13.07.2015 Aufrufe

Budapester Zeitung

Budapester Zeitung

Budapester Zeitung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Bud apester <strong>Zeitung</strong>13. Jahrgang / Nr. 39 Budapest, 27. September - 3. Oktober 2013 www.bzt.hu 750 Forint – D: 5,70 EuroReaktion I:Wenn in Deutschland gewählt wird,hat das Auswirkungen auf ganz Europa.Eine Übersicht über die Reaktionenin Ungarn.02Reaktion II:Wegen der schmerzlichen Eintönigkeit undBefangenheit der Medienlandschaft, entschiedsich Ex-index-Journalist Kapos dazu, eineneigenen Blog zu starten..08Reaktion III:Der Fotograf Bruno Bourelinteragiert durch seine Kameramit seinen Motiven und löstReaktionen aus.15Der ErklärerEx- Antikorruptionsbeauftragter Papcsák im KorruptionsverdachtDer Bürgermeister des <strong>Budapester</strong>Bezirks Zugló, Ferenc Papcsák (Fidesz),steht im Verdacht, millionenschwereSchmiergelder entgegengenommen zu haben.Am Dienstag veröffentlichte das Online-PortalIndex ein Tonband, auf dem derstellvertretende Bürgermeister von Zugló,István Ferdinandy (Fidesz), mit einem Bauunternehmerspricht. Der Unternehmerbeklagt sich bei Ferdinandy über die Ausschreibungspraktikendes Bezirks. Unteranderem spricht er davon, dass er rund 100Millionen Forint an Schmiergeldern an dieZuglói Vagyonkezelő Zrt. habe zahlen müssen.Die 1996 gegründete Zuglói VagyonkezelőZrt. hat die Aufsicht über jene Immobilieninne, die im Eigentum des Bezirks sind,darunter auch die amtlichen Gebäude. Zuihren Aufgaben gehören die Instandhaltungund Erneuerung dieser Gebäude. Undnoch eins: Die Zuglói Vagyonkezelő Zrt. unterstehtdem Bezirksbürgermeister, derzeitalso Ferenc Papcsák.Auf Anzeige folgt AnzeigeHR-Minister Zoltán Balog verfügt über Fähigkeiten, mit denen die meistenseiner Regierungskollegen nicht so reichlich ausgestattet sind: Er kann gut undeinfühlsam erklären, er hat Humor und scheut sich auch nicht vor Selbstkritik.Letzten Donnerstag gab er von all dem vor dem Deutschen Wirtschaftsclub(DWC) eine gute Kostprobe. Sehr authentisch und - mit Blick auf die Publikumsreaktionen- erfolgreich, gelang es ihm, die insbesondere für ausländischePartner Ungarns zuweilen nicht so leicht nachvollziehbaren Handlungen derOrbán-Regierung zu erklären, unter anderem indem er sie in einen größerenZusammenhang stellte. Dabei half ihm vor diesem Kreis auch ein weiterer seinerVorzüge, nämlich seine ausgezeichneten deutschen Sprachkenntnisse, die ihmselbst bei den leidenschaftlichen und daher sehr schnell vorgetragenen Passagenseines Vortrags stets treu zu Diensten waren. Lesen Sie einen Kurzbericht seines Vortrags auf Seite 3Auf die Nachricht, wonach Papcsák imVerdacht steht, sich der Korruption schuldiggemacht zu haben, erstatten sowohl dieSozialisten (MSZP) als auch die ÖkoparteiLMP Anzeige gegen den Bürgermeistervon Zugló. Papcsák seinerseits ging zurGegenoffensive über. Auch er erstatteteAnzeige wegen Verleumdung und Beleidigunggegen Unbekannt. Gegenüber demregierungsnahen Nachrichtensender HírTvsagte Papcsák, dass es sich bei jenem Unternehmer,der ihm auf dem Tonband Korruptionunterstellt, um eine Person handle,deren Wirtschaftsinteressen durch die Verschärfungder Regeln in Zugló verletzt wordenseien. Vizebürgermeister Ferdinandywiederum sei ein Komplize der Linken, dieihn, Papcsák, aus dem Weg räumen wolle.Der Bürgermeister von Zugló drückte seineHoffnung aus, dass die Ermittlungen sorasch wie möglich zum Abschluss gebrachtwürden.Zur Erinnerung: Ferenc Papcsák warzwischen Juni und November 2010 der ersteRegierungsbeauftragte der Regierungvon Viktor Orbán, der zur Aufgabe hatte,die „korrupten Machenschaften” der linksliberalenRegierungen (2002-2010) zu durchleuchten.▶▶PB1222 Bp. Nagytétényi út 48-50 • Tel: (+36-1) 382-9000Fax: (+36-1) 382-9003 • e-mail: fox@fox-autorent.comwww.fox-autorent.com • open: 8am-8pm 7 days a weekTip of the Week Tip der Woche – VergnügungsparkNun ist es soweit, das letzte Wochenende des Vergnügungsparks steht vor der Tür. Dieletzte Chance sollte genutzt werden. www.vidampark.hu9 771785 110000 13039


2 P o l i t i k<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013Kompakt4K!: Oppositionsparteioffiziell registriertWie die sozialdemokratischeKraft 4K! vergangenen Freitagmitteilte, wurde sie nach anderthalbJahren juristischen Hickhacksendlich als Partei gerichtlich registriert.Zuvor musste sie auf Anordnungdes Hauptstädischen Gerichtsunter anderem ihren Gründungspar tei tag drei Mal wiederholen.Im Gegensatz dazu wurde einAntrag der Partei „ZweischwänzigerHund“ („Kétfarkú kutya párt“)mit der Begründung abgelehnt,dass ihr Name auf kein ernsthaftesPartei pro gramm schließenlasse.Internationale Beratungen:Treffen der Visegrád- undKEK-WirtschaftsministerAm Dienstag trafen sich dieWirtschaftsminister von elfLändern, darunter Ungarns,Polens, der Slowakei und Tschechiens,zu Bera tungen im ungarischenVolks wirt schaftsministerium.Dabei wurde über die Zieleder gemeinsamen ZentraleuropäischenInitiative (KEK), also dieFinanzstabilität der KEK-Länder,den Abbau von Staats schul den,aber auch die Stärkung der KMUsin der Region diskutiert.Autounfall: VerteidigungsministerCsaba Hende inKrankenhaus geflogenVorvergangenen Donnerstagkollidierte der Dienstwagen desMinisters auf dem Weg zwischenSzécseny und Hollokő mit einemanderem Fahrzeug. Es gab fünfVerletzte, davon drei Schwer verletzte.Der mutmaßliche Verursacherdes Unfalls wurde mit schwerenBauchverletzungen perHelikopter ins Krankenhaus geflogen,sein Zustand soll aber inzwischenstabil sein. In einem zweitenHubschrauber wurde auch derMinister, der aus seinem Fahrzeugselber aussteigen konnte, ins<strong>Budapester</strong> Militär kran kenhausgeflogen. Laut offizieller Mitteilungwar der mutmaßliche Verursacherdes Unfalls bereits mehrfach wegenGe schwin digkeits über schreitungenaufgefallen.<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>ISSN 1419-8770Verlag: BZT Media Kft.1073 Budapest, Erzsébet krt. 43.Chefredakteur & Herausgeber: Jan MainkaTel: 453-0752, 453-0753 Fax: 240-7583E-Mail: verlag@bzt.hu – redaktion@bzt.huInternet: www.bzt.huStellv. Chefredakteurin: Elisabeth Katalin GrabowPolitik: Peter BognarWirtschaft: Daniel HirschLayout: Zsuzsa UrbánMarketing & Sales: Jan MainkaAbo & Distribution: Ildikó VargaKioskvertrieb: Hungaropress Kft.Im Auftrag der MAGPRINT KFT. gedruckt von:Magyar Közlöny Lap- és könyvkiadó Kft., LajosmizseVerantwortlicher Leiter /Druck/:Majláth Zsolt, GeneraldirektorPreis In Forint In Euro6 Monate 16.000 1201 Jahr 30.000 210Pdf-Abo /1 Jahr/ 12.000 50<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong> ist Partner der:The Budapest TimesBundestagswahl 2013: Ungarische Reaktionen auf CDU-WahltriumphOrb án: „Ich gratuliere Dir, liebe Angela!”Partner oder Antipoden? Kanzlerin Merkel mit Premier Orbán bei einer früheren Staatsvisite.Auf den Wahltriumph von Angela Merkelund der CDU bei der deutschen Bundestagswahlgab es auch in Ungarn rege Reaktionen.Ministerpräsident Viktor Orbánetwa gratulierte der wiedergewähltendeutschen Kanzlerin per Videobotschaftauf dem Gemeinschaftsportal Facebook.Denn seit dem 15. Juli gibtes Tabakwaren nur nochin lizenzierten Trafikgeschäften,welche – unter bis heutemehr als fragwürdigen Umständen– größtenteils an Getreueder Regierung verteilt wurden.Der Ärger war groß, die Empörungnoch größer. Doch wo sichnormalerweise schon bald derAlltag wieder einstellt und alleZumutungen doch hingenommenwerden, regt sich nun Widerstandin der Gesellschaft.Einziger Gewinner:SchwarzmarktWie verschiedene linksliberale<strong>Zeitung</strong>en in der vergangenenWoche berichteten, ist die Mengeder legal erworbenen Tabakwarenseit Eröffnung der Trafikenenorm zurückgegangen.Die Tageszeitung Népszabadságspricht gar von einem Rückgangum 50 Prozent. Dabei stützt siesich auf offizielle Zahlen. Hatdoch die Nationale Steuer- undZollbehörde (NAV) selbst dieseLaut Orbán, der Merkel in dem Videoduzt, hat die CDU einen „wichtigenSieg errungen”. „Wir haben die Nachrichtvon Eurem Triumph mit großer Freudeempfangen”, sagte Orbán. Der Wahlsieg derCDU, so der ungarische Premier, sei auchfür ihn und seine Regierung wichtig, erfülleer sie doch mit „Mut und Zuversicht” für dieZukunft. Mit Mut deshalb, weil der Wahlsiegein Beweis dafür sei, dass eine mutige Politikselbst inmitten einer schweren europäischenKrise das Vertrauen der Wähler zu gewinnenvermag. Und mit Zuversicht deshalb, weildurch den CDU-Triumph die Möglichkeit gegebensei, in den kommenden Jahren „gemeinsamein Mittel zu finden, um die großen Problemeunserer gemeinsamen Heimat Europa zulösen”. Orbán schloss seine Videobotschaft mitden Worten: „Gott segne die deutschen Christdemokraten!Ich gratuliere Dir, liebe Angela!”Merkelals Gegenteil OrbánsErste Trafikgeschäfte schließenEnd e eines SommermärchensEs gibt wenige Dinge, welche die ungarische Seele wirklich bewegen– eines ist beispielsweise der Tabakkonsum. Man könnte fastsagen, die Madjaren sind das letzte Volk unbeschwerter Raucher.Oder vielmehr waren sie das.Zahlen ausgegeben. Währendim Juni noch 1.025 MilliardenZigaretten konsumiert wurden,fiel die Zahl im Folgemonatauf etwa 623 Millionen zurück.Noch deutlicher wird der Rückgangim Vergleich zum Vorjahr:Im Juli 2012 wurden 1,3 MilliardenZigaretten verkauft. Fürden dramatischen Rückgangmachen Beobachter vor allemdrei Gründe aus.Aus Prinzip aus demAusland oder VerzichtDa sei als erstes die gesündesteder Alternativen genannt.Die Zahl der Nichtrauchersteigt stetig. Wie einenicht-repräsentative Umfrageder <strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong> unterRauchern ergab, haben vieledie oft aufgeschobene Entscheidung,mit dem Rauchen aufzuhören,schließlich ganz – oderzumindest teilweise umgesetzt.Als häufigster, wenn nicht garalleiniger Grund wurde genannt,lieber auf ZigarettenDie Zahl der in Ungarn versteuertenZigaretten nimmt stetig ab.verzichten zu wollen, als dieRegierung zu unterstützen.Auch der Preis einer Schachtelist mit Eröffnung der Trafikengestiegen. Während nochvor Eröffnung der Trafikenvon gar 120 Forint mehr proSchachtel die Rede war, hieltsich der Preisanstieg bislang inGrenzen. Etwa 40 bis 50 Forintmehr müssen nun pro Schachtelgezahlt werden, „aber“, istsich eine langjährige RaucherinDer ehemalige Premier (2004-2009) undheutige Vorsitzende der Partei DemokratischeKoalition (DK), Ferenc Gyurcsány, stellte ineinem Eintrag auf Facebook Orbán als AntipodenMerkels dar. „Merkels Sieg ist gleichzusetzenmit Orbáns Scheitern”, schreibt Gyurcsány.Denn es sei klar, dass Merkel „in allem”das „Gegenteil” Orbáns sei. „Merkel steht fürdie politische Mitte. Sie agiert gemäßigt undüberlegt, wobei sie die Vorschläge ihrer Rivalenin ihre eigene Politik integriert”, so derEx-Regierungschef. Demgegenüber adressieredie Politik Orbáns den „radikalen rechtenRand”. Statt des Kompromisses verkörpereOrbán Begriffe wie Ausschließlichkeit undUnfehlbarkeit. Und Gyurcsány weiter: „WährendMerkel marktfreundlich ist, ist Orbánstaatsgläubig. Während Merkel eine Politikerindes Westens ist, ist Orbán ein Politikerdes despotischen Ostens. Während Merkeldie Atomkraftwerke schließen lässt, will OrbánPaks (Atomreaktor in Südungarn; Anm.)im Eiltempo ausbauen.” Summa summarumrepräsentiert Merkel für Gyurcsány die „Zukunft”und Orbán die „Vergangenheit”.Die Herzen derDeutschen erobertAuch die maßgeblichen ungarischen Printmedienkommentierten den Wahlsieg Merkelsund der CDU. Die regierungsnahe konservativeTageszeitung Magyar Nemzet erinnertdaran, dass Merkel sich zu einer Politikerinvon großem Format gemausert habe: „Werhätte noch zur Mitte der Nullerjahre gedacht,dass es die ostdeutsche Politikerin, die einstin grauen Kostümen neben ihrem MentorHelmut Kohl zu sehen war, so weit bringenwürde? Als sie die Geschicke der CDU übernahm,gingen viele noch mit Recht davon aus,dass Merkel nur eine Übergangsfigur bleibenwürde, die die Christdemokraten zwar ausder schwierigen Situation führen, in Ermangelungeines echten Charismas jedoch früheroder später in der Versenkung verschwindenwürde. Allein schon deshalb, weil es eine Reihevon Aspiranten auf ihren Posten gab. AngelaMerkel indes hat mit der Zielstrebigkeitderjenigen, die von ganz unten kommen, nichtaufgegeben. Obwohl sie keine Funken sprühte,ist es ihr gelungen, die Herzen der Deutschenzu erobern. Aber was noch wichtiger ist:Dank hervorragender politischer Tugendenhat sie nicht nur die Führung ihrer Partei undspäter Deutschlands übernommen, sondernauch jene von ganz Europa.Die linksliberale Tageszeitung Népszabadságschrieb über Merkel wie folgt: „Im Auslandwird der Kanzlerin von vielen vorgeworfen,keine europäische Vision zu haben. DenDeutschen ’taugt’ es aber, dass sie stets an dieLösung der aktuellen Probleme herangeht.Statt hochtrabenden Plänen nachzuhängen,konzentriert sie sich immer auf das ’hier undjetzt’.”András Wekler▶▶PBsicher, „das ist noch nicht dasEnde, das wird noch teurer.“ DieVerteuerung geht auf die neu bemesseneGewinnspanne zurück.Während vor dem 1. Juli Zigarettenmit einer Gewinnspannevon vier bis fünf Prozent verkauftwurden, wurde dies nunauf satte zehn Prozent erhöht.Lachender Dritter im „Trafikmutyi“sind indes die Schwarzhändler.Wie Zahlen des GfKHungária zeigen, ist der Anteilder nicht in Ungarn versteuertenZigaretten auf etwa achtProzent gestiegen (Der Vorjahreswertlag bei etwa vier Prozent).Während es zu Beginndes Jahres vor allem die Grenzregionenin Ostungarn waren,in denen fremd-geraucht wurde,nimmt nun auch die Zahl derSchwarzmarkt-Zigaretten in derHauptstadt und im Westen desLandes zu.Die Trafikbetreiber selbstspüren den Rückgang deutlich.Die Zahl der eben erst eröffnetenund nun schon wieder geschlossenenTrafiken nimmtzu. Wie die linksliberale TageszeitungNépszabadság am Donnerstagschrieb, liegt dies abernicht allein am Rückgang derKäufer, sondern auch an derErkenntnis, dass zwei Trafikenin unmittelbarer Nachbarschaftsich gegenseitig das Geschäftstreitig machen.▶▶EKG


