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PDF-Datei (4,8 MB) - Volkssolidarität - Landesverband Berlin

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BRÜCKENBAUERlaufFriedrichshain-Kreuzberg interkulturell30. Ausgabe - November|Dezember 2013 - Gratis aber zum Mitarbeiten_______________________________________________________________________________________________________________________________Frau FinkeWir uns einig sind: Die Flüchtlinge, dieseit über einem Jahr auf dem Oranienplatzcampieren, haben ein Recht aufWürde und Gerechtigkeit, sie sind Menschenwie wir. Ihr Protest gegen dieRealität der vor zehn Jahren im Zugeder Einwanderungswelle in Folge derJugoslawienkriege beschlossenen deutschenAsylgesetzgebung wird über kurzoder lang erfolgreich sein.Weil erstens nach den auf der italienischenMittelmeerinsel Lampedusa aufgebahrtenhunderten von Leichen afrikanischerund syrischer Flüchtlingeniemand mehr umhinkommt festzustellen,dass sich etwas ändern muss. Undweil zweitens die Demonstranten aufdem Oranienplatz eine Lobby haben:angefangen von Alternativen, Menschenrechtsorganisationenbis hin zuden Grünen. Nicht umsonst haben sichdie Asylbewerber Kreuzberg als Ort fürihren Protest ausgesucht.Frau Finke hat auch die schrecklichenBilder von Lampedusa im Fernsehengesehen; auch ihr tun die FlüchtlingeLeid, die Gefahr laufen, einen weiterenWinter auf dem Oranienplatz ausharrenzu müssen. Frau Finke hat aber auch einProblem. Ab Januar wird sie ihren Seniorentreffum die Ecke nicht mehr zuFuß erreichen können, der wird danngeschlossen sein. Wenn sie Gesellschaftsucht, muss sie dann zwei Mal umsteigenmüssen. Ob es dort noch einmal sosein wird, wie es all die Jahre in ihrem„Club“ war? Frau Finke ist dreiundachtzigJahre alt. Damit gehört sie in unseremBezirk zur Minderheit der altenMenschen. Anscheinend hat diese keinebesonders starken Fürsprecher.Bei aller Sympathie für die Flüchtlingeauf dem Oranienplatz: Vergessen wirFrau Finke nicht. MICHAEL REBIENIn dieser AusgabeWerkverträge: Jeder macht seinsals sein eigener Chef Seite 3Besinnliches zur Weihnachtszeit:Der gelebte Mensch Seite 7Nördlich der Frankfurter Allee schließennach Plänen des Bezirksamtes zumJahresende drei Friedrichshainer Seniorenfreizeiteinrichtungen:in der Palisadenstraße46, der Heidenfeldstraße 11und der Schreinerstraße 53. Ihre Besucherund ein Teil der Mitarbeiter sollenab Januar 2014 in einem neuen Stadtteilzentrumam Platz der Vereinten Nationen1 angesiedelt werden. Es soll inkommunaler Verantwortung in Kooperationmit der AWO und dem DRKbetrieben werden.Das Bezirksamt begründet seine Entscheidungmit einer geringen Auslastungder drei genannten Seniorentreffs. AuchIm zweiten HerbstBesuch aus Bayern. Im September 2012 machten sich in Würzburg 600 Asylbewerber,getrieben von Wut und Enttäuschung über ihre Behandlung, auf den Wegund schlugen am 5. Oktober auf dem Kreuzberger Oranienplatz ihre Zelte auf. Esfolgten Gerangel um Zuständigkeiten, Hungerstreiks und Auseinandersetzungenmit genervten Anwohnern. Nun sollen sie eine feste Unterkunft erhalten. Foto: A. SchletzSenioren werden zusammengelegtFür ein neues Stadtteilzentrum schließen drei Einrichtungenentsprächen sie nicht mehr dem Leitbildeiner modernen Senioren- und Stadteilarbeit.Am neuen Standort würden Angebotefür Senioren mit denen für andereGenerationen vereint.Für Zündstoff sorgte Ende August einAntrag der Fraktion der Grünen in derBezirksverordnetenversammlung, weiterebezirkseigene Seniorenfreizeitstättenin die Hände freier Träger zu geben, umso Personalkosten einzusparen. Sowohldie Linke als auch die SPD wiesen diesesAnsinnen entschieden zurück: Dieskönne nicht die Konsequenz der Sparpolitikin Friedrichshain-Kreuzberg sein.MR


