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17Mumifizierung im sauerstoffarmen Milieu stellen aber die Moorleichen dar.Diese finden sich fast ausschließlich in Moorgebieten im Nordwesten Europas,insbesondere rund um die Nordsee, also in Dänemark, Norddeutschland,den Niederlanden, Großbritannien und Irland. Grundsätzlich führendie sauerstoffarme Umgebung und das Vorhandensein von Gerbmittel undHuminsäuren zu einer Konservierung der Leichname im Moor. Dabei mussaber zwischen den Hochmooren und Niedermooren unterschieden werden,die eine unterschiedliche chemische Zusammensetzung aufweisen, die zuverschiedenen Erhaltungsarten der Leichen führt. Im Hochmoor herrschtein stark saures Milieu, das sowohl Knochen als auch Gegenstände ausHorn und Eisen angreift und auflösen kann. Auch Gerbstoffe und Huminsäurensind hier vorhanden, die zur Gerbung der Haut und zu einer Rotfärbungvon Haaren führen kann. Im Niedermoor liegt hingegen eine eherbasische Umgebung vor, die zu einem Erhalt der Knochen führt, aber sichungünstig auf Haut und andere Weichgewebe auswirkt. Daher kann derErhaltungszustand von Moorleichen erheblich variieren, obwohl man sichtypischerweise einen Hautschlauch mit Haaren vorstellt, in dem die Knochennur noch gummiartig oder gar nicht erhalten geblieben sind. So istder klassische Vertreter dieses Typus und die wohl bekannteste Moorleicheder in Dänemark gefundene, aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. stammendeTollund-Mann. Das unglaublich gut erhaltene Gesicht des etwa 40-jährigenMannes, in dem noch Falten und Bartstoppeln zu erkennen sind, geben ihmeinen besonderen, persönlichen Ausdruck. Er liegt in entspannter Haltungauf der Seite, obwohl ein Strick um den Hals andeutet, dass er einem gewaltsamenTod durch Erhängen oder Erwürgen zum Opfer gefallen ist. DasObjekt eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen wurde auch der inEngland gefundene Lindow-Mann, der ebenfalls auf unnatürlichem Wegegestorben ist. Sein Schädel und die Halswirbelsäule zeigten massive Anzeichenvon Hiebverletzungen, die ihm offensichtlich von hinten zugefügtwurden. Umstritten ist, ob er zusätzlich noch gewürgt wurde und einenMesserstich in den Hals erhalten hatte. Es finden sich unter den Moorleichenzahlreiche weitere Hingerichtete bzw. Ermordete, etwa der in Dänemarkgefundene Grauballe-Mann oder der aus Niedersachsen stammendeund aufgrund seiner rotbraun verfärbten Haare als Roter Franz bezeichneteMann von Neu Versen. Beide wurden durch einen Schnitt durch den Halsgetötet und anschließend im Moor bestattet. Aus welchen Gründen anscheinendvor allem jene Menschen hier ihre letzte Ruhe fanden, die einesgewaltsamen Todes gestorben waren, ist bis heute nicht geklärt. Vermutetwird jedenfalls, dass die meisten durch Mord, Hinrichtung oder rituelle Tötungoder auch im Krieg ums Leben kamen. Allerdings finden sich auchMoorleichen ohne jegliche Anzeichen einer Gewaltanwendung, bei denenlediglich der Bestattungsort als ungewöhnlich angesehen werden muss.


