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Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis - Vorarlberg

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Trierer Hexenprozesse · Quellen <strong>und</strong> DarstellungenHerausgegeben vonGunther Franz <strong>und</strong> Franz IrsiglerBand 7


InhaltsverzeichnisVorwort ........ .VIIRITA VOLTMER<strong>Hexenverfolgung</strong> <strong>und</strong> <strong>Herrschaftspraxis</strong>. Einführung <strong>und</strong> Ergebnisse 1HERBERT EIDENDie Unterwerfung der Volkskultur? Muchembled <strong>und</strong> die <strong>Hexenverfolgung</strong>en. . . . . . 23DANtELA MüLLERDie erf<strong>und</strong>enen Kathare r. Zur lnstrumentalisierung von Ketzerprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41GEORG MüDESTINDes Bischofs letzte Tage. Georg von Saluzzo <strong>und</strong> die <strong>Hexenverfolgung</strong>im Fürstbistum Lausanne ( I 458- 1461 ) . . . . . . . . . . 51N IKLAUS SCHATZMANNZwischen Skylla <strong>und</strong> Charybdis. Hexenverfolger in der Leventina im15. Jahrh<strong>und</strong>ert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73MANFRED TSCHAIKNERNutzung oder Instrumentalisierung? <strong>Hexenverfolgung</strong> <strong>und</strong> <strong>Herrschaftspraxis</strong>in <strong>Vorarlberg</strong>, Liechtenstein <strong>und</strong> der Stadt St. Gallen 95ALISON ROWLANDSRotbenburg gegen Würzburg. Durchsetzung von Herrschaftsansprüchenim Hexenprozeß der Margaretha Hörber, 1627 . . . . . . . . . I 13RALF FETZERKraichgauer <strong>Hexenverfolgung</strong>en vor dem Hintergr<strong>und</strong> niederadeligerLegitimationskrise(n) <strong>und</strong> konkurrierender Herrschaftsgewalten 129JÜRGEN MICHAEL SCHMIDTEin politisches Ausrottungsprogramm? Kurpfalz, Kurmainz, St. Alban<strong>und</strong> die große <strong>Hexenverfolgung</strong> in Bodenheim 1612- 1615 . . . . 147THOMAS P. BECKERKrämer, Kriecher, Kommissare. Dezentralisienmg als Mittel kurkölnischer<strong>Herrschaftspraxis</strong> in Hexereiangelegenheiten 183WALTER RUMMELSo mögte auch eine darzu kommen, so mich belädiget. Zur sozialenMotivation <strong>und</strong> Nutzung von Hexereianklagen . . . . . . . . . 205


VIInhaltsverzeichnisELISABETH BIESELAktenversendung <strong>und</strong> Instanzenzug. Die Ro lle der Hexenverfo lgungenim Herzogtum Lothringen . . . . . . . . . . . . . . . 229B OR IS FUGEHexereisachen vor dem Grand Conseil de Mali nes. Beispiele des 16.<strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>erts aus der Provinz Luxemburg <strong>und</strong> anderen Provinzender Spanischen Niederlande - Umrisse eines Forschungsgegenstandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267K ATRIN M OELLERHexenve1f olgung als Kulturtransfer. Zur Übernahme <strong>und</strong> Adaptionvon Verfolgungsmustern auf herrschaftsrechtliche <strong>und</strong> gemeindlicheInteressen am Beispiel Mecklenburgs . . . . . . . . . . . . .307SiglenverzeichnisOrtsregisterPersonenregister332333339Karten <strong>und</strong> AbbildungenDie Westschweiz mit dem Fürstbistum LausanneÜbersichtskarte Leventina . . . . . . . . .Der politische Aufbau der Talschaft am Beispiel der Vicinanza PratoOrganisation des Blutgerichtes Leventina 1457-1459 . . . . . .53757981


Nutzung oder Instrumentalisierung?<strong>Hexenverfolgung</strong> <strong>und</strong> <strong>Herrschaftspraxis</strong>in <strong>Vorarlberg</strong>. Liechtenstein <strong>und</strong> der Stadt St. GallenM/\NFRED TsCHAIKNERIm Jahr 1655 wäre es auf Gr<strong>und</strong> der Finanzknappheit de!-. Landesfürsten in lnnsbruckdem Reichsgrafen Kar! Friedrich von Hohenems beinahe gelungen, dasseiner Grafschaft benachbarte Österreichische Gericht Dornbirn zu erwerben.Weite Teile der Bevölkerung dieses Territoriums settten sich dagegen jedochvehement zur Wehr. denn sie befürchteten eine Verschlechterung ihrer sozialen<strong>und</strong> wirtschaftlichen Lage. ln einer langen Liste der Gründe für ihren Widerstanderfährt man bereits an dritter Stelle, daß die Dornbirner bei einem Übergang anHohenems auch davon ausgingen, 111011 werde ainen ahngrif mit den hexen tlwn<strong>und</strong> (i//so dan vif höf <strong>und</strong> güeter der hoch obrigkheit -;.ue .fahlen möchten.' DieseAussage hätten viele aufgek!Urte Autoren des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts als Belegdafür gewertet, daß Hexenprozesse ein Mittel zum Zweck- im vorliegenden Fallder Bereicherung - darstellten.Doch was heißt das eigentlich: .. einen Angriff mit den Hexen tun'·? Lehntendie Dornbirner die ökonomischen oder politischen Folgen von Prozessen gegenPersonen ab. die auch sie für Hexen hielten? Oder gingen !-.ie davon aus. daß derGraf unschuldige Personen als llexen verurteilen würde, um seine Macht auszubauen?D amit ist die für die Forschung zentrale Frage angesprochen, ob dieKlüger selbst an die Wahrhaftigkeit der Vorwürfe gegenüber den verfolgten Personenglaubten oder ob sie diese als ein Mittel zum Zweck verwendeten. DieseThematik soll im Folgenden anhand der Unterlagen zu den <strong>Hexenverfolgung</strong>enauf dem Gebiet des heutigen Ö!-.terreichischen B<strong>und</strong>eslands <strong>Vorarlberg</strong>, des Für­\tentums L iechtenstein <strong>und</strong> der eidgenössischen Stadt St. Gallen erörtert werden. 11Yorarlberger Landesarchiv (im folgenden VLA). Hohenemser Archiv 47.1.~ Zu den Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Verläufen der Verfolgungen in diesen Territorien vgl.Manfred 1SCHAIK!'\ER ... Damit da~ Bö~e ausgerottet werde ... llexenverfolgungen in denö~terreichischen Herrschaften vor dem Artberg im 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert. Bregent.1992: DERS .... Der Teufel <strong>und</strong> die Hexen müssen aus dem Land ..... Frühneuzeitliche<strong>Hexenverfolgung</strong>en in Liechtcnstein. Yaduz 1998: D ERS .. Die Zauberei- <strong>und</strong> Hexenprot.esseder Stadt St. Gallen. Konstanz 2003.