November | Dezember 2013 Arbeit & Geld BRÜCKENBAUER 3______________________________________________________________________________________________________________________________________Jeder macht seins als sein eigener Chef8,50 € Mindestlohn versprechen Gerechtigkeit. Doch von Werkverträgen redetkaum jemand. Dabei sind sie eine wahre Geißel. Eine kleine WirtschaftskundeMorgens halb sechs irgendwo imNiemandsland zwischen Kreuzbergund Treptow auf der Ostseite des altenMauerstreifens. Ein Containerbau,zweistöckig, Mülltonnen daneben. Imtrüben Licht der Straßenlaternen machensich Dragan und Mirko * auf denWeg zur Arbeit, einer Baustelle amOstbahnhof. Es ist Freitag, am Abendsollen sie ihren Lohn vom Chef bekommen.Endlich, nach vierzehn Tagenohne Geld. Geld, es geht immerums Geld bei Mirko und Dragan. ZuHause, auf dem Dorf in Rumänien,gab es nichts davon zu verdienen, desGeldes wegen haben sie sich auf denWeg nach <strong>Berlin</strong> gemacht, hier bekommensie es oft mit Verspätung.Die beiden teilen sich ein Zimmer; esist spartanisch aber zweckmäßig eingerichtet,Küchen und Duschen befindensich auf dem Gang. Ihr Vermieterist Herr Ackermann *, zurzeit sindalle seiner 145 Betten ausgebucht. Daswird, da ist er sich sicher, noch eineganze Weile so bleiben. Er hatte denrichtigen Riecher, als er vor zweiJahren die Herberge pachtete. EU-Osterweiterung, Arbeitnehmerfreizügigkeit,das sind die politischen Rahmenbedingungenfür seinen unternehmerischenErfolg.Er kann zufrieden sein: das Hausvoll, der Euro rollt, er kann auskömmlichdavon leben. Sicher, es gibt auchProbleme. Die Bauarbeiter duschenmehr als die Wasseruhr anzeigenkann, es gibt oft alkoholbedingtenStreit, manchmal geht etwas zu Bruch.So ist das Geschäft eben. HerrAckermann legt Wert auf die Feststellung,dass er sich gegenüber seinenGästen korrekt verhält und das vonihnen auch erwartet. Die Hausordnungin vier Sprachen umfasst je eine beidseitigeng getippte A4-Seite. Er hatseine Erfahrungen gemacht. Mit denArbeitern und mit deren Chefs. Obwohldie im Grunde genommen nurVermittler sind, denn jeder der Männeraus dem Baltikum oder Osteuropaist sein eigener Herr, Unternehmer, dejure und de facto.An dieser Stelle wird Herr Ackermannpolitisch. Diesen Herrn Röslervon der FDP habe er gestern AbendIndividualismus ohne Netz und doppelten Boden. Auf DeutschlandsBaustellen erfreuen sich Werkverträge größter Beliebtheit. Foto: imagobei Phönix gesehen, hoffentlich zumletzten Mal. „Wie der gegen den Mindestlohngewettert hat, dieser Spinner“,ereifert er sich. „Dabei ist dasdoch kompletter Quatsch, das achtEuro fünfzig die Wirtschaft kaputtmachen. Das einzige was damit kaputtgehen wird sind die Firmen, die ihreExistenz einzig und allein auf Hungerlöhnenaufgebaut haben.“ Abernoch etwas ganz anderes treibt HerrnAckermann um. „Mindestlohn ist einAushängeschild der Politiker, aber andie noch größere Schweinerei derWerkverträge traut sich keiner vondenen ran.