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- 376 - 3761403Unternimmt man gegen die Untätigkeit des Finanzamtes bezüglich der Erledigung desEinspruchsverfahrens nichts, indem man z.B. keine Untätigkeitsklage erhebt (§ 46FGO), so kann man sich später auch nicht auf eine darauf zurückzuführende überlangeVerfahrensdauer berufen. 2283) Unternimmt man gegen die Untätigkeit eines Gerichtesnichts 2284) - auch nicht mittels vorgenannter Verfassungsbeschwerde 2285) -, riskiertman in den oben angesprochenen Verfahren gemäß § 227 AO, dass einem genau dieseUntätigkeit dann auch noch entgegengehalten wird. Es sollte daher im Einzelfallabgewogen werden, ab wann man zum BVerfG 2286) oder - wo möglich - zum Landesverfassungsgericht2287) bei länger dauernder Untätigkeit eines FG Verfassungsbeschwerdewegen Untätigkeit erhebt. Die vom BVerfG iudizierte vorherige Untätigkeitsbeschwerdein der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2288) bietet sich bei der Untätigkeiteines FG nicht an, 2289) da der BFH iudiziert, mit einer im Gesetz nicht vorgesehenenUntätigkeitsbeschwerde könne ein FG nicht gezwungen werden, ein Verfahren fortzuführen.2290) Im Gegenteil verweist der BFH sogar darauf, zunächst Dienstaufsichtsbeschwerdezu erheben und nach deren Fruchtlosigkeit Verfassungsbeschwerde zu erhe-2283)2284)2285)2286)2287)2288)2289)2290)= NJW 1985, 2019). Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde kann der Zulässigkeitnicht entgegenstehen, da § 93 BVerfGG Fristen für ein Vorgehen gegen eine Unterlassung nichtvorsieht (vgl. BVerfGE 16, 119 (121) = NJW 1963, 1820). ........ Im Umfang ihrer Zulässigkeit istdie Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ( § 93c I 1 BVerfGG).aa) Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 2 I i.V. mit Art. 20 III GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzesfür bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinne ableiten läßt. ....... DasRechtsstaatsprinzip fordert darüber hinaus auch im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittigeRechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 88, 118 (124) = NJW1993, 1635).Zwar gibt es keine festgelegten Grundsätze, die besagen, ab wann von einer überlangen, dieRechtsgewährung verhindernden Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist jedoch eine Frage derAbwägung im Einzelfall, die anhand der allgemeinen, von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungentwickelten Kriterien vorzunehmen ist. Verbindliche Richtlinien können auch derRechtsprechung des EGMR, die als Hilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite vonGrundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann, ohne den Rangvon Verfassungsrecht zu genießen (vgl. BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427), nicht entnommenwerden. .......... Nach den vorgenannten Grundsätzen ist es mit dem verfassungsrechtlichgarantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht mehr vereinbar, dass nach nunmehrmehr als sechseinhalb Jahren noch nicht einmal die Grundlagen für eine erstinstanzliche Entscheidunggeschaffen wurden.“BFH 06.08.2002 – VIII B 56/02, n.V.. Eine dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurdenicht angenommen: BVerfG 07.10.2002 – 1 BvR 1707/02, HFR 2003, 79Der BFH 30.01.2004 – V B 217/03, BFH/NV 2004, 802 verweigert die Möglichkeit einer Untätigkeitsbeschwerdezu ihm, wenn ein FG untätig bleibt, mit der merkwürdigen Begründeung, derBFH sei keine vorgesetzte Behörde.BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379; s.o. Rdn. 703 ff.analog BVerfG 16.01.2003 – 1 BvR 2222/02, NVwZ 2003, 858; a.A. VGH Mannheim 20.03.2003 – 12 S 228/03, NVwZ 2003, 1541Ähnlich BVerfG 20.09.2007 – 1 BvR 775/07, NJW 2008, 503 Rdn. 5BFH 19.01.1998 - XI B 171/97, BFH/NV 1998, 731; BFH 08.10.2001 - V B 85/01, BFH/NV2002, 364

