und dem gerade für Ostpreußene<strong>in</strong>gesetzten D.C.-Bischof Fritz Kesselkam es bald zu tiefgreifendenMe<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten. Dies erläutertWedemann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreibenvom 8. November 1934 an dasKonsistorium <strong>in</strong> Königsberg so: „DasReichskirchenregiment hat seit Juli1933 Gewalt und Willkürherrschaftaufgerichtet. Ich b<strong>in</strong> zum Super<strong>in</strong>tendentenberufen worden von e<strong>in</strong>erKirchenbehörde, die bewußt aufdem Boden der Heiligen Schrift desAlten und des Neuen Testamentsund der Bekenntnisse der EvangelischenKirche stand. Das jetzt bestehendeKirchenregiment habe bewiesen,daß es diesen Boden verlassenhabe. Ich könne es daher nicht mehrals die Behörde anerkennen, der ichGehorsam schuldig sei. Die Antwort,die ich aus Berl<strong>in</strong> zu erwarten hatte,konnte nur <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Absetzung besetzen.Da fügte sich’s so wunderbar,daß gerade <strong>in</strong> diesen Tagen dasunparteiische Gutachten e<strong>in</strong>es vomStaat berufenen Juristen erschien,daß alle Gesetze, Verordnungen undVerfügungen, die der Reichsbischoferlassen hatte, rechtsungültig seienund daß dadurch die Kirchenleitungenvon Reichsbischof Müllers Gnadendas Recht zum Bestehen verlorenhatten.“ (Wedemann, a.a.O., S.205 f.). Folglich unterblieb auch dieAbsetzung von Super<strong>in</strong>tendent Wedemann,wenngleich sich der Druckdes NS-Staates auf die Vertreter derKirchen und auf das Geme<strong>in</strong>deleben<strong>in</strong> Allenste<strong>in</strong> ständig erhöhte.Ungeachtet dieser ganz realen Bedrohungenevangelischer Geistlicherdurch die Nationalsozialisten hattesich am 29. Oktober 1934 die ostpreußischeBekenntnissynode gebildet,zu der Pfarrer und Geme<strong>in</strong>degliedergehörten, ebenfalls derostpreußische Bruderrat. Zu diesenneuen kirchenleitenden Gremien derBekennenden Kirche und zu führendenPersönlichkeiten wie PfarrerMart<strong>in</strong> Niemöller u.a. hatte die„Kirchliche Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft“ <strong>in</strong>Allenste<strong>in</strong> durch LandgerichtsratKramer und Kaufmann Reizuch Verb<strong>in</strong>dungaufgenommen. Beide Männerwaren engagierte Glieder derKirchengeme<strong>in</strong>de und gehörtenschon lange vor 1933 dem „Bekennerbundder Kirche“, e<strong>in</strong>er Gruppebewußt christlicher Laien Südostpreußensim Gegensatz zu den zahlreichen„völkischen“ Bewegungenjener unruhigen Zeit nach dem ErstenWeltkrieg an.Pfarrer Wilhelm F<strong>in</strong>gergeb. 12.12.1881 <strong>in</strong> Johannisburg/Ostpr.gest. 9.10.1958 <strong>in</strong> HildesheimGeme<strong>in</strong>depfarrer <strong>in</strong> Allenste<strong>in</strong> vom1. Advent 1925 bis 21.1.194540
Geme<strong>in</strong>sam mit Super<strong>in</strong>tendentWedemann, Pfarrer F<strong>in</strong>ger und PfarrerSchwede ergriffen sie die Initiativezur Bildung e<strong>in</strong>es vorläufigen Bruderratesund e<strong>in</strong>er Großveranstaltungder B.K. Dazu mieteten sie für den25. November 1934 den größten öffentlichenVersammlungsraum, denes <strong>in</strong> Allenste<strong>in</strong> gab. LandgerichtsratKramer schrieb am 27. März 1935darüber an Pfarrer Niemöller: „Nachdemuns e<strong>in</strong>e