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- 30 - 30596061626364656667Abgesehen von den allgemeinen, oben schon dargestellten, Gründen, ob ein Steuerprozessüberhaupt in Erwägung gezogen werden soll, wenn man mit dem Finanzamtzu keinem akzeptablen einvernehmlichen Ergebnis kommt, kommt hier eine sehr sorgfältigzu führende Analyse in folgenden Punkten hinzu:- Welche Sachverhalte hat die Rechtsprechung des BFH und der FG´s bisher entschiedenund welche nicht bzw. offen gehalten? Wie unterscheidet sich der hierden Steuerpflichtigen betreffende Sachverhalt von diesen?- Wie stellt sich die Finanzverwaltung in Richtlinien, Erlassen und Schreibendazu? Dabei gilt es zu bedenken, daß Finanzgerichte daran nicht gebunden sind,sehr wohl aber Verwaltungserlasse dann zu berücksichtigen haben, die aus Gründendes Vertrauensschutzes eine Heranführung der Verwaltungspraxis an eineverschärfende oder geänderte Rechtsprechung erleichtern helfen sollen, sofernsolche Erlasse dem in Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Grundsatz der Gesetzmäßigkeitder Verwaltung entsprechen. 78)- Welche Meinungen werden hierzu von wem im Fachschrifttum vertreten,getrennt nach Autoren aus der Richterschaft des BFH oder von FG´s, der Finanzverwaltung,der Wissenschaft und der Beraterschaft, in dieser Reihenfolge?- Welche Sachverhalte - und hierbei ist auch auf Nuancen zu achten - werden dabeiangesprochen und welche nicht und wie ist der hier zu beurteilende Sachverhalteinzuordnen?- Gibt es in der Rechtsprechung des EuGH und im Fachschrifttum hierzu sowie inder Rechtsprechung des BVerfG sowie im verfassungsrechtlichen Schrifttumhierzu oder zu ähnlichen Konstellationen bereits Aussagen?- Werden auf Fachveranstaltungen diese oder vergleichbare Fragen diskutiert undwelche Referenten aus der Richterschaft, Finanzverwaltung, Wissenschaft undder Beraterschaft vertreten hierzu mit welchen Gründen welche Meinungen?- Sind gesetzgeberische Initiativen - für welchen Zeitraum und für welche Sachverhaltskonstellationen- angedacht?Eine dies alles berücksichtigende Analyse ergibt einen Überblick über den Stand unddie Perspektiven der Rechtsentwicklung, was für die Entscheidungsfindung unbedingtberücksichtigt werden sollte. Und da solches Zeit in Anspruch nimmt, wird verständlich,warum man damit nicht erst nach einer negativen Einspruchsentscheidung beginnenkann. Vielmehr sollte solches bereits während des Einspruchsverfahrens durchgeführtwerden und in das Einspruchsverfahren eingebracht werden, wenn man es nichtschon anläßlich einer Außenprüfung für die Schlußbesprechung aufgearbeitet hat, umdamit den Versuch zu unternehmen, bei Meidung eines Steuerprozesses mit dem Finanzamtvielleicht doch noch zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen. Scheitertdies, weil z.B. das Finanzamt an Verwaltungserlasse gebunden ist, hat man damitfür die Meinungsbildung, ob man einen Steuerprozess aus grundsätzlichen Erwägungenführen sollte, jedenfalls für sich selbst umfassende Transparenz geschaffen, die78)BFH 01.10.2003 – X B 75/02, BFH/NV 2004, 44, 45. Zu Verwaltungserlassen und dem Grundsatzder Gesetzmäßigkeit der Verwaltung siehe Wagner ZSteu 2004, 62 ff. m.w.N.

- 31 - 31man für den Fall der Prozessführung entsprechend in den Steuerprozess einführenkann.686970717273bb)Verfassungs- und europarechtliche FragenGrundsatzfragen können aber auch aus folgenden Gründen Anlaß für eine Prüfungsein. Ergeht ein belastender Steuerbescheid und sind verfassungsrechtliche oder europarechtlicheFragen von Bedeutung, so ist es gleichwohl zulässig, gegen einen solchenBescheid Einspruch einzulegen. 79) Aber es gilt folgendes zu beachten:- Geht es im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage des belastenden Steuerbescheideseine Rechtsprechung eines FG oder des BFH ist, die gegen Verfassungsrechtoder Europarecht verstoßen könnte, hat man sich im Einspruchsverfahrendarauf berufen und ist deshalb in einem gleichgelagerten Fall ein Musterprozessbeim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies kein Fall des§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, denn dort ist nur von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzesmit höherrangigem Recht die Rede. Dann ruht das Einspruchsverfahrengemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 AO automatisch. Man kommt mithinnicht bis zum FG und kann die Dauer des Verfahrens nur über AdV überbrücken.Je nach Ausgang des Musterverfahrens ist dann im ruhenden Einspruchsverfahrennach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu verfahren.- Geht es dagegen im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage des belastendenSteuerbescheides dasselbe Steuergesetz ist, das gegen Verfassungsrecht oder Europarechtverstoßen könnte und ist deshalb dazu in einem gleichgelagerten Fallein Musterprozess beim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies einFall des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, 80) denn dort ist von der Vereinbarkeit einesSteuergesetzes mit höherrangigem Recht die Rede. Im Hinblick auf § 363Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AO ruht dann das Einspruchsverfahren nicht, es sei denn,man hat sich mit dem Finanzamt auf ein Ruhen verständigt (§ 363 Abs. 2 Satz 1AO) oder es liegt ein Fall des § 363 Abs. 2 Satz 3 AO vor.- Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Gemeinschaftsrechts habenFinanzämter und Finanzgerichte incl. dem BFH von Amts wegen zu prüfen undzu bewirken, daß dem nationalen Recht entgegenstehendes Gemeinschaftsrechtgegen nationales Recht durchgesetzt wird. Und in diesem Zusammenhang habenFinanzämter und Finanzgerichte bzw. der BFH von Amts wegen zu prüfen, obdas zur Anwendung kommende Gemeinschaftsrecht den Grundrechten derEMRK und Grundrechte-Charta entsprechen (Art. 6 Abs. 1 EUV). 81)79)80)81)BFH 22.03.1996 - III B 173/95, BStBl. II 1996, 506Gem. BFH 02.07.2008 – X B 39/08, BFH/NV 2008, 1645 bezieht sich der Vorläufigkeitsvermerkdes § 165 AO nur auf mögliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Bezug genommenengesetzlichen Regelung, nicht jedoch auf andere Fragen der Anwendung bzw. Auslegung des einfachenGesetzesrechts.EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Fransson), EuZW 2013, 302 Rdn. 17; Weiß EuZW 2013, 287,289 - Nach Weiß EuZW 2013, 287, 288 ist dies die erste Entscheidung des EuGH, wonach fürdie Geltung der Grundrechte-Charta über deren Wortlaut in Art. 51 Abs. 1 gilt: „Die Anwendbarkeitdes Unionsrechtsumfaßt die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte.“

