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In einem Land vor unserer Zeit - Allianz

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MEINUNGEN<strong>Allianz</strong> Journal 3/2013BusseZUR PERSONDaniel Haun, Jahrgang 1977, gilt alsExperte auf dem Gebiet der vergleichendenkognitiven Anthropologie.Der promovierte Psychologe, der amMax-Planck-<strong>In</strong>stitut für evolutionäreAnthropologie in Leipzig tätig ist, istMitglied des Vereins »Orang-Utansin Not«. Die Organisation hat sichdem Schutz des Regenwaldes undder Orang-Utans verschrieben undversorgt seit 2007 das Orang UtanCare Center and Quarantine (OCCQ)in Pasir Panjang auf Borneo mit medizinischerund technischer Ausrüstung.Daneben unterstützt der VereinWiederaufforstungs- und Auswilderungsprogrammeund fördertUmwelterziehungsprojekte <strong>vor</strong> Ort.Herr Haun, warum studiert man dasVerhalten von Orang-Utans?Das Studium von biologisch nah verwandtenArten kann Aufschluss darüber geben, wiewir wurden, was wir sind. Von allen Menschen -affenarten – Schimpansen, Gorillas, Bonobosund Orang-Utans – sind Orang-Utans evolutionäram weitesten vom Menschen entfernt.Wenn es zwischen ihnen und uns Gemeinsamkeitengibt, liegen die evolutionärenWurzeln dafür vergleichsweise lange zurück.Über die heute noch erkennbaren Übereinstimmungenversuchen wir zu verstehen,wie sich unsere Vorfahren verhalten haben.Solche Schlüsse wären aus der Beobachtungdes Menschen allein nicht möglich. Erst derVergleich erlaubt einen Blick auf die Wurzelnmenschlichen Zusammenlebens und kannErklärungen für die Entwicklung der menschlichenKultur liefern.Eine Kultur, die den Menschen zureinzigen Spezies gemacht hat, die ihreLebensgrundlagen und die andererArten systematisch zerstört. Wie langegeben Sie den Orang-Utans auf Borneound Sumatra noch?Also, Orang-Utans werden wohl nichtaussterben, aber wenn die einzigen lebendenExemplare irgendwann nur noch inZoos zu besichtigen sind, verlieren wir dasVerständnis der Art in ihrer natürlichenUmgebung. Doch nur dort ist sie vollständigzu begreifen.Der Lebensraum des Orang-Utans gehtStück für Stück an die Palmölindustrieverloren. Hat der Regenwald noch eineChance?Die <strong>Zeit</strong>, um das Ruder herumzureißen, istknapp geworden. Das heißt nicht, dass esnicht möglich wäre. Aber nach den Erfahrungen,die ich <strong>vor</strong> Ort gemacht habe, scheintmir die <strong>In</strong>tervention, die zur Rettung derWälder und des Orang-Utan nötig wäre, sehrunwahrscheinlich. Ich lasse mich gern einesBesseren belehren, aber wenn der Raubbauso weitergeht, wie derzeit, dann lautet meineAntwort auf Ihre Frage: mit Sicherheit nein.Der Westen beklagt das Verschwindender Regenwälder, gleichzeitig ist er einerder größten Abnehmer von Palmöl.Schizophren?Palmöl ist vergleichsweise billig. Wo früher RapsundSonnenblumenöl verwendet wurde,greift die <strong>In</strong>dustrie heute <strong>vor</strong>zugsweise aufPalmöl zurück. Die meisten Menschen sindsich gar nicht bewusst, in welchen ProduktenPalmöl überall drin ist: in Hautcremes, Seife,Sonnenmilch und Duschgels, in Shampoos,Waschmitteln, Schmierstoffen, Kerzen undFarben. <strong>In</strong> Margarine, Schokolade, Kuchen,Keksen, Chips, Brotteig, Suppen, Saucen,Pommes Frites. Und natürlich in Biosprit – dieSpitze der Absurdität: Wir bleiben mobil unddas mit gutem Gewissen, doch dem fallen amanderen Ende der Welt die Regenwälder zumOpfer. Und in der Folge die Orang-Utans. DasProblem ist, dass dieser Zusammenhang imBewusstsein der Menschen nicht ankommt.Wenn ein Schaden weit weg von <strong>einem</strong> eintritt,ist es immer schwierig, eine