KoNKRet - Magazin Humanité
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RePoRt<br />
ibt es hier auch Erdbeben?», fragt<br />
GMichel als erstes, kaum ist er in der<br />
Schweiz gelandet. Seine Mutter drückt<br />
ihn an sich. Das Wiedersehen im Flughafen<br />
Basel kommt ihr unwirklich vor.<br />
Während Tagen und Wochen wusste<br />
sie nicht, ob ihre Kinder noch am Leben<br />
sind.<br />
Carrefour, Haiti, 12. Januar 2010<br />
Es war ein gewöhnlicher Dienstagnachmittag<br />
nach der Schule. Nastasie befand<br />
sich im oberen Stockwerk des Hauses. Ihr<br />
Bruder Michel lernte mit seinem Freund<br />
Christoph am Küchentisch Algebra. «Ich<br />
Michel erzählt vom tag des<br />
Bebens, als wäre es gestern<br />
gewesen.<br />
stand kurz auf, um etwas zu holen. Auf<br />
einmal wackelte das ganze Haus so<br />
stark, dass ich neben dem Kühlschrank<br />
zu Boden fiel. Mit einem Schlag wurde<br />
mir bewusst, dass alles zusammenbricht.<br />
Ich wusste, dass ich ganz schnell ins Freie<br />
kriechen muss, sonst ist es aus.» Michel<br />
erzählt von dem Tag, als wäre es erst gestern<br />
gewesen. Er ist ernst, spricht überlegt,<br />
erinnert sich an die Details.<br />
Seine Schwester fand er vor dem Haus.<br />
Wie durch ein Wunder war sie unversehrt<br />
geblieben. Christoph, Michels bester<br />
Freund, wurde tot aus den Trümmern<br />
geborgen. Auch die zwei Tanten, bei<br />
denen die Kinder gewohnt hatten, waren<br />
umgekommen.<br />
Zur gleichen Zeit im Berner Seeland<br />
Benita Millien wurde abrupt aus dem<br />
Schlaf gerissen: «In Haiti ist alles kaputt,<br />
alle sind tot!», schrie ein Freund verzweifelt<br />
am Telefon. Benita Millien war erst<br />
am Tag zuvor von ihrem einmonatigen<br />
Besuch in Haiti zurückgekehrt. Sie arbeitet<br />
schon seit fünf Jahren in der Schweiz,<br />
um für den Lebensunterhalt der Familie<br />
in Haiti aufzukommen. Sie stand unter<br />
Schock, schloss sich in ihrem Zimmer ein,<br />
probierte wie besessen jede Person in Haiti<br />
anzurufen, die sie kannte. Sie konnte<br />
nicht essen, nicht schlafen, nicht arbeiten.<br />
«Ich wusste nicht, ob meine Kinder noch<br />
lebten, ich wusste nicht, wie es meinen<br />
Verwandten ging, nichts!»<br />
6 <strong>Humanité</strong> 4/2010<br />
Im Chaos nach dem erdbeben<br />
Nachdem sie ihr Haus und ihre nächsten<br />
Verwandten verloren hatten, waren die<br />
beiden Kinder auf sich alleine gestellt. Sie<br />
schlugen sich mit dem bisschen Bargeld<br />
durch, das Michel noch in seiner Jeans<br />
Die Freude über das<br />
Wiedersehen am Flughafen<br />
Basel war überwältigend<br />
© SRK<br />
Sport überwindet die<br />
Sprachbarriere, denn<br />
Fussballfan Michel<br />
spricht Französisch,<br />
seine neuen Kollegen<br />
sind Deutschschweizer<br />
gefunden hatte. Sie schliefen auf Matratzen<br />
am Strassenrand oder in verlassenen<br />
Autos. Michel hatte keine Möglichkeit,<br />
die Mutter zu informieren, dass er und<br />
«Tasi», wie er seine kleine Schwester liebevoll<br />
nennt, am Leben waren.