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>P o l i t i k3HR-Minister Zoltán Balog vor dem Deutschen Wirtschaftsclub„Teilweise auf Neuland vorgewagt“Fortsetzung von Seite 1Seit dem Frühjahr steht Balogeinem Ministerium vor, das den fürdeutsche Ohren so gewöhnungsbedürftigenNamen „Ministerium fürmenschliche Kraftquellen“ trägt,aus dem sich aber zumindest aufUngarisch, die auch für Deutschegut aussprechbare AbkürzungEMMI machen lässt, was alsonichts mit dem deutschen Frauennamenund noch weniger miteiner gewissen Frauen-Bewegungzu tun hat. Das EMMI ist für einebeachtliche Zahl an Fachgebietenverantwortlich, darunter Gesundheit,Soziales, Jugend, Familien,Bildung, Kultur, Sport, Kirchenfragen,Minderheiten und Integration.Als wäre das nicht genug, äußertesich Balog auch noch ausführlichzu Verwaltungs- und Rechtsfragen,die eigentlich zum Ressort seinesMinisterkollegen Tibor Navracsicsgehören, der den DWC am 17. Oktobermit einem Vortrag beehrenwird. Schließlich äußerte sich Balogauf eine Frage aus dem Publikumauch noch zu Steuerfragen. Wanntrifft man schon mal wieder einenungarischen Minister, der so gut erklärenkann!Den größten Teil seines Vortragswidmete sich Balog aber der Frageder Roma-Integration, der er sichschon seit vielen Jahren leidenschaftlichverschrieben hat und umdie er sich in der zweiten Orbán-Regierungvor seiner Beförderung zumEMMI-Minister als „Staatssekretärfür gesellschaftlichen Anschluss“intensiv kümmerte. „Es ist einJammer, dass die Frage oft nur alsProblem und nicht als Chance gesehenwird“, wandte er sich diesemThema zu. Schließlich gehe es umMenschen, die seit etwa 500 Jahren„mit uns leben und unsere Sprachesprechen“, heutzutage aber ausdem gesellschaftlichen und Arbeitslebenpraktisch ausgeschlossensind. Unter den etwa 700.000 ungarischenRoma, immerhin rund siebenProzent der Bevölkerung, liegedie Arbeitslosenrate bei 85 Prozent.„Ist es nicht eine Dummheit, nichtin diese Leute zu investieren undsie nicht zu Arbeitskräften auszubilden,die wir dringend benötigen“,spitzte Kraftquellen-Minister Balogweiter zu und ließ sogleich eine Aufzählungvon Maßnahmen folgen,mit denen sich die gegenwärtige ungarischeRegierung dieser „Dummheit“bisher gestellt hat.Bei aller Leidenschaft für das Themablieb Balog aber auch Realist.Nur mit Sozialhilfe und Sozialarbeitallein („Dank der Anstrengungender Regierung gehen inzwischenetwa 200.000 erwerbsfähige Ungarn- darunter nicht nur Roma- zum ersten Mal in ihrem Lebeneiner geregelten Lohnarbeit nach.“)sei der Situation aber nicht beizukommen.Ganz wichtig sei auchdie Selbstachtung, denn: „OhneSelbstachtung gibt es keine sozialeIntegration.“ Ganz wichtig ist fürBalog auch, dass man von der Rollenverteilung,wonach die Mehrheitimmer die Täter und die Minderheitdie Opfer seien, wegkomme. „BeideZuversichtlich: HR-Minister Zoltán Balog im Gespräch mit demehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster.Seiten sind an der entstandenenSituation schuld.“ Ausschlaggebendfür ein vernünftiges Miteinander seinicht zuletzt auch ein entsprechendesWissen übereinander. An dieserStelle erwähnte Balog, dass seit demdiesjährigen Schuljahresbeginn anungarischen Schulen die Geschichteund Kultur von Roma unterrichtetwerde. „Es gibt kein anderes Landauf der Welt, wo es Derartiges gibt“,so Balog mit deutlich spürbarenStolz über diesen Etappenerfolg inder Stimme.Angesprochen auf das sehr dynamischeRechtsumfeld verwies derMinister vor allem auf den gewaltigenReformstau, der sich in denbeiden Nachwende-Jahrzehntengebildet hatte. Deswegen sei diejetzige Regierung gezwungen gewesen,in kurzer Zeit verhältnismäßigviele Gesetze zu verabschieden, unddeshalb sei auch die Qualität dieserGesetze zuweilen „etwas schwierig“,wie der Minister frei herausbemerkte. Zahlreiche Gebiete derGesellschaft entbehrten gar jeglichervernünftiger Regelung, warenquasi gesetzliches Neuland, was diegesetzliche Regulierung besondersschwer machte. „Erst haben wireine Regelung verabschiedet, dannhaben wir die Wirkungen abgewartet.Wenn dann etwas daneben lief,haben wir rasch korrigierend eingegriffen“,gewährte Balog offenherzigeinen Einblick in die Gesetzgebungspraxisseiner Regierung.Als praktisches Beispiel führteer diesbezüglich die Schulreforman. „So eine grundlegende Reformgab es zuletzt in den 1920er Jahrenunter Kuno Klebelsberg.“ Seitdas Schulgesetz 2011 verabschiedetwurde, musste es bereits siebenMal modifiziert werden. „Ich weißnicht, ob ich mich dafür schämenmuss!“, nimmt Balog einen möglichenEinwand aus den Reihendes Publikums gleich selbst in denMund, und lässt durchblicken, dassihm ganz und gar nicht der Sinn danachsteht, sondern es ihm letztlichum die Qualität des Endproduktesgeht. Dass viele Regelungen in derPraxis nicht so wirkten wie von ihrenAutoren beabsichtigt, habe aberauch damit etwas zu tun, dass dieEntscheidungsträger, „und nichtnur sie!“, das Land gar nicht richtiggekannt hätten. Vielfach stelltesich heraus, dass auch die alte Regelungan der Wirklichkeit vorbeiging beziehungsweise eine andereals die reale Wirklichkeit annahm.„Die wichtigsten Gesetze sind aberauf den Weg gebracht, jetzt wird esruhiger“, schloss Balog.▶▶JanMainka


4M e i n u n gZitate„Es ist wie bei ChristophKolumbus, der Indiensuchte und Amerika fand:Wir im sozialistischenUngarn suchten 1989die Menschenrechteund bekamen die freieMarktwirtschaft.“Der in Berlin lebende ungarischeAutor György Dalos am Montagim Deutschlandradio-Interviewanlässlich seines 70.Geburtstages, die Situationdamaliger und heutigerDissidenten vergleichend.„Die Qualität dieserGesellschaft war noch nieso schlecht wie jetzt.“György Dalos im Der Standard-Interview zu den derzeitigenpolitischen Zuständen in Ungarn.„Ja, wie konnte ich mitDeutschen zusammenleben?Noch verwunderlicherist, wie ich zuvor mitUngarn zusammenlebenkonnte. (...) Wie kann eingebildeter Mensch sichweigern, die deutscheKultur zu lieben?“Der ungarischeLiteraturnobelpreisträgerImre Kertész im Die Zeit-Interviewam Samstag, nach seinerFaszination für Berlin gefragt.„Es waren immer die anderen,die etwas falschgemacht hatten, nie wirselbst.“Die ungarischeBürgerrechtsaktivistin SzilviaVarró, die vor Kurzem eineKurzfilmreihe über die Roma-Mordserie von 2008/09 veröffentlichte,im Deutsche Welle-Interview auf die Frage, wie dieungarische Gesellschaft zu derMordserie stehe.„Die Regierung schlägterst zu, danach fragt sie.“- „Nur Dich.“Verbaler Schlagabtausch zwischender LMP-AbgeordnetenBernadett Szél und dem Fidesz-Abgeordneten László Tasó amMontag im Parlament.„Dort [in Rumänien] entstehenFilme, die relevantegesellschaftlicheProbleme aufgreifen,während unser [ungarisches]Kino vor allem denModen auf den großenFestivals hinterherläuft.“István Szabó, ungarischerFilmregisseur (u.a. „Mephisto“)am Montag beim Filmfestival„CineFest“ in Miskolc.Controlling IT-UnterstützungSteuerberatung BuchführungFirmengründung in UngarnZweisprachigPräziseZuverlässig!Journal Finanzdienstleistungen GmbHE-Mail: info@journal.huTel: (36-1) 391-8080Fax: (36-1) 275-8424Fordern Sie ein Probeexemplar unsereskostenlosen Mandantenbriefes an!www.journal.hu<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>Bei anderen gelesenDer Geist von Auschwitzhat obsiegt• Von László F. Földén yiKertész kann sich äußern, wie er will – er wird so oder so zur Zielscheibevon Angriffen. Selbst wenn er Ungarn und die heutige Regierungüber den grünen Klee loben würde, würde ein Sperrfeuer auf ihn niedergehen– sein Name ist tatsächlich zur „Marke” geworden. Freilich:Die meisten geifern gegen ihn, ohne ihn überhaupt gelesen zu haben.Ihn zu verteidigen, ist mithin ebenfalls überflüssig. Was Kertészangeht, gibt es keinen Dialog.Der Radikalismus lässt dich nicht zu Wort kommen. Du kannstdich seiner nicht erwehren, er entzieht dir gleichsam die Luftzum Atmen. „Ist das Gedenken in Deutschland ein wenig zueiner Holocaust-Industrie geworden?“, wird er gefragt, worauf er lapidarantwortet: „Nicht ein wenig, ganz.“ Auf diese Frage kann man keine Antwortgeben, man kann das Gespräch höchstens auf etwas anderes lenken– mit einer in Freundlichkeit gepackten Taktlosigkeit. Ist doch derFragesteller (Iris Radisch; Anm.) selbst ein Zahnrad dieser Industrie – sowie seine <strong>Zeitung</strong> auch. Selbst das Interview ist ein Teil davon. Indem siesich äußert, wird aber natürlich auch die Interviewperson unweigerlichzu einem Teil von ihr. Sieht Kertész das nicht? Doch, freilich sieht erdas. Deshalb schnürt uns die Lektüre des Interviews förmlich den Halszu. Kertész kokettiert nicht, er mimt nicht den liberalen Intellektuellen,der selbst in der schlimmsten Situation voller Weitsicht einen Auswegzu erkennen vermeint, der an eine Lösung glaubt und auch noch an derSchwelle des Todes nicht aufhört zu beschwichtigen, dass es besser wird.Kertész wäre nicht der, der er heute ist, würde er über diese Aussichtslosigkeitund Unlösbarkeit nicht nachdenken. Er sagt von sich: „Ich warein Holocaust-Clown.“ Die Liberalen würden sich natürlich freuen, wenner sich als etwas anderes bezeichnen würde. Zum Beispiel als „Kronzeugen“,dessen Berufung es ist, die Erinnerung wach zu halten. Ja, so einenSatz würden wohl alle von ihm erwarten, die Journalistin der Zeit ebensowie der Präsident des Deutschen Bundestags oder Angela Merkel, ganzzu schweigen vom Publikum, sprich den Lesern. Kertész könnte also auchdiese Worte mit ernstem Gesicht sagen, wie er es jahre-, ja jahrzehntelanggetan hat – um am Ende hierher zu gelangen, zu diesem Ausdruck:„Holocaust-Clown“.Die „Erinnerungsindustrie“ ist eine schier endlos breite Straßenwalze,vor der es kein Entrinnen gibt. Versucht es dennoch jemand, gibt es nureinen Weg: die Flucht ins weltabgewandte Nichts. Das ist die illusionsloseKonklusion aus diesem Interview: Entweder du entziehst dich völligund löst dich in Nichts auf oder du bist ein Teil der Industrie. Es gibtkeinen dritten Weg – es gibt weder Erlösung noch Erbarmen. Auschwitzhat obsiegt, sein Geist, sein Totalitarismus, seine Alles-oder-nichts-Logik,die von allen so gut erlernt wurde – von den Betreibern der globalenMechanismen, die die Gelder hin- und herschieben, ebenso wie von denVertretern der Fundamentalismen, die sich wie Pilze vermehren, odervon den Repräsentanten der Vergnügungsindustrie, die sich selbst inden kleinsten Nischen einzunisten vermögen. Nicht Auschwitz hat diesenGeist hervorgebracht, sondern der Totalitarismus des 20. Jahrhunderts– von dem Auschwitz allerdings die wahnwitzigste Ausprägung ist.„Selbst Auschwitz vermochte die Weltordnung nicht zu verändern“, hatteKertész einmal gesagt. Mit anderen Worten: Auschwitz steht für die moderneWeltordnung, in der alle Menschen Wächter und Häftlinge zugleichsind. „Seit Auschwitz ist nichts geschehen, was Auschwitz widerrufen,was Auschwitz widerlegt hätte“, sagte Kertész in seiner StockholmerRede (Verleihung des Nobelpreises 2002; Anm.) In dem jetzigen Interviewgesteht er ein, dass seine damaligen Worte vergeblich waren – als Auschwitz-Überlebenderkann er nichts sagen, was nicht Applaus ernten würde.Eben diese Erfahrung findet in jenem Ausdruck seinen Niederschlag:„Holocaust-Clown“. Wir alle sind Clowns. Nicht nur er, der sich vergeblicherinnert, weil seine Erinnerung vom ohrenbetäubenden Applaus übertöntwird, sondern auch diejenigen, die ihm applaudieren. Aber auch diejenigen,die ihn besudeln und angreifen, die Antisemiten unserer Zeit. Auchsie sind „Holocaust-Clowns“.Der Autor ist ein namhafter Literaturwissenschaftler und Essayist. Derhier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 18. September 2013 aufdem Literaturportal Litera.Das Die ZEIT-Interview mit Kertész können Sie hier nachlesen: http://www.zeit.de/2013/38/imre-kertesz-bilanzAus dem Ungarischenvon Peter BognarBei anderen gelesen27. September – 3. Oktober 2013„Die Demokratie kommtohne Reflexion nicht aus“Maßgeschneiderte Autonomiefür AuslandsungarnIn den Nachbarländern Ungarns leben rund 2,5 Millionenethnische Magyaren als Minderheit. Ihr Ruf nach Autonomieist in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. Diekonservative Wochenzeitung Heti Válasz spricht sich für unterschiedlicheFormen der Selbstbestimmung aus: „Wenn wirzehn ungarische Politiker im Karpatenbecken fragen würden,was im Leben der ungarischen Minderheiten einen spürbarenWandel bringen würde, würden neun von zehn antworten:eine Autonomie. (...) Allerdings gibt es viele Formen von Autonomie.(...) Die Auslandsungarn befinden sich in unterschiedlichenLebenssituationen, die unterschiedliche Strategien derSelbstbestimmung erfordern. Das integrierte Autonomiekonzeptbringt diese Strategien unter einen Hut: TerritorialeAutonomie für jene Auslandsungarn, die in einem ethnischenBlock leben, kulturelle und individuelle Autonomie wiederumfür diejenigen, die in multiethnischen Regionen oder verstreutleben.“ (24. September 2013)GalamusOrbán verschweigtbei Nebenkosten die WahrheitUngarns Regierungschef Viktor Orbán hat die für den 1.November geplante Senkung der Wohnnebenkosten damitbegründet, dass die ausländischen Energieversorger zu vielProfit auf Kosten der ungarischen Bevölkerung machten. Dasist Unsinn, meint der Publizist Endre Aczél auf dem linkenMeinungsportal Galamus, profitiert doch auch der Staat vomhohen Strompreis in Ungarn: „Um es klarzustellen: Nicht dieEnergieunternehmen machen auf Kosten der Menschen Gewinne,sondern der Staat. (...) Ich wäre neugierig, wie vielevon den ach so dankbaren Sympathisanten Orbáns wissen,dass zwei Drittel der von den Haushalten bezahlten Stromrechnungenin die Staatskasse fließen, einerseits über die27-prozentige Mehrwertsteuer, die europaweit am höchstenist, andererseits über das staatliche EnergieversorgungsunternehmenMVM. Das heißt, dass die im Eigentum der deutschenRWE befindliche Firmengruppe Elmű-Émász bloß ausdem dritten Drittel Nutzen zieht. Von ihr erwartet sich Orbán,die gesamte Last der Senkung der Wohnnebenkosten zutragen.“ (18. September 2013)Péter Nádas ruft Politikerzur Selbstreflexion aufMangelt es den Politikern an Selbstreflexion, leidet dieDemokratie darunter gehörig, fallen sie doch gefährlichenTrugbildern und Hirngespinsten anheim, reflektiert derSchriftsteller und Essayist Péter Nádas in der linksliberalenWochenzeitung Élet és Irodalom: „Die Demokratiekommt ohne Reflexion nicht aus. Von der Reflexion ist dieSelbstreflexion aber leider nicht zu trennen. Zur Selbstreflexionund zur mentalen Selbsterkenntnis ist ein bestimmtesMaß an Askese und mindestens ebenso viel Selbstaufopferungvonnöten. Aus diesem Grund meiden die Demokratendie Selbstreflexion wie der Teufel das Weihwasser. Würdendie Politiker indessen mehr in sich gehen, gäbe es wenigertrügerische Nachrichten, weniger Träumereien und wenigereitlen Schein, ja, die Demokratie wäre insgesamt stabiler.Und umgekehrt: Wenn sich niemand in Selbstreflexion übt,weil alle nur über die anderen und deren Anomalien eineMeinung haben und ihre eigenen Haltungen und Handlungenausblenden und unhinterfragt lassen, dann wird die Demokratievon den vielen falschen Selbstbildern zerrieben.“(13. September 2013)