Verhaltensänderungzu bewirken.Das scheint auch auf der Ebene vonStaaten und Nationen der Fall zu sein:Wo der eigene Vorteil winkt, werdendie negativen Folgen für andere ausgeblendet.Dabei haben die Verhaltenswissenschaftenin den letzten Jahren zahlreiche Belege dafürgefunden, dass Menschen eine grundlegendeTendenz zur Zusammenarbeit haben. Diezeigt sich bereits in der frühesten Kindheit,ist also nicht kulturell geformt. Ein ähnlichesVerhalten hat man auch bei den Menschenaffennachgewiesen – sowohl die Fähigkeit,als auch die Bereitschaft zur Kooperation.Beides ist evolutionär im Menschen verankert.Auf internationalem Parkett scheint dieevolutionäre Prägung allerdings häufigüberlagert zu werden.WWW.ORANG-UTANS-IN-NOT.ORGDie Frage ist warum, und wie man dasändern kann. Wie könnte man den Kontext,in dem internationale Zusammenarbeitstattfindet, so strukturieren, dass die natürlich<strong>vor</strong>handenen kooperativen Tendenzenverstärkt werden? Bisher ging man ja immerdavon aus, dass der Mensch hauptsächlichan sich selbst oder dem eigenen engerenVerband interessiert ist.Aus gutem Grund.Sicher, aber man sollte im Lichte der jüngerenForschung auch akzeptieren, dass es da diesekooperative Seite gibt, die genauso tief inder menschlichen Natur verankert ist wie dieselbstbezogene. Darauf kann man aufbauenund Situationen, in denen Kooperation stattfindet,so gestalten, dass diese Seite stärkerzum Tragen kommt.Können Sie das mal an <strong>einem</strong> Beispieldeutlich machen?Nehmen wir mal die Flut vom Sommer. Dahat man sehen können, wie wildfremdeLeute anderen zu Hilfe kamen. Die mithalfen,Deiche zu sichern und überschwemmteHäuser zu entrümpeln. Selbst solche, dievon der Flut selbst gar nicht betroffen waren.Könnte man diese Wir-Identität nicht auchauf höherer Ebene schaffen, auf der Ebenevon Staaten und Nationen, auf der sie bisherkaum existiert?Wenn man die Klimaverhandlungenals Beispiel nimmt, lautet die Antwortwohl nein.Dabei wäre der Klimaschutz im <strong>In</strong>teressealler Beteiligten. So eine Kooperationssituationmüsste eigentlich besonders gutfunktionieren. Das Problem ist, dass diepotenzielle Gefährdung weit in der Zukunftliegt und ihre Größenordnung noch relativvage ist. Es fehlt die unmittelbare Bedrohung.Die Psychologen nennen das Delay of Gratification:die Belohnung, hier das Abwendendrohenden Unheils, würde sich erst weit inder Zukunft zeigen, während das Ignorierender Gefahr gewährleistet, dass man seinenaktuellen Lebensstil in der Gegenwart ohneEinschränkungen beibehalten kann.Da dürften dann auch die <strong>In</strong>donesierwenig Grund sehen, ihren Regenwaldstehen zu lassen.Natürlich. Hier im Westen lässt sich leichtfordern, den Wald nicht anzutasten. Für dieMenschen <strong>vor</strong> Ort aber geht es oft um dieExistenz. Wenn es die ÖlpalmenplantagenDaniel Haun mit <strong>einem</strong> seiner Untersuchungsobjekte im Leipziger Zoonicht gäbe, hätten sie kein Einkommen. Undwir sollten uns auch daran erinnern, dass wirin Europa in der Vergangenheit alle großenSäugetierarten ziemlich gründlich ausgerottethaben. Hätte der Orang-Utan in unserenBreiten seinen Lebensraum, gäbe es ihnwahrscheinlich längst nicht mehr. Das sollnicht heißen, dass wir uns nun zurücklehnensollen und zusehen, wie in anderen Teilen derWelt die Fehler der Vergangenheit wiederholtwerden. Aber wir sollten schon mit einergewissen Bescheidenheit auftreten, wennwir den Menschen auf Borneo erklären, wiewichtig die Regenwälder für die Menschheitinsgesamt sind. Und wir müssen Alternativenaufzeigen, die ihnen ein Leben in Würdeermöglichen.89

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