3637charakteristischer Genomabschnitte konnten pathogene Keime nachgewiesenwerden. Zusätzlich können humane Genomabschnitte der untersuchtenIndividuen zur molekularen Geschlechtsbestimmung, Klärung vonVerwandtschaftsverhältnissen und zur Detektion angeborener Fehlbildungen,die durch Mutationen im menschlichem Genom hervorgerufen werden,analysiert werden. Dennoch sind auch der aDNA-Technologie Grenzengesetzt, die vor allem im raschen Abbau der DNA nach dem Tod einesIndividuums und der Gefahr der Verschleppung und Kontamination durchmoderne DNA begründet sind. In den letzten Jahren hat die Entwicklungvon neuen Sequenzierverfahren, dem sogenannten „next generation sequencing“oder „whole genome sequencing“, völlig neue Möglichkeiten inder molekularbiologischen Untersuchung von Mumien eröffnet. Seit wenigenJahren ist es nun möglich aus wenig Probenmaterial das gesamte Erbguteiner Mumie (oder auch Skeletts) zu rekonstruieren. Dabei lassen sichtiefgreifende Informationen zur genetischen Herkunft, zum Aussehen, wiebeispielsweise Augen- und Haarfarbe, zu Körperfunktionen, Blutgruppe,Laktose-Unverträglichkeit und zum Auftreten von Krankheiten und zu genetischbedingten Krankheitsanlagen untersuchen. Am Beispiel des Mannesaus dem Eis werden im entsprechenden Kapitel die Ergebnisse einer solchenUntersuchung dargestellt.Mumien aus den verschiedenenRegionen der WeltIn diesem Abschnitt werden nun die wichtigsten Mumienfunde aus denverschiedenen Regionen unserer Erde vorgestellt. Nach einem allgemeineneinleitenden Teil werden jeweils einige besondere Vertreter der jeweiligenKulturen oder Zeitstellungen im Detail beschrieben, wobei im Besonderenauf die neuesten naturwissenschaftlichen Ergebnisse eingegangen wird.Mumien aus SüdamerikaMumien und Mumifizierung nehmen einen hohen Stellenwert in der präkolumbianischenKultur Südamerikas ein. Auf keinem anderen Kontinentfindet sich eine derartige Vielfalt an unterschiedlichen Mumien und Mumifizierungsformenüber einen Zeitraum von vielen tausend Jahren. Grundsätzlichsind in fast allen Ländern Südamerikas Mumien zu finden, wobeidie überwiegende Zahl vor allem in den westlichen Regionen entlang derPazifikküste und in den Hochlagen des Andengebirges anzutreffen ist. EinUmstand, der sowohl die natürliche als auch die natürlich-intentionelle undkünstliche Mumifizierung beeinflusst hat, sind vermutlich die besonderenklimatischen Gegebenheiten in dieser Region Südamerikas. Zum einen befindensich im Westen des Kontinents entlang der Küste extrem trockeneWüstengebiete, die zu den trockensten Gegenden der Welt überhaupt zählen,wie zum Beispiel die Atacama- und die Sechurawüste. Zum anderenliegen entsprechend günstige klimatische Voraussetzungen auch in denwestlichen Anden vor. In der bis zu fast 7000 Meter hohen Gebirgsketteherrschen nachts sehr tiefe Temperaturen und tagsüber zum Teil sehr starkeSonneneinstrahlung. Dazu kommt ein geringer Sauerstoffgehalt in großerHöhe, der eine natürliche Konservierung von biologischen Materialienweiter begünstigt. In den abfallenden Gebirgsketten haben sich zahlreicheTäler mit Flüssen und Bächen ausgebildet, die zusätzlich gute Voraussetzungenfür die Entwicklung von Hochkulturen boten. In Südamerika findetsich das gesamte Spektrum von natürlich konservierten Mumien und vonkünstlichen Mumien, die durch Organentnahme, äußere Behandlung mitBalsamierungssubstanzen oder Ähnliches haltbar gemacht wurden, sowievon natürlich-intentionellen Mumien, wobei die Leichen beispielsweise in


