erinnerungen brechenauf. Trotz aller Artikel, Bücher, Dokumentationen und Filme bleibt das Thema»1977« von der Aura eines Tabus belastet. Woran liegt das? Mir scheint, daßalle, Beteiligte wie Zuschauer, nur Segmente der Fakten sehen oder sehenwollen. Für alle gäbe es etwas aufzuarbeiten, für die RAF-Leute sowieso, aberauch auf seiten der Politiker, der Polizei, der Presse, der Justiz, bei den Helferndes Terrors wie bei der terrorablehnenden Linken. Bei Verfassungsschutz undBND, die immer noch viele Fragen offen lassen, und nicht zuletzt beim Großteilder Bevölkerung mit seiner »Rübe ab!«-Mentalität. Die Anteile an Schuld undVerdrängung sind unterschiedlich verteilt, aber wer sie leugnet, wird das, waswir Deutschen Herbst nennen, kaum begreifen. Es führt nicht weit, sich nur amFrontverlauf moralischer Kategorien zu orientieren: hier die bösen Entführer,dort der tapfere Staat – oder die noch absurdere umgekehrte Version. Nichtallein Helmut Schmidt fühlte sich mitten in ein klassisches Drama versetzt.Wir, die wir Zuschauer waren, spürten, daß unsere Passivität und Angst mitzu dem Stück gehörten. Der »Herbst« ist das einzige nationale Ereignis seit⁄›› Abgestellt auf einer Rollbahn fällt die Stromversorgung im Flugzeug für24 Stunden aus. Die hygienischen Zustände in der Maschine sind inzwischenunzumutbar: verstopfte Toiletten, keine Klimaanlage und Lüftung, Temperaturenbis zu 60 Grad Celsius, bestialischer Gestank. Einige ältere Passa-­giere werden ohnmächtig und müssen notdürftig medizinisch betreut werden.s: 26 ˚⁄›› Immer wieder demütigendie Entführereinzelne Passagiereoder drohen ihnen mitErschießungen.s: 27 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatz1945, bei dem kein Westdeutscher, der damals erwachsen war, sagen dürfte:Ich war hier unbeteiligt, ich war ohne Schuld. Nur die Geiseln in der Landshutsind da auszunehmen. Damit soll kein Verbrechen entschuldigt und relativiertwerden. Der historische Abstand erlaubt es aber, die Aufmerksamkeitauf die Dynamik der Angst, auf eine geradezu pathologische und zeittypischeSucht oder Suche nach Feinden und Gewalt zu lenken, die nicht nur auf eineFraktion beschränkt war. Was wie ein Räuber-und-Gendarm-Spiel, wie eineFortsetzung der antiautoritären Aktionsformen begann, wurde mit der Befreiungvon Andreas Baader im Mai 1970 ein politisches Spektakel, das sich nichtallein gegen den Staat, den Imperialismus und alle bürgerlichen Kräfte richtete.Aus fröhlichem Anarchismus wurde Krieg, das »Konzept Stadtguerilla« eintodernstes Abenteuer. Gegen Polizei, Politiker, Presse, Justiz und »kleinbürgerlicheIntellektuelle«, die von Erklärung zu Erklärung immer rotziger abgefertigtwurden. »Viel Feind – viel Ehr«, da liegt ein Grund für den maßlosen Hochmutder Gruppe, die zur Selbstbestätigung um so mehr Feinde brauchte, je unpolitischerihre Praxis wurde: Beschaffungskriminalität, Raushauen der eigenenLeute und Erschießung von im Weg stehenden Polizisten – einzige politischeAktion war die Beschädigung des Gebäudes mit dem Computern für dieVietnameinsätze der US-Bomber in Heidelberg. Während für die Täter der Krimilive die politische Arbeit ersetzte, kam die sich formierende RAF der Polizei,dem Verfassungsschutz, Teilen der Presse und den konservativen Parteienoffenbar wie gerufen. Die gigantische Aufrüstung der Polizei, des BKA, derGeheim- und Sicherheitsdienste, all das geschah ja keineswegs widerwillig. DieRAF war nützlich. Leichter war es nie, alles, was jung oder links war oder zumAufklärerischen, Liberalen, Sozialen drängte, in die Nähe des Terrors zu rücken.Auch auf der konservativen und rechten Seite glühte eine