3. 1870 bis 1918 | 95Dienstmädchen freilich zogen vermehrt die lukrativere und geregelte Arbeit in Fabriken vor. „Jetztwurde zum ersten Mal ‚Hausarbeit’ als Arbeit thematisiert und statt ideologischer Verbrämung ihreideelle Aufwertung gefordert.“ 462Im 19. Jahrhundert setzte sich ein bürgerliches Familienideal durch, das die Zweckehe durch dieLiebesehe ersetzte. „Die Ehe wurde damit zunehmend emotionalisiert, die Verteilung der Rollen abereinseitiger.“ 463 Der Mann allein sorgt für den Unterhalt, für Kinder und Familie ist die Frau zuständig.Dieses patriarchale Prinzip wurde in den Zivilrechtskodifikationen festgemauert, für Österreich bereitsmit dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch von 1811. Soweit Frauen überhaupt erwerbstätig wurden,hatten sie demnach mit der Eheschließung aus dem Erwerbsberuf auszuscheiden.Die „geistige, rechtliche und geschlechtliche Sklaverei der Frau“ beruhe auf ihrer wirtschaftlichenAbhängigkeit, speziell der Ehefrauen, argumentierte Maria Lischnewska die radikale Gegenposition.Darum müsse der selbständige Erwerb der Ehefrau eine der Grundforderungen der Frauenbewegungsein, deshalb seien die verheirateten Fabrikarbeiterinnen und Lehrerinnen Pionierinnen, „welche voranschreitenin das Land der Zukunft“. 464 Es sei ein Unrecht des „Männerstaates“, Lehrerinnen von derMutterschaft auszuschließen, der „Cölibat“ ein menschenrechtswidriger Gewaltakt gegenüber derarbeitenden Frau und ein Schaden für die Schule. 465Ehefrau und Mutter als „natürlichen Beruf“ der Frau stellte Lischnewska keineswegs in Frage. Ihrund weiten Teilen der fortschrittlichen Frauenbewegung ging es vielmehr darum, dass Ehefrauen undMütter gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Es sei unzeitgemäß und unmoralisch,sollte ein Sozialdemokrat 1919 im Tiroler Landtag zu bedenken geben, eine Lehrerin in dem Momentzu bestrafen, „wo sie sich dazu anschickt, sich einen Mann zu holen, in dem Augenblick, wo sie sichdazu aufschwingt, die höchste weibliche Pfl icht zu erfüllen, Mutter zu werden.“ 466 Damit trugen auchder Fortschritt und die Linke dazu bei, den Ledigenstatus – auch den freiwillig gewählten! – als unnatürlichund den Verzicht auf eigene Kinder als unsozial abzustempeln. Noch nach 1945 sollte dieführende SPÖ-Politikerin Gabriele Proft Ehelosigkeit metaphorisch mit Witwenschaft gleichsetzen. 467Mütter wurden zu den besseren Lehrerinnen erklärt, mitunter sogar zu den einzigen Frauen, die wirklichzum Lehramt befähigt sind. „Ich will und hoffe es über kurz oder lang, das Weib in der Schulezu sehen, die Lehrerin als Weib,“ rief bereits 1870 Fräulein Isabella Santy, Lehrerin in Rudolfsheim,forsch in das Auditorium der 19. Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung in Wien: „Ich denke mirunter dem heiligen Namen Weib nicht das junge Mädchen, welches vielleicht alle Elemente in sichträgt, aber noch nicht entwickelt hat; noch weniger denke ich mir die verschrumpfte alte Jungfer(Bravo!), sondern die Mutter. Setzet Mütter in die Schule und ihr werdet Mütter erziehen. (Lebhafter462Kuhn, Hausarbeit, S. 51–52.463Helfer, Bevölkerungsentwicklung, S. 43.464Lischnewska, Lehrerin 1904, S. 4. – Zur Ausstrahlung in die Schweiz vgl. Hodel, <strong>Lehrerinnenzölibat</strong>, S. 25.465Lischnewska, Lehrerin 1904, S. 5.466Hans Untermüller, StenBer VTLT, 27. Sitzung 19.12.1919, S. 661. – Zur Argumentationslinie der Tiroler Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten vgl. Rath, Tirol, S. 163–167.467Vgl. Mesner, Frauenüberschuss, S. 31–33.
