GESCHICHTLICHES REUTIGEN - STOCKEN - Gemeinde Reutigen

GESCHICHTLICHES REUTIGEN - STOCKEN - Gemeinde Reutigen GESCHICHTLICHES REUTIGEN - STOCKEN - Gemeinde Reutigen

<strong>GESCHICHTLICHES</strong><br />

über<br />

<strong>REUTIGEN</strong> - <strong>STOCKEN</strong><br />

gesammelt von Max Amacher


DIE VÖLKERWANDERUNG<br />

Die Urbewohner unseres Landes waren die Helvetier, ein keltischer Stamm.<br />

In Italien lebten die Romanen (Römer) und nördlich des Rheins die Germanen<br />

(Deutschen). Die Helvetier glaubten, im Süden besser leben zu können und<br />

zogen im Jahr 58 vor Christi Geburt aus. Sie konnten aber der Römer wegen bei<br />

Genf die Rhone nicht überqueren, wandten sich nach Westen und wurden bei<br />

Bibrakte von den Römern geschlagen und wieder heimgeschickt. Während ca.<br />

400 Jahren gehörte nun Helvetien zum römischen Reich.<br />

Auch die Germanen wollten nach Süden. Sie hatten sich stark vermehrt, und die<br />

Jagd war nicht mehr ergiebig genug. Tierhaltung gab es nicht allgemein, und wo<br />

Ackerbau getrieben wurde, gab es wegen des minderwertigen Saatgutes nur<br />

geringe Erträge. Die Winter dauerten lang, und da war der Glaube an den<br />

glücklichen Süden verständlich.<br />

Die Römer hatten aber eine starke Befestigungslinie quer durch Deutschland<br />

aufgebaut und hielten die Germanen ein paar hundert Jahre auf.<br />

Durchzukommen war lange unmöglich. Mit der Zeit hatten sich aber die<br />

Germanen die Kriegskunst der Römer zu eigen gemacht, die hölzernen Knüttel<br />

mit Eisen beschlagen (Morgensterne) und die Spitzen der Speere und Pfeile,<br />

die aus Knochen bestanden, durch eiserne ersetzt. Man besass jetzt auch<br />

Schwerter wie die Römer.<br />

Ums Jahr 350 wurden die römischen Befestigungen erstürmt. Die Alemannen<br />

brachen in Helvetien ein und drangen bis an die Aare vor. Im Westen waren es<br />

die Burgunder und Franken, in England die Sachsen und Dänen. Burgunder<br />

und Franken setzten sich westlich des Rheins bald fest und regierten von dort<br />

aus über Frankreich. Karl der Grosse hatte ja seine Residenz in Aachen. So<br />

behielten Frankreich und die Westschweiz ihre keltisch-romanische Sprache,<br />

während die übrige Schweiz deutschsprachig wurde.<br />

Wie <strong>Reutigen</strong> und Stocken entstanden sein könnten<br />

Nach der Besetzung Helvetiens durch die Alemannen folgten während etwa 200<br />

Jahren immer wieder von Zeit zu Zeit Züge von Norden nach Süden. So kamen<br />

auch einige Sippen (Verwandtschaften) ins Gebiet der Aare. Das Tal war aber<br />

schon ziemlich dicht bevölkert und die neuen Einwanderer nicht überall<br />

willkommen. So wandten sie sich dem Nordabhang der Stockhornkette zu,<br />

von der sich allerdings ausgedehnte Wälder bis in die Ebene herunter zogen.<br />

Eine Gruppe drang rechts einer moosigen und sumpfigen Ebene in das<br />

Waldgebiet ein, die andere links. Zäh und angriffig, wie die neuen Ansiedler<br />

waren, reuteten sie den Wald und gruben Stöcke aus, um Aecker und Weiden<br />

anzulegen. Darum hiess man später die Siedlungen Stocken und <strong>Reutigen</strong>.<br />

Ueberall hatten sie auf dem Marsch durch die neue Heimat staunen müssen<br />

über das gut bebaute Land. Die Römer hatten nämlich Helvetien zu einer<br />

kultivierten Provinz gemacht. Auf den Aeckern wuchs hohes Getreide,<br />

das einen guten Ertrag abwarf. Gezüchtete Tiere weideten auf den Wiesen.<br />

Von diesem Wohlstand profitierten nun die Alemannen.<br />

2


Als einmal unsere Sippen richtig angesiedelt waren, und alles seinen normalen<br />

Gang nahm, konnte man sich endlich etwas Ruhe gönnen. Im Kapf wurde den<br />

Göttern geopfert, natürlich auch in Stocken. Das geschah immer auf einer<br />

Anhöhe, z.B. am Hügel zwischen Hohlinde und Höfen, oder auf der Mürg.<br />

Die normalen Feste wurden wieder gefeiert. Die Alten verfolgten mit Spannung<br />

die Wettkämpfe der Jungen, die sich miteinander im Bogenschiessen und<br />

Speerwerfen massen.<br />

Fanden diese Wettkämpfe in <strong>Reutigen</strong> vielleicht am Gerhubel statt? Ger heisst<br />

nämlich Speer. Gertrud ist die mit dem Ger vertraute, Gerhard der Speerkühne.<br />

Hard heisst Herz, beherzt, kühn.<br />

ORTSNAMEN<br />

Wir können in der Geschichte unseres Landes 3 Zeitabschnitte unterscheiden:<br />

1. die helvetische Zeit<br />

2. zum römischen Reich gehörend<br />

3. die germanische Zeit<br />

So haben unsere Ortsnamen ihren Ursprung entweder in der keltischen, romanischen<br />

oder deutschen Sprache. Mit den Jahrhunderten sind viele Namen aber<br />

so verändert worden, dass man deren Herkunft nicht mehr mit Sicherheit findet.<br />

Aare: Aruros, Adler, dem Adler gleich (keltisch)<br />

Kander: Kandara, die Weisse, Schäumende (keltisch)<br />

Niesen: Schneeberg, nivis = des Schnees (romanisch)<br />

Spiez: spiates = Dorngestrüpp (keltisch)<br />

Wimmis: vindemis = Rebberg (romanisch)<br />

Thun: von Zun, umzäunt, befestigt = Stadt, engl. town<br />

Schoren: Ufer, Strand<br />

Uebeschi: Eibisch, bei den Eiben<br />

Amsoldingen: Dorf des Answalt, Answaltingen, Ansoltingen, Amsoldingen<br />

Pohlern: hügeliger Ort<br />

Zwieselberg: Doppelberg<br />

Glütsch: Glutsja, glucksend, an einem Bach gelegen<br />

Beisseren: Ort mit Binsen (Biissere)<br />

Kapf: Aussichtspunkt, Spähhügel; Ort, wo in heidnischer Zeit geopfert wurde.<br />

Bälliz: bei den Pappeln, belle = Pappel; Name ev. von Thun übernommen.<br />

Gand: Geröll<br />

Stadel, Stadi: Land mit Scheune beim Dorf<br />

Telacher: Teilacker, abgeteilte Aecker<br />

Ruesseche: ruussen = rauschen<br />

Farb: dort befand sich eine Bleiki verbunden mit einer Färberei.<br />

Im Todesregister steht: Den 27. Juni 1777 starb Hans Danner von Langnau,<br />

der Färber an der Glütsch, 54 Jahre alt.<br />

Chrindi: Einschnitt<br />

Heiti: unbewaldet, Heide, Blattenheid, Heitenried<br />

Günzenen: von Conca = Muschel, Mulde, Günzi (romanisch)<br />

3


Nüschleten: Bärgli, Alpweide (keltisch)<br />

Jetzt heisst die Alp Nacki und der Grat Nüschleten.<br />

Roggenweid (Ittes Weid): von Rocca = Fels, Rocky Mountain, also Fluhweide<br />

Thürle: Türlein im Zaun gegen die Viehweiden<br />

Hinterlauenen: hintere Schuttlawine<br />

Schlatt: flaches Sumpfland<br />

Oey, Ei, Au: an einem Fluss gelegen<br />

Mürg: kurz, verwandtes Wort ist Mürggel<br />

Sandbühl: von sengen, sang, verbrennen. Ort, wo gerodet und verbrannt wurde.<br />

Benzihubel: Hügel des Benz, berndeutsch für Bendicht<br />

Gwanni: Die Landschaft hat die Form einer Wanne (flacher Korb zum Reinigen<br />

der gedroschenen Getreidekörner)<br />

Zihl: Grenze, wohl gegen die Weiden oberhalb. In Urkunden steht von den Zihlen<br />

der Stadt Bern oder von Thun. Burgenziel.<br />

Dieggis: gutes Land. Aus Dieggis wurde das Wort gediegen.<br />

Magistrall, Umgangssprache Magistall: wahrscheinlich Land, das einem<br />

Magistraten gehörte, einem Ratsherrn, vielleicht Hans Schütz.<br />

Blachti: flaches Land, blach = flach<br />

Dussberg: Dussel oder Düssel = Buckel, Geschwulst, Bergrücken, Grind<br />

(Grindelwald). Redensart: Er hat einen harten Düssel.<br />

Grod: Ueberführtes Land. Das Grod ist in Niedersachsen vom Meer<br />

angeschwemmtes Land vor den Deichen. Die Steinblöcke im Grod wurden dann<br />

zum Schwellenen verwendet.<br />

Wandele: Berghang, ursprüngl. wohl Wang, Wangele, Wangen, Wengi, Wengen.<br />

alte Post in <strong>Reutigen</strong> / Allmend<br />

4


DIE FREIHERREN VON WEISSENBURG<br />

<strong>Reutigen</strong> und Stocken hatten keine Beziehungen zu den Freiherren von<br />

Weissenburg. Erst im 15. Jahrundert, als die Berner auf dem Schloss in<br />

Wimmis einzogen, wurden <strong>Reutigen</strong> und später Stocken dem dortigen Castlan<br />

(Regierungsstatthalter) unterstellt, obgleich sie zum Amt Seftigen gehörten.<br />

Spiez, <strong>Reutigen</strong> und Stocken kamen erst um 1800 zum Simmental.<br />

Die Freiherren von Weissenburg scheinen anfangs nur das Gebiet zwischen<br />

Diemtigen und Oberwil besessen zu haben. Es wird vermutet, sie stammten<br />

von den Edlen von Erlenbach ab. Sie lebten zuerst auf der "wysse Burg" bei<br />

Weissenburg am Ausgang des Bunschengrabens. Sie erweiterten ihren Besitz<br />

talaufwärts und hinunter bis Wimmis.<br />

Die Enge bei Wimmis war günstig zur Verteidigung des Tales. Darum bauten<br />

die Freiherren dort ein festes Schloss und zogen von Weissenburg herunter.<br />

Mit Mauern zwischen Niesen und Simmenfluh schlossen sie das Tal ab. An<br />

der Burgfluh war eine Pforte. Daher stammen die Ausdrücke: Port, Innerport,<br />

Ausserport.<br />

Ein geschlossenes Gebiet der Weissenburger gab es nicht. Viele andere Herren<br />

besassen auch Rechte im Simmental, sogar die Raron aus dem Wallis. Dazu gab<br />

es zahlreiche freie Talleute. Die grösste Machtentfaltung der Weissenburger<br />

war zwischen 1300 und 1350. 1386 starb der letzte Freiherr und hinterliess<br />

seinem Neffen Thüring von Brandis (Emmental) sein Erbe.<br />

Die Adelsgeschlechter überdauerten selten mehr als 4 Jahrhunderte. Blieb die<br />

Ehe kinderlos, war der einzige Nachkomme ein Mädchen, oder kam der einzige<br />

Sohn im Kriege um, so starb das Geschlecht aus. - Wie verhielt es sich, wenn<br />

z.B. vier Söhne waren? Gewöhnlich übernahm nur einer die Burg und führte zu<br />

seinem Vornamen den Namen der Burg. Der zweite suchte sich einen hohen<br />

Adeligen, Herzog oder König und diente ihm in Krieg und Frieden. Der dritte<br />

wurde Abt in einem Kloster. Der letzte Sohn zog in die Stadt, bekleidete dort ein<br />

hohes Amt und verwaltete seine ererbten Güter. Solche Leute waren der Stadt<br />

willkommen, da sie eine Ausdehnung, einen Machtzuwachs der Stadt<br />

bedeuteten.<br />

Der Adelige war sich meistens seiner Pflicht bewusst, für das Wohl seiner<br />

Untertanen zu sorgen. In die uralten Bräuche und Rechte der <strong>Gemeinde</strong>n<br />

mischte er sich nicht ein. Die <strong>Gemeinde</strong>n verwalteten sich selber und<br />

bestimmten die Allmendverteilung, Waldnutzen, das Alpwesen und die<br />

Bachverbauungen. Der Adelige durfte zum Beispiel auf Allmendboden kein<br />

Lehen errichten. Mehr als einmal zogen die Simmentaler nach Bern, um ihre<br />

Rechte bestätigen zu lassen.<br />

5


FEUDALHERRSCHAFT<br />

Feudal heisst: wie die Adeligen, also vornehm. Darum sprechen wir von<br />

feudalem Essen, feudalem Wohnen. Es war aber mit der Herrlichkeit des Adels<br />

nicht überall weit her. Viele Ritter verarmten. Luxuriöses Leben, Erbteilungen,<br />

unglücklich geführte Kriege und die Geldentwertung waren die Ursache zum<br />

Niedergang des Adels. Die Zinsen der Untertanen konnten nicht beliebig erhöht<br />

werden. Sie waren fest bestimmt, meistens verbrieft.<br />

Wenn ein Adeliger Land verkaufen musste, erwarben das sehr oft die Städte<br />

oder einzelne reiche Stadtbürger. So gehörte die Hälfte von <strong>Reutigen</strong> den<br />