Versammlung politischverboten war, zogen wir <strong>in</strong> die Pfarrkirche,die bis auf den letzten Platzgefüllt war. Danach hat die Mitgliederzahl,anhand der ausgegebenen„Roten Mitgliedskarten“, die 1000überschritten und die Geme<strong>in</strong>de istwach und lebendig . . . Die DeutschenChristen, die zunächst dieOberhand hatten, führen e<strong>in</strong> kümmerlichesSchattendase<strong>in</strong>“ (vgl. HugoL<strong>in</strong>k: Der Kirchenkampf <strong>in</strong> Ostpreußen,S. 34).Diese überwältigende „Parte<strong>in</strong>ahme“für die Sache des Evangeliumskonnte die evangelischen Christen <strong>in</strong>Allenste<strong>in</strong> leider nur für kurze Zeit mitFreude erfüllen; denn die Gestapo –e<strong>in</strong>e durch den NS-Staat neugeschaffenePolizeie<strong>in</strong>heit – ließ mit ihremgezielten Terror gegen Geme<strong>in</strong>degliederund Pfarrer nicht lange aufsich warten: So wurde Landgerichtsrat„Kramer se<strong>in</strong>es Amtes enthoben,war e<strong>in</strong>dreiviertel Jahre ohne Gehalt,kam aber durch se<strong>in</strong>en Bruder, denJägermeister, der sich bei Gör<strong>in</strong>g fürihn e<strong>in</strong>gesetzt hatte, wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>Amt. Kaufmann Reizuch, der Leiterder Landeskirchlichen Geme<strong>in</strong>schaft,wurde geschäftlich geschädigt,durfte ke<strong>in</strong>e Lehrl<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>stellenund von der Partei diffamiert.“ (vgl.H. L<strong>in</strong>k, a.a.O., S. 94 f.). Ähnlich erg<strong>in</strong>ges Regierungsober<strong>in</strong>spektorKranzhöfer und Telegraphen-Ober<strong>in</strong>spektorFidorra. Als Mitglieder des„Ostpreußischen Gebetsvere<strong>in</strong>s“ undder Bekennenden Kirche mußten siesich von der Gestapo beobachtenund verhören lassen. Ganz nüchternund e<strong>in</strong>deutig beurteilt Super<strong>in</strong>tendentWedemann die damalige Situationder Evang. Kirche <strong>in</strong> Allenste<strong>in</strong> unddarüber h<strong>in</strong>aus, wenn er schreibt:„Allenste<strong>in</strong> stand bei dieser neuenGestaltung der D<strong>in</strong>ge nach wie vorzur B.K., was den Glaubensgrundund die Amtsführung anbetraf. Esbegann der Kirchenkampf, e<strong>in</strong>e Bewegung,die als Waffen nur das WortGottes, e<strong>in</strong> unerschütterliches Bekenntniszum Evangelium und Leidensbereitschafthatte.“ (We., S. 205).Ja, Leidensbereitschaft und Zivilcourages<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Folgezeit die starkenTugenden gewesen, die Geme<strong>in</strong>degliederund Pfarrer gegenüber Vertreterndes NS-Staates gezeigt haben.Denn es wurden oft stundenlangeHausdurchsuchungen <strong>in</strong> den dreiPfarrwohnungen durchgeführt, umfestzustellen, ob Schriften der B.K.gelesen und zur Verteilung aufbewahrtwurden. Das waren Methoden,die die ganze Pfarrfamilie <strong>in</strong>Angst und Schrecken versetzt haben.Immer mehr Pfarrer, Hilfspredigerund Vikare der ostpreußischen BekennendenKirche wurden mit Redeverbot,Amtsenthebung oder Haftbestraft. Von heute auf morgenstanden sie und ihre Familien mittellosda. Also wurden Kollekten für dieBetroffenen gesammelt, obwohl dasReichsgericht diese rechtswirksamverboten hatte. „Nach e<strong>in</strong>er Razziaauf verbotene Kollektengelder saß41