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Manuskript des Festvortrages von Peter Költzsch (PDF, 3.6 MB)

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1Jean-Daniel Colladon –ein Schweizer Physiker, Ingenieur undgenialer Erfinder<strong>Peter</strong> <strong>Költzsch</strong>, Dresden, peter@koeltzsch.comHerbsttagung der Schweizerischen Gesellschaft für Akustik29. – 30. Oktober 2013, MuttenzMeine sehr verehrten Damen und Herren,liebe Fachkollegen/innen der Schweizerischen Gesellschaft für Akustik,Jean-Daniel Colladon 1802 – 1893Aus: „Souvenirs et Mémoires“, Autobiographie <strong>von</strong> J.– D. Colladon, Genf 1893Quelle: Bibliothek Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven/SLUB DresdenLassen Sie mich meinen Vortrag zur Einstimmung auf Ihren großenLandsmann mit einigen Zitaten beginnen:


2Erstens:Der große französische Mathematiker und Physiker Joseph Fourier(1768 – 1830) schrieb 1828 in einer Publikation zur Wärmeleitung in denfranzösischen Annalen der Physik und Chemie:„Ich bin bei der Einrichtung <strong>des</strong> zu diesen Versuchen erforderlichenApparates, durch einen sehr geschickten Physiker unterstützt worden,nämlich den Hrn. Colladon aus Genf. (+) Er war nicht nur so gütig, dieVerfertigung <strong>des</strong> Instrumentes zu leiten und seine Dimensionen zubestimmen, sondern er hat daran auch eine besondere Einrichtungangebracht, welche ihm eigentümlich ist.“Zweitens:„Die Frage [nach der Schallgeschwindigkeit im Wasser] ist in<strong>des</strong>neuerdings auf eine genügende, dem gegenwärtigen Standpunkte derWissenschaften angemessene Weise durch COLLADON und STURMbeantwortet worden. (+)“So zu lesen 1835 im „Physikalischen Wörterbuch“ <strong>von</strong> Johann SamuelTraugott Gehler, erschienen in Leipzig.Drittens:„Colladon ließ als einer der ersten in Europa mit Unterstützung <strong>von</strong>Fabrikdirektoren ganze Maschinen, z. B. Wasserpumpen aus denIndustriebetrieben, demontieren und in seinem Auditorium wiederaufbauen, wo er sie in Betrieb setzte und so den Schülern derenFunktionsweise vor Augen führen konnte (+).Solche Demonstrationen hatten nicht nur einen pädagogischen Wert,indem sie unvergessliche Erfahrungen, die einer vorbildlichen undengagierten Lehrerpersönlichkeit zu verdanken waren, beim Einzelneneinprägten, sondern sie entsprachen dem Theorie-Praxis-Verständnisder neuen industriellen Schulen.“So zu lesen in einer Dissertation der ETH Zürich aus dem Jahre 1995,Verfasser: Herr Dipl. Architekt Ulrich PfammatterUnd viertens:„Einer der ersten europäischen Pioniere in den Technikwissenschaften(„industrial sciences“) war der Genfer Daniel Colladon.“Das sagte der Historiker Prof. Serge Paquier <strong>von</strong> der Universität JeanMonnet in Saint Etienne.Wer war also dieser Schweizer Ingenieur Jean-Daniel Colladon, den diefranzösische Akademie der Wissenschaften im Alter <strong>von</strong> 91 Jahren alsausländisches Mitglied aufnahm?


3Nun, sein Lebenslauf ist schnell erzählt.Geboren am 15. Dezember 1802 in Genf, starb er im 91. Lebensjahr, am30. Juni 1893 in Genf.Colladon besuchte zunächst das Collége in Genf, eine allgemeinbildende,höhere Schule.(Sie trägt seit 1969 den Namen „Collége Calvin“. Ihre Schüler waren u. a. auch Henry Dunant undJorge Luis Borges.)Er interessierte sich vor allem für Naturwissenschaft und Technik,insbesondere für Physik und Chemie. 1817 gründete er in Genf,gemeinsam mit einigen seiner Freunde, eine philosophische Gesellschaft(Société de philosophie).Auf Wunsch seines Vaters studierte Colladon Jura, er schloss diesesStudium 1824 als Advokat ab.Im gleichen Jahr gewann er für die Erfindung eines Photometers denersten Preis und eine Goldmedaille der Gesellschaft der Wissenschaftenund Künste <strong>von</strong> Lille (Société <strong>des</strong> sciences et <strong>des</strong> arts).