- 377 - 37714041405ben. 2291) Ob das BVerfG dem folgen wird und den Lauf der Verfassungsbeschwerdeverfahrensfristerst von einer erfolglos durchgeführten Dienstaufsichtsbeschwerdeabhängig machen wird, erscheint ungewiss bis zweifelhaft. Im übrigen wird man sichauch mit folgendem Problem zu befassen haben:Es wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass Verfahrensdauern vor FG´s von mehrals 5 Jahren nichts ungewöhnliches sind. Damit wird deutlich, dass bei den FG´s, wodies kein Einzelfall ist, besagte Bundesländer schon seit Jahren – eigentlich seit Jahrzehnten- ihrem Verfassungsauftrag nicht gerecht werden, eine funktionsfähigeRechtspflege durch eine angemessene Personalausstattung zur Verfügung zu stellen.2292) Es entsteht dadurch der Verdacht, dass dort, wo Kläger immer der Steuerpflichtigeist, der sich gegen ihn belastende Bescheide des Finanzamtes wendet, derStaat es nicht sonderlich eilig zu haben scheint, für einen zeitnahen Rechtsschutz zusorgen, wobei über denkbare Motive dafür hier nicht weiter spekuliert werden soll.Dieses systembedingte Defizit negiert die vorgenannte Rechtsprechung von EGMRund EuGH und wird dadurch noch verfestigt, indem der BFH jüngst erneut entschiedenhat, eine Verfahrensdauer von 5 Jahren sei nicht ohne weiteres unangemessen. 2293)Es bleibt daher zusätzlich zu erwägen, ob nach Erschöpfung des Rechtsweges nichtdieser spezifisch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit betreffende Mißstand einem Verfahrenvor dem EGMR zugeführt werden sollte.Dem BFH scheinen die gerade in der Finanzgerichtsbarkeit immer häufiger vorkommendenFälle überlanger Verfahrensdauer unangenehm zu sein, um es einmal vornehmauszudrücken. Und so ist er auf eine neue Argumentation verfallen, den Rechtschutzim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entgegen Art. 19 Abs. 4 GG zu verkürzen.So verlangt er allen ernstes, die Rüge einer überlangen Verfahrensdauer erfordere,daß der Beschwerdeführer darlege, worauf die überlange Verfahrensdauer beruheund ob dies der Finanzverwaltung bzw. dem FG angelastet werden könne. 2294)Ferner fordert der BFH, der Kläger müsse selbst zur Prozessbeschleunigung beigetragenhaben und auf diese gedrungen haben. 2295) Der BFH verkennt, daß er sich damit2291)2292)2293)2294)2295)BFH 30.06.2000 - VII K 01/00, BFH/NV 2000, 1490; BFH 30.01.2004 – V B 217/03, BFH/NV2004, 802BVerfG 17. 11. 1999 - 1 BvR 1708/99, NJW 2000, 797: „)Es ist in der verfassungsgerichtlichenRechtsprechung anerkannt, dass sich aus Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 20 III GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtlicheStreitigkeiten im materiellen Sinne ableiten lässt. Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesseder Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl.BVerfG, [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 1997, 2811 m.w. Nachw.). ..... Die vom Gerichtspräsidentenangeführten Gründe für die Verzögerung ändern nichts an ihrer Unvereinbarkeitmit dem Rechtsstaatsprinzip. Es verlangt eine funktionsfähige Rechtspflege. Dazu gehört auch eineangemessene Personalausstattung der Gerichte.c) Da eine Entscheidung im Ausgangsverfahren noch nicht ergangen ist, muss sich das BVerfGauf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach § 95 I BVerfGG beschränken. Das OLGHamburg ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dem VerfahrenFortgang zu geben und auf dessen raschen Abschluss hinzuwirken.“Siehe auch Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970 f.BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53; BFH 10.07.2002 – X B 170/00, BFH/NV2002, 1481; BFH 22.07.2003 – X B 97/02, BFH/NV 2004, 52, 53; BFH 07.05.2009 – XI B111/08, Rdn. 8 (Juris)BFH 07.05.2009 – XI B 111/08, Rdn. 8 (Juris).

