wennmenschennur menschen sindZUR INSZENIERUNGSeit fast 230 Jahren lieben und trennensich Ferdinand und Luise auf der Bühne.„Ein unvergleichliches Stück“, schriebBrecht, in dem „über dem Liebestod mitLimonade die bezwungenen Teufel denzerfleischten Engeln Beifall klatschen.“In der ersten Annäherung an diesen„Schiller´schen Wust“, wie dessen ZeitgenosseKarl Philipp Moritz einst seinemMissfallen Luft machte, drängt sich zunächstdie Frage nach der Aktualität oderÜbertragbarkeit der Konflikte auf. Standesunterschiede,politische Zwangsehen,erpresste Liebesbriefe – wo gibt es das,heute, im <strong>Karlsruhe</strong> des Jahres 2013?Kann man Kabale und Liebe noch spielen,ohne dabei nur ein „historisches Problem“zu behandeln? Das Stück vereint eine Reiheuns bekannter Genres in sich: Das Familiendrama,den Polit-Krimi, den großenLiebesfilm und sogar den Psychothriller.Es behandelt Themen wie Machterwerbdurch Machtmissbrauch, Erpressung,Manipulation und erweiterter Selbstmord.Und es steht mit seinem Liebesdiskursquasi stellvertretend für unsere Vorstellungvon der großen, romantischen Liebe.In den kulturellen Codes von Kabale kennenwir uns also aus. Die Gesellschaft, diedarin gezeigt wird, scheint uns dagegenvollkommen fremd.Aber finden wir nicht den „Ständekonflikt“heute in einem System subtiler, aberdennoch vorhandener gesellschaftlicherGrenzziehungen wieder, die ein- undausschließen, Beziehungen ermöglichenoder verhindern und uns im Weg stehen?Insbesondere bei der Partnerwahl sind die„Standesgrenzen“ durch eine Vielzahl vonKategorien wie Bildung, Herkunft, wirtschaftlichePotenz, Status und natürlichAussehen abgelöst worden. Diese Kategoriensind nicht nur ausschlaggebend dafür,welchen Menschen uns als potentiellePartner begegnen, sondern auch dafür, obwir uns verlieben – und wie lange diese26
Beziehungen andauern. Zwar erscheinenuns diese Grenzen nicht mehr als Zwangvon außen, sondern als größere Freiheit anAuswahl und Entscheidungsmöglichkeiten,dennoch grenzen sie uns ein, sorgen dafür,dass wir nicht unter unserem Bildungsniveauheiraten, dass wir innerhalb unseresMilieus bleiben, dass wir nicht gegenden herrschenden Geschlechterdiskursverstoßen etc.Der Soziologin Eva Illouz zufolge ist dieromantische Liebe heute den Regeln desKapitalismus unterworfen und unsere alsindividuell wahrgenommene Partnerwahlist in Wahrheit von den „gesellschaftlichenVerhältnissen geformt“, wie Illouz inihrem Buch Warum Liebe weh tut formuliert.„Die Güter und Werte des Warentauschskönnen die Liebesbeziehungenje nach Kontext stärken oder untergraben“,schreibt Illouz in Der Konsum derRomantik. So kann sich eine Mittel- undobere Mittelschicht am ehesten eine„romantische Utopie“ erfüllen, die mitAutonomie, Gleichheit und Toleranz einhergeht.Zugleich leidet diese Schicht ander Entzauberung der Liebe durch derenKonsumcharakter und ihre Darstellung inden Massenmedien. Sie nimmt romantischeLiebesrituale als „leere Hülse“ oderKlischee und nicht als „authentisch“ wahr.Die Brücke zu schlagen zwischen diesemmodernen, komplexen Liebesempfindenund einem klassischen Text ist das Anliegender Inszenierung von Simone Blattner.Alle Figuren des Stücks sind Teil desSystems, welches die Liebe von Ferdinandund Luise zerstört – inklusive der beidenLiebenden selbst. Ob sie in der Enge eineskleinbürgerlichen Heims einander auf denFüßen stehen, ob sie vor lauter Anpassungmit dem Hintergrund verschmelzen, ob sietrotz aller Zeichen der Zeit krampfhaft aufdem Laufenden bleiben müssen, ob siealles offenbaren und dennoch abgewiesenwerden oder ob sie erleben, was für einZwang die eigene Macht sein kann. DieStruktur, in der diese Figuren zappeln,kämpfen, mit sich und den Übrigen ringen,wird im Bühnenbild von Alain Rappaportals riesige Vergrößerung des kleinenMiller-Hauses angedeutet. Es gibt keinEntkommen aus einem System, in demselbst über dem mächtigsten Mann immereine noch größere Macht steht. Heuteist dies nicht mehr ein Herzog, sonderndas System, in welchem wir uns selbsteingesperrt haben und täglich aufs Neueeinschließen.Die Inszenierung nimmt alle Figuren inihren Handlungsmotiven, als Liebende undKämpfende ernst. Selbst der Präsident istein liebender Vater, auch wenn sich seineLiebe in Druck und Bevormundung äußert.Simone Blattners Regie konzentriert sichauf die Durchdringung der Schiller´schenGedankenwelt und deren direkte und moderneVerkörperung, als Ausdruck modernenLebens- und Liebesgefühls.Das System, in dem junge Liebende sichheute verlieren können, ist zwar komplexergeworden – die Sehnsucht nach der Liebeals „letzter Zuflucht“ ist dafür aber umsodrängender. „In einer Zeit riesiger Unternehmenund transantionaler Kapitalströmeist das Privatleben eine der letzten Arenen,in der das Individuum ein gewissesMaß an Kontrolle und Autonomie erfahrenkann“, so Eva Illouz. Ferdinand brauchtdie Liebe zu Luise, um sich den „Landeswucher“seines Vaters zu „versüßen“.Der Präsidentensohn ist gänzlich in einekapitalistische Logik eingespannt – auspolitischen Gründen wird er in eine Heirat27