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Vor 60 Jahren in Allenstein - Stadtgemeinschaft Tilsit eV

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<strong>Vor</strong> der FluchtVon Ida GosdeckAm 21. Januar 1945, e<strong>in</strong>em Sonntag(Tag des Russene<strong>in</strong>falls <strong>in</strong> Allenste<strong>in</strong>),gegen 13 Uhr, verließ ichme<strong>in</strong>en Arbeitsplatz im Landgerichtsgebäude<strong>in</strong> der Kaiserstraße.Kurz zuvor hatte uns LandgerichtspräsidentDr. Peetz beschworen:„Rette sich, wer kann!“Ich g<strong>in</strong>g durch die Magisterstraßeund bog <strong>in</strong> die H<strong>in</strong>denburgstraßee<strong>in</strong>. Auf den unteren Stufen der Freitreppezum Treudanktheater lagenLebens- und Genussmittel: Brot,Käse, Sch<strong>in</strong>ken, Konserven, Spirituosenu.a. Die Straße war menschenleer.Auf der Kreuzung H<strong>in</strong>denburg-/Bahnhofstraße fiel mir unwillkürliche<strong>in</strong> Vers e<strong>in</strong>, den ich nach dem ErstenWeltkrieg im OstpreußischenEvangelischen Gebetsvere<strong>in</strong> gelernthatte: „Gedenke an de<strong>in</strong>en Schöpfer<strong>in</strong> de<strong>in</strong>er Jugend, ehe denn die bösenTage kommen und die Jahreherzutreten, da du wirst sagen: Siegefallen mir nicht.“Ich war betroffen und blieb stehen.Ich dachte nun an den Gebetsraum,der zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Holzhäuschenwar. Später wurden die Gebetsstunden<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schönen Anbau desneuen Hauses des Regierungsober<strong>in</strong>spektorsBudz<strong>in</strong>ski, Kurze Straße,abgehalten. Kniend beteten wir, Gottmöge uns unsere Heimat erhalten.Prediger war Regierungsober<strong>in</strong>spektorBudz<strong>in</strong>ski; Gastprediger warenPfarrer F<strong>in</strong>ger und PostassistentWiede aus Allenste<strong>in</strong> sowie PredigerGoroncy vom Gebetsvere<strong>in</strong> Ortelsburg.In Gedanken g<strong>in</strong>g ich den Weg zurückund sah das Fotoatelier Pfeifer,das Vere<strong>in</strong>shaus der NeuapostolischenGeme<strong>in</strong>de und verweilte beim„Fernblick“ auf der Eisenbahnbrücke.E<strong>in</strong>ige Schritte weiter der altekatholische Friedhof: Über dem E<strong>in</strong>gangdie schwarzlackierte Tafel mitder tröstlichen Mahnung <strong>in</strong> goldenerSchrift: „Es ist e<strong>in</strong> heiliger und heilsamerGedanke, für die Verstorbenenzu beten (2.Makk.12,45)“Ich g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Richtung Tunnel. DerSchnee auf dem alten Friedhof lagunberührt. Die Telegrafendrähte amBahndamm wispelten zart. In derKönigstraße rechts das Hotel„Schwarzer Adler“, daneben dasHaus des Glasermeisters Skibowski,von dem aus wir bei Kriegsbeg<strong>in</strong>n imJahre 1914 nach Friedeberg flüchteten.L<strong>in</strong>ks die Löwenapotheke unddie Papierwarenhandlung Weiß,daneben die Auffahrt zur Kavalleriekaserne.Und über allem lag e<strong>in</strong>ewundersame Stille. Ich dachte anme<strong>in</strong>en Großvater Michael Dorka,der als Veteran nach dem ErstenWeltkrieg Jahr für Jahr um die Zeitder Kirschenernte jeweils für e<strong>in</strong>enTag Gast des Reiterregiments se<strong>in</strong>durfte.In der Wadanger Straße, h<strong>in</strong>ter demehemals Schleim’schen Kolonialwarengeschäft,er<strong>in</strong>nerte ich mich, dassich mir die Beschädigungen an e<strong>in</strong>emHaus <strong>in</strong> der Frauenstraße ansehenwollte. Tags zuvor nämlich, umdie Mittagszeit, wurde das Haus, <strong>in</strong>dem die Germania-Drogerie war und15

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