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>W i r t s c h a f t5Regierung schaltet in den WahlkampfmodusGeschenke an die WählerSicher ist sicher: Premier Orbán schaltet schon jetzt in den Wahlkampfmodus.Staatshaushalt: 110 Prozent neu verschuldetNeu verteilung des Tabakmarktes rächt sich am BudgetDie neue Verfassung sollte angeblich in Stein gemeißelt sein,vom ungarischen Staatshaushalt wagt kein Politiker Gleiches zubehaupten. Bereits ein halbes Dutzend Mal griffen die Abgeordnetenin diesem Jahr in die laufende Haushalts-„Verplanung“ ein,so denn Brüssel keine Gnade walten lässt, steht Ungarn wiederein heißer Herbst bevor.Ende August war die Jahresvorgabein der Budgetplanungerschöpft: Mit 961 MilliardenForint (rund 3,2 MilliardenEuro) hatte der ungarische Staatdas ursprünglich für das Gesamtjahrgesetzte Defizitziel bereitsum ein Zehntel überboten. KeinProblem, hieß es beim Volkswirtschaftsministerium,dennaufgrund „besonderer Vorkommnisse“müsse die Jahresvorgabeohnehin auf 1.050 MilliardenForint angehoben werden. Warumdas dem Maastricht-Ziel von dreiProzent am Bruttoinlandsprodukt(BIP) keinen Schaden tut? Nun ja,natürlich wächst die Wirtschaftüber Nacht nicht in den Himmel;ein immerhin steigendes BIP erlaubteaber dem Staat, mehr Neuschuldenzu machen, ohne gleichdas Maastricht-Kriterium zuverletzen, das für die zweite Orbán-Regierungoberste Prioritätgenießt.Die aktuelle – und im Parlamentdank Zweidrittelmehrheitohne Bauchschmerzen durchgewinkte– Defizitanhebung um170 Milliarden Forint soll zudemnoch „systemneutral“ sein. Dieumgerechnet über 550 MillionenEuro erhöhen das Defizit deshalbDie nationalkonservative Regierung vonViktor Orbán will offenbar auf Nummer sichergehen. Angesichts der näher rückendenParlamentswahl (Frühjahr 2014) setztsie alle Hebel in Bewegung, um die Wählerfür sich einzunehmen. In den vergangenenWochen kündigte sie gleich zwei Maßnahmenan, die dazu geeignet sind, in der ÖffentlichkeitGefallen zu finden: einerseitsdie Senkung der Wohnnebenkosten, andererseitsdie Ausweitung der Steuervergünstigungenfür Familien.Wie der für Sozialfragen zuständigeStaatssekretär Miklós Soltész Anfangder Woche mitteilte, werden die Steuererleichterungenfür Familien ab 2014 weiter ausgeweitet.Möglich sei dies durch das im nächstenJahr zu erwartende Wirtschaftswachstum desLandes. Während die Regierung ein Wachstumvon 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes(BIP) erwartet, prognostizieren Analystensogar ein Wachstum von zwei Prozent oder gardarüber. In diesem Jahr wird das ungarischeBIP-Wachstum laut Prognosen bei rund 0,5Prozent liegen. In den vergangenen Jahrenbefand sich Ungarn in einer Rezession.1,1 Millionen Familienfreuen sichSoltész erklärte, dass rund 260.000 Familienin den Genuss der geplanten Steuervergünstigungenkommen würden. Hinsichtlichder Netto-Löhne bedeutet das, dass den betroffenenFamilien monatlich zwischen 4.000und 60.000 Forint mehr in den Taschen bleibenwerden. Die Gesamtsumme der Steuerentlastungwird sich auf etwa 50 MilliardenForint belaufen. Angesichts der rückläufigenGeburtenrate in Ungarn hat die Familienpolitikfür die Regierung Orbán höchste Priorität.Die Steuererleichterungen dienen alsonicht, weil sie für Kapitalerhöhungendes Sparkassensektorsund der staatlichen EnergieholdingMVM zwecks Übernahmedes E.ON-Gasgeschäfts eingesetztwerden. Wenigstens nachDarstellung des Wirtschaftsressortsin Budapest werde hiernur Geld von einer Tasche in dieandere geschoben. Die Expertenvon Eurostat prüfen die Sachverhaltenoch bis in den Oktoberhinein. Der geschundene ungarischeSteuerzahler kann nur hoffen,dass Brüssel Gnade vor Rechtergehen lässt. Denn andernfallsblüht dem Land wohl das nächsteSparpaket.Zwar hat VolkswirtschaftsministerMihály Varga geradean diesem Mittwoch im öffentlich-rechtlichenKossuth-Radiobetont, es werde 2014 keine Sparmaßnahmenund keine Steuererhöhungenmehr geben. Damit hater aber logischerweise noch indiesem Jahr erfolgende Steuererhöhungenund Sparpakete nichtausgeschlossen. Das Interviewdrehte sich nämlich um den Haushaltsplandes kommenden Jahres,als wäre zu 2013 bereits alles gesagt.Während die Regierung fürdas Wahljahr ihren SpielraumMTI / Szilárd Koszticsákvoll ausreizen und das Defizitzielauf 2,9 Prozent am BIP ansetzenwill, sollte die Neuverschuldungin diesem Jahr maximal 2,7 Prozenterreichen.Fordert Eurostat die Anrechnungder oben erwähnten 170Milliarden Forint, könnten diesenoch aus der Haushaltsreservekorrigiert werden, um nichtweit über drei Prozent hinauszuschießen.Die Reserve war fürdas Haushaltsjahr 2013 mit einmaligen400 Milliarden Forinteigentlich betonsicher eingestelltworden, wurde seither aber immerwieder angezapft, etwa fürden Bau von Fußballstadien überallim Lande, oder um das langeversprochene Karrieremodellder Pädagogen endlich auf denWeg zu bringen.Nichtsdestotrotzistdie Kasse nochnicht vollendsgeplündert.Andererseitsdarf der negativeSaldo vonEinnahmen und Ausgaben in denletzten vier Monaten des Jahresmaximal um 90 Milliarden Forintzunehmen, also um einen Betrag,den der Staat normalerweise innur einem Monat mühelos unterdie Leute bringt. Hier gründetdas Fachressort seinen unverwüstlichenOptimismus auf denUmstand, dass neue bzw. erhöhteSteuern und Abgaben greifenvor allem dazu, den Bevölkerungsschwund zustoppen. Die steuerliche Entlastung, die insgesamtrund 1,1 Millionen ungarische Haushaltebetrifft, fällt insbesondere bei Familien abdrei Kindern finanziell ins Gewicht.Neben den Steuergeschenken will die Regierungden ungarischen Familien – aber auchdem Millionenheer der Rentner – auch anderweitigunter die Arme greifen: in Form einerSenkung der Wohnnebenkosten (Strom, Gasund Fernwärme). Nachdem Anfang diesesJahres bereits eine Senkung um zehn Prozentvorgenommen wurde, wird es zum 1. Novembereine weitere Reduktion der Nebenkosten um11,1 Prozent geben. Das Wirtschaftsportal Portfoliogeht davon aus, dass die Regierung knappvor der Parlamentswahl im Frühjahr 2014 nochein drittes Mal die Wohnnebenkosten senkenwird. Allerdings: Die Experten sind einhelligder Meinung, dass die Senkung der Nebenkostenauf lange Sicht unhaltbar sei, sei doch Ungarnbei der Energieversorgung in hohem Maßevon anderen Ländern abhängig. Es ist deshalbanzunehmen, dass die Reduktion der Nebenkosteneine rein politische Maßnahme ist.Defizit 2014:2,9 statt 2,7 ProzentDass in Ungarn nächstes Jahr Wahlen(Parlaments- und Kommunalwahlen) stattfinden,lässt sich auch an der Budgetplanungder Regierung für das nächste Jahr ablesen.Am Montag kündigte VolkswirtschaftsministerMihály Varga an, dass die Regierung einHaushaltsdefizit von 2,9 Prozent des BIP anvisiert.In Bezug auf 2014 hatte die RegierungOrbán bisher stets von einem Defizit in Höhevon 2,7 Prozent des BIP gesprochen. Analystenvermuten, dass die Regierung ihren finanziellenHandlungsspielraum im Wahljahr ausweitenwill. Das um 0,2 Prozent höhere Defizitlässt nämlich 50 bis 60 Milliarden Forint mehrin der Staatskasse. Geld, das die Regierungfür weitere Wahlgeschenke ausgeben könnte.▶▶PB„Es wird 2014 keineSparpakete und Steuererhöhungengeben.“Volkswirtschaftsminister Mihály Vargaim Kossuth-Radiowerden (Transaktionssteuer,e-Maut, Online-Anbindung vonHandelskassen etc.). Auf der anderenSeite drohen aber Markteingriffewie die seit Mitte Juligültige, außerordentlich restriktiveRegulierung des Tabakwarenhandelsden Fiskus um 50-80Milliarden Forint an Einnahmenaus der Verbrauchsteuer und derMehrwertsteuer zu prellen – dieZigarettenverkäufe sind laut Finanzamtim August auf etwa dieHälfte des Vorjahresvolumens gefallen,der Schwarzhandel blüht.Freilich gäbe es noch ein Feldzu beackern, um den Haushaltim Gleichgewicht zu halten, bevorMihály Varga mit dem nächstenSparpaket anrückt: Wie esin einem aktuellen Bericht derEuropäischenKommissionheißt, wurde imvergangenenJahrzehnt inUngarn durchschnittlichmehr als einViertel (!) derMehrwertsteuer unterschlagen,was zuletzt deutlich über 3 Prozentam BIP – und damit doppeltso viel wie im EU-Durchschnitt– oder 1.100 Milliarden Forintausmachte. Hier wäre für Ungarnalso wirklich noch etwas zu holen,im Idealfall sogar so viel, dassdamit jegliche Neuverschuldungüberflüssig würde.▶▶RAKompaktDiktat: Versorgungssektorgelangt an die öffentlicheHandDie Regierung verhandelt laufendüber die Rücknahme vonsechs bzw. sieben großenVersorgungsunternehmen, sagteMinisterpräsident Viktor Orbánin seinem üblichen Freitagin terviewfür das öffentlich-rechtlicheKossuth-Radio. Im kommendenFrühjahr werde das Parlamentein Gesetz über den Nonprofit-Charakter der öffentlichen Versorgungsleistungen verabschieden.In ein oder zwei Jahrenwerde dieser Sektor von der öffentlichenHand kontrolliert.Leitzins: 20 Basispunktezum zweitenDer Notenbankrat hat amDienstag den Leitzins zum zweitenMal in Folge um nur noch 20Basispunkte gesenkt, der nunmehrbei 3,6% angelangt ist.Analysten erwarten den Leitzinsam Jahresende auf dem historischenTiefpunkt von 3%, dochnehmen die Risiken einer Zinserhöhung aufgrund der internationalenEntwicklung ständig zu.Trafiks: Monopolist nicht allesDas als Monopol erdachteneue Modell der Trafikläden zumVerkauf von Tabakwaren und anderenArtikeln des täglichenBedarfs wird für schätzungsweisezwei Drittel der Betreiber zumDebakel. Wie vom Finanzamt bestätigt,fiel der legale Tabakwarenhandelim Sommer um 40%zurück. Weil Zigaretten auf demSchwarzmarkt zum halben Preiszu bekommen sind, entschiedsich Phillip Morris unterdessen zudem ungewöhnlichen Schritt eineroffiziellen Preissenkung.Schiffbauinsel:Aus der TraumDer Staat kauft für netto 4Mrd. Forint (knapp 13,5 Mio.Euro) jene Liegenschaften aufder <strong>Budapester</strong> Schiffbauinselzurück, die eine private Investorengruppezur sog. „Traum-Insel“ ausbauen wollte. Der als„Mini-Vegas“ konzipierte Komplexmit Hotels, Casino, Oper undDonauhafen sollte 30.000 Arbeitsplätze schaffen. Die Anfang2007 gesponnenen Träume durchkreuzteoffenbar die große Krise.Ernte:Beste Erträge seit 2008Die Getreideernte legte gegenüberdem Vorjahr um rund einViertel zu, meldete das Zentralamtfür Statistik (KSH). Bei Weizenwurde mit 5,1 Mio. Tonnen diebeste Ernte seit 2008 eingefahren.Im Vergleich zum langjährigenDurchschnitt fiel der Ertragbei Roggen am höchsten aus,welcher in Ungarn freilich nur auf35.000 ha angebaut wird.


