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Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe

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seiner Tochter nicht akzeptieren undsetzt sie mit seinem eigenen Leiden unterDruck. Der Sekretär Wurm schließlichzwingt Luise, die „gräßlichen Zeilen“ anden Hofmarschall zu schreiben, indem ersie manipuliert, ihr Informationen vorenthält,sie zappeln, bitten und immer wiederdasselbe fragen lässt. Auch er spielt seine„Rolle“ sehr gut. Und er „vergewaltigt“ Luise,wie einige Interpreten herausarbeiten,sprachlich, indem er die Liebes-Spracheselbst vergewaltigt: „Schreiben Sie.“Wenn es nach den jeweiligen Liebesromanenginge, die ausgelebt werden wollen,dann wären Lady Milford und Ferdinanddas perfekte Paar. Beide hegen sie denselbenWiderwillen gegen die höfische Weltund idealisieren die Liebe als einzige Möglichkeitauszubrechen. Das „Riesenwerk“der Liebe Ferdinands entspricht sprachlichdem „Werk meiner Liebe“ der Lady, diedamit ihre eigene heimliche Intrige meint,die ihre Verbindung mit Ferdinand erstzustande brachte. Auch bedrängt die LadyFerdinand sprachlich so vehement, dasssich die Rollen verkehren, bzw. Ferdinandsich einer Ebenbürtigen gegenüber sieht,die plötzlich „seinen“ Liebestext spricht.Auch dadurch kommt ihm die Lady sogefährlich nahe, dass er für einen Moment„seine Luise“ vergisst – weil er sich selbstvergisst.In der Begegnung zwischen Luise undder Lady dreht Luise den Spieß um – ihreSprache gegenüber der Lady erinnertan die Verhöre, die Suggestion oder dieGewaltandrohung der sie umstellendenMänner. Und obwohl auch die Lady sämtlicheihr zu Gebote stehenden sprachlichenGeschütze abfeuert, gewinnt Luise dieAuseinandersetzung, da sie in ihre eigenegewalttätige Rede zugleich ihre Opferrolleintegriert, ja, diese gegen die Ladyeinsetzt, indem sie ihr den Selbstmordankündigt.Die Figuren sind also nicht allein ihren„Verhältnissen“ unterworfen, gegendie sie berechtigter- und notwendigerweiserebellieren, sondern sind Opferihrer eigenen Vorstellungen, Opfer einerbestimmten „Lesart“ der Liebe, einerWunschvorstellung. Natürlich ist auchdiese gesellschaftlich vorgeprägt undkeine individuelle Erfindung der Figuren:Ferdinand muss ein Held sein – in derLiebe wie im Schlachtfeld. Luise muss einOpfer sein, in der Liebe wie in der Familie;Lady Milford muss ihre Tugend zurückgewinnen,indem sie ihre Empfindsamkeitzurückerobert. Die „Macht“, die dieseFiguren regiert, ist die der Texte, d.h. derKonzepte, Diskurse, die sie gefangen halten.Die Gewalt scheint nicht nur ein Mittelzu sein, den eigenen Text gegen die deranderen durchzusetzen, sondern auch einAusdruck des unbewußten Leidens unterdiesem Handlungskorsett, das zugleich dieGefühle vorschreibt und hervorbringt. DasStück erweist sich in seiner komplexendiskursiven und damit „gattungssprengendenStruktur“ eines Geflechts einanderangreifender und gegenseitig zerstörender„Texte“ als Vorausgriff der Moderne, wasseinen späten Erfolg im 20. Jahrhunderterklärt.16André Wagner, Thomas HalleFolgeseiten Agnes Mann, Thomas Halle

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