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Effektive Interessenvertretung - IG Metall Berlin

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Betriebs- undBranchenpolitikVorstand4Handlungshilfe für Betriebsräte und Vertrauensleute<strong>Effektive</strong><strong>Interessenvertretung</strong>


ImpressumProdukt-Nr. 1663 - 35849Herausgeber:<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, VorstandBetriebs- und BranchenpolitikAutor:Dr. Axel EsserRedaktion:Jochen Homburg, Jürgen Ratayczak, FB Betriebs- und BranchenpolitikAusgabe: Juli 2011Druckvorstufe: Mediakonzept Widdig GmbH, KölnDruck: Media-Print, Paderborn2


VorwortZu einer erfolgreichen <strong>Interessenvertretung</strong> gehören gewerkschaftlichorganisierte und selbstbewusst handelnde Belegschaften und qualifi zierte,gut informierte Funktionäre der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>.Arbeitsplätze sichern, soziale Arbeitsbedingungen schaffen und eigenebetriebspolitische Gestaltungsziele erarbeiten und durchsetzen – dassind Aufgaben, die Betriebsräte und Vertrauensleute der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> in ihrertäglichen Arbeit leisten müssen. Dabei ist es von großer Bedeutung dieBelegschaften, insbesondere die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>-Mitglieder, durch eine beteiligungsorientierteBetriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit in die Arbeit miteinzubeziehen.Die Anforderungen an die Betriebsratsarbeit in Betrieben und Verwalt ungensind erheblich gestiegen. Die Rahmenbedingungen und Entwicklungen inBetrieben, Unternehmen und Konzernen werden zunehmend komplexer,schnelllebiger und fi nanzmarktorientierter. Betriebsräte und Vertrauensleutebrauchen für ihre tägliche Arbeit ein solides Grundwissen über gesetzlicheBestimmungen und entsprechende Handlungsmöglichkeiten. Dafürsteht ein breitgefächertes Seminarangebot zur Verfügung. Informationendazu gibt es in den Verwaltungsstellen und in den Medien der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>(www.igmetall.de).Mit unserer Broschürenreihe wollen wir InteressenvertreterInnen Grundlagenvermitteln und Unterstützung und Handlungsorientierung für diebetriebliche Arbeit geben (siehe Liste und Bestellmöglichkeit am Ende derBroschüre).Sie ersetzen jedoch keinesfalls die für die Arbeit der Betriebsräte unverzichtbarenKommentare zum Betriebsverfassungsgesetz und zu denanderen Gesetzen. Wir empfehlen folgende Kommentare zum BetrVG:Kommentar für die Praxis – Däubler/Kittner/Klebe/WeddeHandkommentar – Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/LinsenmaierBasiskommentar – Klebe/Ratayczak/Heilmann/SpooKolleginnen und Kollegen, die sich tiefer in die Materie einarbeiten wollen,fi nden deshalb auch Hinweise auf weiterführende Literatur.Bitte beachtet auch die vom Funktionsbereich Betriebs- und Branchenpolitikherausgegebenen Rechtsprechungshinweise zum BetrVG, diefür Funktionäre der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> über das Extranet -> Praxis -> Recht ->Aktuelle Urteile abgerufen werden können.Frankfurt am Main, Juli 2011<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>– Vorstand –Detlef Wetzel3


InhaltVorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Literaturempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7I. Effektivität kannst Du nicht kaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9II. Was macht den Betriebsrat (un)effektiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11III. Effektiv – oder bloß effizient? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13IV. Die Grundlagen effektiver Betriebsratsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15V. Die eigenen Motive reflektieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191. Für wen und warum mache ich das alles?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192. Was tun, wenn ich nur aus Versehen Betriebsratsmitglied geworden bin? . . . . . . 203. Die eigenen Kompetenzen ins Spiel bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21VI. Aufgabenstellung und Macht des Betriebsrats reflektieren – nur wer eigeneZiele steckt, kann auch einen Effekt erzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221. Mal ganz ungestört über alles reden können – Die Klausurtagung . . . . . . . . . . . . 222. Der Arbeit des Betriebsrats eine eigene Überschrift geben . . . . . . . . . . . . . . . . . 223. Welche Interessen wollen/sollen/müssen wir vertreten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244. Worin besteht die eigene Stärke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255. Bestandsaufnahme - Chancen und Probleme des Unternehmens und derBeschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277. Betriebsratsarbeit braucht Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301. Gegenseitiger Respekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302. Die Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.1 Der Vorsitz im Betriebsrat und in den Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.2 Führung im Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.3 Warum Einzelkämpfer der gemeinsamen Sache eher schaden als nutzen . . . . . . 332.4 Casting für den Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342.5 Wie alte Hasen und junge Hüpfer gegenseitig profi tieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353. Den Ball zuspielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.1 Delegieren nicht mit Müllentsorgung verwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.2 Informationen – Bringschuld und Holschuld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.3 Das Bedürfnis nach Anerkennung in Balance bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394. Eine produktive Streitkultur entwickeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394.1 Wie Sie andere verstehen können, ohne unbedingt deren Meinung zu teilen . . . . 394


4.2 Was tun, wenn´s unfein wird? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404.3 Die Kunst der konstruktiven Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434.4 Konfl ikte - Wenn das Gremium nicht klarkommt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455. Aus schwierigen Zeitgenossen wertvolle Teammitglieder machen . . . . . . . . . . . . 475.1. Das Umgehen mit grauen Mäusen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485.2 Das Umgehen mit Maulhelden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495.3 Das Umgehen mit U-Booten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495.4 Das Umgehen mit Heckenschützen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505.5 Das Umgehen mit Berufspessimisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521. Kurz-, Mittel- und Langfristiges unter einen Hut bekommen. . . . . . . . . . . . . . . . . 522. Einen strategischen Vorlauf an Informationen erreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533. Bemühen Sie sich um eine Folgenabschätzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564. Warum Sie bei jeder Sachentscheidung auch die Beziehungen beachten sollten. 575. Entscheidungsprobleme überwinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585.1 Wenn Entscheidungen häufi g zu schnell getroffen werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . 585.2 Wenn Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung verhindern . . . . . . . . . . . . . 595.3 Wenn Entscheidungen unter großem Zeitdruck zustande kommen müssen . . . . 616. Entscheidungen umsetzen und Erfolgskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626.1 Wie Sie sich das peinliche Schweigen nach der Frage „Wer macht’s?“ ersparen . 626.2 Wo ist die Leine für den inneren Schweinehund?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsräten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661. Probleme sind Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672. Fangen Sie bei „Eins“ an – und dann immer mit der Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693. Die Diskussion dreht sich im Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724. Wie man Probleme beredet statt zerredet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734.1 Wenn alle reden wollen, aber keiner zuhört . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744.2 Drei feine Werkzeuge für die Diskussionsleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744.3. Damit jeder weiß, an welchem Punkt der Diskussion wir gerade sind. . . . . . . . . . 774.4. Weitere Diskussions-Werkzeuge – nicht nur für Vorsitzende. . . . . . . . . . . . . . . . . 795. Probleme sichtbar werden lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.1 Der Vorteil, wenn alle alles zugleich im Blick haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.2 Die Freude, wenn sich die Beiträge aller Beteiligten im Ergebnis wieder fi nden . . 815.3 Visualisierung: Strategische Sandkastenspiele an der Wandtafel . . . . . . . . . . . . . 82X. Die Hand am Puls der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841. Beziehungspfl ege ist mehr als Imagepfl ege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841.1 Wir sind für euch da – seid ihr auch für uns da? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841.2 Die Beschäftigten als Mitwirkende des Betriebsrats gewinnen . . . . . . . . . . . . . . . 851.3 Umgang mit Nörgelei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851.4 Das persönliche Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851.5 Erfreuliche Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862. Wenn unliebsame Entscheidungen anstehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863. Tue Gutes und rede darüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885


XI. Die Logik des Misslingens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901. Was gute von schlechten Problemlösern unterscheidet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902. Über den sinnvollen Umgang mit eigenen Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923. Ziehen Sie aus Fehlschlägen wichtige Erkenntnisse für die Arbeit . . . . . . . . . . . . 924. Lernen kann man überall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945. Erst aus Erfahrung wird man klug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94XII. Länger haltbar - Burnout vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961. Was Betriebsräte fertig macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962. Bevor Ihnen alles zuviel wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962.1 Aufgaben-vor-sich-Herschieben und Kopfl osigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972.2 Wenn Sie merken, dass Sie rettungslos verzettelt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 982.3 Entdecken Sie die Langsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 982.4 Lassen Sie den Stress nicht überhand nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99XIII. Gender Mainstreaming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100XIV. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026


LiteraturempfehlungenBöker u.a., Internet und Intranet für Betriebsräte – Planung, Entwicklung,Umsetzung, Frankfurt/Main, 2010Böttcher, Die Arbeit im Betriebsratsgremium – Handlungshilfe fürBetriebsräte zu § 26 ff. BetrVG; Frankfurt/Main, 2010Dörner, Die Logik des Misslingens, Strategisches Denken in komplexenSituationen; Reinbek 2003Esser, Konfl iktbewältigung; in: Gröschel (2006), S. 353-399Fricke/Grimberg/Wolter, Betriebsratsarbeit – aber mit System; Frankfurt/Main,2010Fricke/Grimberg/Wolter, Das Betriebsratsbüro: Ausstattung, Organisationund PC-Einsatz; Frankfurt/Main, 2010Fricke/Grimberg/Wolter, Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrats – attraktivund erfolgreich; Frankfurt/Main, 2010Gröschel (Hrsg.), Betriebsrat professionell – Methoden und Kompetenzenfür eine erfolgreiche <strong>Interessenvertretung</strong>, Bund-Verlag, Frankfurtam Main, 2006Gröschel/Esser; Zeitmanagement; in: Gröschel (2006), S. 71-104Hamm/Renker, Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats – Handlungshilfefür eine erfolgreiche <strong>Interessenvertretung</strong>, Frankfurt/Main,2007Hjort u.a., Leitfaden für den Wirtschaftsausschuss – Rechtliche undbetriebswirtschaftliche Grundlagen, Frankfurt/Main, 2010Linneweh/Heufelder/Flasnoecker, Balance statt Burnout: ErfolgreicherUmgang mit Stress und Belastungssituationen; München Wien, 2010Laßmann/Rupp, Handbuch Wirtschaftsausschuss; Frankfurt/Main,2011Nielbock/Gümbel, Gender Mainstreaming als Strategie; Arbeitsrechtim Betrieb 2006, S. 372-3757


Peter, Schulung und Bildung von Betriebsratsmitgliedern – Handlungshilfefür Betriebsräte zu § 37 Abs. 6, 7 BetrVG; Frankfurt/Main, 2011Roos, Rechte und Pfl ichten der Betriebsratsmitglieder / - Handlungshilfefür Betriebsräte, Frankfurt/Main, 2011Seiwert, Wenn Du es eilig hast, gehe langsam; Frankfurt/Main, 2000Wedde, Die Konstituierung des Betriebsrats – Handlungshilfe fürBetriebsräte nach erfolgter Betriebsratswahl; Frankfurt/Main, 20108


I. Effektivität kannst Du nicht kaufenWas können wir tun, damit die Arbeit unseres Betriebsratsgremiumseffektiver wird?Vermutlich suchen Sie konkrete Tipps und Anregungen, um daseine oder anderer besser zu machen. Ich denke, dass Sie in dieserBroschüre fündig werden können. Aber Effektivität wird nicht durchfortwährendes Sammeln von Tipps und Kniffen erreicht. Nicht alleinjedenfalls. Man braucht ein Gesamtkonzept. Darum soll es hier gehen.Welche Handlungen sind entscheidend für effektive oder uneffektiveBetriebsratsarbeit? Es liegt in der Art und Weise, wie Betriebsratsmitgliederihre Ziele entwickeln, wie sie zusammenarbeiten, Problemeangehen oder mit Meinungsverschiedenheiten umgehen. Stellt sichdie Frage: Wie organisiere ich gute Zusammenarbeit?Die Basis der Arbeit eines Betriebsrats bildet das Betriebsverfassungsgesetz.Ausreichende Kenntnisse der vielen Möglichkeiten, die diesesGesetz bietet, aber auch der rechtlichen Grenzen, stärken die Effektivitätdes Gremiums. Dazu muss aber der Wille kommen, diese rechtlichenMöglichkeiten auch auszuschöpfen. Doch woher nimmt maneinen solchen Willen? Denn darüber steht nichts im Gesetz.Jeder Betrieb ist verschieden. Jeder Betriebsrat hat andere Menschenin seinen Reihen. Die Schwierigkeiten ähneln sich, aber es sind nieganz dieselben. Insgeheim wünscht man sich, es gäbe Patentrezeptezur Lösung all dieser Probleme. Andererseits: Würde uns das Abarbeitenvon ausgeklügelten Checklisten (natürlich zertifi ziert!) wirklich frohmachen? Sozialplanverhandlung in 2 Stunden 45 Minuten. Wäre daseffektive Betriebsratsarbeit?Ein effektives Gremium macht nicht alles im Alleingang! Der Betriebsratdarf sich nicht als Stellvertretung der Belegschaft aufstellen, sondernmuss alles daransetzen, die Beschäftigten an den vielfältigen Aktivitätendes Betriebsrats direkt zu beteiligen. Intensive Informationspolitikin Richtung Belegschaft, transparentes Vorgehen des Betriebsrats inder Betriebsöffentlichkeit und aktivierende Beteiligung der Beschäftigtenam Betriebsratshandeln sind wichtige Grundlagen für wirksame(effektive) Interessenpolitik im Betrieb.Sie werden hier keine Handlungsanweisungen nach starrem Musterfi nden: Stattdessen können Sie irgendwo den Satz lesen: Betriebsratsarbeitmuss Freude machen, sonst wird sie nicht gut. Dieser Satz isteines der vielen Puzzleteile, die in dieser Broschüre zu fi nden sind. Inlockerer Reihenfolge geht es um das richtige Vorgehen bei der Arbeitdes Betriebsrats. Aber jeder weiß, dass der Teufel im Detail steckt.9


Deswegen ist ein Schwerpunkt der erfolgreiche Umgang mit Schwierigkeiten,die auftauchen, obwohl man alles richtig angefangen hat.Liebe Leserin und lieber Leser, in diesem Text wird (außer den Rechtsgrundlagen)alles angesprochen, was helfen kann, effektive <strong>Interessenvertretung</strong>zu entwickeln. Das Puzzle richtig zusammenlegen, damit esfür Ihr Gremium passt, müssen Sie allerdings selbst.Wie gesagt, Effektivität kann man nicht kaufen. Man kann sie lernen;bloß nicht auswendig. Allerdings, wenn man erst einmal ein Gespürdafür entwickelt hat, wie effektives Arbeiten funktioniert, geht es einemwie beim Fahrradfahren: Man verlernt es nie wieder.10


II. Was macht den Betriebsrat(un)effektiv?Was hindert einen engagierten Betriebsrat daran, effektive Arbeit zuleisten? Frage ich Betriebsratsmitglieder nach den Gründen, so fallenihnen viele Gründe ein: Arbeitsüberlastung, Zeitnot, mangelnde Übersichtüber die wirklich wichtigen Fragen sowie endlose Debatten überProbleme. Eigene Wissenslücken, verstärkt durch mangelnde undverspätete Informationen durch den Arbeitgeber. Andererseits wird diemangelnde Zusammenarbeit von verschiedenen Gremien und Ausschüssenbemängelt. Als weitere Gründe werden genannt: Mitgliederdes Gremiums, die nichts tun, die sich resigniert zurücklehnen odersolche, die immer alles besser wissen. Streit untereinander und Querelenmit solchen Personen, die aus Machtgelüsten oder Selbstüberschätzungalles alleine machen wollen. Als besonders quälend wirdempfunden, wenn der Betriebsrat immer nur auf die jeweils neuestenMaßnahmen des Arbeitgebers reagieren kann, anstatt selber zu agieren.Die Abbildung 1 zeigt die spontanen Antworten von Teilnehmerneines Seminars.Gründe fürgeringeEffektivitätEin negatives Warnsignal: Immer nur reagieren müssen, anstatt agierenzu können.Die oben genannten Gründe können einerseits Ursache für uneffektivesHandeln sein. Andererseits kann das nicht effektive Herangehendes Betriebsrats auch Erscheinungen wie Resignation, Streit oder Zeitmangelhervorbringen. Die bestehenden Probleme können also auchFolge uneffektiven Handelns sein. Möglicherweise bewegt sich dasGremium in einem Teufelskreis. Das Kurieren an einzelnen Symptomendürfte hier wenig helfen.Was fördert die Effektivität? Im positiven Sinne glauben Betriebsratsmitglieder,dass es der Effektivität sehr zugute kommt, wenn das Gremiumseine Zeit gut im Griff hat, wenn untereinander Einigkeit besteht,wenn Fachkompetenz vorhanden ist, wenn es gelungen ist, eigeneZiele zu formulieren und das Gremium anhand dieser eigenen Zielearbeitet. Das Gefühl von Effektivität kommt immer dann auf, wenn esdem Gremium gelungen ist, zu agieren, statt nur zu reagieren.Besonders positiv• informieren und handeln auf der Basis eigener Ziele• aktives Eingreifen• gutes Zeitmanagement• systematisches Bearbeiten der Probleme11


LangfristigeAnlagefür effektivesArbeitenBereits auf den ersten Blick wird deutlich: <strong>Effektive</strong> Betriebsratsarbeitist nicht das Resultat von gelungenen organisatorischen Einzellösungen,sondern das Ergebnis eines stimmigen Gesamtkonzepts bzw.von konsequentem strategischem Denken und Handeln. Ich glaube,dass dem Betriebsrat eine solche strategische Ausrichtung seinerArbeit umso besser gelingt, je stärker er seine Aufmerksamkeit auf dreizentrale Bereiche konzentriert: Erstens die Entwicklung eigener Zieleanhand eigener Werte, zweitens die aktive und systematische Einfl ussnahmeauf die sozialen Beziehungen im Unternehmen und drittens dassystematische Problemlösen. Auf dieser Grundlage können schließlichauch überraschende betriebliche Probleme effektiv bearbeitet und –soweit dies angesichts der realen Machtverhältnisse im Betrieb möglichist – positiv gelöst werden.Abbildung 1: Was macht den Betriebsrat uneffektiv?12


III. Effektiv – oder bloß effizient?Es gibt recht unterschiedliche Vorstellungen darüber, was denn eigentlichunter „effektiv“ zu verstehen ist. Deswegen scheint es mir sinnvoll,zunächst einmal über diesen Begriff nachzudenken.Für viele ist effektiv gleichbedeutend mit gut. Bei der Beurteilung, obein Vorhaben effektiv umgesetzt wurde, gehen die Meinungen auseinander.Für manche bedeutet effektiv, wenn besonders viel dabei herausgekommenist. Sie betonen also die Menge der bewältigten Aufgaben.Andere fi nden am wichtigsten, dass man zügig zum Ergebniskommt. Sie haben besonders den Zeitfaktor im Auge. Wieder anderefordern Klarheit über die Ziele und noch andere sehen als wichtigstenPunkt die Erfolge für die Belegschaft. Im Gespräch wird eingeräumt,dass „natürlich alles irgendwie wichtig“ sei. Eine gemeinsameDiskussion darüber, was jeder unter Effektivität versteht und wie dieBetriebsratsarbeit gemeinsam effektiv gestaltet werden könnte, kannnur nützen. Denn solange jeder insgeheim seiner privaten Anschauungvon „effektiv“ treu bleibt und dementsprechend handelt, werdenviele Unstimmigkeiten erzeugt. Ein Betriebsratsmitglied will, dassalles besonders gründlich gemacht werden muss (Fehlerlosigkeit), einanderes fordert kurze Sitzungen (Zügigkeit), das nächste fordert hartesVorgehen gegenüber der Geschäftsleitung (Durchsetzungsfähigkeit).Ohne Verständigung erlebt man sich gegenseitig als Hindernis für dieeffektive Arbeit des Betriebsrats.UnterschiedlichesBegriffsverständnisGemeinsameBegriffsbestimmungtut NotWeit verbreitet ist die folgende Ansicht: „Wir sind erst dann effektiv,wenn wir unsere Ziele ohne zeitliche Umschweife, mit geringstemAufwand und größtmöglichem Erfolg erreichen.“ Das klingt zunächstüberzeugend. Tatsächlich verursacht diese Vorstellung eine Behinderungeffektiver Arbeit. Misserfolge sind vorprogrammiert, weil das Maßder Dinge nicht die erfolgreiche Arbeit für die Kollegen und Kolleginnenist, sondern nur ein Erfolg-mit-möglichst-minimalem-Einsatz. Einsolches Konzept von Effektivität führt häufi g zu Hektik, Oberfl ächlichkeitund Effekthascherei. Tatsächliche Erfolge des Gremiums werdengering geschätzt, einfach deshalb, weil sie nicht mit minimalem ZeitundPersonalaufwand erreicht wurden. Wichtige Probleme werdenstattdessen ausgeklammert, weil der erforderliche Aufwand zu großeingeschätzt wird.Der Denkfehler hierbei ist, dass Effektivität mit Effi zienz verwechseltwird. Diese Kaufmannslogik hat inzwischen großen Einfl uss auf dasallgemeine Denken genommen. Alles und jedes wird danach bewertet,ob es den betriebswirtschaftlichen Kriterien einer Kosten/Nutzen-Rechnungoptimal genügt. Effi zienz bedeutet maximaler OutputKeine KaufmannslogikBegriff derEffi zienz13


Effi zienzdenkenlenkt ab(Ergebnis) bei minimalem Input (Aufwand). Ich möchte daran erinnern,dass diese Logik in vielen sozialen, zwischenmenschlichen Bereichenkeine Gültigkeit hat. Niemand würde zum Beispiel auf die Idee kommen,einen gemeinsamen Abend mit Freunden nur dann positiv zubeurteilen, wenn das Kochen, Essen, Kartenspielen und Reden mitgeringstem Aufwand durchgeführt wurde. Auch käme kaum jemandauf den Gedanken, eine effi ziente Behandlung durch einen Arzt wichtigerzu fi nden als die Heilung. Es ist deshalb nicht einzusehen, warumfür die Betriebsratsarbeit, bei der es um den Schutz der Interessen undRechte von Beschäftigten geht, die Effi zienz die wichtigste Rolle spielensollte. Das unbedachte Effi zienzdenken lenkt vielmehr von der Tatsacheab, dass Erfolge in der Betriebsratsarbeit immer Zeit und Mühekosten und häufi g nur gegen Widerstände errungen werden.Man beachte auch, dass beim Ruf nach mehr Effektivität nicht immermit offenen Karten gespielt wird. Häufi g mahnen solche Betriebsratsmitgliederdie mangelnde Effi zienz des Gremiums an, die persönlichmöglichst wenig Zeit in die Betriebsratsarbeit investieren möchten. DieSitzung soll möglichst kurz sein, damit sie möglichst schnell wieder anihrem Arbeitsplatz sein können.Die Wahrheit ist schlicht: Effektiv ist, wer seine angestrebten Ziele auchtatsächlich erreicht. Effektiv ist ein Betriebsrat, der seine Arbeit aufdas Erzielen von konkreten Ergebnissen für die Beschäftigten orientiertund der bereit ist, auch den Preis dafür zu zahlen. Dieser Preis isteine Mischung aus Mühe und Irrtümern, Dazulernen, unvermeidlichenNiederlagen und natürlich auch Erfolgen. Besonders effektiv wird dasGremium, wenn es ihm gelingt, sich auf die wesentlichen Einfl ussbereichezu konzentrieren. Dazu gehört auch, Nebenkriegsschauplätzeals solche zu erkennen und dort möglichst wenig Engagement zu verschwenden.In der folgenden Gegenüberstellung versuche ich es nochmal auf denPunkt zu bringen:Merke:• Effektiv sein heißt: bestrebt sein, die richtigen Dinge zu tun.• Produktiv sein heißt: lernen, die Dinge auf die richtige Weise zutun.• Effi zient sein heißt: lernen, die Dinge ohne Reibungsverluste abzuwickeln.14


IV. Die Grundlagen effektiverBetriebsratsarbeitIm besten Fall sollte der Betriebrat gleich nach der Konstituierung seineAufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Dinge lenken, die er in Angriffnehmen will und muss. Das kann - je nach betrieblicher Situation -ganz Unterschiedliches sein: In einem Betrieb geht es insbesondereum die Ausbildung und die Übernahme der Azubis; in einem anderenist Leiharbeit das wichtigste akute Problem. Aber um die Bestimmungseiner eigenen Prioritäten kommt das Gremium nicht herum, wenn eswirklich erfolgreiche Arbeit leisten will. Allerdings werden Gremien inder Realität häufi g sofort komplett vom Tagesgeschäft überrollt undverlieren infolgedessen die eigene Zielbestimmung schnell aus demBlick. Die schlechte Nachricht lautet: Das Gremium fühlt sich von jetztan getrieben und läuft den Entwicklungen hinterher. Die gute Nachrichtlautet: Der Fehler lässt sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt beheben.Man muss nur den Mut haben, die „Reset-Taste“ zu drücken und dienächste Betriebsratssitzung um den Tagesordnungspunkt „Zielsetzungendes Betriebsrats für den Zeitraum XY“ anzureichern.WichtigerHinweis fürdie Praxis<strong>Effektive</strong> Betriebsratsarbeit bedeutet, dass sich der Betriebsrat aufZiele einigt, welche die kurzfristigen, aber besonders auch die mittelundlangfristigen Interessen der Beschäftigten sichern. Es darf nichtauf das Konzept schneller Resultate bei minimiertem Aufwand hinauslaufen.Weiterhin muss sich der Betriebsrat darüber verständigen, wasdie wirklich wichtigen Aufgaben sind und welche aus Betriebsratssichtrelativ nebensächlich sind. Andere würden dazu sagen: der Betriebsratmuss Prioritäten setzen. Aber es dürfen nicht irgendwelche, sondernmüssen die richtigen Prioritäten sein, damit es effektive Betriebsratsarbeitwird. In einem Gremium mit mehrheitlich neu gewählten Mitgliedernsollte beispielsweise die Betriebsräte-Grundschulung einen wichtigenStellenwert haben. Schließlich muss sich das Gremium daranmachen,Maßnahmen für die Umsetzung der eigenen Ziele zu planen und daseigene Vorgehen regelmäßig überprüfen (mehr dazu in Kapitel VI.). Dasfolgende Beispiel soll das verdeutlichen:Beispiel für mangelnde Effektivität:Der Betriebsrat der AllesPaletti AG hatte außerordentlich erfolgreichmit der Geschäftsleitung verhandelt. Er war gut vorbereitet in die Sitzungengegangen und hatte im Wirtschaftsausschuss die notwendigenDaten zusammengetragen. Die wirtschaftliche Machbarkeit desKonzepts des Betriebsrats war eindeutig nachzuweisen. Auf einerBetriebsversammlung hatte er einen der Geschäftsführer regelrechtvorführen können. Schließlich war es geschickt gelungen, die Differenzenin der Geschäftsleitung auszunutzen und eine Betriebsver-Faktoren effektiverBetriebsratsarbeitSchwerpunktesetzen15


einbarung über Altersteilzeit abzuschließen. Dieser Erfolg war sogarausführlich in der Gewerkschaftspresse dargestellt worden. Effektiv!Effektiv? Dem erfolgreichen Betriebsrat war im Eifer der Gefechteentgangen, dass es während der zähen Verhandlungen zu einemschleichenden Meinungsumschwung in der Belegschaft gekommenwar. Wäre eine Gewinnbeteiligung nicht viel besser? Lieberden Spatz in der Hand. Unter den Beschäftigten machte sich derEindruck breit, dass es dem Betriebsrat ohnehin nur noch um seineigenes „Ding“ gehe. Dieser Eindruck war entstanden, weil dieBetriebsratsmitglieder sich gar nicht mehr in der Belegschaft sehenließen. Das lag zwar an der zeitlichen Belastung durch die Verhandlungen,aber für die Beschäftigten war dies unerheblich. Auf derBetriebsversammlung, bei welcher der Betriebsrat den erfolgreichenAbschluss der Vereinbarung verkünden wollte, kam es dannganz unerwartet zu bösen Angriffen. Der Vorsitzende konterte zwardie Vorwürfe, aber es blieb ein deutlicher Riss. Jetzt nutzte der Seniorchefseine Chance und warf dem Betriebsrat egoistisches Funktionärsgehabevor, mit dem er den Betrieb kaputtmachen würde,wofür er reichlich Beifall aus dem Publikum erntete.In diesem Beispiel rächt sich die Vernachlässigung der kontinuierlichenKommunikation mit der Belegschaft. Man fragt sich eventuell, wie eseinem Betriebsrat überhaupt gelingen kann, alle wesentlichen Faktorenim Blick zu behalten? Nun, es ist übersichtlicher, als man im erstenMoment fürchten mag. Im Grunde sind es nur vier miteinander verbundeneFaktoren, die angemessen zu berücksichtigen sind. Das soll dieAbbildung 2 deutlich machen.Abbildung 2: Das Kleeblatt der effektiven Betriebsratsarbeit16