Bubenberg. Mit Adrian zogen wohl auch Reutiger aus nach Murten. Mit dem<br />

Landkauf wechselten die Untertanen nur den Herrn, dem sie zu zinsen hatten.<br />

Sonst änderte sich nichts.<br />

Mit der Zeit ergab sich eine bunte Karte von Herrschaften. In einem extremen<br />

Fall hätte es vorkommen können, dass in einem Tal 20 Höfe einem Ritter zinsten,<br />

vier andere einem Kloster, zwei einem wohlhabenden Berner und der Dorfkern<br />

der Stadt Bern.<br />

Ob Ritter oder andere, in die <strong>Gemeinde</strong>geschäfte mischten sie sich meistens<br />

nicht ein, hatten aber die Oberaufsicht und sorgten für Sicherheit und Ordnung.<br />

Die Ritter übten noch die hohe (Mord und Totschlag) und die niedere<br />

Gerichtsbarkeit aus und straften nach Gutdünken. Mit der Uebernahme der<br />

Regierung durch die Städte entschied der hohe Rat über Tod und Leben des<br />

Angeklagten.<br />

DIE DORFGEMEINSCHAFT<br />

Der ansehnliche Burgernutzen hatte zur folge, dass ein Burger nicht vollständig<br />

verarmen konnte. Sein Anteil konnte ja nicht verkauft werden. Dazu galt als<br />

Brauch, dass Auswärtige kein Land erwerben sollten. Wurde verkauft, so galt<br />

das Vorzugsrecht der Verwandten. Auswärtige konnten sich aber auch<br />

ansiedeln. Sie trieben ein Handwerk, waren Schneider, Schuster oder Schmied.<br />

Ein grosser Teil diente als Taglöhner (Tauner). Der eine oder andere brachte es<br />

zum Pächter. In <strong>Gemeinde</strong>angelegenheiten konnten diese Hintersässen, wie sie<br />

genannt wurden, nicht mitreden. Woher die Zugezogenen stammten, wusste<br />

man. Sie mussten bei Verarmung von ihrer Heimatgemeinde unterstützt werden.<br />

Seit 1550 führten die Pfarrer Register über Taufe, Ehe und Tod und fügten<br />

zum Namen noch den Heimatort bei. (Unsere Register bis 1697 sind verloren<br />

gegangen). Um 1800 wurden alle Burger in Rödel eingetragen und Heimatscheine<br />

ausgestellt für die, welche fortzogen.<br />

6


DAS WEISTUM ZU SEFTIGEN 1459<br />

Eine Weisung, eine Festlegung der Rechte und Pflichten, am Landtag in<br />

Seftigen. Auszug aus den Verhandlungen:<br />

1. Gebietsausdehnung: Vom Kapf (Kapfplatte) zum Thunersee, nach Thun,<br />

Bern, Gasel an die grosse Eich, weiter zu den hangenden Studen, Scherlibach,<br />

Schwarzwasser, Nünenenfluh und über die Stockhornkette zum Kapf zurück.<br />

2. Versammlungen können so viele als nötig abgehalten werden. Bern darf dazu<br />

aufbieten lassen 14 Tage oder 3 Wochen vorher. Zu den Landgerichten haben<br />

schon die 14-jährigen "die zu ihren vernünftigen Jahren gekommen" zu<br />

erscheinen. Abwesenheit wird bestraft.<br />

3. Bei Mord fällt das ganze Vermögen des Mörders der Herrschaft Bern zu, bei<br />

Totschlag aber nur die fahrende Habe. So lange der Verwundete lebt, bleibt der<br />

Täter auf freiem Fuss. Stirbt der Verletzte aber, so wird sich der Täter vor dem<br />

Landgericht zu verantworten haben. - Mord ist unehrlicher Totschlag und wird<br />

mit Erhängen bestraft, Totschlag mit Köpfen, falls nicht mildernde Umstände in<br />

Betracht zu ziehen sind.<br />

4. Die Jagd gehört der Herrschaft, also Bern. "Bären und ander schädlich<br />

Gewild" dürfen aber auch die Landleute jagen, sollen aber der Herrschaft nach<br />

geübtem Brauch davon abgeben.<br />

5. Gefundenes Gut, verlorene Schätze, Gold, Silber oder anderes gehören je zu<br />

einem Drittel der Herrschaft, dem Finder und dem Eigentümer des Ortes, wo es<br />

gefunden wurde.<br />

6. Verlaufenes Vieh soll im Herbst nach Martinstag an 3 Sonntagen in den<br />

3 nächsten Kirchspielen verkündet werden. Meldet sich kein Eigentümer,<br />

so gehört das Vieh der Herrschaft (also Bern).<br />

7. Gefundene Bienenschwärme gehören je zur Hälfte der Herrschaft und dem<br />

Finder.<br />

Im weiteren wird verwiesen auf die Rechte und Pflichten, wie sie 40 Jahre<br />

vorher der Berner Schultheiss Rudolf Hofmeister hatte feststellen lassen,<br />

beschworen damals von 40 Männern. Dann folgen 39 Zeugen des Weistums von<br />

1459, darunter Hensli Inzeller, Hensli Schmelzysen und Uli Lerlis von Röuttingen<br />

- Heintzmann Pfister, Hans Gurtzeler und Geörg Krafft von Ansoltingen.<br />

Stocken gehörte damals zur <strong>Gemeinde</strong> Amsoldingen.<br />

7


DIE SIMME-BRÜCKEN<br />

Im Jahr 1451 waren die Abgeordneten vom Niedersimmental, von Wimmis<br />

und <strong>Reutigen</strong>/Stocken vor dem Rat in Bern. Sie hatten einen Span (Streit) der<br />

Brücken wegen. In Ausserport führten jetzt 2 Brücken über die Simme, die<br />

untere beim Kapf. Diese wurde von den Simmentalern gebaut, wahrscheinlich,<br />

um Wimmis zu umgehen und ungestört Tag und Nacht passieren zu können.<br />

An den Bau dieser Brücke verlangten die Simmentaler von <strong>Reutigen</strong>/Stocken<br />

20 Pfund Beitrag. Die Abgeordneten von <strong>Reutigen</strong>/Stocken erklärten, sie hätten<br />

kein Interesse an dieser Brücke. Ihr Weg zur Kirche führe über die obere<br />

Brücke, deren Unterhalt sie zur Hälfte belaste. Dazu hätten sie viel Kosten mit<br />

der Kander.<br />

Der Rat entschied: <strong>Reutigen</strong>/Stocken soll die 20 Pfund bezahlen. Die Simmentaler<br />

übernehmen entweder den Unterhalt der Brücke oder aber den Weg<br />

herunter bis zum Kapf. Was sie wählten, steht nicht geschrieben, vermutlich<br />

den Weg.<br />

Jede der 3 Parteien erhielt einen auf Pergament geschriebenen Vertrag.<br />

DIE KANDERBRÜCKE 1540<br />

1540 wurde bei Zwieselberg eine Brücke über die Kander gebaut.<br />

Daran bezahlte das Obersimmental 350, das Niedersimmental 500 Pfund.<br />

<strong>Reutigen</strong> und andere Orte hatten durch Holzlieferungen, Tagwerke und Geld<br />

mitgeholfen und waren vom Zoll befreit. Hier der Brief der Obersimmentaler:<br />

"Wir der Schultheis und rat zu Bern thund kunt und bekennend offenlich mit<br />

disem brief, demnach unser lieb getrüw gmein landtlüt von Obersybental<br />

dryhalbhundert pfund an die nüw gemachte brugk am Zwyselberg uber die<br />

Cander ze stür geben, haben wir sy und ir nachkomen des zolls uber gemeldte<br />

brugk, ouch ander beladnussen, als lang dieselbige brugk wäret und bestat,<br />

ledig gelassen und gesprochen, sy des zolls halb rüwig und unangesprochen<br />

ze lassen da wir sy by söllicher fryung von obbestimpter stür wägen wellend<br />

blyben lassen.<br />

Beschächen sechszechenden tags des manods Februarii als man zalt von<br />

der gepurt unsers herren Jesu Christi tusend fünfhundert und vierzegk jar.<br />

Zoll:<br />

Mensch 1d, Mann mit Ross 2d, gebastetes Ross 4d, Krämer mit Kräze 6d,<br />

Wagen 1 Schilling (12 d), Kuh, Rind 2d, Kleinvieh 1d.<br />

d (Denar) = Pfennig, 1d in heutigem Wert ca. 35 Rp.<br />

1 Schilling = Fr. 4.20 - 1 Pfund (Taglohn) X 20 = Fr. 84.--<br />

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<strong>REUTIGEN</strong><br />

1860 = 723 Einwohner<br />

1960 = 820 Einwohner<br />

Aus dem frühen Mittelalter wissen wir nichts<br />

über <strong>Reutigen</strong>. Als alemannischer Ort gehörte<br />

es zum Franken-Reich.<br />

Karl der Grosse, der um 800 lebte,<br />

kam auf seinen Reisen oft nach Zürich.<br />

Als das Kaiserreich geteilt wurde,<br />

kam unsere Gegend zur Herrschaft der<br />

Burgunder. Am sympathischsten berührt uns<br />

aus jener Zeit die Königin Bertha,<br />

die spinnend durchs Land ritt.<br />

Sie lebte etwa von 900 - 960. Ihr Gatte Rudolf II<br />

soll den Anstoss zur Gründung<br />

von 12 Kirchen in der Thunersee-Gegend<br />

gegeben haben. Dazu gehörte auch Wimmis.<br />

Erst 1296, ca. 100 Jahre nach der Gründung Berns, wird <strong>Reutigen</strong> das erste Mal<br />

urkundlich genannt. <strong>Reutigen</strong> gehörte damals ins Hoheitsgebiet der Strättliger.<br />

Ueber die Herkunft der Freiherren von Strättligen ist nichts Sicheres bekannt. In<br />

ihrer Blütezeit beherrschten sie das Gebiet zwischen Wattenwil und Leissigen.<br />

Durch Teilung unter die Kinder, durch Fehden und luxuriöses Leben,<br />

verminderte sich der Besitz von Generation zu Generation. Sie mussten Güter<br />

verpfänden, um Geld zu erhalten, das sie aber nicht zurückbezahlen konnten.<br />

So verloren sie Gut um Gut. Die Berner suchten so viel als möglich von diesen<br />

Gütern an sich zu bringen und zogen sich dadurch den Hass des Adels zu.<br />

Um 1300 finden wir die Strättliger auf Schloss Spiez und die Strättligburg im<br />

Besitz der Kyburger. 1332 eroberten die Berner die Burg und zerstörten sie<br />

teilweise.<br />

Die Strättliger waren beim Volk ziemlich beliebt. Einer war Minnesänger,<br />

verfasste Liebesgedichte und sang sie. Ein anderer zog nach England in<br />

königliche Dienste und war dort sehr angesehen. Um 1500 war das Geschlecht<br />

erloschen.<br />

Wahrscheinlich durch Kauf kam <strong>Reutigen</strong> an die Herren von Burgistein. 1309<br />

wird Jordan von Burgistein als Mitbesitzer genannt. 1344 kam dieser Teil an<br />

seine drei Söhne. Ein Anton Stryffeler von Erlenbach besass auch Rechte, dann<br />

die Bernburger Anton von Erlach, Heinrich von Bannmoos und zur Zeit des<br />

Burgunderkrieges 1476 Adrian von Bubenberg und Hans Schütz. Militärisch<br />

gehörte <strong>Reutigen</strong> zum Landgericht Seftigen. Nach dem Tod von Hans Schütz<br />

kaufte Bern seinen Teil von <strong>Reutigen</strong> und später von Adrian von Bubenberg,<br />

dem Sohn des grossen Adrian, halb <strong>Reutigen</strong>, Zwieselberg und die Herrschaft<br />

Mannenberg im Simmental für 5000 Pfund.<br />

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Militärisch und politisch gehörte <strong>Reutigen</strong> zum Landgericht Seftigen bis nach<br />

1800, wo der Einmarsch der Franzosen manche Aenderung brachte. So wurden<br />

Spiez, <strong>Reutigen</strong> und Stocken dem Simmental zugeteilt. Das gab keine grosse<br />

Aenderung, denn <strong>Reutigen</strong> und Stocken gehörten schon lange unter die zivile<br />

