13.07.2015 Aufrufe

In einem Land vor unserer Zeit - Allianz

In einem Land vor unserer Zeit - Allianz

In einem Land vor unserer Zeit - Allianz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DEUTSCH-LAND<strong>Allianz</strong> Journal 3/2013ADAC <strong>In</strong>fogrammZehn Tage nach dem Unfall registrierteder GPS-Sender keine Bewegung mehr.Mit gebrochener Hüfte hatte er sich nochknapp zwei Wochen durch das Unterholzgeschleppt. Schließlich erlag der Rothirschseinen inneren Verletzungen. Unfallortund -zeit konnten anschließend zwar mitHilfe des Senders ermittelt werden, dochvon dem Unfallwagen keine Spur. Dabeimusste auch am Fahrzeug erheblicher Schadenentstanden sein. Laut Berechnungendes ADAC entspricht die Wucht, mit der einRothirsch bei Tempo 60 frontal mit <strong>einem</strong>Auto kollidiert dem Aufprallgewicht einesausgewachsenen Elefanten: fünf Tonnen.Karambolage mit der NaturWildunfälle wie dieser im Südschwarzwaldpassieren in Deutschland hundertfach imJahr – mit kleineren Tieren, wie Rehen oderWildschweinen, sogar tausendfach. Bundesweitkracht es alle drei Minuten zwischenMensch und Tier. Gefährlich wird es <strong>vor</strong> allemin der Dämmerung und nachts. Im Jagdjahrvon April 2011 bis März 2012 hat der DeutscheJagdschutzverband über 194 000 Wildunfälleregistriert. Für die Autofahrer enden diemeisten Kollisionen mit Tieren glimpflich undes bleibt bei Blechschäden. Laut einer Studiedes ADAC verunglückten 2011 rund 2700Personen bei Wildunfällen, 20 kamen dabeiums Leben. Die Sachschäden summieren sichjährlich auf rund eine halbe Milliarde Euro.Seit Jahren suchen Forschungsinstitute,Versicherer und Behörden einen Weg, umdie Massenkarambolage mit der Natur zustoppen. Hunderttausende Straßenkilometerverlaufen allein in Deutschland durch dieReviere vieler Tierarten. Duftbarrieren undReflektoren sollen das Wild davon abhalten,die Straße zu queren. Hecken und Sträucheram Straßenrand werden zurückgeschnitten,damit die Tiere leichter zu erkennen sind.Die auf diese Weise gewonnenen Meter anSicht geben dem der Fahrer ein paar Sekundenmehr Reaktionszeit. Doch keine derMaßnahmen hat bisher zu <strong>einem</strong> deutlichenRückgang der Unfallzahlen geführt.»Weil sich bei allen Untersuchungen bishernur auf Vorher-Nachher-Vergleiche konzentriertwurde«, erklärt Falko Brieger von derForstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt(FVA) in Baden-Württemberg. Der34 Jahre alte Diplom-Forstwirt untersuchtseit dreieinhalb Jahren die Effektivität vonWildunfallpräventionsmaßnahmen. Undzum ersten Mal steht das Verhalten der Tiereim Fokus. »Ziel ist es, die Wirksamkeit vonWildwarnreflektoren anhand von Verhaltensänderungengrößerer Säugetiere festzustellen«,erklärt Brieger das auf fünf Jahreangelegte Forschungsprojekt. Als Probandendienen ihm und s<strong>einem</strong> Team Rehe. Vonallen Tierarten sind sie am häufigstenin Unfälle verwickelt.Mit Hilfe von GPS-Halsbändern, die den Tierenangelegt werden, erforscht der Forstwirtden Tagesablauf des Rehwilds. »Mit dieserMethode haben wir herausgefunden, dassRehe bis zu 40 Kilometer in wenigen Tagenwandern können. Außerdem lässt sich sehrgenau bestimmen, wie häufig sie bestimmteStraßen überqueren«, sagt Brieger. Schließlicherhofft sich der FVA-Experte auch Daten,die erkennen lassen, ob und wie Rehe aufReflektoren reagieren. Die Maßnahme wirdam häufigsten an Deutschlands Straßenränderneingesetzt – und am meisten diskutiert.Reflektoren an den Leitpfosten werfendas Scheinwerferlicht der Autos in den Wald.Das Licht soll die Tiere vom Sprung auf dieStraße abhalten.Johann Gwehenberger vom <strong>Allianz</strong> Zentrumfür Technik (AZT) ist skeptisch. Vor Jahrenhat er eine Studie des Gesamtverbandesder Deutschen Versicherungswirtschaftzum Thema Prävention von Wildunfällenbegleitet. Das Ergebnis war ernüchternd.Auch Reflektoren konnten die Erwartungennicht erfüllen. Gwehenbergers Hoffnungenkonzentrieren sich deshalb <strong>vor</strong>läufig auf dieTechnik in den Fahrzeugen. Derzeit erarbeitetdas AZT Standards für <strong>vor</strong>ausschauendeFrontschutzsysteme.Sensoren und Kameras sollen in