“_______________________________________________________________________________In der Fleischwirtschaft und aufdem Bau funktioniert kaum nochetwas ohne Werkverträge._______________________________________________________________________________Kaum jemand weiß was ein Werkvertragbedeutet, dabei funktioniertvor allem in der Fleischwirtschaft undauf dem Bau kaum noch etwas ohnediese sehr besondere Form des Vertragsrechts,geregelt im BürgerlichenGesetzbuch, Paragraph 631: „Gegenstanddes Werkvertrags kann sowohldie Herstellung oder Veränderungeiner Sache als auch ein anderer durchArbeit oder Dienstleistung herbeizuführenderErfolg sein.“ Will heißen:Jemand übernimmt einen Auftrag, fürwas auch immer, und wird für dasvorher vertraglich festgelegte Ergebnisbezahlt, nicht für die Arbeit selbst.Der Auftragnehmer schuldet die Er-stellung des Werkes bis zur Abnahme,kann also nicht auf Zwischenzahlungenpochen oder die Arbeiten bis zurendgültigen Bezahlung einfach einstellenbeziehungsweise damit drohen.Wichtig auch: Bei Werkverträgen gibtes keinerlei soziale Absicherungen.Macht alles zusammen Kapitalismuspur, resümiert Herr Ackermann.Er hat ein Beispiel aus der Praxisparat: „Ein Konzern baut ein Hotelund vergibt die Installation der Bäderan seine österreichische Tochtergesellschaft.Die beauftragt eine ungarischeFirma mit den Arbeiten. DieArbeiter dafür heuert eine rumänischeFirma an. Per Werkvertrag wird dereine mit dem Einbau der Toilettenschüsselnbeauftragt, der andere mitder Installation der Wasserhähne, dernächste hat Waschbecken und Handtuchhalteranzuschrauben. Bezahltwird erst, wenn alles zur Zufriedenheitdes Unternehmens erledigt ist.“ DieRumänen und ihre Kollegen in seinemHaus haben davon keine Ahnung,weiß Herr Ackermann, woher auch.Sie locken die vielleicht fünf Europro Stunde. Das ist oft mehr, als zuHause ein Polizist bekommt.Und da sind wir dann doch wiederbeim Mindestlohn. Mit dem Werkvertragkann man ihn ganz legal umgehen,betrage er acht Euro fünfzig oderwas auch immer.MICHAEL REBIEN* Namen geändert


November| Dezember 2013 Vor Ort BRÜCKENBAUER 5_______________________________________________________________________________________________________________________________________Vom Freundeskreis zur SelbsthilfeEinrichtung der <strong>Volkssolidarität</strong> feierte ihr 20jähriges JubiläumSeit nunmehr 20 Jahren lädt derSelbsthilfe-Treffpunkt Friedrichshain-Kreuzberg zu Gesprächs-, BeratungsundVortragsrunden ein, bei denenBetroffene sich in der GemeinschaftGleichgesinnter helfen – von alleinstehendenSenioren bis zu Drogenabhängigen.Am Anfang stand die Gründungeines Freundeskreises der FriedrichshainerSozialstation der <strong>Volkssolidarität</strong>namens „Lebensbaum“.Daraus entwickelte sich die SelbsthilfekontaktstelleFriedrichshain, dieseit der Bezirksreform 2001 auch fürKreuzberg agiert. Was mit drei Gruppenbegann ist heute aus dem Bezirknicht mehr wegzudenken.Die Vorsitzende der den Treffpunkttragenden <strong>Berlin</strong>er <strong>Volkssolidarität</strong>,Heidi Knake-Werner (Foto oben),betonte auf der Jubiläumsveranstaltungam 18. Oktober die Rolleder Einrichtung bei der lebensnahenHilfe für Menschen, die Hilfe suchen.Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindlerwertete den Selbsthilfe-Treffpunkt alswichtigen Partner im Bezirk.Die Geburtstagsfeier wurde in denRäumen des Treffpunktes in der BoxhagenerStraße 89 mit einem vonEhrenamtlichen inklusive Jubiläumstorteangerichteten Büffet (rechtsaußen) und dem begeisternden Auftrittvon Maxim Shagajev und seinesKnopfakkordeons (rechts) zelebriert.MR Fotos: M. RebienEhreDassel vonHohenfelsDie GesetzesinitiativeDassel von Hohenfels, von BerufFreiherr und sich selbst dem GeschlechtHeinrich des Löwen aus demBraunschweigischen zurechnend,pflegte einst den ausschweifendenLebensstil. Bis zu jenem Tag als er imSüdosten unseres Kontinents seinGlück zu machen versuchte und vongewieften Postkommunisten über denTisch gezogen wurde. Reuig beschlosser, fortan nur noch Gutes zutun begab sich in die Herzkammeraller Gutmenschen, nach Kreuzberg.Hier, auf der Suche nach Randgruppen,stellte sich schnell Fündigkeitein. Von höchster Bedürftigkeit wurdendie Restaurantbesitzer dedektiert,die unter ihren Gästen, den Billigheimern,zu leiden hatten: Billiggerichtemüssen offeriert werden, die HappyHour dauert 24 Stunden, alte Damenbestellen Kinderschnitzel, und dieFraktion der Mineralisten, der Wassertrinker,wächst rasant. Dassel ruhtenicht und gebar die „Initiative für dengesetzlichen Mindestverzehr“.Wie ein jeder sich denken kann,begann nun die Zeit der Lobbyarbeit.Aus CDU-Kreisen wurde verlautbart,Frau Merkel würde das Thema wohlaussitzen, die Grünen waren – weil 98Prozent von ihnen Mineralisten sind -voll auf Anti, die SPD-Genossen befürchtetenAblehnungsmechanismenwie zu Zeiten der Agenda 2010-Beschlüsse, die Linken waren mit sichbeschäftigt, die FDP nicht mehr da.Gleichwohl, der Mindestverzehr ingastronomischen Einrichtungen wirdkommen. Schließlich sind 100 Prozentder Wirtinnen und Wirte dafür. Siewerden die beherzte Initiative desguten von Hohenfels aufnehmen.Und dann, wenn alle Kassen inKreuzbergs Schenken und Gasthäusernklingeln, und es keine Ausredenmehr gibt, von wegen ein Glas Wasserund ein kleiner Salat, dann wird manim fernen Brüssel auf diese wunderbareInitiative aufmerksam werden.KARL-HORST LICHTENBERG


6 BRÜCKENBAUER Leib & Seele November | Dezember 2013______________________________________________________________________________________________________________________________________SchandmalAlkoholismusVor 45 Jahren wurde Alkoholismusin Deutschland offiziell alsKrankheit anerkannt. Seithersollten Betroffene ihre SchamundSchuldgefühle abgelegthaben und frei und offen Hilfe inAnspruch nehmen. Dem ist beiweitem nicht so, denn: Trinkenist kein Problem, aber daran zuleiden bedeutet oft den Ausschlussaus der Gemeinschaft.Niemand kann wissen, ob er die Veranlagungzum Alkoholismus in sichträgt. Niemand kann sicher sein, ob ersich diese Krankheit nicht auch herbeitrinken kann. Früherkennung ist nichtmöglich. Alkoholismus im Anfangsstadiumlässt sich nicht fühlen,schmecken, riechen, sehen oder hören.Einmal dem Alkohol verfallen kommteine zweite Krankheit hinzu: die Folgender gesellschaftlichen Ächtung,der Stigmatisierung.Der Alkoholiker als Willens- undCharakterschwacher, Haltloser, Labiler,Unzuverlässiger und ewig besoffenerZeitgenosse, der gern auf Kostenanderer lebt, Penner, Asozialer, Neurotikerund Psychopath. Nicht zu vergessen,das hartnäckige Vorurteil des„Selbstzugefügten“ und der „Eigenschuld“.Die überwiegende Mehrheitder Bevölkerung hält Alkoholkrankeauch für gefährlich. Ein Zusammenhangzwischen Alkohol und Gewalttatenist offensichtlich. Alkohol imStraßenverkehr stellt eine reale undhäufige Gefahr dar.1938 