IV. Die Grundlagen effektiver BetriebsratsarbeitBetriebsratsarbeit fi ndet immer unter konkreten betrieblichen, branchenüblichenund gesetzlichen Bedingungen statt. Konkrete Problemesind zu bewältigen und eine ganz bestimmte Geschäftsleitungsitzt am Verhandlungstisch. Unter genau diesen Bedingungen mussder Betriebsrat versuchen, eine gute Arbeit zu leisten. Wenn ihm dasgelingt, genau dann sollte von effektiv gesprochen werden. Was beiFord in Köln durchsetzbar ist, kann in einem Betrieb der Lederindustriein Schwaben unerreichbar sein. Trotzdem kann die <strong>Interessenvertretung</strong>des schwäbischen Betriebsrats sehr effektiv sein.Der erste wesentliche Faktor ist die Klarheit über die eigenen Zieledes Betriebsrats. Ein häufi g unterschätzter Faktor für eine effektiveBetriebsratsarbeit ist die bewusste Gestaltung der sozialen Beziehungen.Die Handlungsfähigkeit des Gremiums hängt stark davon ab, obdie „Chemie“ untereinander stimmt und ob es gelingt, Gegensätze zuüberbrücken. Effektiv zu arbeiten bedeutet auch, den Betrieb als Ganzesim Auge zu behalten und intensiven Kontakt mit der Belegschaft zuhalten. Auch die offensive Gestaltung der Beziehungen zu Vorgesetztensowie zur Geschäftsleitung hat einen großen Einfl uss auf die Wirksamkeitdes Betriebsrats. Der dritte wichtige Faktor ist die Kompetenzzum systematischen Problemlösen. Damit ist mehr gemeint als dieOrganisation des Briefeingangs oder das Ablagesystem für Unterlagen(das Thema wird vertieft in Kap. IX).BerücksichtigungderRahmenbedingungenKontakt zurBelegschaftDer vierte Faktor ist Klarheit über die Rechte des Betriebsrats, unddamit aber auch über die jeweiligen Grenzen seines Einfl usses. Nachder Einschätzung vieler Betriebsratsmitglieder hängt es weitgehendvom kooperativen bzw. negativen Verhalten der Arbeitgeberseite ab,ob der Betriebsrat effektiv arbeiten kann. Dies ist ein verführerischerIrrtum. Schnell muss dann ein „böser“ Arbeitgeber als Sündenbockfür den schlecht organisierten Betriebsrat herhalten. Der Betriebsratist nicht automatisch effektiv, wenn es ihm leicht gemacht wird. Häufi gist das Gegenteil der Fall. Effektiv zu arbeiten bedeutet vielmehr, unterden jeweils gegebenen Bedingungen wirkungsvoll zu handeln bzw. dieBedingungen so zu gestalten, dass effektives (=wirkungsvolles) Arbeitenmöglich wird.Merke:Glück und leichte Bedingungen sind für die Entwicklung eines effektivenArbeitsstils gefährlicher als Widerstand und Schwierigkeiten.<strong>Effektive</strong> Betriebsratsarbeit ist kein Geschenk, sondern wächst auseigener Kraft.Abschließend gibt es noch eine Nuss zu knacken. In Kapitel II wurdeals Warnsignal für mangelnde Effektivität des Betriebsrats defi niert:„Immer nur reagieren müssen, anstatt agieren zu können.“ So weit,so gut. Tatsache ist jedoch, dass dem Arbeitgeber sowohl das Direktionsrechtzusteht als auch die alleinige Entscheidungsmacht überKeinen Sündenbockvorschieben17


langfristige Vorhaben wie Investitionen, Beteiligungen, Reorganisation,Stilllegungen oder Verkäufe von Betriebsteilen. Es muss also unweigerlichregelmäßig zu Situationen kommen, in denen der Arbeitgeberden Betriebsrat mit seinen Entscheidungen oder Forderungen quasidennoch überrascht. Kann es angesichts dessen überhaupt noch soetwas wie effektive Betriebsratsarbeit geben?Die Antwort lautet: ja. Es ist ähnlich wie bei der Feuerwehr. Die weißvorher auch nicht, wo und wann genau es brennen wird, was die jeweiligenUrsachen sind und wie genau sich dieser aktuelle Brand entwickelnwird. Dennoch vereinigt sie alle Kompetenzen und die notwendigetechnische Ausstattung für das optimale Umgehen mit solchen„brenzligen“ Situationen. Ein effektiver Betriebsrat stellt sich auf solche„Überraschungen“ aller Art ein. Einerseits helfen ihm sein Beziehungsnetzund seine Informationsquellen dabei, schon im Vorfeld zu wissen,was wahrscheinlich „kommt“ – um dann entsprechend Vorsorge zutreffen oder Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Andererseits helfen ihmdie eigene Prinzipienfestigkeit und Rechtssicherheit bei der Beurteilungder aktuell an ihn herangetragenen Anliegen oder Überraschungsmanöverdes Arbeitgebers.Betriebsratsarbeit wird regelmäßig das Reagieren-Müssen auf unvorhersehbareoder absprachewidrige Maßnahmen und Entscheidungendes Arbeitgebers oder seiner Erfüllungsgehilfen (Vorgesetzte) einschließen.Wenn man sich das als Betriebsrat bewusst macht und alseinen Teil seines Auftrags ansieht, dann kann das Gremium im Bereichdes Agierens (= aktiven, zielgerichteten, bewussten Handelns) bleiben,obwohl man auf Vorgaben des Arbeitgebers reagiert.18


V. Die eigenen Motive reflektierenBevor wir uns vornehmen, die Effektivität des Gremiums zu steigern,ist es sinnvoll, sich über die persönlichen Ziele klar zu werden, die mitder Mitgliedschaft im Betriebsrat zusammenhängen. Was will ich dort?Welchen Beitrag zur Arbeit meines Gremiums will und kann ich leisten?Wie stark sind mein Ehrgeiz, meine Hartnäckigkeit oder mein Gefühlfür Gerechtigkeit, um die Herausforderungen anzunehmen und denSchwierigkeiten zu trotzen?1. Für wen und warum mache ich das alles?Betriebsratstätigkeit ist ein betriebspolitisches Ehrenamt. Die Verantwortungund der Wirkungsbereich eines Betriebsrats lassen sich mitdenen eines Stadtparlaments vergleichen. Es geht nicht gerade umKleinigkeiten: Sichere Arbeitsplätze, angemessenes Einkommen, guteArbeitsbedingungen, Erhalt der Gesundheit und psychisches Wohlbefinden der Beschäftigten und anderes. Allerdings sind die rechtlichenMöglichkeiten eines Betriebsrats im Vergleich zur Politik eingeschränkt.Viele Entscheidungen der Unternehmensleitung kann derBetriebsrat nur zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, ohne wirksametwas dagegen tun zu können.BetriebspolitischeBetätigungFragen Sie sich gelegentlich frustriert: Wofür mache ich das eigentlichalles? Diese Frage sollten Sie sich aber nicht nur stellen, wennes Schwierigkeiten gibt. Für erfolgreiche Betriebsratsarbeit brauchtman eine starke Motivation. Motivation ist die innere Kraft, die es Ihnenermöglicht, dauerhaft trotz Mühen, Rückschlägen, Widerständen undSchwierigkeiten ein erstrebenswertes Ziel zu verfolgen. Haben Sie einestarke Motivation? Was treibt Sie an? Ehrliche Antworten auf die Fragennach dem Warum und dem Wozu Ihres Engagements werdenIhnen weiterhelfen.Es gibt nicht nur betriebspolitische Ziele, sondern auch ganz persönlicheMotive, warum sich jemand zur Wahl stellt. Für manche ist dasBetriebsratsamt eine persönliche Herausforderung, für andere spieltzunächst der besondere Kündigungsschutz eine Rolle. Wieder anderehaben sich bloß überreden lassen. Solche persönlichen Motive sindnicht einfach gut oder schlecht. Entscheidend ist es, die persönlichenMotive und die betriebspolitische Verantwortung des Amtes in Einklangzu bringen. Wer etwa nur auf persönliche Anerkennung aus ist,wird bald mutlos, sobald die Zustimmung durch die Belegschaft einmalschwächer ausfällt.19


Freude an derBetriebsratsarbeitWenn Sie Ihre persönlichen Ziele und die Erfordernisse der Betriebspolitikdauerhaft in Einklang halten möchten, müssen Sie sich die Freudean der Betriebsratsarbeit erhalten. Diese Freude kann aus vielen kleinenErfolgen hervorgehen, von der gelungenen Erledigung von Routinetätigkeiten,über ein ermutigendes Beratungsgespräch bis hin zumAbschluss einer nützlichen Betriebsvereinbarung.Merke:Betriebsratstätigkeit muss Ihnen persönlich Freude ma chen, nurdann werden Sie langfristig gute Arbeit leisten.Geduld undAusdauer sindgefragtAngesichts von Arbeitsverdichtung, Rationalisierung, Entlassungswellenund anderen gravierenden Problemen scheint es merkwürdig, dieFreude an der Betriebsratsarbeit hervorzuheben. Bedenken Sie: Werals Betriebsratsmitglied nur Behinderungen, Rechtsverstöße, „Schweinereien“,Übervorteilung usw. wahrnimmt, wird auf Dauer bitter, mürbeund wird vorzeitig resignieren. Es kommt auf den langen Atem an.Stellen Sie sich darauf ein, auch kleine Chancen und Möglichkeitenwahrzunehmen und zu nutzen, das Gute im Schlechten zu fi ndensowie Widrigkeiten als Teil der zu lösenden Probleme zu betrachten.Wie schwierig die betriebliche Lage auch immer sein mag: Sie müssenBetriebsratsarbeit gern machen, wenn Sie sie gut machen wollen.Persönliche Stärken für effektive Betriebratsarbeit Ich bin mir der besonderen Interessen der Arbeitnehmer bewusst. Ich arbeite gern in einem Team; ich kann mich einbringen. Ich trage gerne Verantwortung. Systematisches Arbeiten und Probleme lösen machen mir Spaß. Ich kann engagiert diskutieren, aber auch aktiv zuhören. Ich fühle mich mit der Belegschaft verbunden und habe gern mitMenschen zu tun. Ich bringe Konfl iktbereitschaft mit, aber auch die Fähigkeit zumKompromiss. Ich habe ausreichend Frustrationstoleranz und Ausdauer. Ich bin neugierig und lernbereit.2. Was tun, wenn ich nur aus VersehenBetriebsratsmitglied geworden bin?KeineHalbherzigkeitEs kommt vor, dass jemand zur Kandidatur überredet wurde und esversäumt hat, über die möglichen Konsequenzen dieses Entschlussesvorher nachzudenken. Flugs ist es passiert, Sie wurden trotzdemgewählt. Was tun, wenn Sie statt viertes Ersatzmitglied nun ordentlichesBetriebsratsmitglied mit allen Rechten und Pfl ichten gewordensind? Es gibt nur zwei ehrliche Alternativen. Sie nehmen das Vertrauender Belegschaft zum Anlass, um sich voll und ganz zu engagieren,20


V. Die eigenen Motive refl ektierengetreu dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Oder Sie tretenohne Umschweife von Ihrem Amt zurück, weil Sie denken: Wer A sagt,muss nicht B sagen, wenn er merkt, dass A falsch war. Jedes halbherzigeMitmachen wäre ein Vertrauensbruch gegenüber der Belegschaft,von der Sie gewählt wurden. Sie haben das Recht zu irren – abermachen Sie es dann kurz.3. Die eigenen Kompetenzen ins Spiel bringenDer Betriebsrat ist natürlich keine Hobbythek. Aber einige der Aufgaben,die Sie dort erfüllen, sollten auch persönlich befriedigend sein.Aus reinem Pfl ichtgefühl werden Sie sich selbst nicht über Jahre beider Stange halten können. Kennen Sie das Gefühl, wie befl ügelt zusein, wenn Sie mit Freude bei der Sache sind und alles wie geschmiertläuft? Es hilft, wenn Sie in der Betriebsratstätigkeit häufi g in einen solchenhochmotivierten Zustand gelangen. Die Aufgaben gehen Ihnennicht nur gut von der Hand, sondern auch die Ergebnisse können sichsehen lassen.Bei der Aufgabenverteilung im Betriebsrat sollten Sie deswegen daraufachten, solche Aufgaben zu übernehmen, für die Sie Stärken undVorlieben mitbringen. Das gilt selbstverständlich auch für die übrigenBetriebsratsmitglieder. Es kommt wenig heraus, wenn die Aufgabenschematisch verteilt werden. Dann sind sie zwar formal verteilt, werdenaber real nicht umgesetzt. Die Betreffenden zeigen sich überfordertoder gehen nur lustlos ans Werk. Ausschlüsse schlafen dann ein; dieUmsetzung von Beschlüssen wird „einfach“ vergessen.Euphorie undBetriebsalltagIndividuelleInteressen undStärken nutzenEine gute Aufgabenverteilung ermöglicht jedem Betriebsratsmitgliedmindestens einen Bereich zu betreuen, in dem es sich kompetent undentwicklungsfähig fühlt. Nicht alles kann nach Lust und Laune verteiltwerden, etliches muss erledigt werden, obwohl es niemand wirklichgerne macht. Man kann solche Aufgaben abwechselnd oder jeweilszu Zweit in Angriff nehmen. Routinearbeiten können mit interessantenAspekten angereichert werden. Die oftmals unbeliebte Protokollführungkann zusätzlich als Erfolgskontrolle von Beschlüssen des Gremiums(im Sinne einer Wiedervorlage) organisiert sein.Merke:Eine gesunde Mischung von Tätigkeiten, die man gut und gernetut, mit solchen, die getan werden müssen, erhält die Motivationdauerhaft.Umgang mitunliebsamenAufgaben21


VI. Aufgabenstellung und Macht desBetriebsrats reflektieren – nur wereigene Ziele steckt, kann auch einenEffekt erzielenNabelschau desGremiumsEbenso wie jedes einzelne Mitglied über seine Motive und Ziele nachdenkenkann, sollten auch alle Betriebsratsmitglieder gemeinsam darübernachdenken, welche Ziele das Gremium für die Zukunft anstrebt.Dies ist besonders empfehlenswert zu Beginn seiner Amtszeit. ImVerlauf der Legislaturperiode sollte man sich eine solche inhaltlicheBesinnung dann regelmäßig einmal pro Jahr gönnen. Am besten fi n-det diese Besinnung bzw. Nachjustierung der eigenen Arbeit in einerKlausurtagung statt.1. Mal ganz ungestört über alles reden können –Die KlausurtagungOrt konzentrierterArbeitEin Vorteil einer Klausurtagung besteht darin, dass betriebliche Anfragenund andere Störungen weitgehend ausgeschaltet sind. DieAnwesenden können sich voll und ganz auf die anstehenden Themenkonzentrieren. Außerdem gibt es die unschätzbare Gelegenheit,die Menschen persönlich viel besser kennen zu lernen, mit denenman über Jahre gemeinsam betriebliche Probleme löst. AngenehmeTagungsräume bietet heute fast jedes Hotel. Allerdings sind Gewerkschaftsschulenfür die Durchführungen solcher Tagungen noch bessergeeignet, weil ihre gesamte Infrastruktur auf die Bedürfnisse vonBetriebsräten ausgerichtet ist und vielleicht auch, weil man sich dortmehr „wie zu Hause“ verhalten darf. Wenn sie gut vorbereitet ist, verläufteine Klausurtagung erfahrungsgemäß intensiv und ergebnisreich.Ideal wäre eine zwei- bis dreitägige Veranstaltung in einem Tagungsort,der ausreichend weit vom Betrieb entfernt liegt. (Unter Rücksichtnahmeauf betriebliche und persönliche Belange müssen manchmalKompromisse akzeptiert werden.) Wenn das Gremium komplett neuzusammengesetzt ist, interne Konfl ikte zu bewältigen hat oder einfachmal Anregungen braucht, dann ist eine externe Moderation zu empfehlen.Bei der Wahl einer Moderatorin oder eines Moderators solltedarauf Wert gelegt werden, dass diese/r mit der Arbeit von <strong>Interessenvertretung</strong>envertraut ist.2. Der Arbeit des Betriebsrats eine eigeneÜberschrift gebenEigenes ArbeitsprogrammIm Betriebsverfassungsgesetz steht nichts darüber, was ein Betriebsratwährend seiner Amtszeit konkret tun muss, um die Interessenseiner Beschäftigten erfolgreich zu vertreten. Will das Gremium nicht22


ausschließlich auf Maßnahmen des Arbeitgebers reagieren, müssenseine Mitglieder ein eigenes Handlungskonzept entwickeln. Deswegentut der Betriebsrat gut daran, seine eigenen Ziele und die ihm wichtigstenArbeitsfelder für die nächsten vier Jahre zu diskutieren. Abschließendsollen diese Vorstellungen schriftlich in ein Arbeitsprogramm desBetriebrats einfl ießen. Sofern eine schriftliche Geschäftsordnung existiert,sollte dieses Arbeitsprogramm als Präambel oder Leitlinie vorangestelltwerden. Auf diese Weise lässt sich Klarheit und Verbindlichkeitin die eigene Tätigkeit bringen. Dieses Vorgehen bedeutet, der eigenenArbeit eine „eigene Überschrift“ zu geben.Beispiel für eine Leitlinie des Betriebsrats:Was wir uns vornehmen: Mit Perspektive und Gesundheit arbeiten• Unsere Hauptaufgabe als Betriebsrat wird in dieser Amtszeit derErhalt und mögliche Ausbau von Arbeitsplätzen am Standortsein. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass alle Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter unseres Betriebs eine feste berufl iche Perspektivebehalten. Das gilt vor allem für unsere Auszubildenden unddie langjährigen Leiharbeitnehmer. Wir wollen unseren ganzenEinfl uss auf die Geschäftsleitung und die Kommunalpolitik geltendmachen, damit alternative Produkte und Geschäftsfelderaufgetan werden, um die Produktion am Standort zu binden undauszubauen.• Durch Arbeitsverdichtung und Rationalisierung ist die Gesundheitder Beschäftigten akut gefährdet. In einzelnen Meisterbereichenwird der Arbeitsschutz vernachlässigt und Arbeitsunfälle werdenvertuscht. Der Betriebsrat wird diese Missstände bis zum Endedes kommenden Jahres mit allen ihm zur Verfügung stehendenMitteln öffentlich anprangern und dabei helfen, sie abzustellen.• Alle Beschäftigten haben das Recht auf respektvollen Umgang.Diskriminierung, Mobbing und herablassendes Vorgesetztenverhaltenmüssen aufhören. Wir streben daher eine Betriebsvereinbarungzum partnerschaftlichen Verhalten im Betrieb an.Auch wenn ein Betriebsrat ein eigenes Konzept hat und eigene Zielekonsequent verfolgt, kann er selbstverständlich nicht alles voraussehen,was seitens des Arbeitsgebers auf ihn und die Beschäftigtenzukommen wird. Die Arbeit des Betriebsrats wird also immer auch dasReagieren-Müssen auf Vorgaben des Arbeitgebers einschließen. Aufder Basis eigener Ziele und Konzepte ist der Betriebsrat aber kaum zuüberraschen und muss sich nicht gehetzt und übervorteilt fühlen. Erkann eher wie eine gut trainierte Feuerwehreinheit auf einen Alarm hinausrücken, wenn es denn brennt.23


3. Welche Interessen wollen/sollen/müssen wirvertreten?Natürlich geht es in der Betriebsratsarbeit um die Vertretung der Interessender Beschäftigten. Aber diese Interessen sind vielfältig und wandelnsich im Laufe der Zeit. Die Interessen verschiedener Gruppen innerhalbder Belegschaft können widersprüchlich und gegensätzlich sein. Eskann auch vorkommen, dass die Interessen einzelner Beschäftigter denGesetzen oder geltenden Tarifverträgen, zumindest jedoch den Vorstellungendes Betriebsrats entgegen laufen. Betriebsratsarbeit muss mehrsein als die Vertretung der besonders lautstark vorgetragenen Interessenvon einigen. Er kann es nicht allen recht machen. Deshalb musser inhaltlich Position beziehen. Wenn es sein muss, gelegentlich auchgegen Stimmen aus der Belegschaft. Wie die Abb. 3 zeigen soll, hat derBetriebsrat eine Vielzahl von Interessen zu berücksichtigen und gegeneinanderabzuwägen. Seine Tätigkeit erfordert hohe soziale und fachlicheKompetenz, Fingerspitzengefühl und große Standfestigkeit.Abbildung 3: Interessenlage und <strong>Interessenvertretung</strong> im BetriebWenn der Betriebsrat für alle wesentlichen Bereiche seines Betriebeseigene Vorstellungen und Handlungsziele formuliert, kann er aktiv vor-24


VI. Aufgabenstellung und Macht des Betriebsrats refl ektierengehen. Verzichtet er darauf, begibt er sich freiwillig in die Defensive undkann tatsächlich nur auf Vorstöße der Geschäftsleitung reagieren. EineGeschäftsleitung lässt sich bei allen Maßnahmen von der betriebswirtschaftlichenFrage: „Wie rechnet sich das?“ leiten. Für den Betriebsratmuss die entscheidende Messlatte sein: „Welche Maßnahme könnteetwas für die Beschäftigten bringen?“EntscheidendeFrage4. Worin besteht die eigene Stärke?Stärke zeigt ein Betriebsrat, der zum Handeln entschlossen ist, abernicht vorschnell vorgeht, sondern mit Bedacht. Seine Macht basiertauf der Verbundenheit und dem Vertrauen der Belegschaft sowieeiner umfassenden Kenntnis betrieblicher Details. Das alles „hat“ derBetriebsrat nicht einfach und nicht von vornherein, sondern er muss eserwerben. Diese „Pfunde“ müssen immer wieder neu erarbeitet werden.Zusätzliche Stärke erwächst dem Betriebsrat, wenn er eine gute,vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der zuständigen Gewerkschaftaufbauen kann. Ergänzend kommt die eigentliche Rechtsposition desBetriebsrats ins Spiel. Gute allgemeine Rechtskenntnisse und spezielleFachkenntnisse runden das Bild ab.MachtfaktorenEine besondere Stärke von eingefuchsten Betriebsratsmitgliedernbesteht darin, dass sie „Generalisten“ sind, die Einblick in sehr vieleunterschiedliche betriebliche Belange haben. Sie wissen genau, wie esan den Arbeitsplätzen aussieht, was betrieblich tatsächlich umsetzbarund machbar ist. Ein Betriebsrat, dem die Beschäftigten vertrauen,erfährt Dinge, die keine Führungskraft weiß. Dadurch kann der Betriebsratin eine günstige Verhandlungssituation gegenüber der Geschäftsleitungkommen. In jedem Betrieb gibt es besondere Machtzentren,Problemzonen und Bereiche breiterer oder geringerer Unterstützungfür den Betriebsrat. Diese Konstellationen sollten vom Betriebsrat imHinblick auf künftige Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitungsorgfältig analysiert werden.5. Bestandsaufnahme - Chancen und Problemedes Unternehmens und der BeschäftigtenDer Betriebsrat sollte eine gründliche Bestandsaufnahme des betrieblichenIst-Standes und der zu erwartenden zukünftigen wirtschaftlichenund produktiven Perspektive durchführen. Nicht zu vergessen natürlichdie gegenwärtigen und zu befürchtenden Probleme, Engpässe undRationalisierungseffekte. Dies wäre ein lohnenswertes Vorhaben aufder ersten Klausurtagung. Möglicherweise muss man dabei feststellen,dass man in einigen Bereichen nur unvollständige Informationenhat. Die bewusst gewordenen Wissenslücken sollten dann der Anlassfür systematisches und hartnäckiges Fragen in Richtung Arbeitgeberund andere Informationsträger sein.Inventur25


UmfangreicheInformationsgewinnungDie Systematik der Bestandsaufnahme kann sich an den betrieblichenStrukturen wie Produktionszweigen oder Abteilungen orientieren.Besser noch geht es anhand der zehn Kategorien von Interessen derBeschäftigten gemäß Abb. 3 (s. S. 24). Zu jedem Bereich lassen sichsowohl Zahlen ermitteln (z.B. die Anzahl von Beschwerden) als auchinhaltliche Problembeschreibungen (z.B. Gründe für die Beschwerden).Probleme lassen sich oft besser verstehen, wenn ihre zeitliche Entwicklungerkennbar wird. Deswegen ist es sinnvoll, Daten aus Vergangenheitund Gegenwart, aber auch Planvorgaben und Erwartungen fürdie Zukunft zusammenzutragen. Die quantitativen Daten können weitgehenddem betrieblichen Berichtswesen, etwa SAP R/3 entnommenwerden. Die betrieblichen Rohwerte müssen aber so aufbereitet werden,dass sie für den Betriebsrat nützliche Informationen werden. Inder Abb. 4 ist beispielhaft für den Interessensbereich „Beschäftigung“ein Schema für eine Bestandsaufnahme dargestellt.Abbildung 4 Beispiel eines Problemaufnahmebogens für den Bereich„Beschäftigung“Quantitativ Was war? Was ist? Was wird?(Vergangenheit) (Gegenwart) (Zukunft)Personalbestand, davon– Vollzeit– Teilzeit– befristet (wie lange?)– Tarif/AT/Übertarif– Leiharbeitnehmerinnen– Fremdfi rmenbeschäftigte– Frauen, Quote– Auszubildende, Quote– Einstellungen– Entlassungen (Gründe)– Versetzungen– EigenkündigungenQualitativ (Beispiele)– Personalentwicklungen in der Branche (Konkurrenz)– Absehbare Risikobereiche für Verlagerung, Outsourcing, ManagementBuy-out– Absehbare Erweiterungsbereiche– Marktentwicklung, Produktchancen– Überkapazitäten, Personalengpässe, Überstunden (siehe InteressenbereichArbeitszeit)– Gerüchte, Befürchtungen aus der Belegschaft– Liegen Pläne der Geschäftsleitung vor?– Ist den Angaben zu trauen?1) Weitere Anregungen für eine systematische Problemaufnahme lassen sich dem HandbuchWirtschaftsausschuss entnehmen, auch wenn man im Einzelfall vielleicht nichtüber ein solches Gremium verfügt; vgl. Nikolai Laßmann/Rudi Rupp Handbuch Wirtschaftsausschuss,Frankfurt/Main 2011.26


VI. Aufgabenstellung und Macht des Betriebsrats refl ektierenVergleichbare Bestandsaufnahmeblätter können für alle Kategorienvon Beschäftigteninteressen zusammengestellt werden. Bei größerenBetrieben mag die Bestandsaufnahme tiefer aufgegliedert werden,wenn dies sinnvoll erscheint.Anregung fürBetriebsräte6. Die Rahmenbedingungen müssen stimmenEs macht wenig Freude, wenn der Betriebsrat beispielsweise inirgendeinem Durchgangszimmer tagen muss. Dies wäre eine Behinderungder Betriebsratstätigkeit. Der Arbeitgeber macht damit symbolischdeutlich, dass er den Betriebsrat für minderwertig hält. AngemesseneRäumlichkeiten, Büroausstattung und Kommunikationsmittelstehen dem Gremium rechtlich zu und sollten auch eingefordert werden(vgl. hierzu die Broschüre von Böttcher „Die Arbeit im Betriebsratsgremium“).In § 40 BetrVG ist inzwischen eindeutig das Recht desBetriebsrats auf angemessene Informations- und Kommunikationstechnikfestgeschrieben. Aber die Ausstattung des Betriebsrats sollteausschließlich dazu dienen, umfassend zu kommunizieren. Ein Chefzimmer-Ambientewürde die Glaubwürdigkeit untergraben.Merke:Die Ausstattung des Betriebsrats muss der internen und externenKommunikation dienen; sie hat keine Repräsentationsfunktion.Als weitere Rahmenbedingung ist das kommunikative Verhalten derArbeitgeberseite von Bedeutung. Ungebührliches Verhalten wieetwa regelmäßiges Zuspätkommen oder vorzeitiges Verlassen einesGesprächs ist unakzeptabel. Es darf zu Recht erwartet werden, dassVerhandlungspartner gegenseitigen Respekt an den Tag legen. Aberauch diese Grundregeln werden häufi g – absichtlich oder unbedacht– verletzt. Betriebsratsmitglieder sollten sich hysterische Ausbrüche,Anschreien, zynische Bemerkungen, Beleidigungen oder offensiveHerablassungen seitens der Geschäftsleitung nicht gefallen lassen.Sie sollten aber selbst auch nicht in einen proletarischen Stil verfallen,wenn sie den Arbeitgeber kritisieren. Die Informationsbereitschaft desArbeitgebers lässt regelmäßig zu wünschen übrig. „Umfassend undrechtzeitig“, wie es im Gesetzt steht, das ist leider eine sehr dehnbare(interpretierbare) Vorschrift.FunktionaleAusstattungWas kann der Betriebsrat unternehmen, wenn es hier dauerhaft hapert?Als ersten Schritt sollten sich die Betriebsratsmitglieder darüber einigen,wie sie sich eine faire und respektvolle Behandlung vorstellen.Außerdem sollten sie defi nieren, was sie als ausreichendes Informationsverhaltendes Arbeitgebers ansehen. Dies muss dem Arbeitgebergegenüber direkt und eindeutig zum Ausdruck gebracht werden. Imzweiten Schritt sollten fantasievolle Maßnahmen überlegt werden, mitderen Hilfe es dem Arbeitgeber schwer gemacht wird, nicht zu koope-Maßnahmenzur Erlangungvon Respekt27


ieren. Der Betriebsrat sollte sich hüten, den Respekt der Gegenseitedurch wiederholte moralische Appelle an die vertrauensvolle Zusammenarbeiterreichen zu wollen. Noch schlimmer wären allerdings Drohgebärdenohne Konsequenz. Das wirkt eher lächerlich und erreichtdas Gegenteil. Respekt erwirbt man sich durch Respekt gebietendesAuftreten: fair, klar und konsequent. Natürlich kann der Betriebsrat dasvon der Gegenseite gewünschte Verhalten im Gespräch anmahnen,im Wiederholungsfall schriftlich. Denkbar wäre, ein Monatsgesprächausschließlich dem Thema „Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Verhandlungsstil“zu widmen oder einen Vorschlag für eine gemeinsameGeschäftsordnung zu unterbreiten.Beispiel Umgangsregeln zwischen Geschäftsleitung und BetriebsratSobald eine Seite ein Anliegen vorbringt, bemühen sich beide Seitenkurzzeitig um ein verbindliches Gespräch.• Die Geschäftsführung akzeptiert die Posteingangsfrist von vierTagen vor Beginn der Betriebsratssitzung.• Beide Seiten verpfl ichten sich zu angemessenen Umgangsformen(Höfl ichkeit, keine Beleidigungen).• Beide Seiten bringen Fairness in die Verhandlungen (keine faulenTricks, keine Lügen).• Verlässlichkeit bei Zusagen und Absprachen (Termine, Unterlagen,mündliche Vereinbarungen).Von nichts kommt bekanntlich nichts. Die vielfältigen Aufgaben, dieauf den Betriebsrat zukommen, erfordern einen angemessenen Zeitaufwand.Um ständig auf der Höhe des betrieblichen Geschehens zusein, empfi ehlt sich ein wöchentlicher Rhythmus bei den ordentlichenSitzungen. Seit der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzesstehen mehr freigestellte Mitglieder zur Verfügung (laut § 38 BetrVGin Betrieben ab 201 Arbeitnehmern ein freigestelltes Mitglied). Beach-HandlungsinstrumenteFantasievolle Mittel können z.B. gelbe und rote Schiedsrichterkartensein, die bei Bedarf hochgehalten werden. Einzelne Unverschämtheitenlassen sich abstellen, indem man die Gegenseite kurzfristig mitgenau denselben Verhaltensweisen konfrontiert. Druckmittel sind beiUneinsichtigkeit erforderlich: Die Einrichtung einer Einigungsstelle, einVerfahren nach § 23 BetrVG (Verletzung gesetzlicher Pfl ichten) oder inextremen Fällen sogar die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahrennach § 119 BetrVG (Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane)könnten in Betracht kommen. Nicht vergessen: imBetriebsratsbüro hat das Gremium Hausrecht. Man kann zur Not auchmal jemanden vor die Tür setzen.7. Betriebsratsarbeit braucht Zeit28


VI. Aufgabenstellung und Macht des Betriebsrats refl ektierentenswert ist die gesetzliche Möglichkeit von Teilfreistellungen. JedesBetriebsratsmitglied hat die Möglichkeit auf teilweise Freistellung. Füralle erforderlichen Tätigkeiten seiner einzelnen Mitglieder steht ohnehindie so genannte Bedarfsfreistellung nach § 37 Abs. 2 zur Verfügung.Darüber hinaus spricht der neu gefasste § 37 Abs. 3 insbesondereBetriebsratsmitgliedern im Schichtbetrieb oder in Teilzeit einen materiellenoder Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeiten außerhalb ihrerregulären Arbeitszeit zu.Die rechtliche Grundlage für den notwendigen Zeitbedarf war niebesser. Leider nutzen manche Gremien diesen Spielraum nicht hinreichendaus. Manche der nicht freigestellten Mitglieder erwarten,dass die Freigestellten die gesamte administrative Arbeit erledigen undbeschränken sich auf die Teilnahme an den Sitzungen.Das darf nicht sein. Der Betriebsrat tut gut daran, den Zeitbedarf desGremiums und seiner einzelnen Mitglieder anhand der zu erledigendenAufgaben systematisch zu erfassen. Dann kann eine interne Diskussionüber die Aufteilung der Arbeit und den dafür notwendigen individuellenZeitaufwand stattfi nden. Mit diesen Daten kann das Gremiumnun offensiv gegenüber der Geschäftsleitung und den berufl ichenVorgesetzten der nicht freigestellten Mitglieder auftreten. Die für dieBetriebsratsarbeit nötige Zeit muss auf diese Weise durch Verhandlungenoder sogar Konfrontation freigeschaufelt werden (weitere Anregungendazu in Gröschel & Esser: Zeitmanagement 2006). Es gibtviele Betriebe, auch mit Schicht- und Wechselschichtbetrieb, in denender Arbeitgeber die planbaren „Ausfallzeiten“ der Betriebsratsmitgliederdurch besondere Einsatzpläne oder auch etwa durch den Einsatzvon Springern problemlos ausgleichen könnte. Um die Abteilung, derdas Betriebsratsmitglied angehört, etatmäßig nicht zu belasten, wirdeine Kostenstelle „Betriebsrat“ geführt, in der die Kosten dieser Maßnahmender jeweiligen Abteilung quasi rückvergütet werden.29


