Brockhaus /Antiquarium 1856 bis 2006. Ein Blick in die Geschichte ...
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<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong><strong>1856</strong> <strong>bis</strong> 2006<strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Blick</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong>zum 150-jährigen Jubiläum1
Impressum:Text: Frank Werner (unter Mitwirkung von Susanne Heeber)Konzept und Redaktion: Dr. Barbara WernerQuellen:Arthur Hübscher, Hundertfünfzig Jahre F. A. <strong>Brockhaus</strong> 1805 <strong>bis</strong> 1955.Wiesbaden 1955F. A. <strong>Brockhaus</strong> 1905 <strong>bis</strong> 2005. Herausgegeben von Thomas Keiderl<strong>in</strong>g.Leipzig und Mannheim 2005Die Abbildungen sowie alle weiteren Quellen stammen aus dem Archiv von <strong>Brockhaus</strong> / Commission(Kornwestheim).Für Anregungen und zusätzliche Informationen zur <strong>Geschichte</strong> der Familie <strong>Brockhaus</strong> und desUnternehmens möchten wir Frau Christ<strong>in</strong>e Berg und Dr. Wolfgang Berg herzlich danken.2
BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006Am Anfang steht e<strong>in</strong>e häufig gestellte Frage: Washat <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> mit dem „Großen<strong>Brockhaus</strong>“ zu tun? Das 150 Jahre alte Antiquariatund das Konversationslexikon,Friedrich Arnold<strong>Brockhaus</strong>, Leipzig,Querstraße 16welches – entweder <strong>in</strong> schweren Halblederbändenoder mittlerweile auch als CD-ROM– <strong>in</strong> fast jedem Bücherregal zu f<strong>in</strong>den ist,haben e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same historische Wurzel.Friedrich Arnold <strong>Brockhaus</strong> (1772–1823),Spross e<strong>in</strong>er westfälischen Pastorenfamilie,gründete 1805 <strong>in</strong> Amsterdam e<strong>in</strong>e Buchhandlungund e<strong>in</strong>en Verlag, <strong>die</strong> seit 1814 denNamen F. A. <strong>Brockhaus</strong> führten. Im Jahre 1817siedelte er nach Leipzig über, das schon damalsdas Zentrum deutscher Buchkultur war.Hier errichtete er 1818 e<strong>in</strong>e Druckerei, <strong>in</strong> derer fortan <strong>die</strong> von ihm verlegten Werke herstellenließ.Die Firma expan<strong>die</strong>rte. 1827 kauften <strong>die</strong> Söhneund Nachfolger des Firmengründers, Friedrichund He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>, <strong>die</strong> Kommissionsbuchhandlungvon He<strong>in</strong>richEduard Gräfe1. Januar <strong>1856</strong>– Der „Große <strong>Brockhaus</strong>“und das „<strong>Antiquarium</strong>“und traten dem 1825 gegründeten Börsenvere<strong>in</strong>des deutschen Buchhandels (damalsnoch: der deutschen Buchhändler) bei. Darausg<strong>in</strong>g 1829 das F. A. <strong>Brockhaus</strong> Kommissionsgeschäfthervor, das als Zwischenbuchhandele<strong>in</strong>e Brücke zwischen Verlags- und Sortimentsbuchhandelschlug. 1837 übernahmen<strong>die</strong> Brüder <strong>Brockhaus</strong> – Friedrich kümmertesich um Technik und Logistik, He<strong>in</strong>rich um<strong>die</strong> verlegerischen und buchhändlerischenBelange – <strong>die</strong> Leipziger Import- und Exportbuchhandlung„Avenarius und Friedle<strong>in</strong>“.Diese führten sie unter dem Namen „<strong>Brockhaus</strong>und Avenarius“ weiter und unterhielten<strong>bis</strong> 1844 sogar e<strong>in</strong>e Filiale <strong>in</strong> Paris. Die vergriffenenBücher vertrieb F. A. <strong>Brockhaus</strong> zu-3
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAnächst über das Sortiment. Da sich aber schnell daraus e<strong>in</strong> lukratives Geschäftentwickelte, entschloss man sich zur Gründung e<strong>in</strong>es eigenen Antiquariates.<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> Am 1. Januar <strong>1856</strong> war es so weit. „Die Anfänge– <strong>E<strong>in</strong></strong>e Schatzkammer für e<strong>in</strong>es antiquarischen Lagers hatten sich nach undnach gebildet; besonders führten ausgedehnte Tauschgeschäftevon Werken des eigenen Verlags sowohl gegenSeltenes und Wertvolles,Außergewöhnliches und eigentliche antiquarische Artikel als auch neue Publicationenanderer Verleger zur Begründung und allmäh-Exotisches, <strong>in</strong> Buchformlichen Entwicklung des <strong>Antiquarium</strong>s. Die Vere<strong>in</strong>igungbeider Zweige, des Sortimentsgeschäfts und des <strong>Antiquarium</strong>s, welche sich ohneh<strong>in</strong><strong>in</strong> ihrem Geschäftsgang berührten, erfolgte 1. Januar <strong>1856</strong>, von welchem Zeitpunktab <strong>die</strong> Firma ‚F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und <strong>Antiquarium</strong>’ datirt.“ So stehtes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Brockhaus</strong>-Festschrift aus dem Jahre 1872. Als „<strong>Antiquarium</strong>“ bezeichneteman im 19. Jahrhundert <strong>die</strong> fürstlichen Kunst- und Antiquitätenkab<strong>in</strong>ette, <strong>in</strong>denen sich alles ansammelte, was den Besitzern wert, teuer und exotisch schien.Und als solches galt das „<strong>Antiquarium</strong>“ im Hause <strong>Brockhaus</strong> wohl auch von Anfangan: als e<strong>in</strong>e Schatzkammer für Seltenes und Wertvolles, Außergewöhnlichesund Exotisches – <strong>in</strong> Buchform.He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>,<strong>die</strong> Verlegerpersönlichkeit,engagiertPaul Trömel, e<strong>in</strong>en„reich begabten Geist“des Leipziger Hauses <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Hände und <strong>die</strong>des Bruders Friedrich überg<strong>in</strong>gen. Vielseitigund weltweit <strong>in</strong>teressiert, gebildet, liberal,großzügig und mutig war He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>derjenige, der das Unternehmen zu e<strong>in</strong>er Bedeutungund Größe brachte, <strong>die</strong> nie übertroffenwurde. Er war e<strong>in</strong>e der bedeutenden Verlegerpersönlichkeitendes 19. Jahrhundertsund <strong>die</strong> treibende Kraft, <strong>die</strong> aus dem Verlagdes Großen <strong>Brockhaus</strong> e<strong>in</strong> Haus des Buchesmachte, das alle Sparten des Verlags- undBuchhandelswesens unter e<strong>in</strong>em Dach vere<strong>in</strong>igte.Die Jahre der Expansion fallen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Ära He<strong>in</strong>rich<strong>Brockhaus</strong> (1804–1874). Dieser war mitFünfzehn <strong>in</strong>s Geschäft e<strong>in</strong>getreten und beim Tode se<strong>in</strong>esVaters FriedrichArnold 1823 erstsiebzehn Jahre alt,als <strong>die</strong> Geschicke4