Verwaltung des Castlans oder Oberamtmanns von Wimmis.<br />

Es gab 2 Gerichte in der <strong>Gemeinde</strong>, das Chorgericht (Kirchgemeinderat) und<br />

das weltliche (<strong>Gemeinde</strong>rat). Eine Zeitlang waren die Sitzungen des letztern an<br />

der Glütsch, weil der Castlan <strong>Reutigen</strong> und Zwieselberg gemeinsam verwaltete.<br />

<strong>Reutigen</strong> war mit 7, Zwieselberg mit 4 Mitgliedern vertreten. Kirchlich gehörte<br />

Zwieselberg aber zu Amsoldingen. Konnte der Castlan (Oberamtmann) nicht<br />

persönlich anwesend sein, so leitete der Statthalter, einer der Gerichtssässen,<br />

die Sitzung. Später wurde Zwieselberg wieder abgetrennt, und die Reutiger<br />

zogen in den Gasthof Tell, wo noch jetzt das Zimmer hinter der Gaststube<br />

"Gerichtsstube" heisst.<br />

Militärisch gehörte <strong>Reutigen</strong> also zum Landgericht Seftigen. Bern hatte 4<br />

Venner (Kreiskommandanten), gewählt aus den 4 Zünften der Pfister (Bäcker),<br />

Gerber, Schmiede und Metzger. Seftigen war dem Venner zu Pfistern unterstellt.<br />

Dieser hatte im Landgericht 3 Freiweibel, jeder zuständig für ein Regiment.<br />

<strong>Reutigen</strong> bis Wattenwil gehörten zum 3. Regiment. Das besass eine Grenadier-<br />

und eine Musketierkompanie. Dann hatte es noch 4 Füsilierkompanien aus<br />

Landwehr und Landsturm als 2. Aufgebot (vor 1800). Es wurden im Jahr 12<br />

Trüllsonntage abgehalten, 6 im Frühling, 6 im Herbst. Der Landmajor kam an<br />

die Hauptmusterung. Sammelplatz war Thierachern.<br />

Wer sollte Militärdienst tun? In neuerer Zeit mochte das in der Kompetenz der<br />

Behörden liegen, später er Aerzte. Im Mittelalter war bestimmt, wie viele Leute<br />

eine Herrschaft oder auch ein Hof zu stellen hatte, ungeachtet, ob es genug<br />

wehrfähige Männer gab. Waren zu wenig kriegstüchtige Leute, so war man<br />

verpflichtet, Söldner anzustellen.<br />

Die Kernen sind sicher eines der ältesten, wenn nicht das älteste Geschlecht<br />

von <strong>Reutigen</strong>. Es mag uns wundernehmen, warum am Landgerichtstag 1459<br />

in Seftigen kein Kernen unterzeichnete. Ist irgendwie ein Irrtum passiert?<br />

Unter den Kernen hat es einmal einen Anton gegeben, der geistliche Lieder<br />

dichtete. Einige Gesänge von ihm wurden 1643 veröffentlicht.<br />

Aus dem Jahre 1612 wurden grosse Brandschäden gemeldet. Kleine Brände<br />

wurden mit patschnassen Tüchern an Stangen bekämpft. Meistens genügte das<br />

nicht. Man eilte mit ledernen Eimern, die für jede Familie obligatorisch waren,<br />

zum Weiher. Auf der Brandstätte wanderten die Eimer von Mann zu Mann, oft<br />

über Leitern, und der vorderste warf das Wasser mit kräftigem Schwung ins<br />

Feuer. Offenbar wurden 1612 mehrere Gebäude durch Feuer zerstört.<br />

Ein freudiges Ereignis brachte das Jahr 1630: Ein Bär wurde lebend gefangen.<br />

Diese Tiere waren eine Seltenheit geworden, und darum zeigte man den Bären<br />

in den Dörfern ringsum. Wo man ihn fing, steht nirgends. Es gibt an der Moosfluh<br />

oben einen Ort, der Bärenfalle heisst. Dass man so hoch oben Bären nachstellte,<br />

ist verwunderlich. Immerhin ist anzunehmen, dass Bären nur noch an<br />

schwer zugänglichen Orten lebten, etwa im Moosfluhwald und Rosenberg, und<br />

dann über den Grat herüber kamen, um im Längenberg ein Schaf zu erbeuten.<br />

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<strong>STOCKEN</strong> SOLL <strong>REUTIGEN</strong> SCHWELLENEN HELFEN<br />

In einer Urkunde von 1506 heisst es:<br />

"Wir der Schulthes und Rätt zu Bern tun kundt mit disem Brieff alsdann irrung<br />

und missverständnis ist gewäsen zwüschen den ersamen unsern lieben<br />

getrüwen gemeinen undertan beyder gericht und herrschaften von Röuttingen<br />

und Stocken von wägen der brugg und wägsame halb am Kapf und Zwyselberg<br />

die mit schwellen und sust in eren zuohalten. Da die jetzgemeldten von<br />

Röuttingen gemeint das die von Stocken inen mit tagwan fuorung und andern<br />

diensten beholfen und fürderlich sin sölten wie si dann sollichs vormals och<br />

getan ..."<br />

<strong>Reutigen</strong> und Stocken hatten Vertreter nach Bern geschickt. <strong>Reutigen</strong> verlangte<br />

die Mithilfe der Stockner bei der Erhaltung der Brücken, Schwellen und Wege<br />

beim Kapf und am Zwieselberg (Glütschbach). Die Stockner meinten, dazu seien<br />

sie nicht verpflichtet. Wenn sie etwa geholfen hätten, sei das aus Freundschaft<br />

gewesen. Sie hätten Lasten genug in ihrem Bereich. Da die Reutiger einen Brief<br />

zeigen konnten, der bewies, dass die Stockner früher immer geholfen hatten,<br />

so entschied der Rat: Bei Wassergrösse und Ueberschwemmung sollten die<br />

Stockner 8 Mann schicken. Wenn von <strong>Reutigen</strong> nur die halbe Mannschaft<br />

ausrückt, 4 Mann. Bei weniger dringenden Unterhaltsarbeiten sollen "zwen züg"<br />

(Fuhrwerke) oder auch nur einer genügen.<br />

Zwei Briefe aus Pergament, mit dem bernischen Siegel versehen, wurden den<br />

beiden Parteien überreicht. Das war am Tag vor Palmsonntag, am 4. April 1506.<br />

DER BADBRIEF 1547<br />

Sicher waren unsere Vorfahren nicht weniger geplagt von Rheumatismus<br />

und chronischen Leiden als wir. Da die pharmazeutische Kunst aber wenig<br />

entwickelt war, nahm man die Zuflucht zu allerlei natürlichen Mitteln. Man<br />

kannte die Heilkräuter besser als heute. Man wusste, dass es im Schwefelwald<br />

zu <strong>Reutigen</strong> schwefelhaltiges Wasser hatte, holte sich etwa eine Brente voll<br />

und badete daheim.<br />

Der rührige "bändicht schly und sin husfrow, gesässen der zitt ze rötigen uff<br />

däm mos by där müly" stellte an die Burgergemeinde das Gesuch, ihnen die<br />

Erlaubnis zu erteilen, das schwefelhaltige Wasser zur Mühle zu leiten, um dort<br />

ein Bad zu eröffnen. Der Vertrag kam 1547 zustande, und bändicht schly<br />

verpflichtete sich schriftlich zu Folgendem:<br />

Er darf keinem Burger wehren, beim Brunnenstock Wasser zum Baden zu holen.<br />

Wenn jemand in einer Bütti zu baden wünscht, soll der Badewirt ihm zurecht<br />

helfen und ihm einen geschützten Ort oder ein Stübchen anweisen (däm sol<br />

ein schärm gäben wärden), wofür sie eine Entschädigung abmachen können.<br />

Wenn ein Burger "chunt mit sinen kinden, es sig frow oder man oder sin dienst<br />

und er sich wäschen oder eine stunde oder zwo baden, sol nit mer nämen dann<br />

fünf pfennige. (Heutiger Wert 1 - 2 Franken).<br />

Weiter behielt sich die Burgergemeinde vor, wegen verbotenem Holzhauen,<br />

weiden fremder Tiere auf der allmi oder sonstigen Klagen des Bades wegen<br />

"die dünkel wider us ze wärfen und dän brunnen lassen ligen wie von alter har."<br />

11


Zeugen des Abkommens waren die "ersamen peter tscholett, peter chuntzy,<br />

hans bütschy und ander mer." An das Schriftstück hängte der "ersam und wys<br />

ludwig von büren, tschachtlan ze nidersibenthal sin eygen jn sigel."<br />

Wir vernehmen aus dem Heimatbuch des Niedersimmentales von einer Badewirtschaft<br />

an der Glütsch, die um 1850 wegen allerhand Unfug geschlossen<br />

wurde. Sie war die Nachfolgerin jenes ersten Bades auf dem Moos. Anlässlich<br />

von Grabarbeiten für die Wasserversorgung Zwieselberg soll man noch auf<br />

hölzerne Dünkel gestossen sein, die das Wasser vom Schwefelwäldchen an<br />

die Glütsch leiteten. Das Wasser ist also ca. 300 Jahre für Heilzwecke öffentlich<br />

genutzt worden.<br />

RUHR UND PEST<br />

1750 erkrankten 145 Personen an der Roten Ruhr. Daran starben 33, davon<br />

23 unter 10 Jahren, nämlich von <strong>Reutigen</strong> 9 Kinder, von Stocken 8 und 6<br />

Auswärtige (Hintersässen). Erwachsene: 2 Männer und 4 Frauen von <strong>Reutigen</strong>,<br />

3 Frauen von Stocken und 1 von Bern.<br />

1669 war für das Oberland ein schlimmes Pestjahr. Während das Simmental<br />

verschont blieb, starb im Frutigland die Hälfte der Bevölkerung. Wie stand es<br />

in Wimmis? Im historischen Museum ist ein Pestsarg von Wimmis. Von <strong>Reutigen</strong><br />

ist nichts bekannt. Unsere Todesregister reichen nur bis 1698 zurück.<br />

DAS SCHULWESEN<br />

Eine Bestandesaufnahme im Jahr 1830 im Kanton Bern bezeugt, dass <strong>Reutigen</strong><br />

zu dieser Zeit ein Schulhaus besass. Der Lehrer war Drechsler. Man übte vor<br />

allem buchstabieren und lesen. Schreiben war nicht so nötig. Es wurde in 3<br />

Abteilungen unterrichtet: Buchstabierer, Auswendiglerner und Schreiber.<br />

Da Wimmis um 1600 eine Schule besass ist anzunehmen, dass <strong>Reutigen</strong> ein<br />

paar Jahrzehnte später auch eine einrichtete. Um 1700 war ein Jacob Kernen<br />

Schulmeister. Meistens trieben die Schulmeister noch ein Handwerk dazu.<br />

Stocken hat wohl wie <strong>Reutigen</strong> vor 1700 eine Schule besessen.<br />

DER KANDERDURCHSTICH<br />

Vor 1700 hatten Kander und Simme sich noch kein so tiefes Tal gefressen.<br />

Im Kapf und im Hani gelangte man ebenen Fusses ans Wasser. Es floss durch<br />

das Grien hinunter, durch Allmendingen, Thierachern und mündete bei Uttigen<br />

in die Aare. Bei Wassergrössen gab es denn in den genannten Dörfern<br />

katastrophale Ueberschwemmungen. Um diesem Zustand abzuhelfen kam man<br />

auf den Gedanken, die Kander in den Thunersee zu leiten.<br />

Als Werkführer wurde Samuel Bodmer, Obrigkeitlicher Feldmesser, bestimmt.<br />

Er rechnete mit ca. 50'000 Kubikklaftern Erdbewegung und 45'000 Talern<br />

Kosten, die aber weit überschritten wurden, weil die Ableitung in den Thunersee<br />

viel anderes nach sich zog.<br />

12


Im April 1711 fingen die Arbeiten am Strättlighügel an. Man grub auf der Seite<br />

gegen das Hani. Es waren einige Hundert Arbeiter beschäftigt, zur Hauptsache<br />

gedingte Taglöhner, darunter Bettler und Heimatlose. Aus Bern wurden die<br />

Sträflinge (Schallenwerker) eingesetzt. Die <strong>Gemeinde</strong>n stellten "Ehrtauwner",<br />

die keinen Lohn aber das Essen bekamen. Bodmer war Artillerie-Offizier und<br />

darum ging es militärisch zu. Die Vorarbeiter hiessen Korporäle. Ein Fähnrich,<br />

einen Feldprediger und Spielleute, die zu Beginn und Schluss der Arbeit<br />

spielten, gab es auch. Profosse (Heerespolizisten) sorgten für Ordnung und<br />

Disziplin.<br />

Im Winter wurde nicht gearbeitet. 1712 unterbrach der Villmergerkrieg die<br />

Arbeit. Sie wurde nach Kriegsende nicht sofort wieder aufgenommen, denn<br />

in Bern hegte man allerlei Bedenken. Aber man durfte das angefangene Werk<br />

doch nicht aufgeben. So fing denn Architekt Jenner 1713 an, einen Stollen<br />

zu graben, wozu ein gutes Dutzend Arbeiter genügten. 1714 konnte dann die<br />

Kander durch den Stollen fliessen. Das Wasser vergrösserte ihn rasch und<br />

bracht ihn zum Einsturz. Als eine Gesellschaft den Durchstich besichtigte,<br />

traten 2 Männer zu weit hinaus, rutschten mit Erdmassen hinunter und fanden<br />

den Tod.<br />

Da nun der Weg nach Spiez unterbrochen war, musste eine Brücke über die<br />

Kander gebaut werden. Ein Fährschiff stellte den Verkehr her. Als eine Brücke<br />

gebaut war, wurden die Lager aber unterspült, und sie stürzte ein. Eine längere,<br />

mit bessern Lagern, musste gebaut werden.<br />

Viel schlimmer aber waren die Folgen in Thun. Schwellen, Kanäle und Brücken<br />

waren der fast doppelten Wassermenge nicht gewachsen. Die Mühlen wurden<br />

ruiniert. Dann musste das Aarebett Thun bis Uttigen korrigiert werden.<br />

Hinterher wurde erkannt, dass man zu leichtsinnig hinter das Werk gegangen<br />

war und zu wenig genau geplant hatte.<br />

DIE TÜRLI ZU DEN WEIDEN<br />

Auf den Zelgen zu <strong>Reutigen</strong> durch das Wych wurde viel Schaden verursacht.<br />