VII. Betriebsratsarbeit ist TeamarbeitDer Betriebsrat kommt durch Wahlen zustande. Ein gutes Team mussdaraus aber erst wachsen. Faktisch ist es häufi g so, dass sich nachder Wahl eine mehr oder weniger zufällig zusammengesetzte Grupperund um den Betriebsratstisch wiederfi ndet. So hatte man sich dasgar nicht vorgestellt! Alte Kämpen wurden nicht wieder gewählt. Stattdessensind Beschäftigte, die nur als Verlegenheitskandidat auf demletzten Listenplatz kandidiert hatten, unversehens Vollmitglied geworden.Was nun?Abbildung 5: Die geeignete Mannschaftsaufstellung des GremiumsFoto: Axel Esser 20091. Gegenseitiger RespektWas ist am besten geeignet, effektive Betriebsratsarbeit zu sabotieren?Meiner Erfahrung nach dürfte ein Klima gegenseitiger Feindschaftoder Verachtung der beste Nährboden für ein dauerhaft erfolglosesGremium sein. Sicher, oft kommt bei Wahlen auf den ersten Blick keinDream-Team zustande. Genau darum tut man sich mit der folgendenFormel einen großen Gefallen:Merke: Die RespektformelAlle, die ins Gremium gewählt wurden, sind die „Richtigen“. Unab-hängig von bisheriger Erfahrung, Position und Fähigkeit soll jeder30


seinen Platz fi nden, in dem er/sie sich optimal einbringen kann undwird. Gerade die Unterschiedlichkeit der Betriebsratsmitgliedereröffnet eine große Chance, die erfolgreiche, alternative Denkfabrikund kreative Lösungswerkstatt im Unternehmen zu sein. GegenseitigerRespekt in der Verschiedenheit macht das Gremium erfolgreichund wirkt auch als Vorbild im Betrieb.Gute Betriebsratsarbeit wird natürlich nicht durch imposante Sprüchehervorgebracht, sondern durch tatsächlichen respektvollenUmgang miteinander. Im Einzelfall ist es leider trotz guter Vorsätzemöglich, dass Betriebsratsmitglieder etwa durch ihr egozentrischesVerhalten, ihre negative Einstellung oder durch Verrat an den Prinzipiender Betriebsratsarbeit nicht dazugehören. Aber man sollte sichdie Zeit und die Offenheit gönnen, die guten Seiten der anderenherauszufi nden oder kennenzulernen, bevor man sich gegenseitigals „nicht geeignet“ abschreibt. Gegenseitiger Respekt ist ein sehrwirksames Mittel, um Motivation zu erzeugen.2. Die AufgabenverteilungGelungene Aufgabenteilung der Betriebsratsmitglieder ist der zweitewichtige Faktor für das effektive Arbeiten des Gremiums und für dieTeambildung. Menschen bleiben in einem Team nur dann glücklich undmotiviert, wenn sie einen sinnvollen Beitrag entsprechend ihrer Anlagenund Fähigkeit einbringen können. Die richtige Zusammenstellungvon Betriebsratsaufgaben und Betriebsratsmitgliedern ist demzufolgeeine wichtige Angelegenheit. Sie lässt sich nicht ein für allemal festlegen,denn das Aufgabenspektrum ändert sich regelmäßig. Manchmalstellt sich auch jemand als „Fehlbesetzung“ heraus. Und immer wiedermüssen neue Tätigkeitsfelder mit „passenden“ Personen besetztwerden.Merke: Die MotivationsformelJedes Betriebsratsmitglied soll zumindest einen Tätigkeitsbereichübernehmen und persönlich verantworten, der für dieses Mitgliedpersönlich attraktiv ist. Als Kriterien für die Zuordnung von Aufgabeund Betriebsratsmitglied sollten „Freude – Kompetenz – Notwendigkeit“gleichermaßen wichtig sein.2.1 Der Vorsitz im Betriebsrat und in den AusschüssenIn der Praxis konzentriert sich leider häufi g der Großteil der Aufgabenauf ganz wenige Mitglieder oder allein auf die Vorsitzende. Infolgedessenwerden viele Aufgaben nicht optimal gelöst und im Gremiumwächst gegenseitiges Unbehagen. Die Vorsitzende stöhnt: „Alles mussich alleine machen.“ Von der anderen Seite lauten die Beschwerden:„Nichts ist ihr gut genug. Alles will sie unter Kontrolle haben.“31


Gremium istverantwortlichIn der Entscheidung, wie die Aufgaben verteilt werden sollen, ist dasGremium weitgehend frei. § 26 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fordert nur zwingend,dass ein Vorsitzender sowie ein Stellvertreter gewählt werdenmüssen. Als Aufgaben des Vorsitzenden sind ausdrücklich genannt:die Erstellung der Tagesordnung, die Einladung und die Leitung derBetriebsratssitzungen sowie der Betriebsversammlungen. Außerdemkann er mit der Führung der laufenden Geschäfte beauftragt werden.Vorsitzende haben keine Geschäftsführung mit eigener Entscheidungsbefugnis,sondern sind Beauftragte des Gremiums. Sie sindden demokratischen Beschlüssen des Gremiums unterworfen undhaben diese umzusetzen. Vorsitzende haben die Funktion des Sprechersoder der Sprecherin und sind Ansprechpartner für den Arbeitgeber(vgl. die Broschüre von Inge Böttcher). Trotz dieser Rechtslagewerden Vorsitzende immer noch gern in die Rolle von Geschäftsführerngedrängt und wie Vorgesetzte der übrigen Betriebsratsmitgliederbehandelt. (Oder drängen sie sich selber in diese Rolle?)2.2 Führung im BetriebsratSorgfältigsteAuswahlWichtigeKriterienDie formale Funktion des Vorsitzenden fällt nicht automatisch auchmit wirklicher „Führung“ im Sinne von Menschenführung im Gremiumzusammen. Auch widersprechen sich Teamentwicklung und Führungkeineswegs; sie ergänzen sich vielmehr. Das Betriebsratsgremiumbraucht ein Zentrum, einen Bezugspunkt, in dem die organisatorischenund die zwischenmenschlichen Fäden zusammenlaufen. DiesesZentrum sollte idealerweise mit der Funktion der Betriebsratsvorsitzendenzusammenfallen. Es gibt Ausnahmen, indem beispielsweiseeine Person das organisatorische und eine zweite das menschlicheZentrum des Gremiums bildet. Bei der Wahl der Vorsitzenden solltendie Betriebsratsmitglieder Sorgfalt, Augenmerk und auch Mut zeigen– denn es ist schwer, die Amtszeit mit einer Kompromisskandidatur zuüberstehen. Eine Abwahl kann gem. § 33 BetrVG mit Stimmenmehrheitdurchgeführt werden und dürfte auch im Erfolgsfalle die weitereZusammenarbeit im Gremium massiv beeinträchtigen (es sei denn,der abgewählte Vorsitzende legt danach gleich sein Betriebsratsmandatkomplett nieder). Die wichtigste Eigenschaft von Vorsitzenden istpersönliche Integrität. Weiter wichtig sind Zuverlässigkeit, Durchsetzungsvermögen,Kontaktfähigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Ernsthaftigkeit.Humor wäre auch keine schlechte Zugabe. Unverzichtbar ist dieFähigkeit permanent zu lernen, nicht stur auf dem eigenen Standpunktzu beharren sowie die Bereitschaft, Anerkennung auszusprechen undanderen Betriebsratsmitgliedern Erfolge zu gönnen. Verlangt werdenalso keine übermenschlichen Fähigkeiten, aber genau die richtigeMischung aus fachlichem Können und sozialer Kompetenz, welcheviel zu vielen Führungskräften in den Unternehmen zu fehlen scheint.32


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeit2.3 Warum Einzelkämpfer der gemeinsamen Sache eherschaden als nutzenEs ist ein Risiko, wenn ein Betriebsrat ausschließlich auf die Kraft seinesVorsitzenden baut. Hat der Arbeitgeber kein Gremium, sondernnur einen Einzelkämpfer zum Gegner, hat er viele Möglichkeiten, dasGremium auszuhebeln. Die Geschäftsleitung kann beispielsweise versuchen,den Vorsitzenden mit Arbeit zuzuschütten, ihn durch Täuschungsmanöverin Misskredit zu bringen, durch Zugeständnisse oderpersönlich wirksame Drohungen gefügig zu machen. Beliebt sind Vorgesprächeunter vier Augen zwischen Vorsitzendem und Geschäftsführung,in denen unter Umgehung des Gremiums verbindlicheAbsprachen getroffen werden.Risiken bei Betriebsratsfürsten• Die Gefahr von Fehlentscheidungen, weil nur noch der Vorsitzendeüber alle wichtigen Informationen verfügt oder zumindest glaubt,dass er darüber verfügt; internes Machtgefälle, niemand wagt mehrzu widersprechen.• Die Gefahr von völliger Handlungsunfähigkeit des Gremiums beidessen Abwesenheit durch Krankheit, Unfall oder Urlaub oder nachseinem Ausscheiden aus dem Gremium.• Das Risiko der Spaltung, wenn der Vorsitzende durch undurchsichtigeVerhandlungssituationen in Kungelei-Verdacht kommt.• Die Gefahr für den Vorsitzenden, „abzuheben“ und taub für Kritikund Anregungen aus den eigenen Reihen zu werden.• Die wahrscheinliche Folge, dass die übrigen Betriebsratsmitgliedersich nicht qualifi zieren und nicht mit den Aufgaben wachsen könnenDies sind einige der typischen Probleme von Betriebsräten, die sichallein auf die Kraft einer einzelnen Persönlichkeit stützen. Egal ob esam Ehrgeiz eines Vorsitzenden oder an der Trägheit der Mitglieder liegt:Zwangsläufi g kommt es zur Entfremdung. Hier der überaktive Vorsitzende,dort demotivierte, inaktive Mitglieder. Das kann auf Dauer zuSelbstherrlichkeit, aber auch zur Resignation des Vorsitzenden führen.Entscheidungen werden immer weniger sachgerecht getroffen. Vorbehalteund Spannungen wachsen. Es kommt zu Rücktrittsdrohungendes Vorsitzenden, die zumeist nicht ernst gemeint sind, weil er seinePosition gleichzeitig auch liebt. Die Truppe reagiert mit Betroffenheit,weil sie trotz Kritik am Vorsitzenden keine Alternative sieht.Warum lassen es die Betriebsratsmitglieder zu, dass ihr Gremium voneinem „Fürsten“ dominiert wird? Sicherlich spielt die Angst vor dereigenen Verantwortung eine Rolle. Hier muss immer wieder die Fragegestellt werden: „Warum bin ich eigentlich Betriebsratsmitglied?“ Werseine Ängste kultiviert, verhindert seine persönliche Entwicklung. Pas-EinzelkämpfendeVorsitzendeGefahrenMöglicheKonsequenzenKeine Angst vorVerantwortung33


sive Betriebsratsmitglieder sind negative, entmutigende Vorbilder fürdie Belegschaft.EinzelkämpfendeMitgliederNicht nur Vorsitzende treten als Einzelkämpfer auf. In manchen Gremienfi nden sich auch Mitglieder, die sich ausschließlich für den Teilbereichdes Unternehmens einsetzen, aus dem sie selbst kommen.Andere haben nur ein spezielles Thema im Sinn (beispielsweise dasKantinenessen), in dem sie sich einzelkämpferisch betätigen, ohnesich für die übrigen Belange des Gremiums zu interessieren. Wiederandere betätigen sich als „Kamikaze-Piloten“, indem sie unabgesprochenheißblütige verbale Attacken gegen die Geschäftsleitung fl iegen.Auch diese Einzelkämpfertypen können die Wirksamkeit des Betriebsratsstark gefährden.Solche Fehlentwicklungen sollten angesprochen werden, sobald sieoffenkundig werden. Vorwürfe oder harsche Kritik gegenüber denen,die sich scheinbar „alles unter den Nagel gerissen“ hätten, dürftendabei wenig hilfreich sein (vor allem dann nicht, wenn die übrigenBetriebsratsmitglieder keine Lust haben, mehr Verantwortung zu übernehmen).Vielmehr sollte es als gemeinsames Problem angesprochenwerden, dass durch bessere Kommunikation, bessere Aufteilung derAufgaben und gegenseitige Unterstützung behoben werden kann.2.4 Casting für den BetriebsratVerteilungskriterienDer Betriebsrat hat viele unterschiedliche Aufgaben und ist für vieleBereiche zuständig. Das zwingt zur Arbeitsteilung. Soweit es geht,sollen Aufgaben nach persönlichem Können und Neigung verteilt werden.Einige Ressorts müssen allerdings auch dann besetzt werden,wenn sich niemand auf den ersten Blick dorthin gezogen fühlt. DerBetriebsrat muss sich einigen, wie die Arbeit und das Zusammenspielvon Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Betriebsratsplenum funktionierensollen. Ausschüsse sind für langfristige Aufgaben zuständig,während Arbeits- oder Projektgruppen zur kurzfristigen Klärung vonEinzelproblemen gebildet (und danach wieder aufgelöst) werden sollten.Wie man sich als Gremium einen Überblick über das gegenwärtigeEngagement der Betriebsratsmitglieder, zugleich aber auch überderen Potential und Interessen verschaffen kann, zeigt die folgendeAbbildung 6.34


VII. Betriebsratsarbeit ist TeamarbeitAbbildung 6: Profi lierung der BetriebsratsmitgliederDiese Ausschüsse und Projektgruppen müssen eigenständig arbeitendürfen. Wenn beispielsweise die Vorsitzende ständig in den Ausschusshineinregiert, um dessen Arbeit zu beschleunigen, wird die Arbeitsteilungzur Farce. Hilfreich ist eine gezielte Zuteilung der Freigestellten.Arbeitsteilung fördert die persönliche Entwicklung der Mitglieder. Jederhat die Chance, eigenständige Beiträge für das Gremium zu entwickeln.Arbeitsteilung setzt Vertrauen voraus und hilft zugleich, Vertrauenzu entwickeln. Es entlastet von Mehr- und Doppelarbeit, aberes erfordert auch Toleranz und Geduld.Vorzüge einerArbeitsteilung2.5 Wie alte Hasen und junge Hüpfer gegenseitig profitierenDie Zusammenarbeit alter Hasen, die das Know-how der Betriebsratstätigkeitmitbringen, und der Schwung der jungen Hüpfer mitneuen Ideen kann sehr fruchtbringend sein. Es gibt auch gegenteilige35


DialogbereitschaftzeigenErfahrungsaustauschpfl egenFreigestellteund nicht FreigestellteGleichstellungder FrauenErfahrungen, wenn nämlich resignierte alte Hasen auf arrogante jungeSchnösel treffen, die alles besser wissen wollen. Gegenseitiger Respektund die Bereitschaft, das Anderssein zu akzeptieren und als möglicheBereicherung anzusehen, würden helfen. Gerade auch in diesemZusammenhang ist gegenseitiger Respekt sehr wichtig.Jungen Betriebsratsmitgliedern sollte jede Möglichkeit des MeinungsundErfahrungsaustausches mit erfahrenen Kollegen und Kolleginnenaus anderen Betrieben und der Gewerkschaft gegeben werden. Dasermöglicht, von Beginn an über den Tellerrand der eigenen betrieblichenBedingungen hinauszuschauen. Dieser Austausch ist durch nichts zuersetzen. Es kann anspornend wirken, wie andere Betriebsräte mitvergleichbaren Problemen umgehen. Es ist hilfreich, ungewöhnlicheund manchmal verblüffend einfache Lösungsstrategien kennen zu lernen.Die beste Gelegenheit für solchen Austausch sind die SchulungsundBildungsveranstaltungen für Betriebsräte entsprechend des § 37Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG. Der Betriebsrat tut auch hier gut daran,systematisch vorzugehen und beispielsweise eine Bildungsbeauftragtezu wählen. Diese kann das relevante Bildungsangebot sichten, Vorschlägefür Seminarbesuche unterbreiten und Bedenken gegen eineSeminarteilnahme ausräumen. Viele Betriebsratsmitglieder gehen leiderniemals zu Schulungen oder Tagungen und nehmen auch nur seltenein Fachbuch oder eine Fachzeitschrift (insbesondere „Arbeitsrechtim Betrieb“) in die Hand. Gremien mit Bildungsplan und Bildungsbeauftragtenhaben solche Probleme im Allgemeinen nicht mehr. Um dasEis zu brechen, kann man zunächst einmal ein „Heimspiel“ organisieren,nämlich eine Bildungsveranstaltung im eigenen Haus durchführen.Außerdem kann man Sachverständige im Rahmen des § 80 Abs. 3BetrVG zu einzelnen Betriebsratssitzungen einladen.Ein häufi ges Problem ist die Zusammenarbeit zwischen freigestelltenund nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern, wobei die freigestelltenmeist auch die erfahrenen Mitglieder sind. Von vornherein sollten sieeine Politik der offenen Tür im Betriebratsbüro betreiben. Die nicht Freigestelltensind jederzeit willkommen, sie können Einsicht in alle Unterlagennehmen oder Fragen stellen. Die Freigestellten sollten stets fürsie ansprechbar sein.Es war der Wille des Gesetzgebers, den betriebspolitischen Einfl ussder Frauen zu erhöhen, indem sie entsprechend ihrem prozentualenAnteil in der Belegschaft auch im Betriebsrat vertreten sein müssen(§ 15 Abs. 2 BetrVG). Im Interesse der Effektivität des Gremiums solltenkeine geschlechtsspezifi schen Erbhöfe verteidigt, sondern durchAustausch, Integration und Förderung eine gemeinsame Sprache vonFrauen und Männern im Gremium gefunden werden.ErsatzmitgliedereinbeziehenAuch eine systematische Einbeziehung der Ersatzmitglieder ist vongroßem Vorteil. Dem Gesetzgeber kam es offenbar nur auf die Funktionsfähigkeitdes Gremiums an. Er hat sich keine Gedanken über die36


VII. Betriebsratsarbeit ist TeamarbeitBefi ndlichkeit der Ersatzmitglieder gemacht, die sich wie „Notnägel“vorkommen müssen, wenn sie jeweils nur kurzfristig, möglicherweisevöllig unvorbereitet, zu Sitzungen erscheinen sollen, sobald ordentlicheBetriebsratsmitglieder verhindert sind. Die persönliche Betreuungvon Ersatzmitgliedern durch einige der ordentlichen Mitglieder könntediese Situation entschärfen. Diese könnten die Ersatzmitglieder auchinhaltlich auf dem Laufenden halten, damit diese nicht zum Hemmschuhin der Sitzung werden, weil man ihnen noch einmal alles vonvorne erklären muss.3. Den Ball zuspielenDer Betriebsrat wird umso effektiver sein, je besser sich das Zusammenwirkenentwickelt. Aber wie im Sport muss sich ein Team erst einmaleinspielen und zueinander fi nden. Wie kann dieser Prozess gefördertwerden?3.1 Delegieren nicht mit Müllentsorgung verwechselnGute Zusammenarbeit erfordert, dass Aufgaben an einzelne Mitgliederdes Gremiums zur Bearbeitung übertragen werden. Es wird viel vomDelegieren gesprochen, aber in der Praxis gibt es viele Mängel. Auchder Betriebsrat kann hier Fehler machen.Teilweise wird überhaupt nicht delegiert. Dafür gibt es zwei wichtigeGründe: Der erste ist das Bedürfnis nach Kontrolle und persönlichdefi nierter Perfektion. Wer alles selbst im Griff haben muss und nursich selbst gute Arbeit zutraut, hat wenig zu delegieren. Solche „Kontrollettis“übertragen allenfalls völlig untergeordnete Aufgaben, wobeisie auch dafür immer noch detaillierte Anweisungen geben. Die Erledigungsolchen Restmülls ist für niemanden interessant. In Wirklichkeitwird nur aus Kosmetikgründen von Delegieren gesprochen. Der zweiteGrund für zu wenig Delegieren ist die eigene Freude an interessantenAufgaben und dem damit verbundenen Erfolg. Im Ergebnis wird auchhier vorzugsweise das delegiert, was unwichtig und unbeliebt ist.Für erfolgreiche Betriebsratsarbeit sollte das Motto gelten, dass dasDelegieren von Aufgaben auch bedeutet, dass man diejenigen, denendie Aufgabe übertragen wurde, ernst nimmt und nicht als Notnagelansieht. Delegieren bedeutet für den Betriebsrat, eine vernünftigeArbeitsteilung zu schaffen. Rechtlich ist es einer Vorsitzenden desBetriebsrats gar nicht möglich, die Erledigung von Aufgaben anzuordnen,wenngleich dies in der Praxis durchaus vorkommt. Wer Aufgabendelegiert, sollte sich in die Lage derjenigen versetzen, an die eineAufgabe delegiert wird. Ist es eine Aufgabe, die dieser Person liegt,die sie bewältigen kann, die von gewisser Wichtigkeit ist und für dieman Anerkennung erwarten kann, wenn sie erledigt ist? Delegierenschließt nicht aus, dass man sich gegenseitig unter die Arme greiftUrsachenunzureichenderDelegationVernünftigeArbeitsteilungerreichen37


Begriff derDelegationoder auch kritisiert. Es schließt aber aus, dass ständig überprüft, herumgekritteltoder Anweisungen nachgeschoben werden. Regelmäßigmachen Betriebsratsmitglieder die Erfahrung, dass sie beispielsweiseeine Briefvorlage formulieren oder einen Entwurf für eine Betriebsvereinbarungund dass ihre Vorlage dann im Plenum nach allen Regelnder Kunst vollständig verrissen wird und letzten Endes nichts von derVorlage übrig bleibt. Solche Erfahrungen sind frustrierend und demotivierend.Delegieren bedeutet, jemanden mit einer Aufgabe zu betrauenund darauf zu vertrauen, dass sie nach bestem Wissen und Könnenerledigt wird.3.2 Informationen – Bringschuld und HolschuldZum Thema „Ball zuspielen“ gehört auf jeden Fall auch der gekonnteUmgang mit den Informationen, die für den Betriebsrat wichtig sind.Betriebsräte dürfen nicht wie „Geheimräte“ auftreten. Untereinander istTransparenz ungemein wichtig. Die Vorsitzende sowie die Freigestelltensollten das Informationsgefälle, das sich regelmäßig quasi „natürlich“einstellt, durch verschiedene Kanäle ausgleichen. Dazu gehörenschriftliche und elektronische Informationskanäle und – natürlich – dieSitzungen.Manche glauben, dass es ein Ausdruck von Demokratie im Gremiumsei, wenn jede einlaufende Information gleichermaßen immer und ständigan jeweils alle anderen verbreitet wird, Das ergibt praktisch jedochwenig Sinn, denn es gibt nur der allgemein beklagten Informationsüberflutung weitere Nahrung. Wenn ständig E-Mails mit langen Anhängenunterschiedslos und gnadenlos an alle Mitglieder verschickt werden,erzeugt man vorzugsweise schlechtes Gewissen (weil niemand esschafft, alles zu lesen), aber keinen umfassenden Informationsstand.Informationen müssen heutzutage selektiv weiterverbreitet werden, esempfehlen sich beispielweise Auszüge oder Zusammenfassungen undHinweise, wo die kompletten Daten im Bedarfsfall oder bei Interessezur Verfügung stehen.Alle Betriebsratsmitglieder sollten im Hinterkopf haben, für welcheanderen Betriebsratsmitglieder die Informationen, die sie persönlichgerade zu Gesicht bekommen, auch wichtig sein könnten. Besondershilfreich ist es auch, wenn sich die Mitglieder verantwortlich und konzentriertauf die Betriebsratssitzungen vorbereiten. Es macht die Sitzungenausgesprochen zäh, wenn einzelne Mitglieder immer wiederkeine Ahnung haben, worum es eigentlich geht. Nicht selten haben siesich vorher keine Zeit genommen, die erforderlichen Informationen zurKenntnis zu nehmen. Während sie die übrigen Betriebsratsmitgliedernötigen, sie auf Stand zu bringen, sind diese frustriert, weil sie quasiwieder ganz von vorne anfangen müssen. Informationen sind nicht nureine Bringschuld, sondern es gibt auch die Verpfl ichtung, sich selbstständigund rechtzeitig zu informieren.38


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeit3.3 Das Bedürfnis nach Anerkennung in Balance bringenBetriebsratsarbeit ist nicht nur reine Sacharbeit im Dienste der Belegschaft.Die Betriebsratsmitglieder sind auch mit der eigenen Seeledabei. Jeder hat den Wunsch, Anerkennung für seinen Anteil an derArbeit zu erhalten. Wem dies selbst ein Bedürfnis ist, sollte auch bereitsein, die Arbeit der anderen Betriebsratsmitglieder anzuerkennen.Anerkennung und Lob zu verteilen, ist ein geheimes zwischenmenschlichesWundermittel, vorausgesetzt, es ist ehrlich gemeint. In derArbeitswelt Deutschlands hat sich eine gegenteilige Kultur entwickelt.Alles, was gut läuft, wird als selbstverständlich angesehen und scheintkeiner Erwähnung wert; erst, wenn etwas schief läuft, wird kritisiert. Inder Betriebsratsarbeit, die ohnehin mit viel Gegenwind zu kämpfen hat,sollte man auf die guten Leistungen und Anstrengungen der anderenMitglieder achten und ihnen immer wieder ein wenig Aufmerksamkeitund Beachtung schenken.4. Eine produktive Streitkultur entwickelnMeinungsverschiedenheiten sind nicht nur unvermeidlich, sondern siesind das Salz in der Suppe der Betriebsratsarbeit. Betriebsratsmitgliedersollten sowieso eine eher positive Einstellung zu Konfl ikten haben,denn das Lösen von Konfl ikten gehört zu den Standardaufgaben desGremiums. Meinungsverschiedenheiten sind allerdings noch gar keinerichtigen Konfl ikte, denn es geht zunächst um den Austausch unterschiedlicherAuffassungen über den richtigen Weg. Ein Betriebsratohne Meinungsunterschiede würde schnell in Stagnation verfallen.Gerade dadurch, dass unterschiedliche Ideen und Sichtweisen in denverschiedenen Köpfen entstehen, lassen sich komplizierte Problemeüberhaupt lösen. Schließlich fi ndet auch in jedem einzelnen Kopf ein„Meinungsstreit“ statt, sobald neue Eindrücke und Ideen hinzukommen.Es kommt darauf an, eine produktive Streitkultur zu entwickeln, inder die unterschiedlichen Ansichten und Absichten miteinander ausgetauschtund abgewogen werden, um neue Lösungswege zu (er)fi nden.KonstruktivesStreitenEmpfehlungen und Tipps, wie man Diskussionen sachgerecht und zielorientiertdurchführt, werden im anschließenden Unterkapitel 5 gegeben.In diesem Abschnitt geht es um das soziale Mit- oder Gegeneinanderin der Betriebsratssitzung.4.1 Wie Sie andere verstehen können, ohne unbedingtderen Meinung zu teilenUnerfreuliche Debatten kommen hauptsächlich dadurch zustande,dass eine oder auch beide Seiten unverdrossen den eigenen Standpunktklarmachen wollen. Im Extremfall reden beide gleichzeitig aufeinanderein. Unangenehm ist es auch, wenn jedem Argument sofortVermeidbareFehler einerDiskussion39


ein Gegenargument oder ein kritischer Einwand entgegengeschleudertwird. Infolgedessen kommt es zu einem zähen Ringen um die Redezeitund um die Ohren der anderen. Jeder möchte Recht behaltenund die anderen in Grund und Boden diskutieren. Eine unausgesprocheneAngst scheint zu herrschen, dass Zuhören gleichbedeutend mitschlechten Argumenten und eigener Schwäche ist. Das ist paradox.Zumindest im Betriebsrat sollte es doch darum gehen, Probleme zudiskutieren und eine gemeinsame Position zu entwickeln. Und dafürbraucht es einen anderen Diskussionsstil, in dem die Ansichten allerBeteiligter als möglicher Beitrag zu einer Lösung betrachtet werden.Wie macht man das praktisch? Es beginnt mit ausreden lassen. AlleBeteiligten sollen wirklich Gelegenheit bekommen, ihre Sicht der Dingein Ruhe darzulegen. Ärgerliche und ungeduldige Einwände müssenkonsequent zurückgestellt werden. Verwandeln Sie jede Diskussion inein Forschungslabor. Versuchen Sie zu verstehen, wie die anderen dieWelt sehen.KontrollierteDiskussionBesonders hilfreich bei Meinungsverschiedenheiten ist das so genannteFeedback. Dabei geben Sie Ihrem Gesprächspartner regelmäßigeRückmeldungen darüber, was Sie als Kernpunkte der „gegnerischen“Darlegung verstanden haben. Gutes Feedback ist sozusagen eineZusammenfassung der Position von anderen in Ihren eigenen Worten.Fragen Sie nach, ob sich Ihr Gegenüber bei Ihrer Zusammenfassungauch richtig verstanden fi ndet. Erst wenn alle Missverständnissegeklärt sind, sollte die Debatte weitergehen. Durch das Feedback könnenSie vermeiden, dass andere immer und immer wieder die gleichenArgumente anbringen. Vor allem erzeugen Sie ein viel besseresDiskussionsklima, weil sich die anderen persönlich respektiert fühlen.Zuhören und Feedback sind keine Kommunikationstricks. Indem Siesich selbst offen für die Ansichten des anderen einbringen, verstärkenSie die Bereitschaft der anderen, sich auch für Ihre Ansichten zuöffnen. Trotzdem kann es am Ende sein, dass Sie die Ansichten derGegenseite immer noch nicht teilen. Kein Problem, wenn Sie das klar,aber zugleich respektvoll zum Ausdruck bringen.4.2 Was tun, wenn´s unfein wird?DiskussionsebenewechselnMit Feedback und Zuhören sind Sie in Vorleistung gegangen. Wenneine Diskussion trotzdem unbefriedigend verläuft, ist es regelmäßigsinnvoll, das Thema zu wechseln. Unterbrechen Sie die Diskussion,und leiten Sie zu einem Gespräch über konstruktives Diskussionsverhaltenüber.In Betriebsratssitzungen sind regelmäßig folgende typische Diskussionsstörungenzu beobachten: Unterbrechen, Dauerredebeiträge,Abschweifungen, gleichzeitig reden, mit Lautstärke übertrumpfen.Diese kommen oft einfach im Eifer des Gefechts zustande, aber einige40