96 M ANFRED TSCHAIKNERBegriffsbestimmung <strong>und</strong> allgemeine VoraussetzungenErschwert wird die Auseinandersetzung mit dem Thema ,,Nutzung oder lnstrumentalisierung"dadurch, daß beide Begriffe gewöhnlic h in unterschiedlichenBedeutungen verwendet werden. Nach dem "Deutschen Wörterbuch"von Brockhaus Wahrig drückt der Begriff "funktionalisieren" aus, daß etwasseiner Funktion entsprechend gestaltet oder gehandhabt wird; 3 "instrumentalisieren"bedeutet, jemanden oder etwas entgegen seiner eigentlichen Bestimmung zuverwend e n. ~ Da erst festgestellt werden muß, ob Tnstrumentalisierungen zu denFunktionen von Hexenprozessen zählten, erscheint der Ausdruck "Funktionalisierung"wenig nützlich.Die Begriffe "nutzen" <strong>und</strong> "benutzen" umfassen zwei Bedeutungsebenen:Zum einen drücken sie aus, daß man etwas "nutzbringend verwendet oder verwertet",<strong>und</strong> zwar nicht im Sinn einer Instrumentalisierung. Zum anderen umfassendie Begriffe "nutzen" <strong>und</strong> "benutzen" sehr wohl auch einen Sinnbereich,der eindeutig als Verwendung entgegen der eigentlichen Bestimmung zu verstehenist. "Nutzen" bedeutet nämlich ebenfalls "ausnutzen" 5 <strong>und</strong> dieser Ausdruckwiederum "rücksichtslos gebrauchen, unberechtigt für seine Zwecke in Anspruchnehmen". 6 Dasselbe gilt noch deutlicher für das Verb "benutzen" im Sinn von"sich jemandes oder einer Sache als Alibi, Vorwand, Entschuldigung bedienen". 7Die Wortbedeutungen von "instrumentalisieren" <strong>und</strong> "nutzen" überschneiden sichalso.Untersche idet man nur mehr zwischen "bewußter" <strong>und</strong> "unbewußter Instrumentalisierung",muß berücksichtigt bleiben, daß Hexereianschuldigungen ihremWesen nach Mittel der Interessendurchsetzung bildeten. Eine der Hauptattraktivitäteilder Hexenvorstellung lag eben darin, "den eigenen, durchaus materiellen,durchaus eigensüchtigen Interessen eine höhere Weihe zu verschaffen", 8 abernicht in einem bewußt mißbräuchlichen Sinn. Insofern erscheint es nach obigerDefinition ohne klaren Nachweis dafür nicht angebracht, von "lnstrumentalisierung"zu sprechen.3Brackhaus Wahrig. Deutsches Wörterbuch, hg. v. Gcrhard WAHRIG I HildegardKRÄMER I Harald Z IMMERMANN. Bel. 2, Wiesbaden-Stuttgart 198 1, S. 888- 889.4Brackhaus Wahrig. Deutsches Wörterbuch (wie Anm. 3), Bd. 3, Wiesbaden-Stuttgart1981, S. 76E.5Brackhaus Wahrig (wie Anm. 3), Bd. 4, Wiesbaclen-Stuttgart 1982, S. 876.6Brackhaus Wahrig (wie A nm. 3), Bd. I, Wiesbaden-Stuttgart 1980, S. 4387Ebenda, S. 6038Gerd SCHWERHOFF, Hexerei, Geschlecht <strong>und</strong> Regionalgeschichte. Überlegungen zurErklärung des scheinbar Selbstverständlichen, in: <strong>Hexenverfolgung</strong> <strong>und</strong> Regionalgeschichte.Die Grafschaft Lippe im Vergleich, hg. v. Giseta WILBERTZ, Gerd SCHWER­HOFF u. Jürgen SCHEFFLER, Bielefeld 1994, S. 325-353, hier S. 349.


utzung oder lnstrumentalisierung? 97Deshalb soll im Folgenden der Ausdruck "Nutzung" stets ohne die Nebenbedeutungenim Sinn von "ausnützen" oder "benutzen" <strong>und</strong> der Begriff " l nstrumentalisierung"nur al s "bewußte lnstrumentalisieru ng" gebraucht werden.Instrumentalisierungen von Hexereivorwürfen können gr<strong>und</strong>sätzlich nicht ausgeschlossenwerden, da stets die M öglichkeit bestand. Anschuldigungen ohneoder gegen innere Überzeugungen allein zum Zweck der Erreichung bestimmterZiele zu erheben. Bekanntlich stand die Ablehnung des Hexenglaubens als "Fabeiwerk"nicht außerhalb des zeitgenössischen kulturellen Horizonts. Es darf abernicht leichtfertig von Instrumental isierungen ausgegangen werden, etwa nachdem Denkmuster: "Schadenzauber gibt es bekanntlich nicht, also muß etwasanderes dahinter gesteckt haben". 9 Dem magischen Denken kam in der frühenNeuzeit sehr wohl ernst zu nehmende subjektive Realität zu. Es bildete einenintegralen Bestandteil der Weltsicht der meisten M enschen. 10 I nstrumentalisierungenmüssen deshalb nachgewiesen oder zumindest vor dem erwähnten weltanschaulichenHintergr<strong>und</strong> plausibel gemacht werden.Dies erweist sich allerdings als schwierig, da sich schon die Bescheltungen alsHexe im Rahmen der volkstümlichen Konfliktmuster - die hauptsUch I ich dasZiel verfolgten, die Betroffenen aus ihren gesellschaftlichen Bindungen herausmlösen,die Solidarität von Verwandten sowie Bekannten zu erschweren oderunmöglich zu machen <strong>und</strong> so eine Polarisierung von sozialen Gruppen zu verhindern11 - häufig auf keinen materiellen Nachweis der Zauberei bezogen, sonderneinen solchen vielmehr voraussetzten. Das geschah j edoch keineswegs nurgegen besseres Wissen, sondern zumeist auf Gr<strong>und</strong> einer Überzeugung, die sichauf bestimmte Indizien stützen konnte. Diese unterschieden sich j edoch stark vonjenen, die als gerichtsrelevant galten. 12Ausdruck zeitgenössischer Unsicherheiten <strong>und</strong> Unklarheiten, aber auch vonNutzungsabsichten bildeten die zahlreichen so genannten retorsiven oder bedin-9Vgl. z. B. Wilhelm M EUSBURGER, Die Landammänner des Hinteren Bregenzerwaldes.Ein Beitrag zur Geschichte des ßrcgcnzcrwaldes. Diss. phil. lnnsbruck 198 1 (masch.),S. 109.111Vgl. z. B. Heide DIENST, Lebensbewältigung durch Magie. Alltägliche Zauberei inlnnsbruck gegen Ende des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts. in: Alltag im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. Studien zuLebensformen in mitteleuropiiischen Städten, hg. v. All'red KüHLER I Heinrich LUTZ,Wien 1987, S.S0- 116, hier S.ll5.11Rainer WALZ, Hexenglaube <strong>und</strong> magische Kommunikation im Dorf der frühen Neuzeit.Die Verfolgungen in der Grafschaft Lippe, Paderborn 1993, S. 518 f. Vgl. dazuauch Manfrcd 1SCIIAIKNER, Magie <strong>und</strong> Hexerei im südlichen Vorartberg LU Beginn dereuzeit. KonstanL 1997. S. I 09- 1 I I.12Vgl. z. B. Manfred TsCHAIKNER . .,Die halbe Gemeinde besteht aus Hexen <strong>und</strong> Hexenmeistern..." llexereiinjurien aus Feldkirch <strong>und</strong> den umliegenden Gerichten im17. Jahrh<strong>und</strong>ert, in: Das Recht im ku lturgesehiehtl ichcn Wandel. Festschrift für KarlHeinz Burmeister zur Emeritierung, hg. v. Bernd M ARQUARDT I Alois NIEDERSTÄTTER.Konstanz 2002. S. 427-468. hier S.461-465.