Rindvieh und Pferde verwüsteten die Aecker. Das wurde dem Oberamtmann<br />

(Castlan) gemeldet. Schuld waren vor allem die schlechten oder fehlenden Türli.<br />

Der Oberamtmann befahl:<br />

Darum ergeht mein ernstgemeinter, oberamtlicher Befehl an die, welchen<br />

die Türli zugeteilt sind, ungesäumt solche zu verfertigen und einzuhenken.<br />

Statthalter (heute <strong>Gemeinde</strong>präsident) Strün soll kontrollieren, ob die Türli<br />

währschaft und brauchbar sind. Fehlbare haben nicht nur den Schaden zu<br />

ersetzen, sondern werden noch mit einer Busse von 5 Pfund bestraft<br />

(5 Taglöhne).<br />

Schloss Wimmis, den 19. Mey 1787.<br />

Ist Sonntag, den 20. Mey in der Kirche zu <strong>Reutigen</strong> verlesen worden.<br />

Beer, Pfarrer.<br />

13


VERBAUUNG DER GRÄBEN<br />

Nachdem Kanton und Bund ihre Mithilfe versprochen hatten, fing man 1890<br />

an mit der Verbauung des Blachti- und Kratzhaldengrabens. 1894 wurde<br />

beschlossen, den grossen untern Teil in Angriff zu nehmen. Die Arbeit sollte<br />

möglichst auf 8 Jahre verteilt werden. Zum Schwellenmeister wählte man Jakob<br />

Spring. Oberschwellenmeister war Bettschen, der die Oberaufsicht führte,<br />

Kalk Zement und Sprengpulver kaufte und mit Bezirksingenieur und Regierung<br />

verhandelte.<br />

Um besser vorwärts zu kommen, unterhandelte man mit Alexis Coatti, Italien,<br />

wegen Arbeitern. Ein halbes Dutzend Italiener arbeiteten nun an den Gräben<br />

bis fast zum Ende der Verbauung. Das geschah wenn möglich im Akkord.<br />

Für 1 m3 Schwellen erhielten sie Fr. 5.--, für 1 m2 Böschung Fr. 1.65. Da nicht<br />

alles Akkordarbeit war, bezahlte man Fr. 4.50 Taglohn. Den Italienern wurde<br />

eine Wohnung zugeteilt. Eines Jahres lautete die Rechnung für die Schwellengemeinde:<br />

Miete für 6 Monate Fr. 60.--, Stroh Fr. 9.10 und Holz Fr. 5.--.<br />

Im Herbst zogen die Italiener jeweils wieder heim.<br />

Im Oktober und November rüsteten die Reutiger Steine und brachten sie bei<br />

günstigen Schneeverhältnissen zu den Baustellen. Eines Winters mussten die<br />

Steine, die in Ittens Weide ausgegraben und gesprengt wurden, oben gelassen<br />

werden. Die Küher verlangten nun Entschädigung für den verlorenen Platz.<br />

Es gab natürlich viel Landschaden. Viele verzichteten aber auf Entschädigung,<br />

weil das Land doch an Wert gewann, wenn die Hügel weg waren. Mit der Zeit<br />

musste man die Steine von weiter weg holen. Der Kanton war dagegen, in den<br />

Kapfkehren Steine zu brechen, und so holte man sie beim Gerhubel und im<br />

Schwand.<br />

Es brauchte auch Rollmaterial. Solches konnten sie in Konolfingen kaufen,<br />

wo eben die Korrektion der Kiesen beendet war. Ein Verzeichnis nennt: 223 m<br />

Geleise, 6 Rollwagen, 1 Schleppweiche und 1 Drehscheibe. Vom Rollmaterial<br />

wurde einige Male ausgeliehen, so auch nach Niederstocken, wo der Feissibach<br />

korrigiert wurde.<br />

Ohne Subventionen von Staat und Bund wäre die Verbauung nicht möglich<br />

gewesen. Im Jahr 1897 bezahlten z.B. Kanton und Bund Fr. 18'800.-- und die<br />

Steuerpflichtigen Fr. 7'793.--. Viel zu reden gab die Kataster-Erweiterung<br />

(Gebiet mit Steuerpflicht).<br />

Interessant ist, dass man damals eine eigene Baumschule unterhielt.<br />

Im Quellgebiet setzte man viele Tannen an, weiter unten Eschen, Ulmen und<br />

Ahorne.<br />

1901 wurde man mit der Verbauung fertig. Die Ausgaben beliefen sich in diesem<br />

Jahr noch auf ca. Fr. 4'000.-- gegenüber Fr. 25'000.-- in früheren Jahren.<br />

14


BRAND AN DER SIMMENFLUH 1911<br />

nach der Wassergrösse 1980<br />

Wahrscheinlich durch Blitz verursacht, brach im August ein Brand an der<br />

Simmenfluh aus. Dann folgte immer schönes Wetter. Anfangs schenkte man<br />

dem Feuer keine grosse Beachtung. Der Brand breitete sich aber bei dem<br />

anhaltend schönen Wetter weiter aus, und schliesslich mussten die Feuerwehren<br />

von <strong>Reutigen</strong> und den umliegenden Dörfern ausziehen. Dann bekamen<br />

sie Hilfe durch einen Zug Sappeure. Diese bauten einen Weg vom Chrindi unter<br />

den Felsen durch zur Simmenfluh. Wasser wurde hinaus getragen, Schneisen<br />

geschlagen, Gräben gemacht, damit das Feuer im Boden nicht weitergreife.<br />

Glühende Stöcke rollten ins Brodhüsi hinunter und erschreckten die dortigen<br />

Bewohner.<br />

Es standen abends viele Schaulustige an der Landstrasse, und die Wirte hatten<br />

gute Zeiten. Frau Kipfer rückte ihr Bett zum Fenster, um beim Einschlafen das<br />

Schauspiel geniessen zu können. Das Feuer griff auf der Südseite über die<br />

Schneise hinüber, und die dort liegenden Holzhaufen brannten lichterloh.<br />

Wilhelm Schütz berichtet, es sei in Bächlen nachts so hell gewesen, man hätte<br />

Zeitung lesen können.<br />

Einmal wehte der Wind einen Funkenregen dem Dorf <strong>Reutigen</strong> zu. Viele Leute<br />

erschraken. Einige füllten neben dem Haus Bütten mit Wasser, um im Notfall<br />

sofort löschen zu können. Ein Hydrantennetz gab es nicht, und Wasser beim<br />

Feuerweiher zu holen, brauchte Zeit. Es kam aber nicht zum Schlimmsten.<br />

Nach etwa einem Monat regnete es und löschte den Brand.<br />

15


WINDFALL 1919<br />

Im Januar 1919 richtete ein Sturm in unsern Wäldern grossen Schaden an.<br />

Besonders schlimm erging es dem Sonnigwald. Aber auch an der Sattelegg<br />

und an andern Orten lagen viele Bäume kreuz und quer am Boden.<br />

In 3 Abteilungen wurde das Holz gerüstet. Es gab verhältnismässig viel Abfall,<br />

und jeder Burger erhielt 7 Klafter. Der 1. Weltkrieg war eben vorbei und die<br />

Holzpreise gut. Da legte die Burgergemeinde Fr. 40'000.-- beiseite für ein neues<br />

Schulhaus, was sicher als Schulfreundlichkeit bezeichnet werden muss. Bis ein<br />

neues erbaut war, floss noch viel Wasser die Kander hinab. Erst 1956 konnte<br />

man ins neue Schulhaus ziehen.<br />

DRAINAGE MOOS UND SCHLATT<br />

Moos und Schlatt waren sumpfig. Der Glütschbach floss in vielen Windungen<br />

dahin und überschwemmte regelmässig bei Hochwasser. Schon lange dachte<br />

man daran, etwas dagegen zu unternehmen. Dann kam der 1. Weltkrieg.<br />

Wie war man da froh für gutes Wies- und Ackerland. Das war förderlich für die<br />

Korrektion. <strong>Reutigen</strong> und Zwieselberg taten sich zusammen und gaben in den<br />

Jahren 1928 und 1929 dem Glütschbach ein gerades und tieferes Bett.<br />

Dann wurden überall Gräben gezogen und drainiert.<br />

DAS PUMPWERK 1942<br />

Glütschbach mit Bogen vor der Korrektion<br />

Die Leute brauchten immer mehr Wasser. Die Quellen im Wald unter der<br />

Günzenen genügten nicht mehr. Neue am Berg zu erschliessen in dem<br />

geröllhaltigen Boden war aussichtslos. So bleib nichts anderes übrig, als<br />

Grundwasser zu pumpen, obwohl man gefühlsmässig gegen solches Wasser<br />

eingestellt war. Die jährlichen Untersuchungen zeigten aber, dass das<br />

Grundwasser so sauber oder sauberer als Quellwasser ist.<br />

16


DAS HOCHMOOR IM SEELISWALD<br />

Dieses enthält Pflanzen, die wir nur in Mooren finden wie z.B. den Sonnentau.<br />

Mit seinen klebrigen Blättern fängt er winzige Insekten und verdaut sie. Der<br />

Sonnentau erhält dadurch eiweisshaltige Stoffe, die er aus dem Moorboden<br />

nicht gewinnen kann. Herr Dr. Müller in Thun ging mit den Seminaristinnen oft<br />

ins Hochmoor, auch viele andere Botanikfreunde.<br />

Nun kam man im 2. Weltkrieg auf den Gedanken, das Moor zu entwässern<br />

und zu urbarisieren. Herr Dr. Müller brachte es dazu, dass das Moor unter<br />

Naturschutz gestellt und der Burgergemeinde dafür eine Entschädigung<br />

ausgerichtet wurde.<br />

DER FELSABSTURZ AN DER MOOSFLUH<br />

Es war im Januar und Februar 1956 sehr<br />

lange kalt gewesen. Die Kälte muss<br />

bis ins Felsinnere vorgedrungen sein,<br />

wo es Wasser hatte. Wasser dehnt sich<br />

beim Gefrieren stark aus, und da<br />

müssen mächtige Felsplatten<br />

losgesprengt worden sein, die dann am<br />

9. April nachmittags abbrachen.<br />

Bütschi Alfred, Steinbrecher, befand<br />

sich glücklicherweise mit einem<br />

Arbeiter vorne beim Bach in der Hütte,<br />

wo sie Kalk mahlten. Wie es donnerte<br />

und dunkel wurde, flohen sie aus der<br />

Hütte und sprangen über den Bach<br />

hinüber. Eine schwere Staubwolke<br />

wälzte sich der Beisseren zu, deren<br />

Bäume nachher ganz grau aussahen. Die Steine erreichten die Hütte nicht,<br />

begruben aber die alte Steinbrechmaschine. Auch die vorher so idyllische<br />

Flühbachquelle lag jetzt, von Tannen entblösst, öd da.<br />

Im Uebrigen war es kein Schaden. Zu Füssen lagen einige tausend m3 Felsblöcke,<br />

die man nötig hatte, um die Ufer von Simme und Kander zu verbauen.<br />

Man soll auch bei der Verbreiterung des Seeufers zwischen Faulensee und<br />

Leissigen geholfen haben, um Platz für Bahn und Strasse zu gewinnen.<br />

DAS GEMEINDEWAPPEN<br />

1481 kaufte Bern die in seinem Gebiet liegenden Besitzungen des Klosters Sels<br />

bei Strassburg. Man nimmt an, dass der Berner Ratsherr Hans Schütz diesen<br />

Anlass feierte, indem er <strong>Reutigen</strong> einen Taufstein mit seinem Wappen schenkte.<br />

1935 erhob <strong>Reutigen</strong>, nach Antrag von Ernst Thönen, Lehrer, den Schütz am<br />

Taufstein zum <strong>Gemeinde</strong>wappen.<br />

17


<strong>STOCKEN</strong><br />

Ober- und Niederstocken waren im Mittelalter mit Höfen und Amsoldingen zu<br />

einer <strong>Gemeinde</strong> vereinigt. Diese war dem Chorherrenstift der Augustiner in<br />