bezeichnet der Psychiater HansBürger-Prinz Alkoholiker als sehrhäufig erregbare, zu Tobsuchtsanfällenoder Misshandlungen neigende,willensschwache, haltlose, stimmungslabile,leicht schwachsinnige,kriminelle Persönlichkeiten. Für denSchweizer Psychiater Anton Delbrückhandelte es sich 1926 bei den unheilbarenAlkoholikern um denselben TypMensch wie den des unverbesserlichenGewohnheitsverbrechers. Am10. Juni 1935 kommt ein Fachkongressvon Psychiatern in München zudem Beschluss, Alkoholiker gehörenins Konzentrationslager. Am selbenTag knüpfen in den USA ein Börsenmaklerund ein Chirurg, zwei von derWissenschaft als hoffnungslose Fälleaufgegebene Alkoholiker, die ersteMasche des Netzes der AnonymenAlkoholiker.Dass Alkoholabhängigkeit nichtallein als Krankheit sondern als Verletzunggesellschaftlicher Normenwahrgenommen wird, führt dazu, dassSuchtkranke von der Allgemeinheit fürihre Erkrankung eher verantwortlichgemacht werden als Menschen, die ananderen seelischen Erkrankungen wiebeispielsweise Schizophrenie oderDepression leiden. Frei nach dem Motto:Wer mutwillig Regeln verletzt,gehört nicht mehr zu uns. Ausgrenzungwird zum Druckmittel, um denBetroffenen zur Umkehr, zur Verhaltensänderungzu bewegen und ihnwieder in die Gesellschaft hineinzuholen.Das kann nicht funktionieren.__________________________________________________________________________________Trinken ist ein Geschenk Gottes,der Missbrauch aber des Satans.__________________________________________________________________________________Denn nicht das Trinken oder derRausch werden stigmatisiert - also dasunmittelbar problematische Verhalten -sondern die Abhängigkeit. Alkoholkonsumdagegen ist oft sozial akzeptiert,geradezu erwünscht. Und das seitalters her. Der griechische DichterKratinos, selbst dem Trunk verfallen,sprach vor 2.500 Jahren in seiner Komödie„Die Flasche“ den Satz: „WerWasser trinkt, kann sonst auch nichtsVernünftiges leisten.“ Soll heißen, wernichts trinkt, dem fehlt das Entscheidendeim Leben. Trinken ist ein Ge-Foto: Tamorlan/ wikischenk Gottes, der Missbrauch aber istdes Satans. Die Doppelbödigkeitdieser Normvorstellungen wird nichtzuletzt in der Mediendarstellung vonAlkohol, etwa bei Champagner-Duschen für siegreiche Formel 1-Piloten, überdeutlich.Weil nicht das regelmäßige, starkeTrinken zu negativen Reaktionen derUmgebung führt, sondern erst derKontrollverlust über das Trinkverhalten,setzt die Stigmatisierung der Alkoholabhängigkeitviel zu spät ein, umüberhaupt präventiv zu wirken zukönnen. Dann ist es oft zu spät. DerWeg zurück dauert Jahre, manchmalJahrzehnte.Alkoholkranke werden nicht nurpersönlich abgelehnt, sondern genießenbei ihrer ihre Behandlung imVergleich zu anderen Erkrankten diebei weitem niedrigste Priorität in derÖffentlichkeit. Patienten mit Alkoholabhängigkeitberichten häufig, dasserst die Inanspruchnahme von Hilfe,beispielsweise die erste Entgiftung,sie in ihrer eigenen Wahrnehmungund in der ihres Umfelds zum „Alkoholiker“gemacht habe. Selbststigmatisierungführt dazu, dass die Betroffenensich noch weniger zutrauen;die Identifikation mit der Gruppe der„Alkoholiker“ führt zu Selbstwertverlust,verminderter Selbstwirksamkeitund kann schlussendlich ein Schicksalohne Ausweg bedeuten.HANS-JÜRGEN SCHWEBKE- schreibt als trockener Alkoholikerauch für die TROKKENPRESSE,dem Informationsblatt für Abhängigeund Unabhängige.