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2Und es war He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>, der mit e<strong>in</strong>er Personalentscheidung für e<strong>in</strong>enguten Start des jungen <strong>Antiquarium</strong>s sorgte: Er übertrug dessen LeitungPaul Trömel (1832–1863). Dieser „reich begabte Geist“, wie ihn He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>e<strong>in</strong>mal nannte, trat 1847 als Lehrl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Verlag e<strong>in</strong>, wo se<strong>in</strong> Vater <strong>die</strong> Positiondes „Oberfaktors“ ausfüllte, was etwa der e<strong>in</strong>esheutigen Abteilungsleiters entspricht. SohnPaul erlernte zunächst <strong>in</strong> der Abteilung „Commissionsgeschäft“<strong>die</strong> Grundlagen des Buchhandels.He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong> fand Gefallenan dem neuen Gehilfen und übertrug ihm<strong>die</strong> Pflege der <strong>Brockhaus</strong>’schen Privatbibliothek.Nach getaner Tagesarbeit, versteht sich.Da blieben Paul Trömel nur wenige Mußestundenfür eigene Stu<strong>die</strong>n – <strong>die</strong> er nutzte.Se<strong>in</strong>en „bibliographischen Versuch“ mit demTitel Die Literatur der Deutschen Mundartenvollendete er 1854. Fast „nebenbei“ gab er <strong>die</strong>bei <strong>Brockhaus</strong> gedruckte Allgeme<strong>in</strong>e Bibliographieheraus und besorgte als verantwortlicherRedakteur von 1858 <strong>bis</strong> 1862 den Central-Anzeigerfür Freunde der Literatur sowie<strong>die</strong> Bibliografia Polska.He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>, der <strong>1856</strong> <strong>die</strong> „Wiederbelebung (des) ausländischen Geschäftsund des damit verbundenen (neuen) <strong>Antiquarium</strong>s“ im Auge hatte,sah <strong>in</strong> Trömel den richtigen Mann zur Leitung desselben: Aus der Praxis des Buchhandelskommend und von profunder Bildung, besaß Trömel <strong>die</strong> idealen Voraussetzungenzum Antiquar und Sortimenter.„Bibliothèque América<strong>in</strong>e“– 435 Bücher,„wol irgendwo <strong>in</strong> Amerikaals e<strong>in</strong> Ganzesaufgestellt“Um <strong>die</strong> „e<strong>in</strong>schlagenden Verhältnisse des Auslandes“genauer kennen zu lernen, begab sichPaul Trömel auf Reisen durch Deutschland, Frankreich,England, Belgien und Holland. Bei <strong>die</strong>ser Gelegenheiterwarb er <strong>in</strong> Amsterdam e<strong>in</strong>e Sammlung von Schriftenzur <strong>Geschichte</strong> Amerikas. Daraus entstand 1861 <strong>die</strong>Bibliothèque América<strong>in</strong>e. Catalogue raisonné d’une collectionde livres précieux sur l’Amérique parus depuis sa découverte jusqu’à l’an 1700.He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong> lobte den Katalog als „e<strong>in</strong>e Arbeit, <strong>die</strong> immer ihren Werthbehaupten wird und <strong>die</strong> man wegen der den e<strong>in</strong>zelnen Titeln beigefügten historischenund bibliographischen Notizen sowie wegen der geschmackvollen Ausführungdes Ganzen als e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es bibliographisches Meisterwerk bezeichnen darf“.Die Bibliothèque América<strong>in</strong>e umfasste 435 Nummern, <strong>die</strong> Preise dar<strong>in</strong> bewegten5
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAsich zwischen 1 und 100 Talern, <strong>die</strong> man für das seltenste Werk mit dem Vermerk„seul exemplaire connu“ aufbr<strong>in</strong>gen musste: <strong>die</strong> 1662 von P. C. Plockhoy verfassteSchrift Kort en klaer ontwerp / <strong>die</strong>nende tot / Een onderl<strong>in</strong>g Acooort, / om / Den arbeyd,onrust en en moeye- / lijckheyt, van Alderley-handwercxs- / luyden te verlichten …Die Sammlung ist dann nach London verkauft und, so He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>, „wolirgendwo <strong>in</strong> Amerika als e<strong>in</strong> Ganzes aufgestellt“ worden.„Er war der begabtesteund h<strong>in</strong>gebendste Mitarbeiter,den <strong>die</strong> Firma<strong>Brockhaus</strong> je gehabt hat.“(He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>über Paul Trömel)Trömel und Kerner entspann, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emBesuch im We<strong>in</strong>sberger Kerner-Haus gipfelte.Die bekannteste Arbeit des ersten <strong>Brockhaus</strong>-Antiquars aber war ke<strong>in</strong> Antiquariatskatalog,sondern e<strong>in</strong>e Bibliographie, <strong>die</strong> noch heuteoft für e<strong>in</strong>en Katalog gehalten wird: Schiller-Bibliothek. Verzeichniss derjenigen Drucke, welche<strong>die</strong> Grundlage des Textes der Schiller’schenWerke bilden.In nicht mehr als sechs Jahren machte Paul Trömeldas <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> weltweit bekannt, erwarbsich e<strong>in</strong>en Ruf als Bibliograph und knüpfte Kontaktezu den Größen se<strong>in</strong>er Zeit. Der Dichter Just<strong>in</strong>usKerner erkundigte sich persönlich bei He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>,„ob <strong>die</strong>ser mir so theure Mann noch lebt“ –worauf sich e<strong>in</strong><strong>in</strong>tensiver Briefwechselzwischen1861 ernannte <strong>die</strong> Geschäftsleitung Trömel<strong>in</strong> Anerkennung se<strong>in</strong>er Leistungenzum „Associé der Firma F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortimentund <strong>Antiquarium</strong>“. <strong>E<strong>in</strong></strong> Jahr darauf,am 1. Januar 1862, starb er. Die Schiller-Bibliothekerschien posthum mit e<strong>in</strong>em sehr persönlichgehaltenen Nachruf se<strong>in</strong>es Mentors, aus dem <strong>die</strong> oben angeführten Zitatestammen. He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong> würdigte Trömel: „Er war der begabteste und h<strong>in</strong>gebendsteMitarbeiter, den <strong>die</strong> Firma <strong>Brockhaus</strong> je gehabt hat.“1857 – Dom Pedro II.ernennt <strong>Brockhaus</strong>zum Hofbuchhändlerdes brasilianischenKaisersDanach führte zunächst für 27 Jahre HermannZiegenbalg das <strong>Antiquarium</strong>. Später folgten ErasmusKasprovicz, Otto Kistner, Hermann Richter undArnold Kuczynski, <strong>die</strong> alle auch für das Sortiment zuständigwaren. Es waren Jahre des Aufschwungs. Baldschon nahm „F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und Antiqua-6
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2„Frium“ beim Absatz ausländischer Literatur <strong>in</strong>Deutschland und deutscher Literatur im Auslande<strong>in</strong>e der ersten Stellen e<strong>in</strong> – mit besondersguten Verb<strong>in</strong>dungen nach Brasilien undNordamerika. Belohnt wurden <strong>die</strong> weltweitenAktivitäten im Jahre 1857 vom brasilianischenKaiser Dom Pedro II. Der den Künsten undWissenschaften zugewandte Regent ernannte„F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und <strong>Antiquarium</strong>“zum „Buchhändler des kaiserlichen Hauses“.Vom damit verbundenen Recht, das Wappendes brasilianischen Hofes an der Vorderseitedes Geschäftsgebäudes anzubr<strong>in</strong>gen, machten<strong>die</strong> Leipziger im 19. Jahrhundert allerd<strong>in</strong>gske<strong>in</strong>en Gebrauch; <strong>die</strong> damals geknüpften Beziehungenpflegt <strong>die</strong> Exportbuchhandlungunter dem Namen <strong>Brockhaus</strong> / German Booksjedoch noch heute, vor allem nach Nordamerika.A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und <strong>Antiquarium</strong>“ Bücher über Bücher,war das klassische wissenschaftliche Antiquariat8972 Nummerndes 19. Jahrhunderts. Ausgestattet mit e<strong>in</strong>em großenLager und – gemessen an heutigen Verhältnissen – zahlreichemPersonal publizierte man umfangreiche Kataloge, und Alterthumskunde“!„Classische Philologie<strong>in</strong> denen sich Raritäten wie Inkunabeln oder selteneErstdrucke mehr oder weniger unspektakulär neben <strong>die</strong> preisgünstige Forschungsliterature<strong>in</strong>reihten. Da <strong>Antiquarium</strong> und Sortiment eng mite<strong>in</strong>ander kooperierten,nahm man auch so genannte „Bl<strong>in</strong>daufnahmen“ von Büchern <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kataloge auf,<strong>die</strong> nicht im Lager standen. Bei Bedarf besorgte <strong>die</strong>se <strong>die</strong> hauseigene Buchhandlung– e<strong>in</strong>e Praxis, <strong>die</strong> übrigens noch vor zwanzig Jahren bei <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>üblich war.Noch galt das Antiquariat im Hause F. A. <strong>Brockhaus</strong> nicht als Spezialist fürReisebeschreibungen und Entdeckungsgeschichte. Der Schwerpunkt laggenerell auf den Natur- und Geisteswissenschaften. Oft bot man ganze Sammlungenvon Gelehrten an, etwa <strong>die</strong> Bibliothek des Ägyptologen und OrientalistenRichard Lepsius oder <strong>die</strong> bedeutende botanische Bibliothek der Brüder Carl undEduard Morren aus Lüttich. Nicht selten enthielten <strong>die</strong> Kataloge 4000 <strong>bis</strong> 5000Titel, doch <strong>die</strong> Classische Philologie und Alterthumskunde übertraf im Jahre 1887alle – mit 8972 Nummern! Solche Mengen antiquarischer Bücher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigenKatalog s<strong>in</strong>d im 21. Jahrhundert kaum mehr vorstellbar. Da nimmt es nicht7
