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Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union ... - ZIS

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<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________chen Straftaten, auf e<strong>in</strong>en verbesserten europäischen wie<strong>in</strong>ternationalen Datenschutz und auf e<strong>in</strong>e weitere Stärkung<strong>der</strong> Verfahrensrechte <strong>in</strong> Strafverfahren.b) EU-Strategie <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Sicherheit; Prioritäten bei <strong>der</strong>Bekämpfung organisierter Krim<strong>in</strong>alitätIn ihrem zweiten Bericht über die Durchführung <strong>der</strong> EU-Strategie<strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Sicherheit 23 wie<strong>der</strong>holte die Kommissionunter an<strong>der</strong>em ihre Intention, im weiteren Verlauf des Jahrese<strong>in</strong>en Vorschlag für e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie über die strafrechtlicheVerfolgung von Geldwäsche vorzulegen. 24 Auch im H<strong>in</strong>blickdarauf, dass die EU-Strategie <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Sicherheit zunächstauf den Zeitraum bis 2014 fokussiert war, s<strong>in</strong>d die Schlussfolgerungendes Rates „Prioritäten <strong>der</strong> EU bei <strong>der</strong> Bekämpfungschwerer und organisierter Krim<strong>in</strong>alität 2014-2017“ 25von Bedeutung, die <strong>der</strong> Rat <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – Justizund Inneres – auf se<strong>in</strong>er 3244. Sitzung am 6./7.6.2013 verabschiedete.Diese Schlussfolgerungen rücken vor allem dieUmsetzung des europäischen Rechtsrahmens <strong>in</strong> den Mitgliedstaaten,e<strong>in</strong>e ausreichende F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong>organisierten Krim<strong>in</strong>alität sowie die Nutzung „alternativerund komplementärer Ansätze“ zur Bekämpfung schwerer undorganisierter Krim<strong>in</strong>alität <strong>in</strong>s Blickfeld – also etwa durch adm<strong>in</strong>istrativeMaßnahmen wie Registrierungspflichten die Betätigungsfel<strong>der</strong>organisierter Krim<strong>in</strong>alität auszutrocknen unddie Möglichkeiten zur Vermögensabschöpfung auszuweiten. 26Schwerpunkte seien des Weiteren zu setzen bei <strong>der</strong> Bekämpfung<strong>der</strong> (jeweils organisierten) Schleuserkrim<strong>in</strong>alität und desMenschenhandels, <strong>der</strong> Betäubungsmittel- und <strong>der</strong> Cyberkrim<strong>in</strong>alität.c) Diskussionspapiere im Rat <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong>Die litauische Ratspräsidentschaft legte im Juli 2013 je e<strong>in</strong>Diskussionspapier zur zukünftigen Entwicklung <strong>in</strong> den BereichenInneres und Justiz vor, 27 <strong>in</strong> denen sie Schwerpunkteauf die Konsolidierung und tatsächliche Umsetzung des sekundärrechtlichenacquis setzt. Zudem betont sie die Bedeutungkosteneffizienter Maßnahmen <strong>in</strong> Zeiten ökonomischerKrisen; hierzu br<strong>in</strong>gt die litauische Ratspräsidentschaft denGedanken <strong>in</strong>s Spiel, die Politikzyklen und die F<strong>in</strong>anzplanungszyklenzeitlich aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abzustimmen. Als Handlungsfel<strong>der</strong>mit Nachbesserungsbedarf sieht sie schließlich die Außenbeziehungen<strong>in</strong> den Bereichen Justiz und Inneres; zudem regtsie an, die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie<strong>in</strong> <strong>der</strong> Justiz („e-Justice“) zu stärken.d) Konsultation <strong>der</strong> KommissionDie Kommission lädt die Öffentlichkeit e<strong>in</strong>, sich über e<strong>in</strong>Forum „Assises de la Justice“ am 21./22.11.2013 <strong>in</strong> Brüssel23 KOM (2013) 179 endg. v. 10.4.2013.24 Siehe hierzu unten III. 6.25 Ratsdok. 12095/13; zuvor Ratsdok. 9849/13.26 Zu diesen komplementären Maßnahmen siehe etwa das nurteilweise öffentlich zugängliche Ratsdok. 10899/11.27 Ratsdok. 13340/13 (Inneres); Ratsdok. 13341/13 (Justiz);nunmehr zusammengefasst <strong>in</strong> Ratsdok. 14898/13.an <strong>der</strong> Ausarbeitung von krim<strong>in</strong>alpolitischen Schwerpunktenfür die kommenden Jahre zu beteiligen; schriftliche Diskussionsbeiträgekönnen bis Ende des Jahres e<strong>in</strong>gereicht werden. 28Die Kommission veröffentlichte als Impuls zur Diskussionunter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong> Papier zum Strafrecht, das sie zwar nichtals offizielle Position <strong>der</strong> Kommission verstanden wissen will,aber gleichwohl aufschlussreiche Anhaltspunkte für <strong>in</strong> <strong>der</strong>Kommission vertretene Strömungen enthält: 29 Basierend aufden bisherigen Erfolgen 30 benennt sie als Zielsetzung, e<strong>in</strong>ekohärente Krim<strong>in</strong>alpolitik zu entwickeln, die auf gegenseitigemVertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, Anerkennungvon Opferrechten und Gewährleistung <strong>der</strong> Rechte Beschuldigteraufbauen müsse. Als ersten Schwerpunkt benennt dieKommission die Stärkung <strong>der</strong> Grundrechte – für Beschuldigtewie für Opfer – als Grundlage für gegenseitiges Vertrauen.Dabei verweist sie auf e<strong>in</strong>e unzureichende Entschädigung <strong>der</strong>Opfer und wirft die Frage auf, ob e<strong>in</strong> „Opferschutzfonds“ gespeistaus <strong>der</strong> E<strong>in</strong>ziehung von krim<strong>in</strong>ellen Vermögenswertene<strong>in</strong>e taugliche Antwort hierauf se<strong>in</strong> könne. E<strong>in</strong>en zweitenmöglichen Handlungsschwerpunkt sieht die Kommission <strong>in</strong><strong>der</strong> Effektivierung des geltenden EU-Rechtsrahmens: Sie verweisthier explizit auf die ihr ab dem 1.12.2014 e<strong>in</strong>geräumteMöglichkeit, Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichen<strong>der</strong>Umsetzung e<strong>in</strong>zuleiten, daneben auf e<strong>in</strong>e verbesserteAusbildung <strong>der</strong> Justizpraktiker und schließlich auf e<strong>in</strong>e möglicheKonsolidierung des <strong>in</strong>zwischen fragmentarischen Rechts<strong>der</strong> justiziellen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachen. Der dritteHandlungsschwerpunkt – e<strong>in</strong>e mögliche Erweiterung <strong>der</strong> <strong>in</strong>Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten „Europa-Delikte“ betreffend– und <strong>der</strong> eng verknüpfte vierte Handlungsschwerpunkt – aufArt. 83 Abs. 2 AEUV rekurrierend – thematisieren mögliche28 http://ec.europa.eu/justice/events/assises-justice-2013/(31.10.2013).29 http://ec.europa.eu/justice/events/assises-justice-2013/files/crim<strong>in</strong>al_law_en.pdf (31.10.2013).30 Als bisherige Erfolge benennt die Kommission erstens e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>sames Verständnis dessen, was strafbares Verhaltendarstelle, und verweist diesbezüglich auf die Harmonisierungs<strong>in</strong>strumentedes materiellen Strafrechts. Dass diese nur e<strong>in</strong>enTeilbereich <strong>der</strong> Krim<strong>in</strong>alität abdecken und systematischensowie pr<strong>in</strong>zipiellen Bedenken ausgesetzt s<strong>in</strong>d, lässt sie dabeiaußen vor. Zweitens enthalte, so dieses Diskussionspapier,<strong>der</strong> acquis e<strong>in</strong>en kohärenten Bestand an strafprozessualenRegeln an M<strong>in</strong>deststandards, die e<strong>in</strong>en hohen Standard von„fair trial“-Garantien für die Bürger garantierten (im englischenOrig<strong>in</strong>al: „coherent set of crim<strong>in</strong>al procedural rules provid<strong>in</strong>gcommon m<strong>in</strong>imum standards to ensure a high standardof fair trial rights for citizens“). Indes s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Bereichbislang nur drei Maßnahmen beschlossen worden; auch ersche<strong>in</strong>tes gewagt, e<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>deststandard mit e<strong>in</strong>em hohenStandard gleichzusetzen. Drittens verweist die Kommissionauf das Opferschutzpaket und die Maßnahmen zur Verbesserung<strong>der</strong> Verfolgung von Straftaten, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> justiziellenZusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachen – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den<strong>Europäischen</strong> Haftbefehl – und e<strong>in</strong>schließlich europäischerKoord<strong>in</strong>ationsstellen wie Eurojust und das Europäische JustizielleNetz (EJN)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com457


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________Gebiete für e<strong>in</strong>e weitergehende Harmonisierung des materiellenStrafrechts, die zum<strong>in</strong>dest teilweise auch e<strong>in</strong>e Expansiondes Strafrechts darstellen könnte. Explizit genannt werdenhier Marktmissbrauch – diesbezüglich ist e<strong>in</strong> Legislativvorschlagbereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion 31 –, Lebensmittelstrafrechtsowie <strong>der</strong> Schutz des sog. geistigen Eigentums; zu ergänzenist ferner das Waffenrecht. 32e) FazitIn diesem frühen Stadium lassen sich bereits gewisse Strömungenerkennen, welche die Ausrichtung des Nachfolgeprogrammszum Stockholmer Programm prägen könnten: erstens e<strong>in</strong>e Reflexion auf den bislang erreichten acquis,<strong>der</strong> teilweise nur unzureichend <strong>in</strong> das Recht <strong>der</strong> Mitgliedstaatenumgesetzt ist, <strong>der</strong> teilweise an e<strong>in</strong>er Fragmentierungleidet und <strong>der</strong> auch deswegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtspraxisgelegentlich für unbrauchbar gehalten wird; zweitens e<strong>in</strong>e Fokussierung auf alternative und komplementäreMethoden <strong>der</strong> Krim<strong>in</strong>aljustiz, mit e<strong>in</strong>er weiterenExpansion <strong>der</strong> Sicherstellung und E<strong>in</strong>ziehung von Vermögen– auch im Rahmen nicht-strafrechtlicher Verfahren(„civil forfeiture“) –; drittens allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong> Wie<strong>der</strong>erstarken des materiellenStrafrechts, das im „Stockholmer Programm“ nur e<strong>in</strong>Schattendase<strong>in</strong> führte, 33 <strong>in</strong> letzter Zeit aber erneut größerekrim<strong>in</strong>alpolitische Bedeutung <strong>in</strong> <strong>der</strong> EU erlangte; 34 viertens e<strong>in</strong>e Ergänzung <strong>der</strong> Verfahrensrechte Beschuldigterund Opfer von Straftaten im DreiecksverhältnisStaat – Beschuldigter – Opfer; damit verknüpft ist die vonmehreren Seiten gefor<strong>der</strong>te Reform <strong>der</strong> Ablehnungsgründedes <strong>Europäischen</strong> Haftbefehls, etwa im H<strong>in</strong>blick aufdessen Verhältnismäßigkeit; sowie fünftens e<strong>in</strong>e Europäisierung <strong>der</strong> Außenbeziehungen imAuslieferungs- und vor allem im Rechtshilferecht.4. Europäisches Modell für den InformationsaustauschIn Erfüllung e<strong>in</strong>er Vorgabe <strong>der</strong> Strategie <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Sicherheitfür die Europäische <strong>Union</strong> 35 legte die Kommission imDezember 2012 e<strong>in</strong>e Mitteilung „Stärkung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<strong>der</strong> Strafverfolgungsbehörden <strong>in</strong> <strong>der</strong> EU: Das EuropäischeModell für den Informationsaustausch“ vor. 36 Sie erachtetdabei den bestehenden Informationsfluss für „gut funktionier[end]“und hält „we<strong>der</strong> neue Strafverfolgungsdatenbankennoch neue Instrumente für den Informationsaustausch“ fürerfor<strong>der</strong>lich und belegt dies anhand e<strong>in</strong>er Darstellung <strong>der</strong>Funktionalität <strong>der</strong> existierenden Instrumente. Indes seien <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<strong>der</strong> sog. Prüm-Beschluss 37 und die sog. schwedische31 Siehe unten III. 3.32 Siehe unten III. 8.33 Vgl. Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2010, 376 (378).34 Siehe hierzu unten III.35 Ratsdok. 