98 MANFRED TsCHAIKNERgungsweisen Hexereibezichtigungen. Dabei wurde jemand nur so lange abHexenperson bezeichnet. wie er auf ~einem (vermeintlichen) Unrecht beharrte.Da man davon ausging. daß der Gegner oder die Gegnerin diesen Vorwurf nichtauf sich sitzen lassen würde, erwartete man dadurch eine Klärung der Verhältnisse.Erfolgte kein Versuch der Rehabilitierung, entwickelte sich aus den Bezichtigungenein Hexereiverdacht Das Verbrechen der Hexerei war nun in Ansätzen erkennbar,aus bestimmten Verhaltensweisen ableitbar. Bei diesem Übergangsbereich.in dem sich j emand nur verhielt "wie·' eine Hexe oder ein Hexenmeister. fehltennoch klare Bestimmungen des Delikts. Dennoch wurden diese Ansätze von denMenschen im Alltag sehr ernst genommen.Die Gerichte hingegen kannten diese Grauzone nicht. n Sie hatten auf derGr<strong>und</strong>lage der oft vagen Indizien, die den Klägern vorlagen, bei allem Spielraum,den unterschiedliche Definitionen boten. doch vergleichsweise klare Entscheidungenzu treffen <strong>und</strong> im Zweifel für den Angeklagten zu urteilen. Nur zu oftakzeptierten verfolgungsinteressierte Untertanen diese Vorgangsweise nicht, denndas für sie maßgebliche soziale Verhalten der Angeklagten widersprach demrechtlichen Indizienkatalog. Insofern kann - wie es zum Beispiel bei den liechtcnsteinischenVerfolgungen geschehen ist - nicht von einer juristisch unzureichendenAbsicherung der Anschuldigungen unmittelbar auf unredliche Absichtender Kläger geschlossen werden. Dies gilt auch für die M ehrzahl der Richter. dieim untersuchten Raum zumeist aus dem .. Volk .. stammten <strong>und</strong> das soziale Umfeldder Bezichtigten besser kannten als die anspruchsvollen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen derHexenprozesse. Die Richter wußten, daß beim Hexenwesen nicht nur dem sozialenVerhalten, sondern mitunter sogar allein der Abstammung aus so genanntenI Iexcngeschlechtern hohe Bedeutung zukam. Letzteres lüßt sich in den GrafschaftenVaduz <strong>und</strong> Hohenems explizit belegen. 14Auf solche <strong>und</strong> andere Faktoren, die im Alltagsleben wichtig, aber nicht unbedingtrechtsrelevant waren. konnte von den Gerichten wenig Rücksicht genommenwerden. Sie hatten auf der Gr<strong>und</strong>lage eines anderen Regelwerks festzustellen,ob die Klagen berechtigt waren oder nicht. Ob der Kläger dabei bewußt zutäuschen versuchte oder nicht, blieb von zweitrangiger Bedeutung bzw. warkaum feststellbar. Rechnen mußte man damit jedoch stets.Wie die Gerichte ihre schwierige Aufgabe lösten, hing maßgeblich von dergängigen <strong>und</strong> möglichen Vcrfahrenspraxis, das heißt von der Art der Institutionen,ihrer personellen Besetzung <strong>und</strong> den angewendeten Rechtsgr<strong>und</strong>lagen ab.11Eine Ausnahme bildete die schon im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert aufgegebene ,.absolutio ab in­'>lantia", eine Art von bedingter Freisprechung.1~ Ygl. z. B. die Erwähnung von l'erdächtigem gebliith bei H an~ Öhre aus Ruggell im Jahr1679: TsCHAIKNER, Der Teufel <strong>und</strong> die Hexen (wie Anm. 2). S. 130; DERS .. Die<strong>Hexenverfolgung</strong> in der Graf!>chaft Hohenems einschließlich des Reichshofs Lustenausowie der Österreichischen Herrschaften Feldkireil <strong>und</strong> Neuburg unter den hohcncmsischenVögten oder Pfandhcrrcn, Konstanz 2004, S. 25 1.


Nutzung oder Instrumentalisierung? 99Die jeweilige Veti"ahrenspraxis wiederum war mit unterschiedlichen Formen der<strong>Herrschaftspraxis</strong> verknüpft. Dabei scheinen die "instrumentellen Möglichkeitendes Hexenprozesses" am stärksten im Rahmen von Konflikten um Hoheitsrechtezum Tragen gekommen zu sein. 15 Im Folgenden sollen deshalb zwei Episoden ausder Geschichte der vorarlbergischen <strong>Hexenverfolgung</strong>en, die sich dafür besondersgut geeignet hätten, näher betrachtet werden.Hexenprozesse <strong>und</strong> behördliche MachtkonflikteUm die Mitte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts ließ der selbstbewußte Vogt der ÖsterreichischenHerrschaft Feldkirch, Graf Kar! Friedrich von Hohenems, etliche Hexenprozesseführen <strong>und</strong> fürchtete, daß dises werkch zimblich weitlt wnb sichzuegre(ffen <strong>und</strong> ain geraume ::_eit darmit zuzebringen sein würde. Besonders bedauerteer, daß er in seinem Dienstvertrag entgegen dem alten Herkommen beiseinen Vorgängern dazu verpflichtet worden war. bei allen Malefizprozessen dieUrteile vor der Publizierung der Regierung in Innsbruck zur Begutachtung vorzulegen.Da man auf entsprechende Antworten vier, ja fasst sechs wochen langwarten müsse, würden die Prozesse mit confussion verlängert <strong>und</strong> merklicheZusatzkosten anfallen, die aus dem Besitz der Delinquenten zu bestreiten wären<strong>und</strong> die bei anderer Vorgangsweise nur halb so hoch ausfallen würden. Im Sommer1651 entschloß sich der Vogt, den mit der Führung der Prozesse betrautenFeldkireher Hubmeister mit disem werckh eben selbständig in gottes namen demalten herkhommen gemeß fortfahren zu lassen. Die Regierung wollte er zwar überdie Gerichtsverfahren informieren, die De linquenten aber wie das FeldkireherStadtgericht selbständig verurteilen <strong>und</strong> begnadigen. Solange aus Innsbrucknichts widriges einkhombt, sollten die Prozesse also einfach fortgesetzt werden.Die Regierung scheint tatsächlich nichts gegen diese Vorgangsweise des Vogtesunternommen zu haben. Jedenfalls ist im Behördenschriftverkehr diesbezüglichnichts faßbar. Dort fand nur ein Streit wegen der Nichtberücksichtigung desobrigkeitlich bestallten Bregenzer Scharfrichters seinen Niederschlag. Für denHubmeister Johann Christoph von der Halden endeten die Prozesse allerdings ineinem Fiasko, da er eine Frau aus einem bekannten <strong>Vorarlberg</strong>er Adelsgeschlechthatte hinrichten lassen. 16 Auf eine Instrumentalisierurng der Hexenprozesse bestehtjedoch nicht der geringste Hinweis.Das Gleiche gilt für einen anderen Fall, der sich dafür wohl ebenso geeignethätte. Es handelte sich dabei um eine schwere Auseinandersetzung zwischen dem15Rita YOLTMER. Hexenprozesse <strong>und</strong> Hochgerichte. Zur herrschaftlich-politischen Nutzung<strong>und</strong> Instrumentalisi.erung von <strong>Hexenverfolgung</strong>en. in: Hexenprozesse <strong>und</strong>Gerichtspraxis, hg. v. Herbert E IDEN I Rita YOLTMER. Tricr 2002, S. 475-525, hierS.480.16TsCHAIKNER, Hohcnems (wie Anm. 14). S. 283- 288.


100 MA FRED TsCHAtKNERRat der Stadt Bregenz <strong>und</strong> den Beamten der gleichnamigen Herrschaft im Zugeder letzten nachweisbaren Hexenprozesse in den Österreichischen Herrschaftenvor dem Artberg im Jahr 1657. Angeklagt waren Othmar von Ach aus Lauterach<strong>und</strong> zwei Frauen aus Wolfurt, Katharina Bönlerin <strong>und</strong> Anna Finkin. 17Stadt <strong>und</strong> Vogteiamt Bregenz befanden sich seit Jahrzehnten in einem M achtkampf,unter anderem auch um gerichtliche Kompetenzen. 18 Bei Kriminalprozessengegen Delinquenten aus der Herrschaft BregenL fällten Ammann <strong>und</strong> Ratder Stadt Bregenz die Urteile, verkündet wurden sie jedoch vom Vertreter desLandesfi.irsten, dem Vogt. Im Jahr I 643 hatte die Stadt die volle Hochgerichtsbarkeitin ihrem Territorium erlangt. Das heißt, die Urteile über M alefizfälle inder Stadt Bregenz wurden fortan durch ihre Vertreter verkündigt. Das Recht derUrteilsverlesung über Delinquenten aus der gleichnamigen Herrschaft verbliebjedoch beim Vogt. 19 Auch die Verhöre nahmen allein er <strong>und</strong> seine Amtleute vor.Zu Beginn des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts wurde ein " Direktorium" über die Vorgangsweisebei Hexenprozessen verfaßt. In seiner Einleitung erhob dieses den Anspruch,daß sein Inhalt auch bisdahero in den beeden herrschafften ßregenz unndHochenegg yeblichen herkhommens mul gebraucht worden sei. Nach diesen Aufzeichnungennahmen bei den Folterungen altem gebrauch nach der Stadtammann,die Ratsmitglieder <strong>und</strong> der Stadtschreiber nur alß in solehell .wehen spectatores,ge~eugen <strong>und</strong> künfftige ordenliehe bluet oder malefiz richter teil. DasWort führte bei den Untersuchungen allein der Vogt oder sein Stel lvertreter imNamen der kaiserlichen Majestät <strong>und</strong> sonst niemandts. 20 Bei den erwähntenHexenprozessen von 1657 versuchte die Stadtbehörde, den landesfürstlichenAmtleuten dieses Recht streitig zu machen.Das führte so weit, daß die Stadtvertreter nicht nur gegen das von den Beamtenbestellte Rechtsgutachten Dr. Johann Jakob Harders, sondern gegen dasganze protlwco/1 aufbegehrten. Als nämlich gemäß Konsilium zur Tortur geschrittenwerden sollte <strong>und</strong> dazu der Stadtammann samt den Ratsmitgliedern als"Spectatores" geladen worden waren, wollten diese die tortur nit vorgehen lassen.Aus Sicht der Beamten taten sie dies mit dem vorwandt, daß kheinegenuegsambe inditia dar~u verltcmden . Des Weiteren erklärten sie, Dr. H arderhabe sich in seinem Gutachten besonders bezüglich Anna Finkin in etwas geihret.Die Regierung löste den Streit Mitte M ärz 1657 zugunsren der landesfürstlichenBeamten. Dr. I larders rechtliches Urteil fand schließlich Bestätigung durch andereJuristen. So erklärte auch ein Rechtsgutachten von Dr. Schatz, Stadtsyndikus zu17Tiroler Landesarchiv (im folgenden TLA), Buch Walgau, Bd. 16, fol. 2 19a+b, 233a+b,238a+b. 251 a+b, 252b-254a. 255a-256b. 260b-263a, 267a- 269b, 281 a+b,288b+289a. 292a-293a u. 295a.18Benedikt BtLGERI, Bregenz. Geschichte der Stadt. Politik Verfassung Wirtschaft.Wien-München 1980, S. 287-300, hier bes. 296.19Alois NIEDERSTÄTIER, Quellen zur Geschichte der Stadt Bregenz 1330- 1663. PrivilegienConfirmationen Satzungen Ordnungen Mandate Verträge, Wien 1985, S. 43-46.~ 0 Der Text ist abgedruckt bei TsCIIAtKNER, Damit das Böse (wie Anm. 2). S. 150-153.