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAWunder, dass der leitende <strong>Brockhaus</strong>-Antiquar, <strong>die</strong> zwölf „Gehülfen“, der Expe<strong>die</strong>ntsowie <strong>die</strong> fünf Markthelfer und Burschen, <strong>die</strong> ihm damals zuarbeiteten, vollauf damitbeschäftigt waren, <strong>die</strong> gewünschten Bücher aus den Regalen zu holen, zu verpacken,zu fakturieren, zu versenden oder direkt zur Kundschaft zu tragen – umdann wieder für neuen Nachschub <strong>in</strong> neuen Katalogen zu sorgen.„Die Arbeit desA(ntiquars) ist mühselig,bietet jedoch <strong>die</strong> Möglichkeitzur Selbständigkeitund zu e<strong>in</strong>erangesehenen Stellung.“(<strong>Brockhaus</strong>,15. Auflage 1928)In <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht ersche<strong>in</strong>t das Zitat aus dem Großen<strong>Brockhaus</strong> von 1928 nur zu verständlich –mühselig, ja, aber e<strong>in</strong>e „angesehene Stellung“? Dortheißt es weiter: „In Deutschland hat sich bes(onders)das wissensch(aftliche) Antiquariat zu großer Blüte entwickelt,<strong>in</strong>dem es,z. T. mit Berücksichtigungder e<strong>in</strong>schlägigenneuenLiteratur, sorgfältigbearbeitete Spezialkatalogeüber e<strong>in</strong>zelne Wissenschaftenherausgab, <strong>die</strong> nicht selten für den Gelehrtenden Wert von Bibliographien haben.“ DieseEntwicklung setzte im 19. Jahrhundert e<strong>in</strong>.<strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> ist nicht das e<strong>in</strong>zigeAntiquariat, dessen Spuren sich soweit zurückverfolgen lassen. Das Erasmushaus<strong>in</strong> Basel wurde 1800 gegründet, Müller & Gräff1802 <strong>in</strong> Stuttgart, J.J. Heckenhauer 1823 <strong>in</strong>Tüb<strong>in</strong>gen und A. Asher 1830 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (weshalb<strong>in</strong> der Bibliothèque América<strong>in</strong>e Vermerkewie „Asher No. 77“ oder „Asher No. 588“ regelmäßigzu lesen s<strong>in</strong>d). Auch J. A. Stargardt,damals noch <strong>in</strong> Marburg, heute Berl<strong>in</strong>, wurde1830 gegründet. Die beiden Londoner AntiquariateQuaritch und Maggs stammen aus den Jahren 1847 und 1853. LudwigRosenthal’s Antiquariaat reicht <strong>bis</strong> 1859 zurück und <strong>die</strong> ehemals Königliche HofbuchhandlungTheodor Ackermann <strong>in</strong> München (2003 geschlossen) <strong>bis</strong> <strong>in</strong>s Jahr1865, während Harrassowitz, wie <strong>Brockhaus</strong> e<strong>in</strong>e Leipziger Gründung, 1872 <strong>die</strong>Geschäfte aufnahm.Doch geben <strong>die</strong> Leute ke<strong>in</strong> Geld mehr für Champagner aus, hieß es früher <strong>in</strong>Londoner Antiquariatskreisen, dann kaufen sie auch ke<strong>in</strong>en Luxus, erst rechtke<strong>in</strong>e schönen alten Bücher. Als <strong>die</strong> konjunkturelle Hochphase und der florierende8
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2Exporthandel durch Kriege und Wirtschaftskrisene<strong>in</strong> Ende fanden, schlug <strong>die</strong> gesellschaftlicheHochstimmung der Jahrhundertwende<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katerstimmung um – und <strong>die</strong>Blütezeit der Bibliophilie war vorerst vorüber.Zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts machte derAntiquariatsbuchhandel e<strong>in</strong>en Wandel durch,gegen den <strong>die</strong> heute viel diskutierte angeblicheKehrtwende vom Laden- und Katalog- zumInternetgeschäft e<strong>in</strong>e vergleichsweise unbedeutendeWegmarke darstellt. Wollte manweiter „<strong>in</strong> angesehener Stellung“ bestehen,musste man sich an <strong>die</strong> sich rasant änderndenVerhältnisse anpassen – und sich se<strong>in</strong>erseitsverändern. „F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und<strong>Antiquarium</strong>“ kam dabei e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>gerzeig desSchicksals zu Hilfe, den weniger romantischeGeister als verlags<strong>in</strong>terne Notwendigkeit <strong>in</strong>terpretierenwürden.<strong>E<strong>in</strong></strong>es Tages – Albert und Rudolf <strong>Brockhaus</strong> hattendas Erbe von Friedrich und He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong>angetreten – saßen jene beiden neuenHerren der Leipziger Querstraße imnobel ausgestatteten Besprechungszimmer.Man berietJahrhundertwende– <strong>E<strong>in</strong></strong> Globus alsF<strong>in</strong>gerzeig desSchicksalssich unter anderem über das <strong>Antiquarium</strong>. Da löste siche<strong>in</strong> auf dem Schrank stehender kle<strong>in</strong>er Globus und fiele<strong>in</strong>em der beiden Anwesenden auf den Kopf. Damitfiel auch e<strong>in</strong>e Entscheidung: Von nun an spezialisiertesich <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> auf Geographie undReisebeschreibungen.<strong>E<strong>in</strong></strong>e schöne <strong>Geschichte</strong>, <strong>die</strong> sich aus der Zeit um 1890als Firmenanekdote erhalten hat. Selbst wenn sie nichtwahr se<strong>in</strong> sollte, ist sie doch gut erfunden. Wahrsche<strong>in</strong>licheraber als <strong>die</strong>ser „F<strong>in</strong>gerzeig des Schicksals“ ist Folgendes: Für <strong>die</strong>Spezialisierung des <strong>Antiquarium</strong>s war e<strong>in</strong>e Richtungsentscheidungim Verlag ausschlaggebend.Schon 1851 erschien bei F. A. <strong>Brockhaus</strong> mit Adolf KirstensSkizzen aus den Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Nordamerika e<strong>in</strong> wich-9