5842/10.36 KOM (2012) 735 endg. v. 7.12.2012.37 Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>eInitiative 38 noch nicht <strong>in</strong> allen Mitgliedstaaten umgesetztworden; <strong>in</strong>soweit sei e<strong>in</strong>e Nachsteuerung erfor<strong>der</strong>lich.Indes ist hier<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Abrücken <strong>der</strong> Kommission von <strong>der</strong>Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdatensätzen (PNR) 39 undvon e<strong>in</strong>em europäischen Systems zum Aufspüren <strong>der</strong> Terrorismusf<strong>in</strong>anzierung(EU-TFTP) 40 zu sehen, da diese nicht deneuropäischen Informationsaustausch son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e europäisierteInformationsgew<strong>in</strong>nung betreffen und daher außerhalb<strong>der</strong> eng gefassten Mitteilung <strong>der</strong> Kommission liegen.5. Datenschutz 41H<strong>in</strong>sichtlich des Vorschlags für e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong>Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personenbei <strong>der</strong> Verarbeitung personenbezogener Daten durchdie zuständigen Behörden zum Zwecke <strong>der</strong> Verhütung, Aufdeckung,Untersuchung o<strong>der</strong> Verfolgung von Straftaten o<strong>der</strong>Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr, 42 <strong>der</strong> dieDatenschutz-Grundverordnung 43 ergänzen soll, ist e<strong>in</strong>e Skepsis<strong>der</strong> Mitgliedstaaten dah<strong>in</strong>gehend zu verzeichnen, den bisherigenund alle<strong>in</strong> durch die Regierungsvertreter ausgehandeltenRechtsrahmen 44 zu verän<strong>der</strong>n. 45 Daher verwun<strong>der</strong>t es nicht,dass das Legislativverfahren im Rat h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Datenschutz-Grundverordnungvorangetrieben wird, nicht <strong>in</strong>des e<strong>in</strong>evertiefte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem strafprozessual und polizeirechtlichbedeutsameren Richtl<strong>in</strong>ienentwurf geplant ist.6. Opt-out des Vere<strong>in</strong>igten Königreichs 46Mit Schreiben vom 24.7.2013 erklärte das Vere<strong>in</strong>igte Königreichse<strong>in</strong>en „opt-out“ gemäß Art. 10 Abs. 4 Protokoll Nr. 36zur Bekämpfung des Terrorismus und <strong>der</strong> grenzüberschreitendenKrim<strong>in</strong>alität (ABl. EU 2008 Nr. L 210, S. 1); siehehierzu noch unten V. 4.38 Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006über die Vere<strong>in</strong>fachung des Austauschs von Informationen undErkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden <strong>der</strong>Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (ABl. EU 2006 Nr. L386, S. 89 i.d.F. CONSLEG 2006F0960 v. 30.12.2006).39 Siehe hierzu noch unten IV. 3.40 KOM (2011) 429 endg. v. 13.7.2011; Ratsdok.18287/11;siehe hierzu Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (950); <strong>der</strong>s., <strong>ZIS</strong> 2012,558 (568).41 Vgl. zuletzt Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (559) m.w.N.42 KOM (2012) 10 endg. v. 25.1.2012.43 Vorschlag für e<strong>in</strong>e Verordnung des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei <strong>der</strong>Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr(Datenschutz-Grundverordnung), KOM (2012) 11endg. v. 25.1.2012.44 Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates v. 27.11.2008 überden Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen <strong>der</strong>polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachenverarbeitet werden (ABl. EU 2008 Nr. L 350, S. 60).45 Ratsdok. 16525/12.46 Vgl. zuletzt Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (559 f.); siehe fernerZe<strong>der</strong>, Europarecht 2013, 454_____________________________________________________________________________________458<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________über die Übergangsbestimmungen 47 und wird folglich mitWirkung zum 1.12.2014 aus dem acquis im Bereich <strong>der</strong> polizeilichenund justiziellen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachen aussteigen.Allerd<strong>in</strong>gs will das Vere<strong>in</strong>igte Königreich um diefortdauernde Beteiligung an etlichen zentralen Regelwerkenersuchen (Art. 10 Abs. 5 S. 1 Protokoll Nr. 36). H<strong>in</strong>sichtlichdem Schengen-acquis unterfallenden Legislativmaßnahmenist hierzu e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>stimmiger Beschluss des Rates erfor<strong>der</strong>lich; 48h<strong>in</strong>sichtlich sonstiger Legislativmaßnahmen nach e<strong>in</strong>em „Pr<strong>in</strong>zip()<strong>der</strong> ̦offenen Tür̒ “ 49 allerd<strong>in</strong>gs nur e<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>der</strong>Kommission, ggf. unter Erlass von Übergangsvorschriften. 50Neben <strong>der</strong> „no. 1 priority“ – dem <strong>Europäischen</strong> Haftbefehl 51– will sich das Vere<strong>in</strong>igte Königreich auch zukünftig an denweiteren Maßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicherEntscheidungen <strong>in</strong> Strafsachen 52 , an den Maßnah-47 ABl. EU 2012 Nr. C 326, S. 322.48 Art. 10 Abs. 5 S. 2 Alt. 1 Protokoll Nr. 36 i.V.m. Art. 4Protokoll Nr. 19 über den <strong>in</strong> den Rahmen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> e<strong>in</strong>bezogenen Schengen-Besitzstand, ABl. EU 2012Nr. C 326, S. 290.49 Blanke, <strong>in</strong>: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht <strong>der</strong><strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong>, 46. Lfg., Stand: Oktober 2011, Art. 331AEUV Rn. 2.50 Art. 10 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 Protokoll Nr. 36 i.V.m. Art. 4Protokoll Nr. 21 über die Position des Vere<strong>in</strong>igten Königreichsund Irlands h<strong>in</strong>sichtlich des Raums <strong>der</strong> Freiheit, <strong>der</strong> Sicherheitund des Rechts, ABl. EU 2012 Nr. C 326, S. 295 i.V.m.Art. 331 Abs. 1 AEUV.51 Rahmenbeschluss des Rates v. 13.6.2002 über den <strong>Europäischen</strong>Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen denMitgliedstaaten (ABl. EG 2002 Nr. L 190, S. 1 i.d.F. CONS-LEG 2002F0584 v. 28.3.2009).52 Namentlich: Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 überdie Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellungvon Vermögensgegenständen o<strong>der</strong> Beweismitteln<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (ABl. EU 2003 Nr. L 196, S. 45); Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates v. 24.2.2005über die Anwendung des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigenAnerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ABl. EU2005 Nr. L 76, S. 16 i.d.F. CONSLEG 2005F0214 v.28.3.2009); Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 überdie Anwendung des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigen Anerkennungauf E<strong>in</strong>ziehungsentscheidungen (ABl. EU 2006Nr. L 328, S. 59 i.d.F. CONSLEG 2006F0783 v. 28.3.2009); Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates v. 27.11.2008über die Anwendung des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigenAnerkennung auf Urteile <strong>in</strong> Strafsachen, durch die e<strong>in</strong>efreiheitsentziehende Strafe o<strong>der</strong> Maßnahme verhängt wird,für die Zwecke ihrer Vollstreckung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> (ABl. EU 2008 Nr. L 327, S. 27 i.d.F. CONSLEG2008F0909 v. 28.3.2009); sowie Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates v. 27.11.2008über die Anwendung des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigenAnerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungenmen zur Erleichterung des Informationsaustauschs 53 – allerd<strong>in</strong>gsohne „Prüm“ 54 –, an Eurojust <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>der</strong>zeitigen Gestalt55 , an Europol 56 , an Geme<strong>in</strong>samen Ermittlungsgruppen 57sowie am SDÜ beteiligen. Unter Berücksichtigung <strong>der</strong>jenigenMaßnahmen, zu denen das Vere<strong>in</strong>igte Königreich unter neuemPrimärrecht bereits se<strong>in</strong> „opt-<strong>in</strong>“ erklärt hat – vorrangig zuerwähnen ist hier die Europäische Ermittlungsanordnung <strong>in</strong>Strafsachen 58 – beträfe e<strong>in</strong> „opt-out“ solcher Ausprägungdaher vorrangig vier Aspekte: erstens Maßnahmen <strong>der</strong> Harmonisierung des materiellenStrafrechts – diese s<strong>in</strong>d jedoch zum<strong>in</strong>dest größtenteils bereitsim Recht des Vere<strong>in</strong>igten Königreichs umgesetzt,wären <strong>in</strong> Zukunft allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr „verste<strong>in</strong>ert“ –;im H<strong>in</strong>blick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmenund alternativen Sanktionen (ABl. EU 2008 Nr. L337, S. 102 i.d.F. CONSLEG 2008F0947 v. 28.3.2009).53 Namentlich: SIS II; Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006über die Vere<strong>in</strong>fachung des Austauschs von Informationenund Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden<strong>der</strong> Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (ABl. EU2006 Nr. L 386, S. 89 i.d.F. CONSLEG 2006F0960 v.30.12.2006); Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates v. 27.11.2008über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen<strong>der</strong> polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachenverarbeitet werden (ABl. EU 2008 Nr. L 350, S. 60); Rahmenbeschluss 2009/315/JI des Rates v. 26.2.2009 überdie Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationenaus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten(ABl. EU 2009 Nr. L 93, S. 23) nebst Beschl.2009/316/JI des Rates v. 6.4.2009 zur E<strong>in</strong>richtung des <strong>Europäischen</strong>Strafregister<strong>in</strong>formationssystems (ECRIS) gem.Artikel 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (ABl. EUNr. L 93, S. 33) sowie den hiermit thematisch zusammenhängenden Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates v. 24.7.2008 zurBerücksichtigung <strong>der</strong> <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> ergangenen Verurteilungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuenStrafverfahren (ABl. EU Nr. L 220, S. 32).54 Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>ezur Bekämpfung des Terrorismus und <strong>der</strong> grenzüberschreitendenKrim<strong>in</strong>alität (ABl. EU 2008 Nr. L 210, S. 1); siehehierzu noch unten V. 4.55 Beschluss des Rates v. 28.2.2002 über die Errichtung vonEurojust zur Verstärkung <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong> schweren Krim<strong>in</strong>alität(ABl. EG 2002 Nr. L 63, S. 1 i.d.F. CONSLEG2002D0187 v. 4.6.2009).56 Beschluss des Rates v. 6.4.2009 zur Errichtung des <strong>Europäischen</strong>Polizeiamts (Europol), ABl. EU 2009 Nr. L 121, S. 37.57 Rahmenbeschluss des Rates v. 13.6.2002 über geme<strong>in</strong>sameErmittlungsgruppen („Jo<strong>in</strong>t Investigation Teams“; ABl. EG2002 Nr. L 162, S. 1).58 Siehe hierzu unten V. 2._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com459


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________Richtl<strong>in</strong>ie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen dief<strong>in</strong>anziellen Interessen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> gerichtetemBetrug 70 dienenden Straftaten zu entnehmen seien (Art. 2 lit. b,Art. 12 VO-E EPPO). Liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt auf e<strong>in</strong>er solchenStraftat, erstreckt sich die Zuständigkeit <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong>Staatsanwaltschaft auch auf an<strong>der</strong>e hiermit „untrennbar“ verbundeneStraftaten (Art. 13 VO-E EPPO). Die EuropäischeStaatsanwaltschaft soll im Rahmen ihrer Zuständigkeit „allesachdienlichen Beweise, belastende wie entlastende“ ermitteln(Art. 11 Abs. 5 VO-EPPO).Die Europäische Staatsanwaltschaft soll unabhängig (Art. 5VO-E EPPO), aber hierarchisch aufgebaut se<strong>in</strong> (Art. 6 VO-EEPPO). Sie wird geleitet von e<strong>in</strong>em weisungsbefugten <strong>Europäischen</strong>Staatsanwalt und vier Stellvertretern, die jeweils füracht Jahre – ohne Verlängerungsmöglichkeit – vom Rat mitZustimmung des <strong>Europäischen</strong> Parlaments gewählt werden(Art. 8, Art. 9 VO-E EPPO). H<strong>in</strong>zu treten je Mitgliedstaat m<strong>in</strong>destense<strong>in</strong>, vom <strong>Europäischen</strong> Staatsanwalt aus e<strong>in</strong>er „Dreierliste“ausgewählter, „Abgeordneter Europäischer Staatsanwalt“(Art. 10 VO-E EPPO); dieser darf – soweit ke<strong>in</strong>e konkretenInkompatibilitäten bestehen – parallel weiter als e<strong>in</strong>zelstaatlicherStaatsanwalt tätig se<strong>in</strong>.Nach förmlicher E<strong>in</strong>leitung von Ermittlungen (Art. 16VO-E EPPO) obliegt dem Europäischem Staatsanwalt bzw.dem o<strong>der</strong> den von ihm bestimmten (siehe auch Art. 18 Abs. 5VO-E EPPO) „Abgeordneten <strong>Europäischen</strong> Staatsanwälten“die Führung des Ermittlungsverfahrens (Art. 18 VO-EEPPO). Hierzu können sie auch den zuständigen Strafverfolgungsbehördendes jeweiligen Mitgliedstaats Weisungenerteilen (Art. 18 Abs. 1 S. 2 VO-E EPPO). In europäischtransnatio-nalenFällen s<strong>in</strong>d die Ermittlungen „<strong>in</strong> enger Abstimmungmit dem Abgeordneten <strong>Europäischen</strong> Staatsanwalt“des an<strong>der</strong>en Mitgliedstaats zu führen (Art. 18 Abs. 2 S. 1VO-E EPPO). Den nationalen Strafverfolgungsbehörden verbleibtalle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e eng begrenzte Eilkompetenz (Art. 17 VO-EEPPO).Im „e<strong>in</strong>heitliche(n) Rechtsraum“, <strong>der</strong> „(f)ür die Zwecke <strong>der</strong>Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong>Staatsanwaltschaft“ gebildet wird (Art. 25 Abs. 1 VO-EEPPO), stehen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft umfangreicheErmittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erListe kurz benannt werden (Art. 26 Abs. 1 VO-E EPPO) undzu welchen u.a. e<strong>in</strong>e Telekommunikationsüberwachung, e<strong>in</strong>everdeckte akustische und optische Überwachung außerhalbvon Wohnungen und auch die Vorlage von relevanten Gegenständen,Schriftstücken und Daten (sog. production or<strong>der</strong>)ggf. e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong>en Entschlüsselung (sog. decryption or<strong>der</strong>)gehören. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dassdiese Maßnahmen durch die Europäische Staatsanwaltschaftangewendet werden können (Art. 26 Abs. 2 VO-E EPPO).Dies würde <strong>in</strong> Deutschland etwa zu e<strong>in</strong>er Ausdehnung <strong>der</strong>Katalogtaten <strong>in</strong> § 100a Abs. 2 StPO und h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> decryptionor<strong>der</strong>s zu Konflikten mit dem Grundsatz <strong>der</strong> Selbstbelastungsfreiheit(nemo tenetur) führen. Nationale Richtervorbehaltewerden beachtet (Art. 26 Abs. 5 VO-E EPPO), fürgravieren<strong>der</strong>e Ermittlungsmaßnahmen sogar vorgeschrieben70 Siehe unten III. 1.