Feindessucht, dieder Politologe Peter Brückner seinerzeit als »innerstaatliche Feinderklärung«analysiert hat. Sogar der Streit um Haftbedingungen, Isolation, Hungerstreiksund Prozeßführung litt so unter dem beiderseitigen Fanatismus, daß bis heutenicht mal Experten wissen, wer hier am meisten gelogen, verbogen, übertrieben,verharmlost hat. Deshalb auch interessierte sich bald niemand mehr fürden Tod von Ulrike Meinhof, obwohl der so viele Rätsel aufgibt wie der vonUwe Barschel. Die Eskalation 1970 – 1972 – 1977 wurde auch deshalb immerheilloser, weil die RAF ihr kriminelles Potential leugnete und die andere Seitesie nur als kriminelle Bande sehen wollte, was Klaus Bölling in späteren Jahrenals den größten Fehler beim Umgang mit den »Staatsfeinden« bezeichnet hat.Auf die Gruppe wurde stellvertretend alles Böse projiziert, auch dafür hatte siezu büßen. Nicht nur aus Strafe für ihre Beleidigungen wurde den Angeklagtenin Stammheim verweigert, was jedem Naziverbrecher erlaubt war: seineAnschauungen, seinen Werdegang zu erklären und zur eigenen Entlastung vorzutragen.Polizei und Justiz bestritten ihre Verstöße gegen geltendes Recht solange wie möglich (Abhörpraxis und so weiter), während die Illegalen sich nurnoch von Illegalität umstellt wähnten. In der Paranoia immerhin waren sich dieFeinde einig. Einer souveränen Demokratie wäre sie gewiß erspart geblieben.Die Spirale der gegenseitigen Feindfixierung beschleunigte den Terror.Das komplementäre Verhältnis beider Seiten hat Horst Herold, Chef des BKA,s: 28 ˚⁄›› Nächste Station ist Aden in Südjemen.Inzwischen ist der 16. Oktober angebrochen.Auch in Aden wird keine Landeerlaubniserteilt. Der Copilot muss aber, weil derTreibstoff zum Weiterfliegen nicht reicht,auf einer Sandpiste neben der Landebahn notlanden. Ein lebensgefährlichesManöver. Die Entführer, die damit gerechnet haben, dass ihre Aktion in derHauptstadt des vermeintlich verbündeten Jemen endet, erhalten vom Towerden Befehl zum sofortigen Weiterflug. Vorher aber muss die notgelandeteMaschine inspiziert werden. Kapitän Schumann verlässt zu diesem Zweck dies: 29 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzin seinem off the record gesprochenen Satz über Andreas Baader in genialerKürze so ausgedrückt: »Ich habe ihn geliebt.« Von Baader wiederum sinddie Worte des Respekts gegenüber Herold überliefert. Es gab also, bei allenGegensätzen, ein symbiotisches Verhältnis der RAF mit ihrem Gegner. Erst dieErmordeten und die Selbstmörder des Jahres 1977 und der Befreiungsschlagder GSG 9 machten der Symbiose ein Ende. Das Gegenteil von Symbioseist Identität. Die fand der Staat durch Helmut Schmidts Entscheidung, derErpressung nicht nachzugeben – und in der Nacht von <strong>Mogadischu</strong>. Baader,Ensslin, Raspe, indem sie die Bühne räumten – mit Wissen und Duldung geheimerDienste, wie Stefan Aust in seinem »Baader Meinhof Komplex« andeutet.Und die Entführer Schleyers dadurch, daß sie selbst in der Niederlage nichtsals schäbige Mörder waren. Die Blicke des Opfers Schleyer sind Symbol geblieben.Sie sagen mir: Ihr seid schuld, ihr alle, aber ich bin es auch. Die düstereGeschichte der RAF mit dem Höhepunkt ihres Kampfes gegen den Staat 1977wird vor der Folie der deutschen Geschichte nicht heller, eher noch gespenstischer.Es ist oft und zu Recht behauptet worden, daß zumindest die erste,auch die zweite Generation der RAF aus Wut gegen die Verbrechen und dasMitläufertum der Väter agierte. Die RAF wollte, soviel ist sicher, alles andere alsFaschismus, das aber mit Gewalt. Dieser Falle konnte sie nie entrinnen. IhreBomben lösten nicht ein einziges Problem, sondern produzierten neue. Fixiertauf das »Probieren« von Gewalt, vergaßen sie, daß Faschismus da anfängt, woSätze fallen wie diese: »Wir sagen natürlich, Bullen sind Schwei ne, wir sagen,der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir unsmit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden,und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kanngeschossen werden.