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAtiges Reisewerk. In den Jahren 1855 <strong>bis</strong> 1859 druckte man dann <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong>’ Reise-Bibliothek für Eisenbahnen und Dampfschiffe – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> jener Zeit der neuen, schnellerenund weiteren Reisemöglichkeiten beliebte Buchform, <strong>die</strong> man den Passagierenzu Lande und zu Wasser <strong>in</strong>s Coupé oder <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e legte.<strong>E<strong>in</strong></strong>e Reise, <strong>die</strong> früher mit Pferd, Kutsche oder SegelschiffMonate beansprucht hätte, dauerte plötzlichnicht mehr als e<strong>in</strong> paar Wochen oder Tage. Distanzen,<strong>die</strong> früher unüberbrückbar schienen, rückten <strong>in</strong>greifbare Nähe. Die Briten wurden Kolonialmacht <strong>in</strong>Asien und Afrika, <strong>die</strong> Franzosen <strong>in</strong> Nordafrika, Südostasienund Polynesien, <strong>die</strong> Belgier im Kongo, <strong>die</strong> Deutschen <strong>in</strong> Südwestafrika,Kamerun, Togo, <strong>in</strong> der Südsee und auf Samoa. Abenteurer und Entdecker brachenauf. Als syrischer Kaufmann verkleidet gelangteJohann Ludwig Burckhardt <strong>bis</strong> nachMekka, was ihm den Ehrentitel e<strong>in</strong>es „Hadschi“e<strong>in</strong>brachte. Oskar Lenz erreichte dassagenhafte Timbuktu, während Stanley aufder Suche nach dem verschollenen Liv<strong>in</strong>gstoneAfrika durchquerte. Nansen, Amundsen, Scott,Shackleton und viele andere trugen den Wettlaufzu Nord- und Südpol aus, beobachtetvon der ganzen Welt. Die Daheimgebliebenenpackte das Fernweh und sie packten ihre Koffer.Sie reisten <strong>in</strong> ferne Länder – oder wolltenzum<strong>in</strong>dest <strong>Geschichte</strong>n darüber lesen. DieWelt wurde kle<strong>in</strong>er, das Abenteuer zog <strong>in</strong> <strong>die</strong>Bücherregale e<strong>in</strong> – und mit ihm <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong>-Reiseliteratur.Die Welt wurde kle<strong>in</strong>er,das Abenteuer zog <strong>in</strong> <strong>die</strong>Bücherregale e<strong>in</strong> – und mit ihm<strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong>-ReiseliteraturSo kamen <strong>die</strong> beliebten <strong>Brockhaus</strong>-Bücherauf den Markt, seit 1872 mit ihrem typischen,<strong>in</strong>dividuellen Gesicht durch <strong>die</strong> <strong>bis</strong>heute bekannten <strong>E<strong>in</strong></strong>bände, auf denen der abenteuerliche Inhalt <strong>in</strong>s Bild gesetztwurde. Ob als Jugendbuch gekürzt <strong>in</strong> der Reihe Reisen und Abenteuer oder als ausführlicher,offizieller Expeditionsbericht, <strong>die</strong> Reisewerke von F. A. <strong>Brockhaus</strong> fandenreißenden Absatz und zählten bald zu den Klassikern. Genannt seien hier nur e<strong>in</strong>ige:Georg Schwe<strong>in</strong>furths Im Herzen von Afrika, Gerhard Rohlfs’ Expedition zur Erforschungder Ly<strong>bis</strong>chen Wüste, Henry M. Stanleys Im dunkelsten Afrika, Gustav NachtigalsSahara und Sudan, Adolf E. Nordenskjölds Die Umsegelung Asiens und Europas,He<strong>in</strong>rich Schliemanns berühmter Ausgrabungsbericht Troya sowie e<strong>in</strong> Bestseller –Fridtjof Nansens In Nacht und Eis. Viele weitere <strong>Brockhaus</strong>-Reisebücher aus <strong>die</strong>serZeit f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> jedem aktuellen Katalog des heutigen <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong>s.10
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2<strong>E<strong>in</strong></strong> Freund des Verlages und der Familie, der übere<strong>in</strong> Vierteljahrhundert von 1899 <strong>bis</strong> 1921 <strong>in</strong>engem Kontakt mit Albert <strong>Brockhaus</strong> stand, war e<strong>in</strong>erder prom<strong>in</strong>entesten Reisenden überhaupt: Sven Hed<strong>in</strong>.1910 schrieb er an Albert <strong>Brockhaus</strong>: „Ihre Freundschaftist <strong>die</strong> kostbarste Auszeichnung, <strong>die</strong> ich durch me<strong>in</strong>eReisen <strong>in</strong> Asien gewonnen habe.“ Das gute private Verhältniszwischen Autor und Verleger, dokumentiert <strong>in</strong>„Ihre Freundschaft ist <strong>die</strong>kostbarste Auszeichnung,<strong>die</strong> ich durch me<strong>in</strong>e Reisen<strong>in</strong> Asien gewonnen habe.“(Sven Hed<strong>in</strong> an Albert<strong>Brockhaus</strong>)dem 1941 von Suse <strong>Brockhaus</strong> e<strong>die</strong>rten Briefwechsel, war e<strong>in</strong>e der Grundlagen fürden beiderseitigen Erfolg. F. A. <strong>Brockhaus</strong> machte Svens Hed<strong>in</strong>s Expeditionen über<strong>die</strong> schönen Buchausgaben <strong>in</strong> Deutschland bekannt, und <strong>die</strong> Beliebtheit, <strong>die</strong> Hed<strong>in</strong>hier genoss, steigerte das Ansehen des Verlages. F. A. <strong>Brockhaus</strong> und Abenteuer <strong>in</strong>Tibet, F. A. <strong>Brockhaus</strong> und Transhimalaja – das war <strong>in</strong> den Augen der Leser baldgleichbedeutend mit F. A. <strong>Brockhaus</strong> undReiseliteratur. Für das <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>hat sich <strong>die</strong>se Assoziationskette <strong>bis</strong> <strong>in</strong>s21. Jahrhundert erhalten. Sie ist zu e<strong>in</strong>emMarkenzeichen geworden.Bis es so weit kommen konnte, musstedas <strong>Antiquarium</strong> – wie Sortiment undVerlag – Krisenjahre bewältigen. Zwar kam ab1928 <strong>die</strong> berühmte fünfzehnte Auflage desGroßen <strong>Brockhaus</strong> auf den Markt, doch Krieg,Streiks und Inflation h<strong>in</strong>terließen ökonomischeSpuren. Über das <strong>Antiquarium</strong> gibt eskaum historisches Material oder Kataloge ausjenen Jahren. Vermutlich wurden <strong>die</strong> altenBücher wie früher über das Sortiment verkauft.Sicher hatte das <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>wie alle Antiquariate unter der Konkurrenzberufsfremder Billiganbieter zu leiden, <strong>die</strong>Bernhard Wendt treffend „Inflationsantiquare“taufte: „Die zahlreichen Neugründungen der Inflationszeit waren wohl der besteBeweis für das e<strong>in</strong>trägliche Geschäft, das mit dem Vertrieb antiquarischer Büchervermutet wurde. Als <strong>die</strong> <strong>E<strong>in</strong></strong>führung der Rentenmark <strong>die</strong> Sche<strong>in</strong>gew<strong>in</strong>ne <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Nichtszusammenschmelzen ließ, schloss mancher unerfahrene Inflationsantiquar <strong>die</strong> Türse<strong>in</strong>es leeren Lagers h<strong>in</strong>ter sich und verschwand still aus den Reihen e<strong>in</strong>es Berufsstandes,den er unterschätzt hatte.“ Wer mag, kann aus Wendts Beschreibung derdamaligen Situation durchaus Parallelen zur Gegenwart herauslesen. Als Reaktiongründete man <strong>in</strong> Leipzig 1918 den „Verband der deutschen Antiquariats- und Exportbuchhändler“,dem auch <strong>Brockhaus</strong> angehörte. Die Verb<strong>in</strong>dung zwischen denbeiden Sparten war also nicht nur <strong>in</strong> unserem Hause eng und selbstverständlich.11
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUA4. Dezember 1943– In Leipzig verbrennen50 Millionen Bücher,das Lager von<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>ist davon e<strong>in</strong> verschw<strong>in</strong>dendger<strong>in</strong>ger TeilNach der Machtübernahme der Nationalsozialistenverliert sich <strong>die</strong> Spur des <strong>Antiquarium</strong>s bei <strong>Brockhaus</strong>.Die Lage des Verlags war prekär. Ke<strong>in</strong>esfalls wollteman mit den neuen Machthabern sympathisieren, obgleich<strong>Brockhaus</strong>-Autor Sven Hed<strong>in</strong> an der Seite Hitlers<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>die</strong> Olympiade 1936 eröffnete. <strong>E<strong>in</strong></strong>e Schließungder Firma durfte man aber gleichfalls nicht riskieren.Laut Thomas Keiderl<strong>in</strong>g, der <strong>die</strong> Dokumentation F. A.