Amsoldingen unterstellt. Das Stift führte die <strong>Gemeinde</strong>verwaltung. Einer aus<br />

dem benachbarten Adel übte die hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus.<br />

Als es bernisches Hoheitsgebiet wurde, änderte die Gerichtsbarkeit.<br />

Amsoldingen gehörte dann wie <strong>Reutigen</strong> zum Amtsgericht Seftigen.<br />

Das Chorherrenstift hat 1175 schon bestanden. Die Chorherren, meistens etwa<br />

sechs, waren eine Bruderschaft und hatten mit dem mönchischen Leben eines<br />

Klosters vieles gemein. Sie lebten aber freier als die Mönche und verfügten<br />

ganz über die Einkünfte der vielen Güter. Der Vorsteher hiess Probst und war<br />

meistens adeliger Abstammung. Mit dem Stift war eine Schule verbunden,<br />

die vor allem der Ausbildung von Priestern diente.<br />

1453 stellte eine Visitation den wirtschaftlichen Niedergang des Stiftes fest.<br />

Zum Teil mochte daran die fortschreitende Geldentwertung schuld sein, da<br />

ein grosser Teil der Zinsen in Geld und nicht in Naturalien entrichtet wurde.<br />

Die Einkünfte waren festgelegt und konnten nicht erhöht werden. 35 Jahre<br />

später kam die Verwaltung der <strong>Gemeinde</strong> Amsoldingen an Bern. Stocken,<br />

das sich in 2 <strong>Gemeinde</strong>n teilte, wurde kirchlich zu <strong>Reutigen</strong> geschlagen.<br />

Politisch und militärisch gehörten Amsoldingen und Stocken weiter zum<br />

Landgericht Seftigen. Die niedere Gerichtsbarkeit übte der Vogt von Thun aus.<br />

1472 wurde Hans Schütz, Burger zu Bern und Mitglied des Grossen und Kleinen<br />

Rates, Herr über einen Teil von Stocken. Später erwarb er von den<br />

Scharnachtal weitere Teile. Dazu besass er halb <strong>Reutigen</strong>.<br />

Niederstocken besass<br />

1860: 42 Häuser mit 251 Einwohnern<br />

1960: 57 Häuser mit 217 Einwohnern<br />

Oberstocken besass<br />

1860: 31 Häuser mit 232 Einwohnern<br />

1960: 56 Häuser mit 259 Einwohnern<br />

18


HANS SCHÜTZ<br />

Wann und wo Hans Schütz geboren ist, wissen wir nicht. Heimatorte im<br />

heutigen Sinn gab es nicht. Wo einer lebte, das war seine Heimat. Es wird<br />

vermutet, er sei in unserer Gegend geboren und aufgewachsen. Ihr galt seine<br />

Liebe. Stocken hat er ja die Kapelle und <strong>Reutigen</strong> den Taufstein geschenkt.<br />

Lokalhistoriker Gasser in Thun glaubt bestimmt, Hans Schütz stamme aus<br />

Stocken oder <strong>Reutigen</strong>.<br />

Er war gescheit und brachte es vom Trödler zum begüterten Kaufmann.<br />

Seine Geschäfte machte er vor allem in Bern, und so wurde er bald einmal<br />

Burger der Stadt. Hans Schütz war angesehen und darum nach 1435 fast<br />

immer im Grossen Rat. Einige Jahre war er sogar Mitglied des Kleinen Rates,<br />

der obersten Behörde von Stadt und Land.<br />

Hans Schütz hatte einen Hang zum Religiösen. Der 1421 begonnene<br />

Münsterbau interessierte ihn sehr, und er stiftete einen Altar in eine der<br />

Kapellen. 1451 wurde ein ewiges Licht gespendet mit dem immer währenden<br />

Zins von 10 Schillingen. Der Sigrist erhielt eine Rente, um das Licht zu<br />

besorgen. Später folgte eine Spende von 50 + 3 Pfund, damit ein Kaplan dort<br />

5 Mal in der Woche Messe halte. Schütz war auch Kirchenpfleger und führte<br />

das Vinzenzen-Schuldbuch (Münster), in dem die Vergabungen<br />

aufgeschrieben waren.<br />

1458 - 1462 war Schütz Salzherr. Das war damals ein wichtiges Amt. Er war<br />

Tschachtlan (Regierungsstatthalter) in Frutigen, von 1467 - 1471 in Wimmis.<br />

Dann erwarb er die Herrschaft über Stocken und halb <strong>Reutigen</strong>. Es handelte<br />

sich um die Verwaltung dieser Gebiete. Sie konnte recht weitläufig sein<br />

(Weg- und Brückenbau, schwellenen, Tagwerchleistungen, Armenwesen,<br />

Streit schlichten, strafen, für gutes Benehmen sorgen etc.). Da kam es<br />

natürlich sehr auf die jeweilige Herrschaft an. Schütz muss ein gutes<br />

Verhältnis zu seinen Untergebenen gehabt haben, dass er die Kapelle und<br />

den Taufstein schenkte. 1482 starb Hans Schütz und wurde in seiner Kapelle<br />

im Münster beigesetzt.<br />

Kirche <strong>Reutigen</strong> im 20. Jahrhundert<br />

19


DIE KAPELLE ZU NIEDER<strong>STOCKEN</strong><br />

Hans Schütz, Regent in Stocken und halb <strong>Reutigen</strong>, hat 1481, kurz vor seinem<br />

Tode, in Niederstocken eine Kapelle bauen lassen. Das Haus, das nach 500<br />

Jahren dort steht, führt noch immer den Namen Käppeli. Die Kapelle wurde<br />

St. Petrus, St. Paulus, St. Annen, St. Wolfgang und dem heiligen Kreuz geweiht.<br />

Hier das Testament von Hans Schütz, Stocken betreffend. Es heisst darin:<br />

Diss ist Hanns Schützen letst gemachte Ordnung<br />

� Item, so hab ich geben an die Capellen, die ich ze Stocken buwen han,<br />

nemlich die selben Matten, daruff die Capell stat, ist by einer Jucharten<br />

� daneben eine etwas grössere, an die erste anstossend<br />

� in derselben Zelg die Güter in der Höweten (Heumäder) 4 Jucharten<br />

� das Hus zer Tellen (Zehntscheune?) mit Umschwung, an Kapelle und<br />

Strasse grenzend<br />

� das Gut, das Cuon Brunis baute, 2 Jucharten, bei der Höweten, dazu<br />

gehörend 10 Kuhrechte am Berg Kiley im Sibental<br />

Ich gebe eine Jucharte Reben einem Priester, der alle Wochen eine Messe<br />

halten soll, nämlich an einem "Donstag". Dieselbe Jucharte Reben liegt zu<br />

Thun in einer Zelg, die Hofstetten heisst, oben unter dem Grützsperg (heute<br />

Grüsisberg) mit einem "Hüwhüslin", grenzend an des Leutpriesters Reben und<br />

des Steineren Matte. Das Stück Reben soll nur dem Priester dienen, der zur<br />

Woche, nämlich am "Donnstag", eine Messe halten wird in derselben Kapelle.<br />

Wenn von den andern Gütern soviel erspart werden kann, dass es für mehr<br />

Messen langt, so soll man es "getrüwlich" tun; doch soll es der Kapelle<br />

gereichen.<br />

Die Kapelle wurde wahrscheinlich nur bis zur Reformation 1528 benutzt.<br />

Da wurde nämlich die Messe abgeschafft.<br />

So diente also die Kapelle nicht ganz 50 Jahre kirchlichen Zwecken.<br />

20


DIE JAGDBURG<br />

In Urkunden heisst die Burg Veste zu Stocken, später auch Friedegg und<br />

Friedberg. Sie hat nie Herrscherrechte besessen, und eine Jagdburg, eine<br />

Art Lustschloss, war sie auch nicht. Wahrscheinlich wurde sie erbaut, um als<br />

militärischer Stützpunkt zu dienen, als Verbindungsglied in einer Kette von<br />

Burgen. Doch das ist Vermutung. Diese strategische Bedeutung hatte sie<br />

nicht mehr, als die frühesten Urkunden die Burg erwähnten.<br />

Wann die Burg erbaut wurde, weiss man also nicht, wohl zwischen 1100 und<br />

1200. 1350 wurde sie erwähnte, als das Chorherrenstift Amsoldingen Klage<br />

gegen den Adel ringsum erhob, weil dieser sich Rechte aneignen wollte, die<br />

dem Stift gehörten. Damals hatte der Ritter "Berchtol von Ansoltingen" auf der<br />

Jagdburg die Höfe diesseits des Sees aufgefordert, nicht an die Gerichte des<br />

Stiftes zu gehen. Seine Burg mit zugehörigem Land gehörte nämlich selber<br />

unter die Gerichtsbarkeit des Stiftes.<br />

Freiherr Heinrich von Wediswyl, ein Ahne dieses Berchtold von Amsoldingen,<br />

war von 1259 bis 1309 Probst (Vorsteher) des Chorherrenstiftes. Er besass nur<br />

die Weihe als Subdiakon und hatte das Gelübde der Ehelosigkeit nicht abgelegt.<br />

Er heiratete Lücardis, Tochter eines Dienstmannes der Wediswyl.<br />

Der Dienstmann, obwohl selber leibeigen, nannte sich Ritter von Uebeschi.<br />

Die Kinder der Lücardis waren unfrei wie ihre Mutter, wurden aber frei<br />

gesprochen und konnten das Wappen der Wediswyler führen, allerdings mit<br />

andern Farben. Der Probst konnte natürlich seine Familie nicht in der<br />

klösterlichen Gemeinschaft des Stiftes wohnen lassen und gab ihr die Veste zu<br />

Stocken als standesgemässen Wohnsitz. Die 3 Söhne erbten später jeder einen<br />

Drittel der Burg.<br />

Auf welche Weise dann die Burg in den Besitz der Oesterreicher kam, weiss<br />

man nicht. Heinrich, Berchtolds Sohn, bekam nämlich 1361 vom Herzog von<br />

Oesterreich einen Drittel der Burg zu Lehen. Er scheint im Dienste der Herzoge<br />

gestanden zu haben und wohnte wohl selten auf seiner Veste.<br />

Bald einmal sehen wir Berner im Besitze der Burg. Ueberall, wo Ritter<br />

verarmten oder ausstarben, erwarben wohlhabende Städter deren Besitz.<br />

Nach dem Sturz der Aristokratie 1798 oder wohl schon vorher, wurde die Burg<br />

nicht mehr unterhalten, und sie zerfiel nach und nach. Sie war bei dem Mangel<br />

an Luxus sicher selten bewohnt.<br />

1903 liess Oberst Ludwig von Tscharner den Schutt der Ruine wegräumen,<br />

fand aber nicht viel Interessantes. Die Burg besass keinen Brunnen, auch<br />

keine Zisterne. Das Regenwasser muss in Bottichen aufgefangen worden sein.<br />

Der Turm mit Innenmass 5,9 x 9 m besass 2 Stockwerke. Die Mauerdicke betrug<br />

unten 1,50 m bis 1,70 m, die Balkenlänge 6,20 m und ihre Dicke 25 x 35 cm.<br />

Zum Bau wurden Sandsteine verwendet, die in der Nähe gebrochen wurden.<br />

Die Ruine liegt in der <strong>Gemeinde</strong> Höfen und gehört mit etwas Wald jetzt den<br />

Demeuron. (1978).<br />

21


DIE <strong>STOCKEN</strong>TALBAHN<br />

Gleich wie wir jetzt einen Autobahn-Aufschwung erleben, war um die Jahrhundertwende<br />

ein Eisenbahn-Boom. 1897 kam ein Eisenbahn-Subventionsgesetz<br />

heraus. Die Gürbetalbahn wurde gebaut. Da entstand der Wunsch, die<br />

Linie von Wattenwil durchs Stockental weiterzuführen, wenigstens bis Wimmis.<br />

In Blumenstein bildete sich eine Gründungsgesellschaft, die mit grosser<br />

Begeisterung ans Werk ging. Führend waren 2 Männer aus Bern: Fürsprecher<br />

Lenz und Gerichtsschreiber Winzenried. Die Pläne wurden dem National- und<br />

Ständerat unterbreitet, der im Sommer 1898 die Konzession zum Bau erteilte.<br />

Dann trat aber die Lötschbergbahn in den Vordergrund. Sie fusionierte mit der<br />

Linie nach Interlaken. Es zeichnete sich ab, dass dem Verkehr auf der Strecke<br />

Thun - Spiez zentrale Bedeutung zukomme. Es war zu befürchten, dass die<br />

Stockentalbahn eine unbedeutende, vielleicht unrentable Linie sein würde. Der<br />

anfangs mit grossem Eifer verfochtene Plan wurde nach und nach aufgegeben.<br />

Irgendwo steht: "Damit verlor das Stockental den Anschluss an die grosse,<br />

weite Welt. Kultureller und wirtschaftlicher Aufschwung war den Ortschaften<br />

versagt. Es blieb ihnen aber der Verlust landschaftlicher Qualitäten erspart,<br />

welcher anderwärts bitter beklagt wird."<br />

DIE BRUNI<br />

Die Bruni scheinen ein sehr altes Geschlecht zu sein. In einem Pachtvertrag von<br />