VII. Betriebsratsarbeit ist TeamarbeitBetriebsratsmitglieder haben einen dementsprechenden persönlichenRedestil oder nutzen dies als Mittel der Wahl, um verbal zu dominieren.In dieser Lage sollte das Gremien gemeinsame Spielregeln der Diskussionvereinbaren, damit solche Entgleisungen nicht die Regel werden.Gibt es solche Regeln noch nicht oder hat der Diskussionsleiter einenschlechten Tag, dann müssen Sie sich auch selber zu helfen wissen.Auf jeden Fall sollte man vermeiden, nun selber pampig oder unverschämtzu reagieren. Dann hätten Sie sich nur dem Niveau nach untenangepasst. Behandeln Sie schwierige Gesprächspartner respektvoll,gerade wenn sie sich daneben benehmen, aber mit Klarheit.Türöffner für schwierige Gesprächspartner• Musterbrecher: Starten Sie mit etwas Verwirrendem, etwa so:„Geht es Ihnen nicht gut?“ „Ich kenne Sie gar nicht wieder.“ „Habeich etwas falsch gemacht?“ „Was ist passiert?“ Es geht auch nonverbal:Ziehen Sie die Stirn kraus, schauen Sie ganz interessiert aufetwas außerhalb des Geschehens, binden Sie sich die Schuhe zu.• Blocker und Alternative: Nennen Sie das falsche Verhalten beimNamen. Machen Sie deutlich, dass Sie das nicht akzeptieren.Sagen Sie, was Sie stattdessen erwarten. Und das Ganze unbedingtmit nur wenigen Worten. Beispiel: „Stopp, Stopp, ich möchtenicht unterbrochen werden.“• Sanktion: Machen Sie mit Worten und/oder Taten deutlich, dass fürSie eine faire Kommunikation die Voraussetzung für gemeinsameArbeit im Betriebsrat darstellt. Die kleinste Sanktion, die immer zurVerfügung steht, ist das Abbrechen des Gesprächs. DemonstrativesSchweigen, vorübergehendes Verlassen der Sitzung oder dieAbgabe einer Gegenstimme könnten deutliche Signale sein.• Verblüffung. Einen Redeschwall können Sie durch den Ausruf wirksamstoppen: „Ich höre dir nicht mehr zu!“ Ebenso verblüffend wäreder Ausspruch: „Du unterbrichst mich zwar ständig, aber du überzeugstmich dadurch nicht.“Sollten Sie gegen die Stimmgewalt oder Eindringlichkeit Ihres Gegenübersnicht durchkommen, können Sie Ihre Missbilligung auch durchGesten wirksam ausdrücken (etwa durch Ohren zuhalten oder schweigendaus dem Raum gehen). Sie sollten es allerdings nicht dabeibewenden lassen, Ihren Unmut kundzutun. Versuchen Sie immer aucheine Aussprache über den Stil der Kommunikation.Persönliche Angriffe konstruktiv aushebeln. Auch in Betriebsratssitzungenkommt es vor, dass gelegentlich der Gesprächspartner schlechtgemacht wird, anstatt zu argumentieren. Der naheliegende verbaleGegenangriff führt schnell zu einer unkontrollierbaren Eskalation. Diebessere Abwehr gegen verbale Entgleisungen ist ein innerer Schutzschild.Dieser Schutzschild wird aus drei Überlegungen gespeist:41


• Wer zu aggressiver Kommunikation greifen muss, hat keine überzeugendenArgumente mehr (wer schreit, hat Unrecht).• Jemand mit so schlechten Manieren hat das Recht verwirkt, übermich ein abwertendes Urteil zu fällen. Ich kann zwar nicht verhindern,dass er etwa eine Beleidigung äußert, aber ich werde mir dasauf keinen Fall zu Herzen nehmen.• Ich muss vor Dritten nicht durch Heftigkeit beweisen, dass ich michwehren kann. Je gelassener ich reagieren kann, desto deutlicherzeigt sich meine Überlegenheit gegenüber solchem Umgang.Sie kommen viel besser durch solche Situationen, wenn Sie zunächsttief Luft holen und dann versuchen, Ihren Ärger und Ihre Verletzung inproduktiver Weise umformen. Erteilen Sie dem unverschämten Zeitgenosseneine souveräne Lektion. Ihnen fehlt die Schlagfertigkeit?Das macht gar nicht viel. Selbst wenn Sie den Übergriff erst einigeTage später erneut ansprechen können, haben Sie nichts verloren. ImGegenteil, Sie sind jetzt präpariert und können die Initiative zurückgewinnen.Wie das in der Praxis aussehen kann, soll das folgendeBeispiel zeigen:Beispiel für den konstruktiven Umgang mit einem persönlichen AngriffBetriebsratsmitglied Kurt war montags ernstlich aufgebracht undbeschimpfte seinen Kollegen Peter: „Wie kann man so blöd sein?Das kapiert doch sonst jeder Depp!“ Betriebsratsmitglied Peter warvöllig überrascht und verletzt und zog sich spontan aus der Wirtschaftsausschusssitzungzurück. In einer schlafl osen Nacht wälzteer die Gedanken und möglichen Antworten. Schließlich ergriff eram Donnerstag während der Betriebsratssitzung die Initiative undäußerte sich im Beisein anderer Betriebsratsmitglieder leicht ironisch:„Danke übrigens für dein kompetentes Gutachten vom Montag(Aufdecken des persönlichen Angriffs). Deine Aufregung konnteich ja noch nachvollziehen. Man wird ungeduldig, wenn man waserklärt und der Funke springt nicht über. (Verständnis für die Emotionender anderen Seite). Aber glaubst du wirklich, dass ich esschneller kapiere, wenn du mich beleidigst? (Aufdecken des Widerspruchs).Kurt versucht sich herauszuwinden. „Ist mir so rausgerutscht. Verstehstdu keinen Spaß?“Peter kontert und spitzt ein letztes Mal zu: „Nein, das ist für michkein Spaß. Ich wünsche mir von dir, dass du mich in Zukunft vernünftigbehandelst.“Das unverständliche Murmeln von Kurt lässt Peter als nonverbaleZustimmung durchgehen und ermöglicht ihm dadurch ohneGesichtsverlust aus der Situation herauszukommen.42


VII. Betriebsratsarbeit ist TeamarbeitUm Rückmeldung bitten: Wenn Sie den Eindruck bekommen, dassGesprächspartner nicht richtig zuhören, können Sie das Feedbackin umgekehrter Richtung einsetzen. Fragen Sie die Gegenseite, wasbei ihr angekommen ist. Beispiel: „Ich habe den Eindruck, dass ichnicht richtig verstanden werde. Könntest du mir bitte in kurzen Wortenbeschreiben, wie du meine Position siehst. Ich möchte nur vermeiden,dass wir Missverständnisse haben.“Weg aus einerfestgefahrenenDiskussion4.3 Die Kunst der konstruktiven KritikFehleinschätzungen und Fehler sind in der Betriebsratsarbeit nicht zuvermeiden. Wie etwa beim Skat die außen stehenden Kiebitze vielesbesser und gelassener sehen als die aktiven Spieler, so kann auchder Betriebsrat manche Chance und manches Risiko übersehen,die einem Außenstehenden ins Auge gefallen wären. Deswegen sindSelbstkritik und Kritik durch andere ein unverzichtbares Mittel, um aufFehler aufmerksam zu werden und aus ihnen zu lernen.Das Vermeiden von Kritik löst keine Probleme. Möglicherweise möchteman anderen eine Kränkung oder Blamage ersparen oder Streit generellaus dem Weg gehen. Wird Kritik mit großen diplomatischen Verrenkungenvorgetragen, um es dem anderen möglichst schonend beizubringen,bleibt die kritische Botschaft oft ganz auf der Strecke. Was istder Sinn von Kritik? Die Verbesserung der Zukunft.Kritik vermeidenist keine LösungKritik muss allerdings so formuliert werden, dass sie vom Gegenüberauch akzeptiert werden kann. Traditionell wird bei uns geschimpft,bloßgestellt und herabgesetzt. Das ist dann genau die Form von Kritik,die auf Widerstand und Ärger stoßen muss. Vorwürfe wirken wie Salzin der Wunde. Das liegt nicht allein am Schimpfen. Vorwürfe prangernden Fehler an, zugleich aber auch die Person, die den Fehler begangenhat (z.B. „Wie konntest du das nur tun?“). Der Vorwurf hilft demKritiker, sich Luft zu verschaffen. Man nagelt die kritisierte Person inihrem Falschverhalten fest, denn der Fehler liegt in der Vergangenheitund kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Der Vorwurf istzugleich eine Schuldzuweisung und eine Kritik am Charakter. Es signalisiertnicht, dass ein Fehler passiert ist, den man abstellen soll. DerVorwurf enthält die Beschuldigung, dass man es absichtlich oder grobfahrlässig gemacht hat Es wäre vermeidbar gewesen, wenn man nichtso einen schlechten Charakter hätte. Vorwürfe verschließen den Wegzur kollegialen Diskussion von Fehlern. Sie lassen dem Kritisierten dieAlternative von Unterwerfung oder Gegenangriff. Für die interne Kritikim Gremium sind Vorwürfe das denkbar schlechteste Mittel.Was tun, wenn Sie Kritik äußern, aber Vorwürfe vermeiden wollen? Hilfreichist der Gebrauch von so genannten „Ich-Botschaften“ anstellevon Vorwürfen. Wenn Sie Ihre Kritik in eine Ich-Botschaft kleiden („Michärgert die Frage, weil ich denke, dass du die Antwort doch selbstweißt.“), lassen Sie ganz bewusst die Frage der Schuld oder AbsichtKeine Schuldzuweisungen43


draußen. Sie lassen die Möglichkeit offen, ob der bemängelte Missstanddurch Zufall oder ganz ohne Absicht des Verursachers zustandegekommen sein könnte. Sie signalisieren Ihre Kritik, vermeiden abereine Verurteilung.Beispiel für eine aggressionsfreie Kritik:In einer zähen Verhandlungsrunde mit dem Arbeitgeber der AllesPaletti GmbH über den Abbau der Überstunden hat Werner, weiler hoffte, das Gespräch damit voran zu bringen, ein Angebot überfl exible Arbeitszeiten an den Arbeitgeber gemacht. Das entsprachnicht der abgesprochenen Verhandlungsstrategie, sondern offenbarteunfreiwillig die Minimalforderungen des Betriebsrats. Szeneaus der Nachbesprechung des Betriebsrats:Streit mit „Du-Botschaften“:Paul: „Mensch, du hast uns mit deiner vorschnellen Zustimmungdermaßen reingeritten. Jetzt können wir mit dem Themaeinpacken!“ (Du-Botschaft, Vorwurf, Schuldzuweisung)Werner: „Quatsch. Die Verhandlungen waren doch längst am Ende.Was willst du überhaupt? So können wir doch wenigstensnoch etwas erreichen.“ (Rechtfertigung, Gesichtswahrung)Verena: „Du steckst wohl mit dem Geschäftsführer unter einerDecke! Jetzt verteidigst du dich auch noch. Das hat unserganzes Konzept umgehauen. Wie stehen wir jetzt da. Wiedie Deppen ....!“ (weitere Vorwürfe, Zerwürfnis, Spaltung)Streit mit „Ich-Botschaften“:Paul: „Ich fürchte, dass wir uns bei der letzten Sitzung reingerittenhaben. Jetzt weiß die Geschäftsleitung, dass wir eventuellbei der Flexibilisierung mitmachen. Dadurch haben wirkeine Druckmittel mehr. Das fi nde ich eine ganz unglücklicheSituation.“ (kein Vorwurf, Darlegung von Sorgen)Werner: „Ich habe spontan gedacht, das würde uns helfen, weilPaul:alles so festgefahren war.“ (Gesichtwahrung)„Meiner Meinung nach hat es nicht geholfen. Weißt du, dieGegenseite pokert immer und tut so, als ob sie sich nichtbewegen würde.“ (Kritik, Erläuterung)Werner: „Mh“. (keine Rechtfertigung erforderlich)Verena: „Aber wir können doch in der nächsten Gesprächsrundesagen, dass wir als Gesamtgremium nicht damit einverstandensind. Wir können dafür ja noch Argumentezusammentragen. (keine weiteren Vorwürfe, sondern Verbesserungsvorschlag)Werner: „Mir macht das nichts aus, wenn es nächstes Mal heißt,dass das nur so eine spontane Idee von mir war und dass44


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeitder Betriebsrat nun zu anderen Ergebnissen gekommenist.“ (Lösungsversuch, Versöhnung)Konstruktiv kann Kritik immer dann sein, wenn bei Ihren Gesprächspartnerndie Bereitschaft entsteht, den Inhalt der Kritik auf sich wirkenzu lassen, statt sich sofort in einer Verteidigungsstellung zu verbarrikadieren.Dies lässt sich wie folgt erreichen:• Geben Sie regelmäßig positive Rückmeldungen. Erkennen Siegutes Bemühen und gute Leistungen positiv an.• Vermeiden Sie jegliche persönliche Herabsetzung. Kritisieren SieSachverhalte und Fehler, aber greifen Sie nicht Personen an.• Reden Sie nicht um „den heißen Brei“ herum. Diplomatische„Schnörkel“ machen eher misstrauisch.• Vermeiden Sie Vorwürfe und pauschale Abwertungen.• Tragen Sie die Kritikpunkte so konkret wie möglich vor, und machenSie Verbesserungsvorschläge.Erwarten Sie nicht, dass Ihrem Gegenüber die Kritik sofort einleuchtetoder gefällt. Legen Sie deswegen keine ergänzenden Kritikpunktenach, wenn Sie nicht sofort auf Einverständnis stoßen. Üben Sie sichin Geduld und lassen Sie dem Anderen Zeit, in Ruhe über die Sachenachzudenken.4.4 Konflikte - Wenn das Gremium nicht klarkommtIch hatte zu Beginn des Kapitels bereits erwähnt, dass Meinungsverschiedenheitenunvermeidlich und für schöpferische Arbeit sogar unersetzlichsind. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass es auch sehr belastendeAuseinandersetzungen und Konfl ikte gibt.Meinungsverschiedenheiten bezeichnen, wie der Name sagt, lediglichdas Vorhandensein unterschiedlicher Ansichten über die Lageder Dinge. Auch bei Meinungsverschiedenheiten geht es gelegentlichheftig zu; aber im Prinzip ziehen alle Beteiligten an einem Strang undwollen zu einer gemeinsamen Lösung beitragen. Es geht darum, dieanderen zu überzeugen. Heftig wird es, wenn Einzelne anderen dieangebliche Dummheit austreiben wollen. Ohne gegenseitige Akzeptanzentwickelt sich die Meinungsverschiedenheit zu einem Streit. Jetztgeht es den Kontrahenten weniger um das inhaltliche Überzeugen alsum das kompromisslose Durchsetzen persönlicher Überzeugungen.Der Streit ist die harmloseste Stufe eines Konfl ikts.Merke:Meinungsverschiedenheiten sind produktiv, solange sie ein Prüfstandfür Argumente und keiner für die diskutierenden Personensind.Entwicklungsstufen45


ScheinbaraussichtsloseSituationEin Konfl ikt unterscheidet sich von einer Meinungsverschiedenheitin einem wesentlichen Punkt. Ein Konfl ikt entsteht, wenn MenschenUnterschiedliches wollen und dabei der Eindruck herrscht, nur eineSeite kann zu ihrem Recht kommen. Man fühlt sich von der anderenSeite nicht nur unverstanden, sondern geradezu behindert odergeschädigt. Damit wird eine Stufe erreicht, bei der es nur noch umNiederlage oder Sieg zu gehen scheint. Ein Kompromiss rückt in weiteFerne. Solche Situationen sind leider auch im Betriebsratsgremiumnicht ausgeschlossen.Zu den Erfordernissen effektiver Betriebsratsarbeit gehört es unbedingt,dass das Gremium lernt, kompetent mit internen Konfl iktenumzugehen. Einerseits geht es darum, unnötige Konfl ikte zu vermeiden.Andererseits geht es darum, auftretende Konfl ikte konstruktiv zubearbeiten und zu guten Lösungen zu kommen. Es ist nur zu begrüßen,wenn sich einige Mitglieder des Gremiums extern als Konfl iktmoderatorenausbilden lassen. Das würde nicht nur für die Konfl iktschlichtungim Betrieb sehr hilfreich sein, sondern eben auch intern.Das Management von Konfl ikten – intern wie extern – ist ein zu umfangreichesThema für diese Broschüre. Ein paar Tipps und Tricks darzustellen,brächte keinen Zuwachs an Kompetenz. Wer sich zu diesemThema berufen fühlt, sollte das wirklich gründlich durch Seminare undLiteraturstudium angehen. Einen ersten Überblick könnte der ArtikelKonfl iktbewältigung (2006) des Autors liefern. Eine grundsätzlich positiveEinstellung zur Existenz von Konfl ikten und die Bereitschaft, seineKontrahenten im Konfl ikt zu jedem Zeitpunkt der Auseinandersetzungals gleichberechtigte Menschen zu akzeptieren, sind nach meinerErfahrung die beste Voraussetzung, um zu tragfähigen Lösungen zukommen.Positive Seitenvon Konfl iktenKonfl ikte sind im menschlichen Miteinander unvermeidlich. In Konfl iktenist es aber typisch, dass die Beteiligten mit Haut und Haar dabeisind. Schließlich geht es um etwas. Niemand bricht einen Konfl ikt vomZaun, wenn es persönlich unwichtig ist. Konfl ikte setzen deswegenEnergie und Engagement frei. Es ist den Beteiligten nicht gleichgültig,was dabei herauskommt. Darin steckt die produktive Seite von Konflikten, das schöpferische Element. Wenn es den Beteiligten gelingt,die Feindseligkeit und Wut im Zaum zu halten, können Konfl ikte ihrepositive und schöpferische Seite entfalten.10 Thesen zur positiven Kraft von KonfliktenKonfl ikte sind ein Bestandteil menschlichen Lebens. Sie entspringender Verschiedenartigkeit der Menschen und der Ungleichzeitigkeitihrer Bedürfnisse und Strebungen.Konfl ikte sind die andere Medaillenseite des freien Willens. Weil alleMenschen frei denken, frei fühlen und frei handeln können, besteht46


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeitständig die Möglichkeit, dass menschliche Bestrebungen in aktuellenGegensatz zueinander kommen.Konfl ikte sind Situationen, in denen zwischen verschiedenen Menschenjeweils unterschiedliche Erwartungen an die gemeinsameSituation existieren und bearbeitet werden müssen.Die Emotionen im Konfl ikt signalisieren, dass persönlich bedeutsameLebensbereiche nicht zufrieden stellend geregelt sind oderkeine Sicherheit bieten. Sie signalisieren zudem Handlungsbedarf.Heftige Gefühle sind aber kein Freifahrtschein für unfaires, aggressivesoder unkontrolliertes Verhalten.Konfl ikte verdeutlichen die Vernetzung der Menschheit. In Konfl iktkommen wir nur mit Menschen, zu denen wir eine Beziehung habenoder in Kontakt stehen. Wir versuchen dabei, das Verhalten oderdie Einstellung anderer – mit welchen Mitteln auch immer– zumeigenen Vorteil zu beeinfl ussen.Konfl ikte haben keine zwanghaften Abläufe. Alle Beteiligten habenzu jedem Zeitpunkt eines Konfl ikts Wahlmöglichkeiten für ihr Handelnund Reagieren. Niemand „muss“ Gewalt, Unterdrückung oderManipulation anwenden.Einzelne Konfl ikte kann/soll man vermeiden. Generell lassen sichKonfl ikte nicht vermeiden. Konfl iktvermeidung behindert notwendigeVeränderung und Wachstum. Erfolgreiche Konfl ikte erhöhendie eigene Kompetenz und das Selbstwertgefühl.Ein Konfl ikt gibt uns Gelegenheit, uns selbst und die anderen besserkennen zu lernen. Konfl ikte vermitteln größere Klarheit über dieZiele, Ängste und Interessen von allen Beteiligten. Dies ermöglichtuns größeres Einfühlungsvermögen in andere.Ein gelungener Konfl ikt kann neue Ideen, neue Problemlösungenhervorbringen. Er führt häufi g zu sozialen, technischen, organisatorischenoder politischen Innovationen, für die es ohne Konfl ikt keinenAnlass oder dringende Notwendigkeit gegeben hätte.Ein gelungener Konfl ikt führt zu verbessertem Zusammenwirkenund Abstimmung der Interessen und Bedürfnisse der vormaligenKonfl iktparteien.5. Aus schwierigen Zeitgenossen wertvolleTeammitglieder machenDie Mitglieder des Betriebsrats gehen aus demokratischen Wahlenhervor. Das Wahlergebnis drückt das Vertrauen der Beschäftigten in47


estimmte Personen oder Wahlgruppierungen aus. Der Zufall spieltjedoch auch eine Rolle. Manchmal wird personell alles durcheinandergewirbelt, wie etwa bei einer Protestwahl. Die Wähler können nichtbeurteilen, inwieweit die Gewählten später im Gremium persönlich gutzusammenarbeiten können, und ebenso wenig, ob alle das notwendigeRüstzeug für die anspruchsvolle Aufgabe „Betriebsrat“ mitbringen.SchuldzuweisungenUmgang mitschwierigenZeitgenossenNicht selten stellt sich nach der Wahl ein gewisses Unbehagen gegenübergewissen Betriebsratsmitgliedern ein. Hinter vorgehaltener Handwird unfein über deren Unfähigkeit oder Arroganz geredet. Wenn dieAnforderungen an das Gremium wachsen, fällt die Zurückhaltung häufig und es kommt zu einem offenen persönlichen Schlagabtausch.Wenn Erfolge des Betriebsrats ausbleiben, liegt es dann nahe, dassnach einem Sündenbock gesucht wird. Ein Sündenbock dient schonimmer als gefühlsmäßige Entlastung der Mehrheit, um von eigenenFehlern abzulenken. Aber: Wenn die Arbeit des Gremiums nicht erfolgreichist, sollte man nicht nach Schuldigen, sondern nach Lösungensuchen.Aber was tun, wenn sich tatsächlich schwer integrierbare Menschenim Gremium befi nden? Sie können davon ausgehen, dass persönlicheAngriffe und pauschale Vorwürfe nicht weiterhelfen. Sie vergiftenlediglich die Atmosphäre und führen nur zu einer weiteren Absenkungder Effektivität. Hier gibt es einige Anregungen, wie Sie mit Hilfe vonaggressionsfreien Methoden Veränderungen erreichen können. DasKonzept dabei ist, dass man besser die positiven Seiten solcherBetriebsratsmitglieder aufspürt und dieses schlummernde Potenzialfür die Betriebsratsarbeit mobilisieren. Mit anderen Worten: Nimm dasProblem von seiner besten Seite.5.1. Das Umgehen mit grauen MäusenIn der Gremienarbeit fallen „graue Mäuse“ zunächst einmal gar nichtauf. Auf Dauer wird ihre geringe Beteiligung und Anteilnahme jedochzum Ballast der Arbeit und zum Ärgernis der Aktiven. Jammern oderVorwürfe der Aktiven helfen hier überhaupt nicht. Paradoxerweisebestärkt es die Zurückhaltenden nur in ihrem Gefühl, dass stärkeresEngagement nichts als Arbeit und Ärger einbringen würde.Nur nichtauffallenPassivitätansprechenEiner grauen Maus, um bei diesem Bild zu bleiben, geht es vor allemum eines, sie will nicht von der Katze erwischt werden. Deswegen istsie zurückhaltend, defensiv und auf die eigene Sicherheit bedacht.Versuchen Sie herauszufi nden, vor welcher „Katze“ sie sich fürchtet.Helfen würde, wenn Sie gemeinsam mit diesem Betriebsratsmitgliedeinen Tätigkeitsbereich fi nden, in dem es seine Stärken zur Geltungbringen kann. Sind viele Betriebsratsmitglieder passiv, haben Sie eingrößeres Problem. Dann muss das Thema öffentlich in einer Sitzungangesprochen werden, keinesfalls beiläufi g. Das wäre schon einen48


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeiteigenen Tagesordnungspunkt von zwei Stunden Dauer wert. SprechenSie ohne Vorwurf, aber mit Nachdruck davon, dass die Mitarbeit allerBetriebsratsmitglieder erforderlich ist und unterbreiten Sie Vorschläge,wie die Mitarbeit der Einzelnen aussehen könnte. Es lohnt sich, hierbeiaktivierende Methoden einzusetzen, vielleicht einen externen Moderatorhinzuzuziehen, womöglich auch zuvor Einzelgespräche geführtzu haben. Sonst besteht das Risiko, dass auch jetzt keiner was sagt!Man muss bedenken, dass die Passivität der Mehrheit auch ein Spiegelder Dominanz von wenigen Aktiven sein könnte. Beharrlichkeit isterforderlich.5.2 Das Umgehen mit MaulheldenDas Unangenehme an Maulhelden ist der deutliche Widerspruch zwischenihrem verbalen Auftreten und dem tatsächlichen Verhalten. Jegeringer die Bestätigung, desto größer ihr Bedarf nach wortgewaltigerAusschmückung eigener Heldentaten und Pläne. Für Zuhörer ist dasnervtötend. Es gibt aber auch eine versteckte positive Seite: Maulheldenhaben nämlich tatsächlich ein Gespür dafür, wo etwas getanwerden müsste. Vielleicht lässt sich die negative Seite, dass es ihnenan Entschlossenheit und Fleiß mangelt, dadurch kompensieren, dassman sie als Spürhunde für Chancen einsetzt? Lernen Sie, dem Maulheldengenauer zuzuhören und dann beim Wort zu nehmen. DestillierenSie die positiven Ansätze aus seinen Redebeiträgen und nagelnSie ihn auf seine Vorschlägen verbindlich fest. Motto: Sage mir, welcheIdeen du hast und zugleich, was du selbst praktisch beitragen wirst. “PositiveAspekte5.3 Das Umgehen mit U-BootenVerräter in den eigenen Reihen zu vermuten, ist ein großes Ärgernis fürden Betriebsrat. Es erzeugt Angst. Niemand kann sich sicher sein, obpersönliches Verhalten und private Äußerungen der Geschäftsleitungzugetragen werden. Der psychologische Effekt ist groß, aber der realeEffekt solcher U-Boote auf die Handlungsfähigkeit des Betriebsratswird immens überschätzt. Was ist bei guter Betriebsratsarbeit schonzu verraten? Auch die Geschäftsleitung hat mit undichten Stellenin ihren Reihen zu kämpfen, welche der Betriebsrat natürlich gerneanzapft. Für viele Geschäftsleitungen ist die Mitbestimmung ein zeitraubendesÜbel, weswegen die Versuchung groß ist, möglichst viel vordem Betriebsrat zu verbergen. Für sie ist das Problem der undichtenStellen viel größer.ÜberschätzteFolgenHäufi g wird auch zu Unrecht vermutet, dass es Verräter im Gremiumgibt. In Wirklichkeit war die Strategie des Betriebsrats für den Arbeitgebereinfach leicht zu durchschauen. Es kann auch bloß das bereitserwähnte Sündenbockphänomen sein, das von der eigenen Unfähigkeitablenken soll. Dem Arbeitgeber kann gegenseitiges Misstrauen imBetriebsrat natürlich nur recht sein.49


Mögliche WegeEs gibt Möglichkeiten, gegen U-Boote vorzugehen. Entweder tragenSie direkte Beweise oder Zeugenaussagen zusammen und sorgen fürden Ausschluss des Betreffenden aus dem Gremium oder Sie versuchen,jemanden indirekt zu entlarven. Im ersten Fall müssen Sie beispielsweiseVerstöße gegen den Datenschutz, die Verschwiegenheitspflicht oder die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen nachweisen.Oder jemand verletzt seine Betriebsratspfl ichten, indem er bei KollegenInterna ausplaudert, die das Gremium schlecht machen sollen. Indirektkann man präparierte Informationen gezielt streuen. Sobald der Arbeitgebermit diesen Informationen umgeht, über die er eigentlich gar nichtverfügen kann, haben Sie den Beweis für eine undichte Stelle. WennSie zudem herausfi nden konnten, wer die Informationen weitergegebenhat, ist eine Konfrontation unerlässlich.Aber bevor Sie sich auf Agentenmethoden einlassen, sollte Sie sichüberlegen, ob sich das Gremium einfach in Gelassenheit üben sollte.Manche Gremien nutzen ihr U-Boot gezielt als Informations-Transporter.Mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass eine Information „vertraulich“zu behandeln sei, vertrauen sie darauf, dass das U-Boot inWindeseile für die (insgeheim gewollte) Verbreitung sorgt. Ein effektiverBetriebsrat geht seinen Weg – mit und ohne U-Boot.5.4 Das Umgehen mit HeckenschützenPositiveAspekteVerletzend, entmutigend und herablassend treten einem diese Zeitgenossenentgegen. Mit ihnen scheint keine gute Zusammenarbeitmöglich. Hinter dem verletzenden Verhalten kann ein Hang zum Perfektionismusoder die Revanche für verletzte Ehre stecken. Die positiveSeite können Sie darin fi nden, dass diese Betriebsratsmitglieder einenscharfen Blick für Risiken, Ungenauigkeiten und Oberfl ächlichkeit vonEntscheidungen haben.Einem Heckenschützen kommt es darauf an, Sie aus dem Konzept zubringen. Er macht dies vor Publikum, aber aus der Deckung heraus, zueinem selbst gewählten Zeitpunkt. Sobald Sie als Betroffener einer solchenAttacke verunsichert reagieren, hat er seinen angestrebten Erfolgerreicht. Wenn Sie zu langatmigen Erklärung greifen, ebenfalls. Auchdie nahe liegende Antwort: „Dann mach du es doch besser“, bleibt oftein Schlag ins Leere. Ein bewährtes Mittel ist dagegen diese Frage:„Was wollen Sie mit Ihrer Bemerkung jetzt genau sagen oder erreichen?“Bleibt die Antwort diffus und ausweichend, was häufi g passiert,wiederholen Sie diese Frage unerbittlich. Bestehen Sie auf einerkonkreten Erläuterung. Wenn nur Angriffslust dahinter steckt, werdenSie durch die direkte Konfrontation bald Ruhe erreichen. Stecken ernstzu nehmende Bedenken dahinter oder ist eine erlittene Schmach ausder Vergangenheit der Anlass, sollten Sie das Problem im Zweiergesprächzu lösen versuchen.50