<strong>Brockhaus</strong> 1905–2005 herausgegeben hat, ist dennochnichts über e<strong>in</strong>e direkte <strong>E<strong>in</strong></strong>flussnahme durch <strong>die</strong> Nationalsozialistenbekannt. Über <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> weiß man nur, dass ke<strong>in</strong>eSammlungen und Bücher aus jüdischen oder Emigranten-Bibliotheken angekauftwurden.Am 4. Dezember 1943 erfolgte der große Luftangriff auf Leipzig. Nach Schätzungenverbrannten <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser e<strong>in</strong>en Nacht <strong>in</strong> der Verlags- und Buchhandelsstadtüber 50 Millionen Bücher! Auch F. A. <strong>Brockhaus</strong> wurde schwer getroffen. DieGebäude <strong>in</strong> der Querstraße brannten fast völlig aus, ebenso das <strong>Antiquarium</strong> mitsamtse<strong>in</strong>em Lager und se<strong>in</strong>em Archiv. Im „F. A. <strong>Brockhaus</strong>’ Sortiment und <strong>Antiquarium</strong>“verbrannten Bücher im Wert von 39.271,89 Reichsmark.1945 <strong>bis</strong> 1950– Der „Große <strong>Brockhaus</strong>“geht nach Wiesbaden,<strong>Brockhaus</strong> Kommissionsgeschäft,Sortimentund <strong>Antiquarium</strong>lassen sich <strong>in</strong>Stuttgart nieder1945, Ende der Nazi-Diktatur, vier Besatzungszonenmit unterschiedlichen ökonomischen Perspektiven– und F. A. <strong>Brockhaus</strong> <strong>in</strong> Leipzig mit e<strong>in</strong>emaltehrwürdigen, aber nahezu vollständig zerstörtenStammhaus, ohne Lager und Infrastruktur. Wie – undwo – sollte man neu anfangen? <strong>E<strong>in</strong></strong> Teil des Verlagessiedelte <strong>in</strong> <strong>die</strong> amerikanische Besatzungszone nach Wiesbadenüber und firmierte dort als „Verlag Eberhard<strong>Brockhaus</strong>“. Das Kommissionsgeschäft begann se<strong>in</strong>eFühler <strong>in</strong> Richtung Süddeutschland auszustrecken. InLeipzig geriet der Stammsitz F. A. <strong>Brockhaus</strong> mehr undmehr unter den Druck der russischen Besatzungsmacht. 1953 wurde das Familienunternehmenenteignet und zum „volkseigenen Betrieb“ VEB F. A. <strong>Brockhaus</strong>. Damitg<strong>in</strong>g der traditionelle Name F. A. <strong>Brockhaus</strong> auf <strong>die</strong> Wiesbadener Firma über, woman sich zu grundlegenden Veränderungen <strong>in</strong> der Unternehmensstruktur entschloss.Waren bei <strong>Brockhaus</strong> <strong>bis</strong> dah<strong>in</strong> sämtliche Bereiche vom Verlag über <strong>die</strong> Herstellungund den Druck <strong>bis</strong> zum Buchhandel unter e<strong>in</strong>em Dach vere<strong>in</strong>t, spaltete mannun <strong>die</strong> herstellenden und verbreitenden Zweige ab.12
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2nach Fachgebieten und <strong>in</strong>nerhalb der Fachgebietealphabetisch geordnet. Sollte nun zumBeispiel e<strong>in</strong> Afrika-Katalog ersche<strong>in</strong>en, wurden<strong>die</strong> entsprechenden Kästen durchgesehen,<strong>die</strong> Titelaufnahmen nochmals – per Hand,später mit Tipp-Ex – korrigiert, nach Katalogkapitelngetrennt gestapelt, jeweils <strong>in</strong> <strong>die</strong> richtigeReihenfolge gebracht, sorgfältig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>Paket gepackt und zum Drucker geschickt. Aufe<strong>in</strong>er so genannten L<strong>in</strong>otype, <strong>die</strong> man sichwie e<strong>in</strong>e überdimensionale Schreibmasch<strong>in</strong>efür den Bleisatz vorstellen muss, richtete <strong>die</strong>ser<strong>die</strong> Druckfahnen e<strong>in</strong> und schickte sie zurück<strong>in</strong>s Antiquariat, wo man Korrektur lasund erst dann „Imprimatur“ erteilte. Jetztwurde der Katalog – endlich – gedruckt. Daraufdurfte e<strong>in</strong> Antiquariatsgehilfe <strong>die</strong> Karteikärtchenwieder e<strong>in</strong>sortieren. Kamen dannper Postkarte oder Telex <strong>die</strong> ersten Bestellungen,begann das „antiquarische Kartenspiel“ aufs Neue. Die entsprechende Kartewurde aus dem entsprechenden Karteikasten gezogen, mit dem entsprechendenVermerk „verkauft“ versehen und nun an se<strong>in</strong>er letzten Ruhestätte, dem „RepetoriumGeographicum“, e<strong>in</strong>sortiert – gleich nachdem e<strong>in</strong> erschöpfter Lehrl<strong>in</strong>g dasentsprechende Buch, mit Buchhändlerknoten fest zum Paket verschnürt, zur Postgetragen hatte.Übrigens: Das „Repetorium Geographicum“ ist e<strong>in</strong> riesiger Karteischrankmit 40 Schubladen, jeweils 1 Meter lang, und nach wie vor im <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> unentbehrlich. Noch immer f<strong>in</strong>den sich dar<strong>in</strong> Beschreibungen neu angekaufterBücher, <strong>die</strong> weder bei Google noch im ZVAB noch im KVK noch im Jahrbuchder Auktionspreise auftauchen. Das s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Glücksmomente e<strong>in</strong>es Antiquars,der bei se<strong>in</strong>er täglichen Arbeit auf e<strong>in</strong>e 150-jährige Tradition zurückgreifen darf.Und dennoch: Schon damals veränderte sich auchim Antiquariat sukzessive manches. 1982 warFrank Werner nach e<strong>in</strong>er Lehre beim Antiquariat Habelt<strong>in</strong> Bonn sowie mehreren Jahren im Ausland und <strong>in</strong>Auktionshäusern als Gehilfe von Wolfgang <strong>Brockhaus</strong><strong>in</strong> <strong>die</strong> Firma e<strong>in</strong>getreten. 1985 übernahm er <strong>die</strong> LeitungSeit 1971 – StuttgarterAntiquariatsmesse,Stand 22: „Bücher überalle Länder der Erde“von <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong>, unterstützt von Dr. Wolfgang Berg, der wie Wolfgang<strong>Brockhaus</strong> dem <strong>Antiquarium</strong> ebenso tatkräftig wie wohlwollend gegenüberstandund „im Hauptberuf“ das Kommissionsgeschäft zu weiteren Erfolgen führte.19
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAMit dem Stuttgarter Neubeg<strong>in</strong>nwurde <strong>Brockhaus</strong>/ <strong>Antiquarium</strong> Mitglied <strong>in</strong>der Vere<strong>in</strong>igung Deutscher Buchantiquareund Graphikhändlere.V., 1968 dann im „wiedervere<strong>in</strong>igten“Verband DeutscherAntiquare e.V und damit <strong>in</strong> derInternational League of AntiquarianBooksellers (ILAB).Seit 1971 ist man regelmäßigerGast auf der Stuttgarter Antiquariatsmesse im Württembergischen Kunstvere<strong>in</strong>.Dort war jahrzehntelang Stand 22 für <strong>Brockhaus</strong> reserviert, gleich am <strong>E<strong>in</strong></strong>gang <strong>in</strong>den großen Saal der Buchantiquare, neben Herbert Blank und Walter Alicke vonInterlibrum auf der e<strong>in</strong>en und Harald Wiermann vom Hamburger Antiquariat aufder anderen Seite. Obgleich sich <strong>die</strong> Anordnung der Stände ebenso wie <strong>die</strong> Standnachbarnmit den Jahren geändert haben, e<strong>in</strong>es ist <strong>bis</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gegenwart geblieben:<strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> zieht <strong>die</strong> <strong>Blick</strong>e der Besucher auf sich. Das liegt nichtalle<strong>in</strong> (wie jedes Jahr m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Kollege nicht versäumt süffisant zu bemerken)an der exotischen Blumendekoration und den Smarties. Die Buchstützen,<strong>die</strong> als Indianer, Elefanten und Eskimos den Messestand schmücken, repräsentieren<strong>die</strong> Regionen, aus denen <strong>die</strong> Reisewerke stammen, <strong>die</strong> das <strong>Antiquarium</strong>anbietet. „Bücher über alle Länder der Erde“ – dafür steht das <strong>Brockhaus</strong>/<strong>Antiquarium</strong>.<strong>E<strong>in</strong></strong>es wurde <strong>in</strong> den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend wichtiger: <strong>E<strong>in</strong></strong>schlichter, wissenschaftlicher Katalog, der wie im 19. Jahrhundert alle<strong>in</strong> schondurch <strong>die</strong> Masse des Angebots besticht, vermag den Erwartungen der Kundschaft<strong>in</strong> Zukunft kaum noch zu genügen. Das S<strong>in</strong>guläre, das wertvolle <strong>E<strong>in</strong></strong>zelstück ist gefragt.Spätestens <strong>in</strong> den achtziger Jahren begann <strong>die</strong> Bibliophilie das wissenschaftlicheAntiquariat nach und nach abzulösen. Da <strong>Brockhaus</strong> niemals e<strong>in</strong> Ladenantiquariatwar, bieten <strong>die</strong> Kataloge nebenden Antiquariatsmessen (unddem Internet) <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zigenWege, sich der Öffentlichkeitauf hohem Niveau und mitWare von bester Qualität zuempfehlen. Dabei möchte sich<strong>Brockhaus</strong> so farbenfroh, spannend,abwechslungsreich und<strong>in</strong>teressant wie möglich präsentieren.Das ist das <strong>Antiquarium</strong>se<strong>in</strong>er Spezialisierung schuldig,20
