13.07.2015 Aufrufe

Kalte Denaturierung - GWDG

Kalte Denaturierung - GWDG

Kalte Denaturierung - GWDG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

in WasserpolareBiophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“Der hydrophobe EffektLiteratur: Cantor, C. P. und P. R. Schimmel. Biophysical Chemistry. Bd I. New York: Freeman, 1980. S.279ff.Fast jeder kennt die Begriffe hydrophob und hydrophil, sei es aus der Schule oder dem Chemie-Kursim ersten Semester. Aber was hat es genau damit auf sich, warum sind manche Substanzenwassermeidend oder wasserliebend?Ein hydrophobes Verhalten zeigen unpolare Moleküle (z. B. Kohlenwasserstoffe), d. h. einGemisch mit Wasser tendiert zur Phasentrennung. Umgekehrt ist es mit den polaren Stoffen(z. B. Ethanol), die sich gut mit Wasser mischen. Genaugenommen sind es verschiedene Zustände,die das thermodynamische Gleichgewicht kennzeichnen, nämlich der Zustand der Mischungund der der Entmischung. Für eine noch genauere Betrachtung schaut man sich die Differenzder Gibbs’schen Enthalpien an (isobar-isothermes System):Was passiert nun, wenn man eine hydrophobe Substanz, z. B. Methan (CH 4 ), von Benzol inWasser bringt? Man muß Arbeit aufwenden, ∆denn Gist positiv, da ja Methan unpolar istund die Mischung mit Wasser ungünstiger als die mit dem unpolaren Benzol. Um hinter denGrund für dieses Verhalten zu kommen, werfen wir einen Blick auf die einzelnen Beiträge:∆ H=-2.8kcal/mol, ∆ S=-18 cal/K/mol. Bei 25°C kommt man zu ∆ G=+2.6kcal/mol. Das bedeutet,daß die Entropiedifferenz entscheidend ist!UmgebungG ∆G:=−G∆ =− HST ∆Die Struktur von Wasser ist auch heute noch ein Thema intensiver Forschung. Wasser bestehtnicht einfach nur aus H 2 O-Molekülen, sondern aus Clustern unterschiedlicher Größe (Nahordnung),in denen jedes Molekül je eine Wasserstoff-Brückenbindung (hier O - - H) mit bis zuvier anderen Molekülen eingeht. Anders als im Eis, in dem durch die Fernordnung die Positionender Wasser-Moleküle genau festgelegt sind, gibt es im flüssigen Wasser, in dem etwa 15%der Wasserstoffbrücken gebrochen sind, mehr Konfigurationen für das Ensemble: die Entropienimmt zu, ebenso die Enthalpie (weniger H-Brücken). Kommt nun ein unpolares Moleküldazu, sind die möglichen Positionen der Wasser-Moleküle an der Grenzfläche zu diesem Molekülstark eingeschränkt. Es kommt zu einer lokalen Ausbildung einer geordneteren, EisähnlichenStruktur. Die Anzahl der zugänglichen Konfigurationen mit möglichst vier Wasserstoff-Brückennimmt ab und mit ihr die Entropie. Enthalpie hingegen wird abgegeben, da mehrWasserstoff-Brücken gebildet werden. Für das unpolare Molekül kostet die Lösung aus demVerband unpolarer Moleküle Enthalpie, da van-der-Waals-Wechselwirkungen verschwinden.Der hydrophobe Effekt ist auch temperaturabhängig: die lokale Ausbildung einer Eis-ähnlichenHülle nimmt mit steigender Temperatur ab, die Verminderung der Entropie verschwindetschließlich bei etwa 140°C. Damit gibt es auch keine Enthalpieverminderung, da die Ausbildungder Wasserstoffbrückenbindungen in der „Eis-Hülle“ wegfällt. Übrig bleibt nur noch dieEnthalpieerhöhung aufgrund der van-der-Waals-Wechselwirkungen zwischen unpolaren Molekülen.4