- 31 - 31man für den Fall der Prozessführung entsprechend in den Steuerprozess einführenkann.686970717273bb)Verfassungs- und europarechtliche FragenGrundsatzfragen können aber auch aus folgenden Gründen Anlaß für eine Prüfungsein. Ergeht ein belastender Steuerbescheid und sind verfassungsrechtliche oder europarechtlicheFragen von Bedeutung, so ist es gleichwohl zulässig, gegen einen solchenBescheid Einspruch einzulegen. 79) Aber es gilt folgen<strong>des</strong> zu beachten:- Geht es im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage <strong>des</strong> belastenden Steuerbeschei<strong>des</strong>eine Rechtsprechung eines FG oder <strong>des</strong> BFH ist, die gegen Verfassungsrechtoder Europarecht verstoßen könnte, hat man sich im Einspruchsverfahrendarauf berufen und ist <strong>des</strong>halb in einem gleichgelagerten Fall ein Musterprozessbeim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies kein Fall <strong>des</strong>§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, denn dort ist nur von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzesmit höherrangigem Recht die Rede. Dann ruht das Einspruchsverfahrengemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 AO automatisch. Man kommt mithinnicht bis zum FG und kann die Dauer <strong>des</strong> Verfahrens nur über AdV überbrücken.Je nach Ausgang <strong>des</strong> Musterverfahrens ist dann im ruhenden Einspruchsverfahrennach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu verfahren.- Geht es dagegen im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage <strong>des</strong> belastendenSteuerbeschei<strong>des</strong> dasselbe Steuergesetz ist, das gegen Verfassungsrecht oder Europarechtverstoßen könnte und ist <strong>des</strong>halb dazu in einem gleichgelagerten Fallein Musterprozess beim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies einFall <strong>des</strong> § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, 80) denn dort ist von der Vereinbarkeit einesSteuergesetzes mit höherrangigem Recht die Rede. Im Hinblick auf § 363Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AO ruht dann das Einspruchsverfahren nicht, es sei denn,man hat sich mit dem Finanzamt auf ein Ruhen verständigt (§ 363 Abs. 2 Satz 1AO) oder es liegt ein Fall <strong>des</strong> § 363 Abs. 2 Satz 3 AO vor.- Aufgrund <strong>des</strong> Anwendungsvorrangs <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts habenFinanzämter und Finanzgerichte incl. dem BFH von Amts wegen zu prüfen undzu bewirken, daß dem nationalen Recht entgegenstehen<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtgegen nationales Recht durchgesetzt wird. Und in diesem Zusammenhang habenFinanzämter und Finanzgerichte bzw. der BFH von Amts wegen zu prüfen, obdas zur Anwendung kommende Gemeinschaftsrecht den Grundrechten derEMRK und Grundrechte-Charta entsprechen (Art. 6 Abs. 1 EUV). 81)79)80)81)BFH 22.03.1996 - III B 173/95, BStBl. II 1996, 506Gem. BFH 02.07.2008 – X B 39/08, BFH/NV 2008, 1645 bezieht sich der Vorläufigkeitsvermerk<strong>des</strong> § 165 AO nur auf mögliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Bezug genommenengesetzlichen Regelung, nicht jedoch auf andere Fragen der Anwendung bzw. Auslegung <strong>des</strong> einfachenGesetzesrechts.EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Fransson), EuZW 2013, 302 Rdn. 17; Weiß EuZW 2013, 287,289 - Nach Weiß EuZW 2013, 287, 288 ist dies die erste Entscheidung <strong>des</strong> EuGH, wonach fürdie Geltung der Grundrechte-Charta über deren Wortlaut in Art. 51 Abs. 1 gilt: „Die Anwendbarkeit<strong>des</strong> Unionsrechtsumfaßt die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte.“

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