1325 heisst es: Das Capitel von Anseltingen verleiht Gerharden Brüni, Agnesen,<br />

seinem Eheweib und ihren Kindern lebenslänglich ein Gut, zu Niederstocken<br />

gelegen, um 13 Pfennigen jährlichen Zins.<br />

22


DIE HELLSEHERIN<br />

Von Oberstocken kam die Hellseherin Magdalena Wenger. 1845 lag sie krank im<br />

Inselspital Bern. Oft überkam sie am Tag ein starkes Schlafbedürfnis. Im Schlaf<br />

fing sie an zu reden. Sie sagte, Licht komme von der Türe her. Eine helle Gestalt<br />

trete ein und führe sie ins Totenreich. Auf dem Mond, sinnbildlich gemeint, war<br />

es düster und kalt. Dort lebten die Unglücklichen. Sie konnten ihre Gedanken<br />

nicht ändern, denn diese gehörten zu ihrem Wesen. Im Gegensatz dazu<br />

herrschte auf der Sonne Glanz und Glück. Sie nannte einige bekannte Seelen,<br />

deren Namen in dem später erschienenen Büchlein begreiflicherweise nicht<br />

angegeben sind. Wieder erwacht, wusste Magdalena nicht, was sie in ihrem<br />

hellseherischen Zustand geredet hatte. Damit es auch den Aerzten möglich war,<br />

diesen Visionen beizuwohnen, konnte der genannte Zustand zu gewünschten<br />

Zeiten herbeigeführt werden. Die Visionen hörten dann auf, als Magdalena<br />

Wenger wieder gesund war.<br />

KIRCHLICHES<br />

Verwiesen sei auf die Schrift von Verena Stähli "Die Kirche <strong>Reutigen</strong>".<br />

Hier noch ein paar Einzelheiten, die man für den Kunstführer wegliess.<br />

Das Kloster Sels, dem die Kirche Wimmis und die Kapelle <strong>Reutigen</strong> gehörten,<br />

ging während der Religionskriege im 17. Jahrhundert eine Zeitlang unter,<br />

erstand wieder und wurde in der Französischen Revolution aufgehoben.<br />

Die Kapelle <strong>Reutigen</strong> erhält 1412 einen Kaplan durch Stiftung des Ulrich in<br />

Hofen, Burger zu Thun. Folgende Vorschriften (lateinisch) wurden aufgestellt:<br />

1. Die neue Pfründe zu <strong>Reutigen</strong> darf der Pfarrkirche zu Wimmis in keiner<br />

Weise zum Schaden gereichen.<br />

2. Der jeweilige Kaplan darf in keiner Weise darauf ausgehen, der Kirche<br />

und dem Pfarrer zu Wimmis irgendwie Abtrag zu tun.<br />

3. Der Kaplan soll 3 oder 4 Mal pro Woche oder auch öfters, wenn er sich<br />

dazu angetrieben fühlt, in der Kapelle die Messe feiern. Wenn er aber ohne<br />

hinreichenden und ehrenhaften Grund die Messe während einer ganzen<br />

Woche unterlässt, so hat er in den Bau- und Unterhaltsfonds der Kapelle<br />

eine Busse von 10 Schilling zu entrichten. Diese Busse ist durch den<br />

Pfarrer und die Kapellenpfleger einzuziehen.<br />

4. Der Kaplan darf sich keine Rechte der Pfarrkirche und des Pfarrherrn<br />

anmassen, vor allem in Beziehung auf das Spenden der Sakramente<br />

(Taufe, Beichte, Kommunion, Eheeinsegnung, letzte Oelung). Er darf die<br />

Sakramente nur mit Erlaubnis oder auf Geheiss des Pfarrers hin spenden,<br />

von sich aus nur in Notfällen.<br />

5. Auf die Opfer und Jahrzeiten steht dem Kaplan kein Rechtsanspruch zu,<br />

sondern dieselben gehören dem Pfarrer, dem es frei steht, dem Kaplan<br />

einen Anteil zu gewähren oder nicht.<br />

6. Der Kaplan soll im Kaplanhaus residieren, ehrbar haushalten, keine<br />

argwöhnige Dienerschaft anstellen und niemals Jagdhunde halten.<br />

7. An den wichtigeren Kirchenfesten soll sich der Kaplan nach seinem<br />

Morgengebet in der Kapelle nach Wimmis begeben und dort dem Pfarrer<br />

bei den gottesdienstlichen Verrichtungen assistieren.<br />

23


8. Was ein jeweiliger Kaplan aus seinem Pfrundeinkommen an beweglichem<br />

und unbeweglichem Gut angeschafft, soll nach seinem Tode ohne jede<br />

Anfechtung und Widerrede der Kaplaneipfründe und dem Altar zu <strong>Reutigen</strong><br />

zufallen. Was ein Kaplan aber mitgebracht oder ererbt hat, darüber kann er<br />

frei verfügen.<br />

9. Jeder neu antretende Kaplan muss sich eidlich auf diese Satzungen<br />

verpflichten.<br />

Kirchenvisitation 1453: Der Bischof von Lausanne liess im Juni 1453 unsere<br />

Kapelle visitieren. Im Bericht nachher heisst es:<br />

1. Die Fenster sollen bis Allerheiligen (1. November) renoviert werden.<br />

Zum Weisseln der Sakristei ist 1 Jahr Zeit.<br />

2. In der Kirche fehlt das Bild des Friedens und soll bis Michaelstag erstellt<br />

werden (Haupt Christi zum Küssen).<br />

3. Am Sakramentshäuschen (für die Hostie) ist ein Riegel anzubringen.<br />

4. Man wünscht ein Verzeichnis sämtlicher Gegenstände in der Kapelle und<br />

ein Verzeichnis der Einkünfte.<br />

5. Auf dem Friedhof sollen 4 Kreuze errichtet werden, und den Friedhof soll<br />

man immer geschlossen halten (wegen Tieren).<br />

Das seltsame Grab:<br />

Vor der Reformation wurde ein einträglicher Handel getrieben mit Spänen vom<br />

Kreuz Christi, Knochen, Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen von<br />

Heiligen. Es war viel Schwindel dabei. Diese Dinge wurden in einem Kästchen<br />

in der Kirche ausgestellt und verehrt.<br />

1952, als man anlässlich der Kirchenrenovation den Taufstein versetzte, kam<br />

ein stark vermoderter Sarg zum Vorschein, in dem sich ein Paar Schuhe, eine<br />

Reisetasche und ein Kelchglas befanden. Welchem Glaubensboten waren sie<br />

wohl zugedacht? In der Reformation mussten diese Gegenstände verschwinden.<br />

Sie nur irgendwo zu vergraben, schien pietätlos, und darum gab man sie einem<br />

Pfarrer mit ins Grab. Die gefundenen Dinge wanderten ins Historische Museum<br />

in Bern.<br />

Die Grabtafel:<br />

Beim Aufstieg zur Kanzel ist eine Erinnerungstafel, die man der Dunkelheit<br />

wegen wenig beachtet. Darauf steht:<br />

Wer ruht bei dieser Grabes Tür ?<br />

Herr Pfarrer Niklaus Studer,<br />

der vierundzwanzig Jahr allhier<br />

geführt das Kirchenruder.<br />

Der Leib wie Jobs Leib voller Qual,<br />

wie Lazarus gekränket<br />

nach fünfundfünfzig Jahren Zahl<br />

ward hier ins Grab versenket.<br />

Die Seel, der Schmerzen quitt und los,<br />

ruft: Zion, lasst von Sünden,<br />

folg mir in Abraham sein Schoss,<br />

da wirst mich wieder finden.<br />

ward geboren den 5ten Februar 1658<br />

starb den 15ten Oktober 1713.<br />

24


DIE GERICHTE<br />

Das weltliche Gericht (<strong>Gemeinde</strong>rat) hatte lange seine Sitzungen an der<br />

Glütsch, weil auch Zwieselberg nach Auflösung der <strong>Gemeinde</strong> Amsoldingen<br />

dem Castlan von Wimmis unterstellt war. 7 der Gerichtssässen kamen von<br />

<strong>Reutigen</strong>, 4 von Zwieselberg. Kam der Castlan nicht an die Sitzung, was sehr oft<br />

geschah, leitete einer der Gerichtssässen die Verhandlungen und hiess deshalb<br />

Statthalter (<strong>Gemeinde</strong>präsident).<br />

Das Chorgericht (Kirchgemeinderat) kam etwa alle 2 - 3 Monate nach der<br />

Predigt im Kirchenchor zusammen und hielt Gericht; daher der Name. Jeden<br />

Sonntag konnte man Klagen vorbringen. Dann wurden die Fehlbaren vom<br />

Weibel zur Gerichtsverhandlung aufgeboten. Es steht etwa geschrieben:<br />

Seither ist die Ehrbarkeit alle Sonntage still gestanden, aber nüt Chorgerichtliches<br />

eingebracht worden. Etwa die Hälfte der Verfehlungen waren "Unfleiss"<br />

beim Besuch des Gottesdienstes, der Schule, der Kinderlehre und Unterweisung.<br />

Dann folgten Sonntagsentheiligung, Streit, Trunksucht, Tanzen und<br />

Vaterschaftshändel. Das Gericht hielt sich streng an die Mandate (Vorschriften)<br />

der Regierung.<br />

Am 16. November 1763 liess der Castlan Gottlieb von Wattenwil das neu<br />

bestellte Chorgericht an die Glütsch kommen und vereidigte es. Es betraf:<br />

1. Johannes Streun, Statthalter<br />

2. Abraham Kernen, alt Kilchmeyer<br />

3. Hans Thönen von Oberstocken, alt Kilchmeyer<br />

4. Hans Spring, alt Sekelmeister und Schulmeister<br />

5. Peter Berger, Obmann von Niederstokcen, Schulmeister und alt Kilchmeyer<br />

6. Peter Spring, Kilchmeyer<br />

7. Peter Kernen, Feldvenner und Sekelmeister<br />

8. Peter Thönen von Oberstocken, Obmann<br />

9. Johannes Thönen, Chor- und Gerichtsweibel<br />

Drei der Chorrichter waren auch im weltlichen Gericht.<br />

Der Pfarrer schrieb das Protokoll.<br />

ABWESENHEIT BEIM ABENDMAHL<br />

Protokoll vom 23. Juni 1715:<br />

Sind vor die Ehrbarkeit citiert worden Anton Kernen auf der Stadi und sein Weib,<br />

weil sie letzte Pfingsten nicht zum Tisch des Herrn gegangen.<br />

Antons Entschuldigung war, dass er mit Jakob Thönen im Unfrieden sei und<br />

keine Lust gehabt. Seine Frau gab vor, ihr sei Gewand entwendet worden,<br />

was sie erst am Sonntag bemerkt habe. So habe sie nicht an die Tafel des Herrn<br />

dörfen. Ihnen wurde klar gelegt, dass die Entschuldigungen unbegründet seien.<br />

Sie haben Gott um Verzeihung gebätten und versprochen, dass sie sich künftig<br />

hin mit der Hülf Gottes fleissig einstellen wollen.<br />

25


KINDERLEHRE<br />

Vor 250 Jahren nahm man es ernst mit der Religion. Erst, wenn die Kinderlehr-<br />

Schüler ein Examen bestanden hatten, wurde ihnen erlaubt, am Abendmahl<br />

teilzunehmen. Darüber wurde Buch geführt. So wurde es 1714 auf Ostern 15<br />

Kindern "erlaubt", zu Pfingsten noch weitern 5.<br />

Da waren aber im Jahr 1735 zwei Burschen, für die wollte man die "Erlaubnis"<br />

erzwingen: Anthoni Bütschi für seinen Sohn und Grünenwald von St. Steffen für<br />

seinen Schwager, Abraham Maurer. Das Begehren wurde vom Chorgericht<br />

abgelehnt wegen grosser Unwissenheit und vielem Fehlen des Unterrichts.<br />

Unter Anführung Grünenwalds gingen sie zum Decan nach Sigriswil, richteten<br />

aber dort nichts aus, auch nicht beim Castlan von Bonstetten in Wimmis.<br />

Nachher versuchten sie es beim Decan Dachs in Bern, der sie an den Decan in<br />

Sigriswil wies. Dort waren sie aber schon gewesen. Da fanden sie den Professor<br />

für Eloquencia geneigt, das Examen abzunehmen. Die Jünglinge bestanden es,<br />

worauf sie zu Weihnachten in Bern das Abendmahl nahmen.<br />

Da war denn bei der Heimkehr ein grosses "Glorieren" (Triumphieren).<br />

Das Dorf war sehr verwundert, dass sie das Examen bei so grosser<br />

Unwissenheit bestanden hatten. Grünenwald liess verlauten, es haben zwar<br />

diese Gsellen bey dem mit ihnen gehaltenen Examen nüt gekönnt, allein er seye<br />

hinter ihnen gestanden und habe ihnen die Antwort auf die ihnen vorgelegten<br />