(Art. 26 Abs. 4 VO-E EPPO). Der Ermittlungsmaßnahme musse<strong>in</strong> „vernünftiger Grund“ zugrunde liegen; das Ziel <strong>der</strong> Maßnahmedarf nicht „mit weniger e<strong>in</strong>greifenden Mitteln erreichtwerden“ können (Art. 26 Abs. 3 VO-E EPPO). Weitere Detailfragenzu Ermittlungsmaßnahmen, soweit sie nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong>Verordnung selbst geregelt s<strong>in</strong>d, seien dem e<strong>in</strong>zelstaatlichenRecht, „<strong>in</strong> dem die Ermittlung o<strong>der</strong> Strafverfolgungsmaßnahmedurchgeführt wird“, zu entnehmen (Art. 11 Abs. 3 VO-EEPPO). Der <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft sollen des Weiterenumfangreiche Befugnisse zum Zugriff auf behördlichgeführte Datenbanken e<strong>in</strong>geräumt werden (Art. 20 f. VO-EEPPO); ferner s<strong>in</strong>d im Legislativvorschlag Vorschriften zue<strong>in</strong>em Fallbearbeitungssystem und zu Arbeitsdateien enthalten(Art. 22 ff. VO-E EPPO).Nach dem e<strong>in</strong>zelstaatlichen Recht richtet sich die Untersuchungshaft,die von <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaftbei <strong>der</strong> zuständigen nationalen Justizbehörde beantragt werdenkann (Art. 26 Abs. 7 VO-E EPPO). Ebenfalls nach Maßgabedes nationalen Rechts soll die Europäische Staatsanwaltschaftim Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehr mit Drittstaaten tätigwerden können (Art. 59 Abs. 4 VO-E EPPO); <strong>der</strong> Abschlussvon spezifischen Auslieferungs- und Rechtshilfeverträgen richtetsich gem Art. 59 Abs. 3 VO-E EPPO nach den allgeme<strong>in</strong>enRegelungen <strong>in</strong> Art. 218 AEUV. Für die gerichtliche Kontrollewird f<strong>in</strong>giert, dass es sich bei <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaftum e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelstaatliche Behörde handelt (Art. 36Abs. 1 VO-E EPPO).Über die Anklageerhebung vor den e<strong>in</strong>zelstaatlichen Gerichtenentscheidet <strong>der</strong> Europäische Staatsanwalt (Art. 27Abs. 2 VO-E EPPO); dabei wählt er „unter Beachtung“ e<strong>in</strong>esKriterienkatalogs das Prozessgericht aus (Art. 27 Abs. 4 VO-E EPPO). Vor diesem Gericht haben <strong>der</strong> Europäische Staatsanwaltund die Abgeordneten <strong>Europäischen</strong> Staatsanwälte„die gleichen Befugnisse wie e<strong>in</strong>zelstaatliche Staatsanwälte,<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Befugnis, vor Gericht zu plädieren, an <strong>der</strong>Beweisaufnahme teilzunehmen und die zur Verfügung stehendenRechtsbehelfe e<strong>in</strong>zulegen“ (Art. 27 Abs. 1 AEUV). Dievon <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft beigebrachten Beweismittelsollen vor jedem Gericht „ohne Validierung o<strong>der</strong>e<strong>in</strong> sonstiges rechtliches Verfahren zulässig“ se<strong>in</strong>, d.h. e<strong>in</strong>gebrachtwerden können, solange sich dies „nach Auffassungdes Gerichts nicht negativ auf die Fairness des Verfahrenso<strong>der</strong> die Verteidigungsrechte auswirken würde, wie sie <strong>in</strong> denArtikeln 47 und 48 <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Grundrechte <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> verankert s<strong>in</strong>d“ (Art. 30 Abs. 1 VO-E EPPO); <strong>in</strong><strong>der</strong> Würdigung dieser Beweismittel s<strong>in</strong>d die Gerichte frei(Art. 30 Abs. 2 VO-E EPPO). Als Alternativen zu e<strong>in</strong>er Anklageerhebungstehen dem <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaftdie E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens – bei Verfahrensh<strong>in</strong><strong>der</strong>nissen,bei Mangel an Beweisen o<strong>der</strong> bei Vorliegen e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gfügigenStraftat (Art. 28 VO-E EPPO) – sowie e<strong>in</strong> Vergleich (engl.„transaction“) zur Verfügung (Art. 29 VO-E EPPO). NachAusgleich des Schadens und Zahlung e<strong>in</strong>er pauschalen Geldstrafean die EU kann auf jener Grundlage das Verfahren e<strong>in</strong>gestelltwerden, ohne dass <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong>e gerichtliche Kontrolleerfolgen würde (Art. 29 Abs. 4 VO-E EPPO); im Übrigen istalle<strong>in</strong> erfor<strong>der</strong>lich, dass e<strong>in</strong> solcher Vergleich <strong>der</strong> „geordnetenRechtspflege dienen würde“ (Art. 29 Abs. 1 S. 1 VO-E EPPO)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com461


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________Auch das wirft <strong>in</strong> Deutschland erhebliche verfassungsrechtlicheFragen auf.Neben dem europäischen Grundkonsens an Verfahrensgarantien,wie sie sich aus <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Grundrechte ergeben(Art. 32 Abs. 1 VO-E EPPO), und den bereits europäisiertenVerfahrensrechten – Dolmetschleistungen 71 , Belehrungund Aktene<strong>in</strong>sicht 72 , Rechtsbeistand und Benachrichtigung 73(Art. 32 Abs. 2 lit. a bis c VO-E EPPO) – wird den Beschuldigtendas Recht auf Aussageverweigerung und die Unschuldsvermutung(Art. 32 Abs. 2 lit. d <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Art. 33VO-E EPPO), auf Prozesskostenhilfe (Art. 32 Abs. 2 lit. e <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung mit Art. 34 VO-E EPPO) sowie e<strong>in</strong> Beweisantragsrecht(Art. 32 Abs. 2 lit. f <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Art. 35VO-E EPPO) e<strong>in</strong>geräumt. Die letztgenannten, noch nicht europäisiertenVerfahrensrechte richten sich jeweils nach deme<strong>in</strong>zelstaatlichen Recht.Regelungen zur E<strong>in</strong>ziehung (Art. 31 VO-E EPPO), zumDatenschutz (Art. 37 ff. VO-E EPPO), F<strong>in</strong>anz- und Personalvorschriften(Art. 48 ff. VO-E EPPO), allgeme<strong>in</strong>e Vorschriften– etwa zur Sprachenregelung und zur Rechtsstellung <strong>der</strong><strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft – (Art. 62 ff. VO-E EPPO)sowie Schlussbestimmungen (Art. 71 ff. VO-E EPPO) rundenden Legislativvorschlag ab.c) Positionierung des Rates und <strong>der</strong> MitgliedstaatenE<strong>in</strong>e erste öffentliche Aussprache auf <strong>der</strong> 3260. Sitzung desRats <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – Justiz und Inneres – am7./8.10.2013 ergab, dass die Mitgliedstaaten zwar nicht demZiel <strong>der</strong> Errichtung e<strong>in</strong>er <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft,wohl aber dem von <strong>der</strong> Kommission gewählten Weg undauch dem Zeitpunkt kritisch gegenüberstehen: schließlich habesich we<strong>der</strong> Eurojust noch das europäisierte Kooperationsrechtvollständig entfalten können (siehe etwa AT, HU). E<strong>in</strong>igeMitgliedstaaten waren allerd<strong>in</strong>gs zu e<strong>in</strong>er Positionierungnoch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, weil <strong>in</strong>nerstaatliche Konsultationennoch nicht abgeschlossen waren; <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländische Vertreterwies ergänzend darauf h<strong>in</strong>, dass das dortige Parlament –wie <strong>in</strong>zwischen etliche an<strong>der</strong>e Parlamente auch – bereits e<strong>in</strong>eSubsidiaritätsrüge erhoben habe.Etliche Mitgliedstaaten bevorzugen anstelle e<strong>in</strong>es solchenhierarchischen Systems e<strong>in</strong> horizontales, College-basiertesSystem vergleichbar Eurojust (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e CY, CZ, DE,ES, FI, FR, HR, PL, tendenziell auch MT, SI); <strong>der</strong> von <strong>der</strong>Kommission verfolgte Ansatz wird nur von e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>genAnzahl von Mitgliedstaaten unterstützt (etwa BG, GR, RO).In diesem Kontext wird auch diskutiert, welche Befugnisse<strong>der</strong> Zentralstelle und welche den „Abgeordneten <strong>Europäischen</strong>Staatsanwälten“ zugewiesen werden sollen. 7471 Richtl<strong>in</strong>ie 2010/64/EU des <strong>Europäischen</strong> Parlaments unddes Rates v. 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungenund Übersetzungen <strong>in</strong> Strafverfahren (ABl. EU 2010Nr. L 280, S. 1).72 Richtl<strong>in</strong>ie 2012/13/EU des <strong>Europäischen</strong> Parlaments unddes Rates v. 22.5.2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung<strong>in</strong> Strafverfahren (ABl. EU 2012 Nr. L 142, S. 1).73 Siehe hierzu unten IV. 1.74 Ausführliche Darstellung <strong>in</strong> Ratsdok. 14914/13.Unterstützung fand die Beschränkung <strong>der</strong> materiellen Zuständigkeitauf die sog. PIF-Delikte (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e DE, FI;CY wies zudem auf die problematische Rechtsgrundlage fürdie Verfolgung zusammenhängen<strong>der</strong> Straftaten nach Art. 13VO-E EPPO); <strong>in</strong>des befürworten e<strong>in</strong>ige Mitgliedstaaten e<strong>in</strong>auf Komplementarität und Subsidiarität beruhendes Systemgeteilter Zuständigkeiten anstelle e<strong>in</strong>er ausschließlichen Zuständigkeit<strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft (u.a. CY,HR, HU, IT, PL; a.A. GR, BG). Etliche Mitgliedstaaten wünschene<strong>in</strong>e Beteiligung möglichst vieler Mitgliedstaaten, anstellee<strong>in</strong>er vorschnellen verstärkten Zusammenarbeit (<strong>in</strong>sb.BG, DE, ES, FI, FR, LV); auf die beson<strong>der</strong>en Vorbehalte desVere<strong>in</strong>igten Königreichs und auch Dänemarks sei aber h<strong>in</strong>gewiesen.Allgeme<strong>in</strong> wurde auf die Notwendigkeit h<strong>in</strong>gewiesen,vorsichtig und umsichtig diesen sensiblen Vorschlag zudiskutieren; auch dies spricht für langwierige Verhandlungenim Rat.3. Eurojust 75Der Vorschlag für e<strong>in</strong>e Verordnung des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates betreffend die Agentur <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> für justizielle Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachen (Eurojust)76 sieht vor, die Zuständigkeit von Eurojust nunmehr unabhängigvon <strong>der</strong> Zuständigkeit von Europol zu def<strong>in</strong>ieren;auch s<strong>in</strong>d die im Zusammenhang stehenden Straftaten näherdef<strong>in</strong>iert (Art. 3 VO-E Eurojust). Die operativen Aufgaben undBefugnisse von Eurojust sollen neu gefasst werden (Art. 4VO-E Eurojust). Bei <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> operativen Befugnisseist e<strong>in</strong>e Stärkung <strong>der</strong> nationalen Mitglie<strong>der</strong> im Verhältniszum Kollegium zu verzeichnen (Art. 5 VO-E Eurojust);auch im Übrigen soll <strong>der</strong> Status <strong>der</strong> nationalen Mitglie<strong>der</strong>verstärkt werden (Art. 7 ff. VO-E Eurojust). Die <strong>in</strong> Art. 19 ff.VO-E Eurojust geregelten operativen Fragen von Eurojustunterteilen sich <strong>in</strong> den Koord<strong>in</strong>igerungsdauerdienst (Art. 19VO-E Eurojust), die nationalen Eurojust-Koord<strong>in</strong>ierungssysteme(Art. 20) und den Informationsaustausch (Art. 21 f.VO-E Eurojust), e<strong>in</strong>schließlich des Fallbearbeitungssystemsund <strong>der</strong> Arbeitsdateien (Art. 24 ff. VO-E Eurojust). Nebenden Regelungen des Datenschutzes (Art. 27 ff. VO-E Eurojust)dürfte die Vorschrift über den Datenaustausch mit Drittlän<strong>der</strong>nund <strong>in</strong>ternationalen Organisationen (Art. 45 VO-EEurojust) Konfliktpotential bergen, da <strong>der</strong>selbe Regelungsentwurf<strong>in</strong> <strong>der</strong> im Gesetzgebungsverfahren bef<strong>in</strong>dlichen Europol-Verordnungzu Bedenken geführt hat. 77E<strong>in</strong> erstes Stimmungsbild im Rat zeigte auch h<strong>in</strong>sichtlichdieses Vorschlags erhebliche Vorbehalte: Eurojust sei nochnicht die nötige Zeit gegeben worden, sich unter dem geän<strong>der</strong>tenEurojust-Beschluss 78 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis zu bewähren. Auchsei die Evaluierung nach Art. 41a Eurojust-Beschluss ebensowie die sechste Evaluationsrunde auf Grundlage <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>-75 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (942 f.).76 KOM (2013) 535 endg. v. 17.7.2013.77 Siehe unten II. 5.78 Beschluss des Rates v. 28.2.2002 über die Errichtung vonEurojust zur Verstärkung <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong> schweren Krim<strong>in</strong>alität(ABl. EG 2002 Nr. L 63, S. 1 i.d.F. CONSLEG2002D0187 v. 4.6.2009)._____________________________________________________________________________________462<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________samen Maßnahme 97/823/JI, 79 welche die Implementierungvon Eurojust und des EJN <strong>in</strong> den Mitgliedstaaten zum Gegenstandhat, 80 abzuwarten.4. OLAF 81Die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des <strong>Europäischen</strong>Parlaments und des Rates vom 11.9.2013 über dieUntersuchungen des <strong>Europäischen</strong> Amtes für Betrugsbekämpfung(OLAF) und zur Aufhebung <strong>der</strong> Verordnung (EG)Nr. 1073/1999 des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Ratesund <strong>der</strong> Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates 82 istzum 1.10.2013 <strong>in</strong> Kraft getreten.Zugleich zu den Legislativmaßnahmen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong>Errichtung e<strong>in</strong>er <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft legte dieKommission auch e<strong>in</strong>e Mitteilung vor betreffend e<strong>in</strong>er Verbesserung<strong>der</strong> OLAF-Governance und Stärkung <strong>der</strong> Verfahrensgarantienbei OLAF-Untersuchungen: E<strong>in</strong> schrittweiserAnsatz zur Begleitung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong>Staatsanwaltschaft. 