6 W i r t s c h a f t<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013KompaktMKB: „Walfisch“-ProzessgewonnenDie MKB Bank hat rechtskräftigeinen Prozess um den sog.„Walfisch“ am Donauufer gewonnen,dessen technische Abnahmedie <strong>Budapester</strong> Stadtverwaltungseit Ende 2010 aus fadenscheinigenGründen verweigerte. Demnachmuss die Hauptstadt dem dasProjekt finanzierenden Geldinstitutvoraussichtlich 28 Mio. Euro zahlen,nachdem das Tafelgericht Pécsden ursprünglich geschlossenenVertrag als gültig anerkannte.Túró Rudi: Die beliebtesteMarke noch vor FacebookDer „Pöttyös Túró Rudi“, also diein Schokolade gehüllte Quark-Süßigkeit mit der weiß-rot-geschecktenVerpackung, ist hierzulandedie absolute Lieblingsmarke.Facebook verdankte Platz 2 in derErhebung von Millward Brown vorallem Singles. Auf den weiterenRängen der Top10 folgten: Google,Milka, T-Mobile, Pick-Salami,Vodafone, Danone, Coca-Cola undSzentkirályi-Mineralwasser.UniCredit: 15 Filialenwerden dichtgemachtAls Reaktion auf die neueSondersteuer der Banken zurKompensation der im I. Halbjahr unerwartetniedrig ausgefallenenEinnahmen aus der Transak ti onssteuerschließt die UniCredit Bank15 Filialen in Budapest. Wie dergleichzeitig als Präsident des Bankenverbandes agierende VorstandschefMihály Patai erklärte,habe man Abstand genommen vonder ursprünglichen Absicht, dieTransaktionssteuer auf die Firmenkundenabzuwälzen.Lombard-Gruppe: AttraktiveEuroanleihe aufgelegtDie Lombard-Firmengruppe desPrivatmanns Péter Bíró hat eine öffentlicheUnternehmensanleihe imVolumen von 20 Mio. Euro inDeutschland, Österreich undUngarn aufgelegt, die mit jährlich7,75% fest verzinst wird. PrivatenAnlegern kommt eine Stückelungvon 1.000 Euro entgegen. DieGruppe gehört mit einem Marktanteilvon 37% zu den führendenUnternehmen der ungarischenPfand kreditbranche.RWE: Wird demnächst auchFőgáz-Anteil verkauft?Im Zusammenhang mit Spe kulationendeutscher Medien um einenmassiven Stellenabbau beimEnergiekonzern RWE könnte derAusstieg aus dem <strong>Budapester</strong> GasversorgerFőgáz das nächsteKapitel gedrosselter Aktivitäten aufdem wenig gewinnträchtigen ungarischenMarkt sein. Bekanntlich hatteder Konzern die Junior partnerschaftbeim RegionalversorgerTigáz zu Jahresbeginn an ENI abgetreten.An Főgáz, wo die Deutschen49,8% und die Mana ge mentrechtehalten, zeigt der ungarischeStaat Interesse.Bosch Miskolc: Werkbesichtigung neuer Fertigungslinien und der „Lerninsel“Dua le Ausbildung als ArbeitsplatzgarantieNeben der <strong>Budapester</strong> Zentrale gedeiht auchder Bosch-Standort Miskolc prächtig: VorvergangenenDonnerstag lud man zu einer Besichtigungder vier neuen Fertigungslinienund dem „Lerninsel“-Modul, das zum praktischenTraining der künftigen Bosch-Expertengenutzt wird. Nach Grußworten des Geschäftsleitungund von Staatssekretär ZoltánCséfalvay ging es zur Besichtigung der neuenWerkselemente.Über 35 Mrd. Forint flossen zwischen 2009und 2013 bei Bosch Miskolc in Investitionen,wovon staatliche und EU-Fördergelder4,9 Mrd. Forint ausmachten. Durch die enormeKapitalanlage konnte die Belegschaft bisheute mehr als verdoppelt werden. „Diese Investitionist ein Zeichen von Vertrauen in Ungarnund die Region Miskolc“, eröffnete MaxNitzsche, Geschäftsführer der Bosch Energyand Body Systems Kft. seine Grußansprache.Ein 2009 gestartetes, im Rahmen des NeuenSzéchenyi-Plans mit 1,1 Mrd. Forint gefördertesProjekt zur Schaffung 550 neuer Arbeitsplätzeim hochtechnologischen Bereich werdeetwa im Herbst abgeschlossen. „Ende des Jahresbeziehungsweise Mitte 2014 werden zweiweitere Projekte beendet: Eines für die Entwicklungsowie Produktion neuer Belüftungsmotorenund eines für die Erweiterung derBeispiel Deutschland: Duale Ausbildung.Produktion von Generatoren sowie selbstzündenderMotoren“, verkündete Nitzsche. Ebensomussten aufgrund des großen Erfolges neueFertigungslinien für Elektroantriebe, etwa fürBoschs eBikes her.Damals hatte ein ungarischerGroßgrundbesitzer dieses errichtet,um sein Gut sowie die Umgebungmit Strom zu versorgen. Erhatte damit wertvolle Pionierarbeitgeleistet, auf die der Versorgeraufbauen konnte: Das denkmalgeschützteMaschinenhaus musstenur teils erneuert werden, da esimmer noch in gutem Zustand war.Die damit beauftragte Émász-TochterSinergy Kft., die auch als Betreiberder Anlage fungiert, tauschtedie Hydrauliksteuerung, Stromleitungenund -maschinerie sowie dieTurbinen aus. Außerdem wurde derBosch-Geschäftsführer Max Nitzsche (2.v.l.) und Staatssekretär Zoltán Cséfalvay(3.v.l.) bei der Werksbesichtigung.Uwe Mang, Kaufmännischer Direktor vonBosch Miskolc griff das Motto des Werksbesuchs„Innovationsernte“ auf: „Es ist nun Erntezeit:Zeit für uns, den Erfolg zu ernten, den wir gesäthatten.“ Er meinte damit neben neuer Anlagenauch die 2011 unterzeichnete Kooperationsvereinbarungzwischen der Stadt und Bosch, in dessenZuge 2012 an der Andrássy Gyula-FachmittelschuleMiskolc die zwei ersten Klassen mit 24ungarischen Jugendlichen gestartet wurden, diedie duale Ausbildung bei Bosch beginnen. „DieSchüler sind zwei- bis dreimal pro Woche bei unsim Werk und lernen technische Fähigkeiten aufhöchstem Niveau“, erklärte Mang.Durchflussraum unter dem Gebäudeerneuert. Das Kraftwerk konntezuvor maximal 450 Kilowatt Stromproduzieren, nun sind es bis zu 940Kilowatt – und das ohne jeglichenCO²-Ausstoß. Die alten Turbinenwerden als Anschauungsmaterialim Maschinenhaus und danebenausgestellt.„Die Renovierung dauerte vonJuli 2012 bis Juli 2013, danach liefder einmonatige Testbetrieb an“,erklärte András Kósa, KaufmännischerDirektor der Sinergy Kft.gegenüber der <strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>.Der Kostenpunkt liege beiZahl an dualen Auszubildendenin Ungarn steigerungsfähigDer Staatsekretär im Nationalen Wirtschaftsministerium,Zoltán Cséfalvay erinnerte daran,dass der deutsche Konzern der größte ausländischeArbeitgeber Ungarns im Bereich Techniksei: „Dazu bedurfte es aber der richtigen Infrastruktur,einer flexiblen Arbeitszeitregelungund vor allem gut ausgebildeter Arbeitskräfte.“Daher freue er sich besonders über den neuenMeilenstein der dualen Ausbildung bei Bosch,Elmű-Émász: Rundumerneuertes Wasserkraftwerk in Felsődobsza eingeweihtMehr grüne Energie für UngarnBis zu 940 Kilowatt können mit den neuen Turbinen produziert werden.Im Rahmen seiner Firmenstrategie, den Anteil erneuerbarer Energie zuerhöhen, weihte am vergangenen Freitag Elmű-Émász ihr rundumerneuertesWasserkraftwerk im nordostungarischen Felsődobsza ein.Die Kapazität des umweltfreundlichen Werkes am Fluss Hérnád, dasbereits 1911 erbaut wurde, konnte so mehr als verdoppelt werden.rund 900 Mio. Forint, im Rahmendes KEOP-Förderprojektes steuertender ungarische Staat und dieEU 376 Mio. Forint in Form vonnicht-zurückzuzahlenden Subventionenbei. „Obwohl ein Wasserkraftwerkdeutlich weniger Stromals ein klassisches Kraftwerkproduziert und daher weniger Gewinnbringt, wollten wir unbedingtzur ungarischen Produktion vongrünem Strom beitragen“, meinteKósa.Etwa 200 Meter vom Maschinenhausbefinden sich die Schleusenund das Staubecken, die ebenfallserneuert wurden. Neben dem Staubeckenwurde auch eine sogenannte„Fischtreppe“ installiert, bei der jenach Wasserpegel per Handregulierungdie Fische stufenweise vomBecken zurück in den Fluss geleitetwerden können. Und auch diedirekten Anwohner haben keinenGrund zur Beschwerde: Laut einemSinergy-Mitarbeiter hatten diesesich erkundigt, wann das Kraftwerkseinen Betrieb aufnehme –während es bereits über eine Wochegeräuscharm am Laufen war.Bei der feierlichen Eröffnung sagteElmű-Émász-VorstandsmitgliedHans-Günter Hogg, dass das Werkschon damals eine große Bedeutunghatte, man heute im Vergleichzu anderen Kraftwerken jedochin anderen Dimensionen denke.der „Lerninsel“. „Doch während die duale Ausbildungin Deutschland und Österreich bei etwa einemFünftel aller Unternehmen angeboten wird,sind es hierzulande nur fünf Prozent“, mahnteCséfalvay. Er hofft, dass künftig bis zu 40 Mrd.Forint EU-Fördergelder in die Schaffung vonbis zu 2.000 neuen Ausbildungsstellen gestecktwerden können, denn sowohl die fünf Prozent,als auch die Jugendbeschäftigung müssten gesteigertwerden. „Nicht alle müssen bei Boschbeschäftigt sein – aber die duale Ausbildung beiBosch ist eine Arbeitsplatzgarantie“, schloss er.Bei der Werksbesichtigung wurde danachdie „Lerninsel“ präsentiert, in der Auszubildendeihre ersten praktischen Handgriffe, etwa anHandpressen üben. Dort lernen sie sämtlicheim Bosch-Werk angewendeten Techniken, esgibt noch keine Spezialisierung. Danach wurdennacheinander die neuen Fertigungslinienfür die Herstellung von Motorkühler-Antrieben,von eBike-Akkumulatoren sowie des Air MaxEco2-Belüftungsmoduls gezeigt. Auf die dualeAusbildung angesprochen, sagte Nitzsche gegenüberder <strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>: „Ungarn wird immermehr wie Deutschland. Wobei Bosch dabeieine gewisse Vorreiterposition einnimmt.“▶▶Daniel Hirsch„Heute ist es eine größere Herausforderung,erneuerbare Energienin den Dienst der Stromerzeugungzu stellen, aber wir haben die Anstrengungauf uns genommen,denn es ist wichtig für die Zukunft“,erklärte Hogg, „so konnte hier eineAnlage entstehen, bei der Vergangenheitund Zukunft aufeinandertreffen.“ Passend zur Firmenstrategie,vermehrt auf erneuerbareEnergien zu setzen, wurde auch ein„grüner Tarif“ eingeführt, der ausschließlichauf grünen Strom, etwaaus Felsődobsza setze. „Hier endeteein hartes Stück Arbeit“, schlosssich András Papp, Sinergy-Geschäftsführeran, „doch wenn mansolche Projekte angeht, muss manlangfristig denken, und nicht inWahlperioden.“ Danach sprach derParlamentsabgeordnete des lokalenWahlkreises, Ferenc Ódor: „Wirkennen hier auch andere Zeiten –in denen man Altes abreißen musste.Es ist beispielhaft, wie schnelldie Arbeiten durchgeführt wurdenund dass trotz der Erneuerung alteWerte bewahrt wurden.“ Er würdesich über weitere Investitionen inder Region freuen, schloss Ódor.Per Knopfdruck wurde anschließenddie Anlage gestartet, dasWasser begann durch die Turbinenzu fließen. Im 20 Kilometerentfernten Gibárt steht das nächsteWasserkraftwerk von Elmű-Émász, das sogar noch früher, 1903erbaut wurde. „Dessen Erneuerungkönnte in Zukunft als nächstes anstehen“,so Hogg.▶▶Daniel Hirsch