VII. Betriebsratsarbeit ist Teamarbeit5.5 Das Umgehen mit BerufspessimistenEs gibt verzagte Betriebsratsmitglieder, die sich von einem gravierendenMisserfolg nur schwer erholen können. Ihnen Mut zu machen, istnicht unmöglich, denn eigentlich wollten sie etwas erreichen. Danebengibt es aber auch die „berufsmäßigen“ Pessimisten. Sie strebendanach, auch die anderen zu entmutigen. „Da können wir sowiesonichts machen!“, sagen sie oder „Beißt euch ruhig die Zähne aus.“Eine solche Lebenseinstellung, gepaart mit Sendungsbewusstsein istreines Gift für eine effektive Betriebsratsarbeit.Welche Abhilfe gibt es hier? Der wichtigste Hinweis ist wohl der, dasses wenig Sinn macht, einen Berufspessimisten mit Argumenten positivstimmen zu wollen. Es ist einfach leichter für Pessimisten, Argumentefür das Scheitern zu fi nden als für Optimisten, den Erfolg zu garantieren.Problematisch wird es dann, wenn der Betriebsrat glaubt, ermüsse unbedingt ein einstimmiges Votum herbeiführen, bevor er aktivwerden kann. Damit macht er sich quasi beschlussunfähig. Ein wirksameresMittel gegen ständige Unkenrufe ist es, die pessimistischenEinlassungen des Berufspessimisten konstruktiv in die Gremienarbeitzu integrieren. Räumen Sie dem Bedenkenträger zu jedem wichtigenTagesordnungspunkt, jedoch nur für eine festgelegte Zeit, die Gelegenheitein, das Gremium vor allen vorstellbaren Gefahren und Risikenzu warnen. Das Gremium nimmt die Warnungen auf, die man selbstfür bedenkenswert hält und beauftragt den Bedenkenträger damit,für diese zukünftigen Risiken Gegenmaßnahmen zu entwickeln undbei nächster Gelegenheit dem Gremium gegenüber vorzutragen. Aufdiese Weise wird der chronische Pessimismus in einen konstruktivenPessimismus verwandelt.Wege aus derProblemlageSollte diese Form der Einbindung misslingen, sollte man die Argumenteder Berufspessimisten ihrem logischen Höhepunkt zuführen.Was ist die logische Konsequenz, wenn eigentlich alle Aktivitäten desBetriebsrats zum Scheitern verurteilt sind? Niederlegung des Amtes.51


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der SacheDas „A und O“ der effektiven Betriebsratsarbeit sind die eigenen Zielsetzungen.Sie müssen bewusst gewählt und regelmäßig überprüftwerden. Es reicht keinesfalls nur zu wissen, was man nicht will.Ziele müssenumgesetztwerdenEs ist der erste Schritt, die Ziele zu defi nieren. Danach werden die Mittelund Wege gesucht, diese Ziele erfolgreich umzusetzen. Viele Gremienirren im Tagesgeschäft umher, ohne dass sie wichtig und unwichtigunterscheiden. Getrieben von den jeweils neuesten Geschehnissen.Man tröstet sich mit dem Spruch „Der Weg ist das Ziel“ über die eigeneOrientierungslosigkeit hinweg. Richtig ist wohl, dass sowohl der Aufstellungvon Zielen als auch der Entwicklung der dazu passenden Mittelund Wege ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.Denn ganz ohne Ziel ist der Weg kein Weg.1. Kurz-, Mittel- und Langfristiges unter einen HutbekommenEinordnungskriterienEs muss dem Betriebsrat gelingen, die kurz-, mittel- und langfristigenAufgaben ausgewogen zu bearbeiten. Er darf die täglichen Arbeitennicht als „Routinekram“ gering schätzen und oberfl ächlich durchführen.Andererseits darf er sich nicht vom Tagesgeschäft auffressen lassen unddarüber die eigenen strategischen Ziele vergessen. Hier können verschiedeneMethoden des Zeitmanagements hilfreich sein (vgl. Gröschel& Esser: Zeitmanagement 2006). Grundsätzlich können alle Aufgabendes Betriebsrats nach den beiden Entscheidungskriterien Dringlichkeitund Wichtigkeit zugeordnet werden. (Wird daraus eine Matrix gebildet(s. Abb. 6), dann ergeben sich vier Felder mit unterschiedlicher Brisanz:Abbildung 7: Entscheidungsmatrix zur Prioritätensetzung52


Viele Gremien entwickeln die Neigung, bevorzugt dringliche Aufgabenzu bearbeiten. Was wird warum dringlich? Selten geht es um Versäumnissedes Betriebsrats selber, die zur Eile zwingen. Vorzugsweise sindes Angelegenheiten, welche die Geschäftsführung überraschend undmit der begleitenden Botschaft „Wenn nicht umgehend zugestimmtwird, haben wir ein großes Problem“ auf den Betriebsrat einprasselnlässt. Wenn der Betriebsrat ausschließlich unter Termindruck und miteiligen Anfragen beschäftigt ist, kommt er schließlich nicht mehr zuSinnen. Die oft beklagte Situation des „Wir-können-nur-noch-reagieren“ist eingetreten. Es kann noch schlimmer werden, wenn aufgrundder hektischen Betriebsamkeit die Übersicht ganz verloren geht. DasGremium ärgert sich zunehmend darüber, dass es ständig unter Zeitdruckund Stress gesetzt wird. Überlegte Entscheidungen sind nichtmehr möglich, beklagen die Mitglieder. Dennoch stimmen sie regelmäßigzähneknirschend den Vorgaben des Arbeitgebers zu, um sich denVorwurf zu ersparen, dass der Betriebsrat den Laden aufhalten würde.Merke:Der Betriebsrat kann sein betriebspolitisches Mandat zum Schutzder Belegschaft nicht ernsthaft wahrnehmen, wenn er Beschlüssenach dem Prinzip Just-In-Time abwickelt.Gefahren in derPraxisEs ist in einer solchen Situation höchste Zeit für das Ziehen der Notbremse.Besinnen Sie sich als Gremium auf Angelegenheiten, die derBetriebsrat wichtig fi ndet. Beginnen Sie jede Betriebsratssitzung konsequentmit einem Tagesordnungspunkt, der etwas für den BetriebsratBedeutendes zum Thema hat. In der Entscheidungsmatrix von Abb.6 wäre es ein Thema aus der Rubrik links oben (nicht dringlich, aberwichtig). Normalerweise hat jeder Betriebsrat Themen parat, die erschon lange Zeit in Angriff nehmen wollte, für die er aber leider bisherkeine Zeit aufbringen konnte, weil ja so vieles Dringendes abzuarbeitenwar. Sie können ihn den „Strategie-Tagesordnungspunkt“ nennen. Erstim Anschluss daran werden die aktuellen und drängenden Punkte ausdem Tagesgeschäft behandelt. Um Lang- und Kurzfristiges ausgewogenzu behandeln, sollte für den Strategie-Punkt ein fester Zeitrahmeneingeplant werden (z. B. eine halbe Stunde). Damit löst sich das Gremiumvom Diktat der Prioritätensetzung durch den Arbeitgeber undkann zur eigenen Prioritätenfestlegung übergehen .GezielteDiskussion nichteiliger Themen2. Einen strategischen Vorlauf an InformationenerreichenDas Klagelied vieler Betriebsräte besingt die mangelhafte Informationsbereitschaftder Arbeitgeber. Die Erfahrung zeigt übereinstimmend:Wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats benötigt, wirddas Gremium rechtzeitig und umfassend informiert. Hat der Betriebsrateinen eigenen Bedarf oder sucht nach strategischen, wirtschaftli-Sichtweise desArbeitgebers53


chen Informationen, bekommt er sie häufi g nur auf zähes Nachfragenoder gar nicht.Der Arbeitgeber muss es gar nicht darauf anlegen, dem BetriebsratInformationen zu verschweigen. Oft ist für ihn der Informationsstanddes Betriebsrats schlichtweg uninteressant. Aus seiner Sicht ist derBetriebsrat nur das letzte Hindernis, wenn der eigene Entscheidungsprozessbereits zum Abschluss gekommen ist. Aus Arbeitgebersichtist die gesetzliche Pfl icht zur rechtzeitigen und umfassenden Informationdes Betriebsrats vielfach lästig. Moralische Beschwerden desBetriebsrats beeindrucken den Arbeitgeber kaum und helfen nichtweiter. Erkennen Sie die Fakten an. Es ist die unverzichtbare Aufgabedes Betriebsrats, selbst aktiv die für ihn notwendigen Informationenzu bekommen. Mit Fantasie und Nachdruck kann der Betriebsrat dieInformationsbereitschaft des Arbeitgebers erhöhen. Einige Ideen dazu:Tipps zurSteigerung derInformationsbereitschaftdesArbeitgebers• An den Nerven sägen: Jedes Gespräch mit dem Arbeitgeber nutzen,um hartnäckig nach Informationen zu fragen. Mündliche undschriftliche Ermahnungen aussprechen.• Beweise sichern: Zusammentragen, welche Mitglieder derGeschäftsleitung wann und wo dem Betriebsrat nachweislich Informationenvorenthalten oder Fehlinformationen (z. B. Lügen, Halbwahrheiten)verbreitet haben und gegebenenfalls rechtliche Schritte(z. B. gemäß §§ 23 Abs. 3, 119 BetrVG) einleiten.• Konsequenzen spüren lassen: Dem Arbeitgeber zu verstehengeben, dass ein absichtlich dumm gehaltener Betriebsrat in derLage ist, auch sehr „dumme“ Entscheidungen zu treffen, wenn derArbeitgeber seinerseits auf Entscheidungen des Betriebsrats angewiesenist (Motto: „Ehrlich dumm gelaufen!“).• Die Kompetenz des Betriebsrats einbringen: Der Betriebsrat verfügtselbst über Wissen und Informationen, welche der Geschäftsleitungfehlen, die aber für die Funktions- oder Leistungsfähigkeit des Unternehmenswichtig sind. Außerdem hat der Betriebsrat Einfl uss auf dieStimmung im Betrieb und das Verhalten der Belegschaft. Gelegentlichmuss eine Geschäftsleitung mit einer eigenen Fehlentscheidungerst einmal „gegen die Wand“ gelaufen sein, um den Betriebsrat alskompetenten Partner zur Kenntnis zu nehmen. Auch das kann imEinzelfall die zukünftige Informationsbereitschaft erhöhen.Dies sind Versuche, auf das Informationsverhalten der Geschäftsleitungdirekten Einfl uss zu nehmen. Es bleibt jedoch stets die Abhängigkeitvon der anderen Seite und die Unsicherheit, ob die Geschäftsleitungauf faire Weise mitspielt. Der Betriebsrat gerät in Verhandlungen regelmäßigins Hintertreffen, wenn er die notwendigen Informationen immererst unmittelbar zu dem Zeitpunkt bekommt, an dem die Entscheidunggetroffen werden muss. Entscheidungen in Hektik und Unübersichtlichkeitzu treffen ist außerdem mit einem hohen Fehlerrisiko behaftet.Der Betriebsrat ist also gut beraten, wenn er einen Informationsvorlauf54


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sacheerreicht. Bei akutem Bedarf kann er sich mit einem Fragenkatalog systematischan die notwendigen Informationen heran arbeiten:Fragenkatalog bei aktuellem Informationsbedarf1. Was genau ist das Problem?2. Was wissen wir schon darüber (Vorwissen aktualisieren)?3. Was wissen wir nicht, müssen wir aber unbedingt wissen?4. Wer weiß Bescheid? Wo sind Informationen zu bekommen?5. Was verstehen wir nicht? Woher bekommen wir Expertenrat?6. Wie überprüfen wir die Informationen auf Richtigkeit?7. Können wir das Problem/ die Aufgabenstellung jetzt lösen bzw. hinreichendeinschätzen?Generell kann das Gremium seinen Bedarf nur durch den Aufbau eineseigenen Informationssystems absichern.Merke:Der Betriebsrat braucht ein eigenes systematisches Konzept derInformationsbeschaffung und -verarbeitung.Ein solches System ist auch für <strong>Interessenvertretung</strong>en sinnvoll, beidenen die Geschäftsleitung nicht mit Informationen geizt. BedenkenSie, dass es keine Informationen „an sich“ gibt, welche für jedermannden gleichen Nutzen haben. Viele Daten der Geschäftsleitung sindausschließlich für die geschäftlichen Ziele des Unternehmens aufbereitet(z. B. die Bilanz). Der Betriebsrat kann die Daten meistens erstdann nutzbringend anwenden, wenn er sie entsprechend der eigenenErfordernisse aufbereitet und eingeordnet hat. Ein Hilfsmittel für diesystematische Eingrenzung der für eine Problemlösung notwendigenInformationen ist im folgenden Fragenkatalog dargestellt:Leitfragen für systematische Informationsgewinnung: (Beispiel)1. Welche Informationen brauchen wir regelmäßig?2. Wo sind neue und verlässliche Informationsquellen?(Beständige Suche nach neuen Informationsquellen)3. Wie lassen sich die Quellen erschließen?4. Welche externen Informationsquellen sind nutzbar?(z. B. Internet, Gewerkschaft, Anwalt)5. Wie pfl egen und wo speichern wir Informationen?(z. B. Archiv, Unterlagen, Erfahrung, Belegschaft)Eigene InformationsbeschaffungDer Betriebsrat sollte in der Belegschaft eine positive Informationsbereitschaftgegenüber dem Gremium erzeugen. Als Gegenleistung sollteder Betriebsrat seinerseits die Belegschaft regelmäßig und offen informieren.Möglicherweise muss die Belegschaft erst überzeugt werden,dass Informationen aus der Belegschaft den Einfl uss und die Handlungsmöglichkeitendes Betriebsrats stärken würden.Positive Informationsbereitschafterzeugen55


3. Bemühen Sie sich um eine FolgenabschätzungWenn auch die mittel- bis langfristigen Folgen einer Entscheidungabgeschätzt werden, lassen sich effektivere Entscheidungen treffen.Der Blick auf die möglichen Verläufe in der Zukunft bietet die Möglichkeit,die Entscheidung so weit zu modifi zieren, dass ungewollteschlechte Entwicklungen weitgehend ausgeschaltet oder rechtzei-FehlentscheidungenvermeidenMöglicheFehlerquellenPlanspielDas im Betriebsverfassungsgesetz vorgegebene Mittel, um Entscheidungenzu treffen, heißt Beschluss. Für alle Fragen, wie Beschlüssedes Betriebsrats rechtswirksam gefasst werden können, sollten Sie dieBroschüre „Die Arbeit im Betriebsratsgremium“ von Inge Böttcher zurHand nehmen. An dieser Stelle möchte ich darauf eingehen, wie sichdas Risiko von Fehlentscheidungen verkleinern lässt und wie die Akzeptanzvon Entscheidungen innerhalb des Gremiums erhöht werden kann.Es gilt möglichst zu vermeiden, dass der Betriebsrat nachträglichvon der negativen Entwicklung eines seiner Beschlüsse wie vom Blitzgetroffen wird. Man kann Fehleinschätzungen natürlich niemals völligausschließen. Deshalb solle insbesondere bei weit reichenden Entscheidungendes Betriebsrats, etwa dem Abschluss einer wichtigenBetriebsvereinbarung, die absehbaren, aber auch die eher unwahrscheinlichenFolgen gründlich durchgespielt werden. Das Gremiumkönnte hierfür eine Art strategisches Planspiel durchführen, eventuellmit verteilten Rollen oder unter Hinzuziehung von externen Experten.Welche unerwarteten Folgen könnten eintreten? Es fragt sich natürlich,wie man denn über Unerwartetes nachdenken kann? Es funktioniertüberraschend gut mit Hilfe von vorbereiteten, neutralen Leitfragen.Probieren Sie es einmal aus.Hilfreiche Fragen zur Folgenabschätzung:• Wie werden sich die durch unsere Entscheidung eingeleitetenVeränderungen auf die anderen Gruppierungen kurz-, mittelundlangfristig auswirken (direkte, indirekte, positive, negative,neutrale, ambivalente Wirkungen)?• Wie werden die Gruppierungen und das Machtzentrum dieseVeränderungen zum Augenblick der Entscheidung und in zwei,drei Jahren schlimmstenfalls bewerten?• Was könnte schlimmstenfalls alles geschehen? Was könnte sichbesonders positiv entwickeln?• Welche Maßnahmen werden diese Machtzentren zu ihrer Interessenwahrungergreifen?• Welche außerbetrieblichen Kräfte sind durch unsere Entscheidungmöglicherweise betroffen (Gewerkschaft, Rechtsprechung,Politik, Markt) und welche Rückwirkungen könnte das für unshaben?56


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sachetig fl ankierende Maßnahmen getroffen werden können. FlankierendeMaßnahmen lassen sich anhand ergänzender Fragen herausarbeiten:• Wie können wir die negativen Auswirkungen für andere dämpfen?• Wie können wir einer negativen Bewertung durch die andere Seitevorbeugen?• Welche Vorbeugung gibt es gegen die zu erwartenden Gegenmaßnahmen?• Wie können die eigenen Leute auf eventuelle Nachteile vorbereitetwerden?FlankierendeMaßnahmenFragenkatalogWarnung: Die Folgeabschätzung ist ein wichtiges kritisches Mittel, ummit Entscheidungen nicht auf die Nase zu fallen. Ganz auszuschließenist diese Gefahr jedoch niemals. Eine sachgerechte Folgeabschätzungkann den Beschluss des Gremiums optimieren und die Zustimmungder Betriebsratsmitglieder auf eine bessere Basis stellen. Allerdingsbesteht die Gefahr, dass die ewigen Bedenkenträger hier die Oberhandgewinnen und das Gremium in endlose Debatten verwickelnbzw. das Gremium komplett von wichtigen Entscheidungen abhalten,weil ja immer noch ein Restrisiko, das man nicht beherrschen könne,droht. Es kommt – wie bei anderen Tätigkeiten des Betriebsrats – auchhierbei auf das richtige Augenmaß an.4. Warum Sie bei jeder Sachentscheidung auch dieBeziehungen beachten solltenWer die Mehrheit sicher hinter sich hat, empfi ndet die schnell herbeigeführteAbstimmung als das ideale Mittel, um vorwärts zu kommen.Aber mit leichtfertigen Mehrheitsbeschlüssen kann das soziale Klimaim Betriebsrat auf Dauer eingetrübt werden. Der leichte „Sieg“ mit Hilfeeiner durchgezogenen Abstimmung kann in einen dauerhaften „Guerillakrieg“mit den Überstimmten münden.Merke:Für das Betriebsklima im Betriebsrat ist zu vermeiden, dass es beiAbstimmungen „Sieger“ und „Besiegte“ gibt.Manchmal scheint sich das Ende der Diskussion anzubahnen, dieAbstimmung ist nur noch Formsache. Dann die Wortmeldung einesErsatzmitgliedes, dass ihm das alles noch nicht einleuchtet. „Nein, nichtnoch mal von vorne!“, denkt die Vorsitzende und führt kurzerhand eineAbstimmung durch. Insbesondere dann, wenn die Zeit drängt, werdenkritische Beiträge häufi ger als störend empfunden. Es ist klar, dass dasBetriebsratsgremium nicht alle Zeit der Welt hat. Es kann nicht allesendlos ausdiskutiert werden, bis ausnahmslos alle Bedenken ausgeräumtsind und alle Beteiligten dieselbe Ansicht teilen. Dennoch, einAbbügeln mittels Abstimmung kann nach hinten losgehen.57


MinderheitenbeachtenBleiben die Meinungen bis zum Schluss unvereinbar, muss eineabschließende Abstimmung die Diskussion zu einem Ende bringen.Zum Erhalt des Betriebsklimas im Betriebsrat wären folgende fl ankierendenMaßnahmen empfehlenswert: Geben Sie als Vorsitzende derMinderheit aus Gründen der Fairness ausreichend Zeit zur Darstellungihrer Position. Lassen Sie aber auch kein Manöver zu, wenn dieMinderheit über Tagesordnungstricks oder verbale Mittel versucht, dieabsehbare Abstimmungsniederlage zu verhindern. Wichtig ist:• Keine Polemik und Häme ins Spiel bringen, sondern sachlich bleiben.• Beide gegnerischen Positionen sachlich zusammenfassen.• Abstimmen lassen (die Debatte zu einem Ende bringen).• Soweit es zeitlich und thematisch möglich ist, sollten zu einem strittigenThema alle Betriebsratsmitglieder Stellung genommen haben.Konsens ist erstrebenswert, dieses Bestreben sollte jedoch nichtzu einem krampfhaften Zwang ausarten. Was zu tun ist, wenn sichdas Gremium mit einer Entscheidung schwer tut, zeigt der folgendeAbschnitt.5. Entscheidungsprobleme überwindenDie betriebliche Praxis zeigt, dass Betriebsräte relativ häufi g Entscheidungenunter Zeitdruck oder auf der Basis unzuverlässiger Informationentreffen müssen. Wie kann unter diesen Bedingungen ein effektivesArbeiten erreicht werden?5.1 Wenn Entscheidungen häufig zu schnell getroffen werdenRisikenvorschnellerEntscheidungenNachdem sich in kurzer Zeit mehrere Beschlüsse als fehlerhaft oderunzureichend herausgestellt haben, hat das Gremium ein Problem. Leiderführen oberfl ächliche Entscheidungen oft zu nachträglicher Rechtfertigungstatt zu kritischer Refl exion. Beispielsweise wird moniert,dass die Geschäftsleitung den Betriebsrat ungebührlich unter Druckgesetzt hätte und ihm keine Wahl gelassen habe. Mag ja stimmen,aber es fragt sich doch, wieso der Betriebsrat wiederholt in eine solcheSituation geraten ist. Woran hat es gelegen? Stimmen die Prioritätennicht, die Aufgabenverteilung oder war man schlicht zu naiv? ÜbereilteEntscheidungen können zustande kommen, weil man internen Konflikten aus dem Weg gehen wollte. Lieber Entscheidungen ohne großeDiskussion gefällt, mit der Folge, dass dem Zufall überlassen wird, obdie Beschlüsse sachgerecht ausfallen. Wenn es bereits soweit gekommenist, kommt ein Gremium ohne externe Beratung, etwa durch eineGewerkschaftssekretärin und einen Sachverständigen, nicht wieder indie Spur.58


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sache5.2 Wenn Meinungsverschiedenheiten die EntscheidungverhindernMöglicherweise erleben Sie, dass wichtige Entscheidungen von Sitzungzu Sitzung verschleppt werden. Diese mangelnde Entscheidungsfreudehat wahrscheinlich eine der vier folgenden Ursachen:• Unabsehbare Folgen: Ist das Risiko einer Entscheidung für dieBetriebsratsmitglieder vermutlich sehr groß, aber nicht wirklichabzuschätzen, dann besteht schon eine Tendenz zum Entscheidungsvermeiden.Dieses Verhalten ist auch bei extremem Zeitdruckzu beobachten. Es gründet in der Hoffnung, dass sich die Problemlagevielleicht irgendwie von selbst aufl öst und der Handlungsdrucknachlässt. Besonders häufi g wird argumentiert, dass man erst einmal„mehr Informationen“ benötige, um sachgerecht entscheidenzu können. Die Suche nach mehr und besseren Informationen dientin diesem Fall allerdings der Entscheidungsvermeidung.Merke:Der wiederholte Ruf, dass man erst einmal „mehr Informationen“bräuchte, kann ein Vorwand sein, um sich vor einer unliebsamenEntscheidung zu drücken.UrsachenmangelnderEntscheidungsfreudeWas tun? Im Prinzip ist jede Entscheidung mit dem Problem behaftet,dass immer mit einem Defi zit an Informationen entschieden werdenmuss und dass es immer ein gewisses Restrisiko gibt. Die Situationdes Entscheidens bedeutet geradezu zwangsläufi g, dass jemand aneiner Wegscheide steht und einen der möglichen Wege gehen muss.Da niemand zwei Wege gleichzeitig beschreiten kann, können mitder getroffenen Entscheidung die anderen Wege zwangsläufi g nichtbeschritten werden. Stoßen Sie das Gremium mit der Nase auf daseigene Vermeidungsverhalten. Plädieren Sie für eine souveräne Entscheidungsfindung nach allen Regeln der Kunst: Informationsbeschaffung,Bewertung, Beschluss, Maßnahmeplan, Folgenabschätzungusw. Machen Sie darauf aufmerksam, dass Nichtentscheiden nichtdazu führt, dass die Welt stehen bleibt. Andere haben dann das Heftin der Hand.Mut zur Lücke• Unklare Details: Für manche Betriebsratsmitglieder sind gewisseDetailfragen von weit größerer Bedeutung als für die anderen. Siebestehen auf der Klärung dieser Fragen, bevor sie eine Beschlussfassungbefürworten können.Was tun? Suchen Sie das Gespräch mit diesen besorgten Betriebsratsmitgliedern.Können die Bedenken klar formuliert werden, solltees möglich sein, die zugrunde liegenden Fragen und Risiken zu klären.Manche können ihre Bedenken aber nicht gut in Worte fassen,sondern haben nur so ein „Bauchgefühl“. Durch aktives Fragen und59


aktives Zuhören sollte sich dieses Bauchgefühl letztlich doch in Wortefassen lassen. Danach sollen auch solche Bedenken auf Stichhaltigkeitzu prüfen sein. Entweder es ist etwas Konkretes dran oder eben nicht.Der Weg zur Abstimmung sollte geebnet sein.Ängsteüberwinden• Furcht vor persönlichen Nachteilen: Es gibt Fälle, in denen die vorgetragenensachlichen Bedenken nur vorgeschoben sind. Tatsächlichgeht es um Befürchtungen, dass ein Beschluss zu negativenpersönlichen Konsequenzen führen könnte. Manches Betriebsratsmitgliedhat Angst vor Angriffen der eigenen Kollegen oder vonMitgliedern der Geschäftsleitung, wenn ein bestimmter Beschlussgetroffen wird. Manche scheuen sich davor, die Verantwortung unddas Risiko einer weit reichenden Entscheidung zu tragen.Was tun? In sachlicher Hinsicht kann eine Folgenabschätzung helfen.Bei Übergriffen gegen Betriebsratsmitgliedern stehen ja auch rechtlicheMöglichkeiten zur Verfügung (etwa §119 BetrVG). Manchmalwird jedoch persönliche Feigheit, die Verteidigung von persönlichenVorteilen oder die Scheu vor Verantwortung hinter Sachargumentengegen einen Beschluss versteckt. Diese vermuteten persönlichenGründe sollten ebenfalls in die Diskussion eingebracht werden. Es istja nichts Verwerfl iches, dass Betriebsratsmitglieder auch persönlicheInteressen berücksichtigen, allerdings muss hier mit offenen Kartengespielt werden, Werden persönliche Vorteile oder Ängste dauerhafthinter Sachargumenten versteckt, stellt sich mitunter die Frage, ob dieMitgliedschaft im Betriebsrat eine gute Entscheidung gewesen ist?• Jemandem passt die ganze Situation nicht: Manches Betriebsratsmitgliedvermag einfach nicht einzusehen, dass im Augenblick dieMehrheitsmeinung in eine andere Richtung tendiert, als er sich vorstellt.Er versucht dann, einen Beschluss mit verbalen Kraftaktenoder Kritik an unwesentlichen Detailfragen zu verhindern. Solangekein Beschluss gefällt ist, rechnet er sich noch Chancen aus, dieEntscheidung in die von ihm gewünschte Richtung umzulenken.Was tun? Sobald man Grund zu der Annahme hat, dass ein Mitglied(oder eine Minderheit) sich dieser Taktik bedient, sollte man ein6-Augen-Gespräch mit dem betreffenden Mitglied führen. Dabei sollteauf die demokratischen Prinzipien der Arbeit im Gremium hingewiesenwerden. Wenn das zu keiner Einsicht und zu keinem Einlenkenführt, sollte im Plenum die Diskussion ordnungsgemäß zu einem Endegebracht werden und eine abschließende Abstimmung durchgeführtwerden. Handlungsfähigkeit des Gremiums hat in diesem Fall Vorrangvor Harmoniebedürfnissen..Stimmenthaltungen sind nicht neutral. Manchmal möchten einzelneBetriebsratsmitglieder aus unterschiedlichen Gründen ihre Neutralitätdurch Stimmenthaltung bekunden, ohne dass sie den Beschluss desGremiums insgesamt verhindern wollen. Weil nach § 33 Abs. 1 BetrVG60


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sachedie Mehrheit der Stimmen für einen wirksamen Beschluss erforderlichist, können Enthaltungen wie Gegenstimmen wirken. Um hier unnötigenKonfl ikten vorzubeugen, sollte über diesen Umstand aufgeklärtwerden und gegebenenfalls die Formulierung des Beschlusses sogefasst werden, dass er durch Enthaltungen nicht blockiert werdenkann. Eine abstimmungsneutrale Möglichkeit, seine Bedenken auszudrücken,besteht darin, der Abstimmung fernzubleiben.5.3 Wenn Entscheidungen unter großem Zeitdruck zustandekommen müssenDas Problem des Zeitdrucks ist bereits mehrfach erwähnt worden,weil es sich um einen besonders wichtigen Widersacher von effektiverBetriebsratsarbeit handelt. Unter Zeitdruck zu handeln, bedeutetzunächst einmal Stress für die Beteiligten. Dieser ist nicht nur körperlichund seelisch belastend, sondern vermindert auf Dauer auch diegeistige Beweglichkeit. Unter Stress werden naturgemäß altbewährte(stereotype) Handlungsmuster verwendet, weil keine Zeit zur Verfügungsteht, um in Ruhe über Neues nachzudenken.Stress ist einStörfaktorÄußerer Zeitdruck fördert innere Hektik. Die Betriebsratsmitgliedergewinnen den Eindruck, dass nicht einmal genügend Zeit vorhandenist, um alle verfügbaren Informationen angemessen zu berücksichtigen.Die Gefahr besteht, dass eine hektische Auswahl der Informationennach simplen Kriterien erfolgt. Häufi g werden in Stresssituationennur noch Informationen genutzt, die den Beteiligten bereits vertrautsind – weil sie Handlungssicherheit suggerieren – oder solche Informationen,die in irgendeiner Form besonders auffällig sind und dadurcheine – wie auch immer geartete – Wichtigkeit vorspiegeln. Tatsächlichsind dies aber nicht unbedingt die entscheidenden Informationen.Eine Überprüfung der eigenen Auswahlkriterien für Informationen wirdaus Zeitgründen unterlassen. Eine systematische Bearbeitung scheintebenfalls zu viel Zeit zu kosten. Die Informationen, mit denen sich dasGremium aus der Zeitnot heraus zufrieden gibt, vermögen nicht dienotwendige Entscheidungssicherheit zu geben.Zeitdruck verursacht insofern stets besondere Angst vor einer Fehlentscheidung.Wem nicht genügend Zeit zum Nachdenken gewährtwird, bei dem entsteht das ungute Gefühl, die Folgen des eigenenHandelns nicht mehr absehen zu können. In einer solchen Situationbefi nden sich Betriebsräte immer dann, wenn ihnen vom Arbeitgebersgedroht wird (z.B. „Wenn Sie bis morgen nicht zustimmen, verlagernwir die Produktion“). Während der Arbeitgeber die Situation nur alsgeringe Zuspitzung des Verhandlungspokers von Druck und Gegendrucksieht, ist die Situation für den Betriebsrat existenziell bedrohlich.Diese Drucksituationen können vom äußeren Rahmen, aber auchvom inneren Befi nden der beteiligten Betriebsratsmitglieder her dermaßenbelastend sein, dass sie lieber irgend etwas entscheiden alsdiese Situation der Ungewissheit länger aushalten zu müssen. In einerBeliebtesArbeitgeberverhalten61