4Jean-Daniel Colladon 1802 – 1893Quelle: Universität Genf , bzw. Bibliothèque du Musée d’histoire <strong>des</strong> sciences (mitfreundlicher Genehmigung, St. Fischer)http://www.unige.ch/communication/archives/2011/colladon.htmlAb 1824 belegte Colladon in Paris Kurse in Mathematik und Physik, beiArago (französischer Physiker und Politiker, 1786-1853) und Ampère(französischer Physiker, 1775-1836). In Ampère’s Labor widmete sichColladon den Wechselwirkungen zwischen Elektrizität und Magnetismus,und, wie ich schon eingangs erwähnte, er arbeitete auch mit JosephFourier zusammen.1826 führte Colladon, (wahrscheinlich) gemeinsam mit seinem Freund,dem Mathematiker Charles Francois Sturm (1803 – 1855), im GenferSee erstmals genaue Messungen der Schallgeschwindigkeit für Wasserdurch. Für diese Arbeit erhielt er 1827 den Grand Prix der französischenAkademie der Wissenschaften in Paris.


5Von 1829 – 1839 lehrte er als Professor für Mechanik, Physik und dasneuartige Fachgebiet „Dampfmaschinen“ an der École Centrale <strong>des</strong> Artset Manufactures in Paris, die er selbst mit gegründet hatte.Colladon heiratete 1837 Stéphanie-Andrienne Ador. Sie hatten vierKinder.1839 wurde er zum Professor für Physik und Mechanik an die Akademiein Genf berufen. Dieses Amt übte er bis 1859 aus.1841 führte Colladon seine berühmten Experimente zur Lichtreflexion imInneren <strong>von</strong> Flüssigkeitsstrahlen durch.In den 1840-er Jahren befasste er sich mit Gasfabriken undGasanwendungen. Von 1850 – 1854 wurde Colladon zum Beauftragtenfür den Schweizer Stand auf der Weltausstellung in London benannt.Ab 1852 beschäftigte sich Colladon mit Druckluft-Bohrmaschinen undden zugehörigen Kompressoren. Für seine Leistungen beim Tunnelbauam St. Gotthard, bei dem er als beratender Ingenieur <strong>von</strong> 1872 – 1882mitwirkte, erhielt er 1885 den Prix Fourneyron der französischenAkademie der Wissenschaften Paris, und zwar, wie Poggendorffschreibt, „für die Anwendung comprimirter Luft bei Tunnelbohrungen undfür rasch wirkende Compressionspumpen ohne Erhitzung“.Colladon hat sich in seinen letzten beiden Jahrzehnten auch mitmeteorologischen Problemen befasst.Er starb 1893 in Genf.Ehrungen:Jean-Daniel Colladon war Offizier der Ehrenlegion und Mitglied derfranzösischen Akademie der Wissenschaften in Paris.Er war Mitglied der königlichen Akademie in Turin, der KaiserlichenAkademie der Wissenschaften in St. <strong>Peter</strong>sburg sowie in zahlreichenmeteorologischen, geologischen, industriellen und ingenieurtechnischenGesellschaften.Noch eine Anmerkung zum Familiären:Die Schwester <strong>von</strong> Colladon war Antoinette Dunant (geb. Colladon). Siewar die Mutter <strong>von</strong> Henri Dunant (1828 – 1910), <strong>des</strong> Begründers derInternationalen Rot-Kreuz- und Rot-Halbmond-Bewegung. Dieser erhielt1901 gemeinsam mit Frédéric Passy, einem französischen Pazifisten,den ersten Friedensnobelpreis.


6Denkmal <strong>des</strong> Jean-Daniel Colladonvor der Bibliothèque Publique et Universitaire in GenfFoto: J. Sacher/Berlin (mit freundlicher Genehmigung)Lassen Sie mich jetzt zunächst auf einige interessanteArbeitsgebiete und Erfindungen <strong>von</strong> Colladon eingehen:


7• zur OptikHierzu gehört zunächst aus dem Jahre 1824 die Erfindung einesPhotometers zur Bestimmung der Lichtintensität.1841 demonstrierte Colladon an einem <strong>von</strong> innen beleuchtetenWasserstrahl, dass ein stark brechen<strong>des</strong> Medium Licht im Inneren durchinterne Totalreflexion bündeln und damit umlenken kann (Grundprinzip<strong>des</strong> Lichtleiters). Er publizierte diese Idee 1842 im Journal der Akademieder Wissenschaften Paris ("Comptes Rendus" ), 1843 in PoggendorffsAnnalen der Physik und Chemie.Colladon schreibt 1843 in den Annalen der Physik:„In meinen Vorlesungen habe ich oft gesucht, die verschiedenenFormen, welche ein Wasserstrahl beim Austritt aus verschiedenartigenÖffnungen annimmt, allen meinen Zuhörern sichtbar zu machen. Umdahin zu gelangen, wurde ich veranlasst einen solchen im Dunklenbefindlichen Strahl <strong>von</strong> Innen aus zu beleuchten. Ich fand dieseVorrichtung für meinen Zweck sehr geeignet; sie gestattet einen derschönsten und sonderbarsten Versuche, die man in optischenVorlesungen anstellen kann. (+)“[Colladon, Poggendorffs Annalen 1843, Band 134, S. 129/130].


8Colladons Experiment zur Lichtleitung im Wasserstrahl 1841links: Originalversuch, Quelle: "La Nature" 1884,http://en.wikipedia.org/wiki/Optical_fiber;rechts : Prinzipbild <strong>von</strong> E. F. SchubertBildzitat aus: www.ecse.rpi.edu/.../chap10/chap10.htmMan sprach später auch <strong>von</strong> den „Colladonschen Fontänen“, vomColladon-Brunnen.• Experimente mit DrachenUm 1845 experimentierte Colladon am Genfer See mitdoppelschnürigen, lenkbaren Drachen für einen visionären„Segelschiffantrieb“. Die Ausführung mit einem gelochten Brettermöglichte ein stabiles Segeln „gegen“ den Wind. Colladon soll damitden Genfer See überquert haben.Ist das der erste Versuch zum Kite-Surfen? Gibt es gelochte Surfbretter? (Colladonwird allerdings in Abhandlungen zur Historie <strong>des</strong> Kite-Surfens nicht erwähnt.)Das Bild zeigt weitere Experimente <strong>von</strong> Colladon mit einem Drachen.


9Colladons Experimente mit Drachen- Transporte mit einer Seilbahn, Antrieb durch Windschirme(mit M. Périer-Ador)- Messung der Luftelektrizität mithilfe eines Drachens(1844, bei Cologny)- „Segelschiffantrieb“ mithilfe eines Drachens(gelochtes, schwimmen<strong>des</strong> Brett)Quellen: B. Coatanhay (mit freundlicher Genehmigung)http://www.voile-vitesse.com/dynamoptere/principe.htmlhttp://www.pionnair-ge.com/spip1/spip.php?article78• Wasserräder zur EnergiegewinnungIn den 1850-er Jahren entwickelte Colladon analog zu Mühlenräderneinen „hydraulischen Generator“; das ist eine schwimmende, blecherneTrommel, die in einem Fluss verankert ist, die am Umfang beschaufeltist, vom strömenden Wasser beaufschlagt und in Rotation versetzt wird.Über ein Kegelradgetriebe wird eine am Ufer befindliche Pumpeangetrieben, die z. B. zur Trinkwasserversorgung in der Stadt eingesetztwerden kann.Das Wasserrad folgt – infolge seiner schwimmenden Anordnung –den natürlichen Pegelschwankungen <strong>des</strong> Flusses, so dass derEnergiegewinn, im Gegensatz zu einem stationär angeordneten


10Wasserrad (z. B. Mühlenrad), unabhängig <strong>von</strong> der Wasserhöhe im Flussist. Außerdem braucht damit der Fluss kein Wehr wie bei Mühlenrädern!Colladons „Schwimmen<strong>des</strong> Wasserrad“Quelle: „Colladon: Nouveaux moteurs à eau. Paris 1857.Bibliothèque du Musée d’histoire <strong>des</strong> sciences (mit freundlicher Genehmigung,St. Fischer) http://www.ville-ge.ch/mhs/pdf/aide_colladon.pdfHängende oder Schiffmühlenräder, <strong>von</strong> Hrn. Colladon zu Genf