Nutzung oder lnstrumentalisicrung?I 0 IRavensburg. die vorliegenden Indizien als ausreichend für die Anwendung derFolter. Dennoch brachte man die Angeklagten bei drei Durchgängen der Torturzu keinen Geständnissen der Hexerei, so daß sie schließlich frei gelassen werdenmußten.Bei diesen letzten Hexenprozessen in den Österreichischen Herrschaften vordem Artberg trugen also zwei Gerichtsinstanzen einen schweren Konflikt aus.Dabei entstand die heikle Konstellation, daß sich ein relativ autonomes Gericht,das mit juristischen Laien besetzt war, gegen eine landesfürstliche Unterbehördestellte, die von einem der ranghöchsten Juristen des Landes. dem kaiserlichenLandrichter von Rankweil, unterstützt wurde. Während das Stadtgericht Bregenzdem Vogt eine zu harte Vorgangsweise vorwarf, wurde er von der Regierung alszu milde bzw. als zu nachlässig kritisiert. Umgekehrt stieß auch die Vorgangsweisedes Stadtgerichts auf harte Kritik. <strong>und</strong> zwar seitens des Gerichts Hofsteig,aus dem die drei Angeklagten stammten. Zahlreiche Bewohner unterstellten nichtnur ihrem eigenen Ammann, sondern auch der Bregenzer Stadtbehörde Begünstigungder Hexereiverdächtigen. 21 Der Wortführer der Unzufriedenen, HansWeiß, scheint dabei die M ehrheit seiner Gerichtsgenossen hinter sich gehabt zuhaben, denn in der zweiten Hüll'te des Jahres 1658 löste er Hans Sommer in derFunktion als Ammann ab. 22 Trotz vielfacher Auffassungs- <strong>und</strong> Interessenskollisionenlassen sich aber auch bei den letzten Hexenprozessen in den ÖsterreichischenHerrschaften vor dem Arlberg auf keiner Seite Ansät/.e zu lnstrumentalisierungendes Hexenwesens feststellen.Definitionshoheit <strong>und</strong> die Gestaltung der GestUndnissedurch die GerichtsbehördenDie <strong>Herrschaftspraxis</strong> äußerte sich nicht zuletzt auch in einer Definitionshoheitüber das Zauberei- <strong>und</strong> Hexereidelikt Inwieweit dabei von l nstrumentalisierungoder Nutzung gesprochen werden kann. soll an ei nem Beispiel aus der StadtSt. Gallen untersucht werden.Dabei handelt es sich um das Gerichtsverfahren gegen Regula Köchin, die160 I das erste Opfer eines Zaubereiprozesses in St. Gallen wurde. 2 -' I hr Endgeständnis("Vergicht"). das den Schadenzauber, einen Teufelspakt <strong>und</strong> die Teufelsbuhlschaftumfaßte, wich in einigen nicht unerheblichen Detai ls von den Geständnissenab, welche die Köchin zu Protokoll gegeben hatte. So vermied dieSt. Galler Obrigkeit im Endgeständnis die Verwendung des Begriffes ,.Hexe", dasie nicht an die Existenz von Hexen glaubte. Während die gefangene Frau bei~ 1 TLA. Buch Walgau. Bd. 16. fol. 288b+289a. 291a+b. 333b+334a. 347a+b. 353a+b.354b. 370a+b.2~ YLA. Gericht Hofsteig. H!-.. u. Cod. 3. o. fol.~.~ Vgl. dazu TSCHAIKNER. St. Gal len (wie Anm. 2). S. 35- 39.


102 MAt\FRED 1SCHAIKNERihren Verhören erklärt hatte. sie habe eine andere Person durch ain IIegxisehenankuch magisch geschädigt. ersetLte der Rat diesen Ausdruck in der Vergichtdurch die Formulierung. die Köchin habe ihre Gegnerin mit ainem bößen l'er­~((ren aathem anblo.ßen.Auch andere Elemente der dämonologischen Hexenlehre blieben in der Vergichtgezielt ausgeblendet. So hatte die Köchin den Abschluß ihres Teufelsb<strong>und</strong>esvor 40 Jahren folgendermaßen dargestellt:Ungel'(lar I'Or .JO jaren hahe sy 111111> ainen Schit/i oder Stückh gebulet. Vo/gen/1. 1rie derStückh hin11·eg ;:.oggen. seye der büß gaist ain llllulf ;:.u nacht jlir ire femter komen <strong>und</strong>inen klumben. Valgents hi iro gt•sc/rla.ffen <strong>und</strong> timmach :::u iro gsagr. sy miieße je;:. tlwn.11·as er welle. Da~ habe \_\" tlwn <strong>und</strong> daruf imm die lingge lumd gepothen. mlgents imainen kr(ß geben. Da unge1•aar nach .::wayen monaten, ::u nacht. seye er wider komen.Da hab er gredt, sy lwh ::um ersten imm g/~ßet. sy miieß imm ll'ifer loßen. Da hab sythan <strong>und</strong> imme l'ersprochen. sy welle sein aigen sein. Stall dieser detaillierten Angabenliest man in der Vergicht nur, der Teufel habe die Köchin vor etwa vierzig Jahrenberedt, das sy seines ,,·illens gepjliigen <strong>und</strong> hierby ime sielt gen.::lich ergeben mir versprec/wng,11·as er sy lwißen \\'erde, imm in se/bigen ;:.egehorsamen.Die genauen Umstände des Teufelsb<strong>und</strong>es im Anschluß an eine unglücklicheLiebschaft mit Betonung der besonderen Bedeutung der linken Hand sollten beider öffentlichen Verlesung der Geständnisse am Tag der Hinrichtung nicht weiterverbreitet werden.Bei den gestandenen Schadenzaubereien interessierte sich die Obrigkeit alleinfür jene Vorfalle genauer. die zur Ein Ieitung des Prozesses geführt hatten. Dieanderen Angaben von SchHdi gungen wurden in der Vergicht nur allgemein erwühnt:Die Köchin habe ihre Nächsten so oft an Leib <strong>und</strong> Gut geschädigt, daß siesich der Zahl gar nicht mehr entsinne. Eine Ausnahme bildete die Tötung vonVieh, die vor 16 Jahren erfolgt sein sollte.In der Vergicht fehlen auch Details zur Teufelssalbe oder zum Teufelspulver.womit M ensch <strong>und</strong> Vieh geschädigt worden seien. Es ist nur die Rede von .. desbösen Geists Mittel'·. Im Gegensatz zu späteren Gerichtsverfahren wurden derKöchin bei ihren Schadenzaubereien noch personale Kräfte zugebilligt: So habesie allein durch Anhauchen Krankheiten verursachen können. Vom Rat nichtakzeptiert wurde hingegen die im Volk vermutlich weit verbreitete Vorstellungvon der besonderen magischen Kraft der (traditionell schlechten) linken Hand, 2 ~mit der die Köchin wie erwähnt auch den Teufelsb<strong>und</strong> geschlossen haben wollte.K ein Interesse zeigte der Rat daran, den genauen Hergang bei der Lähmungvon Jakob Appenzellers Kind in den achtziger Jahren anzuführen. L aut Geständnisder Köchin hatte ihr die erste Ehefrau Appen7ellers das behindert geboreneKind. das an ainem glidli lamb gewesen war. -;.ugeschickht. Dabei war ein! 4 Vgl. dazu Hanns BÄCIITOLD-STAUBLI, Art. ,Hand'. in: Handwörterbuch des deutschenAberglaubens. hg. v. I lanns ßÄCIITOLD-STÄUBLI, Bd. 3. Nachdruck Berlin I New York1987, Sp. 1379-1398. hier Sp. 1385-1387.