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2zumal <strong>die</strong> ehemals druckfrischen „<strong>Brockhaus</strong>-Bücher“ e<strong>in</strong>es Nansens, Hed<strong>in</strong>s oderStanleys heute den Grundbestand des antiquarischen Lagers bilden.<strong>E<strong>in</strong></strong> Katalog <strong>E<strong>in</strong></strong> Katalog pro Kont<strong>in</strong>entpro Kont<strong>in</strong>entpro Jahrpro Jahr, „Fahrendes Volk“,war <strong>die</strong> Maßgabevon Wolf-American Indian“ – Das„Fliegt mit!“ und „The Northgang <strong>Brockhaus</strong>. <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>In groben Zügenverändert se<strong>in</strong> Gesichtist <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> <strong>die</strong>semKonzept treu geblieben, hat es aber behutsamden sich ändernden Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>der Antiquariatsbranche angepasst. Die Kataloges<strong>in</strong>d schmaler geworden, dafür aberfarbiger und vielseitiger. Immer häufigerkommen Spezialkataloge h<strong>in</strong>zu. FahrendesVolk – Menschen unterwegs umfasste nahezu1500 Titel über Menschen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> aller Weltauf den Be<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d: Zirkusleute, Schausteller,fliegende Händler, Wandermusiker,Moritatensänger, Landstreicher, Abenteurer,Sklaven, Gauner, Gaukler, Flüchtl<strong>in</strong>ge, Pilger,S<strong>in</strong>ti, Roma und viele andere mehr. <strong>E<strong>in</strong></strong>Meilenste<strong>in</strong> waren auch <strong>die</strong> Fliegt mit! –Kataloge, <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong> zusammen mit denAntiquariaten Gerhard Gruber, Interlibrum,Franz Siegle, W<strong>in</strong>fried Geisenheyner undPatzer & Trenkle veröffentlichte. Hier wurdedas Thema „Reisen“ e<strong>in</strong>mal aus e<strong>in</strong>er anderenPerspektive betrachtet: Nicht das Woh<strong>in</strong>,sondern das Wie stand im Vordergrund.Zum 25-jährigen Jubiläum der Mondlandungerlebte das Fliegen – ganz gleich ob imBallon, im Doppeldecker oder <strong>in</strong> der Rakete– damit e<strong>in</strong>en ungeahnten antiquarischenHöhenflug.21
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUADarüber h<strong>in</strong>aus konnte <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong><strong>in</strong> den Achtzigern und Neunzigerne<strong>in</strong>e Reihe wichtiger Gelehrtenbibliothekenerwerben, etwa <strong>die</strong> des bedeutendenSüdseeforschers Herbert Tischner, ebensoSammlungen mit den fasz<strong>in</strong>ierenden WerkenLudwig Salvators und Alexander von Humboldtssowie e<strong>in</strong>e Bibliothek mit über 2000Titeln Indianer-Literatur. <strong>E<strong>in</strong></strong> ganz besondererAnkauf aber sticht heraus: Der wohl berühmtesteIndianer-Photograph Edward S. Curtisbereiste Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als30 Jahre lang <strong>die</strong> Gebiete westlich des Mississippiund dokumentierte <strong>die</strong> Lebensweise derIndianer von der mexikanischen Grenze <strong>bis</strong>nach Alaska. <strong>E<strong>in</strong></strong> großer Teil se<strong>in</strong>er ausdrucksstarkenPhotographien ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<strong>Brockhaus</strong>-Katalog e<strong>in</strong>gegangen: The NorthAmerican Indian war e<strong>in</strong>er der Höhepunkte<strong>in</strong> der <strong>Geschichte</strong> des <strong>Antiquarium</strong>s.<strong>E<strong>in</strong></strong>e „Schatzkammer“ohne Staub! Wie passtdas zusammen?<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage von über 4000 Exemplarenwie zu Wolfgang <strong>Brockhaus</strong>’ Zeiten <strong>in</strong> ebenjene h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>gen. Das Profil des Antiquariatsbuchhandelswandelte sich. <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> passte sich dem Wandel an.Man vollzog den Schritt vom re<strong>in</strong> wissenschaftlichenzum bibliophilen Antiquariat.Zumal sich der Kundenkreis jetzt ganz ähnlichzu erweitern begann wie damals im Verlag <strong>in</strong>der Geburtsstunde der „<strong>Brockhaus</strong>-Bücher“.Neben <strong>die</strong> wissenschaftlichen Bibliothekentreten zunehmend Privatkunden, <strong>die</strong> ihremFernweh folgen, <strong>die</strong> im Eisbrecher durch <strong>die</strong>Nord-West-Passage reisen, auf Trekk<strong>in</strong>g-Pfadendas Dach der Welt erwandern und aufSo festigte sich mit den Jahren der Ruf von <strong>Brockhaus</strong>/<strong>Antiquarium</strong> als e<strong>in</strong>e der ersten Adressen fürBücher über alle Länder und Menschen der Welt, obwohl<strong>die</strong> Katalogelängst nicht mehr22
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2oder nach ihren eigenen Abenteuern nachlesenmöchten, was andere vor ihnen erlebten.Das kommt dem Selbstverständnis des <strong>Brockhaus</strong>/ <strong>Antiquarium</strong>s entgegen, ist es dochschon dem Namen nach seit Anbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>eSchatzkammer für Exotisches und Außergewöhnliches,das nicht <strong>in</strong> jedem Bücherschrankzu f<strong>in</strong>den ist und doch fast jeden Geographie-Begeisterten <strong>in</strong>teressiert.<strong>E<strong>in</strong></strong>e Schatzkammer, e<strong>in</strong> „<strong>Antiquarium</strong>“eben, ganz wie im 19. Jahrhundert. Dassignalisieren <strong>die</strong> Bücher, <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong> aufden Antiquariatsmessen zeigt, das spiegelt derInhalt der Kataloge wider. Reiseliteratur zudem,<strong>die</strong> bei <strong>Brockhaus</strong> seit Nansens undHed<strong>in</strong>s Beststellern für Farbe und Abenteuersteht! Und dann wird der Besucher, der mitFrank Werner e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> im <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> vere<strong>in</strong>bart, von e<strong>in</strong>er freundlichenStimme über <strong>die</strong> Gegensprechanlage gebeten,<strong>die</strong> sich automatisch öffnende Glastür zu durchschreiten, mit dem Aufzug<strong>in</strong> den zweiten Stock h<strong>in</strong>aufzugleiten, sich dort nach l<strong>in</strong>ks zu wenden und <strong>in</strong> dasnächst gelegene Großraumbüro e<strong>in</strong>zutreten …Wo ist der Staub? Wo s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> alten, brüchigenRegale? Wo s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> berüchtigten Bücherstapel,<strong>die</strong> umzukippen drohen, sobald man <strong>die</strong> alten, knarrendenHolz<strong>die</strong>len betritt? Wo s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Grabbelkisten mitden zerfledderten Taschenbüchern, pro Stück 50 Centoder geschenkt? Wo ist <strong>die</strong> „Romantik“, <strong>die</strong> jeder Bücherliebhabermit e<strong>in</strong>em Antiquariat verb<strong>in</strong>det?<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>– <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>e, aber fe<strong>in</strong>eAbteilung e<strong>in</strong>es modernenVerlagsunternehmens,zugleich e<strong>in</strong>e der erstenAdressen für ReisebeschreibungenundEntdeckungsgeschichteIm <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> ist das alles etwas anders.Farbe und Abenteuer bleiben den angebotenenBüchern, den reich illustrierten Katalogen, den ausführlichenBuchbeschreibungen und den Messepräsentationen vorbehalten. Dah<strong>in</strong>terstehen modernste Technik und Logistik, wie man sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Antiquariat kaumvermuten würde.Es zahlt es sich immer wieder aus, dass <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>serH<strong>in</strong>sicht zu den letzten antiquarischen „D<strong>in</strong>osauriern“ gehört. War es frü-23