naherZukunft Fahrern helfen, Fußgängerunfällezu vermeiden oder abzumildern. Wenn einFußgänger zum Beispiel unerwartet dieStraße quert, leitet das System automatischeine Notbremsung ein. Ähnlich könnten dieSysteme auch auf Tiere reagieren. Sekundenentscheiden darüber, ob es zum Crashkommt. Das menschliche Reaktionsvermögenreicht dafür aber in den meisten Fällennicht aus. <strong>In</strong> Zukunft übernimmt das Fahrzeugselbst. »Damit diese Technik auch lernt,Wildunfälle zu verhindern, geben wirunfallrelevante <strong>In</strong>formationen andie Automobilhersteller weiter«,sagt Gwehenberger. WeitereFahrerassistenzsysteme inProbe seien zum BeispielNachtsichtsysteme,die dem Fahrerschon früh dieNähe einesTieres anzeigenkönnten.Trotzdem, so glaubt Gwehenberger, Technikallein wird Wildunfälle auch in Zukunftnicht ganz verhindern können. Deshalbplant der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft,ein neues Forschungsprojektaufzusetzen. Untersucht werdensoll, ob es nicht doch auch infrastrukturelleMaßnahmen gibt, die Tiere und Fahrerbesser schützen. »Ich denke dabei nichtan durchgehende Zäune. Die würden dasWild massiv einschränken. Ich denke anGrünbrücken, wie sie zum Beispiel auf derAutobahn von Wien in Richtung Ungarnhäufig <strong>vor</strong>kommen«, sagt Gwehenberger.Mit den so genannten Tierquerungshilfenkönnte sich auch Diplom-Biologe MartinStrein anfreunden, sofern die Bauwerke<strong>einem</strong> breiten Artenspektrum nützen.ShutterstockStrein arbeitet genau wie seinKollege Brieger bei der FVA.»Es ist nicht sinnvoll, pauschalalle fünf Kilometer eine Brückezu bauen. Sie müssen dortentstehen, wo bedeutendeökologische Funktionsbeziehungenzwischen beidenStraßenseiten bestehen.«Wildunfälle sind für Strein eingesamtökologisches Problem.Pflanzensamen und kleinereTiere bis Eidechsengröße nutzenbeispielsweise die größerenTiere zum Transport. So werdenReh und Hirsch zum Taxi.Der Vektortransport, so der Fachbegriffdafür, ist wichtig für die Biodiversität einerganzen Region. Strein ärgert sich, dass beiWildunfällen oft nur der entstandeneSchaden im Vordergrund steht. »Wirsollten uns auch fragen, wie wir mitden Geschöpfen umgehen, die unsumgeben.« Bei Unfällen mitWildtieren gehe es schließlichauch um einen tierethischenAspekt. Für die Zukunft wünschtsich Strein eine engere Zusammenarbeitmit Versicherern und Automobilclubs,die letztlich in die Umsetzung konkreterMaßnahmen münden soll.Warnsignal für FahrerDass sich Naturwissenschaft und Technik gutergänzen, zeigt ein Projekt des Road EcologyCenter am John Muir-<strong>In</strong>stitut für Umweltforschungder University of California. ImSommer 2002 wurde am Highway durchden Kootenay National Park in Kanada einkameragestütztes Warnsystem (WildlifeProtection System) installiert. Die im Abstandvon zwei Kilometern aufgestellten <strong>In</strong>frarotkamerasentlang der Teststrecke zeichnetennicht nur rund um die Uhr das VerhaltenAufprallgewicht von Wildtieren: Die Wucht, mitder ein Rothirsch bei Tempo 60 in die Frontpartieeines Autos einschlägt, entspricht dem Gewicht einesausgewachsenen Elefanten: fünf Tonnender Tiere auf. Sobald sich ein Tier der Straßenäherte, lösten sie auch ein Lichtsignal aus,das die Autofahrer <strong>vor</strong> der Gefahrenstellewarnte. Im Gegensatz zu Grünbrücken ließesich dieses System schnell auf- und abbauen.Jahreszeitliche Brennpunkte könnten so besserabgedeckt werden, ohne die Bewegungsfreiheitder Tiere einzuschränken.Doch die wichtigste Erkenntnis des Testswar vielleicht folgende: Die Autofahrerreagierten viel <strong>vor</strong>sichtiger als sonst, weil siewussten, dass das Lichtsignal nur dann warnt,wenn sich auch wirklich Tiere am Straßenrandbefinden. Ein Straßenschild dagegenwird oftmals ignoriert, die Geschwindigkeitbeibehalten.Von 2006 bis 2008 hat die FVA ein ähnlicheselektronisches Wildwarnsystem in Baden-Württemberg betreut. Auch hier fiel dasFazit positiv aus: Im <strong>Zeit</strong>raum des Testlaufskonnten die Wildunfallzahlen im Durchschnittum 75% reduziert werden.HTTPS://AZT.ALLIANZ.DE2425

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!