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- 149 - 149503erhebliche Entwicklungen seit der Ausarbeitung der Konvention stattgefunden. Während esdamals in einigen Rechtsordnungen zweifelhaft war, inwieweit Verwaltungsakte in steuerlichenAngelegenheiten durch ein Gericht überprüft werden konnten – wenn überhaupt -, istheute zumin<strong>des</strong>t in der großen Mehrheit der Vertragsstaaten anerkannt, dass Streitigkeiten inSteuersachen in einem ordentlichen Verfahren von einem Gericht entschieden werden können.Daher ist es schwer einzusehen, weshalb es immer noch notwendig sein soll, dem Staat indiesem Bereich ein besonderes Vorrecht im Rahmen der Konvention einzuräumen und so demBürger in Steuersachen die elementaren Verfahrensgarantien <strong>des</strong> Art. 6 I EMRK zu versagen.Wie unter anderem Richter Ress in seiner Zustimmenden Meinung aufzeigt, besteht die klareNotwendigkeit, solch einen Schutz zu gewähren – nicht zuletzt gegen langdauernde Verfahrenverbunden mit der Pflicht, Steuern zu zahlen, bevor eine Streitigkeit über die Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> Steuerbescheids schließlich entschieden ist. Meiner Ansicht nach gibt Art. 1 Zusatzprotokollnichts her für die Annahme, dass die Absicht bestanden hätte, dem Staat das Recht zugeben, dem Einzelnen jeden verfahrensrechtlichen Schutz in Steuersachen zu verweigern. Wiesoll es gerechtfertigt sein, der Kontrolle <strong>des</strong> Gerichtshofs die in Art. 6 I EMRK garantiertenVerfahrensrechte für eine Streitigkeit zu entziehen, deren Gegenstand in direkter Verbindungzu einem zivilrechtlichen Aspekt steht (in diesem Fall der Schutz <strong>des</strong> Eigentums)? Eine solcheAuslegung wiederliefe auch der sich ständig entwickelnden Rechtsprechung <strong>des</strong> Gerichtshofs,wonach materielle Vorschriften der Konvention, wie Art. 2, 3 und 8, dahin auszulegen sind,dass sie dem Staat auch verfahrensrechtliche Verpflichtungen auferlegen.Darüber hinaus ist es schwierig zu erklären, weshalb eine ausdehnende Auslegung von Art. 6 IEMRK, bezogen auf seinen „zivilrechtlichen“ Aspekt, wegen der Notwendigkeit unmöglichist, dem Staat Vorrechte in Steuerfragen zu erhalten, während der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung,wonach Steuerstreitigkeiten unter den „strafrechtlichen“ Aspekt in den Geltungsbereichvon Art. 6 I EMRK fallen, recht weit gegangen ist. Seit seinem Urteil im Fall Bendenoun/Frankreich(EGMR, 1994, Serie A, Bd. 284) hat der Gerichtshof ständig Verfahren überSteuerstreitigkeiten als „strafrechtlich“ („criminal“/„caractère pénal“) angesehen, wenn Bußgelderin Steuerstrafverfahren, Steuererhöhungen oder –aufschläge usw. zum Zweck der Abschreckungoder Bestrafung verhängt worden waren, oder sogar dann, wenn nur die Gefahrbestand, dass es zu solchen Maßnahmen kam (s. zuletzt EGMR, NJW 2002, 499 – J.B./Schweiz, nicht rechtskräftig). Das Ergebnis ist nicht anders, wenn das Verfahren auch dieSteuerfestsetzung als solche betrifft (s. EGMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 16. 5. 2000, Beschw.Nr. 40042/98 – Georgiou/Vereinigtes Königreich). Dies bedeutet, dass der Umfang <strong>des</strong>Schutzes nach Art. 6 I EMRK unterschiedlich ist, je nachdem, wie der rechtliche Rahmen fürdie Steuerverfahren in den verschiedenen Rechtsordnungen geregelt ist. Selbst in ein und demselbenRechtssystem mag es eine Frage reinen Zufalls sein, ob Strafverfahren und Steuerfestsetzungsverfahrenmiteinander verbunden sind oder nicht. Eine Auslegung der Konvention,die zu derart zufälligen Ergebnissen führt, ist weit davon entfernt, zu befriedigen.9. Aus diesen Gründen komme ich zu dem Schluss, dass es keine überzeugenden Argumentedafür gibt, die derzeitige Rechtsprechung <strong>des</strong> Gerichtshofs beizubehalten, wonach in Steuersachennicht über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ („civil rights and obligations“/„droitset obligations de caractère civil“) entschieden wird. Daher bin ich der Auffassung,dass Art. 6 I EMRK im vorliegenden Fall anwendbar ist.“ 819)Bei so vielen substantiellen Argumenten von 6 Richtern <strong>des</strong> EGMR und demaufzeigen einer uneinheitlichen Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zu der streitigen Fragekann nicht nicht davon ausgegangen werden, es als gesichert anzusehen, daß Art. 6Abs. 1 EMRK im Steuer- und Steuerverfahrensrecht nicht anwendbar sei. Dies beläßtmithin dem Steueranwalt die Möglichkeit, in Steuerprozessen Art. 6 Abs. 1 EMRK819)Abweichenden Meinungen der Richter Lorenzen, Rozakis, Bonello, Straznicka, Birsan, FischbachNJW 2002, 3453, 345 7 f.

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