11Fig. 29:Fig. 32:ein schwimmen<strong>des</strong> Rad mit geraden Schaufelnein schwimmen<strong>des</strong> Rad mit schneckenförmig gewundenenSchaufelnQuelle: Polytechnisches Journal 1857, Armengaud's Génie industriel, Oct. 1856http://dingler.culture.hu-berlin.de/search?q=ColladonDigitalisate HU Berlin, SLUB DresdenHier wird aus einer Originalschrift <strong>von</strong> Colladon eine schwimmendeTrommel mit geraden und mit gewundenen Schaufeln gezeigt.Zu einer realisierten Ausführung wird angegeben: im Jahre 1865 auf der Rhȏne beiOnex: Rad <strong>von</strong> 7 m Länge und 3 m Breite.• Magnetismus und ElektrizitätVon den vielfältigen Versuchen zu diesem Gebiet seien hier nur dieArbeiten zu Blitzen und zur Elektrizität in Gewittern, zur Reibungselektrizitätund zur Elektrizität <strong>des</strong> Zitterrochens aufgezählt.• Gastechnik und GasversorgungAm 25. Dezember 1844 wurde die erste Straßenbeleuchtung in Genf inBetrieb genommen. Colladon war <strong>von</strong> 1844 bis 1862 beratenderIngenieur der Genfer Gesellschaft für Gasbeleuchtung. Er beschäftigtesich dabei mit Kohlevergasungsanlagen, Gasometern, mit demstädtischen, versorgungsangepassten Gastransport in Rohrleitungen undmit den Gas-Laternen.Anmerkung: Gasbeleuchtung in der Schweiz:Bern 1843, Genf 1844, Lausanne 1848, Basel 1852, Zürich 1856• Druckluftkompressoren, Druckluft-BohraggregateMobiler Druckluft-Kompressor (mit Dampfantrieb): System ColladonQuelle: Catalogue Sautter et Lemonnier, Archives Colladon, Paris 1875Bibliothèque du Musée d’histoire <strong>des</strong> sciences(mit freundlicher Genehmigung, St. Fischer)


12Wie bereits erwähnt war Colladons bevorzugtes Arbeitsgebiet in seinenspäteren Jahren Kompressoren für Luft und technische Gase.Erfindungen <strong>von</strong> ihm betreffen z. B. die Wassereinspritzung zur Kühlungder Kolben und der komprimierten Luft. Hier wird ein mobilesKompressoraggregat aus einem Katalog der Pariser Firma Sautter,Lemonnier & Co., <strong>von</strong> 1875 gezeigt, hergestellt auf der Grundlage einesPatentes <strong>von</strong> Colladon aus dem Jahre 1871Druckluft-Bohraggregat, eingesetzt beim Bau <strong>des</strong> St. Gotthard-TunnelsQuelle: Bibliothèque du Musée d’histoire <strong>des</strong> sciences (mit freundlicherGenehmigung, St. Fischer)Und hier wird ein Bohraggregat mit Luftkompressoren ColladonscherKonstruktion wiedergegeben, 1872 – 1876 beim Tunnelbau am St.Gotthard eingesetzt. Die Druckluftaggregate sollten auch zurFrischluftzufuhr, also zur Bewetterung, im Tunnel dienen.Und nun kommen wir zu den akustischen Arbeiten <strong>von</strong>Colladon:


13Messung der Schallgeschwindigkeit im Genfer SeeAus: „Souvenirs et Mémoires“, Autobiographie <strong>von</strong> J.– D. Colladon, Genf 1893Quelle : Bibliothek Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven / SLUB Dresden1825 stellte die französische Akademie der Wissenschaften in Paris einePreisaufgabe für das Jahr 1826 mit der Fragestellung nach einemVerfahren zur Messung der Kompressibilität <strong>von</strong> Flüssigkeiten.Da Colladon als Physiker den theoretischen Zusammenhang zwischender Kompressibilität und der Schallgeschwindigkeit bei Flüssigkeitenkannte, konnte er mit der Messung der Schallgeschwindigkeit dieMesswerte der Kompressibilität <strong>von</strong> Flüssigkeiten bestätigen und damitdie Preisaufgabenstellung der französischen Akademie in genialer Weiseerfüllen. Der Preis war mit 3000 Fr. dotiert und wurde 1826 Colladonzugesprochen (der damals 24 Jahre alt war!).[Die Schallgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit ist die Wurzel aus demQuotienten <strong>von</strong> Kompressionsmodul der Flüssigkeit und der Dichte derFlüssigkeit.]Colladon führte diese Messungen 1826 im Genfer See durch.Kurz geschildert:Zwei Boote zwischen den Küstenorten Rolle und Thonon, in einemAbstand <strong>von</strong> ca. 14 km,ein Sendeboot, <strong>von</strong> dem aus mit einem Hammer gegen eine im Wasserangeordnete Glocke ein Unterwasser-Schallsignal erzeugt wurde,mit dem Zünden <strong>von</strong> Schießpulver wurde der Sendevorgang signalisiert,