83 Dar<strong>in</strong> weist sie auf die „begrenztereRolle“ h<strong>in</strong>, die OLAF nach E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er <strong>Europäischen</strong>Staatsanwaltschaft zukommen wird, da es „nur noch e<strong>in</strong>eerste Bewertung <strong>der</strong> Stichhaltigkeit <strong>der</strong> ihm vorliegendenBehauptungen vornehmen“ kann, im Übrigen aber nur „aufErsuchen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Staatsanwaltschaft dieser Hilfestellungleisten“ darf. Dar<strong>in</strong> sei e<strong>in</strong>e „grundlegende Verlagerungvon adm<strong>in</strong>istrativen Untersuchungen zu gerichtlichenErmittlungen“ (Hervorhebung dort) zu sehen. Dies wird e<strong>in</strong>eAktualisierung des OLAF-Rechtsrahmens erfor<strong>der</strong>lich machen;diesbezügliche Legislativmaßnahmen wird die Kommission„zu gegebener Zeit [...] vorlegen“. Die Kommission hältzudem e<strong>in</strong>e Ausweitung <strong>der</strong> Verfahrensgarantien und e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>stitutionelle Stärkung <strong>der</strong> Gewährleistung dieser Garantiendurch e<strong>in</strong>e „Stelle zur ‚Kontrolle <strong>der</strong> Verfahrensgarantien‘“für erwägenswert.5. Europol; CEPOL 84Am 27.3.2013 legte die Kommission e<strong>in</strong>en Vorschlag füre<strong>in</strong>e Verordnung des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Ratesüber die Agentur <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> für die Zusammen-79 Geme<strong>in</strong>same Maßnahme v. 5.12.1997 – vom Rat aufgrundvon Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische <strong>Union</strong> angenommen– betreffend die Schaffung e<strong>in</strong>es Mechanismus fürdie Begutachtung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelstaatlichen Anwendung und Umsetzung<strong>der</strong> zur Bekämpfung <strong>der</strong> organisierten Krim<strong>in</strong>alitäte<strong>in</strong>gegangenen <strong>in</strong>ternationalen Verpflichtungen (ABl. EG 1997Nr. L 344, S. 7).80 Siehe hierzu Vogel, <strong>in</strong>: Böse (Hrsg.), Europäisches Strafrechtmit polizeilicher Zusammenarbeit, 2013, § 26 Rn. 27 f.81 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (561); siehe fernerL<strong>in</strong>genthal, Zeitschrift für europarechtliche Studien 2012, 195.82 ABl. EU 2013 Nr. L 248, S. 1.83 KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013.84 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (943); siehe fernerDick, ZRP 2013, 117; Albrecht, Europarecht 2012, 230; monographischSchoppa, Europol im Verbund <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong>Sicherheitsagenturen, 2013.arbeit und die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet <strong>der</strong>Strafverfolgung (Europol) und zur Aufhebung <strong>der</strong> Beschlüsse2009/371/JI und 2005/681/JI des Rates 85 sowie e<strong>in</strong>e begleitendeMitteilung <strong>der</strong> Kommission an das Europäische Parlament,den Rat, den <strong>Europäischen</strong> Wirtschafts- und Sozialausschussund den Ausschuss <strong>der</strong> Regionen über e<strong>in</strong> EuropäischesFortbildungsprogramm für den Bereich Strafverfolgung 86vor. Der von <strong>der</strong> Kommission vorgesehene, neue Rechtsrahmensieht vor, die Europäische Polizeiakademie (CEPOL)und <strong>der</strong>en Tätigkeiten zu Europol zu verlagern. Der straftatverhütendeund strafverfolgende Tätigkeitsbereich von Europolwird durch Art. 3 Abs. 1 VO-E Europol nur grob umrissen,<strong>in</strong> Anhang 1 durch e<strong>in</strong>e längliche Liste von Delikten undDeliktsbereichen näher spezifiziert. Zur Erfüllung dieser Aufgabensoll Europol nach Vorstellung <strong>der</strong> Kommission nochstärker als bisher als „Drehkreuz“ des Informationsaustauschsfungieren. So soll zu den Aufgaben Europols gehören, Informationenzu erheben, zu speichern, zu verarbeiten, zu analysierenund auszutauschen (Art. 4 Abs. 1 lit. a VO-E Europol);dies wird flankiert durch umfassende Mitteilungspflichten <strong>der</strong>Mitgliedstaaten an Europol (Art. 7 Abs. 5 lit. a VO-E Europol).Als Datenquellen stehen Europol zwar grundsätzlich nuröffentlich zugängliche Quellen, von Mitgliedstaaten erhobenesowie von europäischen o<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Stellen bereitgestellteDaten zur Verfügung (Art. 23 VO-E Europol), so dassEuropol Daten beim Betroffenen selbst nicht erheben darf,<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e nicht durch eigene (verdeckte) Ermittlungen.Diese Daten sollen für spezifische operative Analysen (Art. 24Abs. 1 lit. c VO-E Europol), für strategische Analysen (Art. 24Abs. 1 lit. b VO-E Europol), aber auch für sog. data m<strong>in</strong><strong>in</strong>g(Art. 24 Abs. 1 lit. a VO-E Europol) zur Verfügung stehen.Die Mehrheit <strong>der</strong> Mitgliedstaaten sieht die Verschmelzungvon CEPOL mit Europol kritisch, da sie fürchten, dieAus- und Fortbildung könnte zu e<strong>in</strong>em bloßen Annex <strong>der</strong>Tätigkeit von Europol degenerieren. Noch vor <strong>der</strong> F<strong>in</strong>alisierungdieses Gesetzgebungsverfahrens soll ohneh<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>emWunsch des Vere<strong>in</strong>igten Königreichs folgend, <strong>der</strong> Sitz vonCEPOL von Bramshill (UK) nach Budapest (HU) verlagertwerden. Des Weiteren s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Mitgliedstaaten besorgt,dass Europol durch die schiere Masse an zu übermittelndenInformationen überfor<strong>der</strong>t werden könnte. 87Zudem wurde nun auch die Frage <strong>der</strong> Zusammenarbeitmit Drittstaaten und Internationalen Organisationen aufgeworfen:88 Bislang ist für den Abschluss von Abkommen zwischenEuropol und <strong>in</strong>ternationalen Partnern e<strong>in</strong> Ratsbeschlussausreichend, aber auch notwendig; im Durchschnitt dauerte<strong>in</strong> solches Verfahren zum Abschluss e<strong>in</strong>es strategischen Abkommens14 Monate, für operationelle Abkommen drei Jahre.Art. 31 Abs. 1 lit. a, lit. b VO-E Europol sieht, soweit personenbezogeneDaten mit <strong>in</strong>ternationalen Partnern ausgetauschtwerden sollen, h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> aufwändigeres Verfahren vor; Abkommenwären dann auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en85 KOM (2013) 173 endg. v. 27.3.2013.86 KOM (2013) 174 endg. v. 27.3.2013.87 Ratsdok. 8899/13 LIMITE; Ratsdok. 10213/13.88 Ratsdok. 13702/13._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com463


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________primärrechtlichen Vorschrift (Art. 218 AEUV) abzuschließen.Dies erachten zum<strong>in</strong>dest Teile des Rates als h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich.6. Europäisches Justizielles NetzDie Zusammenarbeit zwischen dem <strong>Europäischen</strong> JustiziellenNetz (EJN) und dem E-Justiz-Projekt s<strong>in</strong>d Gegenstand vonSchlussfolgerungen des Rates, die er im Oktober 2013 angenommenhat. Wenn auch das Internet-Angebot des EJN 89 zukünftig<strong>in</strong> das allgeme<strong>in</strong>e E-Justiz-Portal e<strong>in</strong>gebettet werdensoll, wird das EJN auch zukünftig „für se<strong>in</strong>e eigenen Informationsseitenweiterh<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> verantwortlich se<strong>in</strong>.“III. Materielles Strafrecht1. Schutz <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Interessen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> 90Zwischen Kommission und Rat ist e<strong>in</strong> Streit darüber entbrannt,ob <strong>der</strong> Vorschlag für e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong>Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfungvon gegen die f<strong>in</strong>anziellen Interessen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> gerichteten Betrug 91 auf die Rechtsgrundlage desArt. 325 Abs. 4 AEUV – so die Kommission – o<strong>der</strong> aber aufArt. 83 Abs. 2 AEUV – so <strong>der</strong> Rat – zu stützen sei. Der Kommissionzufolge ist Art. 325 Abs. 4 AEUV lex specialis zuArt. 83 Abs. 2 AEUV; dem Rat und e<strong>in</strong>em Gutachten se<strong>in</strong>esjuristischen Dienstes 92 zufolge ist Art. 83 Abs. 2 AEUV lexspecialis zu Art. 325 Abs. 4 AEUV. Das Gutachten stütztsich dabei zunächst auf die Erwägung, dass die Streichung<strong>der</strong> zuvor <strong>in</strong> Art. 280 EGV a.F. enthaltenen Strafrechtsklausel(„Die Anwendung des Strafrechts <strong>der</strong> Mitgliedstaaten undihre Strafrechtspflege bleiben von diesen Maßnahmen unberührt.“)<strong>in</strong> Art. 325 Abs. 4 AEUV nicht über<strong>in</strong>terpretiert werdendürfe. Diese Streichung sei vielmehr systematisch zumebenfalls durch den Vertrag von Lissabon neu e<strong>in</strong>gefügtenArt. 83 Abs. 2 AEUV zu sehen, <strong>der</strong> für sämtliche strafrechtlicheHarmonisierungsmaßnahmen e<strong>in</strong>e Spezialregelung enthalte.Dass Art. 325 Abs. 4 AEUV e<strong>in</strong>e lex specialis sei,mittels <strong>der</strong>er von den strafrechtsspezifischen Vorgaben abgewichenwerden dürfe, sei aus dem Wortlaut nicht ersichtlichund überzeuge auch systematisch nicht, da „sich dieseArgumentation virtuell auf alle an<strong>der</strong>en Ermächtigungsbestimmungenausdehnen [ließe], wodurch Artikel 83 Absatz 2AEUV jede praktische Anwendbarkeit genommen würde“. 93Die Konsequenzen dieses Streits s<strong>in</strong>d beachtlich, da dieRechtsgrundlage Art. 83 Abs. 2 AEUV dazu führen würde,dass diese Richtl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> den Anwendungsbereich des sog.Notbremsemechanismus (Art. 83 Abs. 3 AEUV) fiele und dieräumliche Anwendbarkeit jedenfalls für Dänemark, ggf. aberauch für Irland und für das Vere<strong>in</strong>igte Königreich nicht gegebenwäre.Die allgeme<strong>in</strong>e Ausrichtung des Rates sieht vor, den Anwendungsbereich<strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie (Art. 1) im Vergleich zumKommissionsvorschlag auf e<strong>in</strong>en strafrechtlichen Ansatz zubeschränken; ferner sollen Umsatzsteuerbetrügereien nichterfasst werden (Art. 2 S. 2). Die M<strong>in</strong>deststrafvorschriftenh<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>es Submissionsbetruges (zuvor Art. 4 Abs. 1)wurden entschärft. Ferner sieht Art. 8 anstelle <strong>der</strong> politischwie rechtlich höchst umstrittenen M<strong>in</strong>deststrafen nur vor, dassorganisiert begangene Verhaltensweisen als „erschwerendeUmstände“ zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. H<strong>in</strong>sichtlich juristischerPersonen wurde <strong>der</strong> Katalog an vorzuhaltenden Sanktionenbeibehalten; dieser lässt nach wie vor auch „non-crim<strong>in</strong>alf<strong>in</strong>es“ zu (Art. 9). Die Vorgaben zu Verjährungsregelungenwurden abgeschwächt (Art. 12).2. Angriffe auf Informationssysteme 94Das Gesetzgebungsverfahren zur Richtl<strong>in</strong>ie 2013/40/EU des<strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Rates vom 12.8.2013 überAngriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses2005/222/JI des Rates 95 konnte abgeschlossenwerden. Die Pönalisierungsverpflichtung h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>esrechtswidrigen Zugangs zu Informationssystemen (Art. 3 RL2013/40/EU) enthält nunmehr e<strong>in</strong>schränkend das Tatbestandsmerkmal<strong>der</strong> „Verletzung von Sicherungsmaßnahmen“, so dass<strong>in</strong>soweit § 202a StGB ke<strong>in</strong>er Än<strong>der</strong>ung bedarf. Ferner s<strong>in</strong>dhier und bei den Pönalisierungsverpflichtungen betreffendrechtswidriger Systeme<strong>in</strong>griff (Art. 4 RL 2013/40/EU), rechtswidrigerE<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> Daten (Art. 5 RL 2013/40/EU), rechtswidrigesAbfangen von Daten (Art. 6 RL 2013/40/EU) undTatwerkzeuge (Art. 7 RL 2013/40/EU) jeweils leichte Fälleausgenommen. Der Schwerpunkt <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie und des Umsetzungsbedarfs<strong>in</strong> Deutschland liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> differenziertenBestimmung von M<strong>in</strong>desthöchststrafen (Art. 9 Richtl<strong>in</strong>ie2013/40/EU), die bei <strong>der</strong> Tatbegehung im Rahmen e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellenVere<strong>in</strong>igung, bei Verursachung e<strong>in</strong>es schweren Schadenso<strong>der</strong> bei Angriffen gegen e<strong>in</strong>e kritische Infrastruktur(Art. 9 Abs. 4 Richtl<strong>in</strong>ie 2013/40/EU) auf e<strong>in</strong> Höchstmaß vonm<strong>in</strong>destens fünf Jahren Freiheitsstrafe zu qualifizieren ist.3. Insi<strong>der</strong>handel und Marktmanipulation 96Während h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er wertpapierrechtlichen Verordnungüber Insi<strong>der</strong>handel und Marktmanipulation 97 im Trilog zwischenKommission, Rat <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> und EuropäischemParlament bereits e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung erzielt werden konnte,98 s<strong>in</strong>d deutliche Divergenzen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie89 http://www.ejn-crimjust.europa.eu/ejn/ (31.10.2013).90 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (561 f.); siehe fernerzuletzt Brand, DRiZ 2012, 305; Kaiafa-Gbandi, EuCLR 2012,319; Krüger, HRRS 2012, 311; Sturies, HRRS 2012, 273.91 KOM (2012) 363 endg. v. 11.7.2012; siehe zuvor KOM(2011) 272 endg. v. 23.5.2011; allgeme<strong>in</strong>e Auffassung desRates <strong>in</strong> Ratsdok. 10729/13.92 Ratsdok. 15309/12.93 Ratsdok. 15309/12, S. 5.94 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (945) m.w.N.; sieheferner Buono, CRi 2013, 103.95 ABl. EU 2013 Nr. L 218, S. 8; siehe zuvor KOM (2010)517 endg. v. 30.9.2010.96 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (562 f.); siehe fernerKert, NZWiSt 2013, 252.97 Kommissionsvorschlag <strong>in</strong> KOM (2011) 651 endg. v. 20.10.2011, geän<strong>der</strong>t durch KOM (2012) 421 endg. v. 25.7.2012.98 Ratsdok. 