Entdeckung derLangsamkeitsolchen Situation hilft nur, aus dem Teufelskreis herauszutreten unddie „Langsamkeit zu entdecken“: Es bedeutet: Bündnispartner undrechtliche Unterstützung suchen, Klausurtagung zu den anstehendenThemen durchführen, den Druck an die Arbeitgeberseite zurückgebenund schließlich die Themen Schritt für Schritt im eigenen Rhythmusabarbeiten.6. Entscheidungen umsetzen und ErfolgskontrolleEntscheidungen zu treffen ist eine Sache, sie durch persönlichen Einsatzauch umzusetzen und mit Leben zu füllen, ist eine andere. Mancheswird mit Euphorie beschlossen; aber im Laufe der Zeit sinkt dieeingesetzte Energie gegen Null oder das Thema wird einfach irgendwie„vergessen“. Hier geht es nicht um die Beschlüsse, in denen derBetriebsrat Maßnahmen des Arbeitgebers lediglich zustimmen musste(die Maßnahmen werden dann vom Arbeitgeber umgesetzt). Es gehtum Beschlüsse, die eigene Aktivitäten zur Folge haben. Das könneneigene Maßnahmen des Betriebsrats sein (z.B. Entwurf einer Betriebsvereinbarung;Vorbereitung einer Betriebsversammlung; Fragebogen),aber auch Kontrollaktivitäten in Bezug auf die Maßnahmen des Arbeitgebers(z.B. Einhaltung von Gesetzen und Vereinbarungen).6.1 Wie Sie sich das peinliche Schweigen nach der Frage„Wer macht’s?“ ersparenAktive Betriebsräte haben Zeitprobleme. Das ist ein Jammer, aberdieses Problem begleitet die erfolgreiche Betriebsratsarbeit auf Schrittund Tritt. (Ironischerweise haben auch schlecht aufgestellte Betriebsratgremien„keine Zeit“.) Ein frustrierendes Phänomen nach erfolgterBeschlussfassung ist das Schweigen, wenn es um die Frage geht,wer die Aufgaben persönlich übernimmt, die mit dem betreffendenBeschluss verbunden sind.Häufi geanzutreffendeSituationEine typische „Lösung“ einer solchen unangenehmen Situation bestehtdarin, dass diejenigen, die ohnehin die meisten Aufgaben erledigen,auch noch diese übernehmen. Dies wird zwar verärgert kommentiert:„Na gut, dann mache ich es eben selbst“. Das schlechte Gewissen derandern ändert am Prinzip der ungerechten Arbeitsverteilung nichts. DieUnlust zur Übernahme einer Aufgabe kann ein Signal für eine allgemeineÜberlastung sein. Dann sollte der Betriebsrat seinen Tätigkeitskatalogentrümpeln. Vielleicht stehen auch Aufwand und Effekt dieserspeziellen Aufgabe zueinander in keinem guten Verhältnis. Häufi g spieltlediglich menschliche Faulheit eine Rolle. Dann wird eben gepokert:Die Person, welche die Situation am wenigsten aushalten kann, wirdsich zur Erledigung der anstehenden Aufgabe schon noch melden. Mitetwas Fantasie lässt sich diese unerfreuliche Situation vermeiden. Hiereinige Vorschläge:62


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der Sache• Reihum-Verfahren: Die Protokollführung führt eine fortlaufendeListe. Es wird vereinbart, dass jedes Betriebsratsmitglied der Reihenach verpfl ichtet ist, die jeweils nächste Aufgabe, die niemand erledigenwill, zu übernehmen. Dabei kommt es nicht auf den Umfangder Aufgabe an.• Lose verteilen, Streichhölzer ziehen (eine besondere Regelung fürdie Abwesenden muss jedoch mitbedacht werden, weil diese sonstregelmäßig um Aufgaben herumkommen).• Offi zielles Pokern: Die Frage: „Wer macht’s?“ wird nicht mehrgestellt. Das Gremium bleibt so lange sitzen, bis sich jemand zurErledigung der anstehenden Tätigkeit bereit erklärt. Ausgenommensind diejenigen, die beim letzten Mal eine solche Aufgabe übernommenhaben.• Gute Geschäftsverteilung: Durch klare Abgrenzung der Zuständigkeitenist ohnehin klar, wer welche Aufgaben erledigen muss. Einegründliche Zeitanalyse für den Betriebsrat und jedes einzelne Mitgliedwird durchgeführt und bei Bedarf eine neue Geschäftsverteilungvereinbart. Dies wäre aus klimatischem und organisatorischemBlickwinkel die nachhaltigste Lösung.• Kompromisslos streichen: Nach kurzer erfolgloser Beratung wirddie Aufgabe, die keiner erledigen will, kompromisslos aus demArbeitsprogramm des Betriebsrats gestrichen. Diese Entscheidungwird – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen – öffentlichbekannt gemacht.Wege aus derKrise6.2 Wo ist die Leine für den inneren Schweinehund?Mit guten Absichten ist der Weg in die Hölle gepfl astert, heißt es. DerBetriebsrat darf keinesfalls ein Gremium der guten Erklärungen undrichtigen Beschlüsse sein, der aber praktisch kaum etwas konsequentzu Ende bringt.Wer als Betriebsrat seine eigenen Beschlüsse und Vorhaben nicht mitaller Ernsthaftigkeit umsetzen will, kann alles vergessen, was er odersie jemals über Effektivität gelesen hat. Aber manchmal geht etwasim Trubel der verschiedenen Projekte und Aufgaben unter. Die Mittelder Wahl für jedes Betriebsratsmitglied persönlich sind To-Do-Listenund ein gut geführter Kalender (vgl. Gröschel & Esser: Zeitmanagement2006). Das Mittel der Wahl für das Gremium ist die organisierteAblauf- und Erfolgskontrolle. Am besten führt der Schriftführer oder dieVorsitzende eine systematische Wiedervorlage. Jeder Beschluss wirddort mit Ziel, Zuständigkeit und Arbeitsschritten in einem speziellenBeschlussblatt festgehalten. Regelmäßig zur nächsten Sitzung wirddie Umsetzung der Vorhaben geprüft. Sowie bei der Abwicklung Verzögerungenund Schwierigkeiten zu erkennen sind, muss das Themaberaten werden und ergänzenden Maßnahmen zur Sicherstellung derUmsetzung getroffen werden.FortlaufendeKontrolle63


Nur dann, wenn der Betriebsrat seine eigenen Beschlüsse konsequentbis zur Abwicklung der letzten erforderlichen Handlungsschritte verfolgt,kann er für sich in Anspruch nehmen, effektive Betriebsratsarbeit zu leisten.Es empfi ehlt sich, entsprechende Formblätter zur Aufgabenerledigungherzustellen. Das könnte ein „Laufzettel“ zur Sicherstellung derUmsetzung von Beschlüssen sein, ebenso geeignet wäre ein Beschlussbuch,in dem die Aufgabenerledigung nachgehalten wird (vgl. Abb. 8).Abbildung 8 : „Laufzettel“ des Betriebsrats zur Beschlussumsetzung64


VIII. Systematisches, zielorientiertesVorgehen in der SacheMit gründlichem Nachdenken über die eigenen Vorheben und Ziele,mit einer systematischen Bestandsaufnahme der betrieblichen Wirklichkeitund Zukunft und mit der Aufstellung von eigenen Maßnahmeplänenhat der Betriebsrat alle Voraussetzungen geschaffen, um selbstzu gestalten, anstatt bloß zu reagieren.Ein agierender Betriebsrat fi ndet ja keine andere betriebliche Realitätvor als ein Betriebsrat, der darüber klagt, dass er immer nur reagierenkann. Auch seine rechtliche Position ist keine andere. Ein Unterschiedbesteht darin, dass der agierende Betriebsrat genauer weiß, was erwill und was er kann. Er treibt aktiv eigene Vorhaben voran. Daherentwickelt er eine aktive, umfassende Informationspolitik, die ihn vomInformationsverhalten der Geschäftsleitung unabhängiger macht. Deswegenist er von neuen Vorhaben des Arbeitgebers kaum zu überraschen.Plötzliche Anfrage des Arbeitgebers lösen beim agierendenBetriebsrat keine Hektik aus, sondern führen zu konzentrierten Maßnahmeneines gut eingespielten Feuerwehr-Teams, das die entscheidendenHandgriffe im Schlaf kennt.65


IX. Problemlösen – Kernkompetenz vonBetriebsrätenProbleme systematisch lösen zu können, diese Fähigkeit sollte zurKernkompetenz jedes Betriebsratsmitgliedes gehören. Der Betriebsratist bekanntlich nicht für alle Arten von Problemen zuständig, die imBetrieb auftreten. Sein Einsatz ist insbesondere immer dann gefragt,wenn es um die berechtigten Belange und Interessen der Beschäftigtengeht, also im weitesten Sinne um Themen wie Gerechtigkeit,Gefahren, Konfl ikte, Diskriminierung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsbeziehungen,Gesundheit, Regeln, Fairness, berufl iches Fortkommenoder etwa um gerechte Bezahlung und Erhalt von Arbeitsplätzen.Betriebsratsmitglieder, die als gute Problemlöser bekannt sind, werdenhäufi g um Hilfe gebeten. Zum einen liegt es an den oft konfl iktträchtigenbetrieblichen Strukturen. Ohne Unterstützung durch den(mit betrieblicher Macht ausgestatteten) Betriebsrat scheint es vielenBeschäftigten riskant, Probleme in Eigeninitiative aus der Welt schaffenzu wollen. Zum anderen liegt es daran, dass viele Menschen sowiesounsystematisch an Probleme herangehen, sobald ihnen das Terrainunvertraut ist. Schnell fühlen sie sich dann irritiert, gestresst und verunsichert.Eine menschlich verständliche, aber doch unproduktiveUmgehensweise mit einem Problem ist beispielsweise, sich dauerhaftüber die Existenz des Problems zu ärgern, ohne etwas zur Lösungbeizutragen. Verbreitet ist auch die Unsitte, lediglich einen Schuldigenfür ein aufgetauchtes Problem zu suchen und zu hoffen, damit sei dieSache erledigt. Der häufi gste Fehler beim Problemlösen dürfte allerdingsdie Tendenz sein, die erstbeste aufkommende Idee für die tatsächlichbeste Lösung zu halten.Über solche Unzulänglichkeiten beim Problemlösen muss man sichwundern, denn schließlich sind das Umgehen mit Schwierigkeiten unddas Lösen von Problemen menschliches Alltagsgeschäft. Der PhilosophKarl Popper hat das mit dem Satz ausgedrückt: „Das Leben istProblemlösen.“66


Abbildung 9: Lösungen für einfache und komplexe ProblemeFoto: Axel Esser 2009Die typischen Schwierigkeiten beim Problemlösen kommen wohldaher, dass den wenigsten bewusst ist, wie sie „es“ denn eigentlichmachen. Wer jedoch immer nur spontan und irgendwie auf ein Problemreagiert, hat es schwer, sein Verhalten zu optimieren. Dabei ist esgar nicht so schwer, gutes Problemlösen zu lernen und zu verbessern.Es gibt bewährte Vorgehensweisen, die sich auf die unterschiedlichstenProblemfälle anwenden lassen. Betriebsratsratsmitglieder sind alsgefragte Problemlöser im Betrieb gut beraten, ihre Fähigkeiten hierbeisystematisch auszubauen.1. Probleme sind RätselEs dürfte jedem klar sein, dass ein Violinschlüssel in der Autowerkstattvon geringem Nutzen ist. Es ist ein Werkzeug für den Musiker,aber nicht für den Automechaniker. Beim Problemlösen ist es ganzgenauso, es gibt dafür nützliche, weniger nützliche und ganz und garunbrauchbare Werkzeuge. Aber woher können wir wissen, welcheWerkzeuge nützlich sind? Dazu müssen wir als erstes wissen, um wases sich bei dem Phänomen „Problem“ handelt.Ich habe ein Problem, wenn ich merke, dass ich nicht weiter weiß ...Jeder weiß, dass ein Problem eine Störung oder Schwierigkeit ist.Wenn wir genauer darüber nachdenken, wird klar, dass es aber einebesondere Art vor Störung ist, keine beiläufi ge und harmlose. Erfahrungsgemäßtreten bei der Abwicklung von Aufgaben regelmäßigirgendwelche Störungen auf. Normalerweise wissen wir dann aber67


genau, was zu tun ist, um diese Störung zu beseitigen. Ein paar routinemäßigeHandgriffe oder Zusatzaktivitäten - und die Sache läuft ihrenvorgesehenen Weg. Aus jeder Aufgabe kann aber ein Problem werden,wenn besondere Schwierigkeiten auftreten, die durch die üblichenund bekannten Handlungsweisen nicht aus dem Weg geräumtwerden können. Ein Problem kann auch auftreten, wenn ein Ziel oderein zufrieden stellender Zustand bereits erreicht scheint, aber mandurch die unerwartet auftretende Schwierigkeit wieder zurückgeworfenwird. Die erste Besonderheit am Problem ist, dass es das Erreicheneines Ziels in Frage stellt.Die drei wichtigsten Elemente eines Problems sind:Ein Problem entsteht, wenn die Bewältigung einer Aufgabe, der Erhalteines befriedigenden Zustandes oder die Zielerreichung nicht gelingt,das heißt, es gibt eine Schwierigkeit.Diese Schwierigkeit ist eingetreten, weil starke Hindernisse oderunvorhergesehene Störungen aufgetreten sind, die durch Routinennicht bewältigt werden können. Das heißt, im Augenblick ist es mirein Rätsel, wie ich die Sache zu einem guten Ende bringen kann. Zuguter Letzt muss ich mir eingestehen, dass meine verfügbaren Mittel,Methoden, Kenntnisse oder Fähigkeiten (zunächst) unzureichendsind und für mich auf den ersten Blick keine echte Lösung in Sicht ist.Das heißt, um die eingetretene Schwierigkeit zu überwinden, muss icheinige zusätzliche Aktivitäten einleiten: ich muss mir Mühe machen. Esist erhöhter Aufwand erforderlich, aber die Zielerreichung unter diesenveränderten Umständen ist trotzdem nicht garantiert.Die drei wichtigsten Elemente eines Problems sind mit den BegriffenSchwierigkeit, Rätsel und Mühe dargestellt. Wie helfen diese Überlegungenfür den praktischen Umgang mit Problemen?Der Aspekt der ungewollten Schwierigkeit bedeutet:Probleme sind unvermeidbare Begleiterscheinungen im Leben.Ein Problem kommt immer unpassend!Sich ärgern verstärkt das Problem. Akzeptiere: Du hast dasProblem.Niemand ist begeistert, wenn er mit einem (unerwarteten) Problemkonfrontiert ist. Wenn mir aber bewusst bleibt, dass Probleme eineganz normale Begleiterscheinung des Lebens sind, die leider regelmäßigdann auftauchen, wenn sie am wenigsten gebraucht werden,ist viel gewonnen. Dann kann ich mir sagen: „Okay, es ist mal wiedersoweit!“ und umgehend in meinen Problemlöse-Modus umschalten,anstatt in Selbstmitleid oder Ärger zu versinken oder mich bei derSuche nach Schuldigen zu verirren.68


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von BetriebsrätenDer Aspekt des Rätsels weist auf Folgendes hin:Ein Problem erzwingt Lernen. Die Lösung liegt jenseits derbisherigen Kompetenz.Ein Problem hinterfragt die Bedeutung des Ziels.Es sollte auch Hoffnung geben: Du kannst das Rätsel lösen.„Nicht jetzt; nicht schon wieder! Warum immer wieder?“ So stöhnenviele beim Auftreten eines Problems. Jedes Problem ist aber auch eineunmittelbare Chance, etwas zu lernen, schlauer zu werden und mehrüber die Welt zu erfahren. Leider haben wir es meistens gerade sehreilig oder es passt uns gar nicht ins bequeme Konzept, dass wir jetztzusätzliche Anforderungen aus uns nehmen müssen. Wir waren dochso kurz vor dem Ziel! Dass man gezwungen ist, eingefahrene Bahnenzu verlassen, sich auf Neues einzulassen oder etwas dazuzulernen –das gehört zur Natur des Problems. Take it, love it or leave it. (Wer keinEnglisch kann, hat jetzt ein - lösbares - Problem.)Der Aspekt der Mühe sagt aus:Das Problem liefert seine Lösung nicht mit.Ein Problem lösen zu wollen, erfordert immer zusätzlichen Aufwand.Du musst handeln, auch wenn es vielleicht (aus Zeit- oder anderenGründen) vergeblich sein könnte.Das Auftauchen eines Problems erfordert zusätzliche Bemühungen,die eindeutig über Zeit und Mittel hinausgehen, welche für dasursprüngliche Vorhaben einkalkuliert waren. Und diese Mühe ist zwaroft von Erfolg gekrönt, aber nicht immer. Eine Garantie für seine Lösbarkeitliefert ein Problem nicht mit. Hier scheidet sich beim Problemlösendie Spreu vom Weizen. Wer keine Lust auf die zusätzliche Mühebeim Problemlösen hat, der stellt dann plötzlich fest, dass ihm dasursprüngliche Ziel gar nicht so wichtig war. Die anderen versuchen esdann mit Problemlösen:Merke:Problemlösen ist das, was wir tun, wenn wir nicht wissen, was wirtun sollen.“ (M. Wheatley)2. Fangen Sie bei „Eins“ an – und dann immermit der RuheWenn wir Probleme lösen wollen, müssen wir in einen besonderenModus überwechseln bzw. einen Gang zurückschalten: Das Problem-69


löse-Verhalten. In diesem Modus können wird sehr strukturiert an dasBegreifen und Lösen jedes neuen Problems herangehen. Die folgendenbeiden Abbildungen zeigen die Systematik des Problemlösens aufunterschiedliche Weise.Abbildung 10: Vorgehen beim Problemlösen (bildhafte Version für die„rechte“ Gehirnhälfte)70


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von BetriebsrätenAbbildung 11: Vorgehen beim Problemlösen (Text-Version für die„linke“ Gehirnhälfte)Wenn die Lösung eines Problems nicht dringlich ist, kann man dieProblembearbeitung in zwei Phasen durchführen. In der ersten Phasebeschreiben und analysieren Sie das Problem und defi nieren Ihre Zielvorstellungen.Dann können Sie eine Pause von einem Tag oder aucheiner Woche einlegen. Danach greifen Sie das Problem erneut auf,wobei es jetzt um die systematische Erarbeitung der Lösungswegegeht. Sie werden überrascht sein, wie viele Ideen in dieser produktivenPause reifen konnten.71


3. Die Diskussion dreht sich im KreiseDiskussionen, die sich scheinbar im Kreise drehen, erlebt vermutlichjedes Gremium. Eine Ursache dafür sind die persönlichen Stile beimReden und Denken, die in jeder Gruppe existieren und die sich inentgegen gesetzte Richtung bewegen, wenn die Beteiligten „verantwortungslos“diskutieren. Ein problematischer Gesprächsverlauf kannaber auch dann eintreten, wenn sich alle um gemeinsame Lösungenbemühen. Typische Fehler in Gruppendiskussionen sind:Die erste Idee zum Mittelpunkt einer Pro-/Kontra-Diskussion machenDas Problem besteht darin, dass der erste Lösungsvorschlag, der ineine Diskussion eingebracht wurde, sogleich mit Bedenken, Gegenargumentenund Warnungen eingedeckt wird. Dabei meinen es dieanderen Diskussionsteilnehmer nur gut. Infolgedessen wird jedochdie Zeit mit wiederholten Pro- und Kontra-Argumenten zum gleichenPunkt verbraucht und weitere Vorschläge werden nicht mehr eingebracht.Oder es ergeht jeder Idee genauso, sie wird auch gleich wiederin Frage gestellt. Die Diskussion chaotisiert; die Ideengeber sindfrustriert. Allen erscheint die ganze Diskussion so extrem anstrengend.Die Abhilfe: Das Gremium sollte sich bewusst machen, dass es nichtklug ist, nur jeweils eine einzige Idee zu produzieren. Nicht die ersteIdee, die in Worte gefasst wird, muss die beste sein. Wenn aber keinRaum für das Entwerfen von Idee und Vorschlägen ist, dann bleibt esbei der „erstbesten“. Man sollte deswegen die Ideensammlung vorziehenund von der Diskussion der Vor- und Nachteile komplett abtrennen.Spontan aufkommende Einwände, die natürlich immer kommenwerden, müssen notiert werden und sind auf einen späteren Punkt inder Tagesordnung zurückzustellen.Jeden frei mitdiskutieren lassen, auch wenn er nicht vorbereitet ist.Das Problem ist, dass unqualifi zierte Beiträge quasi aus der Hüftegeschossen werden. Oder andersherum, dass ständig Informationslückeneinzelner, die bei vorangegangenen Treffen nicht anwesendwaren und die sich nicht eigenständig vorbereitet haben, während derDiskussion nachgefüllt werden. Das nervt die Anwesenden, die ihreHausaufgaben gemacht haben und führt zu massiver Zeitverschwendungdes Gremiums.Die Abhilfe: Es ist ein gemeinsamer Beschluss zu fassen, dass sichBetriebsratsmitglieder in den Tagesordnungspunkten verbal zurückhaltenmüssen, in denen ihnen die Vorinformationen fehlen. Eine Ausnahmebilden die Kreativphasen einer Diskussion, in denen es sogarnützlich ist, wenn jemand unbedarft an die Sache herangeht.72


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von BetriebsrätenOffene Diskussionsrunde: Alles gleichzeitigDas Problem hierbei ist, dass nach kurzer Zeit niemand mehr weiß,was der aktuelle Gegenstand der Diskussion ist und wohin die Diskussionführen soll. Der geistige Modus zur Erzeugung von neuen Ideen,nämlich Neugier, Freude und Kreativität ist nicht kompatibel mit demModus Sorgen, Ängsten und Ärger. Das führt zu gegenseitigen Blockadenund schlimmstenfalls zu einem gegenseitigen Aufschaukeln,weil sich niemand in einer solchen Gesprächrunde gehört, geschweigedenn wertgeschätzt fühlt.Die Abhilfe: Die verschiedenen Aspekte der Diskussion (Problem defi -nieren; Lösungsideen produzieren, Abwägen der Vor- und Nachteile,rechtliche Erwägungen usw.) räumlich, methodisch und zeitlich strikttrennen. Das Motto: Jegliches hat seine Zeit.Es geht nur so – Das geht nicht (anders)„Problem-Zappen“ ist für die eben genannten Probleme keine guteLösung. Gemeint ist die schlechte Angewohntheit, ein Problem in dieDiskussion zu bringen und nach kurzer Zeit wieder fallen zu lassen,weil sich unerwartete Schwierigkeiten zeigen. Das Gremium wendetsich einem anderen, scheinbar „leichteren“ Problem zu. Die Sache istdamit natürlich nur hinausgeschoben. Dies ist einerseits Zeitvergeudung,andererseits schwächt es das Selbstvertrauen der Betriebsratsmitglieder.Also muss die Devise heißen: durchbeißen, nicht lockerlassen. Für die meisten Probleme fi nden sich Lösungen, sobald mansich intensiv und strukturiert damit befasst.4. Wie man Probleme beredet statt zerredetEines der wichtigsten Arbeitsmittel des Betriebsrats ist das gemeinsameGespräch. Eine Diskussion über Probleme zu führen, bedeutetgemeinsames gedankliches Probehandeln. Es geht um das Abwägenvon Pro und Kontra, der Möglichkeiten und Risiken. Wenn wir die verschiedenenAlternativen in der Diskussion besprechen, nehmen wirquasi die Realität vorweg.Nicht alle beherrschen die Kunst der Diskussionsführung. Es ist abernicht allein eine Sache des Vorsitzenden. Alle Mitglieder haben eine persönlicheMitverantwortung für den positiven Verlauf einer Gesprächsrunde.Wie soll das funktionieren, wenn die Diskussionsleitung versucht,für Ordnung zu sorgen, während die Teilnehmenden „verbal dieSau rauslassen“ dürfen? Am Ende einer Problemdiskussion steht derBeschluss, mit oftmals weit reichenden juristischen Konsequenzen.Ein positives Diskussionsklima sorgt dafür, dass wirklich neue Ideenproduziert und dass Sachverhalte eingehend geprüft werden können.Allen Aspekten wird auf den Grund gegangen, bis keine wesentlichen73


Fragen mehr offen bleiben. Entscheidungen auf solcher Basis dürfendas Prädikat „effektiv“ zu Recht tragen.4.1 Wenn alle reden wollen, aber keiner zuhörtZu den lästigen Erscheinungen gehört ein nicht zu bremsender Drang,alle anderen von der eigenen Ansicht überzeugen zu müssen. Personenmit solchem Bestreben wollen alles auf einmal loswerden undreiten häufi g auf immer denselben Argumenten herum. Sie lassendie anderen nicht ausreden. Sie müssen jedem Argument schnellein Gegenargument entgegenhalten. Sie meinen zu wissen, was dieanderen sagen wollen und argumentieren oft stellvertretend für dieGesprächspartner. Solche Diskussionen werden dann zu Stellungskriegen.Wie kommt das? Viele hängen noch dem antiken Glaubenan, dass es auf verbale Dominanz im Gespräch ankommt. Wer sichmit Lautstärke und Eindringlichkeit zur Geltung bringt, gilt als „überzeugend“.Wer dagegen zuhört und nachdenklich auf die Sachverhaltereagiert, gilt als weich und muss scheinbar dominiert werden. Man willbeeinfl ussen, aber keinesfalls beeinfl usst werden!Hier hilft nur eine Doppelstrategie von freundlicher Aufklärung unddeutlicher Disziplinierung. Machen Sie den Diskussionsstil selbst zumThema der Diskussion: „Wie gehen wir miteinander um?“ Notfalls müssenRederegeln eingeführt werden: Redezeit, ausreden lassen usw. Esdie betriebspolitischen Überzeugungstäter, die sich trotz ihres Tatendrangesauf solche einvernehmlichen Rederegeln einlassen. Nur ab zugeht eben der Gaul mit ihnen durch.4.2 Drei feine Werkzeuge für die DiskussionsleitungAls Einstieg in jeden neuen Tagesordnungspunkt empfi ehlt sich einekurze Einführung in das jeweilige Thema. Ein Mini-Referat sozusagen,in dem folgende Aspekte vorkommen sollten: Achtung, jetzt geht’slos / Das Thema ist …/Die Hauptfragen sind …/Die Zielsetzung ist inetwa .../… Eine solche Einführung erfüllt mehrere Aufgaben:• Die Aufmerksamkeit wird auf das neue Thema konzentriert.• Ein erstes Bild des zu bearbeitenden Problems wird entworfen.• Es gibt denjenigen erste Informationen, die an vorangegangenenTerminen nicht teilnehmen konnte (Urlaub, Ersatzmitglieder) odersich nur noch schlecht erinnern können.• Es wird die Richtung angeben, in die diskutiert werden sollte.Beispiel für eine Einführung ins Thema„Kolleginnen, Kollegen, wir wollen unter dem Tagesordnungspunkt3 heute die Überstundensituation bei uns diskutieren. Wir wissen jaalle ungefähr, worum es geht. Aber als Einstieg will ich das Problem74


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsrätennoch einmal kurz umreißen. 1. Nach dem Arbeitszeitgesetz ist dasMaß an Überstunden bei uns nicht nur unerfreulich, sondern sogarungesetzlich. 2. Die Situation in den verschiedenen Abteilungen hatsich gegenläufi g entwickelt – teilweise ein Rückgang auf Null, teilweisechaotische Zustände. 3. Die Einstellung der Beschäftigtenhat sich geändert. Früher wollten alle Überstunden machen. Inzwischengibt es mehr kritische Stimmen, obwohl viele natürlich dasGeld brauchen. – Wir sollten uns gemeinsam ein Bild von der Überstundensituationmachen und eine grundlegende Lösung diesesunhaltbaren Zustands anstreben. Mir schwebt der Abschluss einerBetriebsvereinbarung vor, wobei wir im Vorfeld möglicherweise allenvon der Geschäftsleitung beantragten Überstunden nicht mehrzustimmen.“Nach der Einführung wird häufi g die Diskussion freigegeben. Daskann chaotisch werden, weil alle zum Besten geben wollen, was ihnenspontan im Kopf herumgeht. Oder im Gegenteil, es tritt Schweigenein, weil niemand so recht weiß, was sie oder er dazu sagen soll. Umeine systematische Diskussion anzuregen, sollte auf die inhaltliche Einführungein Verfahrensvorschlag folgen, in welcher Weise das Themadiskutiert werden soll. Diese Vorgabe für den Diskussionsablauf hatfolgende Funktionen:• Es wird ein einleitender Vorschlag unterbreitet, auf welche Weisedas Thema besprochen werden soll.• Es wird den Beteiligten die Möglichkeit gegeben, ihre Beiträge inden Diskussionsverlauf einzusortieren und gegebenenfalls auch einmaleine Äußerung zurückzustellen.• Transparenz des Diskussionsverlaufs wird hergestellt; alle Beteiligtenkönnen bewusst Einfl uss nehmen.Beispiel für eine Vorgabe für den Diskussionsverlauf:„Ich habe viele Einzelheiten angesprochen, die nicht alle gleichzeitigdiskutiert werden können. Ich schlage deshalb vor, dass wir diesesThema wie folgt aufteilen: Vera wird zunächst fünf Minuten über dasArbeitszeitgesetz referieren. Sie hat auch einige aktuelle Urteile herausgesucht.Dann sind wir diesbezüglich alle auf demselben Stand.Anschließend möchte ich euch bitten, über die Überstundensituationin den Abteilungen zu berichten. Wir werden diese Detailangabenmit den Daten vergleichen, die wir im Wirtschaftsausschusserhalten haben. Damit hätten wir eine umfassende Bestandsaufnahme.Alle weiteren Diskussionspunkte, etwa über unsere Forderungen,die sich daraus ableiten lassen, oder über die Meinungen inder Belegschaft, sollen dann den Abschluss bilden. Einverstanden?Gut, ich erteile Vera das Wort.“75


Machen Sie sich keinen Stress: Jede lebendige Diskussion enthältunvermeidlich sowohl Phasen von Chaos als auch Elemente von Stagnation.Solche Abweichungen vom gewünschten Ablauf sind unvermeidlich.Auch durch strenge Diskussionsleitung lässt sich dies nichtganz vermeiden. Die Unausweichlichkeit eines gewissen Chaos liegt inder notwendigen Offenheit von Diskussionen: Ein Nebenthema stelltsich unversehens als wichtig heraus. Es tauchen neue Informationenauf. Selbst bei Abschweifungen lässt sich nicht sofort beurteilen, ob siefür das Thema von Bedeutung sind oder nicht. Die Diskussion um Pround Kontra kann ausufern.Merke:In jeder lebendigen Diskussion gibt es Phasen von Chaos, Verzettelungoder Ratlosigkeit.In jeder Diskussion kann es geschehen, dass den Beteiligten plötzlichdie Übersicht verloren geht. „Worüber reden wir denn jetzt eigentlich?“Einige lehnen sich zurück und geben damit das Signal, dasssie sich nicht mehr beteiligen wollen. Andere versuchen vielleicht nunmit Überzeugungskraft, die Diskussion in eine bestimmte Richtung zuzwängen. Für solche Situationen hat sich die Methode der Zwischenzusammenfassungsehr bewährt. Die Funktion einer solchen eingeschobenenZusammenfassung des Diskussionsstandes hat folgendeFunktionen:• Besinnung nach dem Motto: Wo stehen wir im Augenblick?• Bewertung: Was ist jetzt im Augenblick wichtig? Zusammentragender wichtigsten Gesichtspunkte und Ausgliedern von Nebenthemen• Unterbreitung eines neuen Strukturvorschlags: Wie soll weiter diskutiertwerden?Manche der angesprochenen Themen und Argumente können für dieaugenblickliche Diskussion völlig „daneben“ liegen. Wenn sie für dieArbeit des Betriebsrats in anderer Hinsicht wichtig sind, können siemithilfe der Zwischenzusammenfassung in andere Tagesordnungspunkteoder auf andere Termine ausgelagert werden. Das gibt den Diskutantendie Sicherheit, dass ihre Beiträge nicht einfach untergehen,sondern später im richtigen Rahmen wieder aufgenommen werden.Beispiel für eine Zwischenzusammenfassung:„Gut. Es sind viele Punkte angesprochen worden, und ich denke,es ist an der Zeit, eine Zusammenfassung vorzunehmen. Die Überstundensituationist sehr unterschiedlich. In verschiedenen Produktionsabteilungenwerden zu viele Überstunden gefahren. DieProduktionsplanung ist systematisch auf Überstunden aufgebaut.Dies lässt sich eindeutig anhand der Zahlen belegen ... Wir könnenfeststellen, dass die Lage den offi ziellen Angaben der Geschäftslei-76