14im Empfängerboot wurde die Zeit zwischen dem Schießpulver-Blitz undder Wahrnehmung <strong>des</strong> Glockenschalls gemessen, abgehört mit einemUnterwasser-Hörrohr.Das Ergebnis aus mehreren Messreihen:Die Schallgeschwindigkeit im Wasser betrug bei etwa 8 Grad Celsius1435 m/s.Versuche zur Schallgeschwindigkeit <strong>des</strong> Wassers im Genfer See<strong>von</strong> D. Colladon und C. Sturm(man beachte das Lichtsignal vom Senderboot am linken Bildrand!)Quelle: „Souvenirs et mémoires“. Autobiographie <strong>von</strong> J.-Daniel Colladon. Genéve1893Dieses Bild ist der Autobiographie <strong>von</strong> Jean-Daniel Colladonentnommen. Es zeigt das „Schall-Empfangsboot“. Man beachte dasLichtsignal vom Senderboot am linken Bildrand sowie Colladon mit derStoppuhr und dem Unterwasser-Hörrohr!Die Preisschrift selbst ist in den Abhandlungen der französischenAkademie der Wissenschaften im Jahre 1827 abgedruckt.


15Titelseite der Preisschrift <strong>von</strong> Colladon und Sturm aus dem Jahre 1828(zwei Teile der Publikation)Quelle: Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie 1828In deutscher Sprache erschien sie als wissenschaftliche Abhandlung inzwei Teilen in den Annalen der Physik und Chemie im Jahre 1828:Colladon, D. und Sturm, J. C. D.: Ueber die Zusammendrückbarkeit derFlüssigkeiten; <strong>von</strong> den Herren Colladon und Sturm aus Genf. Annalen derPhysik und Chemie, 12. Band, herausgegeben zu Berlin <strong>von</strong> J. C.Poggendorff. Verlag <strong>von</strong> Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1828, Seite 39 – 76und Seite 161 - 197[Aus den Ann. de chim. et de phys. XXXV. p. 113. Diese Abhandlung hat den<strong>von</strong> der K. Akademie der Wissenschaften zu Paris im J. 1826 ausgesetztenPreis erhalten. Man sehe diese Annalen Bd. 83. S. 260]Die Preisfrage bestand aus zwei Teilen:Erstens war nach der- Messung der Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten gefragt,und zweitens nach der- Bestimmung der Temperaturerhöhung bei der Zusammendrückbarkeitder Flüssigkeiten.


16Offensichtlich war in der Preisfrage das Problem derSchallgeschwindigkeit überhaupt nicht genannt.Die Preisschrift gliedert sich in vier Teile, <strong>von</strong> denen hier nur der ersteund vierte <strong>von</strong> Interesse ist:„Die erste handelt <strong>von</strong> der Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten, die zweite: <strong>von</strong> der bei derZusammendrückung entwickelten Wärme, die dritte: <strong>von</strong> dem Einfluss <strong>des</strong> Drucks auf das elektrischeLeitvermögen der Körper, und die vierte endlich: <strong>von</strong> der Geschwindigkeit <strong>des</strong> Schalls im Wasser,verglichen mit der Theorie.“Im ersten Teil werden die Apparatur, das Messverfahren und dieMessergebnisse zur Zusammendrückbarkeit <strong>von</strong> Flüssigkeitenbeschrieben.Und dann das bedeutungsvolle Kapitel 4 der Preisschrift:„IV. Geschwindigkeit <strong>des</strong> Schalls in Flüssigkeiten.“,mit der ausführlichen Schilderung der Messungen im Genfer See.Schallempfänger und Schallsender bei der Messungder Schallgeschwindigkeit im Genfer See durch J.-D. Colladon[Permission by Museo del Dipartimento di Fisica, Università La Sapienza di Roma]www.phys.uniroma1.it/DipWeb/museo/note.htm bzw.http://www.phys.uniroma1.it/DipWeb/museo/colladon.jpg• Zum SchallsenderColladon experimentierte mit Schlaggeräuschen auf metallene Körper. Erentschied sich, insbesondere wegen der Intensität <strong>des</strong> Schalls, für eineGlocke. Diese wurde unter der Wasseroberfläche angebracht und übereinen Winkelheber angeschlagen.