12906/13._____________________________________________________________________________________464<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Rates über strafrechtlicheSanktionen für Insi<strong>der</strong>-Geschäfte und Marktmanipulationen99 zu verzeichnen. Der allgeme<strong>in</strong>en Ausrichtung 100 desRates zufolge sei die Pönalisierungsverpflichtung h<strong>in</strong>sichtlichInsi<strong>der</strong>handel (Art. 3) auf vorsätzlich begangene („<strong>in</strong>tentionally“)und schwere Verstöße e<strong>in</strong>zugrenzen, für die Erwägungsgrund10a die Höhe des Gew<strong>in</strong>ns, das Volumen des bemakeltenGeschäfts sowie die Auswirkungen auf die Markt<strong>in</strong>tegritätals Kriterien benennt. Ergänzt werden solle diesdurch e<strong>in</strong>e Strafvorschrift <strong>der</strong> unrechtmäßigen Verbreitungvon Insi<strong>der</strong><strong>in</strong>formationen (Art. 3a), sprich außerhalb <strong>der</strong> dafürvorgesehenen Veröffentlichungswege. Indes sei bei diesem,gefährliches Vorverhalten erfassenden Deliktstatbestand diePresse- und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit zu berücksichtigen (Art. 3aAbs. 3). Marktmanipulation sei auch nur zw<strong>in</strong>gend bei schwerenVerstößen zu <strong>in</strong>krim<strong>in</strong>ieren; Erwägungsgrund 10b führtdiese näher aus. M<strong>in</strong>desthöchststrafen o<strong>der</strong> gar M<strong>in</strong>deststrafenenthält dieser Richtl<strong>in</strong>ienvorschlag nach wie vor nicht; dievon manchen Mitgliedstaaten aufgeworfene Frage nach nebis <strong>in</strong> idem-Problematiken bei parallelen Adm<strong>in</strong>istrativ- undStrafsanktionen soll dem Rat zufolge durch die Mitgliedstaatenbei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie und <strong>der</strong> Verordnung gelöstwerden (Erwägungsgrund 15b). Der Entwurf e<strong>in</strong>er legislativenEntschließung des <strong>Europäischen</strong> Parlaments 101 vertritth<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e deutlich punitivere L<strong>in</strong>ie, die sich u.a. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erStrafbarkeit für „fahrlässig(e)“ (engl. „recklessly“) Marktmanipulationund <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung von M<strong>in</strong>desthöchststrafenäußert. Ob auf dieser Grundlage e<strong>in</strong> Kompromiss im Triloggefunden werden kann, ersche<strong>in</strong>t nach <strong>der</strong>zeitigem Standzweifelhaft.4. Betäubungsmittel 102Am 17.9.2013 legte die Kommission zwei Legislativmaßnahmenzur Betäubungsmittelkrim<strong>in</strong>alität vor, die das Ziel verfolgen,rascher auf neue psychoaktive Substanzen, die bislangnoch ke<strong>in</strong>em Verbot unterfallen (sog. „legal highs“) mit adm<strong>in</strong>istrativenund auch mit strafrechtlichen Mitteln zu reagieren.Mit e<strong>in</strong>em Vorschlag für e<strong>in</strong>e Verordnung des <strong>Europäischen</strong>Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen103 soll <strong>der</strong> Kommission die Möglichkeit gegebenwerden, abhängig von den Risiken durch e<strong>in</strong>e Entscheidunge<strong>in</strong>e vorübergehende (Art. 9 Abs. 1 VO-E) o<strong>der</strong> dauerhafte(Art. 12 Abs. 1 VO-E) Verbrauchermarktbeschränkung o<strong>der</strong>e<strong>in</strong>e dauerhafte Marktbeschränkung (Art. 13 Abs. 1 VO-E)anzuordnen; Verstöße hiergegen s<strong>in</strong>d mit wirksamen, verhältnismäßigenund abschreckenden Sanktionen zu belegen(Art. 17 Abs. 1 VO-E). Die nur bei schwerwiegenden Risikenzulässigen dauerhaften Marktbeschränkungen nach Art. 13Abs. 1 VO-E sollen zugleich aber auch als Türöffner fürstrafrechtliche Regelungen wirken: Der Vorschlag für e<strong>in</strong>eRichtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Rates zur99 Ursprünglich KOM (2011) 654 endg. v. 20.10.2011, geän<strong>der</strong>tdurch KOM (2012) 420 endg. v. 25.7.2012.100 Ratsdok. 17642/12.101 A7-0344/2012.102 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2010, 376 (381).103 KOM (2013) 619 endg. v. 17.9.2013.Än<strong>der</strong>ung des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom25.10.2004 zur Festlegung von M<strong>in</strong>destvorschriften über dieTatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafenim Bereich des illegalen Drogenhandels h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Drogendef<strong>in</strong>ition104 sieht e<strong>in</strong>e Neufassung des Art. 1 Nr. 1 Rahmenbeschluss2004/757/JI 105 vor, <strong>der</strong> dynamisch auf die jeweilsdurch Kommissionsentscheidung mit e<strong>in</strong>er dauerhaftenMarktbeschränkung belegten Substanzen verweist. Die Mitgliedstaatensollen dann jeweils b<strong>in</strong>nen maximal zwölf Monatennach Inkrafttreten e<strong>in</strong>er solchen dauerhaften Marktbeschränkunge<strong>in</strong>e strafrechtliche Durchsetzungsmöglichkeitschaffen (Art. 9 Abs. 3, Abs. 4 Rahmenbeschluss-E).5. GeldfälschungAm 5.2.2013 legte die Kommission e<strong>in</strong>en Vorschlag für e<strong>in</strong>eRichtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Rates zumstrafrechtlichen Schutz des Euro und an<strong>der</strong>er Währungen gegenGeldfälschung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses2000/383/JI des Rates vor. 106 Hervorzuheben ist hierbei,dass <strong>der</strong> ursprüngliche Kommissionsvorschlag <strong>in</strong> Art. 5 e<strong>in</strong>differenziertes Sanktionsregime mit M<strong>in</strong>deststrafen und M<strong>in</strong>desthöchststrafenvorsieht, und dass gem. Art. 9 die Mitgliedstaaten„wirksame Ermittlungs<strong>in</strong>strumente, wie sie beispielsweiseim Zusammenhang mit organisierter Krim<strong>in</strong>alität o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>en schweren Straftaten verwendet werden, zur Verfügung“stellen müssen. Erwägungsgrund 22 führt dies mit Verweisenunter an<strong>der</strong>em auf die „Überwachung des Kommunikationsverkehrs,die verdeckte Überwachung e<strong>in</strong>schließlichelektronischer Überwachung (und) die Überwachung vonKontobewegungen o<strong>der</strong> sonstige F<strong>in</strong>anzermittlungen“ näheraus. In se<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Ausrichtung hierzu 107 entschärfte<strong>der</strong> Rat <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – Justiz und Inneres – aufse<strong>in</strong>er 3260. Sitzung am 7./8.10.2013 den Kommissionsvorschlagallerd<strong>in</strong>gs dah<strong>in</strong>gehend, dass er auf M<strong>in</strong>deststrafenverzichtet und lediglich M<strong>in</strong>desthöchststrafen (Art. 5 Abs. 3)bzw. die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe (Art. 5 Abs. 2) vorschreibt.6. GeldwäscheDer von <strong>der</strong> Kommission am 5.2.2013 vorgelegte Vorschlagfür e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlament und des Rateszur Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Nutzung des F<strong>in</strong>anzsystems zum Zwecke<strong>der</strong> Geldwäsche und <strong>der</strong> Terrorismusf<strong>in</strong>anzierung (sog.104 KOM (2013) 618 endg. v. 17.9.2013.105 Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates v. 25.10.2004 zurFestlegung von M<strong>in</strong>destvorschriften über die Tatbestandsmerkmalestrafbarer Handlungen und die Strafen im Bereichdes illegalen Drogenhandels (ABl. EU 2004 Nr. L 335, S. 8).106 KOM (2013) 42 endg. v. 5.2.2013; zuvor Rahmenbeschl.2000/383/71 des Rates v. 29.5.2000 über die Verstärkung desmit strafrechtlichen und an<strong>der</strong>en Sanktionen bewehrten Schutzesgegen Geldfälschung im H<strong>in</strong>blick auf die E<strong>in</strong>führung desEuro (ABl. EU 2000 Nr. L 140, S. 1 i.d.F. CONSLEG 2000-F0383 v. 13.12.2001).107 Ratsdok. 14671/13._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com465


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________Vierte Anti-Geldwäscherichtl<strong>in</strong>ie) 108 enthält zwar vor<strong>der</strong>gründignur Vorgaben h<strong>in</strong>sichtlich adm<strong>in</strong>istrativer Maßnahmen e<strong>in</strong>schließlichAdm<strong>in</strong>istrativsanktionen (Art. 55), die allerd<strong>in</strong>gsweitergehenden strafrechtlichen Sanktionen nicht entgegenstehen(Art. 55 Abs. 2). Es drohen <strong>in</strong>des mittelbar erheblichestrafrechtliche Konsequenzen, denn die Kommission plant,noch 2013 e<strong>in</strong>e auf Art. 83 Abs. 1 AEUV gestützte strafrechtlicheHarmonisierungsmaßnahme 109 vorzulegen, die an dieseRichtl<strong>in</strong>ie anknüpfen soll. Bemerkenswert ist nämlich, dass<strong>der</strong> Vorschlag als Vortaten neben Terrorismus 110 , Betäubungsmittelkrim<strong>in</strong>alität111 , organisierte Krim<strong>in</strong>alität 112 , Betrug zumNachteil <strong>der</strong> EU 113 und Bestechung auch auf „alle Straftaten,e<strong>in</strong>schließlich Steuerstraftaten im Zusammenhang mit direktenund <strong>in</strong>direkten Steuern, die mit [...] e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafeo<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er die freiheitbeschränkenden Maßregel <strong>der</strong> Sicherungund Besserung von m<strong>in</strong>destens mehr als sechs Monatenbelegt werden können“, verweist (Art. 3 Abs. 4, Hervorhebunghier).7. Terrorismus 114Die Frage des Rechtsschutzes gegen e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>frieren von Vermögenswertenvon Individuen und Organisationen (sog. „smartsanctions“, Art. 75 AEUV) zur Austrocknung <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierungdes Terrorismus ist untrennbar mit dem Namen Yass<strong>in</strong>Abdullah Kadi verbunden; <strong>in</strong>zwischen hat se<strong>in</strong>e zweite Klagegegen se<strong>in</strong>e Listung den EuGH erreicht. Nachdem <strong>der</strong> EuGHse<strong>in</strong>er ersten Klage mit Urteil vom 3.9.2008 stattgegebenhatte, 115 wurde Kadi zwar e<strong>in</strong>e Zusammenfassung <strong>der</strong> Gründemitgeteilt, aufgrund <strong>der</strong>er <strong>der</strong> UN-Sanktionenausschuss se<strong>in</strong>eListung für erfor<strong>der</strong>lich hielt. Das EuG hielt dies jedoch fürunzureichend und hob se<strong>in</strong>e neuerliche Listung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ver-108 KOM (2013) 45 endg. v. 5.2.2013; siehe hierzu Zentes/Glaab, BB 2013, 707.109 Im <strong>der</strong>zeitigen Sekundärrecht enthält alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Rahmenbeschluss2001/500/JI des Rates v. 26.6.2001 über Geldwäschesowie Ermittlung, E<strong>in</strong>frieren, Beschlagnahme und E<strong>in</strong>ziehungvon Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten (ABl. EG2001 Nr. L 182, S. 1) e<strong>in</strong>e Geldwäsche betreffende Harmonisierungsvorschrift,die sich allerd<strong>in</strong>gs weitestgehend auf e<strong>in</strong>enVerweis auf manche Vorschriften des Übere<strong>in</strong>kommens desEuroparats von 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung,Beschlagnahme und E<strong>in</strong>ziehung von Erträgen aus Straftaten(SEV Nr. 141) beschränkt.110 I.S.d. Art. 1 bis 4 Rahmenbeschluss 2002/475/JI (ABl. EG2002 Nr. L 164, S. 3 i.d.F. CONSLEG 2002F0475 v. 8.12.2008).111 I.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. a VN-Übere<strong>in</strong>kommen gegen unerlaubtenVerkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen(BGBl. II 1993, S. 1136).112 I.S.d. Art. 1 Geme<strong>in</strong>same Maßnahme 98/733/JI (ABl. EG1998 Nr. L 351, S. 1).113 I.S.d. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Übere<strong>in</strong>kommen über denSchutz <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Interessen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Geme<strong>in</strong>schaften(ABl. EG 1995 Nr. C 316, S. 49), „zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>schweren Fällen“.114 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (944).115 EuGH, Urt. v. 3.9.2008 – C-402/05.ordnung (EG) Nr. 1190/2008 vom 28.11.2008 116 durch Urteilvom 30.9.2010 auf. 117 Hiergegen legten Kommission, Ratund das Vere<strong>in</strong>igte Königreich Rechtsmittel zum EuGH e<strong>in</strong>,welche die Große Kammer des EuGH mit Urteil vom 18.7.2013 zurückwies. 118 Zwar waren die praktischen Auswirkungendieses Rechtsstreits begrenzt, denn Kadi wurde zwischenzeitlichdurch e<strong>in</strong>e Entscheidung des UN-Sanktionsausschussesvon <strong>der</strong> Liste genommen; gleichwohl s<strong>in</strong>d die Rechtsfragen– auch h<strong>in</strong>sichtlich des Eigentumsschutzes bei e<strong>in</strong>em überzehnjährigen E<strong>in</strong>frieren von Vermögenswerten – von unverän<strong>der</strong>thohem Interesse, was auch die fortdauernde Zulässigkeitdes Verfahrens begründet.Während Generalwalt Bot <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schlussanträgen nochvertreten hatte, europäische Gerichte sollten nur h<strong>in</strong>sichtlich<strong>der</strong> „formellen Rechtmäßigkeit“ von Listungsentscheidungen„e<strong>in</strong>e normale Kontrolle durch [...] führen, während h<strong>in</strong>sichtlich<strong>der</strong> materiellen Rechtmäßigkeit dieser Verordnung e<strong>in</strong>ebeschränkte Kontrolle durchgeführt werden sollte“ 119 undsollten dem verfahrensrechtlich weiterentwickelten UN-Sanktionssystemim Geiste von Vertrauen und Kollaboration („confidenceand collaboration“) 120 begegnen, wendete sich <strong>der</strong>EuGH unter Verweis auf se<strong>in</strong>e ständige Rechtsprechung seit„Kadi I“ entschieden gegen den E<strong>in</strong>wand des Rates, Listungsentscheidungenbasierend auf dem Sanktionsregime <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>tenNationen seien nicht justiziabel. Auch hält <strong>der</strong> EuGHan e<strong>in</strong>em materiellen Prüfungsmaßstab fest. Er anerkennt abere<strong>in</strong> gewisses Geheimhaltungsbedürfnis bei sensitiven Informationen,dem er durch e<strong>in</strong> „<strong>in</strong> camera“-Verfahren Rechnungtragen möchte. 1218. Waffenkrim<strong>in</strong>alitätIn e<strong>in</strong>er Mitteilung zu „Schusswaffen und die <strong>in</strong>nere Sicherheit<strong>der</strong> EU“ 122 kündigt die Kommission an, e<strong>in</strong>e Harmonisierung<strong>der</strong> strafrechtlichen Regelungen betreffend Schusswaffendeliktezu prüfen. „Denkbar“, so die Kommission, „wärene<strong>in</strong>heitlich def<strong>in</strong>ierte Straftatbestände für die illegale Herstellungvon und den illegalen Handel mit Schusswaffen, dieManipulation von Kennzeichnungen, den illegalen Besitz vonSchusswaffen und die Absicht, Schusswaffen zu liefern“. 