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUAher e<strong>in</strong>e gute Tradition des Verlagswesens,neben dem eigentlichen Verlagsgeschäftauch e<strong>in</strong> Sortiment und e<strong>in</strong> Antiquariat zubetreiben, ist seit dem Aus von Deuticke <strong>in</strong>Wien <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong> e<strong>in</strong>e der letztenFirmen, <strong>die</strong> den kle<strong>in</strong>en Teil e<strong>in</strong>es großenGanzen bilden. Als kle<strong>in</strong>e, aber fe<strong>in</strong>e – undmit e<strong>in</strong>em gewissen Stolz etwas rückwärtsgewandte,traditionsbewusste – Abteilung e<strong>in</strong>esmodernen Großunternehmens profitiert das<strong>Antiquarium</strong> von Technik, Logistik und Buchhaltungder Verlagsauslieferung. Diese nimmtdem Antiquar sogar das Packen und Versendenab, ebenso das Verbuchen der Rechnungenund das Mahnwesen. Der NachfolgerPaul Trömels kann als <strong>Brockhaus</strong>-Antiquar im21. Jahrhundert noch dem Luxus fröhnen,sich fast ausschließlich mit den Büchern zubeschäftigen – und das Verwalten der Verwaltungzu überlassen. Da packt man natürlichgerne <strong>die</strong> Bananenkisten, räumt das Lager,schlägt <strong>die</strong> Regale ab und lädt <strong>die</strong> Karteikästene<strong>in</strong>, wenn „der große <strong>Brockhaus</strong>“, dasKommissionsgeschäft, sich wieder e<strong>in</strong>malvergrößert und umzieht – im Jahre 1990 vonStuttgart/Vaih<strong>in</strong>gen nach Kornwestheim.1990 – <strong>Brockhaus</strong> /Commission expan<strong>die</strong>rtweiter und ziehtnach Kornwestheim,das <strong>Antiquarium</strong> zieht mitund kommt <strong>in</strong> derZukunft anIn Stuttgart/Vaih<strong>in</strong>gen platzte <strong>Brockhaus</strong> /Commission aus allen Nähten. Da entschlosssich <strong>die</strong> Geschäftsleitung zu e<strong>in</strong>emerneuten großen Schritt, kaufte <strong>in</strong> Kornwestheimbei Stuttgartdas Gelände desehemaligen MotorradherstellersKreidler und errichtetedort e<strong>in</strong>enneuen Standards entsprechenden Gebäudekomplex.1989 zog <strong>die</strong> Verlagsauslieferung dort e<strong>in</strong>, 1990 folgten<strong>Brockhaus</strong> / German Books und <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong>.24
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2Im neuen Büro fehlten <strong>die</strong> Schreibmasch<strong>in</strong>en,der Computer löste das „Kartenspiel“ab. Die Titelaufnahmen aller vorhandenenBücher wurden von den Karteikarten <strong>in</strong> <strong>die</strong>EDV übernommen, bei e<strong>in</strong>em gut gefülltenAntiquariatslager von über 10000 Werkenke<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>igkeit. Heute verfügt <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> über e<strong>in</strong>e optimale branchenspezifischeSoftware, <strong>die</strong> Schritt für Schritt und<strong>in</strong> Kooperation mit Fachleuten den speziellenBedürfnissen des Antiquariatsbuchhandels angepasstwurde und weiterh<strong>in</strong> wird. Von denMöglichkeiten e<strong>in</strong>es solchen Programmskonnte man vor fünfzehn Jahren nur träumen!Mit dem Internet ist neben <strong>die</strong> Kataloge und<strong>die</strong> Antiquariatsmessen e<strong>in</strong> weiteres Mediumgetreten, durch das sich <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>den Sammlern und Bibliophilen empfiehlt:Auf der eigenen Homepage www.brockhaus-antiquarium.de können sich <strong>die</strong><strong>Brockhaus</strong>-Kunden über Neuigkeiten <strong>in</strong>formieren,<strong>in</strong> den aktuellen Katalogen stöbern,den Buchbestand über e<strong>in</strong>e Suchmasch<strong>in</strong>enach bestimmten Titeln oder Sachgebietendurchforschen und den <strong>Brockhaus</strong>-Newsletterabonnieren. Dar<strong>in</strong> stellt Susanne Heeber jedenMonat zu e<strong>in</strong>em bestimmten Thema oder Anlasse<strong>in</strong>e Reihe von Büchern aus dem <strong>Brockhaus</strong>-Lagervor, <strong>die</strong> direkt – manchmal auchauf Umwegen – das Reisen <strong>in</strong> ferne Länderbeleuchten.Trotz aller ökonomischer Vorteile und Annehmlichkeitender Infrastruktur, <strong>die</strong> das <strong>E<strong>in</strong></strong>gebettetse<strong>in</strong><strong>in</strong> e<strong>in</strong> Buchhandelsunternehmen wie <strong>Brockhaus</strong> /Commission mit sich br<strong>in</strong>gt: <strong>E<strong>in</strong></strong> Antiquar wird niemalsvergessen, was im Zentrum se<strong>in</strong>es Handel(n)ssteht – se<strong>in</strong>e Ware, <strong>die</strong> Bücher. Wie unerlässlich <strong>die</strong>se imwahrsten S<strong>in</strong>ne des Wortes s<strong>in</strong>d, erfuhr man bei <strong>Brockhaus</strong>zur Jahrtausendwende.„Oh, <strong>Brockhaus</strong>!Well, did your booksarrive this year?“– 500 wertvolle Bücher,spurlos verschwunden!25
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUA<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong> ist seit Jahren auf den nationalen und <strong>in</strong>ternationalenMessen von Wien über Leipzig, Hamburg <strong>bis</strong> nach Köln und Berl<strong>in</strong>präsent. Vor allem aber auf den beiden wichtigsten europäischen Verkaufsausstellungen,<strong>in</strong> Stuttgart und <strong>in</strong> London, pflegt man <strong>die</strong> Kundenkontakte und zeigt,welche Schätze im Kornwestheimer Stammhaus im Lager ruhen. Auf e<strong>in</strong>er Antiquariatsmessejedoch, im Olympia Exhibition Centre im Londoner Stadtteil Kens<strong>in</strong>gton,erlangte das <strong>Antiquarium</strong> eher traurige Berühmtheit – an e<strong>in</strong>em bücherlosenMessestand. Die Messeware war verpackt, auf e<strong>in</strong>e Palette verladen und per Speditionauf den Weg nach London gebracht worden. Nur: Dort kam sie niemals an.Über 500 wertvolle und für das <strong>in</strong>ternationale Publikum handverlesene Bücherverschwanden spurlos zwischen Kornwestheim und London. Alle Nachforschungenblieben erfolglos. So blieb Frank Werner nichts anderes übrig, als <strong>in</strong> <strong>die</strong> Weltstadtaufzubrechen, um dort den leeren <strong>Brockhaus</strong>-Stand zu hüten, an dessen Regalene<strong>in</strong> offener Brief an <strong>die</strong> werte Kundschaft h<strong>in</strong>g:ear Customer! This stand should be„Dfull of beautiful and desirable books.However, our carrier has let us down badly,and they got lost <strong>in</strong> transit. We do hope thatthe books will eventually turn up aga<strong>in</strong> …“Die Bücher s<strong>in</strong>d niemals wieder aufgetaucht,sondern wohl für immer verloren.Es bricht jedem Antiquar und Bibliophilendas Herz, darüber zu spekulieren, wosie geblieben se<strong>in</strong> mögen. Da ist es e<strong>in</strong> schwacherTrost, dass der Werbeeffekt e<strong>in</strong>es leerenMessestandes offensichtlich nicht zu unterschätzenist. Noch Jahre nach dem Desaster istes auf der Londoner Antiquariatsmesse e<strong>in</strong> geflügeltesWort der Begrüßung: „Oh, <strong>Brockhaus</strong>!Well, did your books arrive this year?