17Auf Grund der großen Entfernungen zwischen Sende- undEmpfangsboot bestand - wegen der Erdkrümmung - keineSichtmöglichkeiten über den See. Deshalb und wegen eventuellerStörgeräusche mussten die Messungen nachts durchgeführt werden. Dienächtliche Finsternis ermöglichte, dass das Schallsende-Ereignis, alsodas Anschlagen der Glocke unter Wasser, optisch übermittelt werdenkonnte, und zwar durch das Abbrennen <strong>von</strong> Schießpulver.Colladon hatte große Schwierigkeiten, das erforderliche Pulver bzw.Signalraketen an den Genfer See zu bekommen, wegen derZuständigkeiten unterschiedlicher Zollbehörden und <strong>des</strong> absolutenVerbotes <strong>des</strong> Imports <strong>von</strong> Pulver.In seiner Autobiographie schreibt Colladon:Der Beamte der Zollbehörde „wiederholte immer wieder „Das Pulverkann nicht passieren.“ Und er zeigte mir gleichzeitig seine Order. „Siesagen, diese Raketen sind mit Pulver gemacht; infolge<strong>des</strong>sen kann ichSie unter keinen Umständen passieren lassen, ohne das Risiko auf michzu nehmen, meinen Job zu verlieren.“ Ich verstand seinen Einwand undsagte: „Ja, sie werden mit Pulver hergestellt, aber durch den Bau derRakete wird das Pulver [als eigentliches Pulver] zerstört und kann jetztnicht mehr als gewöhnliches Pulver verwendet werden.“ Der Mann waroffensichtlich durch diese Erklärung zufrieden gestellt, und sagte: „Ah,wenn das so ist, kann ich Sie mit den Raketen passieren lassen“, und ergab mir meine Raketen zurück.“Schallsender und SchallempfängerQuelle: Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie (1828)


18Hier werden die Originalbilder aus Poggendorffs Annalen der Physik undChemie <strong>von</strong> 1828 gezeigt:• Der Schallempfänger – Das Unterwasser-HörrohrColladon versuchte zunächst den Schallempfang durch das Eintauchen<strong>des</strong> Kopfes in das Wasser zu registrieren. Die Ungenauigkeit diesesVerfahrens führte ihn zu folgenden Überlegungen:„Wenn man einen in Wasser befindlichen Körper zum Tönen bringt, sowird eine Person, die über dem Wasser befindlich ist, bei einemAbstande <strong>von</strong> 200 bis 300 Metern ausserhalb <strong>des</strong> Wassers keinen Schallmehr hören(+)Wenn in<strong>des</strong>s die Person bei dieser oder bei einer noch weit grösserenEntfernung den Kopf in das Wasser taucht, so hört sie sogleich denSchall vollkommen deutlich.Ich dachte nun, dass wenn man eine Platte senkrecht in das Wassertauchte, die Undulation sich durch diese Scheibe fortpflanzen müsste,und dass folglich, wenn sich hinter der Platte Luft befände, auch in dieseder Schall übergehen und dadurch in der umgebenden Luft hörbar seynwürde.Um diese Vermuthung zu prüfen, nahm ich eine cylindrische Röhre <strong>von</strong>dünnem Blech, die drei Meter lang und ungefähr zwei Decimeter dickwar. Ich liess das eine Ende verschliessen, und tauchte sie mit diesem indas Wasser. An diesem Ende war ein starker Ring befestigt, und eswurde daran das nöthige Gewicht gehängt, damit die Röhre senkrecht imWasser schwimmen konnte, so dass das obere, offene Ende, anwelches man das Ohr legte, nur ungefähr 5 bis 6 Decimeter über dieOberfläche <strong>des</strong> Wassers hervorragte.[Fußnote: Es ist zu bemerken, dass man mit einem unten offenen Höhrrohre durchaus nichtsvernimmt. Man hört erst, wenn man den Kopf völlig untertaucht und das Ohr mit Wasser füllt, oder,wenn man, wie ich, ein mit Luft gefülltes Rohr anwendet.]Bei dem ersten Versuche war ich ungefähr 2000 Meter <strong>von</strong> der Glockeentfernt. Als ich das Zeichen zum Schlagen gegeben hatte, hörte ich inder Röhre sogleich den Schall eines jeden Schlages vollkommendeutlich.Mittelst dieser Vorrichtung brauchte ich keinen Gehülfen mehr, der mirdie Ankunft <strong>des</strong> Schalles anzeigte; ich selbst konnte zugleich das Signalsehen und den Glockenschlag hören.Colladons Hörrohr hatte eine Länge <strong>von</strong> 5 m. Unten erweiterte sich dasRohr trichterförmig; die Mündung stand senkrecht und wurde mit einerMetallplatte <strong>von</strong> etwa 20 dm² verschlossen. Das obere Ende <strong>des</strong> Rohrsstand leicht schräg, so dass man das Hörrohr bequem an das Ohranlegen konnte.