123116 ABl. EU 2008 Nr. L 322, S. 25.117 EuG, Urt. v. 30.9.2010 – T-85/09; siehe hierzu Brodowski,<strong>ZIS</strong> 2010, 749 (752).118 EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P m. Bespr. Beukelmann, NJW-Spezial 2013, 504.119 Schlussanträge des Generalanwalts v. 19.3.2013 – C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P, Rn. 95.120 Schlussanträge des Generalanwalts v. 19.3.2013 – C-584/10 P, C-593/10 P, C-595/10 P, Rn. 85 (engl. Fassung).121 Krit. hierzu Yang, <strong>in</strong>: Avbelj/Fontanelli/Mart<strong>in</strong>ico (Hrsg.),Kadi on Trial, A multifaceted analysis of the Kadi judgment,2014; deutsche Zusammenfassung unterhttp://www.juwiss.de/102-2013/ (31.10.2013).122 KOM (2013) 716 endg. v. 21.10.2013.123 KOM (2013) 716 endg. v. 21.10.2013, S. 19 f._____________________________________________________________________________________466<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________9. Sicherstellung und E<strong>in</strong>ziehung von Vermögen 124Der Trilog über den Vorschlag für e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong>Parlaments und des Rates über die Sicherstellungund E<strong>in</strong>ziehung von Erträgen aus Straftaten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> 125 dauert noch an. Als Anknüpfungstaten für Sicherstellungund E<strong>in</strong>ziehung dienen gem. Art. 2 nur bereitsharmonisierte Strafvorschriften, um e<strong>in</strong>e Konformität mit <strong>der</strong>gewählten Rechtsgrundlage (Art. 83 Abs. 1 AEUV) zu erreichen.Der Kommissionsvorschlag wurde im Übrigen deutlichentschärft: Zu e<strong>in</strong>er erweiterten E<strong>in</strong>ziehung (Art. 4) ist e<strong>in</strong>eÜberzeugung des Gerichts von <strong>der</strong> krim<strong>in</strong>ellen Herkunft <strong>der</strong>e<strong>in</strong>zuziehenden Vermögenspositionen vonnöten, während dieKommission hier noch e<strong>in</strong>e überwiegende Wahrsche<strong>in</strong>lichkeithatte ausreichen lassen wollen. Ferner ist die erweiterteE<strong>in</strong>ziehung nur bei „schweren“ ökonomischen Straftaten verpflichtend;aufhorchen lässt allerd<strong>in</strong>gs die auf Wunsch des<strong>Europäischen</strong> Parlaments e<strong>in</strong>gefügte Liste <strong>der</strong>jenigen Delikte,die als „schwere“ ökonomische Straftaten gelten: Neben <strong>der</strong>Herstellung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>pornographie 126 , schwere E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong><strong>in</strong>formationstechnische Systeme 127 , organisierte Krim<strong>in</strong>alität 128sollen dies auch sonstige Straftaten mit e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>desthöchststrafevon vier (!) Jahren; dies führte dazu, dass das Instrument<strong>der</strong> erweiterten E<strong>in</strong>ziehung etwa auch bei e<strong>in</strong>em Diebstahlnach § 242 Abs. 1 StGB und bei e<strong>in</strong>em Betrug nach § 263Abs. 1 StGB zur Verfügung stehen müsste.Weiterer Klärungsbedarf besteht allerd<strong>in</strong>gs noch über dieweitere Verwendung konfiszierter Vermögenswerte – das EuropäischeParlament wünscht die Möglichkeit, diese für spezifischeöffentliche und soziale Projekte e<strong>in</strong>zusetzen – undvor allem über das E<strong>in</strong>ziehungsverfahren abseits e<strong>in</strong>er strafrechtlichenVerurteilung (non-conviction based confiscation):Das Europäische Parlament for<strong>der</strong>t, dieses Verfahren auchnach dem Tod des Beschuldigten zur Verfügung zu stellen;dies hält <strong>der</strong> Rat bislang für unvere<strong>in</strong>bar mit dem Sanktionenbegriff<strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtsgrundlage <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie (Art. 83 Abs. 1AEUV) und will dieses Verfahren nur bei dauern<strong>der</strong> Verhandlungsunfähigkeito<strong>der</strong> Flucht e<strong>in</strong>geführt wissen.Angesichts <strong>der</strong> Fragmentierung des Rechtsrahmens – sowird <strong>der</strong> Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24.2.2005 über die E<strong>in</strong>ziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und124 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (563 f.); siehe fernerMaugeri, New Journal of European Crim<strong>in</strong>al Law 3 (2012)257; Vogel, <strong>in</strong>: Rui (Hrsg.), Non conviction based confiscation<strong>in</strong> Europe: human rights, effective implementation, <strong>in</strong>ternationalcooperation (im Ersche<strong>in</strong>en).125 Kommissionsvorschlag <strong>in</strong> KOM (2012) 85 endg. v. 12.3.2012; allgeme<strong>in</strong>e Ausrichtung des Rates <strong>in</strong> Ratsdok. 17287/12;Verhandlungsstand <strong>in</strong> Ratsdok. 14603/13.126 I.S.d. Art. 5 Abs. 6 Richtl<strong>in</strong>ie 2011/93/EU (ABl. EU 2011Nr. L 335, S. 1).127 I.S.d. Art. 4 und 5 Richtl<strong>in</strong>ie 2013/40/EU (ABl. EU 2013Nr. L 218, S. 8), soweit e<strong>in</strong>e signifikante Anzahl von <strong>in</strong>formationstechnischenSystem durch e<strong>in</strong> Angriffsmittel i.S.d.Art. 7 RL 2013/40/EU betroffen ist.128 I.S.d. Art. 2 Rahmenbeschluss 2008/841/JI (ABl. EU 2008Nr. L 300, S. 42), ggf. unter weiteren E<strong>in</strong>schränkungen.Vermögensgegenständen aus Straftaten 129 nur teilweise ersetzt– und aufgrund <strong>der</strong> bloß materiell-rechtlichen Ausrichtungdieser Richtl<strong>in</strong>ie for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Rat zudem die Kommissionauf, weitere (Legislativ-)Vorschläge zu unterbreiten. 130IV. Strafverfahrensrecht1. Recht auf Rechtsbeistand und Kontaktaufnahme 131Die Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Ratesüber das Recht auf Rechtsbeistand <strong>in</strong> Strafverfahren und dasRecht auf Kontaktaufnahme bei <strong>der</strong> Festnahme wurde vonbeiden Gremien bereits beschlossen; 132 die Veröffentlichungim Amtsblatt steht <strong>in</strong>des noch aus. Der Anwendungsbereich<strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie ist pr<strong>in</strong>zipiell auf Ermittlungs- und Strafverfahrenbegrenzt, die zu e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe führen können; „<strong>in</strong>Bezug auf ger<strong>in</strong>gfügige Zuwi<strong>der</strong>handlungen“ entfaltet dieRichtl<strong>in</strong>ie nur bei „Verfahren vor e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> Strafsachen zuständigenGericht“ Anwendung (Art. 2 Abs. 4); dies betrifft<strong>in</strong> Deutschland etwa Bußgeldverfahren nach dem OWiG. InVerfahren betreffend e<strong>in</strong>en <strong>Europäischen</strong> Haftbefehl ist dasRecht auf e<strong>in</strong>en Rechtsbeistand sowohl im Ausstellungs- wieauch im Vollstreckungsstaat zu gewährleisten (Art. 10).Grundsätzlich ist e<strong>in</strong> umfassen<strong>der</strong>, vertraulicher und unverzüglicher„Zugang zu e<strong>in</strong>em Rechtsbeistand“ zu gewähren,auch vor e<strong>in</strong>er ersten Beschuldigtenvernehmung (Art. 3 Abs. 1,Abs. 2, Abs. 3 lit. a). In e<strong>in</strong>er solchen Vernehmung darf <strong>der</strong>Rechtsbeistand sodann auch „wirksam“ teilnehmen; e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>passive Rolle als bloßer „Zuhörer“ genügt folglich nicht (Art. 3Abs. 3 lit. b). H<strong>in</strong>gegen ist bei Gegenüberstellungen und Tatortrekonstruktionenalle<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>em Anwesenheitsrecht desRechtsbeistands die Rede (Art. 3 Abs. 3 lit. c). Allerd<strong>in</strong>gsräumt die Richtl<strong>in</strong>ie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit e<strong>in</strong>,die Inanspruchnahme des Rechts auf e<strong>in</strong>en Rechtsbeistandzurückzustellen bei Gefahren für Leib, Leben o<strong>der</strong> Freiheite<strong>in</strong>er Person (Art. 3 Abs. 6 lit. a) sowie wenn sofortiges Handeln<strong>der</strong> Ermittlungsbehörden notwendig ist, um e<strong>in</strong>e ernsthafteGefahr für die Strafverfolgung zu beseitigen (Art. 3Abs. 6 lit. b).Zum<strong>in</strong>dest auf den ersten Blick wird die Vertraulichkeit<strong>der</strong> Kommunikation zwischen Beschuldigtem und se<strong>in</strong>em Verteidigerumfassend gewährleistet. Zu beachten ist allerd<strong>in</strong>gsdie e<strong>in</strong>schränkende Klausel „bei <strong>der</strong> Wahrnehmung des imRahmen dieser Richtl<strong>in</strong>ie vorgesehen Rechts auf Zugang zue<strong>in</strong>em Rechtsbeistand“ (Art. 4 S. 1). Ob dies als E<strong>in</strong>fallstorfür E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Kommunikation zwischen Beschuldigtemund se<strong>in</strong>em Verteidiger dienen kann, bleibt abzuwarten; Erwägungsgründe33 und 34 sprechen jedenfalls davon, dass„rechtmäßige Überwachungsmaßnahme(n)“ etwa <strong>der</strong> Nachrichtendienste,aber auch im Rahmen von Ermittlungen, diegegen den Rechtsbeistand geführt werden, unberührt bleibensollen.129 ABl. EU 2005 Nr. L 68, S. 49.130 Ratsdok. 17287/12.131 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (564 f.) m.w.N.132 I.d.F. PE-CONS 40/13; Kommissionsvorschlag <strong>in</strong> KOM(2011) 326 endg. v. 8.6.2011._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com467


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________Die „Kontaktaufnahme“ wurde – wie vom Rat vorgeschlagen– primär durch e<strong>in</strong>e Benachrichtigungspflicht ersetzt(Art. 5), von <strong>der</strong> ebenfalls bei Gefahren für Leib, Leben o<strong>der</strong>Freiheit e<strong>in</strong>er Person o<strong>der</strong> bei ernsthaften Gefahren für dieStrafverfolgung abgewichen werden kann (Art. 5 Abs. 3). DieKontaktaufnahme durch den Beschuldigten selbst ist größerenE<strong>in</strong>schränkungsmöglichkeiten unterworfen (Art. 6). Insgesamtunterliegen sämtliche Abweichungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>eran <strong>der</strong> Rechtsprechung des EGMR orientierten Abwägungslösung(Art. 8). Anstelle des von <strong>der</strong> Kommission favorisiertenBeweisverwertungsverbots bei Verstößen ist ebenfalls nurnoch e<strong>in</strong>e Abwägungslösung vorgesehen (Art. 12 Abs. 2);allgeme<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong> „wirksamer Rechtsbehelf“ vorzusehen, umdie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie enthaltenen Rechte durchsetzen zu können(Art. 12 Abs. 1). Die Umsetzungsfrist beträgt drei Jahre(Art. 15 Abs. 1 S. 1).2. Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verb<strong>in</strong>dungsdaten133Die Große Kammer des EuGH befasste sich am 9.7.2013 mitden verbundenen Vorabentscheidungsersuchen Rs. C-293/12(Vorlage durch den High Court of Ireland) und Rs. C-594/12(Vorlage durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof)und damit mit <strong>der</strong> Grundrechtskonformität <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie2006/24/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom15.3.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei <strong>der</strong>Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdiensteo<strong>der</strong> öffentlicher Kommunikationsdiensteerzeugt o<strong>der</strong> verarbeitet werden, und zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie2002/58/EG; 134 am 7.11.2013 wird <strong>der</strong> Generalanwaltse<strong>in</strong>e Schlussanträge halten. Das von <strong>der</strong> Kommission angestrengteVertragsverletzungsverfahren wegen unzureichen<strong>der</strong>Umsetzung dieser Richtl<strong>in</strong>ie durch Deutschland (Rs. C-329/12) ist bislang nicht term<strong>in</strong>iert.3. Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdatensätzen (PNR) 135Mit 30 zu 25 Stimmen empfahl <strong>der</strong> LIBE-Ausschuss dem<strong>Europäischen</strong> Parlaments, den (Kommissions-)Vorschlag füre<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlaments und des Ratesüber die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken<strong>der</strong> Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichenVerfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Krim<strong>in</strong>alität136 abzulehnen und die Kommission aufzufor<strong>der</strong>n,diesen Legislativvorschlag zurückzuziehen. Am 10.7.2013wurde dieser Legislativvorschlag vom Plenum des <strong>Europäischen</strong>Parlaments allerd<strong>in</strong>gs wie<strong>der</strong> an den LIBE-Ausschusszur erneuten Befassung zurückverwiesen. In weiterem Zusammenhangist auch auf den Kommissionsvorschlag für e<strong>in</strong>E<strong>in</strong>reise-/Ausreisesystem (EES) im Rahmen ihres „smart bor<strong>der</strong>spackage“ genannten Gesetzgebungspakets h<strong>in</strong>zuweisen,133 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (566) m.w.N.134 ABl. EU 2006 Nr. L 105, S. 54; Evaluation <strong>in</strong> KOM(2011) 225 endg. v. 18.4.2011.135 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (566).136 KOM (2011) 32 endg. v. 2.2.2011.<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Datenbank mit Informationen über Drittstaatsangehörige,die <strong>in</strong> die EU e<strong>in</strong>reisen, vorsieht. 1374. Opferschutz 138Die Richtl<strong>in</strong>ie 2012/29/EU des <strong>Europäischen</strong> Parlaments unddes Rates vom 25.10.2012 über M<strong>in</strong>deststandards für dieRechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern vonStraftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI wurde im Amtsblatt veröffentlicht 139 und ist gemäß<strong>der</strong>en Art. 27 bis zum 16.11.2015 <strong>in</strong> nationales Recht umzusetzen.5. UntersuchungshaftDie Europäische Kommission veröffentlichte e<strong>in</strong>en Bericht 140über die Antworten auf ihr Grünbuch zur Anwendung <strong>der</strong>EU-Strafrechtsvorschriften im Bereich des Freiheitsentzugs. 