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>F e u i l l e t o n9Pető Institut noch immer in NötenGro ße Ratlosigkeit und noch größerer ÄrgerGroße deutsche Politiker wie GustavHeinemann und Helmut Kohl wusstenes und sprachen es aus: „Man erkenntden Wert einer Gesellschaft daran, wiesie mit ihren schwächsten Mitgliedernverfährt.“ Legt man dies als Maßstab an,ergibt sich für die ungarische Politik eintrauriger Wert.Da ist beispielsweise der offen zurSchau getragene Sozialdarwinismuseiniger Fidesz-Abgeordneter.Während Lajos Kósa, Bürgermeistervon Debrecen und MdP, bei der Eröffnungdes Schuljahres davon sprach, dassdie Schwächsten herausfallen und durchStärkere ersetzt würden, macht LászlóHorváth, Abgeordneter des Fidesz, derweilStimmung gegen ein Wohnprojekt für Menschenmit Behinderung. Vielmehr machte,denn während er am vergangenen Freitagnoch auf seiner Webseite gegen den Verkaufvon Immobilien an eben diese Wohnprojektegewettert hatte (im Namen seinerGemeinde, wie er sagt), wies der Blog 444.hu nur zwei Tage später auf ein neues Fotomit Horváth hin. Der Abgeordnete posiertegemeinsam mit Bewohnern einer Behinderteneinrichtung.Mehr noch, in einemYouTube-Video, aufgenommen nur wenigeTage nach Horváths ablehnenden Äußerungen,wandelt er durch eine Einrichtung,lässt sich von den Bewohnern dort feiernund inszeniert sich selbst als Galionsfigurim Kampf um Integration. Damit liegt Horváthzwar komplett auf der Kommunikationslinieder Regierung, frei nach „AchtenSie nicht darauf, was ich sage, sonderndarauf, was ich tue“, hinterlässt vielerortsjedoch Verwunderung und Ärger.Einigkeit, aber nicht genugTrotz mehr als 4.000 „Likes“ bei Facebook war die Zahl der Demonstranten sehr gering.Da ist aber auch weiterhin das immernoch vor dem finanziellen Aus stehendePető Institut (die <strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>berichtete). Die Abgeordnete der Partei„Dialog für Ungarn”, Timea Szabó, reichteam vergangenen Montag zum zweitenMal einen Änderungsvorschlag ein mitdem Inhalt, dem weltberühmten Instituteine halbe Milliarde Forint Soforthilfe zurVerfügung zu stellen. Dabei erhielt ihr VorschlagHilfe von unerwarteter Seite: Dierechtsextreme Partei Jobbik gab schon imVorfeld der Abstimmung bekannt, den VorschlagSzabós unterstützen zu wollen. Dabeiberiefen sie sich unter anderem auf ihrNationalgefühl, schließlich sei das Institutein echtes Hungaricum. Trotz aller Bemühungenreichte es wieder nicht, wobeiüberraschenderweise ein Abgeordneter desFidesz, János Pócs, den Vorschlag ebenfallsunterstützte und vier seiner Fraktionskollegensich der Stimme enthielten.Es war wohl kein Zufall, dass TímeaSzabó, Initiatorin des Änderungsantragesund Organisatorin einer Pro-Pető-Demonstration,am Sonntag auf eben dieserankündigte, ihr Anliegen so lange vor dasHohe Haus zu tragen, bis das Pető gerettetsei. Trotz der gesellschaftlich umfassendenSolidarität mit dem Institut und langenKommentaren im sozialen Netzwerk Facebookwar die Teilnehmerzahl an der Demonstrationgering. Etwa 200 bis 250 Menschenkamen, um für den Erhalt des Petőzu demonstrieren. „Mich wundert es sehr,dass hier so wenige ehemalige Pető-Kindersind“, sagt ein Mann mittleren Alters,selbst Vater einer ehemaligen Pető-Patientin.Seine Frau berichtet mit Tränen inden Augen davon, dass ihre Tochter wegenLuftmangels von Geburt an querschnittsgelähmtgewesen sei: „Wir haben es überallversucht, waren mit ihr zur Behandlung inAmerika, aber nur das Pető hat Erfolge erzielt.Neun Jahre lang habe ich sie täglichzur Behandlung gebracht.“ Heute ist sie 26Jahre alt, hat ihr Studium abgeschlossenund geht ihren eigenen Weg – ohne Rollstuhl.Eine andere ehemalige Pető-Patientin,Mariann Hartmann, hat dem Institutebenfalls viel zu verdanken: “Ich habe damalseine Chance durch das Pető bekommen.Wer hat das Recht, jüngeren Kinderndiese Chance vorzuenthalten?”Geld ja, aber nicht genugDie Zukunft des Pető ist ebenso ungewisswie die Regierungskommunikation verwirrend.Während im Netz immer wiederBildsammlungen auftauchen, in denen entwederangeprangert wird, das Geld eherStadien als dem Institut zugesprochen wird(im Falle des Stadions des SkandalvereinsFerencváros sind es mehr als zehn MilliardenForint) oder ein einbeiniger Jungeauf Krücken beim Fußballspiel mit derÜberschrift: „Viktor, schau her! Bekommtdas Pető Institut so Geld?“ gezeigt wird, istnicht klar, wie es weitergeht. Zwar sichertedas Ministerium für Humanressourcenzusätzliche 200 Millionen Forint zu, „aberdie waren vorher schon beschlossen undzugesagt“, erklärt Szabó. Benötigt seienzusätzlich 400 bis 500 Millionen Forint,um das Institut mittelfristig über Wasserzu halten. Denn die staatliche Zuwendungan das Pető sei in den vergangenen Jahrenum ein Drittel gekürzt worden. Weiterhinsei eine wichtige Einnahmequelle des Institutsweggefallen. Da das Pető nicht mehrals Stiftung, sondern nunmehr als Kft.geführt wird, können auch keine Spendenmehr angenommen werden.Qui bono?Mariann Horváth wünscht sich, dass auch in Zukunft Kinder eine Chance durch das Pető erhalten - wie sie selbst einst.MTI / Péter Mohai (2)Die linksliberale Tageszeitung Népszabadságmeint indes den wahren Grund fürdie fehlende Unterstützung des weltberühmtenund anerkannten Instituts ausgemachtzu haben. Am Sonntag schrieb sie inihrer Online-Ausgabe davon, dass es einzigund allein um die Immobilien des Institutsgeht, von einem „Immobilienpanama“ ist dieRede. Dabei stützt sie sich auf Informationen,die diesen Schluss zulassen. So sei beispielsweisenoch im vergangenen Jahr eineSchätzung der Immobilien von der regierungsnahenLeitung der Kft. vorgenommenworden. Darüber hinaus gebe es noch weitereHinweise darauf, dass die Umstellung derStiftung auf eine Kft. vor fast drei Jahrennur dem Ziel gedient hat, der exklusiv gelegenenImmobilien habhaft zu werden. Vorläufigist das alles aber reine Spekulation.▶▶EKG


10 F e u i l l e t o n<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013xxxxxxxxxxxxxxDreisprachige Diskussionsrunde im Goethe-Institut zum Thema „Macht und Familie“Familie hat einen neuen PluralDrei große familienpolitischeSchlagworte haben Deutschlandim vergangenen Jahr bewegt:Elterngeld, Kita-Plätze und Homo-Ehe.Bei ersterem wurde – insbesondere in Politikund Medien – viel um die Beteiligungder Väter diskutiert, zweiteres erhielt mitdem 1. August durch den Rechtsanspruchauf einen Krippenplatz ab dem vollendetenersten Lebensjahr des Kindes ein wichtigesUpdate. Die sogenannte Homo-Ehe, also dieEintragung einer Lebenspartnerschaft zwischenHomosexuellen, ist in Deutschlandbereits seit 2001 möglich, in Ungarn seit2009 – heuer kamen unter anderem Neuseelandund Frankreich hinzu, teils begleitetvon heftigen Gegendemonstrationen.Doch wenn es um Familienpolitik geht,spielt oft auch die Frage um die Definitionvon Familie eine große Rolle: Was schließtder Begriff ein, was aus? In diesem Zusammenhanghat jeder eine gewisse Definitionsmachtdarüber, wie er den Begriff interpretiert.Doch Macht ist auch ein Stichwortinnerhalb von Familien. Ob es um finanzielleMacht geht, zum Beispiel in Form vonErbe, oder um häusliche Gewalt als Formder Machtausübung: Michel Foucault wares, der feststellte, dass sich dort, wo Menschensind, stets auch Machtbeziehungenfinden lassen. Über dieses weit verästelteVerhältnis von Familie und Macht diskutiertenam 7. September drei Soziologenunterschiedlicher Herkunft innerhalb derReihe „Gespräche über die Macht“ im Goethe-Institut:Als deutsche Teilnehmerinwirkte Insa Schöningh mit. Die Soziologinund Autorin ist Bundesgeschäftsführerinder Evangelischen Aktionsgemeinschaftfür Familienfragen. Daneben nahm derungarische Soziologe Péter Somlai an derGesprächsrunde teil. Der Professor Emeritusder GesellschaftswissenschaftlichenFakultät der Eötvös Loránd Universitätbefasst sich mit Themen der Sozialwissenschaftenund Familiensoziologie. Derdritte Gesprächsteilnehmer, der FranzoseJean-Louis Fabiani, ist Autor, Professorder Soziologie und Sozialanthropologie ander Central European University in Budapestund Studiendelegierter der HochschuleÉcole des Hautes Études en Sciences Socialesin Paris.Weniger Ehen,mehr FamilienformenOft sind es Zahlen, die längst wahrgenommeneEntwicklungen erst gänzlich real zuwerden scheinen lassen. Einige Zahlen solcherArt präsentierte Péter Somlai im Goethe-Institut.So gab es laut UngarischemStatistischem Amt KSH 1970 noch 600.000Alleinstehende in Ungarn – 2011 dagegensagenhafte 1.300.000. 1990 waren 80,1 % derUngarn verheiratet – 21 Jahre später sind esnur noch 65,3 %. In Lebenspartnerschaftenbefanden sich 1990 nur 4,3 % aller Ungarn– 2011 sind es stolze 14,9 %. Die Zahlen könnenauf ganz unterschiedliche Art und Weisebewertet werden. In erster Linie zeigten siejedoch, so Somlai, dass heute in Ungarn eineimmer größer werdende Vielfalt an LebensundFamilienformen herrsche und dass sichneben der Ehe auch immer mehr andere Formendes Zusammenlebens ausbreiten. EineFeststellung, der auch Somlais Kollegen InsaSchöningh und Jean-Louis Fabiani zustimmen.„Die Patchwork-Familie zum Beispielist heute sogar typisch für die Mittelschichtund tritt immer öfter als Familien-Typusauf“, ergänzt ihn der französische SoziologeFabiani. Ähnlich verhält es sich mit in PartnerschaftenLebenden und Alleinstehenden.Auch diese sind familiär angebunden. ZuAlleinstehenden lassen sich immerhin auchWitwen und Witwer, Geschiedene und – klassischerweise– Singles zählen, die zwar alleineleben, aber durchaus Familie haben. Einenmodernen Subtyp von Familie bildet auchdas sogenannte „Living apart together“, wieSomlai und Fabiani erklären: „Das bedeutet,dass ein Partner auf dem Land, im Auslandoder im Gefängnis lebt, man sich aber amWochenende oder so oft es eben möglich isttrifft.“ Eine Familienform, die heute immerhäufiger auftritt. Kein Wunder, ist doch dieunliebsame „Fernbeziehung“ allgegenwärtig.So formuliert Somlai die These: Die Vielfaltan Familienformen ist Realität; dasbeweisen die Statistiken in letzter Instanz.Die Legislative leistet dieser Vielfalt jedochnicht Genüge. Mit Legislative meint Somlainichts Geringeres als die ungarische Verfassung– in ihrer aktuellen Form. Denn dasGrundgesetz erhielt nach seiner viertenÄnderung im Märzdieses Jahres einenParagraphen, der sichzwar mit Familie befasst,sie jedoch auf dieEhe zwischen Mannund Frau und das Eltern-Kinder-Verhältnisreduziert. In derKonsequenz bedeutetdas nichts anderes,als dass alle anderenFormen von Familie,wie sie in der selbstzahlenmäßig erfasstenRealität existieren,rechtlich genaudies nicht sind unddadurch beispielsweisevon staatlichenZuwendungen ausgeschlossenwerden können. So sind zum Beispielhomosexuelle Paare per Verfassungnicht im Familienbegriff integriert. „Das istein Denken wie vor der französischen Revolution,ein neokonservativer, homophoberGedanke, anders kann ich’s nicht formulieren”,so Somlai.„Kindern geht es um Bindungund Liebe – nicht um Ehe”Die Ehe als rechtlich beschlossener Entwurfvon Familie? Auch eine Verfassungkann nichts daran ändern, dass sowohl inDeutschland und Ungarn als auch Frankreichimmer weniger Ehen geschlossen werden.Und das muss sie auch nicht, meintInsa Schöningh: „Die Familienpolitik solltesich stärker Richtung Kind orientieren, alssich so auf die Ehe zu fokussieren. Kindernist es egal, ob ihre Eltern verheiratet sind.Ja, ihnen ist es sogar egal, ob sie mit ihrembiologischen oder einem Ziehvater zusammenleben.Wichtig ist, dass es Bindunggibt, Liebe und Zuverlässigkeit.”Wieso aber haben sich die Zahlen überhauptso entwickelt? Wieso heiratet manheutzutage oft gar nicht mehr, oder aberDas Goethe Institut veranstaltet eine Konferenzseriezum Thema „Macht“.immer später? „Nicht jeder benötigt eine öffentlicheBestätigung für Vertrauen, Liebeund Kinder. Viele Eheschließungen passierenheute erst nach ein, zwei Kindern. DieEhe kann aber natürlich auch eine Formder Anerkennung sein – gerade bei Homosexuellen.“Dem stimmt auch Fabiani zu: „DieZulassung der Homo-Ehe in Frankreichund anderswo eröffnet neue Perspektiven.Das Gesetz war notwendig, auch wenn esin letzter Zeit nicht so viele homosexuelleEheschließungen gab. Ich habe das Gefühl,dass sich das Verhältnis zwischen Familieund Tradition verbessert. Und ich denke,in Zukunft könnten noch mehr Formen vonFamilie entstehen.“Die Reihe wird am 29. Oktober mit demThema „Macht und Wissenschaft“ im französischenKulturinstitut fortgesetzt.▶▶Lisa Weil