Nutzung oder Instrumcntalisicrung? 103Heilungsversuch der Köchin mißlungen. Bei den Untersuchungen im Frühjahr160 I mußte sie jedoch eingestehen, dem Kind damals durch anstifftung deßbößen .findts mit ainem küechlj, darinnen ettwas puljfers \'Oll ainer wur:en, dieiro der boße find geben, auch noch das andere Glied gelähmt zu haben, so daßdas Kind hernach gestorben sei. Im Gegensatz dazu wurde die Köchin in derVergicht aber nicht für den Tod des Kindes verantwortlich gemacht. Wäre der Ratsonst in Bedrängnis geraten. weil er sich 1583 nicht weiter um den Schadenzaubervorwurfgekümmert hatte, der damals schon gegen die K öchin erhoben wordenwar'? Oder erschien einfach nur der Kausalzusammenhang zwischen der Behandlungdurch die Köchin <strong>und</strong> dem Tod des Kindes als nicht überLeugend?Auch das Geständnis der Köchin, der Teufel habe sie vorn Kirchenbesuch abgehalten,nahm man nicht in die Vergicht auf. Vielleicht war die Gefangene garnicht durch mangelnden religiösen Eifer aufgefallen.Wie ~tark der Rat die Ergebnisse der gerichtlichen Verhöre umformte <strong>und</strong>seinen Vorstellungen oder Interessen anpaßte. zeigt sich am deutlichsten bei derDarstellung jener Ereignisse, die zur Einleitung des Prozesses geführt hatten.Dabei ~uchte aber auch die Köchin den Vorteil zu wahren. indem sie ihre Schuldmöglich~t gering oder ihre Unternehmungen in einem möglichst positiven Lichterscheinen ließ. So erklärte sie. an einem Sonntagabend vor ungefähr sechs Wochensei der böse Geist :u iro u.ff der ringgmaur kamen. Da habe sie ihm geklagt,wie sy \'Oll der Siiiimlinen blaaget werde. <strong>und</strong> er solle iro helffen. damit sy:eschqffen habend. Das habe er iro \'ersprochen. Bald nachdem er sich mit ainemboßen geruch von ihr verabschiedet habe, seien dann die Kinder der Säumlininvon großen Schmerzen befallen worden. Die Köchin wollte also gar nichts selbstgegen die Kinder unternommen haben. Vielmehr habe sie sich daraufuin ~ogar:um bi~ße11 l'etfiie[.lt <strong>und</strong> gredr. er solle aller tiifelnammen von iro gan <strong>und</strong> seinesgwalts gegen disen kinderen abstan. Dan(( der bö.ß sy übel gschlagen, also das synicht habe konden weder gan noch stan, sonder die gan:e nacht elenf dl uf demhaubt kiie:let. Diese aufopfernde Haltung nahm der Rat der Köchin nicht ab. Soheißt es denn auch in der Vergicht, sie habe die Kinder Jakob Appenzeller~ vorsechs Wochen durch mittel des bösen gaisrs zu ainer bößen abschüchlichen taubensuchtgebraacht. Also nicht der Teufel selbst. sondern seine strafbare DienerinRegula Köchin soll die Krankheit verursacht haben. Schon aus theologischenGründen konnte der Rat unmöglich akzeptieren. daß der Teufel - wie esdie Köchin darzustellen versuchte - die Kinder wiederum geheilt habe. Nur beiden traditionellen Vorstellungen von Magie vermochten die Zauberer ihren Schadenselbst gutzumachen. Im theologischen Weltbild jedoch stellte dies die AufgabeGottes dar. Dem entsprechend liest man auch in der Vergicht. die Kinderseien durch gottes .fi'irsechung dari'0/1 erlediget worden.In die~em Zusammenhang ermöglichte es dem Rat eine !-.Ieine Veränderungder zeitlichen Angaben. die Obrigkeit al~ Werkzeug Gottes zu präsentieren. WährendRegula Köchin bei den Untersuchungen ausgesagt hatte, die Heilung derKinder sei schon Wochen vor dem Prozeß erfolgt. heißt es in der Vergicht. die


104 MANFRED l'SCHAIKNERGes<strong>und</strong>ung habe genau zu dem Zeitpunkt eingesetzt. als man die Angeklagte insGefängnis brachte. Damals habe der laidige sattoll diser ki11der taubsucht uf sy8ell'm.f[e11 <strong>und</strong> sy ai11 8011-:;e nacht darmit in der fa118ensclwft 8eblaagt. Gleichzeitigwar damit auch die Gefangennahme der Köchin endgültig legitimiert.Selbst die überzeugtesten Zweifler an der Sinnhafligkeit von Zaubereiprozessenmußten von diesem auffUIIigen, in Wirklichkeit allerdings konstruierten Zusammenfallder Ereignisse überzeugt oder zumindest irritiert worden sein.Nahm der Rat die GestUndnisse selbst nicht ernst? Mißbrauchte er sie für seinepolitischen Zwecke? B ekanntlich bildeten die Angaben der Verhörten eine Kombinationvon Ereignissen <strong>und</strong> unterschiedlichen dämonalogischen Vorstellungender Angeklagten sowie der Gerichtsmitglieder. Manche Aussagen wie vielleichtdas falsche Geständnis des mangelnden Kirchenbesuchs konnten auf eine unangemessenharte Vorgangsweise bei der Folterung zurückgeführt werden. Anderewiederum waren in sich nicht stimmig. Dazu zählte etwa die theologisch widersinnigeAussage vom hei Ienden Teufel. Der Rat mußte in jedem Fall korrigierendeingreifen. Dabei war er sich seines manchmal ziemlich breiten Ermessensspielraumsbewußt <strong>und</strong> richtete sich nach den eigenen Plausibilitäten <strong>und</strong> I nteressen.Wie das St. Galler Beispiel veranschaulicht, nutzte die Obrigkeit dabei das Zauberer-<strong>und</strong> H exenwesen mitunter sogar zur Bestätigung der eigenen Politik. ohnedaß ihr deswegen eine Instrumentalisierung desselben unterstellt werden kann.Hexenprozesse als Mittel der GeldbeschaffungDie Hexenprozesse in den Österreich ischen Herrscharten vor dem Artberg bildetenzumeist DefizitgeschUfte <strong>und</strong> belasteten die Amtskassen schwer. 25 In derhistorischen Literatur zu Liechtenstein hingegen galten diese Gerichtsve1·fahrenlange Zeit vornehmlich als ein Mittel der GeldbeschaiTung. Sie wurden sogar als"organisierter Raubzug der Obrigkeit <strong>und</strong> ihrer willfährigen Beamten gegenüberden eigenen Untertanen" 16 <strong>und</strong> somit als Instrumentalisierung des Hexenwesensaufgefaßt. Diese Wertung stellte allerdings bereits einen wichtigen <strong>und</strong> vor allemauch wirksamen B estandteil jener Verteidigungsstrategien dar, womit sich dieOpfer der <strong>Hexenverfolgung</strong>en beziehungsweise deren Verwandtschaften gegenihr schweres Schicksal zur Wehr setzten, <strong>und</strong> erfordert al lein f.chon deshalb einekritische Überprüfung anhand des Quellenmaterials.2 ~ Einzig bei den Bregenzer Protessen von 1609 fiel aus Konfiskationsgeldern eine höhereSumme an. die für Baumaßnahmen verwendet werden konnte: TsCHAIKNER. Damitdas Böse (wie Anm. 2). S. 16-1-168.J 6 Peter PUTZER. Das Salzburger Rechtsgutachten von 1682. in: Hexenprozesse in Liechtenstein<strong>und</strong> das Salzburger Rechtsgutachten von 1682, hg. v. Otto SEGER u. PeterPUTZER, St. Johann i. P.-Wien 1987, S. 13-46. hier S. 34 Anm.