Fragen mit leiser Stimm zugerufen.<br />

Als die beiden später heirateten, wurde mit ihnen ein Examen abgehalten wie<br />

üblich. Der Pfarrer zog den Statthalter Strün bei. Dieser bekannte, er habe wohl<br />

gewusst, dass sie nicht die gescheitesten seien, er hätte aber gar nicht glauben<br />

können, dass sie so gar unwissend wären.<br />

Der ganze Handel hatte viel Aufsehen erregt. Der Pfarrer schreibt: "Es ist viel<br />

Unordnung in der Schul (Kinderlehre) entstanden. Eint und andere unfleissige<br />

und unwüssende haben verlauten lassen, wenn man ihnen hier nit zum Tisch des<br />

Herrn erlauben wolle, wo wüssend sie jetzt wol, wo sie sich dissfahls anmelden<br />

müssind, sie wüssind den Weg nach Bern wol."<br />

Es gab dann noch ein Nachspiel im Pfarr-Kapitel in Thun und in den Räten zu<br />

Bern. Die Schuldigen mussten sich im Schloss Wimmis unterziehen. Maurer war<br />

aber des Handels wegen ins Welschland "geloffen" und wurde wegen seines<br />

Nichterscheinens zu 2 x 24-stündiger Gefangenschaft verurteilt. Er hat die aber<br />

offenbar nicht abgesessen, weil er, als er wieder heim kam, alle Schuld dem<br />

Grünenwald zuschob.<br />

26


SONNTAGSHEILIGUNG<br />

Mit der Sonntagsheiligung nahm man es in früheren Jahrhunderten sehr genau.<br />

1715 musste Abraham Strauss von Oberstocken vor Chorgericht erscheinen,<br />

weil er am Sonntag der Kuh Gras gemäht. Peter Dubach und Peter Theilkäs von<br />

Niederstocken sind sonntags während der Kinderlehre in des Säumers Haus<br />

beim Wein angetroffen worden. 1719 hat Hans Mässerlis Weib auf der Allmend<br />

am Sonntg Holzäpfel abgeschlagen und heimgetragen.<br />

Antoni Eggen dengelte am Sonntagabend die Sichel. Entschuldigung: Seine<br />

Frau habe ihm erst am Sonntag gesagt, dass er am Montag früh in Thun sein<br />

müsse zum Schneiden. Wegen Armut ist ihm keine Strafe auferlegt worden.<br />

1733 musste Peter Griess, der alt, vor Gericht erscheinen, weil er am Sonntag<br />

während der Predigt einen Trämel aus dem Schattig Wald durchs Dorf gezogen.<br />

Entschuldigung: Er habe gemeint, es sei Freitag. Er wurde ohne Busse mit einer<br />

Ermahnung heimgeschickt.<br />

1730 musste sich Catrina Kernen, des Fischers Weib, verantworten, weil sie<br />

am Sonntag vor der Predigt bei einer halben Stunde Windlen gewäschen.<br />

Sie entschuldigte sich, dass sie es wohl habe tun müssen, weil sie keine<br />

trockenen mehr gehabt.<br />

1729 war Jakob Spring mit ein paar Kühen am Sonntag früh nach Stocken<br />

gefahren. Sie waren abends vorher spät angekommen. Sie blieben in der<br />

Hofstatt über Nacht, brachen dann aus, und so sei er mit ihnen gerade nach<br />

Stocken gefahren. Er wurde mit 10 Kreuzern bestraft.<br />

10 Schilling Busse erhielt Hans Thönen auf der Wolfbuchen, weil er sonntags<br />

nach Schwenden z'Berg zügelte. Er entschuldigte sich, der Bsatztag sei ihm<br />

zu spät kund getan worden, sonst hätte er am Samstag gezügelt.<br />

1715 sind Antoni Bütschi und sein Knecht mit dem Vieh und Burdeni auf den<br />

Rücken von der Günzenen heruntergefahren. Sie erklärten die Notwendigkeit<br />

wegen Kälte und Schnee. Das Gericht fand, sie hätten schon bis am Morgen<br />

warten können.<br />

Hauptmann Bruni von Stocken ging an einem Sonntag mit seinen Söhnen nach<br />

Grindelwald, um eine Alpweide instand zu stellen. Am nächsten Sonntag kehrte<br />

er wieder zurück. Er hatte den Sonntag mit Reisen "schändlich entheiligt" und<br />

musste die Ehrbarkeit um Verzeihung "bätten".<br />

27


DIE HEIRAT<br />

Im 18. Jahrhundert war es so, wenn zwei heiraten wollten, dass der Bursche<br />

der Geliebten ein schriftliches Eheversprechen und dazu ein paar Gulden gab.<br />

Dann wurde die Ehe an drei Sonntagen in der Kirche verkündet. Es gab ein<br />

Eheexamen, und dann folgte die Trauung. Man hatte für die Feier in der Kirche<br />

eine Trompete, welche einem Musikanten ausgeliehen wurde, wenn derselbe<br />

keine eigene besass. Einmal musste der Schulmeister, der die Trompete<br />

verwaltete, gezwungen werden, das Instrument herauszugeben. Falls nun das<br />

erste Kind zu früh zur Welt kam, gab es eine ziemlich hohe Busse, besonders,<br />

wenn die Braut mit dem Kränzlein Hochzeit gefeiert hatte.<br />

Wurden beide Verlobten einig, die Verlobung wieder aufzulösen, so gab die<br />

Braut Brief und Geld zurück. War aber eines nicht einverstanden, so kam es<br />

vor Chorgericht.<br />

Von Zeit zu Zeit hatte das Chorgericht auch einen Vaterschaftshandel zu<br />

erledigen. Madle D. war in andern Umständen. Dem Chorgericht kam es zu<br />

Ohren, und die Madle wurde vorgeladen. Sie bejahte und gab ihren Fehler zu.<br />

Als Vater nannte sie einen Frey von Steffisburg. Dieser wurde nun auch<br />

vorgeladen, erschien aber nicht. Auf die zweite Vorladung erschien er, wollte<br />

aber nicht zugeben und wurde dann mit der Madle D. konfrontiert. Sie zählte<br />

ihm alles auf, was geschehen, und er gab es mehr oder weniger zu, wollte<br />

aber weder ja noch nein sagen, dass er der Vater sei.<br />

Nun wurde eine Befragung in den Geburtswehen angeordnet. Die Fragen<br />

wurden nach Gesetz von zwei vereidigten Männern gestellt. Die Madle gab<br />

wieder als Vater den Christen Frey an. Dieser sagte aber, er glaube nicht,<br />

dass er der Vater sei. So wurde der Handel den gnädigen Herren des Ober-<br />

Chorgerichts in Bern überwiesen. Es wurde befohlen, die beiden im<br />

Purgationseid zu unterrichten, damit sie klar wüssten, ws ein Meineid für ihr<br />

Seelenheil zu bedeuten hätte. Nachdem dies geschehen, wurden die zwei in<br />

Bern vorgeladen. Da Frey den Eid nicht schwor, wurden ihm Kind und Kosten<br />

zugesprochen. Hätte es sich um einen Ehebruch gehandelt, wäre der fehlbare<br />

Teil noch mit 10 Tagen Gefängnis bestraft worden.<br />

Die als Vater bezeichneten Burschen haben sehr oft das Weite gesucht.<br />

Peter Oesch ging in die Schweizergarde nach Frankreich; ein anderer trat in<br />

holländische Kriegsdienste.<br />

Scheidungen kamen auch vor. Sie wurden in Bern durch die gnädigen Herren<br />

des Ober-Chorgerichts ausgesprochen. Geschieden wurde aber nur im<br />

äussersten Fall. Den Christen Bruni und die Susanna geb. Rubi trennten sie für<br />

zwei Jahre von Tisch und Bett.<br />

Das Tanzen an der Hochzeit war verboten. Jakob Thönen liess an seiner<br />

Hochzeit doch tanzen. Jede Person musste dann 5 Pfund Busse bezahlen<br />

(ca. 2 Taglöhne). Zwei Jahre später wurden Tanzen und Geigen an Eigensatzes<br />

Hochzeit etwas milder bestraft. Neun Mannspersonen hatten je 2 Pfund, neun<br />

Weibspersonen je 1 Pfund und die, welche nur zuschauten, 10 Schilling zu<br />

entrichten.<br />

28


VERLOBUNGSGESCHENKE<br />

1668 wurde das Chorgericht zweimal von Peter Spring, dem Jungen, in<br />

Anspruch genommen. Er brachte vor, dass er Kernen Peters Tochter, dem Elsy,<br />

einen Gürtel auf die Ehe gekauft und gegeben habe. Das sei am Maitag zu Thun<br />

geschen. Auf dem Heimweg vom Maimarkt hätten sie an der Glütsch auf die Ehe<br />

hin getrunken. Einige Zeit später habe sie ihm Hosenbänder zugetragen, welche<br />

er auf die Ehe empfangen und abgenommen habe. Von der Heirat wolle Elsy<br />

aber nichts mehr wissen.<br />

Sie mussten nun beide vor Chorgericht erscheinen. Elsy war des Krams und<br />

Gegenkrams geständig, aber an eine Ehezusage wollte sie nicht glauben.<br />

Nun wurden die zwei Männer, die an jenem Maitag auch an der Glütsch waren,<br />

einvernommen. Die wollten aber lieber nichts sagen und erklärten: "es möchte<br />

by dem Wyn etwas beschehen sein, sy seien aber trunken gsin, sy wüssen nüt<br />

meh darumb." So musste der Handel zur endgültigen Erledigung an das Ober-<br />

Chorgericht in Bern weitergeleitet werden.<br />

<strong>Reutigen</strong> im 20. Jahrhundert<br />

29


UNFUG IM PFARRHAUS - ZYTHÜSI<br />

Der Pfarrer hatte Aerger. Von Amsoldingen war Adam Bölen mit 3 Arbeitern<br />

gekommen, um die Pfrund zu heuen, obwohl zweifelhaftes Wetter war. Der<br />

Pfarrer schickte die Magd hinaus um zu sagen, sie sollten aufhören zu mähen.<br />

Sie mähten weiter. Nun ging der Pfarrer mit den Leuten reden. Bölen, der nicht<br />

ganz nüchtern war, fluchte, schwor und schrie. Vor Chorgericht musste er<br />

Abbitte leisten.<br />

Der Pfarrer war einmal eine Zeitlang abwesend in Bern. Es gab nun männliche<br />

Besuche im Pfarrhaus, zu denen die Magd ermuntert hatte. Besonders schlimm<br />

trieb es Jacob Frey, der oft, tags und nachts da war. "Er hat auch trunkener-<br />

und unverschämterweis den Kirchenhabit (Talar) angezogen und sein gottloses<br />

Gespött damit getrieben."<br />

Peter Maurer und Julius Grünig kamen mit einer ernsten Vermahnung davon.<br />

Frey und die Magd aber wurden vor den Castlan in Wimmis geführt und zu<br />

etlichstündiger Gefangenschaft verurteilt. Dazu wurden beide in der Geige<br />

(statt Pranger) in Wimmis herumgeführt. Da wurde den Verurteilten ein<br />

zweiteiliges Brett von der Form einer Geige um den Hals gehängt. Voraus<br />

marschierte der Weibel, der auf den Plätzen anhielt und seinen Kommentar<br />

verkündete. Hinter ihm marschierten die Uebeltäter und ein Häuflein Kinder,<br />

denen der Umzug viel Spass bereitete. Die Leute traten vors Haus oder<br />

schauten vom Fenster aus zu.<br />

<strong>Reutigen</strong> hatte auch ein Arrestlokal. Vielleicht war es bloss ein Schuppen, der<br />

dem Totengräber zum Aufbewahren der Werkzeuge diente. Da ist als Strafe<br />

sehr oft zu lesen: eine oder etliche Stunden chorgerichtliche Gefangenschaft.<br />

Die Leute nannten es das Zythüsli, weil der Weibel genau auf die Zeit achten<br />

musste, wann die Leute wieder frei zu lassen waren.<br />

Hie und da hat das Chorgericht dem Vorgeladenen überlassen zu wählen<br />

zwischen Busse oder Zythüsli, besonders, wenn es ärmere Leute waren.<br />

Wenn es irgendwie ging, wollte man lieber bezahlen. Da war auch einer im<br />

Zythüsli, der konnte entweichen. Das Chorgericht wollte sich aber nicht<br />

verspotten lassen. Der Weibel musste den Ausbrecher aufs Schloss bringen,<br />

wo er seine Zeit hinter sicherern Schlössern absass.<br />

Spicher<br />

Stadi<br />

30


SPEND URBAR - SPITAL<br />

Man liest um 1700 immer vom Spendvogt. Er verwaltete das Armengut und<br />

teilte den Bedürftigen die Spenden aus, die zur Hauptsache aus Brot bestanden.<br />

