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Chaos im Quadrat - Anna-Lena Tsutsui

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In einem Alltag aus Beton und Leuchtreklame zeigt <strong>Anna</strong>-<strong>Lena</strong> <strong>Tsutsui</strong> die Spureneiner natürlichen Kraft auf, die menschliches Handeln zu purer Dekoration hatverkommen lassen. Durch ihre Arbeiten beobachtet sie die Überbleibsel dieser Kraft,wie sie in einer Gesellschaft vorkommen, die bereit ist, alles und jedes in Produktezu verwandeln. In Form von Videos oder Fotografien, zeugen die von der Künstlerinvorgeschlagenen Bilder von dem, was wir heute aus dieser ursprünglichen Energiemachen, von ihren Spielarten und Formen. Fragend nach dem Nutzen des Künstlichen,das aus dem Natürlichen entstand, st<strong>im</strong>uliert <strong>Tsutsui</strong> bei dem Betrachter ein Aufmerken,das, bewusst oder unbewusst, zu einer Stellungnahme führt. Dies wird erreicht durchein ausgewähltes ästhetisches Register, das in freiwillig angenehme Kompositionenmündet. Die formale Direktheit der Bilder erlaubt die volle Entfaltung <strong>im</strong> Thema. Humorist dabei allgegenwärtig: das Schöne, Absurde und das Komische werden paradoxerWeise zu Mitteln, um sich der Ernsthaftigkeit des Themas, manchmal nahe am Drama,anzunähern.Die Videos in der Endlosschleife sind Perpetuum Mobiles, in denen der Sinn, geschrienoder geflüstert, durch die Wiederholung unterstrichen wird. Ohne Übereifer und ohneredundant zu sein lässt die Künstlerin die Bilder wiederholen, damit sich die Dingeschrittweise enthüllen. Dies ist der Fall in Die Kugel, eine dreiteilige Videoarbeit, die siezwischen 2012 und 2013 realisiert hat. Der erste Teil zeigt das Rollen einer Masse ausBeton in einer Lagerhalle. Gelbe Blumen sind furchtlos durch die Löcher gewachsen,die die Künstlerin in der Kugel hergestellt hat. Regiert von einer anarchischen Kraftzerquetscht die Kugel die Blumen auf ihrem Weg. Die gleiche Kugel ist Protagonist derbeiden anderen Videos: schwer, sperrig und blind setzt sich die Kugel gegenüber derNatur durch indem sie sie einschließt und zerstört. In einem Kieswerk rollt die Kugelschwindelerregend schnell einen Hügel hinunter. Im Herunterstürzen werden die rosaBlumen offensichtlich abgeschnitten und aus der Kugel herausgeschleudert. Die Rolledes Sisyphus spielend, lässt <strong>Anna</strong>-<strong>Lena</strong> <strong>Tsutsui</strong> die Kugel <strong>im</strong>mer wieder den Hügelhinunterrollen und die Blumen niederstrecken: Die Sinnlosigkeit und die Brutalität derGeste wird so in all ihrer Kraft deutlich.Wenn es in Die Kugel die Natur ist, die eingeschlosse n, zerquetscht und letztlich getötetwird, so ist die Situation in Panorama Boa Vista umgekehrt. Das Knäuel aus fliegendenPlastiksäcken in diesem Videos scheint beinahe vor einer allgegenwärtigen undallmächtigen Natur zu fliehen: In der Gewaltigkeit einer freien Erde hat das Künstlichekeine Daseinsberechtigung. Die Präsenz dieser anderen Kugel, nicht <strong>im</strong>posant,sondern leicht und fliehend, wird zum Oxymoron: der Kontrast zwischen dem Objektund der Realität, in der es sich befindet, sind extrem. In Form eines vielfarbigenGespenstes irrt das Artefakt ohne Inne zu halten umher. Es flieht. Der Wind treibt es<strong>im</strong>mer weiter, fortzugehen von dieser Welt - als gäbe es eine andere Welt als die derBüsche, Steine und des Sandes. Dieses Video scheint endlich das Ersticken der Naturdurch den urbanen Kontext zu rächen und die Rollen zu verkehren: Ausnahmsweiseist der Eindringling das Plastik, die einfachen und leeren chemischen Farben, derÜberfluss an