Nutzung oder lnstrumentalisierung? 105Ein für diesen Zweck wichtiges D okument konnte kürzlich im BludenzerStadtarchiv entdeckt werden. Es erlaubt eine bisher mangels entsprechenderQuellen nicht mögliche differenziertere Einschätzung der finanziellen Rahmenbedingungender ersten Hexenprozesse unter der Herrschaft des Grafen FerdinandK arl Franz von Hohenems sowie der damit verb<strong>und</strong>enen Interessen.Z 7Der junge Landesherr hatte erst im Herbst 1675 die Alleinregierung über seineLänder angetreten. 28 Dabei befand er sich bereits in einer aussichtslosen finanziellenLage, denn laut Herrschaftsvertrag von 1614 hatten die Untertanen jährlichnur eine nicht erhöhbare Summe Geldes zu bezahlen, während die Reichssteuernständig stiegen. 19 I m Juni 1676 entlehnten nun die Stände der GrafschaftVaduz auf ,Ansinnen" <strong>und</strong> .. Requirieren" (=Verlangen) des Grafen Geld beiRittmeister Hartmann Planta zu M alans. das zur Fortsetzung eines .,reassumierten"- also eines bereits begonnenen - Prozesses sowie für andere gräfliche"Anlicgcnheiten" verwendet werden sollte. Beim erwähnten Gerichtsverfahrendürfte es sich um einen so genannten Informationsprozeß, also erst um eineVorstufe zum Hauptverfahren, gehandelt haben.Wer nun dessen Fortführung betrieb, wird im Text nicht ausdrücklich erwähnt.Aus der Formulierung "<strong>und</strong> anderen unseren Anliegenheitcn" läßt sich kein einseitigesInteresse des Grafen daran ableiten. Es ist schwer vorstellbar. daß dieObrigkeit bei ihrer Pflicht, Recht zu sprechen, von den Untertanen finanziellunterstützt worden wäre, wenn diese damit nicht das Hexentreiben zu fördernbeabsichtigt hätten. Diese Vermutung wird dadurch bestärkt. daß der Graf nachder Einhändigung des Geldes keine entsprechenden Aktivitäten entwickelte. Dieschätten vermutlich wohl hohe Aufwendungen verursacht, wären dem Grafenaber nicht zugute gekommen, da die zu erwartenden Konfiskalionsgelder vertragsgemaßan die Untertanen gefallen wären.Die Aussicht auf Einnahmen durch K onfiskationen im Gefolge von Hexenprozessenbedeutete also keineswegs, daß der Graf überhaupt an der Einleitungsolcher Gerichtsverfahren interessiert war. geschweige denn, daß er sie nur umdes Geldes willen führte. Der L andesfürst scheint es vorgezogen zu haben, dasvon den Ständen entlehnte Geld für andere vorgesehene ,.Anliegenheiten" zuverwenden. Viele Leute betrachteten den Grafen deshalb als Hindernis bei denHexcnverfolgungen. Dem entspricht eine gerichtliche Zeugenaussage vom 29.Apri l 1678, laut der damals manch einer mit der Fortsetzung der Verfahren rechnete,sobald sich der L andesherr wieder außer L andes befinden würde. 30~ 7 VLA. Stadtarchiv Bludent. 134/75.~M Peter KAISER. Geschichte de!. Für~tenthums Liechtenstcin. Neb~t Schilderung ausChur-Rätien·s Vorzeit. 1847. hg. '· Arthur BRU 'HART. Vadu; 1989. S.442 f."~ Bernd MARQUA RDT. Über jedem Füro;ten <strong>und</strong> Grafen ein höherer Richter: FriihneuteitlichcReichsexekutionen am Alpenrhein. In: Montfort 54. 2002. S. 216-235. hierS. 220 r.·111 TsCII AIIKNER. Der Teufel <strong>und</strong> die llcxcn (wie Anm. 2). S. 2 1.


106 MANFRED lSCHAIKNEREs scheint also. daß Ferdinand Karl Franz nicht die Hexenprozesse. sonderndas Interesse der Untertanen daran bestmöglich nulLte. <strong>und</strong> Lwar ohne sich denSchwierigkeiten dieser Gerichtsverfahren zu unterziehen. Bei den später geführtenHexenprozessen dürfte er die vertraglichen Verpflichtungen von 1676 nichtmehr anerkannt zu haben, denn die Berücksichtigung der oben zitierten Schadloshaltungzähltenoch zu den Forderungen, welche die Untertanen im Jahr 1683vorbrachten : 11Aber schon davor hatten die Stände. nachdem sie weitere finanzielle Bela­~tungen auf sich genommen hatten <strong>und</strong> es im Gefolge des Hexentreibens von1679 zu einer schweren Kr i~e gekommen war. vom Grafen die Verschreibungsämtlicher ordentlichen <strong>und</strong> außerordentlichen Herrschaftseinkommen sowie derKonfiskationsgelder. die nach den Hex.enprozessen von 1678 <strong>und</strong> J 679 nochnicht eingezogen worden waren, erlangt. 32 Bei den letzten Gerichtsverfahren inVaduz war Ferdinand Kar! Franz also nicht mehr unmittelbarer finanzieller Nutznießer,obwohl er weiterhin die Verantwortung dafür trug.Der Vorwurf, der Graf habe die Hexenprozesse im Rahmen seiner unverantwortlichen<strong>Herrschaftspraxis</strong> zu einem "Raubzug" gegen die Untertanen verwendet.trifft somit nicht in dem Sinn zu, daß er an deren Führung als Mittel zumZweck interessiert war. Unproblematischere Einnahmen versprach ihm die Berücl-.sichtigungdes Verfolgungsbedürfnisses weiter Kreise der Untertanen. Beiden von ihnen gewählten Gerichtsleuten durchdrangen sich aber finanzielle Interessen<strong>und</strong> Hexenglauben so stark, daß diese Beweggründe nicht auseinandergehalten werden können. Dies erkannten bereits Zeitgenossen der Hexenprozesse,die aus verfolgten Familien stammten <strong>und</strong> großes Leid hatten erdulden müssen:Katharina Wagner aus Schmm zum Beispiel meinte, es sei landk<strong>und</strong>ig, daßdie Amtleute die Reichen aus Gier nach ihrem Geld, die Armen aber "aus allerhandNeid, Hass <strong>und</strong> Rachgierigkeit" aus dem Weg gcrüumt hätten, dahero nie-11/CIIId wissen khönde, welcher schuldig oder unschuldig gestorben sei. Hätte mandie Begüterten allein wegen des Geldes <strong>und</strong> die Armen nur aus Hass beseitigt,wäre deren U nschuld doch eindeutig festgestanden. Beide Verfolgungsmotiveer. chienen jedoch untrennbar mit ernst genommenen Vorwürfen der Hexerei verb<strong>und</strong>en.Dies gilt auch, wenn Andreas Reinberger Ende 168 1 erklärte, wann er soreich were gewest a(ß der Johannes Walßer, so wehre er auch schon Iengs!verbre111 worden. 33 Reichtum oder Hass förderten die Verfolgungen maßgeblich,als unschuldig galten deren Opfer zumeist jedoch nicht.·11 K AISER, Geschichte (wie Anm. 28), S.


