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Zur Sozialisation proletarischer Kinder - Social History Portal

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Die Bedeutung der historischen Analyse des<strong>Sozialisation</strong>sprozesses für die Interpretationneuerer Untersuchungen© 1972 VERLAG ROTER STERN6 Frankfurt am MainHolzhausenstraße 4Alle Rechte vorbehalten.3. Auflage 197311.-15. TausendISBN 3 87877037 5Gewinn an dem Verkauf dieser Texte dient der Betreuungpolitischer GefangenerDieser Arbeit Wegt die poiltische Oberzeugung zugrunde,' daß sich der wldersprOchllcheChal'l8kter der <strong>Sozialisation</strong> des Arbeiterkindes nur In einer direkten,organisierten, antikapitalIstischen ErzIehungspraxis - als Tell und Ausdruck desproletal1lschen Klaasenkampfes - grundsitzlIch auftleben läßt.Diese Auffassung wird In der folgenden Arbeit jedoch nicht expMz.ltdiskutiert.Vielmehr soll sm historischen Matenal der Sozlall&atlonsprozeß dea proletar4schenKindes unter geselfschafUlchen Bedingungen offener KlassenkAmpfe und - fürdas ~ - unmittelbar erfahrbarer Kla88engegens&tze dargestellt werden.An dieser hletorlschen ReaHtAt l88sen sich die Auswirkungen der proletsrlschenKlassenlage') auf das vereinzelte Arbeiterkind - seine Dl1Ikrlminlerung und Unterdrückung- ebenso belegen wie die Bedeutung, welche die proletarischeKampforganleal!lon für die E~llUng der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Arbedterklndeshat.1) .K+aesenlage· soH als Begriff nicht nur die objektive Seite der proletarischenlebene- und SozialIsationsbedingungen erfassen, sondern danebenihre subjektiven Erscheinungsformen sowohl Im bestimmten erzieherischenVerhalten der Eltern als auch in der Summe der Eindrücke und ErfallNngen,die das Kind Im Laufe seiner Entwicklung sammelt und umsetzt.Dabei wird die Richtung der Abhängigkeit betont: subjektives Verhaltenund Eindrücke sind eine Erscheinungsform objektlver Zusammenhänge,'Und sie sind prinzipiell nicht losgelöst von diesen zu begreifen; demgegenObersind die von der materiellen Basis losgelösten, subjektiv IdeologischenEinstellungen und Verhaltensweisen - soweit diese TrennungOberhaupt sinnvoll ist - hier zunächst vernachläsalgt worden.5