38großer Höhe bestattet oder zu Bündeln verschnürt und somit bewusst einemnatürlichen Mumifizierungsprozess ausgesetzt wurden.Die zurzeit ältesten bekannten Mumien aus Südamerika sind der Chinchorro-Kulturzuzuschreiben, deren früheste Zeugnisse bis zu 9000 Jahrezurückreichen. Seit spätestens 5050 v. Chr. praktizierten die Chinchorroeine ganz spezielle Mumifizierungsmethode mit aufwändiger Präparationder toten Körper einschließlich Organentnahme, von der im Kapitel zu denChinchorro-Mumien noch im Detail die Rede sein wird. Auf der Paracas-Halbinsel im Süden Perus finden sich die mumifizierten Überreste der Paracas-Kultur,die von etwa 600 v. Chr bis 200 n. Chr. andauerte. In der älterenPhase der Kultur wurden die Verstorbenen überwiegend in Schachtgräbern,sogenannten Cavernas, bestattet. Bei den dort gefundenen Mumien handeltes sich vorwiegend um ältere weibliche Individuen, die keilförmig deformierteSchädel aufweisen. Zudem fanden sich in hoher Zahl Trepanationen,also Schädeleröffnungen, die zu Lebzeiten durchgeführt wurden und in denmeisten Fällen wohl auch von den Betroffenen überlebt wurden. Die Totenwurden in Hockerstellung verschnürt und mit reichlich Grabbeigabenwie Nahrungsmitteln, Amuletten usw. ausgestattet. In der jüngeren Phaseder Paracas-Kultur wurden ganze Totenstädte (Nekropolen) mit zahlreichenunterirdischen Grabbauten angelegt. Hier fanden sich insgesamt 429 Mumienbündelvon überwiegend erwachsenen Männern. Die Frage, inwieweites sich hier um einen natürlichen Mumifizierungsprozess handelte oder obdieser artifiziell unterstützt wurde, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. MitSicherheit kann davon ausgegangen werden, dass keine Organentnahmestattgefunden hat. Vereinzelt haben sich bei den Mumien aber Hinweiseauf eine Trocknung über dem Feuer bzw. durch Raucheinwirkung nachweisenlassen. Im Anschluss an die Paracas-Kultur hat sich in der Regionder Stadt Nasca die Hochkultur der Nazca entwickelt, die von 200 v. Chr.bis 600 n. Chr. andauerte. Besonders bekannt wurde die Kultur durch diein der Hochebene zwischen dem Pazifik und den Anden angelegten riesigenSymbol- und Tierzeichnungen (Geoglyphen), die allgemein als Nazca-Linien bezeichnet werden. In der Nazca-Kultur wurden die Toten ebenfallsals Mumienbündel in dem extrem trockenen Wüstengebiet der Atacamaund im Palpatal bestattet. Auch hier wurde die künstliche Deformierung derSchädel praktiziert. Zusätzlich finden sich sogenannte Trophäenschädel,also speziell mumifizierte Köpfe, die meist an Schnüren aufgehängt undmit herumgetragen wurden. Diese wurden meist als Kriegsbeute angesehen,doch neuere wissenschaftliche Forschungen haben gezeigt, dass es sichbei den Toten um Verwandte oder zumindest Bewohner desselben Dorfesgehandelt haben muss. Unklar ist lediglich, ob dabei an Menschenopferoder lediglich an einen besonderen Totenkult zu denken ist. Eine unterschiedlicheMumifizierungsweise weisen die Mumien der Chavin- und der9 Weibliche Mumie mit zwei Kindern,Quiani Region, nördliches Chile.


10 Chachapoya-Mumie aus Leymebamba.11 Männliche Kindermumie, Llullaillaco,Nördliches Chile.Moche-Kultur an der Nordküste Perus auf. Hier wurden die Verstorbenen inausgestreckter Lage bestattet und es fand offensichtlich auch keine künstlicheMumifizierung statt. In der Moche-Kultur finden sich Beispiele für Körperbemalungenan Mumien, etwa ein mit Tiersymbolen tätowierter Arm,und auch das mit zahlreichen Waffen ausgestattete Grab einer Anführerinoder Kriegerin, Lady Cao, die etwa 400 v. Chr. bestattet wurde.Mit dem Beginn des als Mittlerer Horizont bezeichneten Zeitalters um 600n. Chr. bildeten sich im Hochland die Tiahuanaco- und die Huari-Kultur heraus,die zu Großreichen heranwuchsen. Auch hier wurden Hockerbestattungendurchgeführt, wobei die Mumienbündel teilweise mit falschen Köpfen(Scheinköpfen) verziert wurden. Etwa von 800 bis 1400 n. Chr. existierte die

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