- 377 - 37714041405ben. 2291) Ob das BVerfG dem folgen wird und den Lauf der Verfassungsbeschwerdeverfahrensfristerst von einer erfolglos durchgeführten Dienstaufsichtsbeschwerdeabhängig machen wird, erscheint ungewiss bis zweifelhaft. Im übrigen wird man sichauch mit folgendem Problem zu befassen haben:Es wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass Verfahrensdauern vor FG´s von mehrals 5 Jahren nichts ungewöhnliches sind. Damit wird deutlich, dass bei den FG´s, wodies kein Einzelfall ist, besagte Bun<strong>des</strong>länder schon seit Jahren – eigentlich seit Jahrzehnten- ihrem Verfassungsauftrag nicht gerecht werden, eine funktionsfähigeRechtspflege durch eine angemessene Personalausstattung zur Verfügung zu stellen.2292) Es entsteht dadurch der Verdacht, dass dort, wo Kläger immer der Steuerpflichtigeist, der sich gegen ihn belastende Bescheide <strong>des</strong> Finanzamtes wendet, derStaat es nicht sonderlich eilig zu haben scheint, für einen zeitnahen Rechtsschutz zusorgen, wobei über denkbare Motive dafür hier nicht weiter spekuliert werden soll.Dieses systembedingte Defizit negiert die vorgenannte Rechtsprechung von EGMRund EuGH und wird dadurch noch verfestigt, indem der BFH jüngst erneut entschiedenhat, eine Verfahrensdauer von 5 Jahren sei nicht ohne weiteres unangemessen. 2293)Es bleibt daher zusätzlich zu erwägen, ob nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges nichtdieser spezifisch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit betreffende Mißstand einem Verfahrenvor dem EGMR zugeführt werden sollte.Dem BFH scheinen die gerade in der Finanzgerichtsbarkeit immer häufiger vorkommendenFälle überlanger Verfahrensdauer unangenehm zu sein, um es einmal vornehmauszudrücken. Und so ist er auf eine neue Argumentation verfallen, den Rechtschutzim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entgegen Art. 19 Abs. 4 GG zu verkürzen.So verlangt er allen ernstes, die Rüge einer überlangen Verfahrensdauer erfordere,daß der Beschwerdeführer darlege, worauf die überlange Verfahrensdauer beruheund ob dies der Finanzverwaltung bzw. dem FG angelastet werden könne. 2294)Ferner fordert der BFH, der Kläger müsse selbst zur Prozessbeschleunigung beigetragenhaben und auf diese gedrungen haben. 2295) Der BFH verkennt, daß er sich damit2291)2292)2293)2294)2295)BFH 30.06.2000 - VII K 01/00, BFH/NV 2000, 1490; BFH 30.01.2004 – V B 217/03, BFH/NV2004, 802BVerfG 17. 11. 1999 - 1 BvR 1708/99, NJW 2000, 797: „)Es ist in der verfassungsgerichtlichenRechtsprechung anerkannt, dass sich aus Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 20 III GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtlicheStreitigkeiten im materiellen Sinne ableiten lässt. Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesseder Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl.BVerfG, [1. Kammer <strong>des</strong> Ersten Senats], NJW 1997, 2811 m.w. Nachw.). ..... Die vom Gerichtspräsidentenangeführten Gründe für die Verzögerung ändern nichts an ihrer Unvereinbarkeitmit dem Rechtsstaatsprinzip. Es verlangt eine funktionsfähige Rechtspflege. Dazu gehört auch eineangemessene Personalausstattung der Gerichte.c) Da eine Entscheidung im Ausgangsverfahren noch nicht ergangen ist, muss sich das BVerfGauf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach § 95 I BVerfGG beschränken. Das OLGHamburg ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dem VerfahrenFortgang zu geben und auf <strong>des</strong>sen raschen Abschluss hinzuwirken.“Siehe auch Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970 f.BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53; BFH 10.07.2002 – X B 170/00, BFH/NV2002, 1481; BFH 22.07.2003 – X B 97/02, BFH/NV 2004, 52, 53; BFH 07.05.2009 – XI B111/08, Rdn. 8 (Juris)BFH 07.05.2009 – XI B 111/08, Rdn. 8 (Juris).

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