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsrätentung widerspricht. Es werden Überstunden am Betriebsrat vorbeiangeordnet. Klaus wird uns zur nächsten Sitzung eine genaue Auflistungaller Abteilungen anfertigen. Aber für‘s Erste ist die Situationeindeutig genug. Wir könnten diskutieren – was schon mehrfachangesprochen wurde – was zu tun ist. Das ist meines Erachtensaber noch ein wenig zu früh, weil wir erst noch Berichte über dieStimmung bei den Beschäftigten zusammentragen wollten. Werkann hierzu etwas sagen?“Auch Schweigen ist eine normale Erscheinung in einer Diskussion.Sollte es zumindest sein. Schließlich müssen die Beteiligten aucheinmal nachdenken. Es ist erstaunlich, wie schnell eine entstehendePause durch irgendeinen Beitrag „gefüllt“ wird. Kaum ein Betriebsratsmitgliedhält mehr als 10 Sekunden des Schweigens aus. Leisten Siesich gelegentlich den Luxus des gemeinsamen Schweigens. Wenn dieDiskussion allerdings regelrecht stagniert, machen Sie den Vorschlag,das Problem zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzugreifen.4.3. Damit jeder weiß, an welchem Punkt der Diskussion wirgerade sindEs gibt nicht nur eine Zwischen-, sondern natürlich auch eine abschließendeZusammenfassung ganz am Ende des Tagesordnungspunktes.Diese ist besonders vor der Beschlussfassung wichtig, aber auch,wenn das Thema ohne formalen Beschluss zum Ende gebracht werdensoll. Meine Empfehlung ist, nicht nur eine gut gegliederte Tagesordnungaufzustellen, sondern auch jeden wichtigen Tagesordnungspunktin logische Schritte untergliedern. Dafür ein Beispiel in Abbildung12. Wenn jeder Beteiligte weiß, welche Struktur dieser Tagesordnungspunkthat, ist es viel leichter am roten Faden zu diskutieren.Abbildung 12: Gliederung eines komplizierten Tagesordnungspunktes1. Kurze Einführung in das Thema – Worum geht´s? Was ist dasThema / das Problem?Offi zieller StartAlle (wieder) auf den gleichen Stand bringenAlle auf das zu behandelnde Thema einstimmen2. Kurze Handlungseinweisung - Wie sollen wir jetzt diskutieren?Vorschlag machen, auf welche Weise das Thema diskutiert werdensoll (z.B. Referat und anschließende Debatte; Brainstormingmit offenem Ende)Wenn sinnvoll, eine Zeitvorgabe machen77


3. Erste Zielvorgabe - Wofür diskutieren wir das? Was sind unsereZiele?Größeren Zusammenhang oder langfristige Ziele mitdenkenZiele, Vorhaben für die heutige Sitzung ansprechenevtl. Zielfi ndung als Ziel (bei Unklarheit über ein Thema oder Problem)4. Informations- / Meinungsaustausch - Was lässt sich dazu sagenund denken?Beiträge aller Beteiligten als Puzzleteile für das Ganze betrachtenNicht nur die Ohren, sondern auch die Augen beteiligenMedien einsetzen5. Zusammenfassungen - Wo stehen wir gerade?Sachliches Ordnen der GesichtspunktePrioritäten setzenMeinungsbild; wertende Einschätzungen6. Bewerten - Womit und wodurch erreichen wir unsere Ziele optimal?Einsatz einer Entscheidungs-Matrix(Pro-Kontra; Vorteile-Nachteile; kurzfristig – langfristig)Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Ursachen und Folgen(zeitliche, sachliche, organisatorische, personelle, soziale, politische)Gute Lösung; Lösungsvarianten; Planspiele7. Interesse und Verantwortlichkeit - Wer macht es? Wann, wie undwo?Aufgaben und Zuständigkeiten verteilenZeitplan für das weitere Vorgehen erstellenKontrolle der Aufgabenbewältigung vorbereiten (Controlling, Evaluation)8. Beschluss - Vom Reden zum Handelnsachliches Abwägen der wesentlichen Gesichtspunkte - Entscheidungdiplomatisches Geschick bei Beschlussfassung – Gemeinsamkeit78


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsräten4.4. Weitere Diskussions-Werkzeuge – nicht nur für VorsitzendeAlle können jederzeit einen Beitrag zur Verbesserung einer entgleisendenDiskussion liefern. Da muss man nicht auf die offi zielle Diskussionsleitungwarten. Alle Beteiligten können ihre Mitverantwortungwahrnehmen. Sie können beispielsweise selbst eine Zwischenzusammenfassungtätigen, wenn Sie den Verlauf der Diskussion unbefriedigendfi nden.Hier noch ein paar weitere Ideen, die Ihnen von Nutzen sein können:• Das Anfertigen von Notizen während der Diskussion ist ein simples,aber sehr effektives Hilfsmittel. Ist Ihnen das nicht auch schon passiert?:Als Sie zahlreiche Redner später endlich dran waren, hattenSie vergessen, was Sie sagen wollten? Dahinter steckt ein generellesProblem. Kaum jemand ist in der Lage, aufmerksam zuzuhörenund gleichzeitig seine eigene Antwort sorgfältig zu durchdenken.Als Teilnehmerin oder Teilnehmer einer Diskussion müssen Sie ständigdie Aufmerksamkeit zwischen außen und innen pendeln lassen.Dadurch sind Lücken kaum zu vermeiden. Bringen Sie Ideen,Argumente oder Fragen, die während des Zuhörens hochkommen,stichwortartig zu Papier. Haben Sie es aufgeschrieben, kann esnicht verloren gehen.• Beim aktiven Zuhören geht es darum, den Standpunkt der anderenwirklich kennen zu lernen und aufzunehmen. Man muss sichnicht aufs Kopfnicken beschränken, sondern darf nachfragen undum genauere Details bitten. Abschließend fassen Sie die PositionIhres Gegenübers mit eigenen Worten zusammen und fragen, obdiese Zusammenfassung die Position der anderen Seite richtig wiedergibt.Ist dies nicht der Fall, lassen Sie sich die unklaren Aspektenoch einmal darlegen. Beim Gegenüber erreichen Sie, dass es sichverstanden und ernst genommen fühlt. Unterlassen müssen Sieaber eigene Darstellungen, Einwände und Gegenargumente; daskann später kommen.Beispiel für aktives Zuhören und FeedbackHolger: „Habe ich Dich jetzt richtig verstanden? Du meinst, dieBeschäftigten in der Montage sind durch die Bank dagegen,dass an der Überstundensituation etwas geändertwird. Viele haben Häuser gebaut und fürchten, sie würdenohne das zusätzliche Einkommen in die Privatinsolvenzgetrieben. Außerdem meinst Du, dass wir als Betriebsratunsere Wiederwahl gefährden, wenn wir da jetzt die Pferdescheu machen.“Bernd: „Das Erste hast du richtig verstanden. Das Zweite nicht. Essind die Kollegen, die mir quasi gedroht haben, dass unsereWiederwahl gefährdet sein könnte, wenn wir nicht die Finger79


davon lassen. Ich selbst denke schon, dass wir da sofortetwas tun müssen, auch wenn es nicht allen in den Krampasst.“Erst Ideenentwickeln,später abwägenvon Pro undKontra• Der Begriff Brainstorming bezeichnet eine Diskussionsform, in derEinwände, Gegenargumente und Bedenken zunächst einmal gänzlichuntersagt sind. Alle Beteiligten sind stattdessen aufgefordert,hemmungslos und spontan alle Ideen, Gedanken und Vorstellungenzu einem Thema vorzutragen, die ihnen einfallen. Sowohlernsthafte als auch auf den ersten Blick „verrückte“ oder unrealistischeBeiträge sind willkommen. Zum Abschluss der Brainstorming-Phase wird den Beteiligten für ihre kreative Mitwirkung gedankt.Diese Methode wurde entwickelt, weil Gruppen die Tendenz haben,ungewöhnliche und neue Ideen schnell einem Trommelfeuer ausKritik und Ablehnung auszusetzen. Auch bleibt die Energie dannan den ersten Beitrag gebunden und neue Ideen kommen gar nichtmehr auf. Viele halten auch kreative Ideen zurück, weil sie auf wenigGegenliebe stoßen. Nach der Kreativphase mit möglicherweiseüberraschenden Ideen kann endlich das vertraute Für und Widerdiskutiert werden.Wenn viele Probleme zugleich drängen, kommt das Betriebsratsgremiumum eine Verlängerung seiner Sitzung nicht herum. So etwasmuss natürlich die Ausnahme bleiben. In manchen Gremien rührt dieSitzungshektik allerdings daher, dass die Betriebsratssitzungen nichtwöchentlich, sondern wesentlich seltener stattfi nden. Bei solch knapperZeitvorgabe ist Hektik vorprogrammiert. Der Betriebsrat sollte eineAufl istung aller erforderlichen Tätigkeiten zusammenstellen und darauseine realistische Zeitplanung ableiten.5. Probleme sichtbar werden lassenDas Wort Visualisieren bedeutet „sichtbar machen“. Hierbei wirdGesprochenes und Gedachtes in Form von Stichworten oder kurzenSätzen auf kleine farbige Karten übertragen. Diese Karten sind dasAusgangsmaterial für eine optisch sichtbare Aufbereitung und Verarbeitungder aufgezeichneten Gedanken an einer Wandtafel oder aufdem Fußboden. In Zeiten der Digitalfotografi e lässt sich das gemeinsameArbeitsergebnis schnell allen zur Verfügung stellen.5.1 Der Vorteil, wenn alle alles zugleich im Blick habenDiskussionen, auch wenn sie gut geleitet sind, haben einige grundsätzlicheNachteile. Sobald mehrere zugleich reden, gehen einigeInformationen unter, die doch eigentlich ausgetauscht werden sollten.Während des Zuhörens ist die Möglichkeit eingeschränkt, eigeneGedanken fassen zu können. Viele Wortbeiträge enthalten diversenFüllstoff, der inhaltlich nichts beiträgt. In einer Diskussion kann alles80


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsrätennur zeitlich nacheinander abgehandelt werden. Argumente, die inhaltlichzusammengehören, können beispielsweise in einem zeitlichenAbstand von 30 Minuten vorgetragen worden sein. Erfolgte zwischendurchkeine Zusammenfassung, gehen regelmäßig Argumente verloren,nicht selten aber auch der Zusammenhang.Diese Probleme lassen sich durch eine Visualisierung mit Leichtigkeitlösen. Die Protokollführerin oder jeder selbst fasst seinen Wortbeitragauf DIN A5 Blatt in einigen Stichworten zusammen. Eddingstifte undgroße Schrift sind erforderlich, damit die Aufzeichnungen von jedemSitzplatz im Betriebsratsbüro gelesen werden können. Die Zettel werdenwährend der Diskussion an eine Pinnwand geheftet. Auf dieseWeise geht kein Argument, keine Frage und kein Gegenargument verloren.Langatmige Wortbeiträge und Wiederholungen erübrigen sichund lassen sich schnell einfangen. Ein kurzer Hinweis auf die Pinnwandgenügt, um zu zeigen, dass der betreffende Punkt schon berücksichtigtist. Wird die Visualisierung konsequent angewendet, können alleDiskussionsteilnehmer den gesamten Diskussionsverlauf stets im Blickbehalten. Weil alle wichtigen Diskussionspunkte in gleicher Weise präsentsind, kann jedes Betriebsratsmitglied jederzeit auf zeitlicht zurückliegendeBeiträge eingehen. In einer ausschließlich mündlichen Diskussionkönnte das den Ablauf durcheinanderbringen. Bei Zuhilfenahmevon Visualisierung ist das kein Problem. An der Pinnwand kann mannun verwandte Gedanken einander zuordnen oder etwa eine Ursache-/Wirkungs-Beziehungdarstellen. Das ist möglich, auch wenn dieWortbeiträge zeitlich weit auseinander lagen und von unterschiedlichenPersonen stammten.5.2 Die Freude, wenn sich die Beiträge aller Beteiligtenim Ergebnis wieder findenIn der mündlichen Diskussion gehen immer wieder Wortbeiträge unter.Manches Argument fi ndet erst dann Gehör, wenn es von einem besondersanerkannten Mitglied der Gruppe ausgesprochen wurde. Manchemelden sich aus Schüchternheit nicht gerne zu Wort. Viele ziehenihren Wortbeitrag zurück, weil eigentlich schon alles gesagt war, als sieschließlich an die Reihe kamen. Was hätten uns die Zurückhaltendenzu sagen?Mit einer Kartenumfrage können Sie dafür sorgen, dass die Ideen undGedanken aller Teilnehmenden einer Diskussionsrunde zum Tragenkommen. Es gibt zwar etliche, die nicht so gerne öffentliche Rede halten,aber die eigenen Gedanken zu Papier zu bringen, trauen sich alle.Bei einer Kartenumfrage werden an alle Teilnehmenden farbige Kartenoder Zettel ausgeteilt. Eine oder mehrere Fragen werden gestellt, beispielsweise:„Stell Dir vor, der Betriebsrat lehnt nächste Woche alleÜberstundenanträge ab. Welche Reaktionen der Beschäftigten erwartestDu? Welche Reaktionen der Geschäftsleitung sind zu erwarten?“Alle Beteiligten machen sich Gedanken und schreiben entsprechende81


Stichworte auf die Karten. Verschiedene Fragen können unterschiedlichgefärbten Blättern zugeordnet sein. Jede Antwort leistet auf dieseWeise einen Beitrag zum Gesamtergebnis. Alle haben Anteil.5.3 Visualisierung: Strategische Sandkastenspielean der WandtafelAus dem Haufen beschriebener Karten lässt sich in wenigen SchrittenOrdnung und System in das Thema bringen: Alle Teilnehmerinnen setzensich im Halbkreis vor eine Pinnwand. Die Karten werden einzelnvorgelesen und danach an die Wandtafel geheftet. Karten mit gleichenoder ähnlichen Inhalten werden zueinander gruppiert. Sind alle Kartenangeheftet, werden die entstandenen Kartengruppen noch einmalsystematisch überarbeitet. Es gilt Überschriften für die Gruppen zu fi n-den – damit beginnt die gedankliche Bearbeitung des Problems. ErsteZusammenhänge und Gegensätze können entdeckt werden. Durchoptisch ansprechende Zusammenstellung gelingt es häufi g, weitereZusammenhänge zu entdecken und darzustellen. Das Beispiel einersolchen Bearbeitung ist in der Abb. 13 dargestellt, wobei ich einmalunterstellt habe, dass ein Betriebsrat das Thema: „Sollen wir in unsererArbeit Wandtafeln einsetzen?“ bearbeitet hat.Abbildung 13: Sichtbares Abwägen von Pro und KontraDie Metaplan-MethodeVorteileNachteileerforderlichAlle sindbeteiligtvieleIdeenManche findenes blödbunteKärtchenAlle aufgleichem StandtotaleÜbersichtGeht nichtüberallWandtafeln,StelltafelnJeder bringtwas einFehler kannman korrigierenbGemeinsamesErgebnis!flexibelStand der Diskussionist erkennbarFür AußenstehendenachvollziehbarGut fürProblemanalysenZwang zuStichwortenKeinePoesieWas der Bauernicht kennt ...StecknadelnMarker, Stiftedeutlich undgroß schreibenBewertung: Deutlich mehr Vorteile als Nachteile – aber gewöhnungsbedürftig!Strategische Sandkastenspiele lassen sich durchführen, weil die Karten(eine Karte = ein Gedanke!) beliebig verschoben, kombiniert oderverdoppelt werden können. Die Wichtigkeit einzelner Gesichtspunktekann entweder durch eine besondere Anordnung der entsprechendenKarte oder durch grafi sche Mittel (Blitze, Ausrufezeichen) herausge-82


IX. Problemlösen – Kernkompetenz von Betriebsrätenstellt werden. Ein inhaltlicher Zusammenhang lässt sich durch Pfeile,Gegensätze beispielsweise durch gegenläufi ge Pfeile, darstellen. NeueGedanken, die während der Bearbeitung der Karten auftauchen, könnenauf zusätzliche Karten geschrieben und schnell in die Diskussioneingebracht werden. Die Bearbeitung des Problems geschieht demokratischvor den Augen und mit Hilfe aller Beteiligten. Die Denkfähigkeitaller Beteiligten wird optimal für die Problemlösung aktiviert undzugleich eine hohe Akzeptanz für die anschließende Beschlussfassungund Umsetzung der Ergebnisse erreicht.Der wichtigste Vorteil ist, dass der jeweils erreichte Diskussionsstandallen Beteiligten zeitgleich und unmissverständlich vor Augen ist.Außerdem können die Wandtafeln leicht als Vorlage für das Protokolldienen, im einfachsten Fall werden sie einfach digital fotografi ert undstehen den Mitgliedern als Datei oder ausgedrucktes Exemplar zurVerfügung.83


der Kantine, im Pausenraum oder am Arbeitsplatz. In jedem Gesprächkönnen Sie auch Antworten auf die elementare Frage nach dem SinnIhres Engagements im Betriebsrat fi nden. Persönliche Gesprächehaben eine weit reichende Wirkung. Selbst wenn der Inhalt vertraulichwar, spricht sich im Betrieb herum, dass man mit Betriebsratsmitgliederngute Gespräche führen kann. Das wirkt sich wiederum motivierendauf die Betriebsratstätigkeit aus.1.5 Erfreuliche BeschwerdenJede Beschwerde an den Betriebsrat (entsprechend § 85 BetrVG)bietet eine gute Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den Beschwerdeführernbetriebliche Verbesserungen anzustreben. Der Gesetzgeberhat außerdem in § 86a BetrVG eine neue Regelung geschaffen,die jedem Arbeitnehmer das Recht gibt, dem Betriebsrat Themenzur Beratung vorzuschlagen. Der Betriebsrat ist sogar gezwungen,ein solches Thema innerhalb von zwei Monaten auf seine Tagesordnungzu nehmen, wenn 5% der Arbeitnehmer dies von ihm verlangen.Wenn der Betriebsrat tatsächlich die Hand am Puls der Belegschafthat, weiß er jedoch selbst, wo die Beschäftigten der Schuh drückt.<strong>Effektive</strong> Betriebsratsarbeit bedeutet, die Beschwerden und Problemeder Beschäftigten zeitnah zu erfassen, diese mit den Beschäftigten zudiskutieren und danach systematisch und entschlossen auf Lösungenhin zu arbeiten.Fingerspitzengefühlisterforderlich2. Wenn unliebsame Entscheidungen anstehenUnpopuläre Entscheidungen und Verschlechterungen lassen sich nichtgenerell vermeiden. Hier ist Fingerspitzengefühl angebracht. Es bestehtfür den Betriebsrat hierbei ein prinzipielles Dilemma: Viele Beschäftigteninteressieren sich vorzugsweise für ihre ganz persönlichen Interessen.Sie sehen nicht über den Tellerrand ihres Arbeitsplatzes oder derAbteilung hinaus. Später messen Sie den Betriebsrat daran, was dieserfür sie persönlich getan hat. Der Betriebsrat ist dagegen verpfl ichtet,die unterschiedlichen Interessen gegeneinander abzuwägen undLösungen anzustreben, die möglichst vielen Beschäftigten gerechtwerden. Damit kein böses Blut fl ießt und dem Betriebsrat ungerechtfertigteVorwürfe gemacht werden, muss das Gremium sehr viel Aufklärungbetreiben und Informationen verbreiten. Besonders heikel istfür den Betriebsrat die Situation bei bevorstehendem Personalabbau.Hier muss das Gremium sehr aufpassen, dass es als Überbringer derschlechten Nachrichten nicht ungerechterweise für die Entstehung derMissstände verantwortlich gemacht wird.Tipp: Der Betriebsrat darf sich niemals als Überbringer schlechterNachrichten benutzen lassen.86


X. Die Hand am Puls der BelegschaftFür solche Situationen gibt es keine Patentrezepte. Sie sollten zusehen,dass Sie ihre Betriebsratsarbeit vor Ihrem eigenen Gewissen vertretenkönnen und vermeiden, sich von den möglicherweise täglich wechselndenStimmungen leiten zu lassen. Da es unmöglich ist, es allenrecht zu machen, sollte der Betriebsrat seine Kräfte auf eine gründlicheÖffentlichkeitsarbeit konzentrieren. Je offener der Betriebsrat überden Verlauf von Verhandlungen berichtet, desto geringer ist die Gefahr,dass es bei den Beschäftigten ein böses Erwachen gibt. Für Warnungen,Vorschläge und Besorgnisse der Beschäftigten muss währendder Verhandlungen trotzdem immer ein offenes Ohr vorhanden sein.Wenn der Betriebsrat unliebsame Entwicklungen vor der Belegschaftvertreten muss, empfi ehlt sich Folgendes:• Klagen und Vorwürfe der Betroffenen geduldig anhören und Verständnisfür deren Emotionen haben.• Kritische Äußerungen der Beschäftigten akzeptieren, auch wennsie überzogen und ungerecht sind. Das Vorgehen des Betriebsratskurz und sachlich darstellen. Verbindendes ist in den Vordergrundzu stellen. Zukünftige Handlungsmöglichkeiten oder Hilfen ansprechen.• Ursachen und Verantwortliche, die zur jetzigen Situation geführthaben, klar benennen.• Rechtfertigungen des Betriebsrats vermeiden, denn es gilt: „Wersich verteidigt, klagt sich an. Gegenvorwürfe oder pauschaleSchuldzuweisungen an Dritte unbedingt unterlassen.• Konstruktive Vorschläge der Beschäftigten erbitten und diese sammeln.Beispiel für den Umgang mit Kritik am Betriebsrat:Die Betriebsratsvorsitzende der AllesPalleti GmbH spricht auf derBetriebsversammlung einige abschließende Worte. Eine halbeStunde musste sie wütenden Attacken und Vorwürfen wegen dermissglückten Verhandlung standhalten: „Liebe Kollegen, ich dankefür eure Offenheit. Für einige brechen nun wirklich schlechte Zeitenherein. Ich bedaure sehr, dass wir für euch bisher nicht mehr erreichenkonnten. Ich kann nur sagen, wir haben uns so gut geschlagenwie wir konnten. Ich hoffe, dass ihr das trotz eurer Enttäuschungsehen könnt. Aus der heutigen Aussprache wird der Betriebsrateinige Anregungen mitnehmen und darüber nachdenken. Euchmöchte ich sagen, dass der Betriebsrat ohne praktische Unterstützungaus der Belegschaft noch weniger erreichen wird. Das zeigtder jetzige Stand der Verhandlungen. Ich schlage vor, dass sich derBetriebsrat morgen mit den Vertrauensleuten trifft, um gemeinsamdie nächsten Schritte zu beraten. Ihr werdet sofort über die Ergebnisseder Beratung benachrichtigt. Damit möchte ich die Sitzungschließen.“Tipps für dasVorgehen desBetriebsrats87


3. Tue Gutes und rede darüberEine gute Öffentlichkeitsarbeit beeinfl usst das Ansehen und die innerbetrieblicheMacht des Gremiums in starkem Maße. Ein großer Teilder intensivsten Betriebsratsaktivitäten (z.B. langwierige Verhandlungen)bleiben für den normalen Beschäftigten ja weitgehend unsichtbarund sind für ihn deswegen nicht nachzuvollziehen. Deswegen bestehtfür den Betriebsrat permanent die Gefahr, sich bei den Beschäftigtenweit unter Wert zu verkaufen. Leicht kann so das Klischee entstehen,dass das Gremium nur Kaffee trinkend und ergebnislos in seinem Büroherumsitzt. Negativ verstärkt wird ein solches Image durch die unleidigenStimmen derjenigen, die ihn sowieso als Sündenbock für alleMissstände dieser Welt und des Betriebes anprangern wollen. Es ist janicht so, dass das Gremium ansonsten nichts zu tun hätte, aber derBetriebsrat kommt defi nitiv um eine offensive Öffentlichkeitsarbeit nichtherum. <strong>Effektive</strong> Betriebsratsarbeit - und keiner hat was gemerkt? Daswäre ein Widerspruch in sich.Soweit es in seinen Kräften steht, sollte der Betriebsrat alle Kanäleder innerbetrieblichen Kommunikation nutzen. Das schwarze Brett hatweitgehend ausgedient, aber manchmal ist ein gut gemachtes Plakatmehr wert als alles andere. Heute gehört eine gut gestaltete, aktuelleIntranetseite des Betriebsrats für viele Gremien zum festen Bestandteilder Öffentlichkeitsarbeit. Voraussetzung dafür ist, dass zumindest einBetriebsratsmitglied Spaß an der Pfl ege der Seite hat und sie regelmäßigaktualisiert. Dabei wird manchmal vergessen, dass bestimmteMitarbeiter (z.B. aus der Produktion) gar keinen Zugang haben oderdas Medium nicht nutzen. Es reicht also nicht, sich selbstverliebt amschön gestalteten Layout zu erfreuen, man muss auch nachschauenund sicherstellen, dass von den Beschäftigten auch fl eißig auf die Seitezugegriffen wird. Dazu, wie das gelingen könnte, muss sich das Gremiumöfter intensiv Gedanken machen.Ein äußerst wichtiger Kanal der Kommunikation des Betriebsrats mitden Beschäftigten ist die vierteljährliche Betriebsversammlung. Geradediese regelmäßige und gesetzlich abgesicherte Veranstaltung bietet soviel (teilweise ungenutztes) Potential. Anstatt sich etwa wochenlangdamit zu quälen, einen möglichst detaillierten Rechenschaftsberichtmit statistischen Aufl istungen von personellen Einzelmaßnahmen undanderen Sitzungsaktivitäten des Betriebsrats aus dem vergangenenBerichtszeitraum vorzubereiten, sollte der Schwerpunkt auf das wirklichWichtige gelegt werden: Sich Austauschen mit der Belegschaft! Inder Vorbereitung gilt es, zu überlegen, welche Themen für die Belegschaftvon Interesse sein könnten oder welche Themen vor Publikumzwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung diskutiert werden könnten,usw. Man sollte jede Betriebsversammlung mit der Frage vorbereiten,was alles getan werden muss, damit die Beschäftigten diese zukünf-88


X. Die Hand am Puls der Belegschafttige Betriebsversammlung mit dem Eindruck verlassen werden: „Daswar spannend, das war informativ. Gut, dass ich da gewesen bin.“Die Scheu vieler Beschäftigter, auf einer Betriebsversammlung ihreMeinung zu sagen, lässt sich durch geeignete Mittel überwinden, etwadurch die Methode „World Cafe“ oder eine Belegschaftsbefragung(vgl. Fricke/Wolter/Grimberg 2010 in den Literaturempfehlungen).89


XI. Die Logik des MisslingensAus Fehlernlernen wollenDer Erfolg wird gern adoptiert, während der Misserfolg ein Waisenkindbleibt. Aber gerade Waisenkinder brauchen viel Zuwendung,damit sie erfolgreich ins Leben starten können. Wenn wir die Logik desMisslingens verstehen, können wir das Gelingen unserer zukünftigenVorhaben gezielt fördern. Viele Misserfolge haben ihre Ursache darin,dass die handelnden Personen aus ihren vorangegangenen Fehlernnicht genug gelernt haben. Wem beispielsweise das Vertuschen dereigenen Blamage am wichtigsten ist, mag auch selber nicht so genauhinschauen, was falsch gelaufen ist. Dann war der Misserfolg – malwieder – bloß ein „Zufall“. Die folgenden Ausführungen stützen sichauf Untersuchungen von Klaus Dörner zum strategischen Denken inkomplexen Situationen (s. Literaturempfehlungen). Verschaffen Siesich einen Eindruck. Welche Grundeinstellungen sind zur Bewältigungvon Problemen besonders vorteilhaft oder schädlich?1. Was gute von schlechten Problemlösern unterscheidetFlankierendeMaßnahmenKeine isolierte1-Punkt-StrategieStändigesNachsteuernGute Problemlöser konzentrieren ihr Vorgehen auf ein bis zwei zentraleMaßnahmen, entwickeln aber zugleich fl ankierende Aktivitäten. Diesesollen dann zum Beispiel unerwünschte Nebenwirkungen gering halten.Dass es einen Misserfolg geben könnte, wird für möglich gehalten.Deswegen werden auch Notfallpläne entwickelt, falls die Hauptmaßnahmescheitern sollte. Es gibt den berühmten Plan B.Schlechte Problemlöser führen dagegen häufi g eine isolierte 1-Punkt-Strategie durch. Sie setzen sozusagen alles auf eine Karte. Maßnahmenfür den Notfall werden nicht in Erwägung gezogen, weil sie vomsicheren Erfolg der eigenen Strategie überzeugt sind. Oder deswegen,weil sie zu träge waren, mehrere Lösungsideen zu entwickeln. VomEintritt eines Misserfolgs sind sie regelmäßig überrascht. Sie reagierendann verständnislos oder zynisch. Gelegentlich werden auch vieleProbleme gleichzeitig angepackt, jedoch ohne die inneren Zusammenhängezu berücksichtigen.Gute Problemlöser stellen viele Fragen. Sie möchten Gründe undZusammenhänge herausfi nden. Sie wollen die Bedingungen undmöglichen Widerstände des Eingreifens erkennen. Sie gehen davonaus, dass jeder Eingriff verschiedene Wirkungen und Nebenwirkungenhaben kann und dass demzufolge nachgesteuert werden muss. Sieführen wenige Eingriffe durch, um ein Problem zu lösen, und wartengeduldig ab, wie der jeweilige Eingriff in das Geschehen wirkt.90


