52 I. Teil. <strong>Die</strong> BeobachtungstatsachenLuft seine Ladung verliert und daß dieser Ladungsverlust, „die <strong>Elektrizität</strong>szerstreuung",ganz von dem Wetter abhängt. Allerdings deuteteCoulomb seine Versuche falsch. Er glaubte, daß <strong>der</strong> Staub und Wasserdampf<strong>der</strong> Luft durch Berührung mit dem Metallkörper elektrischwürden und so dessen Ladung forttrügen. Dazu kam noch ein Meßfehler<strong>der</strong> Isolatoren, die bei feuchter Luft zu große Entladungenvortäuschten. Hun<strong>der</strong>t Jahre hat sich dieser Irrtum aufrechterhalten,bis Linss 48 ) im Jahre 1887 bewies, daß gerade umgekehrt bei trockenem,heiterem Wetter die Zerstreuung am größten ist. Er verwarf also alleTheorien, die sich auf die elektrische Leitfähigkeit <strong>der</strong> feuchten o<strong>der</strong>mit Nebeltröpfchen gefüllten Luft stützten. Linss sagt: „<strong>Die</strong> Nie<strong>der</strong>schlagsteilchenwerden stets nur einen kleinen Teil <strong>der</strong> gesamten <strong>Elektrizität</strong><strong>der</strong> Luft mit sich führen, weil kein Grund zu <strong>der</strong> Annahmevorliegt, die <strong>Elektrizität</strong> sei vorzugsweise o<strong>der</strong> ausschließlich auf denWasserdampfmolekülen suspendiert/' Linss ist so <strong>der</strong> Bahnbrecher<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen atmosphärischen <strong>Elektrizität</strong> geworden. Aber seineVersuche und Ausführungen fanden wenig Beachtung, bis sie imJahre 1899 von Elster und Geitel 49 ) wie<strong>der</strong> aufgenommen wurden,die mit vereinfachten und verbesserten Meßinstrumenten neue grundlegendeVersuche über die <strong>Elektrizität</strong>szerstreuung ausführten undsie vor allem auch mit Hilfe <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Forschungsergebnisse richtigdeuteten. Danach sind in <strong>der</strong> Atmosphäre stets positive und negativeelektrische Ladungen vorhanden. Bei positiv geladenem Zerstreuungskörperwerden die negativen Luftladungen angezogen, die positivenabgestoßen, bei negativ geladenem Zerstreuungskörper ist es umgekehrt.<strong>Die</strong> Ladung des Zerstreuungskörpers entweicht nicht etwa in die Luft,son<strong>der</strong>n die elektrischen Ladungen <strong>der</strong> Luft wan<strong>der</strong>n an den Körperheran und neutralisieren seine Ladung. Elster und Geitel nanntendie elektrischen Teilchen <strong>der</strong> Luft ,,Ionen". Weil aber die Analogiemit den Ionen <strong>der</strong> Elektrolyse nicht in allen Punkten zutrifft, tut manwohl besser daran, sie nach dem Vorbilde englischer Physiker als,,<strong>Elektrizität</strong>sträger" o<strong>der</strong> kurz als ,,Träger" zu bezeichnen; denn siesind offenbar nicht als reine <strong>Elektrizität</strong> wie bei den Quanten <strong>der</strong>48 ) Dr. Linss, Über einige die Wolken-und Luftelektrizität betreffende Probleme.Meteorol. Zeitschr. 4, 345 (1887).49 ) J. Elster und H. Geitel, Über einen Apparat zur Messung <strong>der</strong> <strong>Elektrizität</strong>szerstreuungin <strong>der</strong> Luft. Physik. Zeitschr. 1, 11 (1899). — Beiträge zur Kenntnis <strong>der</strong>atmosphärischen <strong>Elektrizität</strong>. Physikal. Zeitschr. 1, 245 (1900).
Allgemeines luftelektrisches Verhalten <strong>der</strong> Atmosphäre 53Kathodenstrahlen in <strong>der</strong> Luft, son<strong>der</strong>n an etwas Körperliches gebunden,das die <strong>Elektrizität</strong> trägt.<strong>Die</strong> allgemeinen Gesetze des Leitvermögens in Luft sind 1903von Riecke 50 ) aufgestellt worden. Das Leitvermögen X setzt sich,ähnlich wie im Elektrolyten, aus einem positiven und negativenAnteil zusammen:Daß einzelne X ist proportional einmal <strong>der</strong> spezifischen Ladung s einesjeden Trägers, dann <strong>der</strong> Anzahl n <strong>der</strong> Träger im Kubikzentimeter undschließlich <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ungsgeschwindigkeit v <strong>der</strong> TrägerFür viele Beobachtungen von Wert ist ferner das Verhältnis <strong>der</strong> beidenLeitfähigkeitendas ein Maß gibt für den Überschuß des positiven Leitvermögensüber das negative, also auch, da e und v bei beiden Vorzeichen nichtsehr verschieden sind, ungefähr für den Überschuß <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> positivenTräger über die negativen.Das Leitvermögen am Erdboden ist nun, wie viele über die ganzeErde sich erstreckende Messungen zeigen, großen Schwankungenunterworfen. In Mitteleuropa treten die Höchstwerte ein im Sommer,die Tiefstwerte im Winter, und zwar sind die Juliwerte etwa 1,6 malso groß als die Januarwerte. <strong>Die</strong> tägliche Schwankung ist in den einzelnenMonaten recht verschieden, doch ist die Leitfähigkeit stetsnachts, gegen 4 Uhr morgens, am größten. <strong>Die</strong> Größe q hat in Mitteleuropadie höchsten Werte 1,3 im Winter, die tiefsten 1,1 im Sommer;ebenso ist q nachts fast stets größer als mittags. Der Einfluß des Wettersauf das Leitvermögen ist recht bedeutend. <strong>Die</strong> höchsten Werte vonund kleinsten von q treten ein bei klarem Wetter, die kleinsten vonund größten von q bei starkem Dunst und Nebel.Ganz enorme Schwankungen <strong>der</strong> beiden Größen X und q zeigensich vor, während und nach <strong>Gewitter</strong>n und Böen, q kann dann schwankenvon 4 bis 0,3, d. h. in den Luftmassen, die bei <strong>Gewitter</strong>n am Erdboden60 ) E. Riecke, Beiträge zu <strong>der</strong> Lehre von <strong>der</strong> Luftelektrizität. Annalen <strong>der</strong>Physik. Neue Folge 12, 52 (1903).