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In einem Land vor unserer Zeit - Allianz

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Global<strong>Allianz</strong> Journal 3/2013Angriff aus dem AllAls die Erde <strong>vor</strong> gut 150 Jahren von <strong>einem</strong> solaren Hurrikan getroffen wurde,war das eher ein Kuriosum, das für Polarlichter bis hinunter nach Sizilien undKuba sorgte und ein paar Telegrafenstationen in Brand setzte. Heute könntesolch ein Sonnensturm die Welt ins Wanken bringen. Experten warnen <strong>vor</strong>unabsehbaren Konsequenzen.FRANK STERNMichael Bruch ist ein besonnener Mann, der eher nicht zu Übertreibungenneigt. Doch wenn die Sprache auf solare Plasmawolkenkommt, scheut der Leiter des Bereichs Forschung undEntwicklung im <strong>In</strong>genieurnetzwerk von <strong>Allianz</strong> Global Corporate& Specialty (AGCS) auch <strong>vor</strong> düsteren Bildern nicht zurück. »Einsolarer Sturm, wie er die Erde 1859 getroffen hat, hätte heutedramatische Folgen«, sagt Bruch. »Doch das Problem wird weitgehendignoriert – <strong>vor</strong> allem in Kontinentaleuropa.«Dabei hat sich die Menschheit mit jedem technischen Fortschrittin den letzten hundert Jahren immer anfälliger für die extraterrestrischenAttacken gemacht. Die Energieversorgung, dasRückgrat der heutigen <strong>In</strong>dustrie- und <strong>In</strong>formationsgesellschaft ist,wenn man so will, zugleich ihre Achillesferse. Ein Sonnensturm,der ausgelöst durch Plasma- und Strahleneruptionen auf demZentralgestirn die Erde ins Visier nähme, könnte die Stromversorgungweiter Regionen für Wochen und Monate zusammenbrechenlassen. Durch die heutige Vernetzung der <strong>In</strong>frastrukturenganzer Länder würden sich die Auswirkungen potenzieren.»Ein Dominoeffekt«, so Bruch.Käme es heute zu <strong>einem</strong> koronaren Massenauswurf wie 1859,dem stärksten Sonnensturm, der je registriert wurde, die Folgen,insbesondere in städtischen Ballungszentren, wären unabsehbar.»Theoretisch tritt ein solches Ereignis nur alle 500 Jahre auf«,sagt Risikofachmann Bruch. »Das heißt allerdings nicht, dass biszum nächsten Mal noch 350 Jahre <strong>Zeit</strong> bleibt. Auch von den sogenannten Jahrhundertfluten hat es in den vergangenen Jahrzehntenschon etliche gegeben.«Selbst weit weniger intensiver Solarbeschuss kann auf der Erdefür Chaos sorgen. So wie im März 1989, als ein Sonnensturm inKanada derart heftige geomagnetische Schwankungen in denÜberlandleitungen auslöste, dass das Stromnetz in der ProvinzQuebec innerhalb von nur 92 Sekunden zusammenbrach underst nach neun Stunden wieder hergestellt werden konnte. ZweiHochspannungstransformatoren, Millionen Dollar teure Anlagen,deren Bau gut ein Jahr dauert, wurden schwer beschädigt. SechsMillionen Menschen waren von dem Blackout betroffen – unddas bei Temperaturen von bis zu minus 15 Grad. Auch der FernmeldesatellitGalaxy IV fiel aus, und IBM meldete bei der Produktionvon Mikrochips eine dreifach erhöhte Fehlerquote.Die Solareruption, die die Erde 1921 traf, war zehn mal stärker alsdie von 1989, doch damals lag das Satelliten- und Elektronikzeitalternoch in weiter Ferne: Außer dass große Teile des amerikanischenTelegrafennetzes zusammenbrachen, sind von damals keinegrößeren Schäden überliefert. Die NASA hat einmal untersuchenlassen, was ein Ereignis wie 1921 – statistisch gesehen tritt es alle50 Jahre auf – heute in den USA anrichten würde. Das Ergebnis hatnicht nur Wissenschaftler aufgeschreckt.Dass Sonnenstürme heute ein so großes Zerstörungspotenzialentfalten können, liegt <strong>vor</strong> allem daran, dass sich die moderneZivilisation im Laufe des letzten Jahrhundertszur Stromgesellschaft entwickelthat, die auf vielfältigen Ebenen undüber Kontinente hinweg miteinandervernetzt ist. Mit ihrer totalenAbhängigkeit von elektrischerEnergie hat sich die Menschheithochgradig angreifbar für diesolaren Plasmaströme gemacht.Vor allem auch deshalb, weil esbislang in weiten Bereichen versäumtwurde, die Stromnetzeals Lebensadern der modernenGesellschaft gegen die Gefahrenaus dem All abzuschirmen.Käme es heute zu <strong>einem</strong> solarenBeschuss wie 1921, könnte das in den USAlaut NASA-Studie zur Zerstörung von über300 Hochspannungstransformatoren führen.130 Millionen Menschen müssten für Monate ohneStrom auskommen – mit immensen sozialen und ökonomischenFolgen. Von <strong>einem</strong> Schlag wie 1859 würde sich das <strong>Land</strong>gar erst nach vier bis zehn Jahren erholen, heißt es weiter. Alleinfür die USA fielen im ersten Jahr nach einer solchen KatastropheKosten von ein bis zwei Billionen Dollar an.»Dort, wo Solarstürme in der Vergangenheit schon einmal Schädenverursacht haben wie in Nordamerika, sind Politik und Wirtschaftzumindest sensibilisiert«, sagt Bruch. »<strong>In</strong> Kontinentaleuropa dagegenwird die Gefahr weitgehend verdrängt. Dabei sind auch südlichergelegene Länder keineswegs sicher.