Null:ung oder lnstrumentalisicrung? 107Hexenprozes!-.e <strong>und</strong> kaiserlicher AbsolutismusDer Widerstand der Stände gegen die Hexenprozesse von 1679 richtete sichallem Anschein nach hauptsäch lich dagegen, daß sich damit der L andesfürstallein zu sanieren versuchte. Als in der Folge sämtliche Einnahmen an die Ständefielen, verloren die Opfer der llexenverfolgungen in den gewählten Vertretern derBevölkerung nur schlechte Verbündete, denn nun ließen diese ähnliche Gerichtsverfahrenführen, wie sie von ihnen vor kurzem noch massiv kritisiert wordenwaren.Einige der Verfolgten, denen die Flucht nach Vontriberg gelungen war. <strong>und</strong>der Pfarrer von Triesen wandten sich schließlich Ende 1680 mit Beschwerdeschriftenan den Kaiser in Wien. Damit belasteten sie den Grafen schwer, denn erbefand sich bereits seit einiger Zeit in einer bedenklichen politischen Lage. Schonim September 1680 war nämlich eine kaiserliche Kommission zur Untersuchungder fragwürdigen H errschaftspraxis des Grafen eingerichtet worden. Nachdemdiesem die Fortsetzung der Inquisitionen <strong>und</strong> Prozesse untersagt worden war,untersuchte seit M ai 168 1 eine weitere kaiserliche K ommission unter Vorsitz desKemptener Fürstabts Rupert von Bodman die Vorgangsweise bei den <strong>Hexenverfolgung</strong>en.Der Fürstabt ließ dazu die Gerichtsakten an die juridische Fakultätder Universität Salzburg übersenden. die I 682 in einem Rechtsgutachten sämtlicheUrteile in Hexereiverfahren der vergangenen Jahre für rechtswidrig erklärte.Nach wei teren Schwierigkeiten - auch wiederum im Zusammenhang mit denunterb<strong>und</strong>enen Hexenprozessen - wurde dem Grafen sch ließlich die Kriminaljurisdiktionaberkannt. Da er die Tätigkeit der kaiserlichen Kommission behinderte,ließ ihn deren Leiter gefangen nehmen <strong>und</strong> nach Schwaben bringen, wo derjunge Graf 1686 verstarb.Bald mündeten die K onflikte um die aufgehobenen Hexenprozesse in denbreiteren Widerstand der Untertanen gegen die Mißwirtscha ft <strong>und</strong> Unfähigkeitder emsischen Landesherrn. Dadurch trugen sie nicht unwesentlich dazu bei, daßsich die Finanzkrise zur Herrschaftskrise ausweitete. die zum Übergang der Territorienvon den Grafen von Hohenems an das Haus Liechtenstein führte.Im Bezug auf die Hexenprozesse wurde Graf Ferdinand Karl Franz schwerangelastet, daß er bei sümtlichen Gerichtsvetfahren gegen die gesetzlichen Vorgabenverstoßen habe. Dabei hatte das Vaduzer Gericht 1680 eigens einen Juristenbeigezogen <strong>und</strong> auch verschiedene Gutachten bei Linclaucr sowie Ti.ibingerRechtsgelehrten eingeholt. Die Prozeßakten belegen, daß in Vaduz keineswegsextreme Vorstellungen vom Hexenwesen als "crimen exceptum" mit den damitverb<strong>und</strong>enen Ausnahmeregeln vertreten wurden. Allerdings entsprach die Vorgang!-.wcise- wie bei den meisten Hexenprozessen dieser Zeit - nicht den strengenVerfahrensbestimmungen der kaiserlichen Gesetzgebung. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lageaber wurden die Vaduzer Prozesse von 1679 <strong>und</strong> I 680 beurteilt. <strong>und</strong> zwar ineiner Weise. die deutlich erkennen läßt. daß es dabei weniger um die Aufdeckungvon Verstößen gegen das Recht als um die beabsichtigte Aufhebung aller Hexen-


108 MANFRED 'TSCHAIKNERprozeßurteile ging. Schon der Liechtensteiner Historiker Otto Seger stellte fest,daß der Verfasser des Salzburger Rechtsgutachtens, Dr. Johann Baptist Moser,wußte. was für ein Urteil er zu finden hatte. Er suchte deshalb "sichtlich" nachBeweisen dafür, daß die geforderte Form der Verfahren verletzt worden war. 34Und obwohl er dabei zum Ergebnis kam, daß nur fast alle Gerichtsverfahrencontra formam a iure praescriptam instituiert worden seien, wurden schließlichsämtliche Prozeßurteile aufgehoben.Vieles deutet darauf hin. daß das Salzburger Rechtsgutachten nicht nur keinejuristische Meisterleistung, sondern eigentlich ein Gefälligkeitsgutachten darstellte.Otto Seger schrieb dazu: "Aus späteren Äußerungen des Fürstabtes wissenwir, daß er von der Schuld des Grafen bei den Hexenprozessen fest überzeugtwar, <strong>und</strong> wir dürfen wohl annehmen, daß er mit seiner Meinung über die Ungeheuerlichkeitender Prozeßführung nicht zurückgehalten hat. So wäre es erklärlich,daß der Berichterstatter der Univ.ersität, Professor Moser, in einem anderenfast gleichzeitig erstatteten Gutachten für die Todesstrafe bei einem Hexenprozeßeintritt, während er sichtlich darauf ausgeht, bei den Vaduzer Prozessen Nichtigkeitsgründeaufzufinden." 35 Des Weiteren meinte Seger: "Die Juristen in Salzburgerkennen aus dem Schreiben die Einstellung des kaiserlichen Beauftragten, <strong>und</strong>als ,untertänigst-gehorsame Diener' <strong>und</strong> mit Dank für das gnädigste Vertrauenbegeben sie sich an die große Arbeit." 36 Während Peter Putzer für die Wahl derUniversität Salzburg "keine anderen erkennbaren Gründe" als das "Gefühl persönlicherAnhänglichkeit" oder den " Respekt vor der fachlichen Kompetenz"anführ1e, 37 lassen Segers Darlegungen durchklingen, daß sich Rupert von Bodmanauf Gr<strong>und</strong> seiner persönlichen Beziehungen auch ein gewisses Entgegenkommendes Juristen bei der Beurteilung der Akten erwartete. Dies galt umsomehr, als mit Dr. Moser die Wahl auf einen Gutachter fiel, der davor "wederdurch eine spektakuläre Lehrtätigkeit noch durch Publikationen besonders in Erscheinunggetreten [war], schon gar nicht durch strafrechtliche". 38 Hätte man sicheine f<strong>und</strong>iertere Auseinandersetzung mit der Materie gewünscht, wäre wohlkaum die juridische Fakultät der relativ unbedeutenden Universität Salzburg ausgewähltworden. Sie hatte davor erst ein einziges Rechtsgutachten über einen Fallvon Hexerei erstattet. Betrachtet man die zahlreichen enthaltenen Irrtümer <strong>und</strong>Mängel, verw<strong>und</strong>ert es auch kaum, daß vom Gutachten des Jahres I 682 "keineAuswirkung in der Weise ausgegangen ist, daß jetzt der Salzburger Rechtsfakultät.l-1 Otto SEGER, Der letzte Akt im Drama der Hexenprozesse in der Grafschaft Vaduz <strong>und</strong>der Herrschaft Schcllenbcrg, in: Hexenprozesse in Liechtenstein (wie Anm. 26),S.47-114, hier S . 64 u.67.35Ebenda, S. 61.36Otto SEGER. Rupert von Bodman, Fürstabt von Kernpten, in seinem Wirken für unserLand, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 1978,S. 183-20 I. hier S. 190.J? PUTZER, Das Salzburger Rechtsgutachten (wie Anm. 26), S. 24.JK Ebencla, S. 14 f.