«Die Reduktion der Sprache spiegelt die Reduktion der Wahrnehmung: »DieKnarre spricht.« Aus den Parolen »Mensch oder Schwein« und »Alles auf denBegriff Haß bringen« folgte logisch die Kriegserklärung an alle Feinde undSkeptiker. Wer »Krieg« sagte, den Krieg erklärte, mußte damit rechnen, daßein solcher innerstaatlicher Krieg nur verloren werden konnte.Man wird dem Publizisten Walter Boehlich zustimmen müssen, der kurznach der Entführung (Schleyers – B.S.) einen hellsichtigen Essay unter demTitel »Schleyers Kinder« publizierte. Zentrales Motiv, so Boehlich, war derHaß auf Väter, auf Männer wie Schleyer, die trotz ihrer aktiven Beteiligungam Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Karriere machen und auf diewichtigsten Posten der Wirtschaft aufrücken konnten. Selbst wenn der Haßnur Vorwand gewesen sein sollte, symbolischen Effekt hatte er mindestens.Im Jahr 1977 spielte Joachim Fests Film mit dem schmissigen Titel »Hitler– eine Karriere« zehn Millionen Mark ein, publizierte der »stern« stolz dieGoebbels-Tagebücher – und der Naziverbrecher Kappler wurde mit Hilfe vonGesinnungsfreunden aus einem römischen Gefängnis befreit, was hierzulandekaum für Aufregung sorgte. In dieser Situation war die Entführung HannsMartin Schleyers ein doppeltes Politikum. Es galt ja nicht nur die Devise desKrisenstabs: Hinhalten, nicht erpressen lassen, befreien, Leben retten. In denMedien galt gleichzeitig die Parole, die noch weniger ausgesprochen wurde:Maschine und bleibt eine dreiviertel Stunde weg. Alser endlich zurückkehrt, wird er als Verräter vonAkache exekutiert. Seine Leiche bleibt stundenlangim Gang des Flugzeugs liegen und wird später wegendes Leichengeruchs in einen Schrank entsorgt.s: 30 ˚⁄›› Die Maschine fliegt nach <strong>Mogadischu</strong>/Somalia. Hier endlich gelingt esder bundesdeutschen Regierung über ihren Vertreter Hans Jürgen Wischnewskiden Einsatz der GSG 9 zur Befreiung der Geiseln zu verhandeln. Die Entführer,die schon dabei sind, die Sprengung des Flugzeugs vorzubereiten,weil alle Ultimaten abgelaufen sind, können bis zum Beginn der »Aktions: 31 ˚


schauspielstuttgartmogadischu fensterplatzschauspielstuttgartmogadischu fensterplatzDie Vergangenheit Schleyers nicht erwähnen oder herunterspielen, weil sie nichtzum Argument für die Terroristen werden dürfe. Die Angst, zu viel Wahrheitkönne nur dem Gegner nützen, verband sich mit der üblichen Weigerung derMehrheit der Deutschen, ihre Nazigeschichte als das Verbrechen zu sehen, dassie war. Schleyer ist schließlich ein sehr tüchtiger Nazi gewesen, dazu SS-Mann,wie man weiß, nicht von der »harmlosen« Sorte. Der Zusammenhang deutscherGeschichten war plötzlich aufs Peinlichste hergestellt und mußte tabuisiertwerden: das ehemalige Mitglied einer kriminellen Vereinigung, gefangen vonMitgliedern einer neuen kriminellen Vereinigung.Nie zuvor hatte man in Deutschland einen SS-Mann leiden sehen. In allemhaben sich die RAF-Leute verrechnet. Am Ende ging sogar von Schleyer einekathartische Wirkung auf die bundesdeutsche Gesellschaft aus.»Während der Entführungszeit Hanns Martin Schleyers und aus Anlaß seinerErmordung war die Bundesrepublik zum ersten Mal ein Staat im Vollsinn desWortes …« (Ernst Nolte). – »Wenn es ein wirkliches Bewußtsein für dieseBundesrepublik gibt, dann durch ›Baader-Meinhof‹« (Wolfgang Neuss). Es könnteeinen schon wieder mißtrauisch stimmen, wenn selbst so unterschiedlicheGeister wie Nolte und Neuss über den mittelfristigen Nutzen des Jahres 1977einig sind. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, daß keine Staatsaufgabeso von den Wünschen der Bevölkerung begleitet und unterstützt wurde wie die,mit dem Terrorismus Schluß zu machen. Obwohl sie Rechte abbaute, wurde dieDemokratie gestärkt. Trotz Schleyers Ermordung erwuchsen der Bundesrepublikein neues Staatsgefühl und ein Selbstbewußtsein, das nicht allein auf denErfolg der GSG 9 zurückzuführen ist. Die Staatsfeinde hatten sich als Mörderoder Selbstmörder erwiesen, der Staat als Freund und Retter der Bedrängten.Schweigen, Lähmung, Erstarrung, dann Distanzieren und Abschwören, peinlicherund weniger selbstbewußt als im Herbst 1977 hätte sich die Linke, dieApo oder was davon übrig geblieben war, kaum verhalten können. Eingeschüchtertvon der Totalität der Fahndung, von der Jagd auf Sympathisanten und»Sympathisanten«, mit allem Denken und Handeln unter dümmsten Verdachtgestellt, ging auch der letzte offensive Elan verloren. Die RAF hat die Linke fastalles an Kraft, Spon tanität und Sprache gekostet, aber nicht erst 1977. Verlorenhaben Libe ralität, Reformbereitschaft, politisches Engagement, soziales Handelnund Denken. Wer protestieren und verändern will, muß seit 1977 größereSchwellen, auch die der Lächerlichkeit, überwinden. Dagegen hat relativ freieBahn, wer auf Sicherheit, Ego, Entsolidarisierung und so weiter setzt.Weil diese Werte in der CDU eher zu Hause sind, mußte es, sehr verkürztgesagt, 1982 zum Regie rungswechsel kommen, nachdem der <strong>Mogadischu</strong>-Bonus verbraucht war. Diese Entwicklung ist natürlich nicht allein »Verdienst«der RAF. Doch man sollte zwanzig Jahre danach nicht mehr so kleinlich seinund den Beitrag unterschätzen, den der Sohn des Historikers Baader ungewolltfür die deutsche Geschichte und für die zweite »Modernisierung«Deutschlands (die erste brachte 1968, die dritte folgte nach dem Mauerfall)geleistet hat. Der Einfluß des Terrorismus auf die Gesellschaft war enorm,jedoch anders als geplant: nicht »systemsprengend«, wie man früher sagte,sondern systemerhaltend. F.c. DeliusFeuer zauber« mit der Versprechung, die Freilassung und der Austausch derStamm heimgefangenen werde vorbereitet, hingehalten werden. Am 18. Oktober,um 0.05 Uhr, stürmt die GSG 9 das Flugzeug, befreit sämtliche Geiseln undtötet drei der vier Entführer. Andrawes überlebt schwer verletzt und wirdins Haftkrankenhaus überführt. Später wird ihr der Prozess gemacht.s: 32 ˚s: 33 ˚


impressumtextnachweisFriedrich Christian Delius, Die Dialektik des deutschen Herbstes, in: Die Zeit, 25.07. 1997Gespräch mit Souhaila Andrawes, Mit dieser Schuld kann ich kaum leben, in: taz, 29.07. 1997Anne Siemens, Für die RAF war er das System, für mich der Vater, München, Zürich, 2007Inge Viett, Lust auf Freiheit, in: Junge Welt, 24.02. 2007Der Roman „<strong>Mogadischu</strong> Fensterplatz“ von Friedrich Christian Delius ist im Band„Deutscher Herbst“ beim Rowohlt Verlag erschienen.bildnachweisDie Karikaturen stammen von Eckart Munz, Karikaturist.Sie waren exklusiv in den »<strong>Stuttgart</strong>er Nachrichten« abgedruckt.herausgeber<strong>Schauspiel</strong> <strong>Stuttgart</strong> / Staatstheater <strong>Stuttgart</strong>intendantHasko WeberredaktionBeate SeidelgestaltungStrichpunkt, <strong>Stuttgart</strong> / www.strichpunkt-design.dedruckEngelhardt & Bauers: 34 ˚

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