« Auch John Kappenmann,Co-Autor der bereits zitierten NASA-Studie, warnt: »Die richtiggroßen Stürme werden auch Kontinentaleuropa bedrohen.«Was ein länger anhaltender Blackout für ein <strong>Land</strong> wie Deutschlandfür Folgen haben könnte, beschreibt eine Untersuchung desDeutschen Bundestages aus dem Jahr 2011: »Träte dieser Fall ein,kämen die dadurch ausgelösten Folgen einer nationalen Katastrophegleich. Diese wäre selbst durch eine Mobilisierung allerinternen und externen Kräfte und Ressourcen nicht beherrschbar,allenfalls zu mildern.« Sämtliche kritischen <strong>In</strong>frastrukturenwären betroffen – Kommunikation, Transport, Heizung, Telefon,<strong>In</strong>dustrie, Krankenhäuser, Nahrungsmittelversorgung, Müllbeseitigung,Banken, alles bräche nach und nach zusammen.Selbst Katastrophenschutz, Feuerwehr und Technisches Hilfswerkfielen als letzte Bastionen aus. »Manche <strong>In</strong>dividuen und Gruppenfallen hinter die etablierten Normen des gesellschaftlichenZusammenlebens zurück«, umschreibt der Bundestags-Reportweitere mögliche Auswirkungen. »Sie werden rücksichtsloser,aggressiver und gewaltbereiter.« Gut, wer dann daheim eine gutbestückte Vorratskammer hat und sich nicht marodierend aufNahrungssuche machen muss. Doch wer legt sich heute schonnoch ein Lebensmittellager an?Im Juli trafen auf Einladung der Geneva Association im <strong>Allianz</strong>Forum in Berlin 40 Experten, darunter Astrophysiker, <strong>In</strong>genieure,Vertreter von Stromversorgern, Zivilschutz und Versicherungen,zusammen, um über die Auswirkungen von Solarstürmen unddie Risiken für moderne Stromnetze zu diskutieren. Für TeilnehmerMarkus Aichinger vom Bereich Global P&C (Schaden- undUnfallversicherung) der <strong>Allianz</strong> zeigten sich dabei durchausTrends, die hoffen lassen.»Wir sind Sonnenstürmen nicht hilflos ausgeliefert«, sagt derstudierte Meteorologe. »Auf der Tagung haben <strong>In</strong>genieureneuartige Transformatoren <strong>vor</strong>gestellt, die weit weniger anfälliggegen geomagnetisch induzierte Überlastströme sind als dieVorgängermodelle. Die könnten sogar <strong>einem</strong> schweren Solarsturmstandhalten.« Allerdings kosten die bis zu 400 Tonnenschweren Anlagen Millionen und sind noch nicht flächendeckendim Einsatz. So was hat man nicht schnell auf Lager,wenn plötzlich im <strong>Land</strong> die Transformatoren ausfallen.Ein interessantes Phänomen, das <strong>vor</strong> zehn Jahren in Skandinavienauftrat, könnte allerdings den Schlüssel für die Lösungdes Problems bereithalten: Damals blieb das finnische Netzwährend eines Sonnensturms stabil, während es beim Nachbarnin Schweden zusammenbrach – und das trotz ähnlicher geographischerLage, Bodenbeschaffenheit, Länge der Überlandleitungenund Stromlasten.Die Experten zogen daraus den Schluss, dass die unterschiedlichenSchutz<strong>vor</strong>kehrungen an den finnischen und schwedischenTransformatoren den Ausschlag gegeben haben müssen. DieErdungskabel der Finnen verfügten zum Beispiel über eingebauteVorschaltwiderstände, die die Gefahr induzierter Überlastströmereduzierten. Zudem zeigte sich, dass Transformatoren am Randvon Stromnetzen anfälliger sind als solche, die im Zentrum platziertsind. Allerdings sind das bislang nur Hypothesen, bewiesen istdas alles nicht. »Da ist noch mehr Forschung nötig«, sagt Aichinger.»Wir wollen <strong>vor</strong> allem die Stromproduzenten und Netzbetreiberauf das Thema aufmerksam machen«, sagt Michael Bruch.»Die technischen Möglichkeiten, Leitungsnetze gegen geomagnetischinduzierte Überlastströme abzuschirmen, gibt esdurchaus. Nur werden sie bislang kaum genutzt.«Shutterstock1011

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