19Für dieses Unterwasser-Hörrohr wird 1826 eine Anmeldung <strong>von</strong>Colladon als Schweizer Patent angegeben.Autobiographie <strong>von</strong> Jean-Daniel ColladonQuelle: Bibliothek Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven / SLUB DresdenZu den Vorüberlegungen zum Hörrohr sei noch ein Zitat aus seinerAutobiographie angegeben.Colladon schreibt also über 60 Jahre danach das Folgende:„Ich konnte nicht richtig schlafen, denn ich versuchte über einen Wegnachzudenken, den Schall im Wasser ohne Eintauchen meines Kopfesin das Wasser zu hören. Ich dachte dann, dass eine metallische Vase,die an ihrem Boden geschlossen und mithilfe eines Gewichteseingetaucht war, vielleicht dazu dienen konnte, den Schall vom Wasserin die Luft in der Vase zu übertragen, und dass man dann den Schallaußerhalb <strong>des</strong> Wassers hören konnte. Um dies zu versuchen, nahm icheinen Wassertopf, der so beschwert wurde, dass er in das Wassereintauchte. Ich war so ungeduldig zu sehen, welches Ergebnis icherhalten würde, dass ich um 5 Uhr morgens Alphonse de Candolle ausdem Schlafe riss und ihm meine Idee erzählte. Wir zogen uns schnell an;wir baten den Gärtner, mit der Glocke am Dock zu bleiben, während ichmit Candolle quer über den See fuhr, der in diesem Bereich ungefähr1500 m breit war. Am Zielort angekommen, tauchte ich den Wassertopfein und gab das Signal, die Glocke anzuschlagen. Ohne meinen Kopf in


20das Wasser zu stecken, hörte ich unmittelbar in dem Wassertopf denSchall <strong>von</strong> der Glocke. Von nun an war die Messung viel leichter. Ichkonnte jetzt das Signal durch den Pulverblitz sehen, das durch dasAnschlagen der Glocke gegeben wurde, und konnte selbst auf einer Uhrdie Zeit für das Eintreffen <strong>des</strong> Schalls ablesen (+).Ich bat meinen Vater, den Standort auf der Seite <strong>von</strong> Rolle einzunehmenund Raketen und Feuerwerkskörper als Signale zu verwenden.“• Nun: Zum Messabstand im Genfer SeeKarte <strong>des</strong> Genfer Sees mit den Messstrecken <strong>von</strong> Colladon,zur Schallausbreitung im Wasser <strong>des</strong> Genfer SeesQuelle : Bibliothèque du Musée d’histoire <strong>des</strong> sciences(mit freundlicher Genehmigung, St. Fischer)Dieses Bild zeigt aus einer Publikation <strong>von</strong> 1841 verschiedeneMesstrecken <strong>von</strong> Colladon im Genfer See. In der Preisschrift derfranzösischen Akademie (siehe Annalen der Physik) wird dieUnterwasserstrecke zwischen Rolle und Thonon beschrieben, etwa 14km lang; andere Messtrecken lagen zwischen Promenthoux (bei Nyon)und Grandvaux über eine Entfernung <strong>von</strong> 35 km bzw. zwischen Nyonund Montreux mit der maximalen Entfernung <strong>von</strong> etwa 50 km.