141H<strong>in</strong>sichtlich Alternativen zu Freiheitsentziehungen solle <strong>der</strong>überwiegenden Mehrheit <strong>der</strong> Mitgliedstaaten zufolge e<strong>in</strong>eBewertung des existierenden Rechtsrahmens abgewartet werden.142 Mehr Wohlwollen wurde Vorschlägen h<strong>in</strong>sichtlich„soft law“-Maßnahmen zuteil.6. EURODACAuf Grundlage e<strong>in</strong>er neuen Eurodac-Verordnung 143 sollen dieF<strong>in</strong>gerabdruckdaten von Asylbewerbern zentral <strong>in</strong> den Com-137 Vorschlag für e<strong>in</strong>e Verordnung des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates über e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>reise-/Ausreisesystem (EES)zur Erfassung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigenan den Außengrenzen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten <strong>der</strong><strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (KOM (2013) 95 endg. v. 28.2.2013).138 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (565 f.); zum Opferschutzpaketsiehe ferner Bock, <strong>ZIS</strong> 2013, 201. Zur thematischverwandten gegenseitigen Anerkennung von Schutzmaßnahmen<strong>in</strong> Zivilsachen siehe noch unten V. 3.139 ABl. EU 2012 Nr. L 315, S. 57.140 http://t<strong>in</strong>yurl.com/abgwjgj (Stand: 31.10.2013).141 KOM (2011) 327 endg. v. 14.6.2011.142 Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates v. 23.10.2009über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> – des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigen Anerkennungauf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmenals Alternative zur Untersuchungshaft (ABl. EU 2009 Nr. L294, S. 20) sowie Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates v.27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigenAnerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungenim H<strong>in</strong>blick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmenund alternativen Sanktionen (ABl. EU 2008 Nr. L337, S. 102 i.d.F. CONSLEG 2008F0947 v. 28.3.2009).143 Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates v. 26.6.2013 über die E<strong>in</strong>richtung von„Eurodac“ für den Abgleich von F<strong>in</strong>gerabdruckdaten zumZwecke <strong>der</strong> effektiven Anwendung <strong>der</strong> Verordnung (EU)Nr. 604/2013 zur Festlegung <strong>der</strong> Kriterien und Verfahren zurBestimmung des Mitgliedstaats, <strong>der</strong> für die Prüfung e<strong>in</strong>esvon e<strong>in</strong>em Drittstaatsangehörigen o<strong>der</strong> Staatenlosen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emMitgliedstaat gestellten Antrags auf <strong>in</strong>ternationalen Schutz_____________________________________________________________________________________468<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________putersystemen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> Agentur für das Betriebsmanagementvon IT-Großsystemen gespeichert werden. DieSpeicherfrist beträgt bis zu 10 Jahre (Art. 12, 13 Eurodac-VO) bei Personen, die <strong>in</strong>ternationalen Schutz beantragen,bzw. bis zu 18 Monate bei Personen, „die beim illegalen Überschreitene<strong>in</strong>er Außengrenze aufgegriffen werden“ (Art. 16Eurodac-VO). Auf diese F<strong>in</strong>gerabdruckdaten dürfen ab dem20.7.2015 von den Mitgliedstaaten benannte Behörden, „diefür die Verhütung, Aufdeckung o<strong>der</strong> Untersuchung von terroristischeno<strong>der</strong> sonstigen schweren Straftaten zuständig s<strong>in</strong>d“(Art. 5 Abs. 1 S. 1 Eurodac-VO) über e<strong>in</strong>e „nationale Prüfstelle“(Art. 6 Eurodac-VO) nach Maßgabe von Art. 20 Eurodac-VOzugreifen: Erstens ist die Nutzung von Eurodac subsidiär,das heißt, dass vorrangig Abfragen <strong>in</strong> den nationalenF<strong>in</strong>gerabdruckdatenbanken <strong>der</strong> Mitgliedstaaten – auch überdas Prüm-System – zu erfolgen haben. Zweitens muss e<strong>in</strong>Abgleich „für die Verhütung, Aufdeckung o<strong>der</strong> Untersuchungterroristischer o<strong>der</strong> sonstiger schwerer Straftaten“ allgeme<strong>in</strong>und auch im E<strong>in</strong>zelfall erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong>; drittens müssen„h<strong>in</strong>reichende Gründe zu <strong>der</strong> Annahme [vorliegen], dass <strong>der</strong>Abgleich wesentlich zur Verhütung, Aufdeckung o<strong>der</strong> Ermittlunge<strong>in</strong>er <strong>der</strong> fraglichen Straftaten beitragen wird“. Unterähnlichen Maßstäben ist auch Europol zum Zugriff befugt(Art. 21 Eurodac-VO).V. Zusammenarbeit <strong>in</strong> Strafsachen1. Europäischer Haftbefehl 144In drei Grundsatzentscheidungen Radu, Melloni und JeremyF. urteilte <strong>der</strong> EuGH, dass <strong>der</strong> Katalog <strong>der</strong> Ablehnungsgründe<strong>in</strong> Art. 3, 4 und 4a des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI desRates vom 13.6.2002 über den <strong>Europäischen</strong> Haftbefehl unddie Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEu-Hb) 145 abschließend ist. 146 Auch Art. 53 GRC gestatte es demzuständig ist und über <strong>der</strong> Gefahrenabwehr und Strafverfolgungdienende Anträge <strong>der</strong> Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden<strong>der</strong> Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleichmit Eurodac-Daten sowie zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verordnung(EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung e<strong>in</strong>er <strong>Europäischen</strong> Agenturfür das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen imRaum <strong>der</strong> Freiheit, <strong>der</strong> Sicherheit und des Rechts (ABl. EU2013 Nr. L 180, S. 1).144 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (567 f.) m.w.N.;siehe ferner Miett<strong>in</strong>en, New Journal of European Crim<strong>in</strong>alLaw 4 (2013) 99; Grasso, New Journal of European Crim<strong>in</strong>alLaw 4 (2013) 120.145 ABl. EG 2002 Nr. L 190, S. 1 i.d.F. CONSLEG 2002-F0584 v. 28.3.2009.146 EuGH (Große Kammer), Urt. v. 29.1.2013 – C-396/11(Radu); EuGH (Große Kammer), Urt. v. 26.2.2013 – C-399/11 PPU (Melloni); EuGH, Urt. v. 30.5.2013 – C-168/13(Jeremy F.) m. Anm. und Bespr. Böhm, StraFo 2013, 177;Brodowski, HRRS 2013, 54; Gaede, NJW 2013, 1279; Krahnenpol,ZfP 2013, 90; Stre<strong>in</strong>z, JuS 2013, 661; Vogel, StV-Editorial 5/2013; siehe ferner T<strong>in</strong>sley, EuCLR 2012, 338 zurVorlageentscheidung <strong>in</strong> Rs. C-396/11 sowie Manzano, Eu-CLR 2013, 79 zur Vorlageentscheidung <strong>in</strong> Rs. C-399/11 PPU.Vollstreckungsmitgliedstaat nicht, die Vollstreckung e<strong>in</strong>es<strong>Europäischen</strong> Haftbefehls unter Verweis auf weitergehendenationale Verfassungsgarantien o<strong>der</strong> Grundrechte zu verweigern.Denn dies würde, „<strong>in</strong>dem die E<strong>in</strong>heitlichkeit des imRahmenbeschluss festgelegten Grundrechtsschutzstandards <strong>in</strong>Frage gestellt wird, zu e<strong>in</strong>er Verletzung <strong>der</strong> Grundsätze desgegenseitigen Vertrauens und <strong>der</strong> gegenseitigen Anerkennung,die <strong>der</strong> Rahmenbeschluss stärken soll, führen und daher dieWirksamkeit dieses Rahmenbeschlusses bee<strong>in</strong>trächtigen“. 147Primär und nahezu ausschließlich sei, so <strong>der</strong> EuGH, für dieGewährleistung des Grundrechtsschutzes des Verfolgten <strong>der</strong>Ausstellungsmitgliedstaat zuständig: Da die „jeweiligen nationalenRechtsordnungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en gleichwertigenund wirksamen Schutz <strong>der</strong> auf <strong>Union</strong>sebene und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<strong>in</strong> <strong>der</strong> Charta anerkannten Grundrechte zu bieten,[ist] es die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats [...],<strong>in</strong> <strong>der</strong> Personen, gegen die e<strong>in</strong> Europäischer Haftbefehl erlassenwurde, etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten nutzen können,die es gestatten, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens <strong>der</strong>Strafverfolgung, <strong>der</strong> Strafvollstreckung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verhängunge<strong>in</strong>er freiheitsentziehenden Maßregel <strong>der</strong> Sicherung o<strong>der</strong> auchdes strafrechtlichen Hauptverfahrens, das zur Verhängung dieserStrafe o<strong>der</strong> Maßregel geführt hat, <strong>in</strong> Frage zu stellen“. 148Neben den <strong>in</strong> Art. 3, 4 und 4a RbEuHb genannten Ablehnungsgründestünde somit nur die <strong>in</strong> Erwägungsgrund 10 Rb-EuHb genannte Möglichkeit zur Verfügung, „dem zufolgedie Anwendung des Mechanismus des <strong>Europäischen</strong> Haftbefehlsnur ausgesetzt werden darf, wenn e<strong>in</strong>e schwere und anhaltendeVerletzung <strong>der</strong> <strong>in</strong> Art. 6 Abs. 1 EU enthaltenenGrundsätze durch e<strong>in</strong>en Mitgliedstaat vorliegt und diese vomRat gemäß Art. 7 Abs. 1 EU mit den Folgen von Art. 7 Abs. 2festgestellt wird“. 149 Das allerd<strong>in</strong>gs ist ke<strong>in</strong> tauglicher justiziellerund justiziabler Mechanismus zur Gewährleistung e<strong>in</strong>esh<strong>in</strong>reichenden (Auffang-)Grundrechtsschutzes im E<strong>in</strong>zelfall.Des Weiteren entzog <strong>der</strong> EuGH mit dieser Rechtsprechungimplizit e<strong>in</strong>em auf Art. 1 Abs. 3 RbEuHb gründenden ordrepublic-Vorbehalt – wie <strong>in</strong> § 73 S. 2 IRG enthalten – deneuroparechtlichen Boden. Dem OLG München 150 zufolge147 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-399/11 PPU (Melloni), Rn. 63.148 EuGH, Urt. v. 30.5.2013 – C-168/13 (Jeremy F.), Rn. 50.Zur Bekräftigung dieser Aussage verweist <strong>der</strong> EuGH auf se<strong>in</strong>Urt. v. 22.12.2010 – C-491/10 PPU (Joseba Andoni AguirreZarraga ./. Simone Pelz), welches das Verfahren zur Rückführunge<strong>in</strong>es entführten K<strong>in</strong>des nach <strong>der</strong> Verordnung (EG)Nr. 2201/2003 betraf. E<strong>in</strong>e solche Rückführungsentscheidungwird gem. Art. 42 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003jedoch „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Mitgliedstaat anerkannt und kanndort vollstreckt werden, ohne dass es e<strong>in</strong>er Vollstreckbarerklärungbedarf und ohne dass die Anerkennung angefochtenwerden kann“. Die Gleichsetzung des RbEuHb-Verfahrensmit jenem Verfahren überzeugt nicht, da die Art. 3 ff.RbEuHb e<strong>in</strong> justizielles Anerkennungsverfahren voraussetzenund <strong>der</strong> RbEuHb daher gerade ke<strong>in</strong>en solchen Automatismuskennt.149 EuGH, Urt. v. 30.5.2013 – C-168/13 (Jeremy F.), Rn. 49.150 OLG München, Beschl. v. 15.5.2013 – OLG Ausl 31 AuslA 442/13 (119/13), juris._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com469


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________haben deutsche Behörden und Gerichte unbeschadet dieserEuGH-Entscheidungen <strong>in</strong> Verfahren des <strong>in</strong>tra-europäischerAuslieferungsverkehrs § 73 S. 2 IRG anzuwenden und daher„weiterh<strong>in</strong> im E<strong>in</strong>zelfall [zu prüfen], ob die Erledigung <strong>der</strong>Auslieferung zu den <strong>in</strong> Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch stände“.Zu den E<strong>in</strong>zelfragen <strong>der</strong> drei Entscheidungen: Wenigüberraschend urteilte <strong>der</strong> EuGH im Fall Radu, dass die verfolgtePerson vor Erlass e<strong>in</strong>es <strong>Europäischen</strong> Haftbefehls nichtangehört werden muss. In <strong>der</strong> Rs. Melloni hatte sich <strong>der</strong> EuGHmit Verurteilungen <strong>in</strong> absentia zu befassen: Im Lichte <strong>der</strong>EGMR-Rechtsprechung zu dieser Problematik sei Art. 4a Rb-EuHb mit <strong>der</strong> GRC, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit Art. 47, 48 Abs. 2 GRC,vere<strong>in</strong>bar. In <strong>der</strong> Rs. Jeremy F. schließlich entschied <strong>der</strong> EuGHauf Vorlage des Conseil Constitutionnel über die Vorgabenh<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> im Vollstreckungsstaat e<strong>in</strong>zuhaltenden Entscheidungsfristen:Art. 27 Abs. 4, Art. 28 Abs. 3 lit. c Rb-EuHb, die nachträgliche „Entscheidungen“ zu Spezialitätsb<strong>in</strong>dungenbzw. zu e<strong>in</strong>er weiteren Auslieferung betreffen,enthalten hierfür e<strong>in</strong>e starre Frist von 30 Tagen; Art. 17 Rb-EuHb – dort ist e<strong>in</strong>e Regelfrist von zehn bzw. 60 Tagen normiert– spricht h<strong>in</strong>gegen von „endgültigen Entscheidungen“.Daraus schließt <strong>der</strong> EuGH, dass das nationale Recht gegenEntscheidungen gem. Art. 27 Abs. 4, Art. 28 Abs. 3 lit. c Rb-EuHb durchaus Rechtsbehelfe mit Suspensiveffekt vorhaltenkann, auch wenn hierdurch die 30-Tage-Frist nicht e<strong>in</strong>gehaltenwerden kann, solange nur die Maximalfrist des Art. 17RbEuHb e<strong>in</strong>gehalten wird.Kroatien hatte knapp vor se<strong>in</strong>em EU-Beitritt e<strong>in</strong> Gesetz(sog. lex Perković) erlassen, mit dem die Anwendbarkeit des<strong>Europäischen</strong> Haftbefehls gemäß Art. 32 RbEuHb auf Tatenbegrenzt wurde, die nach dem 7.8.2002 begangen wurden.Kroatischen Medienberichten zufolge sei dies e<strong>in</strong>e Reaktionauf das Bestreben <strong>der</strong> Bundesanwaltschaft, am Tag des EU-Beitritts Kroatiens Europäische Haftbefehle gegen den ehemaligenkroatischen Geheimdienstoffizier Josip Perković undgegen se<strong>in</strong>e Komplizen wegen Mordes an e<strong>in</strong>em Exil-Kroatenim Jahre 1983 zu erlassen. Wegen dieser Sache war bereitse<strong>in</strong> Exilkroate durch das OLG München 151 wegen Mordeszu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. DieseE<strong>in</strong>schränkung des RbEuHb durch Kroatien hält die EuropäischeKommission für nicht zulässig; sie drohte daraufh<strong>in</strong> mitMaßnahmen nach Art. 39 <strong>der</strong> Beitrittsakte wegen „ernste(r)Mängel“ „bei <strong>der</strong> Umsetzung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Durchführung vonRechtsakten“. Das ist <strong>in</strong>soweit hervorzuheben, als dass e<strong>in</strong>förmliches Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichen<strong>der</strong>Umsetzung des RbEuHb gegenüber Nicht-Beitrittsstaatenerst ab dem 1.12.2014 e<strong>in</strong>geleitet werden kann. Kroatien kündigtezwischenzeitlich an, bis zum 1.1.2014 diese E<strong>in</strong>schränkungim kroatischen Auslieferungsrecht wie<strong>der</strong> aufzuheben.Im Rahmen e<strong>in</strong>es Pilotprojekts e-CODEX 152 soll <strong>der</strong> elektronischeAustausch von Akten betreffend Europäischer Haftbefehlezwischen den Justizbehörden zunächst Frankreichs,151 OLG München, Urt. v. 16.7.2008 – 6 St 005/05 (2) 3 BJs27/04-2 (6) 3 StE 2/05-2 (2).152 http://www.e-codex.eu/pilots/european-arrest-warrent.html(31.10.2013).Deutschlands und Spaniens getestet werden. Unter Rückgriffauf die jeweilige nationale Infrastruktur – etwa auf das ElektronischeGerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) – werdenhierzu zunächst ausgewählte Justizbehörden aus den Grenzregionensowie das Bundesamt für Justiz (BfJ) vernetzt.2. Europäische Ermittlungsanordnung 153Mit gleichlautenden Schreiben 154 for<strong>der</strong>ten die Delegationenaus Belgien, Bulgarien, Estland, Italien, Polen, Slowenien,Spanien, Österreich und Schweden die Ratspräsidentschaftdazu auf, alsbald e<strong>in</strong>en erfolgreichen Abschluss des Trilogszur Initiative e<strong>in</strong>er Richtl<strong>in</strong>ie des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates über e<strong>in</strong>e Europäische Ermittlungsanordnung<strong>in</strong> Strafsachen 155 anzustreben. Die Verhandlungsposition des<strong>Europäischen</strong> Parlaments zielt unter an<strong>der</strong>em auf e<strong>in</strong>en verbessertenDatenschutz bei <strong>der</strong> weiteren Verarbeitung personenbezogenerDaten (Art. 18 Abs. 2a, 4a, 4b, Art. 18a EIO-E)sowie grundsätzlich e<strong>in</strong>e Kostenteilung zwischen AnordnungsundVollstreckungsstaat (Art. Y EIO-E) vor; <strong>der</strong> Rat hatte hiergrundsätzlich dem Vollstreckungsstaat die Pflicht zur Tragung<strong>der</strong> Kosten auferlegt. Auf e<strong>in</strong>en weiteren Kritikpunkt desParlaments ist die Ratspräsidentschaft bereit, <strong>in</strong> Art. 5a Abs. 3EIO-E klarzustellen, dass u.a. die Erfor<strong>der</strong>lichkeit (necessity)und Verhältnismäßigkeit durch den Vollstreckungsmitgliedstaat(und dort durch dessen Gerichte und Ermittlungsrichter,alternativ aber auch durch <strong>der</strong>en Staatsanwaltschaften) nachgeprüftwerden müsse. Die Ratspräsidentschaft lehnt jedochdie For<strong>der</strong>ung des Parlaments ab, auch <strong>der</strong> Verteidigung dasRecht e<strong>in</strong>zuräumen, e<strong>in</strong>e Europäische Ermittlungsanordnungzu beantragen. 1563. Schutzmaßnahmen <strong>in</strong> Zivilsachen 157Die Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des <strong>Europäischen</strong> Parlamentsund des Rates vom 12.6.2013 über die gegenseitigeAnerkennung von Schutzmaßnahmen <strong>in</strong> Zivilsachen 158 ermöglichtes, dass Aufenthalts-, Annäherungs- und Kontaktverbote,die von Verwaltungsbehörden o<strong>der</strong> Gerichten im Rahmen ihrerjeweiligen Zuständigkeiten und unter Wahrung von M<strong>in</strong>destgarantien(Art. 6 VO 606/2013) erlassen wurden und dievon <strong>der</strong> geschützten Person durch Vorlage e<strong>in</strong>er Besche<strong>in</strong>igung(Art. 5 ff. VO 606/2013) an<strong>der</strong>en Mitgliedstaaten zurKenntnis gebracht wurden, dort ohne e<strong>in</strong> weiteres Anerkennungsverfahren(Art. 4, 15 VO 606/2013) für maximal zwölfMonate durchsetzbar s<strong>in</strong>d. Nur aufgrund von faktischen Gegebenheitensei e<strong>in</strong>e Anpassung <strong>der</strong> Schutzmaßnahme nach <strong>der</strong>153 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (568 f.); siehe fernerAhlbrecht, StV 2013, 114; Heydenreich, StraFo 2012, 439.154 Ratsdok. 6532/13.155 Zuletzt Ratsdok. 16120/12; partielle allgeme<strong>in</strong>e Ausrichtungen<strong>in</strong> Ratsdok. 18918/11; Ratsdok. 11735/11; ursprünglichRatsdok. 9145/10.156 Siehe zu alledem Ratsdok. 16120/12.157 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (569); siehe fernerKohler/P<strong>in</strong>tens, FamRZ 2012, 1425; Wagner, NJW 2012,1333 (1334 f.); <strong>der</strong>s., NJW 2013, 3128 (3130).158 ABl. EU 2013 Nr. L 181, S. 4._____________________________________________________________________________________470<strong>ZIS</strong> 11/2013


<strong>Strafrechtsrelevante</strong> <strong>Entwicklungen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – e<strong>in</strong> Überblick_____________________________________________________________________________________lex loci möglich (Art. 11 VO 606/2013); e<strong>in</strong>e materielleNachprüfung ist h<strong>in</strong>gegen explizit ausgeschlossen (Art. 12VO 606/2013). Allerd<strong>in</strong>gs sieht Art. 13 VO 606/2013 beiVerstößen gegen den nationalen ordre public und bei wi<strong>der</strong>sprechendenGerichtsentscheidungen im Vollstreckungsstaatdie Möglichkeit zur Ablehnung <strong>der</strong> Vollstreckung vor. Zwarist die Verordnung bereits <strong>in</strong> Kraft getreten (Art. 22 UAbs. 1VO 606/2013); entscheidend ist jedoch die <strong>in</strong> Art. 22 UAbs. 2und 3 VO 606/2013 geregelte Gültigkeit: 159 Diese beg<strong>in</strong>nt erst„ab dem 11. Januar 2015“ (Art. 22 UAbs. 2 VO 606/2013),also „für Schutzmaßnahmen, die am o<strong>der</strong> nach dem 11. Januar2015 angeordnet wurden, unabhängig davon, wann das Verfahrene<strong>in</strong>geleitet worden ist“ (Art. 22 UAbs. 3 VO 606/2013).4. Prümer BeschlussIm Dezember 2012 legte die Kommission ihren Bericht zurDurchführung des Beschlusses 2008/615/JI des Rates vom23.6.2008 zur Vertiefung <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zur Bekämpfung des Terrorismus und<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Krim<strong>in</strong>alität („Prümer Beschluss“)vor. 160 Die Umsetzung 161 sei – vor allem h<strong>in</strong>sichtlich des Zugriffsauf F<strong>in</strong>gerabdruck- und Fahrzeugdaten – noch unzureichend;die von den Mitgliedstaaten vorgetragenen adm<strong>in</strong>istrativen,technischen und f<strong>in</strong>anziellen Gründe hält dieKommission für wenig stichhaltig.5. Führungsaufsicht im EU-Ausland; gegenseitige Anerkennungvon AlternativsanktionenE<strong>in</strong>er Entscheidung des OLG München 162 zufolge ist es„möglich, Führungsaufsichtsweisungen für den Fall zu erteilen,dass die verurteilte Person nach Entlassung ihren Aufenthaltim Ausland, namentlich <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Mitgliedstaaten<strong>der</strong> EU, nimmt, und diese Weisungen entsprechend auszugestalten.“Zwar habe Deutschland den Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung desGrundsatzes <strong>der</strong> gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und159 Zur Unterscheidung dieser beiden Daten vgl. EuGH, Urt.v. 17.11.2011 – C-412/10 (Deo Anto<strong>in</strong>e Homawoo/GMF AssurancesSA), Rn. 24: Der „Gesetzgeber [darf] den Zeitpunktdes Inkrafttretens vom Zeitpunkt des Beg<strong>in</strong>ns <strong>der</strong> Anwendung<strong>der</strong> Regelung, die er erlässt, unterscheiden, <strong>in</strong>dem erden letztgenannten Zeitpunkt gegenüber dem erstgenanntenh<strong>in</strong>ausschiebt. E<strong>in</strong>e solche Vorgehensweise kann es <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e,sobald <strong>der</strong> Rechtsakt <strong>in</strong> Kraft getreten und damitTeil <strong>der</strong> Rechtsordnung <strong>der</strong> <strong>Union</strong> geworden ist, den Mitgliedstaateno<strong>der</strong> den Organen <strong>der</strong> <strong>Union</strong> ermöglichen, auf<strong>der</strong> Grundlage dieses Rechtsakts die ihnen obliegenden vorabbestehenden Verpflichtungen zu erfüllen, die sich als unerlässlichfür dessen spätere vollständige Anwendung auf sämtlicheRechtssubjekte, für die er gilt, erweisen“.160 KOM (2012) 732 endg. v. 7.12.2012; Beschluss: ABl. EU2008 Nr. L 210, S. 1; Durchführungsbeschluss: ABl. EU 2008Nr. L 210, S. 12.161 Aktueller Umsetzungs- und Implementierungsstand <strong>in</strong> Ratsdok.5074/6/13.162 OLG München NStZ-RR 2013, 211.Bewährungsentscheidungen im H<strong>in</strong>blick auf die Überwachungvon Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen 163noch nicht ausdrücklich <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerstaatliches Recht umgesetzt;ausgehende Ersuchen seien jedoch nach allgeme<strong>in</strong>en Regelnmöglich. 164VI. Zusammenarbeit mit Drittstaaten und InternationalenOrganisationen1. Zusammenarbeit mit dem IStGH 165Am 31.1.2013 legten die Kommission und die Hohe Vertreter<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> für Außen- und Sicherheitspolitike<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>sames Arbeitsdokument über die För<strong>der</strong>ung desKomplementaritätspr<strong>in</strong>zips vor. 166 Das Dokument zielt daraufab, dass die Europäische <strong>Union</strong> und ihre Mitgliedstaaten aufrelevante Staaten e<strong>in</strong>wirken und diese dar<strong>in</strong> unterstützen,<strong>der</strong>en Krim<strong>in</strong>aljustizsysteme zur Verfolgung von Kriegsverbrechenund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zueffektivieren.2. Island und Norwegen – EU-Rechtshilfeübere<strong>in</strong>kommen 167Das Übere<strong>in</strong>kommen zwischen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> sowie<strong>der</strong> Republik Island und dem Königreich Norwegen überdie Anwendung e<strong>in</strong>iger Bestimmungen des Übere<strong>in</strong>kommensvom 29.5.2000 über die Rechtshilfe <strong>in</strong> Strafsachen zwischenden Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> und des dazugehörigenProtokolls von 2001 168 trat zum 1.1.2013 <strong>in</strong> Kraft. 1693. USA – SWIFT/TFTP-Abkommen 170E<strong>in</strong>e zweite Evaluation 171 des Abkommens zwischen <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><strong>Union</strong> und den Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Amerikaüber die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und <strong>der</strong>enÜbermittlung aus <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> an die Vere<strong>in</strong>igtenStaaten von Amerika für die Zwecke des Programms zumAufspüren <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung des Terrorismus (TFTP/SWIFT-Abkommen) 172 berichtet von e<strong>in</strong>er deutlich gesunkenen Anzahlvon Suchanfragen. Indes ist weiterh<strong>in</strong> unklar, wie umfangreichdie übermittelten Datenbestände s<strong>in</strong>d. Ferner lassesich aufgrund US-amerikanischer Vorgaben h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong>Geheimhaltung des TFTP-Programms die Nützlichkeit desProgramms und des TFTP-Abkommens nicht umfassend bewerten;dieser E<strong>in</strong>druck wird durch die Enthüllungen im163 ABl. EU Nr. L 337, S. 102 i.d.F. CONSLEG 2008F0947v. 28.3.2009; siehe hierzu Neveu, New Journal of EuropeanCrim<strong>in</strong>al Law 4 (2013), 134.164 OLG München NStZ-RR 2013, 211 (212).165 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (954).166 „Toolkit for Bridg<strong>in</strong>g the gap between <strong>in</strong>ternational &national justice“, SWD (2013) 26 endg. v. 31.1.2013; auchabgedruckt <strong>in</strong> Ratsdok. 6783/13.167 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2012, 558 (570) m.w.N.168 ABl. EU 2004 Nr. L 26, S. 3.169 ABl. EU 2012 Nr. L 322, S. 1.170 Vgl. zuvor Brodowski, <strong>ZIS</strong> 2011, 940 (953 f.).171 SWD (2012) 454 v. 14.12.2012; erste Evaluation <strong>in</strong> SEK(2011) 438 v. 30.3.2011.172 ABl. EU 2010 Nr. L 195, S. 5._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-onl<strong>in</strong>e.com471


Dom<strong>in</strong>ik Brodowski_____________________________________________________________________________________Rahmen des sog. NSA-Skandals noch verstärkt. Infolgedessenfor<strong>der</strong>n Teile des <strong>Europäischen</strong> Parlaments die Suspendierungo<strong>der</strong> Kündigung dieses Abkommens. Auf welchemunions<strong>in</strong>ternen Weg dies <strong>in</strong> Gang gesetzt werden könnte, istprimärrechtlich nicht e<strong>in</strong>deutig geklärt; während e<strong>in</strong>ige Mitglie<strong>der</strong>des <strong>Europäischen</strong> Parlaments die Kommission <strong>in</strong> diePflicht zu nehmen suchen, verweist nämlich die Literatur aufe<strong>in</strong>e entsprechende Anwendung des Art. 218 Abs. 6 AEUVund damit auf den Rat. 1734. PNR-Abkommen mit KanadaDie Kommission unterbreitete am 18.7.2013 Vorschläge gerichtetauf die Annahme von Beschlüssen des Rates über dieUnterzeichnung bzw. den Abschluss des Abkommens zwischenKanada und <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> über die Übermittlungund Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (PassengerName Records – PNR). 174 Dieses Abkommen soll das bestehendeAbkommen aus dem Jahr 2006 ersetzen. 175 Art. 16 siehte<strong>in</strong>e Höchst-Speicherfrist von 5 Jahren vor; nach Ablauf von30 Tagen soll <strong>der</strong> Zugriff jedoch höheren prozeduralen Hürdenunterliegen, die nach zwei Jahren noch weiter verschärftwerden. Die Zustimmung des <strong>Europäischen</strong> Parlaments zu diesemAbkommen sowie die Annahme dieser Beschlüsse durchden Rat stehen noch aus.173 Lorenzmeier, <strong>in</strong>: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 49), 43.Lfg., Stand: März 2011 2013, Art. 218 AEUV Rn. 61.174 KOM (2013) 528 endg. v. 18.7.2013; KOM (2013) 529endg. v. 18.7.2013175 ABl. EU 2006 Nr. L 82, S. 15._____________________________________________________________________________________472<strong>ZIS</strong> 11/2013

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