Schlechte Problemlöser hingegen haben schnell feste Vorstellungendavon, wie ein Problem zu lösen ist. Sie äußern eher Feststellungenals Fragen. Fragen zu stellen, kommt ihnen eher wie ein Eingeständnisvon Inkompetenz vor. Sie genießen es vielmehr, Recht zu haben.Sie führen viele Aktionen durch. Sie wollen ungern umlernen. UnerwarteteSchwierigkeiten schreiben sie der Einwirkung anderer Beteiligter,der Boshaftigkeit oder Dummheit von Kontrahenten oder widrigenUmständen zu. Ihre Vorstellung von Entscheidungen ist mit demAbschießen einer Kanonenkugel zu vergleichen. Einmal richtig ausgerichtet,wird erwartet, dass die Kugel das Ziel erreicht. Eine weitereKontrolle des Eingriffs und Nachsteuern erscheinen unnötig. Dass einZiel beweglich sein könnte und eventuell auszuweichen versucht, istdieser Vorstellungswelt eher fremd.Schlechte Problemlöser reagieren sehr empfi ndlich auf Zeitdruck.Wenn sehr viel Zeit vorhanden ist, versuchen sie möglichst alle ermittelbarenDetails aufzunehmen, auch wenn sie für die Lösung bedeutungslossind. Unter Zeitnot gehen sie paradoxerweise dazu über, garnichts mehr wissen zu wollen, sondern nur noch zu handeln. Sie zeigenunter Zeitdruck deutliche Tendenzen zu Informationsverweigerungund Aktionismus.Gute Problemlöser versuchen relativ unabhängig vom Zeitdruck, diewichtigen Informationen herauszufi ltern und auszuwerten. Sie lassensich trotz des Zeitdrucks ausreichend Zeit, um die Wirkung ihres Eingreifenszu beobachten, bevor sie Weiteres unternehmen.Schlechte Problemlöser begnügen sich oft mit oberfl ächlichen Erfolgen.Ihnen reicht die Mängelbeseitigung, ohne die tieferen Ursachenvon Problemen zu erkennen und zu beheben. Eine spätere Erfolgskontrolleder Ergebnisse kommt ihnen überfl üssig vor. Ganz im Gegenteilzu guten Problemlösern, die immer wieder prüfen, ob der Erfolg ihrerMaßnahmen auch auf Dauer gesichert ist.Sowohl gutes als auch schlechtes Problemlösen kann zum Selbstläuferwerden. Erfolgreiches Problemlösen bestätigt sich natürlich selbst.Aber wieso bleiben manche Menschen schlechte Problemlöser, wenndoch die Nachteile in Form schlecht gelöster Probleme allzu deutlichsind? Es sind vor allem emotionale Gründe, insbesondere das Selbstwertgefühlspielt hier eine destruktive Rolle. Das (eingebildete) Gefühlzu wissen, was richtig ist und wie Probleme einfach gelöst werden,vermittelt innere Sicherheit. Dadurch kann der Betreffende zügig handelnund muss sich nicht durch Zweifel blockiert fühlen. Es scheint„alles nicht so kompliziert“. Wenn außerdem der langfristige Erfolgeiner Maßnahme nicht überprüft wird und Misserfolge als Ergebnisvon Zufall oder Pech gedeutet werden, kann sich der Betreffende dasGefühl der eigenen Kompetenz ungetrübt erhalten. Allerdings kanndiese Konstruktion – beispielsweise unter Zeitdruck – auch mit lautemZeitdruckvermeidenKeine UnbeweglichkeitZeitmanagementErfolgskontrolleUrsachen91


Knall zusammenbrechen. Wer dauerhaft beim schlechten Problemlösenstehen bleibt, scheitert schließlich persönlich.Ein guter Problemlöser muss dagegen lernen, sich ganz bewusstdamit auseinanderzusetzen, wenn er einen Fehler gemacht oder einenMisserfolg erlitten hat. Keine Zufälle oder äußere Bösewichte sind verantwortlichzu machen. Was auch immer die Ursachen und Gründe füreinen Misserfolg im Einzelnen waren, es liegt allein in der eigenen Verantwortung,daraus die notwendigen Schritte für die Zukunft zu ziehen.Wer sorgfältig und fragend an Probleme herangeht, wird mit immergrößerer Selbstverständlichkeit erfolgreiche Verfahren zur Lösung entdecken.Probleme sind schließlich nur Lösungen im Arbeitsanzug.2. Über den sinnvollen Umgang mit eigenen FehlernFehler begehtjederNur „Starke“geben Fehler zuFehler sind unvermeidlich, das weiß jeder. Trotzdem fällt es uns schwer,sie zu akzeptieren. Bei uns selbst und bei anderen. Ist man neu im Gremium,kann man durchaus die Bemerkung hören: „Mach´ du erstmaldeine Erfahrungen.“ Ob das ernst gemeint war oder bloß ein Lippenbekenntnisist, zeigt sich an der tatsächlichen Reaktion auf Fehler odergelegentliche Misserfolge.Wenn Ihnen selbst ein Fehler unterläuft, betrachten Sie ihn als Anspornfür zukünftige Verbesserungen. Wer sich lang und breit über eigeneFehler ärgert, gibt dem Fehler nur unnötige Gelegenheit, sich wichtigzu machen. Auch im mitmenschlichen Umgang können Sie nichts Besserestun, als einen Fehler offen zu besprechen. Das ist leicht gesagtund erfordert doch immer wieder Selbstüberwindung. Wer hier versucht,sich mit faulen Ausreden und Rechtfertigungen aus der Affärezu ziehen, ist selten überzeugend. Sie sollten nicht darauf hoffen, dasses Ihnen besser als anderen gelingt, die Umwelt zu täuschen. EinenFehler ungeschminkt zugeben zu können, das zeigt innere Stärke.Problematisch wird es erst, wenn wir denselben Fehler immer wiedermachen.3. Ziehen Sie aus Fehlschlägen wichtigeErkenntnisse für die ArbeitEs wurde vorgeschlagen, einen Nobelpreis für das beste fehlgeschlageneExperiment des Jahres zu vergeben. Das ist kein Scherz. Dahintersteckte die ernsthafte Überlegung, dass auch negativ verlaufendeExperimente (= Erfahrungen) eine sehr wichtige Informationsquellesind. Schließlich lautet das Ergebnis eines gescheiterten Experiments„Nein, auf diese Weise geht es nicht“.92


XI. Die Logik des MisslingensDiese Sichtweise lässt sich auf die betriebliche Situation übertragen.Vergebliche Bemühungen oder gelegentliche Rückschläge in derBetriebsratsarbeit sind auch wichtige Informationen. Sie erfahren beispielsweiseetwas über die wirklichen Macht- und Interessenverhältnisseim Betrieb. Sie erproben, welche Wege des Verhandelns steinig,aber gangbar und welche Wege vielleicht unpassierbar sind. Wie sicheine Situation, die zunächst wie ein Fehlschlag aussieht, langfristig inErkenntnis und Erfolg verwandeln kann, zeigt das folgende Beispiel.Beispiel für positive Lehren aus einer negativen Erfahrung:Betriebsmitglied Vera Müller hörte immer wieder die Klagen derArbeiterinnen aus der Verpackung. Sie suchte den zuständigenAbteilungsleiter auf, der wider Erwarten sofort bereit war, sich dieProbleme vor Ort anzuschauen. Im Angesicht des Vorgesetztenkniffen die Kolleginnen jedoch überraschend: „Nein, wir kommengut mit unserer Arbeit zurecht, keine Probleme.“ Die Kolleginnendachten in dieser Situation nur an den eigenen Selbstschutz undwollten beim Abteilungsleiter nicht negativ auffallen. Unbeabsichtigtführte dieses Verhalten zu einer unerhörten Blamage der Betriebsrätin.Vera Müller ging später noch einmal zu diesen Kolleginnen und ließsie ihren Frust spüren: „Für euch setzte ich mich nicht noch einmalein. Schlimmer hättet ihr mich nicht behandeln können. Michso im Regen stehen zu lassen! Ich stehe bei der Geschäftsleitungjetzt da, als ob ich Probleme herbei reden würde, um mich wichtigzu machen“. Den Kolleginnen tat ihre Feigheit bereits leid. Sie hättensich vom plötzlichen Erscheinen des Vorgesetzten überrumpeltgefühlt. Mit dem Herunterspielen der Belastung wollten sie vermeiden,vom Vorgesetzten als leistungsschwach eingeschätzt zu werden.Vera Müller konnte aus dieser Situation einige Lehren ziehen.Zukünftig wird sie sich nicht voller Eifer als „Galionsfi gur“ missbrauchenlassen. Die Kolleginnen machten ihrerseits die Erfahrung, dasssich Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nur erreichen lassen,wenn man auch persönlich dazu stehen kann. Außerdem hattensie hautnah miterleben können, wie zerstörerisch unsolidarischesVerhalten ist.Auch bei Misserfolgen gilt es, das Gute im Schlechten ausfi ndig undnutzbringend zu machen. Bedenken Sie: Umwege erhöhen die Ortskenntnis.Aus Fehlernlernen93


4. Lernen kann man überallDie Mitglieder des Betriebsrats müssen nicht ständig das Rad neuerfi nden. Der Zugang zu Sachverstand, der dem Gremium und demEinzelnen zur Verfügung steht, ist seit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzeserweitert worden. Es gibt• das Recht auf Besuch von „Schulungs- und Bildungsveranstaltungen,die Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsratserforderlich sind“ (nach § 37 Abs. 6 BetrVG). Seit der Neuregelunggibt es eine Besserstellung für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder.Jeder Schulungstag wird wie ein Normalarbeitstag für Vollzeitkräftegerechnet;• den individuellen Anspruch auf die Teilnahme an anerkannten Schulungs-und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 7 BetrVG. Diessind drei sowie bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedernsogar vier Wochen Schulungsanspruch je Legislaturperiode;• erforderliche Literatur und Zeitschriften für die Arbeit des Gremiums.Diese muss der Arbeitgeber entsprechend § 40 BetrVG zur Verfügungstellen, wenn das Gremium einen ordentlichen Beschluss zuAnschaffung gefasst hat;• den neuen Anspruch auf Zusammenarbeit mit „sachkundigenArbeitnehmern als Auskunftspersonen“ laut § 80 Abs. 2 BetrVGsowie die „alte“ Möglichkeit der Hinzuziehung von externen Sachverständigen(nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber entsprechend§ 80 Abs. 3 BetrVG);• die Möglichkeit, sich mit Vertretern der eigenen Gewerkschaft kurzzu schließen und an deren Know-how und deren Beziehungsnetzwerkteilzuhaben; diese Regelung ist nicht neu, aber immer wiedernutzbringend.• Informationsbeschaffung sowie Beratungsmöglichkeiten beigewerkschaftsnahen Institutionen wie der Hans-Böckler-Stiftung,dem DGB-Bildungswerk, den Kooperationsstellen Hochschule-Gewerkschaft sowie vielen privat organisierten, aber arbeitnehmerorientiertenBeratungsstellen und Arbeitsrechtlern.5. Erst aus Erfahrung wird man klugJeder muss dieeigenen ErfahrungenmachenErfahrungen kann man nicht lehren, jeder muss sie selber machen.Informationen sind weniger als Wissen. Wissen ist weniger alsErfahrung. Informationen, Wissen und Erfahrungen können zwar imGespräch ausgetauscht werden, dennoch können Erfahrungen nichtvon einer Person auf die andere übertragen werden. Erfahrung istpraktisches, persönlich erlebtes Wissen. Sie ist Kenntnis von speziellenMöglichkeiten und Grenzen des Handelns unter speziellen Gegebenheiten.Man weiß dann, wie sich eine bestimmte Situation „von94


XI. Die Logik des Misslingensinnen“ anfühlt. Deswegen sollten Sie jedem Betriebsratsmitglied undauch sich selber das Recht zugestehen, eigene Erfahrungen machenzu dürfen – und zu müssen. Aus Erfahrung wird man klug, wennsowohl die positiven als auch die negativen Ergebnisse, also Fehleroder gescheiterte Versuche, die gleiche Aufmerksamkeit bekommen.Wenn etwas gut gelaufen ist, sind wir zufrieden, gehen aber gedanklichoft viel zu schnell zur Tagesordnung über. Besser wäre es, sichnoch einmal deutlich vor Augen zu führen, welche Schritte am meistenzum Erfolg beigetragen haben. Damit die positive Erfahrung auch inZukunft effektiver genutzt werden kann.Obwohl dieses Kapitel mit dem provokativen Titel „Logik des Misslingens“überschrieben ist, ging es natürlich darum, Vorschläge für gelingendeBetriebsratsarbeit zu machen. Nur für den Fall, dass das bishernicht aufgefallen ist.95


XII. Länger haltbar - Burnout vermeidenBetriebsratsarbeit, das kann schon ein Stressjob sein. Es sind wenigerdie kurzzeitigen Belastungen, die einem am meisten zu schaffenmachen, sondern es ist das dauerhafte Engagement und die ständigePräsenz im betrieblichen „Wahnsinn“. Ein engagierter Betriebsrat mussaufpassen, dass er sich nicht mit 150 % in einer einzelnen Aktivitätverausgabt. Er würde nur wie ein Strohfeuer abbrennen. Wirkungsvolle(effektive) <strong>Interessenvertretung</strong> muss auf Dauer angelegt sein.Engagierte Betriebsratsmitglieder sollten das Prinzip „Länger haltbar“durchaus ernst nehmen. Wer länger „hält“, kann mehr für die Kolleginnenund Kollegen herausholen.1. Was Betriebsräte fertig machtFolgende Belastungsfaktoren für Betriebsratsmitglieder, die einzelnoder in Kombination auftreten können, sollten nicht unterschätzt werden:• Es gelingt keine zufriedenstellende Balance bei der Doppelbelastungdurch Betriebsratsarbeit und Arbeitsplatz.• Die erlebte Undankbarkeit, böse Vorwürfe oder ungerechte Vorurteilevon Seiten der Mitarbeiter gegenüber den Betriebsräten werdenschlecht verdaut.• Konfl ikte, Aggressionen, Herablassung usw. mit/von Seiten der Vorgesetztenoder der Geschäftsleitung werden als bedrohlich erlebt.• Inkonsequentes Vorgehen, Konfl ikte oder fehlende Erfolge beimBetriebsrat untergraben das Selbstwertgefühl und das Erfolgserlebnis.• Körperliche und seelische Verausgabung durch überstarkes Engagement(zu viele Baustellen)• Verausgabung angesichts besonders problematischer betrieblicherEntwicklungen (Sozialplanverhandlungen, Personalabbau; usw.)2. Bevor Ihnen alles zuviel wirdÜberlastungund Überforderungals GefahrMisserfolge können auch das Resultat von Überlastung der Betriebsratsmitgliedersein. Wenn alle gestresst und ausgelaugt sind, bleibendie Ergebnisse des Gremiums hinter den Möglichkeiten zurück. Diegesundheitliche Gefährdung der Mitglieder wächst. Manche brechengesundheitlich einfach weg, andere ziehen sich schleichend zurück.Es herrscht akute Burnoutgefahr! Sicherlich gibt es dramatische Krisensituationen,in denen Betriebsratsmitglieder bis an die Grenze der96


Belastbarkeit gehen müssen. Doch das Gremium darf sich nicht inkurzfristigen Gewaltaktionen verschleißen, wenn es effektiv bleibenwill. Es ist wichtig, mit den Kräften über mindestens vier Jahre hauszuhalten.2.1 Aufgaben-vor-sich-Herschieben und KopflosigkeitManche Verschleißprobleme sind hausgemacht. Beispielsweise dieGewohnheit, bestimmte Aufgaben bis zum letzten Augenblick – oderdarüber hinaus – vor sich herzuschieben. In den Wochen vorher schienman noch alle Zeit der Welt zu haben, plötzlich ist der gefürchteteStichtag morgen. Manch einer verliert nun im akuten Stadium denKopf. Alles wird zu viel.Wie kommt es, dass dies immer wieder geschieht? Viele verschätzensich regelmäßig bei der Berechnung der notwendigen Zeit für die Erledigungihrer Aufgaben. Abhilfe bringt eine systematische Erfassung derjeweils geschätzten Zeit für ein Vorhaben und ein späterer Abgleich mitden tatsächlich benötigten Stunden. Innerhalb von zwei Wochen könnenSie Ihren persönlichen Verschätz-Faktor auf diese Wiese ziemlichgenau ermitteln. Wenn Sie dann zukünftig die Zeit für eine Aufgabespontan einschätzen, legen Sie jeweils Ihren Faktor von beispielsweise50 % drauf.ZeitmanagementistnotwendigEin wichtigerer Grund für das Aufschieben dürfte die Angst vor demScheitern an der Herausforderung sein. Aufgaben, die sehr unübersichtlichsind und deren Bearbeitung großen Arbeitsaufwand erfordert,kommen einem wie ein unüberwindlicher Berg vor. Sie wissengar nicht, wo Sie anfangen sollen. Man weiß, es wäre ausgesprochennützlich, mit der Erledigung frühzeitig anzufangen. Aber stattdessenarbeitet man liegen gebliebene Kleinigkeiten ab, führt unnötige Telefongesprächeoder räumt den Schreibtisch auf. Kurz vor Toresschlussmuss man sich schließlich doch der aufgeschobenen Aufgabe widmen.Der Zeitdruck ist inzwischen enorm gewachsen, so dass dieseArbeit nur mit allergrößter Mühe erledigt werden kann. Im Grunde desHerzens graust es den Betreffenden davor, die Sache anzupacken.Dieses ungute Gefühl wird durch Erledigung der vielen anderen Dingebeschwichtigt. Sobald eine der vielen Nebensächlichkeiten abgearbeitetist, stellt sich immerhin ein kleines Erfolgserlebnis ein. Das Aufschiebenfunktioniert wie eine Sucht – kleine Erfolge bei Belanglosigkeitenkompensieren die Furcht vor der großen Sache.Was können Sie tun, falls Sie unter „Aufschieberitis“ leiden? Jede Aufgabe,auch wenn sie auf den ersten Blick unübersichtlich erscheint,lässt sich systematisch in kleine und kleinste Teilaufgaben gliedern.Wenden Sie die Salamitaktik an. Sobald Sie sich das Problem etwasnäher ansehen, können Sie es auch in Teilaufgaben (Portionen) untergliedern.Dann beginnen Sie mit der Bearbeitung einer einzigen Teilaufgabe.Sie erleben, dass die Teilaufgabe übersichtlich und lösbar ist.Keine Angstvor neuenAufgaben97


Und damit haben Sie begonnen, das unüberwindliche Gesamtproblemin Teilschritten zu lösen. Zumindest haben Sie den ersten Schritt getan.2.2 Wenn Sie merken, dass Sie rettungslos verzettelt sindDer Schreibtisch quillt über, der Terminkalender ist voll mit Terminenund Notizen. Bis über beide Ohren sind Sie mit Aufgaben zugedeckt.Manchmal ist es der eigene Ehrgeiz, der einen dahin treibt. Aberauch ohne eigenes Zutun ist in der Betriebsratsarbeit leicht der Punkterreicht, wo plötzlich alles zu viel wird. Eine Zeitlang versucht man,durch Mehrarbeit oder erhöhte Effi zienz gegenzusteuern. Aber schließlichwächst die Sache über den Kopf. Kaum etwas wird noch richtigzu Ende gebracht. Hektik und Unruhe kommen auf. Falsche Lösungenwären:Keine Wege derProblemlösung• Versuche, durch weitere Effi zienzsteigerung voranzukommen;• Probleme nur noch nach offensichtlicher Dringlichkeit abzuarbeiten;• nur noch das zu bearbeiten, worüber man gut Bescheid weiß;• alles hinzuwerfen und das Weite zu suchen.Wenn Sie sich wie der sprichwörtliche Hamster im Laufrad vorkommen,dann ist es höchste Zeit für Zeitmanagement. Sagen Sie laut„Stopp“ und beginnen Sie, Ihre Situation in Ruhe und quasi von außenzu betrachten.2.3 Entdecken Sie die LangsamkeitSchrittweisesVorgehenDer erste Schritt zur Besserung ist die Einsicht, dass Sie Ihre augenblicklicheSituation durch zusätzliche Anstrengungen derselben Artnicht mehr zu bewältigen ist. Weitere Rationalisierungsmaßnahmenwie schnelleres Denken und Reden oder wie die gleichzeitige Bearbeitungmehrerer Aufgaben werden die erhoffte Entlastung nicht bringen.Schauen Sie genauer hin – es ist an der Zeit, etwas gänzlich undgrundlegend anders zu machen als bisher. Sie leiden nicht deswegenan Überlastung, weil Sie zu wenig Zeit haben, sondern weil Sie dieverfügbare Zeit nicht effektiv nutzen.Der nächste Schritt zur Besserung ist schwer: Sie müssen alles stehenund liegen lassen, zumindest für einen ganzen Tag. Treten Siebeiseite und betrachten Sie die Situation, in die Sie geraten sind, wieeine außenstehende Person – mit Abstand. „Gerade jetzt? – Unmöglich!“,werden Sie vielleicht denken. Sämtliche unerledigten Aufträge,Termine, Anforderungen und Verpfl ichtungen sprechen dagegen. Siebrauchen jedoch dringend die Zeit für eine Neubesinnung und deshalbauch einen gewissen Mut zur Lücke. Gegen die Hektik des Alltags hilftnur die Langsamkeit. Ihre wichtigste Aufgabe ist es jetzt, zum eigenenRhythmus des Handelns und Denkens zurückzufi nden.98


XII. Länger haltbar - Burnout vermeidenBeginnen Sie damit, alle Tätigkeiten abzuspecken, die sich gewissermaßeneingeschlichen haben, jedoch bei genauerer Betrachtung denAufwand nicht wert sind. Entwerfen Sie eine neue Prioritätenliste. StreichenSie solche Aufgaben rigoros von Ihrer Liste, bei denen Sie davonausgehen müssen, dass Sie in absehbarer Zeit sowieso nicht erledigtwerden können. Wenn Sie Ihre Prioritätenliste neu ordnen, könntenIhnen die folgenden Fragen nützlich sein:• Ist die Lösung der Aufgabe X von existenzieller Wichtigkeit?• Muss die Aufgabe Y durch den Betriebsrat gelöst werden, oderlässt sich externe Hilfe mobilisieren?• Muss die Aufgabe Z durch mich persönlich bearbeitet und gelöstwerden?• Wie hoch ist der Preis für die Nichtlösung des Problems XY?• Welchen Listenplatz bekommt die Aufgabe Y auf meiner Gesamtprioritätenliste?NeuePrioritätenlisteanfertigenWenn es zu der Entscheidung kommt, dass Sie aufgrund der Überlastungbestimmte Probleme fallen lassen müssen, sollten Sie diejenigeninformieren, die davon betroffen sind. Wenn Sie im Wort stehen, solltenSie diese alten Zusagen – wenn auch mit Zeitverzögerung – einhalten.Gerade in Krisensituationen ist es wichtig, die sozialen Beziehungenpositiv und verlässlich zu gestalten. Zwei Buchempfehlungen für dasZeitmanagement von Betriebsratsmitgliedern (Gröschel & Esser 2006sowie Seiwert 2005) fi nden sich in der Literaturliste.2.4 Lassen Sie den Stress nicht überhand nehmenWer durch Aufgabenüberlastung und Entscheidungsnot in Stressgeraten ist, dessen körperliches Wohlbefi nden wird über kurz oderlang in Mitleidenschaft gezogen. Sie vernachlässigen unter UmständenIhre Bedürfnisse nach guter Nahrung, Erholung und Schlaf. Ihre körperlichenRessourcen werden den betrieblichen Erfordernissen untergeordnet.Auch private soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten müssendann oft zurückstehen. Nicht wenige Betriebsratsmitglieder konsumierenübermäßig Kaffee, Tee, Zigaretten und andere psychoaktive Substanzen.Die Warnung vor langfristigen Gesundheitsschäden beeindrucktmeist wenig. Aber bedenken Sie einmal, was die Beschäftigtenund die Betriebsratskolleginnen davon hätten, wenn Sie aufgrund vonStressbelastung dauerhaft ausfi elen. Wer rechtzeitig einen Gang herunterschaltet,kann sich dafür langfristig wirkungsvoll einsetzen.Achten Sie aufIhre GesundheitNehmen Sie Stressgefühl, Hetze, Nervosität und Gereiztheit als WarnsignalEin rechtzeitiger Besuch beim Arzt könnte nicht schaden. RegelmäßigeEntspannungsübungen oder andere Aktivitäten zum Stressabbausollten dazugehören. Es gibt ein großes Angebot an Kursen undLiteratur zum Thema. Es nutzt Ihnen persönlich, aber auch Ihrem sozialenUmfeld und der guten Sache gleichermaßen.99


XIII. Gender MainstreamingWie gut Akzeptanz, Zuhören und Zusammenarbeit zwischen denGeschlechtern funktionieren, das hat selbstverständlich Auswirkungenauf die Effektivität eines Gremiums. Das Thema ist spannend, aber fürdiese Broschüre zu umfangreich. Nur mit „ein bisschen Gender“ wäreniemandem gedient, zumal es kompetente Autoren und Autorinnen(vgl. Nielbock & Gümbel 2006) zu diesem Thema gibt.Deswegen beschränke ich mich auf wenige Bemerkungen unter demGesichtspunkt der Effektivität des Gremiums. Männer und Frauensehen, erleben und bewerten die Welt auf spezifi sche Weise - und dasseit ihrer Kindheit. Wichtig ist, diese Unterschiedlichkeit zu respektierenund sie in der Arbeit des Gremiums umfassend und nutzbringendzur Wirkung kommen zu lassen. Frauen im Betriebsrat können u. a.bestimmte Rituale und scheinbare Selbstverständlichkeiten, die sichim Umgang mit einer männlich dominierten Geschäftsleitung eingespielthaben, besser erkennen und hinterfragen. Dadurch kann einGremium beispielsweise darüber hinauswachsen, die „Augenhöhe“mit dem Arbeitgeber nur durch demonstratives männliches Durchsetzungsverhaltenunter Beweis stellen zu wollen.Männer und Frauen bringen unterschiedliche Stärken in die Gremienarbeitein. Diese sollte bei der internen Arbeitsteilung bewusst berücksichtigtwerden. Bestimmte Themen, Abteilungen oder Beschäftigtengruppenkönnen besser bedient werden, wenn eine Frau, bzw. einMann verantwortlich zeichnet. Aber Vorsicht vor alten Rollenklischees:Viel zu häufi g wird etwa die Protokollführung der einzigen Frau im Gremiumzugeschanzt, weil die „ja so eine gute Schrift hat“. Selbstverständlichsollten Männer und Frauen gleichermaßen gefordert sein. alsselbstbewusste und kompetente Vertreter/Vertreterin des Betriebsratsin der betrieblichen Öffentlichkeit, ebenso wie in Verhandlungen mitdem Arbeitgeber aufzutreten. Für einen gewollten Perspektivenwechselkönnte es sinnvoll sein, gezielt eine Frau für die Mitarbeit im Wirtschaftsausschusssowie einen Mann für den Ausschuss „Vereinbarkeitvon Familie und Beruf“ zu gewinnen. Also eine Entscheidung quer zumÜblichen.Das Gesagte gilt ebenso für andere Unterschiedlichkeiten vonBetriebsratsmitgliedern, etwa dem Lebensalter, der sozialen oder ethnischenHerkunft, der Betriebszugehörigkeit, der berufl ichen Laufbahnoder der Länge der Mitgliedschaft im Betriebsratsgremium.Als Autor kämpfe ich selbst jedes Mal aufs Neue damit, Frauen undMännern sprachlich gerecht zu werden. Zeitweise habe ich versucht,100


das Problem mit dem groß geschriebenen I auf effi ziente Weise zulösen, was uns aber zu zweigeschlechtlichen Wesen machte. Der/dieAutor/Autorin, der/die jedoch versucht, es allen Lesern/Leserinnen injedem einzelnen Satz recht zu machen, ist wahrlich ein Unglücksrabe/eine Unglücksräbin. Wem macht es Spaß, solche sprachlichen Verrenkungenzu lesen? Wer hält das bis zur letzten Seite durch? Ich wolltemich nicht dem aktuell beliebten Kompromiss anschließen, der da lautet:„Liebe Leserin, sicher haben Sie Verständnis dafür, dass wir wegender Lesbarkeit die männliche Form wählen. Selbstverständlich sindFrauen immer mitgemeint.“ Meine Lösung beim Schreiben ist derzeit,dass ich abwechselnd Männer oder Frauen als handelnde Personenauftreten lasse. Etwa so wie auf der Bühne oder im realen Leben. IstIhnen gar nicht aufgefallen? Umso besser.101


XIV. Es gibt nichts Gutes,außer man tut esSchon mal gehört, diesen Ausspruch von Erich Kästner? EinfacheWorte. Viel Inhalt. Wohin kommen wir, wenn wir immer so weitermachen,wie wir es eben schon immer gemacht haben? Wir bleiben stehen.Können wir uns das leisten, wenn wir die Interessen von Beschäftigtenauch in Zukunft wirksam vertreten wollen? Ich glaube nicht.Besser ist es, immer wieder nach neuen Ufern und Ideen zu suchen.Es gibt nichts, das man nicht noch besser oder effektiver machenkönnte. Es muss ja nicht immer „besser“ werden, gelegentlich solltenwir auch einfach mal schauen, ob wir unsere Angelegenheiten mitmehr Freude oder mit größerer Zufriedenheit bewerkstelligen könnenals bisher?Diese Broschüre gibt es jetzt in der 4. Aufl age. Jedes Mal habe ich neudarüber nachgedacht, was Betriebsräten helfen könnte, ihre Arbeitbesser und wirkungsvoller zu machen. Ich habe viele positive Rückmeldungenbekommen, dass nützliche Tipps und Überlegungen enthaltenwaren. Das freut mich, aber macht mich nicht satt und zufrieden. DieBroschüre ist nur sinnvoll, wenn Sie als Leserin oder Leser einige derAnregungen aus dieser Broschüre in die Tat umzusetzen. Warten Sienicht zu lange! Vieles mag sich beim Lesen zunächst anregend undspannend anhören. Aber es verblasst dann doch schnell im Gedächtnis,wenn es nicht zügig in der eigenen Praxis ausprobiert wird. Es gibteben nichts Gutes, außer wenn es sich in der eigenen Praxis bewährt.Deshalb mein Vorschlag: Gehen Sie in Gedanken das Gelesene nocheinmal durch. Nehmen Sie sich zwei oder drei konkrete Vorschläge vor,die Ihnen besonders erfolgversprechend vorgekommen sind. SchreibenSie sich diese Vorhaben in Ihren Kalender, sodass Sie regelmäßigdamit konfrontiert werden. Bringen Sie die Verbesserungsvorschläge,die von allen gemeinsam umgesetzt werden müssten, als Tagesordnungspunktfür die nächste geeignete Betriebsratssitzung ein. Undvor allem: bleiben Sie persönlich dran. Dann schreiben Sie nämlich eineigenes Kapitel.Wenn Sie eigene Erfahrungen und Ideen haben, mit denen es Ihnengelungen ist, die Arbeit Ihres Gremiums effektiver zu gestalten, wennSie etwas von dem hier Geschriebenen kritisch sehen oder wenn Siedarüber hinaus gehende Fragen haben, wenden Sie sich gerne anmich unter: www.esser-seminare.de.Es ist an der Zeit, gute Erfahrungen intensiv auszutauschen, vor Fehlentwicklungenzu warnen und die erfolgversprechendsten Vorgehens-102


weisen bekannt zu machen. Nur Menschen, die kommunizieren, kanngeholfen werden.Für eine wirklich effektive <strong>Interessenvertretung</strong> wünsche ich Ihnen eingutes Händchen und viel Erfolg.103

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