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>F e u i l l e t o n11Hardcore-Punks The Dillinger Escape Plan entern Kulturschiff A38Wen n Schreie Musik in den Ohren sindEigentlich ist es ganz einfach, die Qualitäteiner Band zu beurteilen. Man muss nichtsweiter tun, als sie sich in einem kleinenPlattenladen anzusehen, tagsüber wohlgemerkt,ohne dem Unterhaltungsfaktorschmeichelnde bunte Diskolichter, ohneden Auftritt vertuschende Nebelmaschinen,aus einer Entfernung von wenigenMetern – in einem absolut exponiertenZustand also, in dem keine Tontechnik fürdie misslungene Show verantwortlich gemachtwerden kann und keine verdeckteSicht das Bühnengeschehen beschönigenkann. Dieses Bewertungsschema angewendet,erhalten The Dillinger Escape Planohne Frage die höchste Punktzahl. Weraußerdem Lust auf Trommelfell-Massagedurch lauten, Gitarren- und Schrei-lastigenHardcore hat, der sollte am 6. Oktoberdas Kulturschiff A38 entern.Die Anekdote aus dem Plattenladenist im Übrigen ein Augenzeugenberichtvom Auftritt DillingerEscape Plans in einem US-amerikanischenVirgin Megastore 2007, doch auch die seitdemvergangenen Jahre haben der Energieund Performance-Kraft der Band nichtsanhaben können. Aktiv ist die lautstarkeTruppe seit 1997, als sie auch ihre erste EPveröffentlichte. Bereits ihr früher Soundgewährte Ausblick auf den zukünftigen musikalischenWeg von The Dillinger EscapePlan. Der Shout etwas höher und krächziger,spielten die Gitarren und die Rhythmikauch schon damals verrückt. Wer die Songsnicht kennt, weiß nicht, was er nach demnächsten Takt zu erwarten hat. Viele betitelndiesen Moment als jazzig, für mich hörtes sich an wie progressiver Mathcore irgendwozwischen Opeth, Mastodon und Converge.In jedem Fall ist jedes Stück Musik vonThe Dillinger Escape Plan dramaturgischbis auf die letzte DoubleBass ausgeklügelt.Als die Band 1998 beiRelapse Records unterVertrag kam, beganneine mehrere Jahreandauernde Partnerschaft,die zunächstder Aufnahmequalitätder Alben und späterder Experimentierbereitschaftstark unterdie Arme griff. Daserste Studioalbum folgte 1999 („CalculatingInfinity“), mit viel Tempo, satten Shouts undgenialen Gitarrenriffs. Fünf Jahre später,2004, ging es auf dem nächsten Studioalbum„Miss Machine“ melodiöser zu. Die Band umSänger Greg Puciatoschien das Kontrastierenvon sanfterenund härteren Momentenstärker im Blickfeldzu haben, wassich ganz neu entwickelndemusikalischeStrukturen zuließ.Nach „Ire Works“trennten sich TheDillinger Escape Plan2009 von Relapse Recordsund sattelten zu Season Of Mist Recordsum, wo sie seitdem unter Vertrag stehen.„Option Paralysis“ ist 2010 der vierteLongplayer der Band und der erste mit neuemDrummer Billy Rymer. Außerdem feiertehier Gastpianist Mike Garson seine Premiere– sicher einer der seltenen Fälle, dass ein KlavierMathcore begleitet. Auch wenn die Texteder US-Amerikaner nie unbedacht warenund fortlaufend eine Menge Dampf abließen,ist dieses Album erstmals offen technikkritisch.Die Botschaft ist: Schaltet Eure Fernseherund Telefone aus, und besinnt Euch aufdas, was wirklich wichtig ist: Leben.Demnächstin BudapestIm Mai dieses Jahres, nach gewohnten dreiJahren Albumpause, erschien dann „One OfUs Is The Killer“. Das Album erhielt positiveKritiken, gilt es doch als zugänglicher alsseine Vorgänger ohne an Rumms und Liebezum Lärm verloren zu haben. Doch aucheine außergewöhnliche Live-Tauglichkeitwird dem Fünftwerk beschienen, welche amSonntag, 6. Oktober, getestet werden kann.Budapest und das stets besuchenswerte KulturschiffA38 sind eine der vielen Stationenvon The Dillinger Escape Plan auf ihrer Europa-Tournee.Besonders lobenswert ist dabeider große Osteuropa-Fokus, der leider sooft von tourenden Musikern vergessen wird.Verstärkung gibt es außerdem gleich doppelt:Maybeshewill aus Leicester, England, undCircles aus Melbourne, Australien, verkündenals Vorbands ihre Definition von Metal.Das könnte – hoffentlich – laut werden.▶▶Lisa WeilDillinger Escape PlanOne Of Us Is The Killer Tour 2013Support: Maybeshewill (UK), Circles (AU)6. Oktober, 20 UhrTickets: VVK 4.900 Forint, AK 5.500 ForintA38, Große HalleDer Deutsche Wirtschaftsclub Budapest lädt ein zum3. DWC-OktoberfestSonnabend, 12. Oktober 2013, 17-23 UhrFestzelt auf dem Grundstück des Malteser Hilfsdienstes1011 Budapest, Bem rakpart 28 (bei Metro- und Bus-Station Battyány tér).Neben Original-Festtagsbier wird es eine gute Auswahl an bayerischen Spezialitäten geben.Für die musikalische Unterhaltung wird die Tiroler Oktoberfestkapelle „De Drei“ sorgen (18 bis 22 Uhr).Hauptsponsor des Abends:Eintritt: 9.500 (für DWC-Mitglieder und deren Angehörige) und 12.500 Ft.Auf Wunsch kann eine begrenzte Zahl an 8-Personen-Tischen reserviert werden.Im Preis enthalten ist ein unbegrenzter Verzehr der angebotenen Speisen und Getränke.Eindrücke vom 2. DWC- OktoberfestWeitere Informationen, Anmeldung und Tischreservierung bei DWC-Assistentin Henriette Balog unter:Tel.: +36-1-312-1123 oder mail@dwc.hu


12 B u d a p e s t<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013KompaktInternationaler Tag der Gewaltlosigkeit:Demo von friedlichen MotorradfahrernUnter der Organisation von Harley-Davidson rollten am Samstag Motorradfahrerdurch die Stadt, um am Internationalen Tagder Gewaltlosigkeit für Toleranz und Pazifismuszu demonstrieren. Ihre Route führtesie vom Neszmélyi köz über den Margit körútvorbei am Kálvin tér, über den József körútauf die Elisabethenbrücke und vorbei an derCitadelle wieder zurück in den XI. Bezirk.Energie-Rennen:3. MVM Energie-LaufAm Samstag fand auf dem Széchényi térdas Rennen umweltfreundlicher, mit alternativenAntrieben ausgestatteter Fahrzeugestatt. Unter der Schirmherrschaft des Entwicklungsministeriums eröffnete MinisterinZsuzsanna Németh das Rennen, an demüber 50 Fahrzeuge teilnahmen, darunterauch Modelle 5 international anerkannterHochschulen. Der „Pannonrider 4.0“, derSonnenenergie und menschliche Kraft kombiniert,gewann.Zuschauer-Zwang: Staatsbürgerschaftsschwurvor Verdi-OperWie Klubrádió berichtete, mussten vergangenenSamstag Opernbesucher dem Ablegender Staatsbürgerschaftsschwüre von 32Auslandsungarn vor der Bürgermeisterin desVI. Bezirks, Zsófia Hassay, beiwohnen. Diessei nicht angekündigt gewesen, die anschließendeVerdi-Vorstellung habe sich deswegenum über eine Stunde verspätet, sagte eineAnruferin, die vor Ort gewesen war, erbost.Normafa: Prostestpicknickgegen BaupläneDie Ökopartei LMP ruft per Facebook zurTeilnahme an einem Protestpicknick gegendie geplanten Bauarbeiten im teils unterNaturschutz stehenden Normafa auf. Lautder Facebook-Seite „PIKNIK NORMAFÁÉRT“soll die Aktion diesen Samstag von 13:30 bis14:30 dauern, Treffpunkt ist die Busstation„Normafa“ bzw. danach der nahe gelegeneSpielplatz.Ringer-WM:Bronze für DeutschlandDer Griechisch-Römisch-Spezialist FrankStäbler hat dem Deutschen Ringer-Bund beider am Sonntag beendeten Weltmeisterschaftin Budapest am letzten Wettkampftag dieerste und einzige Medaille beschert. Gegenden Aserbaidschaner Hasan Aliyew siegteder Musberger in der Klasse bis 66 KilogrammKörpergewicht mit 5:2 und sicherte sichBronze.NEUES VOMFranz-Liszt-FlughafenNachbarschaftsspende: Hochtief AirPortunterstützt Kindergarten in VecsésDer deutsche Teileigentümer derBudapest Airport Zrt. spendete demKindergarten „Mosolyország“ („Lächelland“)in Vecsés, das an den Flughafenangrenzt, ein neues Heizungssytem imWert von 3 Mio. Ft. Die Spende wurdeMitte vergangener Woche eingeweiht.Sie ist Teil eines Spenden pro grammsvon Hochtief, in dessen Rahmen derKonzern Lehr ein rich tungen in derUmgebung von Flug häfen unterstützt, andenen er beteiligt ist.CET-Gebäude: Eröffnung für Ende Oktober unter neuem Namen angekündigt„Wa l schwimmt in ruhige Gewässer“Viel wurde prozessiert, doch nun scheint es, als ob der „Wal“ demnächst seine...In den Metrostationen stechen uns Plakatemit Jugendlichen ins Auge, die von „ihremWal“, also dem ehemals als CET und heute als„Bálna“ („Wal“) bezeichneten Gebäude amPester Donauufer als einem „zentralen Ort“in ihrem Leben schwärmen. Nach dem jahrelangenHickhack um den Komplex zwischenStadt, Bauherren und Investoren soll EndeOktober endlich die Eröffnung erfolgen.Budapest Retro – Akademie der WissenschaftenBei einem Bummel durch Budapest passiert es des Öfteren,dass man auf einen gewissen Graf István Széchenyitrifft, oder, wie die Einwohner ihn nennen, „dengroßartigsten aller Ungarn“. Man weiß, dass so eineBezeichnung eine Bedeutung hat, wenn sie vom größtenpolitischen Rivalen dieser Person stammt, und Széchenyi– der vor 222 Jahren am 22. September geborenwurde – bekam seinen Spitznamen von Lajos Kossuth.Der Graf war ein großer Reformer und ein begeisterterUnterstützer von infrastrukturellem und wissenschaftlichemFortschritt. Er assistierte bei der Konstruktionder Kettenbrücke, er half dabei, die Donau in eine internationaleHandelsroute zu verwandeln und war auchLeser der <strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong> wissen,dass wir das CET-Projekt schon langeverfolgen – und bisher leider nur wenigErfreuliches darüber berichten konnten.Aufgrund der Uneinigkeiten zwischen derStadtführung als Besitzer, Bauherr PortoInvestment Kft., den beteiligten Baufirmenund dem Architekten kam es immer wiederzu Verzögerungen bei dem 2009 begonnenenmilliardenschweren Prestigeprojekt. DasShopping- und Kulturzentrum hätte eigentlichim Sommer 2010 eröffnet werden sollen.Die finanziellen Querelen zwischen Stadtund MKB Bank als Kreditgeber sowie derStadt und der Porto Investment Kft. führtensogar zu Gerichtsprozessen: Porto forderte12 Mrd., MKB 7,5 Mrd. Forint an Ausständenvon der Stadtverwaltung; Népszabadságsah Budapest deswegen schon „ vom Bankrottgefährdet“. Die MKB bekam Ende Märzvom Pécser Gerichtshof Recht, die Stadt legteWiderspruch ein und versuchte die Schulden„herunterzuhandeln“. Zuletzt hatte sie nochdie Abnahme des Gebäudes verweigert, daman Dachmängel sah, die dringend ausgebessertwerden mussten. Porto sah dies alsüberflüssig an.Mitte Juni gab es schließlich einen Durchbruch:Stadtführung und Porto einigten sichaußergerichtlich auf die Zahlung von 1,95Mrd. Forint an die Projektfirma – abzüglichetwa 390 Mio. Forint, auf die die Stadt dasUnternehmen wegen der illegalen Nutzungvon Gemeindeflächen verklagt hatte. Portosollte auch alle Ansprüche zurückziehen undso den Weg für die Fertigstellung sowie Eröffnungfrei machen. Scheinbar also ein dreifacherGewinn für die Stadt. Diese Einigungberührte jedoch nicht den immer noch laufendenProzess der Stadt mit der MKB. (UnsereAnfrage beim Büro des Oberbürgermeistersnach dem aktuellen Stand des Verfahrensblieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.)Unklar, wer über neuen Namenund Logo entschiedDa der Vertrag mit Porto gelöst wurde,musste auch der Name „CET“ abgegebenwerden, da er von der Projektfirma stammte.Doch ein neuer war schnell gefunden: „Bálna“(„Wal“) – der Name, den der Volksmundaufgrund der Gebäudeform von Anfang anbenutzte. Eine Anfrage der Dialog für Ungarn-StadtparlamentsabgeordnetenÁgnesSomfai , durch wen und auf welcher Grundlageder neue Name mitsamt dem „fantasielosenLogo“ (O-Ton Somfai), das zugegebenermaßeneher nach Papierschiff, dennWalfischschwanz aussieht, gewählt wurde,BZT / Isabella Weigand (2)blieb unbeantwortet. Ende Juni verkündeteder für die hauptstädtischen Finanzen verantwortlicheVize-OB Gábor Bagdy, dass derWal Ende Oktober eröffnen soll. „Der Walschwimmt endlich in ruhigen Gewässern“,formulierte er, die Gebäude-Betriebserlaubnisliege seit Ende Mai vor, alle juristischenProbleme seien bis auf den MKB-Prozessbeseitigt. Dessen Ausgang habe auf die Eröffnungkeinen Einfluss, und selbst bei einerNiederlage der Stadt müsse sie nur dieSchulden gegenüber Porto zahlen, da die Vorgänger-Stadtführungeine unverantwortlichetrilaterale Vereinbarung mit Porto und MKBeingegangen sei, so der Vize-OB (Bagdy undOberbürgermeister István Tarlós hatten dasProjekt schon zu ihrer oppositionellen Zeit imStadtparlament attackiert; Anm.).Wenige Mietinteressenten,neue KostenAuf 27.000 qm Fläche auf sechs Stockwerkensollen im Inneren des Wals Lokale, Geschäfte,Veranstaltungs- und Ausstellungsräumeeine Heimat finden. Es sind jedochnoch wenige Mieter, die bereit sind, die 9.900Ft/qm betragende Miete zu zahlen – AnfangJuli eröffnete etwa der dreifache Wasserball-OlympiasiegerZoltán Szécsi sein „OlimpiCafé“–, daher müssen auch städtische Institutionenhelfen, die Räume zu füllen: DerEinzug der Budapest Galerie des <strong>Budapester</strong>...Pforten für Besucher öffnet.Geschichtsmuseums kostet die Stadt weitere210, der des hauptstädtischen Marktverwalters„Csapi“ („Csarnok és Piac Igazgatósága“)beziehungsweise von dessen Geschäften 110Mio. Ft. Zusammen mit den von Porto unvollendetenArbeiten (Tiefgarage, Außenbereiche)muss die Stadt laut einem Index-Berichtvom Dienstag noch insgesamt 1,3 Mrd.Forint fließen lassen, ehe der Wal wirklichlosschwimmen kann.▶▶Daniel Hirschverantwortlich für die Einrichtung der UngarischenAkademie der Wissenschaften (Foto). Die Geschichteder Akademie begann 1825, als Széchenyi auf einer Bezirkssitzungdes Diet in Bratislava (dem damaligen Sitzdes ungarischen Parlaments) ein volles Jahreseinkommenseines Landsitzes für die Zwecke einer gebildetenGesellschaft anbot. Andere Abgeordnete folgten seinemBeispiel. Die Aufgaben der Akademie lagen in der Entwicklungder ungarischen Sprache und den Studien derWissenschaft und Kunst auf Ungarisch. Sie ist eine derwenigen Organisationen mit Sitz in Budapest, die nochimmer im selben Gebäude im Stil der Neo-Renaissancebeheimatet ist, wie damals im Jahr 1865.