96 | 3. 1870 bis 1918Beifall.)“ 468 – Die Reaktion der drei <strong>Vorarlberg</strong>er Lehrer, die als Stipendiaten des liberalen „Vereins derVerfassungsfreunde“ teilnahmen, 469 ist nicht überliefert.In Schweizer Lehrerkreisen rieten dagegen sogar verheiratete Lehrerinnen ihren jungen Kolleginnenaufgrund ihrer Erfahrungen vom Heiraten ab; etwas müsse immer leiden, die Schule oder der Haushalt,oft beides; und viele Männer umgarnten ein Fräulein mit sicherem Einkommen, um sich von ihmernähren zu lassen. 470 In Österreich war die Lehrerin denn schon früh als „Goldkind“ verunglimpftworden. 471Andrerseits wurde in der Schweizer Diskussion der 1870er-Jahre gegen die Verwendung von Lehrerinneneingewendet, dass sie nur kurz im Schuldienst blieben, um dann zu heiraten, dass sich diestaatlichen Investitionen in ihre Ausbildung nicht rentierten. „Über die Reproduktionsfähigkeit derFrau legitimieren die Schulautoritäten deren Ausschluss aus dem Schuldienst, um zugleich aufzuzeigen,dass die kurze Berufsverweildauer den ökonomischen Ansprüchen nicht zu genügen vermag.Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet das Bild der unverheirateten Lehrerin, die, unbelastet vonhäuslichen Subsistenzleistungen, ihre gesamte Kraft und Zeit der Schule zur Verfügung stellen kann.Diese Lösung erweist sich nur als vermeintliche, denn – und hier beginnt der Zirkel des Argumentationsganges– ledige Lehrerinnen stellen, indem sie nicht heiraten und zukünftige Generationengebären, eine ‚Unnatur’ dar, der Einhalt zu gebieten ist.“ 472Die Einführung des <strong>Lehrerinnenzölibat</strong>s in Niederösterreich einschließlich der Weltstadt Wien fand1904 international Beachtung, wurde auch in Deutschland oder der Schweiz als Signal empfunden.Luegers Christlichsoziale, die nun mit ihrem Programm einer Rechristianisierung von Schule und Familieernst machten, 473 griffen auf die bereits bekannten Argumente zurück: schwangere Lehrerinnenseien unschicklich, ihre Vertretung verursache zusätzliche Kosten und sei pädagogisch problematisch;die natürliche Bestimmung der Frau sei die Ehe und Mutterschaft, die mit einem Erwerbsberuf unvereinbarseien. Zudem gefährde das Vordringen der Frauen in männliche Erwerbsdomänen die Existenzgründungder Männer; der „ideale Zustand“ sei aber doch, dass dem Lehrer „Gelegenheit gegebenwerde, sich eine ausreichende Existenz zu schaffen, um einen Hausstand zu gründen und die Frauihrem eigentlichen Beruf als Gattin und Mutter zuführen zu können.“ 474In <strong>Vorarlberg</strong> erregte die niederösterreichische Zölibatsdebatte keine Aufregung, die Medien spartensie in ihrer Berichterstattung aus. Der deutschnationale „<strong>Vorarlberg</strong>er Volksfreund“ geißelte dieSchulreform als „Anschlag gegen die freie Schule und den Lehrerstand“. 475 Das christlichsoziale „Vor-468Lehrerversammlung Wien 1870, S. 68.469VLA: LSR II 168/1870.470Hodel, <strong>Lehrerinnenzölibat</strong>, S. 24–25.471Freie pädagogische Blätter 8 (1874) 2, S. 28, zitiert nach Kronreif, Frauenemanzipation, S. 77.472Corti, Lehrerinnen, S. 274.473Vgl. Parteiprogramm der christlichsozialen Arbeiterpartei 1896, Art. 9 u. 10, ediert in: Berchtold, Parteiprogramme,S. 169–172.474Dr. Josef Porzer, zitiert nach Oppitz, Gehalt und Zölibat, S. 84.475VVF 26.10.1904, S. 3 (Pfui Teufel!).
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