21William Turner: „Der Genfer See <strong>von</strong> Montreux aus gesehen“Gemälde <strong>von</strong> 1810Bildzitat aus: The Yorck Project: „10.000 Meisterwerke der Malerei“. DVD-ROM,2002. E. Jurschitza Directmedia Publishing GmbH http://www.digitale-bibliothek.deDieses Gemälde <strong>von</strong> William Turner (<strong>von</strong> 1810, englischer Maler derRomantik, 1775 – 1851) vermittelt einen Eindruck vom Milieu am GenferSee etwa zur Zeit der Messungen <strong>von</strong> Colladon.Zeitgenössischer Stich zur Messung der Schallgeschwindigkeitim Genfer See durch J.-D. Colladon;Aus : „Les phénomènes de la physique“ <strong>von</strong> A. Guillemin. Deuxième édition. Paris,Librairie de L. Hachette et Co. 1869.Quelle: Martin-Luther-Universität Halle, Bibliothek Institut für Geschichte;Sign. X Kd 40; SLUB Dresden/Deutsche Fotothek


26Autobiographie spricht Colladon <strong>von</strong> einem Gehilfen, später aber auch<strong>von</strong> seinem Vater; auf einem Bild in seiner Autobiographie ist aber <strong>von</strong>den Messungen <strong>von</strong> Colladon und Sturm die Rede.Charles François Sturm (1803 – 1855)Bleistiftskizze <strong>von</strong> Jean-Daniel Colladon 1822Quelle: Archives de l'Académie <strong>des</strong> Sciences, Parishttp://fr.wikipedia.org/wiki/Charles_SturmSturms große wissenschaftliche Leistungen lagen auf dem Gebiet derMathematik. Nach ihm sind u. a. benannt:die STURM-LIOUVILLEsche Differentialgleichung und die STURM-LIOUVILLE-Operatoren.1836 wurde Sturm als Mitglied in die Académie <strong>des</strong> sciences in Parisaufgenommen, 1840 wurde er als Professor für Mathematik an die ÉcolePolytechnique in Paris berufen.


27SchlussbemerkungenMeine sehr verehrten Damen und Herren,ich habe versucht, Ihnen Jean-Daniel Colladon etwas näher zu bringen,einen der ersten europäischen Wegbereiter in den Technikwissenschaften.Er hatte ein ungewöhnlich breites Fachgebietsspektrum, das <strong>von</strong> derGastechnik, der Hydraulik und Pneumatik, der Optik, der Elektrizität unddem Magnetismus, der Meteorologie, den Dampfmaschinen, demSchiffbau und der Energienutzung aus strömendem Wasser bis hin zuunserer Wissenschaftsdisziplin, der Akustik, reichte.Er war dabei ein kreativer Wissenschaftler, sprudelnd mit neuen, meistüberraschenden Ideen,er war ein innovativer Ingenieur, der Gasfabriken baute und diestädtische Gasbeleuchtung initiierte, der Druckluftbohrmaschinen bauteund diese bei großen technischen Vorhaben, wie dem Bau <strong>des</strong> Sankt-Gotthard-Tunnels einsetzte,und er war eine „vorbildliche und engagierte Lehrerpersönlichkeit,die im Maschinenbaukurs den Studenten unmittelbar „die Praxis <strong>des</strong>industriellen Geschehens vor Augen führte.“Und er war in unserem Fachgebiet derjenige Wissenschaftler, der, wieeinfach klingt das doch 1897 bei dem englischen Physiker John Tyndall,„durch eine Reihe <strong>von</strong> denkwürdigen, im Genfer See angestelltenVersuchen die Geschwindigkeit <strong>des</strong> Schalls im Wasser bestimmt hat.“[Tyndall 1897, S. 45]Ich darf Ihnen dazu gratulieren, dass Sie den Preis der SchweizerischenGesellschaft für Akustik nach diesem genialen Wissenschaftler undIngenieur benannt haben.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!Literatur:<strong>Költzsch</strong>, P.: Preisträger europäischer Wissenschaftsakademien im 18. bis 20.Jahrhundert - auf dem Gebiet der Akustik. Heft 3, Schriftenreihe zur Geschichte derAkustik der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA), Berlin 2011ISBN: 978-3-939296-01-0.http://www.dega-akustik.de/aktuelles/geschichte_heft3[Darin enthalten ein Abschnitt über den Preisträger J.-D. Colladon, S. 130 - 152]Für Interessenten kann eine Literaturliste zu den Zitaten nachgereicht werden.

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