Produkten. Die Plastiksäcke haben keine Berechtigung in solch einerLandschaft und sind verdammt für <strong>im</strong>mer zu fliehen. So gelenkt zeigt sich das Artefaktunsicher, grotesk und sinnlos. Und trotzdem ist der Flug des Objektes schön: er zeigtuns weite H<strong>im</strong>mel, weißen Sand und hinterlässt keine Spuren.Vom Fliegen ist eine sowohl organische als auch fremde Form. Die Skulptur ausKeramik setzt sich auf Grund ihrer ungewöhnlichen Erscheinung <strong>im</strong> Raum durch. Sieüberrascht und verdichtet in ihrer wunderlichen Form zwei Komponenten der Arbeitvon <strong>Anna</strong>-<strong>Lena</strong> <strong>Tsutsui</strong>: das Komische und das Tragische. Feststeckend, unbehaglich,aber auch karikaturenhaft und amüsant durch ihre grobschlächtige Erscheinung istdieses orangefarbene Ding eine Allegorie der Lebensbedingungen in einer Stadt.Festgefahren und auf gewisser Weise unterbrochen erinnert Vom Fliegen an dieFotoarbeit Der Balkon (2011): Der Lebenselan ist verboten durch eine Präsenz vonaußen, die eine volle Entfaltung verhindert. Wenn dieser Aspekt bereits in Arbeiten wieEin anderer Balkon 1 und Ein anderer Balkon 2 eingeführt wurde, so wird das Konzeptin Vom Fliegen weiter entwickelt. Die Skulptur hat eine organische, weiche Form. IhrGewicht von etwa 30 Kg sowie ihre Größe lassen an eine körperliche Gestalt denken.Über den rein formalen Aspekt hinaus - das Werk ist tatsächlich zweigeteilt - drücktVom Fliegen eine tiefer gehende Unsicherheit und Instabilität aus. In diesem Sinneruft die unangenehme Situation, in der sie sich befindet, ein beinahe existentielles,menschliches Unbehagen hervor. Als unvollendeter Akt hängt sie <strong>im</strong> Raum. VomFliegen hebt eine tragikomische Seite der menschlichen Realität hervor.Wenn Vom Fliegen die menschliche Reichweite schließlich verdeutlicht, so entwickeltBetonstruktur 1 diesen Gesichtspunkt auf definitive Art und Weise. Auch wenn sichdieses Werk rein formal betrachtet von den anderen unterscheidet, so ist es dochder konzeptuelle Höhepunkt. Die Struktur ist aus Beton, einem Material, das dieKünstlerin kritisiert, an das sie aber auch durch ein Bedürfnis des Ausdrucks undFaszination gebunden ist. Hier ist sie Modell, in dem Figuren umher wandeln. Ohnedie Möglichkeit der Flucht oder des Vorwärtskommens erinnern die Figuren an eineArt Prozession ohne Ausgang. Aus Keramik hergestellt, sind sie in einer <strong>im</strong>posantenStruktur eingeschlossen, die eine Architektur andeutet. In Übereinst<strong>im</strong>mung mitdem allegorischen Ansatz der Werke von <strong>Anna</strong>-<strong>Lena</strong> <strong>Tsutsui</strong>, sind die Figuren nichtexplizit anthropomorph. Trotzdem erinnern sie an eine best<strong>im</strong>mte Morphologie, eineHaltung, die sie als Menschen erkennen lässt. Es ist also nur natürlich sich in die Szenehineinzuversetzen und Anteil an den, in einem absurden physischen oder mentalenRaum, eingezwängten Wesen zu nehmen. Die Verbindung zwischen diesem Werk undder Installation Baby Dolls wird offensichtlich: Als eine Verstümmelung des Natürlichen– ob sie nun menschlich, pflanzlich oder tierisch ist – ist der Rahmen <strong>im</strong>mer Unrecht.Die menschliche Figur erscheint also nur selten <strong>im</strong> Werk von <strong>Anna</strong>-<strong>Lena</strong> <strong>Tsutsui</strong>. SeineErscheinungsform und seine Gegenwart werden von der formalen Offensichtlichkeitausgeschlossen. Trotzdem ist der Mensch <strong>im</strong>mer da. Er steht am Ursprung derVerzerrung und ist zugleich Opfer seiner Schöpfungen.Bianca Bozzeda, 201389

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