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>B u d a p e s t13Pesti DisznóVorhang auf für die klassische KücheHausgemachtes Essen und heimelige Atmosphäre im Pesti Disznó.Fast auf den Tag genau vor zwei Jahrenwurde das Pesti Disznó eröffnet. Mit seinerSelbstbezeichnung als Bistro folgt esvielen anderen Restaurants, die ebenfallsdiesen trendigeren Titel bevorzugen, mitall seinen Konnotationen der modernenÜberlieferung.In dieser kleinen Location an der Eckezwischen Nagymező utca und Mozsárutca, wo sich die Straße zu einem Platzhin öffnet, der zahlreiche Theater und einenoffenbar bald wiederbelebten Springbrunnenbeherbergt, sind die Wände bis zur Decke hinmit Flaschen beladen – ein Anblick, der nurdurch eine offene Küchenfront unterbrochenwird, die für Last-Minute-Vorbereitungenund kleinere Arbeitsvorgänge genutzt wird.Ringsherum stehen ein paar schicke, hohe Tischeund Stühle, ganz ohne Tischdecken, waseine lockere, freundliche Atmosphäre erzeugt.Draußen, hinter der Terrasse, die – überdachtund beheizt – auch im Winter nutzbarist, schwappen Holztische bis auf den Bürgersteigüber, die auch an milden Sommerabendeneine attraktive, luftige Alternativebieten.An solchen Abenden wird auf jedem Tischein bunter, erleuchteter Kerzenhalter inForm eines Schweins aufgestellt, ein Verweisauf den Restaurant-Namen Pesti Disznó(Pester Schwein). Die schweinischen Bestrebungensind auch auf dem Logo zu sehen: DasTier ist in der Interpretation eines Metzgersals Biest dargestellt, das entlang bestimmterLinien ausgeschnitten wird.Ursprünglich als Tapas Bar à la Hongriegedacht, ist das Pesti Disznó nun einer derRepräsentanten zeitgenössischer ungarischerKüche (sprich: traditionelle Gerichte inleichter, modernisierter Form und mit einerSpur von Fusion). Nichtsdestotrotz ist dasBistro mehr als nur ein Schweinefleisch-Lieferant.Ein kleiner Blick in die aktuelle Speisekartezeigt Gerichte wie Ente (in einerSuppe, mit Safran), Hühnchen (junges Huhn,gebraten, gefüllt mit Entenleber und serviertmit Ziegenkäse und Kartoffel-Pfannkuchenmit Tokaj-Furmint-Soße) und Zander(mit Spinatsalat und neuen Kartoffelnin Zitronen-Butter).Teilweise ist der Tapas-Geistjedoch erhaltengeblieben: Auchhier gibt es Plattenzum Teilen,die geräucherteKöstlichkeitenvom Schweinpräsentieren.Wie immer mehrRestaurants bietetauch das Pesti Disznóseine eigene Hamburger-Liniean, die es hier mitFleisch vom Wollschwein („mangalica“) undtraditionellen Rind-Varianten gibt.Da dies jedoch ein ungarisches Restaurantist, empfiehlt es sich, erst bei den Klassikernzuzulangen. Manche sind noch klassischer alsandere, wie beispielsweise die Gulaschsuppe– Fleisch, Gemüse, kleine „Csipetke“ Nudelnund einige Streifen scharfe Paprika alsBeilage zum individuellen Würzen: Diese„Gulyás leves“ hat alle Requisiten inne, abersie ist vielleicht ein bisschen zu lasch und charakterlos,um einen bleibenden Eindruck zuhinterlassen. Das „Mangalica pörkölt“ oderEintopf aus dem Wollschwein, der traditionellenSchweinerasse, gehorcht mit seinerMischung aus sehr (und wohl etwas zu) weichenFleischwürfeln in einer Tomaten-Pfeffer-Paprika-Soßeund Knödeln ebenfalls derTraditionslinie. Auch hier fehlt dem Gerichtdas gewisse Etwas, das „gut“ in „sehr gut“verwandelt. Doch das hält das Ganze nichtdavon ab, genau das zu sein: Einfach gut.Ebenso klassisch, aber auf andere Art,kommt die Foie Gras Terrine daher: Dieweichen, durchwachsenen Scheiben von derGänseleber sind, so wie sie sind, vorzüglich.Schade, dass die Beilage nicht entscheidenkann, ob sie gekocht, süß und elegant (Marmeladevon roter Zwiebel) oder roh, sauer undrustikal (Tomaten-, Pfeffer- und Zwiebelstücke)ist. Beide Geschmacksrichtungen gleichzeitigschaden dem Charakter des Gerichts,unabhängig von der Qualität seiner einzelnenKomponenten.Was Identitätskrisen angeht, ist die Entenbrustjedoch noch störender. Für sich gesehenist sie weich und gut zubereitet. Ein kleinesGlas Aprikosenmarmelade fügt dem Ganzendie gewohnte fruchtige Note zu, die gutzum Fleisch passt. Das Problem gründet imdritten Posten, einem Mix aus Croissant und„Rétes“ (Strudel) – ein buttriges, fest gerolltesGebäck mit Erdmandeln und Haselnuss.Tatsächlich ist es zu fest gerollt, um gar gebackenwerden zu können, was bedeutet, dassdie Mitte noch etwas klebrig und im Fazit zuschwer ist. Insgesamt ist es etwas zu trocken,zu nussig und es fehlt an Frische, wodurch eskeine gute Ergänzung zu den anderen beidenBestandteilen des Gerichts darstellt – insbesondereals Sommermenü. Es macht denEindruck, als ob diese Idee, die technisch gutist, nicht gänzlich durchdacht worden wäreund der Koch noch einmal zu seinem Gerichte-Reißbrettzurückkehren müsste.Nach alledem geht es beim Dessert einfacherzu: „Floating Island“ – Baiser in einersüßen, leichten und reichlichen Vanillesauce– und weicher, gut gemachter Schokoladenkuchenmit Erdbeermarmelade bereiten einHappy End.▶▶Benedicte WilliamsPesti DisznóÖffnungszeiten:Sonntag bis Mittwoch 12 bis 23 UhrDonnerstag bis Samstag 12 bis 01 UhrTel. +36 1 / 951-4061Budapest VI, Nagymező utca 19www.pestidiszno.huPreise:Vorpeisen: ..............................................1.890-2.390 ForintSuppen: ....................................................990-1.690 ForintHauptspeisen:.........................................1.990-5.690 ForintDessert: ....................................................990-1.190 ForintV. Zoltán u. 16(am Szabadság tér)Reservierung:+36 1 331 4352...then call Rob on 06-30-552-0840or visit www.primecuts.huArany Kaviar RestaurantMittags traditionales Russisches Bistro:5.900 Ft (20 EUR) – 3-Gänge-Menü mit1 Glas (1dl) Wein, Mineralwasser und Kaffee!Jeden Tag von 12 bis 15 Uhr!1015 Budapest, Ostrom u. 19Jeden Tag geöffnet: 12-15 Uhr, 18-24 UhrTel.: (+36 1) 201 6737reservation@aranykaviar.huwww.aranykaviar.hu


14 B u d a p e s t<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013Kultur &BildungGoethe-InstitutIX. Ráday utca 58Tel.: +36 1 374 4070, Leiterin: Jutta GehrigE-Mail: info@budapest.goethe.orgwww.goethe.de/budapestNoch bis 30. September: Das Goethe Institutpräsentiert die Ausstellung „Mein Grimm-Märchen“zum landesweiten Illustrationswettbewerb für Kinderzwischen 6 und 12 Jahren.Österreichisches KulturforumVI. Ben czúr utca 16,Tel.: +36 1 413 3590,E-Mail: budapest-kf@bmeia.gv.at,www.okfbudapest.hu,Leiterin: BACHFISCHER, Susanne Mag.Dr.iurAndrássy UniversitätVIII. Pollack Mihály tér 3Tel: +36 1 266 3101, -4408, +36 30 525 50 43Fax: +36 1 266 3099www.andrassyuni.huRektor: Prof. Dr. András MasátKonrad-Adenauer-StiftungI. Batt hyány utca 49Tel: +36 1 487 5010E-Mail: info.budapest@kas.de,www.kas.de/ungarnLeiter: Frank Spengler2. Oktober, 14-18 Uhr, Ungarische Akademie derWissenschaften MTA, Burgviertel (I Országház u. 28):Symposium mit dem Ungarischen Rat für NachhaltigkeitNFFT zum Thema „Zukunft nachhaltig gestalten:Strategien und Erfahrungen aus Deutschlandund Ungarn“.Lions Club Thomas MannXII. Cinege út 8/CE-mail: lc.thomasmann.budapest@online.mswww.thomasmannlionsbudapest.comPräsident: Dieter Uesseler3. Oktober, 7Uhr/ 19.30 Uhr: Gellért Mix (Thermalbadplus Frühstück), am Abend Clubabend imart´hotel. Anmeldungen bis 30. September 16 Uhrunter lc.thomasmann.budapest@online.msHaus der UngarndeutschenVI. Lendvay u. 22www.hdu.huInternational Womens’ Clubwww.iwcbudapest.huDeutschsprachige KirchenKapelle der DeutschsprachigenEvangelischen GemeindeI. Bécsi kapu tér, Tel.: 212 8979Römisch-Katholische GemeindeI. Fő utca 43, Tel./Fax: 213 7508Pfarrer: Gregor StratmannGottesdienste: jeden Sonn- und Feiertag um 10 Uhrin der Szent Ferenc Sebei Kirche (Nähe Batthyány tér).Evangelisch-Reformierte GemeindeV. Alkotmány utca 15, Tel./Fax: 311 2369Pfarrer: Zoltán BalogGottesdienste: sonntags 10 Uhr, (Eingang um dieEcke in der Hold utca).Evangelisch-Lutherische GemeindeI. Logodi utca 5-7, Tel./Fax: 212 8979Pfarrer: Johannes ErlbruchGottesdienste: sonntags 10 Uhr in der Kapelle TáncsicsMihály utca 28Mein Budapest: Bibi EbelBud apest aus der Sicht einer FamilieBudapest ist immer ein Erlebnis – egal, obman nur für ein Wochenende in der Stadtan der Donau weilt oder man hier seinenSommerurlaub verbringt. Doch wie stehtes um Ausländer, die hier leben? Wie erlebensie die Stadt, und was ist das, was Budapestso lebenswert macht? Lesen Sie imfünften Teil die Empfehlungen und Tippsvon Bibi Ebel aus Kanada, die mit ihrer Familiein Budapest lebt.Bibi Ebel und ihr Mann Brian leben gemeinsammit den drei Kindern sehr gern in Budapest.Bibi Ebel lebt noch gar nicht so langein Budapest. Im Sommer 2011 wurdeihr Ehemann zur Kanadischen Botschaftin Ungarn versetzt, und die Familiemit zwei kleinen Kindern (zwei Jahre undzwei Monate alt) verließ mit ihm ihre HeimatKanada. Schon bald kam das dritte Kind, geborenin Ungarn und ein Zeichen der Verbundenheitder Familie mit diesem Land.Als Vollzeit-Hausfrau und Mutter hat BibiEbel alle Hände voll zu tun. „Manche sagen,das ist der schwierigste Job der Welt!“Ursprünglich stammt die 32jährige aus Kasachstan.Schon bevor Budapest das Zuhauseihrer Familie wurde, besuchte sie die Stadtvier Mal. Damals blieb sie allerdings meist inPest und interessierte sich für das Nachtlebender Stadt. Heute, als Mutter, sieht sie Budapestmit anderen Augen. Die touristischenGebiete meidet sie eher; alles dreht sich umSchule, Kinder und Haushalt.An einem verregneten Tag würde sie dahermit ihrer Familie ins Ramada Resort Aquaworldgehen und dort einfach stundenlangplantschen, schwimmen oder eine entspannendeMassage genießen. Überhaupt liebt siedie Behandlung in einem Spa. Ein paar StundenRuhe vom hektischen Familienalltag undverwöhnt zu werden – das steht für Bibi Ebelaußer Konkurrenz. Soll die Welt doch warten!Alternativ darf es auch etwas Kulturprogrammsein, zum Beispiel im Néprajzi Múzeum(Ethnographisches Museum), bei dessenVielfalt an Ausstellungen für jedes Alter etwasdabei ist.Wenn Freunde sie hier in Budapest besuchen,macht Bibi Ebel mal eine AusnahmeMarianna MassageRelocationImmigrationoutcall and incall+36 30-862 8155(call for appointment)www.massage-marianna.comThinking Relocation?Think Interdean.Tel. 888-6750budapest@interdean.com“We make iteasy”MovingReal EstateDie Kettenbrücke vor mächtlicher <strong>Budapester</strong> Kulisse.und klappert mit ihnen die touristischenAttraktionen der Stadt ab. Gerne machtsie eine Stadtrundfahrt mit dem Auto, beiNacht. Da bleiben die Kinder auch mal zuHause. In Buda beginnend, wird an derMatthiaskirche (Mátyás templom) Halt gemacht.Es folgt ein Spaziergang durch dieBudaer Burg, dann geht es weiter über dieSzéchenyi Lánchíd quer über die Donaunach Pest. Dort wird die wunderschöne St.Stephans Basilika bestaunt, um anschließenddie Route an der Uferpromenade entlangbis zum Parlament zu nehmen, „demJuwel <strong>Budapester</strong> Architektur“.Am Tag ist für die familienbewusste BibiEbel ein Besuch im Zoo die perfekte Art, Zeitzu verbringen. Außerdem würde sie ihreGäste unbedingt auf eine kulinarische Tourmitnehmen. In einem ungarischenRestaurant probiert man lokaleSpeisen und Weine; anschließendgibt es in einer Cukrászda(Konditorei) alle nur erdenklichenPasteten und Kuchen. „Aber keineAngst, die Kalorien verbrenntman schon wieder bei einem langenSpaziergang durch die Stadtam nächsten Morgen!“Kulinarische Tipps hat BibiEbel viele auf Lager, darunterdas Bock Bisztró, das ein bisschenaußerhalb in den HügelnBudas liegt, aber eine reizendeAtmosphäre hat. Oder das Café57, wo sie am liebsten jedes Maldie gesamte Speisekarte essenwürde, so gut ist das Essen dort.Ihre Empfehlungen für Bars: diePezsgo Bar in Pest oder der internationalbekannte Kult-Ruinenpub Szimpla Kert imhistorischen jüdischen Viertel. Für italienischesEssen geht Bibi Ebel mit ihrer Familieins Alessio, für thailändische Spezialitätenins Kaeng Som Tom Yum an der AndrássyGabriella RajnaiNeues Penthouse 4. Stock mit grosser Terrasse 110/170 qmund Garage im Volksgarten in einem Lakópark zu 200.000HUF/Monat+ Nebenkosten zu vermieten.Tel.: +36 70 701 1131 – www.exklusivkreis.atJS36410033Hier könnte Ihre Anzeige stehen!Infos unter:453-0752, 453-0753E-Mail: verlag@bzt.huút – dort ist nicht nur die Bedienung ausgezeichnet,sondern es gibt auch eine Spielzonefür die Kinder.Budapest aus dem Blickwinkel einer Familie– das ist Bibi Ebels ganz besondere Sichtauf diese Stadt. Für sie ist Budapest eine derschönsten Städte überhaupt, mit freundlichenMenschen und einer ganz besonderenMischung aus Kultur, Stil, Architektur undguter Küche. „Wir sehen Schönheit immerals gegeben an. Es erstaunt mich jedes Mal,wenn meine Tochter mir sagt, sie hätte nochnie etwas so Beeindruckendes gesehen wiediese prächtigen Gebäude, von denen wir umgebensind.“Und „last but not least“ ist es hier in Budapestim Winter wesentlich wärmer, als inKanada. Trotzdem muss die Familie Ungarnbereits in zwei Jahren wieder verlassen –das wird ein schwerer Schritt werden, vor allemfür die Kinder, die hier Wurzeln geschlagenhaben: „Meine älteste Tochter fühlt sichschon ein bisschen als Ungarin, und möchteihren Cousinen und Cousins in Kanada Wörterwie anya, gomba und kocsi beibringen.“▶ ▶Alice EchtermannMehr Informationen unter:Ethnographisches Museum Budapestwww.neprajz.huRamada Resort Aquaworldwww.ramadaresortbudapest.hu/deBock Bisztrowww.bockbisztrobuda.huCafé 57www.cafe57.huRuinenpub Szimpla Kertwww.szimpla.huThai-Restaurant Kaeng Som Tom Yumwww.tomyum.hu.András Wekler