November| Dezember 2013 Positionen BRÜCKENBAUER 7______________________________________________________________________________________________________________________________________Der gelebte MenschBesinnliche Weihnachtstage wünschen wir uns.Es wird also Zeit, einmal wieder zur Besinnungzu kommen und nachzudenken. Darüber, waswir unternehmen: um Ziele zu erreichen, unszu verwirklichen, glücklich zu sein – und demzu entsprechen, was andere angeblich von unserwarten, meint PETER REINHOLD.Ich könnte auch sagen, was „man“erwartet, jene drei magischen Buchstaben,die unausgesprochen ausdrückensollen, was die öffentliche Meinungausmacht, der wir allüberallunterliegen. Denn wir haben uns zurichten, anzupassen, mitzuschwimmen.„Man“ - ein kleines Wort übrigens,kaum eine andere Sprache alsdas Deutsche kennt ein ähnliches.Was gerade angesagt, was Meinungist, das erklären uns die Medien. Jene,die von vielfältigen Interessen gesteuertwerden, von Politik und Wirtschaft,Kultur und Konsum, also jenen,die unsere Gesellschaft darstellenund bestimmen. Ich kam auf dasThema als ich las, dass Küchen indeutschen Haushalten überdurchschnittlichperfekt ausgestattet sind,die Mehrheit ihrer Eigner sie aber garnicht nutzt. Nicht die superteurenHigh-Tech-Geräte, nicht die laufendenMeter Kochbücher aus aller Welt,nicht die guten Ratschläge von Sterneköchenauf der Mattscheibe.Warum also, frage ich mich, schaffenwir uns all diesen Plunder an,wenn wir doch gar nichts damit anzufangenwissen? Nun ja, weil man daseben so macht, weil man es sich leistenkann, und weil man vor allemdazu gehören möchte. Tut man dasnämlich nicht, springt man sozusagenaus der Rille, dann ist man „out“, ganzweit weg, tot, vergessen.„Man“ sagt uns, was wir zu tun haben,um dazu zu gehören, wie wir unszu kleiden, was wir zu trinken, welchesAuto wir zu fahren, welchesRestaurant wir zu besuchen und welchesangesagte Buch wir gerade zulesen haben. „Man“ lebt es uns vor,wir haben zu folgen. Nie war derMensch so unselbständig wie heute.Angepasst, konform, perfekt. Undnahezu unselbständig. Es ist ja aucheinfacher, sich selber weniger Gedankenzu machen und dem Strom derMassen zu folgen.Foto: A. SchletzVielleicht ist es ein ausgeprägt deutschesPhänomen, immer alles genau,ganz richtig, perfekt, aalglatt, durchgestyltformulieren zu wollen. Vielleichtschämen wir uns, Fehler zumachen und diese gar noch eingestehenzu müssen. Die Talkshows imFernsehen, die Meinungen im Internetund Medien aller Art weisen uns denrichtigen Weg. Und von diesem solltenwir tunlichst nicht abweichen,wenn wir unsere Sicherheit nicht verlierenwollen.__________________________________________________Die Angebote nehmen ständigzu – und mit ihnen der Stress.__________________________________________________________________________Ein anerkannter amerikanischer Professoräußerte, die beiden größtenÜbel des vergangenen Jahrhundertsseien die Erfindungen von Fernsehenund Computer. Sie haben uns fest imGriff, sie machen uns abhängig, siesind das goldene Kalb, um das wirtanzen. All das versetzt die Gesellschaftmehr und mehr in Stress. Diegebotenen Möglichkeiten, uns zuentfalten, abzulenken, angeblichglücklich zu werden, nehmen ständigzu und wollen bitteschön auch genutztwerden. Das beginnt schon bei denAngeboten, die wir unseren Kindernmachen: Sportstunden, Reitunterricht,Fremdsprachen, Kreativkurse und undund. Um Filius oder Filia einigermaßenperfekt durch die Wochen zulenken, bedarf es einer speziellenAgenda, damit auch ja nicht die zigsteEinladung zum Kindergeburtstag, derKlavierunterricht, die Tennisstundeoder der Besuch beim Psychologenverpasst wird.Winterferien stehen an. Ja, wasbraucht es dazu nicht alles, um bloßnichts auszulassen, was in den Tagenim Schnee geboten wird! Skikurse,Abfahrten, Langlauf, Rodeln, Eislaufen,Pferdeschlittenfahrt, rauf auf denBerg, runter vom Berg, hinein in dieSauna, raus in den Schnee, Hüttenzaubergenießen, Disco nicht auslassenund bei all dem auch noch Erholungfinden!Genießen wir also den ungebremstenFortschritt, und machen wir einfachmit. Stapeln wir die Surfbretter undNeoprenanzüge, Gleitdrachen undTaucherausrüstungen, Golf-, TennisundBaseballschläger in unseren geräumigenKellergemächern. So falschkann man dabei gar nicht liegen. DerNachbar zeigt es einem doch. Der istcharmant, interessant, vielseitig undvor allem äußerst erfolgreich, kurzumein echtes Vorbild. Na bitte, dembraucht man ja nur nachzueifern, umdie schönsten Seiten des Lebens ebenfallszu genießen.Was soll „man“ sich noch lange denKopf zerbrechen, was ich selbst, meinemNaturell und meinen ureigenstenWünschen entsprechend gerne ausmeinem Leben machen würde? Allesist praktisch schon fertig, wird perfektvorgelebt. - Convenience!- Peter Reinhold lebte 15 Jahre inBrasilien und zwei in Lissabon;seit kurzem wohnt er wieder in<strong>Berlin</strong>. Er hat Reisebücher für Kinderund für eine Zeitung in Sao Paulogeschrieben. Ganz neu ist "Tarzanlebte in Brasilien“ in der EditionKindl erschienen.