(Kugel) vom Schwerpunkt RSBiophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“Dabei ist RGder sogenannte Gyrationsradius, der den mittleren Abstand eines Monomersdes Proteins angibt, genauerR2G:1ni , S2=R0n+1= i∑.Der Gyrationsradius ist ein Maß für die Ausdehnung eines Proteins. Diese Größekann sich bei strukturellen Umwandlungen deutlich ändern, was als Anstieg oder Abfallder Viskosität meßbar ist.10


T SS TS TT SCdT T∆ D NC PBiophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“Theorie der kalten <strong>Denaturierung</strong>Literatur: Privalov, P. L. Critcal Reviews in Biochemistry and Molecular Biology 25 (1990), 281-305.Aus einfachen thermodynamischen Betrachtungen soll hier von der heißen <strong>Denaturierung</strong> ausgehenddie kalte <strong>Denaturierung</strong> vorhergesagt werden.Man betrachte die heiße <strong>Denaturierung</strong> eines Proteins bzw. deren Wärmekapazitätsprofil.Wärmekapazität2530354045505560Temperatur [°C]65707580Die Wärmekapazität bei konstantem Druck p ist definiert als:∆C ∆p :=HTwobei H für die Enthalpie steht. Die ab jetzt mit ∆NDbezeichneten Größen geben die DifferenzDzwischen nativem und denaturiertem Zustand des (∆Proteins an N, X: thermodynamischeObservable, z. B. H, S, V...). Damit ist folgende Annahme verbunden: Das Proteinist eine kooperative Einheit und kennt nur zwei Zustände, nativ und denaturiert. D. h. dasProtein wandelt sich ganz oder gar nicht um.Es gelten dann:XX:=− XDNTDDNDD∫NNNpH TH TH TH TC dT( )( )( )()G∆=−= ∆+∆TGDT∆NpDDND∫∆=−= ∆+NNG( )( )( )()TGfür die Enthalpie H und die Entropie S. T Gist die Umwandlungstemperatur, also diejenigeTemperatur, an der der native und der denaturierte Zustand gleichberechtigt sind oder formalerdie Differenz der freien Enthalpie verschwindet:11


S TH TND∆NDTTGNDBiophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“∆G∆D−=H TTG∆S T=0.()()NGDaraus folgt sofort ∆DDS T∆N( THG), was wir gleich weiter unten brauchen werden.=Im Folgenden werden wir folgende Näherung machen, die durch die experimentellen Ergebnissegerechtfertigt ist:TGNG()Cpconst =.Damit vereinfachen sich die obigen Beziehungen zu:DDDN−pH T∆THTTC( )()()∆∆N=N−GGDG)∆DNDG−CEs folgt:GDDDTDDTG∆NG( T) = ∆NH( TG ) − ( TG − T) ∆NCp− ∆NH( TG) + T∆NCPln( )TTG( )(∆∆ln(N)N=pTDer Logarithmus wird entwickelt:TG TG − T TG − T 1 ⎯TG− Tln( ) = ln( 1 + ) = − √ + ...TT T 2 T ↵was geht, da die Temperatur T nah bei T G ist (Temperaturen in K). Nun wird eingesetzt undausgerechnet:DDDTD G∆NG T ∆NH TG∆NH TG∆NC T T21 ( − )( ) = ( ) − ( ) −pT 2 TAn einem Umwandlungspunkt ist die Differenz der freien Enthalpie Null, so daß man denrechten Teil der Gleichung Null setzt und nach T auflöst. Erstmal erhält man:G2∆DN−GH( T T TG)TG=∆DNp2( G− )C T T2 T.Als erste Lösung erhält man die triviale, nämlich T= T G . Weiter rechnet man aus:D2∆NH( TG) TG2∆N G 2D(G G)G DG G G∆ C T T T ' T 'H( T )'='− ? = T − T T ?∆ CNpGT'GND2TG=D2∆NH( TG)TG+D∆ CNpp12


Biophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“Die letzte Gleichung sagt aus, daß es noch eine weitere Lösung geben kann, falls der Unterschiedder Wärmekapazität oder die Umwandlungsenthalpie nicht verschwinden. Diese liegtbei dem hier betrachteten Wärmekapazitätsprofil bei einer kleineren Temperatur und wird deshalbals kalte <strong>Denaturierung</strong> bezeichnet.Aus diesen Betrachtungen folgen aber noch mehr Aussagen, die genauer im Artikel von Privalovbegründet sind. Die Stabilität des Proteins im nativen Zustand ist bei der Temperatur amgrößten, an der die Entropien von nativem und denaturierten Zustand gleich sind und nur dieEnthalpie die Struktur stabilisiert. Auch die Wärmekapazitätskurve inklusive kalter <strong>Denaturierung</strong>kann berechnet werden.Die folgende Kurve zeigt eine Schar solcher berechneter Wärmekapazitätskurven (aus Privalov1990, 291). Diese wurden für unterschiedliche Stabilitäten, d. h. Umwandlungsenthalpien berechnet.Solch eine Veränderung der Stabilität kann z. B. durch einen veränderten pH-Wertausgelöst werden.Wie man aus der letzten Gleichung sieht, ist die Temperatur der kalten <strong>Denaturierung</strong> für Proteinemit großem Wärmekapazitätsunterschied und kleiner Umwandlungsenthalpie am größten.DMyoglobin hat einen sehr großen Wert für ∆ NC , und das ist auch der Grund, warum es indiesem Versuch benutzt wird.p13


Biophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“15001000DenaturiertNativDenaturiert10Enthalpie H50005Nativ0EntropieS-500NND-5-1000D-15000 20 40 60 80Temperatur [C°]0 20 40 60 80Temperatur [°C]-10Die obige Abbildung zeigt Enthalpie und Entropie des nativen und des denaturierten Zustandesvon Myoglobin. Es fällt auf, daß bei niedriger Temperatur die Entropie des denaturiertenZustandes geringer als die des geordneten, nativen Zustandes ist. Dies ist eine Folge des hydrophobenEffektes, wie er in einem der vorhergehenden Abschnitte beschrieben worden war.Bei hohen Temperaturen nimmt dieser Entropie-Anteil ab und der Entropiegewinn des entfaltetenProteins gewinnt die Oberhand. Die Enthalpie des denaturierten Zustandes ist bei geringenTemperaturen niedriger als die des nativen. Das ist ebenfalls auf die Hydratation der unpolarenGruppen zurück zu führen. In der Eis-ähnlichen Struktur bilden sich vermehrt Wasserstoffbrückenaus, die die Enthalpie vermindern. Auch andere Wechselwirkungen von Aminoresiduen(intramolekulare Wechselwirkungen, Wasserstoffbrücken, Ionisierung) tragen zurEntropieminderung bei. Dadurch ist bei tiefen Temperaturen durch den „hydrophoben“ Effektder denaturierte Zustand bevorzugt.Bei hohen Temperaturen hat der denaturierte Zustand sowohl die höhere Entropie als auch diehöhere Enthalpie. Die höhere Enthalpie rührt jetzt von den aufgebrochenen intramolekularenBindungen des nativen Zustands her. Dieser Enthalpiebeitrag ist zwar unabhängig von derTemperatur, doch wird er jetzt nicht mehr kompensiert von der Enthalpieminderung durchHydratation. Insgesamt wird wegen der höheren Entropie bei hohen Temperaturen ebenfallsdie denaturierte Phase angenommen.Nur in einem Bereich dazwischen, in dem der Anteil der Wasser-Ordnung und der Anteil derEntropiesteigerung des Proteins nicht zu groß sind, kann sich die native Struktur ausbilden, dieeinzig durch die Enthalpieminderung wegen der intramolekularen Wechselwirkungen stabilisiertist.Mit den Annahmen aus dem Theorie-Teil ergibt sich sofort die folgende Formalisierung. Dabeiwird der Einfachheit halber wieder angenommen, daß das Inkrement der Wärmekapazität un-15


Biophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“abhängig von der Temperatur ist. Für die Gibb’sche Enthalpie gilt dann (s. auch Theorie-Abschnitt):( )DDDDDDD∆ G( T) = ∆ H( T) − T∆ S( T) = ∆ H( T ) − ∆ C T − T − T∆ S( T ) + T∆C ln( T / T)NNNNxNp x Nwobei ab T x (110-140°C) die einzelnen Aminosäuren nicht mehr mit Wasser wechselwirken2Tx Tx − T Tx − T ⎯1Tx− T(ideales Lösungsmittel). Oder mit ln( ) = ln( 1+) = − √ + ... :TT T 2 T ↵x2( x− )DDD1D∆NG( T) = ∆NH( Tx) − T∆ NS( Tx) − ∆NC T Tp2 TIn dieser Gleichung ist nur der erste Term positiv, der für die Übergangsenthalpie in Abwesenheitvon Solvatisierungs-Effekten durch Wasser steht. Diese Enthalpie kommt von dem temperaturunabhänigenBeitrag der van-der-Waals- und Wasserstoffbrücken-Bindungen, die die native,gefaltete Konformation stabilisieren. Der zweite Term ist negativ und steigt mit der Temperaturan. Er gibt die Erhöhung der Protein-Entropie bei der <strong>Denaturierung</strong> wieder. Am interessantestenaber ist der dritte Term. Dieser Teil der Gibbs’schen Enthalpie berücksichtigt denAnteil der Wasser-Ordnung durch unpolare Gruppen an der Stabilisierung der nativen Proteinstrukur.Er ist negativ und sinkt mit steigender Temperatur, bis er bei T x verschwindet. BeiTemperaturen unterhalb T x destabilisiert dieser Beitrag der Lösung die gefaltete Konformation.Diese wird nur von den enthalpischen Anteilen stabilisiert, bis bei niedrigen Temperaturen diesnicht mehr ausreicht und das Protein denaturiert. Ebenso entfaltet sich das Protein natürlichauch bei hoher Temperatur, wenn der Anteil der Umwandlungsentropie immer größer wird.Beim Myoglobin besteht die hydrophobe Wechselwirkung also aus der Kombination von vander-Waals-Wechselwirkungen,die die gefaltete Struktur stabilisieren und der Hydratation dieserGruppen. Die van-der-Waals-Wechselwirkungen steuern einen großen positven Enthalpie-Term bei, während die Hydratation insgesamt durch eine negativen Teil der Gibbs’schen Enthalpievertreten ist, der die Entfaltung bevorzugt.Jetzt ist auch klar, warum bei dem einen Übergang von nativ nach ungefaltet Enthalpie freiwird und beim anderen Wärme gebraucht wird. Denn bei der kalten <strong>Denaturierung</strong> vermindertsich die gesamte Entropie, während bei der heißen <strong>Denaturierung</strong> diese zunimmt. Am Übergang,an dem die beiden Phasen ja die gleiche Gibbs’sche Enthalpie haben, gilt ∆H = T S, d.h. an die Entropie-Änderungen sind automatisch Wärmeänderungen gekoppelt.Es gibt auch noch eine ganz allgemeine Überlegung, warum vom nativen Zustand ausgehend beiTemperaturabfall kein Peak nach oben in der Wärmekapazität auftritt. Implizit haben wir jaangenommen, daß der Temperatur-Scan so langsam ist, daß wir uns quasi immer im thermodynamischenGleichgewicht befinden. Wenn man aber im Gleichgewicht die Temperatur etwassenkt, so verschiebt sich das Gleichgewicht irgendeiner Reaktion natürlich zur exothermenSeite, d. h. zu der, bei der weniger Wärme gebraucht bzw. mehr frei wird.Übrigens: Ein Merkmal der kalten <strong>Denaturierung</strong>, das in unsere theoretischen Überlegungennicht eingeflossen ist, läßt sich vermutlich auch über die Temperaturabhängigkeit des hydrophobenEffekts erklären: die Reversibilität.Npx16


Biophysik-Praktikum 1999Versuch „<strong>Kalte</strong> <strong>Denaturierung</strong> von Myoglobin“17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!