27. September – 3. Oktober 2013<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>B u d a p e s t15Der französische Fotograf Bruno Bourel unterwegs auf den Straßen von BudapestDas Lächeln des SpaziergängersDer gebürtige Pariser Bruno Bourelfotografiert seit 1986 in Budapest.Vor dem kleinen Café sammelt sich einPulk Menschen. Große, kleine, in geblümterBluse und mit hängenden Mundwinkeln,und jeder trägt eine andere markantstrahlende Farbe am Leib, eine mollige alteDame zieht aus ihrer Jackentasche einewinzige Digitalkamera und schiebt sich vorden Eingang, so dass sie allen anderen Touristendie Sicht auf unseren Tisch versperrt.Bourel dreht sich zu dem Grüppchen umund flüstert schmunzelnd in meine Richtung:„Auch das wäre wieder ein Moment,der mich begeistert“. Seine Sicht auf dieStadt und ihre Bewohner hingegen entzücktseit Jahren nicht nur die Besucher derKunstmuseen, sondern fängt auf besondereWeise das <strong>Budapester</strong> Lebensgefühl ein.Per Losverfahren verschlug es den jungenBruno Bourel im Mai 1989 eher zufällignach Budapest. Ein Austauschprogrammverschaffte ihm die Möglichkeit,als Reportagefotograf die Stadt kennenzulernen.In seiner Heimatstadt studierte er Filmund Fotografie, schnell fand er in der hiesigenKünstlerszene Gleichgesinnte. Gemeinsammit amerikanischen Journalisten gründete erbei seinem zweiten Aufenthalt mit der BudapestWeek die erste englischsprachige <strong>Zeitung</strong>der Stadt . Eine Polaroidkamera war damalsseine ständige Begleiterin: „Das Bild muss sofortin den Rahmen gesetzt werden. Diese Artder Fotografie lässt keine Tricks zu, deshalbschult sie in besonderem Maße den fotografischenBlick“. Bei einem Besuch in angesagtenNew Yorker Galerien der damaligen Zeitriet man ihm allerdings davon ab. Ein großerAbzug für eine Ausstellung wäre so nicht möglich,als professioneller Fotograf solle er lieberauf Negativrollfilm umsteigen. Vorsichtigzieht Bourel bei diesem Satz eine kleine analogeLeica aus seinem Mantel hervor, wiegtAndrás Weklersie kurz in Händen und hängt sie sich um dieschmalen Schultern. Kaum noch sichtbar ruhtsie nun dort, während er fortfährt: „Es ist keinJob, sondern eine Lebenseinstellung. Ich habeeinfach immer die Kamera dabei, sie ist meindrittes Auge“, und der schwarzweiße Rollfilmist seit jener Zeit in New York sein Medium.Im Spätherbst diesen Jahres erscheint diemittlerweile vierte Auflage seines Buches„Fényrajzok – Lichtzeichnungen“, das in Zusammenarbeitmit dem Schriftsteller LajosParti Nagy entstanden ist. Darin findet sicheine Sammlung seiner außergewöhnlichenMomentaufnahmen, die er in einer Zeitspannevon zehn Jahren hauptsächlich in UngarnsHauptstadt eingefangen hat.Mit großer emotionaler Hingabe und großerSensibilität für die ganz alltägliche Menschlichkeitgeht der Betrachter gemeinsam mitBourel auf einen Spaziergang. Dabei geräter häufig ins Stolpern und wundert sich amEnde über seine eigene eingefahrene Weltsicht.Unweigerlich stellt er sich die Frage:Hast du lange Zeit nicht mehr mit offenemHerzen in die Welt vor deiner Haustür hinausgesehen?„Tag des EU-Beitritts 2004“ zeigt, was Bourels Werke ausmacht:Der Flirt mit der Kamera und die eingefangene, unmittelbare Emotionalität.„Es geht aber nicht darum, ob deine Fotosimmer und überall Anklang finden, sondernob du willens genug bist, dich durchzusetzen“,sagt Bourel und richtet sich auf. In Budapestwar es für ihn nicht immer leicht. Ein Franzose,ein Pariser Fotograf fängt das Flair dieserrumorenden Stadt ein, wie es wenige vor ihmtaten. Das Licht sei anders als in seiner Heimatstadt,wo der Himmel die Straßen häufiglänger als zwei Tage hintereinander in einenGrauschleier hüllt. Beinahe jeden Tag bewegter sich durch Budapest, denn man „weiß janie, was einen erwartet“. Die Fotografienentstehen häufig aus dem Zufall heraus, wiebeispielsweise die Aufnahme „Tag des EU-Beitritts“ aus dem Jahr 2004. Ganz entgegenden Erwartungen, die der Titel weckt, siehtsich der Betrachter einem Liebespaar in innigerUmarmung gegenüber. Den Stolpersteindabei markiert die junge Frau, die währenddessendirekt in die Linse der Kameralächelt, anstatt sich allein der Zweisamkeithinzugeben. Dieser flirty moment ist in seinerAuthentizität so ergreifend und zeitlos, dassdarin eine große Kunst liegt. „Aber ich würdemich nicht als Künstler bezeichnen, sonderneher als jemanden, der mit und von der Kunstlebt, jedoch nicht ausschließlich dafür“, wirftBourel ein.Seine Vorbilder sind unter anderen derAmerikaner Lee Friedländer und der Magnum-MitbegründerHenry Cartier-Bresson,dessen Fotografien ebenfalls als Postkartenveröffentlicht wurden. „Daher rührte auchmeine Idee für die Umsetzung meiner Aufnahmenals Einzelstücke“, erklärt Bourel,„die Qualität ist einfach eine ganz andere alsinnerhalb des Fotobuches“. Anfangs solltendie Fotografien ohne Titel, ohne Angabe vonOrt und Zeit veröffentlicht werden, doch geradedarin liegt bei einigen Motiven die Faszination.„Ein Regen von Regenschirmen“aus dem Jahr 1994, einer der Bestseller derSammlung, erzählt von der Wiedereröffnungeiner Kirche am Gellértberg. Die Menschenströmten in Scharen zum Fuß des Berges,um der Zeremonie beizuwohnen. Da es andiesem Tag regnete, bildete sich vor BourelsFüßen dieses Meer aus Regenschirmen, under war wie immer bereit, den Moment festzuhalten.„Es ist Intuition und hängt in keinster Weisemit der benutzten Technik zusammen“,denn auch mit einer Handykamera lassensich bewegende Fotografien machen. BrunoBourel steht den neuen digitalen Medienaufgeschlossen gegenüber, so sind mehreregrafisch aufwendige E-books geplant, außerdemhat er die Idee, seine Serie „Jégbüfe“ aufbeweglichem Untergrund auszustellen. „Dasmuss alles noch besser geplant werden“, sagter und sieht nachdenklich aus dem Fenster.Das Licht scheint golden herein, „es ist wunderschön,ich werde mich jetzt wieder auf denWeg machen“, sagt er, „und versuchen, dasLicht in Emotionen zu verwandeln.“▶▶Isabella Weigandt


16 P a n o r a m a<strong>Budapester</strong> <strong>Zeitung</strong>27. September – 3. Oktober 2013KompaktMusikförderung: Ungarische GEMAunterstützt RechtsrockerWie Magyar Narancs vorvergangenen Mittwochberichtete, trägt die am Jahresanfang beschlosseneUmstrukturierung der Musikförderung Ungarnsdurch den Nemzeti Kulturális Alap (NationalerKulturfond) erste fragwürdige Früchte: Der Fond,der mittlerweile über 70% der Fördergelder entscheidet,verteilte u.a. 400.000 Forint an denExkluzív Music-Verlag, bei dem die rechtsextremeBand „Kárpátia“ ihre Musik veröffentlicht.Burgenland: Ungarn als SchlepperWie die österreichische <strong>Zeitung</strong> Die Presse amvorvergangenen Mittwoch berichtete, wurde ein44-jähriger ungarischer Paketzusteller beimVersuch, 4 arabische Flüchtlinge von Budapestnach Österreich zu schleusen, von der Polizei erwischt.Die 4 Araber sollen ihm pro Kopf 150 Eurodafür gezahlt haben. Darüber hinaus soll ein ebenfallsfestgenommener 35-jähriger Ungar versuchthaben, 3 Syrer nach München zu schleusen, dieüber Griechenland, Mazedonien und Serbien nachUngarn gekommen waren.Königliche Grabungen: Sultans Herzkönnte bald gefunden werdenWie der Österreichische Rundfunk (ORF) aufseiner Webseite vorvergangenen Donnerstag berichtete,sollen die von ungarischen Forscherngeleiteten Grabungen in Szigetvár kurz vor einemerfolgreichen Abschluss stehen. Süleymans Herzund weitere Organe des Sultans sollen bei derBelagerung der Stadt 1566 dort vergraben wordensein. Die türkische Regierung unterstützt dieSuche mit 2 Mio. Euro, Ungarn erhofft sich durchden Fund mehr Touristen aus der Türkei.Lions Club Thomas Mann hat einen neuen PräsidentenEin spannendes Jahr steht bevorWill das charitative Profil des Clubs schärfen: Präsident Dieter Uesseler.Der deutschsprachige Lions Club ThomasMann ist mit seinen etwa zehn aktivenMitgliedern zwar nicht sonderlich groß,aber nicht minder aktiv als seine internationalenPendants. Das jährliche Wohltätigkeits-Highlight,die Schulranzen-Aktion(die BZ berichtete), ist zwar schon vorbei,trotzdem erwartet den neuen Präsidenten,Dieter Uesseler, noch jede Menge Arbeitim kommenden Jahr.ch bin seit 2011 Mitglied bei den Lions,„Iaber schon seit 2009 ständiger Gastbei den Veranstaltungen“, erklärt Uesseler.Auf die Frage, warum er denn eine Mitgliedschaftso lange hinausgezögert hätte, hat ereine einfache Antwort: „Weil mir immer unklarwar, ob ich noch ein Jahr bleibe.“Mitglieder wechseln,aber bleiben in KontaktTatsächlich ist damit auch schon eineBesonderheit des LCTM genannt: „UnsereMitglieder sind teilweise schon wieder inDeutschland, aber wir versuchen trotzdemweiterhin in Kontakt zu bleiben.“ Als einesder Ergebnisse dieser Kontaktpflege nenntUesseler schon jetzt die Schulranzen-Aktionfür das kommende Jahr. Sichtlich stolzberichtet er, dass bereits 80 Taschen fürABC-Schützen und größere Kinder gesammeltworden seien, „aber der Transportvon Deutschland nach Ungarn wird immerschwieriger, je mehr Taschen es werden.“ Alseine seiner Hauptaufgaben sieht er es deswegenauch an, den Transport langfristig zulösen.Die zweite Besonderheit ist die deutscheSprache. Der amtierende Präsident betontdie Wichtigkeit eben dieser: „Wir sind eindeutschsprachiger Club, bei uns treffen sichalso deutsche Expats und ungarische Experten,die Deutsch sprechen.“ Der Club bietetneben der Möglichkeit des Austausches auchimmer wieder die Chance, Neues zu lernen:„Immer wieder gestalten einzelne Mitgliederden Clubabend durch einen Vortrag überihre Berufe, was mitunter sehr spannendist.“ In naher Zukunft wird so auch ein Vortragvon Professor Ádám Kertész zum ThemaWüstenbildung erwartet.Wohltätigkeit als HauptzweckEin weiteres wichtiges Element, das Uesselererfüllen möchte, ist die Eintragungdes LCTM als Verein. „Das war mit einemunheimlichen Aufwand verbunden, weil wiran diversen Stellen um Erlaubnis anfragenmussten, beispielsweise bei der Lions Hauptstellewegen des Namens und bei den ErbenThomas Manns.“ Doch wie es scheint, sindalle juristischen Formalitäten bereinigt undder Lions Club Thomas Mann ist auf demWege zum e.V.Weniger formal, aber umso mehr ein wichtigesAnliegen ist es dem Präsidenten, die Tätigkeitdes LCTM im Bereich Wohltätigkeit nochauszuweiten. In der Satzung des in Gründungbefindlichen Vereins sind sowohl der KinderundJugendschutz und die Talentförderungaufgeführt, doch Uesseler würde gern nocheinen Schritt weiter gehen: „Die Lions kämpfenweltweit gegen die Erblindung. Wir alsdeutschsprachiger Club in Budapest würdenuns dem gerne anschließen mit einem Brillenprogramm.Das ist ein wichtiges Feld, da machenwir momentan noch sehr wenig.“ Dochauch ohne das neue Programm kann sichdie Bilanz des kleinen Clubs durchaus sehenlassen: Jedes Jahr verteilt er Schultaschenan Kinder, organisiert die sogenannten LionsQuest, eine Fortbildung für deutschsprachigeLehrkräfte, und pflanzt Bäume.Wer nun Lust bekommen hat, selbst aktiverLöwe oder nur einmal als Gast dabei zusein, dem seien die monatlichen Clubabendeempfohlen.▶▶EKGMehr Informationen unter:thomasmannlionsbudapest.comClubabende finden immer am 1. Donnerstagdes Monats statt. Um Anmeldung im Vorfeldwird gebeten unter lc.thomasmann.budapest@online.msWahlparty der Deutschen BotschaftKle in, aber feinTraditionsgemäß organisierte am Wahlabend auch die Deutsche BotschaftBudapest wieder eine Wahlparty. Erneut fiel sie etwa im Vergleich zur opulentenWahlparty der US-Amerikaner im letzten Herbst im Corinthia Hotel Budapesteher bescheiden aus, Deutschland zeigt seine unzweifelhafte Stärkehalt anders.Schauplatz der aktuellen deutschen Wahlparty war die <strong>Budapester</strong> Szene-Bar„Kuplung“, deren Name, wie das Piktogramm über dem Eingang deutlichmacht, zwar wirklich etwas mit dem deutschen Wort Kupplung zu tun hat, demaber beim Einbürgern in die ungarische Sprache ein „p“ abhanden gekommenist. Der Einladung des Gesandten Klaus Riedel (links Mitte und unten)waren schätzungsweise 150 Gäste gefolgt, darunter Vertreter der wichtigstendeutschen Institutionen in Ungarn, aber auch einige Firmenvertreter. Dafür, dieersten Hochrechnungen nicht zu Hause vor dem Fernseher zu verfolgen, interessiertensich aber auch zahlreiche Ungarn, darunter auch HR-Minister ZoltánBalog (links unten, links) und der stellvertretende Staatssekretär im AußenministeriumGergely Prőhle (links unten, Mitte).Die Stimmung war den ganzen Abend über heiter und ausgelassen, die Wahlergebnisseschienen das eher noch weiter zu verbessern. Während die erstenHochrechnungen noch für ein kurzzeitiges Abflauen der Gespräche und eine gewisseAufmerksamkeit sorgten, rückten die Wahlen im Verlauf des Abends alsGesprächsgegenstand der Gäste untereinander immer mehr in den Hintergrund.Allerdings standen die Wahlergebnisse bei einer kleinen Talkrunde noch einmalvoll im Mittelpunkt des Interesses. Die bekannte ungarische TV-JournalistinSzilvia Krizsó (links) versuchte aus vier ungarischen Experten (Political Capital-AnalystBulcsú Hunyadi, Népszabadság-Journalist András Dési, JózsefBayer, Direktor des Politischen Instituts der Akademie der Wissenschaftenund Nézőpont-Direktor Ágoston Mráz - rechts, v.l.n.r.) etwas mehr herauszubekommenals die nackten Zahlen preisgaben.Damit in Sachen gute Stimmung auch wirklich nichts schiefgeht, hatte KlausRiedel auf seine spezielle Initiative hin auch noch die berühmte Benkó DixielandBand engagiert. Bis zum offiziellen Ende der Wahlparty gegen 21 Uhr sorgtendie Dixielander für eine ausgelassene Party-Stimmung und stahlen den späternur noch im Dezimalbereich erfolgenden Veränderungen der Wahlergebnisseeindeutig die Show.▶▶JMDeutsche Botschaft / Sipos

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!