8 BRÜCKENBAUER Agenda November | Dezember 2013_____________________________________________________________________________________________________________________________________Arte Postale – Ein Mail-Art-ProjektOb Profi oder einfachnur kunstinteressiert:320 Menschen aus 38Ländern haben sichmit 700 Exponaten,fantasievollen Bilderbriefenund bedrucktenKünstler-Postkarten, an dervon Klaus Staeck undLutz Wohlrab initiiertenMail-Art-Kunstaktion beteiligt.Bis 8. Dezemberin der Akademie derKünste am PariserPlatz 4. Foto: website____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________Wir suchen Autoren!BRÜCKENBAUERFriedrichshain-Kreuzberg interkulturellTelefon 030 21 23 88 87Fax 030 21 23 96 65michael.rebien@volkssolidaritaet.deGryphiusstraße 10, 10245 <strong>Berlin</strong>OpaWeltenbummlerliest aus seinen spannendenReise-Erzählungenfür Kinderan Schulen, Bibliotheken,auf Kindergeburtstagen, usw.Peter ReinholdPannierstraße 1212047 <strong>Berlin</strong>030-6273.2685petiglobal@yahoo.comJunger Kerl trifft älteren Herrn. Aber was für einen! Liberace, den schrillenPianisten und Entertainer, von dessen Schwulsein niemand etwas wissen durfte.Der sehenswerte Film ist Biographie und Sittengemälde zugleich. Foto: PromoRechtsansprüche zu Pflege und DemenzJuristische Vorgaben und Urteile werdendes Öfteren als ungerecht undwenig dem wahren Leben zugewandtempfunden. Das geht nicht zuletztvielen Menschen so, die ihre Angehörigenpflegen. Erschwerend kommtbei ihnen hinzu, dass ihr Alltag ohnehinvon körperlichen und seelischenHerausforderungen bestimmt wird.Die Kontaktstelle PflegeengagementFriedrichshain-Kreuzberg lädt vordiesem Hintergrund zu einer Informationsveranstaltungein. Anhand vonEntscheidungen und Gerichtsurteilenerörtert die Juristin und SozialpädagoginBeatrice Bayer Möglichkeiten,wie Rechtsansprüche zu den ThemenPflege mit dem Schwerpunkt Demenzgeltend gemacht und durchgesetztwerden können. MONIKA VOUNGMittwoch, 20. November, 15 UhrNachbarschaftstreff WIR IM KIEZKoppenstraße 62, Friedrichshain(U5 Strausberger Platz, S Ostbahnhof)Weitere Informationen zum Themaunter Telefon 030 21 23 89 25.BRÜCKENBAUERFriedrichshain-Kreuzberg interkulturellGryphiusstrasse 10, 10245 <strong>Berlin</strong>Telefon 030 21 23 88 87Fax 030 21 23 96 65Redakteur: Michael Rebienmichael.rebien@volkssolidaritaet.deErscheinungsweise: Alle 2 Monate.Auflage: 1.500 Exemplare.Druck: Druckwerkstatt Klaus Regel,Samariterstraße 7, 10247 <strong>Berlin</strong>.Herausgeber:<strong>Volkssolidarität</strong><strong>Landesverband</strong> <strong>Berlin</strong> e.V.Alfred-Jung-Straße 1710367 <strong>Berlin</strong>www.volkssolidaritaet-berlin.deVereinsregister Amtsgericht<strong>Berlin</strong>-Charlottenburg VR 12136 BSteuernummer 27/680/55187.Namentlich gekennzeichneteBeiträge müssen nicht der Meinungvon Herausgeber und Redaktionentsprechen.

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