“Die <strong>Brockhaus</strong>-Kataloge– Unser schönstesSchaufenster!Glücklicherweise hat <strong>die</strong>ser herbe Verlust der <strong>Geschichte</strong>des <strong>Brockhaus</strong> / <strong>Antiquarium</strong>s ke<strong>in</strong> Endegesetzt. Neue Ankäufe seltener <strong>E<strong>in</strong></strong>zelstücke und ganzerSammlungen, aber auch Altbestände wie Restauflagenaus dem Verlag de Gruyter, haben das Lager wieder gefülltund bilden auch im 21. Jahrhundert <strong>die</strong> Grundlage für das bewährte <strong>Brockhaus</strong>-Konzept:Auf den Antiquariatsmessen, unter www.brockhaus-antiquarium.deund <strong>in</strong> den jährlich fünf <strong>bis</strong> sechs Katalogen br<strong>in</strong>gt das <strong>Antiquarium</strong> se<strong>in</strong>en Kunden<strong>die</strong> Welt über das Buch e<strong>in</strong> Stückchen näher.26
ARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2Dabei s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong>-Kataloge dasschönste Schaufenster des <strong>Antiquarium</strong>s!Gerade deshalb gilt ihnen – gegen denderzeitigen digitalen Trend – das besondereAugenmerk. Sie s<strong>in</strong>d reich illustriert, <strong>die</strong> Wareist ausführlich beschrieben, <strong>in</strong> wenigen Wortenwerden <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong>n, <strong>die</strong> h<strong>in</strong>ter den Expeditionsberichtenund ethnologischen Werkenstehen, erzählt. Selbst der erfahrensteSammler f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> ihnen immer etwas, das ernoch nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Regalen hat. Die <strong>Brockhaus</strong>-Katalogeentführen <strong>die</strong> Bibliophilen jedesJahr e<strong>in</strong>mal nach Afrika, Asien, Amerikaund <strong>in</strong> <strong>die</strong> Polarregionen. Und wer über <strong>die</strong>klassische kont<strong>in</strong>entale Katalogplanung lesendh<strong>in</strong>ausreisen möchte, kann zu den Spezialkatalogengreifen.So stellte <strong>Brockhaus</strong> via Katalog unter Beweis, dass auch Frauen reisen … und<strong>die</strong> Abenteuer nicht alle<strong>in</strong> den Männern vorbehalten s<strong>in</strong>d. Vom Fräule<strong>in</strong>Weltenbummler, das <strong>in</strong> den zwanziger Jahren Afrika und Asien erkundete, überIsabella Bird, Lady Anne Brassey, Alexandra David-Neel, Ella Maillart, Ida Pfeifferund vielen anderen spannte sich der Bogen der Abenteuer<strong>in</strong>nen <strong>bis</strong> zur Orchideevom Rio Teia, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> „Mädchenleben <strong>in</strong> Urwaldhütte und Fazenda“ führte. JedesFrühjahr kommen <strong>die</strong> Weltenbummler und Wassersportler bei <strong>Brockhaus</strong> auf ihreKosten, wenn unter dem Titel Wasser, W<strong>in</strong>d und Welle das Reisen mit Kajak, <strong>E<strong>in</strong></strong>baum,Floß, Ruder- und Faltboot im Mittelpunktsteht. Vor drei Jahren hieß es dann In<strong>die</strong> weite Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, als <strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>e<strong>in</strong>en Katalog ausschließlich den Reisen<strong>in</strong> K<strong>in</strong>der- und Bilderbüchern widmete. DerStand auf der Stuttgarter Antiquariatsmessewar <strong>in</strong> jenem Jahr nicht nur von den klassischen(erwachsenen) Bibliophilen belagert,sondern auch von den (sehr) jungen Sammlern,<strong>die</strong> e<strong>in</strong> gut hundert Jahre altes Spielnamens Indische Rutschbahn bewunderten undwieder und wieder jubelnd an e<strong>in</strong>er Papplaschezogen: Von e<strong>in</strong>er mit farbenprächtigenexotischen Illustrationen geschmücktenRutschbahn stürzten sich nämlich Sultansfigurenmit hübschen Turbanen auf denKöpfen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tiefe, um unten e<strong>in</strong>e möglichsthohe Punktlandung h<strong>in</strong>zulegen.27
AUS /ANTIQUARIUM <strong>1856</strong>–2006BROCKHAUS /ANTIQUA<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>: Im Jahre 1999 hat sich Dr. Wolfgang Berg aus dere<strong>in</strong>e „Schatzkammer“ Geschäftsleitung zurückgezogen. An se<strong>in</strong>e Stelle istMatthias He<strong>in</strong>rich getreten, unter dessen Ägide sich <strong>die</strong>des 19. JahrhundertsTradition des Familienunternehmens fortsetzt: <strong>Brockhaus</strong>/Commissionexpan<strong>die</strong>rt erneut, <strong>die</strong> nächste archi-– im 21. Jahrhunderttektonische Erweiterung ist bereits geplant – und <strong>Brockhaus</strong>/Commission ist noch immer e<strong>in</strong> Haus des Buches, das unter se<strong>in</strong>em Dach<strong>die</strong> drei wichtigsten Buchhandelsspartenvom Kommissionsgeschäftüber das Sortiment <strong>bis</strong> zum <strong>Antiquarium</strong>vere<strong>in</strong>igt. Was FriedrichArnold <strong>Brockhaus</strong> 1805 als Verlagbegann, He<strong>in</strong>rich <strong>Brockhaus</strong> zunächstum Kommissionsgeschäft,dann <strong>1856</strong> um „F. A. <strong>Brockhaus</strong>’Sortiment und <strong>Antiquarium</strong>“ bereicherteund Wolfgang <strong>Brockhaus</strong>nach 1945 als „F. A. <strong>Brockhaus</strong>Kommissionsgeschäft“ (mit se<strong>in</strong>em<strong>Antiquarium</strong>) wieder belebte, hat im 21. Jahrhundert als <strong>Brockhaus</strong> / CommissionBestand. Das unternehmerische Erfolgsrezept ist <strong>die</strong> Innovation; im Buchhandelkann sich nur behaupten, wer sich den neuesten Entwicklungen nicht verschließt.Doch das Besondere an <strong>Brockhaus</strong> ist, dass man sich <strong>in</strong> Kornwestheimzugleich der Tradition verpflichtet weiß. Dafür steht <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>ste Abteilung, das<strong>Brockhaus</strong> /<strong>Antiquarium</strong>, nach wie vor unter der Leitung von Frank Werner. Mitden Vorteilen e<strong>in</strong>es modernen Unternehmens im H<strong>in</strong>tergrund wird es auch im21. Jahrhundert e<strong>in</strong>e „Schatzkammer“ für Seltenes und Wertvolles, Außergewöhnlichesund Exotisches bleiben – wie schon vor 150 Jahren.Denn wer will es ernsthaft bestreiten? Es kann ke<strong>in</strong> schöneres „<strong>Antiquarium</strong>“geben als e<strong>in</strong>es für alte Reisebeschreibungen und Expeditionsberichte, vondem aus so seltene Fasz<strong>in</strong>osa wie das erste auf Grönland gedruckte Buch (e<strong>in</strong>eSammlung von Eskimo-Märchen) oder <strong>die</strong> berühmten Vue pittoresques des CordillèresAlexander von Humboldts den Weg<strong>in</strong> bibliophile Hände f<strong>in</strong>den – unddas nicht etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Normalausgabe“,ne<strong>in</strong>: prachtvoll auf Pergamentgedruckt, mit e<strong>in</strong>em leuchtendenChimborazzo als koloriertemKupferstich, der das Fernweh wecktwie <strong>die</strong> Bücher über <strong>die</strong> entlegenstenW<strong>in</strong>kel der Welt, <strong>die</strong> <strong>Brockhaus</strong>/ <strong>Antiquarium</strong> sicher nochlange f<strong>in</strong>den und anbieten wird.28