Das geschah öfters im Jahr. Dem alt Schulmeister Rupp sollte 1727 für einmal<br />

die Spende weggenommen werden, weil er die Strafe im Zythüsli nicht absitzen<br />

wollte, zu der ihn das Chorgericht verurteilt hatte. Die Spende betrug bei<br />

5 Batzen (Fr. 10.--). Man liess ihm aber die Spende, weil die Wegnahme nicht<br />

im Sinne des Gesetzes gewesen wäre.<br />

Woher kam das Geld für die Spenden? Es gab viele Leute, die etwas Gutes tun<br />

wollten. Ihre Schenkung ist im Spend Urbar (Spendenbuch) aufgeschrieben.<br />

So heisst es z.B. "Hans Spring, der jung, zu <strong>Reutigen</strong>, erkennt sich den Spend-<br />

Armen schuldig zu sein an Hauptgut 12 Kronen, verzinst die jährlich auf Andrea<br />

mit 5 Batzen (5%). Pfand: Eine halbe Jucharte Erdrichs an Benzis Hubel, stosst<br />

sonnenufgangs an Eva Kernen und andere, mittags und mitternachts an<br />

Burkhardt Brendlin und sonneningangs an Jakob Wallen Gut."<br />

Diese Schuld wurde 1747 abgelöst, denn die Last auf dem Grundstück war<br />

hinderlich bei dessen Verkauf.<br />

12 Kronen war eine mittlere Spende. Es gab solche bis 60 Kronen.<br />

Mit zunehmender Geldentwertung stiegen auch die Spenden. So ist um 1800<br />

eine solche von 240 Kronen eingetragen. Unter den Spendern hatte es Namen,<br />

die jetzt verschwunden sind: Griess, Gradt, Wallen, Maurer.<br />

Was das Geld anbetrifft, so hatte eine Krone 25 Batzen = 100 Kreuzer.<br />

Die Spende von Hans Spring 12 x 25 Batzen = 300 Batzen, der jährliche Zins<br />

davon 15 Batzen, macht 5 %. Ein Batzen im heutigen Wert gut Fr. 2.--.<br />

Wir begegnen oft auch dem Spitalvogt. Er konnte kaum der Verwalter des<br />

Spitals Erlenbach sein. Nein, aber <strong>Reutigen</strong> besass ein Hospiz, Spital genannt<br />

(von Hospital), wo Durchreisende Unterkunft fanden.<br />

Das jetzt umgebaute Haus beim alten Schulhaus war das Spital. Wenn man<br />

auf dem Bild von der Südseite die Fensterfront betrachtet, kann man sich gut<br />

vorstellen, dass sich hinter jedem Fenster ein kleines Stübchen befand.<br />

31


KRITIK AN DER KIRCHE<br />

Im grossen und ganzen nahm man die Ermahnungen des Chorgerichts zu<br />

Herzen und bat Gott und das Chorgericht um Verzeihung. Es gab aber doch<br />

Ausnahmen, so 1731. Anthoni Simon am Moos und Niclaus Thönen kamen<br />

vor Chorgericht. Es heisst, der eine wegen unfleissigem Besuch des Gottesdienstes,<br />

der andere, weil er sich fast gar nüt in hiesiger Kirche hat sehen<br />

lassen. Der erste hat Besserung verheissen und auch zimlich erzeigt, der<br />

andere aber war "unverschamt". Er hat gesagt, es sei die Frag, ob das Wort<br />

Gottes hier pur und lauter gepredigt werde, ob hier eine Versammlung der<br />

Gläubigen sei. Mit demselben, als einem störrischen Kopf und Irrgeist war<br />

nüt auszurichten. - Er wanderte später nach Pennsylvania aus.<br />

1732 wurden Hans Bruni, alt Schulmeister, und Christen Strauss, der älter,<br />

vor Chorgericht citiert. Bruni sagte, er sei jetzt schon oft citiert worden, aber<br />

man habe ihm nie aus Gottes Wort gezeigt oder ihn überwiesen, dass er etwas<br />

Böses getan habe. Auf die Frage, ob er sich nicht fleissiger zum Gottesdienst<br />

einstellen wolle, antwortete er, er halte das nit für ein Haus, auch diese Gmeind<br />

nit für eine Gmeind Gottes, sondern für einen "Pöbel". Er sei lang gegangen,<br />

habe lang zugehört, aber ohne Frucht und Nutzen. Es habe an ihm nie nüt<br />

gefruchtet, fruchte auch an so vielen andern nüt. - Ob er sich den obrigkeitlichen<br />

Ordnungen nicht unterwerfen wolle? Antwort: Er liebe die Oberkeit,<br />

bätte für sie, aber sein Gwüssen binden und über dasselbe herrschen lassen,<br />

das wolle er nicht. Wen Jesus frei gemacht habe, der werde sich nicht lassen<br />

binden. –<br />

Er hatte schon 5 Jahre vorher gesagt: Man mag mir 100 Mandate vorhalten,<br />

ich halte davon, was mir beliebt.<br />

Dem Strauss wurde auch Unfleiss und Widerspänstigkeit vorgeworfen.<br />

Antwort: Er wolle sich kein Joch auflegen lassen. Er halte eine Obrigkeit hoch,<br />

glaube aber nit, dass sie ihm etwas wider sein Gewüssen aufdringen werde.<br />

Man lese nüt in der Bibel, dass ein Zuhörer an ein gewisses Ort zu Predigt<br />

gehen solle.<br />

Obschon ihnen "weitläufig" geantwortet wurde, richtete man nichts aus.<br />

Sie wollten auch nichts versprechen. Der Fall wurde der Religionskommission<br />

gemeldet, welche aber wohl nichts unternahm.<br />

1747 wurde dam alten Jacob Thönen vorgeworfen, er habe sich mehr als 11/2<br />

Jahre nicht zum Examen der Alten eingestellt (Unterweisung der Alten). Er<br />

schützte Husten vor. Man bedeutete ihm, Husten daure nicht anderthalb Jahre.<br />

Er versprach zu tun, soweit es ihm nützlich sei. Dann wurde ihm vorgehalten,<br />

dass er zum Abendmahl das Seitengewehr nicht trage.<br />

Antwort: Er habe nirgends gelesen, dass der Herr Jesus das befohlen habe.<br />

32


DIE WIEDERTÄUFER<br />

Die Täufer wollten ein Leben führen wie die Urchristen. Dabei erachteten sie<br />

die Kindertaufe als gefährlich, weil sie verleite zu glauben, man sei der Taufe<br />

wegen schon ein Christ. Man verachtete das kirchliche Leben und hielt eigene<br />

Versammlungen ab. Am meisten erzürnten sie die Regierung durch die<br />

Dienstverweigerung. Man befürchtete eine Schwächung der Wehrkraft.<br />

Es folgten Disputationen, die aber nichts fruchteten. Dann kam es zu<br />

Verbannungen. Die verfolgten Täufer zogen in den Jura, ins Elsass, nach<br />

Bömen-Mähren und später nach Holland und Amerika. Die Berner Regierung<br />

soll nach allerdings nicht ganz zuverlässigen Angaben bei 40 Menschen<br />

hingerichtet haben. Etliche kamen auf die Galeeren nach Venedig oder Palermo.<br />

Mit dem letztern waren zwar auch Pfarrer und Beamte nicht einverstanden.<br />

Holland, wo Religionsfreiheit bestand, wurde vorstellig bei der Berner<br />

Regierung wegen ihrer Härte und Unduldsamkeit. Es folgte 1711 eine<br />

Auswanderung von 346 Menschen auf 4 Schiffen nach den Niederlanden.<br />

Auf dem Thunerschiff waren von <strong>Reutigen</strong>:<br />

Peter Krebs, Glaser, 32jährig, mit Frau und Tochter<br />

Peter Thönen, Schuhmacher, 25j.<br />

Hans Krebs, Landmann, 32j. und seine Frau<br />

Peter Krebs, Landmann, 24j. und seine Frau Barbara<br />

Steffen Simon, Landmann, 39j. mit Frau und Tochter<br />

Die ersten zwei übernahmen eine Melkerei bei Groningen. Die nächsten zwei<br />

Brüder kamen nach Deventer und die letzte Familie nach Vinkhuis bei<br />

Groningen. 1972 kam eine Anfrage von Nachkommen der Gebrüder Krebs<br />

betr. Stammbaum.<br />

Bis zur Französischen Revolution, die dann Religionsfreiheit brachte, wanderten<br />

immer Leute ihres Glaubens wegen aus. So soll ein Bütschi (Beachy) in Amerika<br />

bis 1970 2500 Nachkommen haben.<br />

Das Verhältnis zu den Täufern hat sich ganz entspannt. Sie tun Militärdienst,<br />

meistens in der Sanität.<br />

33


SESSHAFTE BEVÖLKERUNG<br />

Im Taufrodel 1698 - 1752 finden wir mehr Namen von Zugezogenen als von<br />

Burgern, allerdings meistens als Einzelfamilien. Es kam auch vor, dass man<br />

auswärts wohnte, aber aus gewissen Gründen in <strong>Reutigen</strong> taufen liess.<br />

Zwei Kinder erblickten im Spital <strong>Reutigen</strong> das Licht der Welt.<br />

Hier die Burger und Anzahl Geburten in 54 Jahren: (* = ausgestorben)<br />

<strong>Reutigen</strong> Niederstocken Oberstocken<br />

Bütschi 15 Berger 14 Bruni 50<br />

Dick* 10 Dubach 33 Messerli 13<br />

Gradt* 6 Eggen 32 Mettler 11<br />

Griess* 12 Eigensatz* 11 Spissmann* 6<br />

Kernen 216 Feller 7 Strauss 21<br />

Krebs 25 Forny* 11 Wenger 26<br />

Maurer* 24 Fritz 1 Wolfbucher* 2<br />

Melli* 4 Neuenschwander 15 Zenger 12<br />

Rupp 28 Schwendimann 70<br />

Simon 26 Straubhaar 25<br />

Spring 99 Stucki* 13<br />

Streun* 10 Sutter* 18<br />

Thönen 98 Theilkäs 4<br />

Wallen* 7 Thierstein* 5<br />

Zehr 18<br />

Später kamen durch Einkauf oder Zwangseinbürgerung dazu:<br />

<strong>Reutigen</strong>: Sulzener*, Thurian, Meerstetter<br />

Niederstocken: Sturm, Rühl, Schlöpfer*, Nast*, Schreiner*, Schwab<br />

Oberstocken: Elles*, Schirkes*<br />

Seit 1978 gibt es eine Massen-Einbürgerung von Kindern, deren schweizerische<br />

Mutter einen Ausländer geheiratet hat, und die in der Schweiz leben.<br />

Am 3. Brachmonat 1700 erschien der Meister Christian Wolfbucher von<br />

Oberstocken, wohnhaft in Bern, bättend, seine Kinder, so zu Bern sind tauft,<br />

einzuschreiben: Margreth 22.3.1694, Christian 15.11.1697.<br />

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ZEITTABELLE<br />

58 v. Chr. Auszug der Helvetier, Bibrakte<br />

350 - 550 Völkerwanderung<br />

622 Mohammed flüchtet von Mekka nach Medina<br />

Beginn der islamischen Zeitrechnung<br />

534 - 888 Alemannien unter fränkischer Herrschaft,<br />

um 800 Karl der Grosse Kaiser<br />

888 Teilung des grossen fränkischen Reiches,<br />

das Bernerland kommt zu Burgund,<br />

unter König Rudolf II und Königin Bertha (ca. 900 - 960),<br />

gute Zeit, 12 Kirchen in unserer Gegend gebaut.<br />

1127 - 1218 Herrschaft der Herzoge von Zähringen<br />

1120 Freiburg gegründet<br />

1191 Gründung Berns, Rivalität mit Freiburg<br />

1291 Gründung der Eidgenossenschaft<br />

1339 Sieg der Berner über den Adel und die Stadt Freiburg bei Laupen<br />

1353 Bern tritt in den Bund der Eidgenossen<br />

1421 Beginn des Münderbaues<br />

1476 Burgunderkrieg, Grandson, Murten, Adrian von Bubenberg<br />

1499 - 1501 Schwabenkrieg<br />

1512 - 1515 Mailänderfeldzüge, Pavia, Novarra, Marignano<br />

1528 Bern wird reformiert<br />

1618 - 1648 30-jähriger Krieg<br />

1798 Einmarsch der Franzosen. Neueinteilung:<br />

Spiez, <strong>Reutigen</strong> und Stocken kommen zum Simmental<br />

1815 Wienerkongress nach Besiegung Napoleons.<br />

Der Kanton Bern verliert den Aargau und die Waadt.<br />

Dafür bekommt er den Jura.<br />

Lawine 1970 im Längenberg<br />

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QUELLEN<br />

Heimatbücher vom Simmental und von Thun<br />

Chronik der <strong>Gemeinde</strong>n des Kantons Bern (im Staatsarchiv)<br />

Die 4 Landgerichte von R. Stürler<br />

Berner Taschenbuch 1896 von H. Türler (Hans Schütz)<br />

Testamentenbuch (Staatsarchiv - Hans Schütz)<br />

Berner Taschenbuch 1929 von O. Weber (Jagdburg)<br />

Die Täufer im Kanton Bern von Ernst Müller<br />

Chorgerichtsmanuale und Spendurbar <strong>Reutigen</strong><br />

Kanderdurchstich von Georges Grosjean<br />

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm<br />

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