Nutzung oder lnstrumentalisierung? 109ein besonderer Rang für Hexengutachten zuerkannt worden wäre", obwohl damiteine der größten <strong>Hexenverfolgung</strong>en ihrer Zeit im süddeutschen Raum beendetworden war. 39 Der Gegensatz zwischen inhaltlicher Bedeutungslosigkeit <strong>und</strong> folgenreicherAuswirkung könnte sich kaum ausgeprägter darstellen.In einer Studie über frühneuzeitliche Reichsexekutionen am Alpenrheinschrieb Bernd Marquardt zum eben dargelegten Sachverhalt: "Auf Bedenkenstößt die harsche Kritik T.-;chaikners am Salzburger Rechtsgutachten im Sinnevon ,Gefälligkeitsgutachten'. Selbst wenn eine klare Erwartungshaltung Wiensbestand <strong>und</strong> sich die Vaduzer Hexenprozesse nur wenig von anderen bislangpraktizierten lokalen Verfahren unterschieden, muß der Kern doch darin gesehenwerden, daß hier auf die Durchsetzung einer bereits seit eineinhalb Jahrh<strong>und</strong>ertenbestehenden Rechtslage gedrängt wurde. Das Gutachten fügte sich nahtlos in dieeindämmende Rechtsprechung der obersten Reichsgerichtsbarkeit ein. wie sie dieForschung für das Reichskammergericht zu Tage gefördert hat." 40 Dazu ist zunächstfestzuhalten, daß rechtmäßige Standpunkte auch in Gefälligkeitsgutachtenvertreten werden können. Bekanntlich sind nicht alle Mille!, die einer gerechtenSache dienen, selbst ebenfalls gerecht. Des Weiteren stellt sich die Frage. ob "derKern" der geschilderten Ereignisse wirklich darin gesehen werden muß, daß einebestimmte Rechtslage durchgesetzt wurde. oder ob es nicht mindestens ebensobedeutsam war. wie <strong>und</strong> unter welchen Umständen man die~es Ziel erreichte.Nicht einmal der Reichshofrat als eine der beiden obersten Rechtsinstanzendes Reichs verstand bestimmte Rechtsauffassungen als absolute Werte. Wie engRecht <strong>und</strong> M achtinteressen verknüpft waren, veranschaulicht die Tatsache, daßsich der Reichshofrat bei bestimmten Anlässen selbst nicht an das Reichsrechthielt. Während bei der B eurteilung der Vaduze.r Hexenprozesse in k leinl icherGenauigkeit auf die Befolgung der Reichsgesetze geachtet <strong>und</strong> alle anderenRechtsgepflogenheiten, die bei diesen Verfahren seit langem weit verbreitet waren,nicht anerkannt wurden, berief sich der Reichshofrat in anderen Fragen, woes ihm zum Vorteil gelangte, auf das alte Herkommen. selbst wenn es im Gegen!.atzzu den Reichsgesetzen stand. 41 Zumindest ging er ... stets die Reichsgr<strong>und</strong>gesetzeim kaiserlichen Sinne interpretierend, vielleicht auch umbiegend'·,vor. 4 ' ln einzelnen Fällen wurden von ihm sogar Bestechungen von Richternnicht nur stillschweigend geduldet. sondern sogar bewußt nicht aufgedeckt oder19Später folgten nur noch zwei ähnliche Aufträge. Laut Pcter Putzer stellte übrigens auchdas weitere von Dr. Moser .,hinterlassene Schrifttum 1 ... 1 keine Literatur von hohemWert <strong>und</strong> Rang dar ..: PUI/.ER. Da~ Salzburger Rechtsgutachten (wie Anm. 26).S. 30-34 u. 38 (Zitat)." MARQUARDT. Über jedem Fi.ir~ten (wie Anm. 29). S. 222.~• Volker PRESS. Der Reichshofrat im System des frühncutcitlichcn Reiches. in: Geschichteder Zentraljustiz in Miucleuropa. hg. v. Friedrich BATrENBERG u. FilippoRANIERI, Weimar I Köln I Wien I 994. S. 349- 363. hier S. 358.tz Ebcnda, S. 353-355 u. 360.


II 0MANFRED TsCHAIKNERvertuscht. 43 Als nicht nw· juridisches, sondern auch politisches Organ ließ sich derReichshofrat auf keine normierte Prozeßordnung festlegen. Er übernahm denReichskammergerichtsprozeß "nur soweit dies zweckmäßig" erschien <strong>und</strong>schränkte dabei "die Formalitäten des Prozesses stark ein" ..u Gerade ein solcherflexibler Umgang mit Prozeßformalitäten - ohne den übrigens wenige Hexenprozessemit Hinrichtungen geendet hätten - bildete jedoch den Hauptvorwurfgegenüber dem Vaduzer Gericht, mit dem die Aufhebung sämtlicher Urteile begründetwurde.Spricht man dabei von einem "Sieg des Rechts", bleiben die historischenZusammenhänge ausgeblendet. Allerdings kann umgekehrt auch nicht behauptetwerden, daß die Eindämmung der <strong>Hexenverfolgung</strong>en dem Reichshofrat keinAnliegen gewesen wäre, selbst wenn sie im Fall von Vaduz seinen politischenZielen stark entgegenkam. Die Hilfsgesuche aus der Grafschaft boten dem Kaiser- wie ähnliche Vorgänge in anderen kleineren Territorien - eine willkommeneMöglichkeit, seine Stellung über "eine Art Schutz- <strong>und</strong> Schiedsrichtetfunktion"auszubauen. 45Nach den Forschungen Marquardts stellte die "tatsächliche Zurverantwortungziehungdes regierenden Grafen" von Vaduz eine Neuerung dar, denn in seinemFall wurden "die Möglichkeiten des Reichsrechts L- .. ] im Unterschied zu früherenNichtigkeitsurteilen zu lokalen Strafprozessen vollumfänglich ausgeschöpft",<strong>und</strong> zwar nicht allein auf Gr<strong>und</strong> der bedeutenden Verstöße gegen dasVerfahrensrecht bei den Hexenprozessen oder der schwerwiegenden Verfassungs<strong>und</strong>Rechtsbrüche bei den Regierungsgeschäften. "Nicht minder entscheidendwaren r ... 1 Veränderungsmomente auf der Zentralebene des Reichs. Seit den1680er Jah ren läßt sich die Tendenz beobachten, daß die oberste Reichsgerichtsbarkeitverstärkt dazu überging, gegen ihre Herrscherpflichten nichternst nehmende lokale Regenten wegen ,Mißbrauchs der Herrschergewalt' vorzugehen<strong>und</strong> höchstrichterliche Urteile auf dem Wege der Reichsexekutiondurchzusetzen r .. -l-" 46 Im Sinne des erstarkenden Absolutismus wurden auch dieSchwierigkeiten bei den Vaduzer Hexenvetf'olgungen politisch genutzt, nicht aberinstrumentalisiert.Wie im Fall Liechtensteins läßt sich auch in den beiden anderen untersuchtenTerritorien bislang keine Instrumentalisierung von Hexenprozessen nachweisen.Auch im Rahmen des einleitend erwähnten Konflikts zwischen dem Grafen vonHohenems <strong>und</strong> dem Gericht Dornbirn um die L andeshoheit kam es übrigens zu43Wolfgang SELLERT, Richterbestechung am Reichskammergericht <strong>und</strong> am Reichshofrat.in: Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa (wie Anm. 41 ), S. 329-348. hierS.346.44Gerhard K öBLER, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997, S.487.45PRESS, Der Reichshofrat (wie Anm. 41), S. 357.46MARQUARDT, Über jedem Fürsten (wie Anm. 29). S. 223.


Nutzung oder Instrumental isierung?l llkeinen <strong>Hexenverfolgung</strong>en, denn die emsischen Kaufpläne scheiterten noch vordem Übergang der Gerichtsgewalt am Widerstand breiter Kreise der Bevölkerung.47Die befürchtete Instrumentalisierung von Prozessen stand aber ohnediesim Widerspruch zur Vorgangsweise der Grafen von Hohenems gegen vermeintlicheHexen in ihren Stammlanden. 4847Manfred TsCHAIKNER, Dornbirn in der Frühen Neuzeit. in: Stadtgeschichte Dornbirn,hg. v. Werner MAlT u. Hanno PLATZGUMMER. Bd. l. Oornbirn 2002, S. 73- 251. hierS. 190- 192.4 K TsCHAIKNER. Hohcnems (wie Anm. 14). passim.

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