Allgemein lAßt elch eagen, daß die Funktion der organIsierten proletarischen ErziehungIm Kapitalismus eln~g darin liegen kann, dem Kind einen Schutz- undOrientierungsrahmen zu geben, Innerhalb dessen es Im Kollektiv die Indlvlduallelerendeund diskriminierende AuswIrkung der kapitalistischen Umwelt auf seinerJeweiligen physischen und psychischen Entwicklungsstufe bekAmpfen kann. DieOrganisation gibt also einen Rahmen, den das eInzelne Kind sich nicht schaffenkann; eie ermöglicht die Bildung stabiler KInderkollektive.Damit sind die Außeren Voraussetzungen, welche dem proletarischen ~Ind dieEntfaltung seiner der Klassenlage entspri·ngenden und ~nIhr begründeten kof.lektlv-kAmpferlschenSozialfähigkeiten ermöglicheA, politisch an die Existenz derproletarischen Kampforganisation gebunden.Mittels dergenaueren historischen Ana'lyse der Entwicklungsprozesse des proletarischenKIndes soll ,im weiteren Verlauf der Arbeit versucht werden, ausgewählteErgebnisse der neueren <strong>Sozialisation</strong>sforschung zu diskutieren. um zu zeigen,wie sich am grundlegenden Klassencharakter von Erziehung und <strong>Sozialisation</strong>auch unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen wenig geänderthat2). Wenn auch die Resultate der neueren Untersuchungen kaum In direktenpolitischen Zusammenhängen Interpretiert' werden, so stellen 5'Ich jedoch implizitIhre Ergebnisse In der Form funktionaler oder dysfunktionaler Individueller Sozlalfähigkeltendar. Insofern ·Ist die mögliche Richtung der Interpretation im Hinblickauf die kompensatorische Anpasstlng dysfunktionaler Produkte des Sozial 1­satlonsprozesses an die leistungsorIentierten Normen der Mittelklasse festgelegt!).63)2)In der Anwendung der Begriffe • <strong>Sozialisation</strong>·, • Erziehung· , .klndlicheEntwicklung· werden in dieser Arbeit keine sGharfen Abgrenzungen vorgenommen,sondern die VerWendung In der jeweiligen Literatur wird übernommen,Die zwischen den Begriffen .Klassensozialisation· und .Klassenerziehung·bzw.• <strong>Sozialisation</strong>· und .E~iehung· liegende Differenz beziehtsich Insbesondere auf den gesellschaftlichen Aspekt. Der Begriffder .Klassenerziehung· betont als komplexes aktives Subjekt der Erziehungdie gesellschaftlicherr---.VemAltnlsse,deren Objekt das Kind In ersterLinie Ist; der Begriff der .Klassensozlalisation· stellt dagegen den Prozeßder speZifischen gesellschaftlichen Integration In den Mittelpunkt; ein bestimmteserzieherisches Verhalten erscheint als Moment dieses Prozesses,für den die gesellschaftlichen Verhältnisse die Randbedingungen bilden.So schreibt beispielsweise Bemetein, daß eines der .brennenden Probleme... deren Lösung die heutige Weltlage dringend zu erfordernscheint ... die Frage be(trifft), wie das Intellektuelle Potential der Bevölkerungin optimaler Weise genutzt werden kann.· (4/52; dJ,eerste Zahlverweist im weiteren auf den entsprechenden Titel im Literatur-Verzeichnis,die zweite gibt einen Hinweis auf die Seite des zitierten Beitrags). ­Fast jede der neueren Untersuchungen enthält mehr oder mInder klar formuliertepolitische Interessen, welche auch In den Aufbau und die Methodender Untersuchungen eingehen.Werden dagegen die neueren Unteruchungsergebnisse mit den aus den historischenArbeiten gewonnenen Zusammenhängen geprüft, so zeigt sich deutlich,daß der Soziaf.jsaillionsprozeßzwar mhaltlichen Veränderungen unterliegt - Veränderungen,welche sich relativ zur Entwicklung der gesef.lschaftl,ichenVerhältnJsse,allgemein: zur Entwicklung der Produktivkräfte, vollziehen -, daß jedoch dieseVeränderungen den grundsätzlichen Klassencharakter der Soziallsations- undErziehungsprozesse nicht berühren.Diese historische Perspektive ermöglicht grundsätzlich andere Interpretationen,als In den neueren Arbeiten vorgenommen sind. Insbesondere politische und methodischeAspekte werden wichtig: die historische Analyse zeigt, daß sich diegesellschaftliche Funktion der klassenmäßigen Erziehung und ihre spezifischeAusprägung nicht aus dem individuellen Verhalten der Eltern oder der s'peziflschenLage der Familie·) erklären läßt, sondern nur durch d.ie pol.jtisch-ökonomlscheAnalyse der Bedeutung von Bildung und Erziehung im Kapitillismus.Allgemeiner läßt sich formulieren, daß die Frage, ob das Problem der <strong>Sozialisation</strong>für eine antikapitalIstische politische Praxis sowie für die theoretische Analyseder Entstehungsbedingungen proletarischen Klassenbewußtseins überhaupt vonpolitischer Bedeutung ist, nur dann sinnvoll diskutiert und beantwortet werdenkann, wenn die politisch-ökonomische Analyse der Bedeutung un


von der Schule als grundlegender Ausbil·ldungslnstltutlon te1lwelse die weitereEntwicklung der Industriellen Gesellschaft ab: .Elne Erweiterung der Produktionkann ohne geschulte Arbe.itskräfte nicht mehr gelingen.· (55/9) Die Bedeutungder Schule als <strong>Sozialisation</strong>s instanz ergibt sich also daraus, daß der Eilntrltt InBerufspositionen generell an e~nen jeweils bestimmten, formalen Grad des erreichtenSchulerfolgs gekllOpft ist. Wie viele andere Autoren beantwortet Rblffdie Frage nach der geseilschaftl,ichen Realität, In der der Sozlallsetlonsprozeßverläuft und In welcher der Schule beispielsweise eine so bedeutsame FunktionfOr die Indivlooelle Entwicklung zukommt, allgemein mit dem Begriff der .IndustriellenGesellschaft· (55/9). Nicht deren bestimmte GllederullQ, Ihr spezifischerCharakter. sondern ~hre Existenz und die sich daraus ergebenden Konsequenzen- wie beispielsweise die Bedeutung des Schulwesens fOr die Qualifl~tionsstrukturder Arbeitskraft - bilden die Grundlage, auf der ein beslllmmter Aspekt der<strong>Sozialisation</strong> genauer analysiert wird.Dieser Ansatz (die Industrielle Gesellschaft und Ihre spezifischen Probleme) legtdie Richtung der folgenden Analyse fest, Indem alle auftretenden Probleme andiese Grundlagen, der sie selbst entstammen, gebullden bleiben.So zeigt Rolff belsph~lswelse In seiner Analyse, daß die in der Ärbelterklasse liegende.Begabungsreaerve· sich gesellschaftlich nicht entfalten ~nn: nur ein verschwindendgeringer Tell <strong>proletarischer</strong> <strong>Kinder</strong> besucht welterfOhrende Schulen;die große Masse da.gegen beendet die SchulausbildullQ auf der untersten Stufe-:der Volksschule.S) Rolff versucht dieses Ergebnis einerseits aus dem Charakterder Erziehung des Arbeiterkindes zu erklären, die .es fOr einen verfrOhten Abbruchder SchulausbIldung (prädisponiere)· (55/107); andererseits ist er der Meinung,die AusbIldungsinstitution selbst vemlndere häufig den weitergehendenSchulbesuch von Arbeiterkindern. Rolff urteilt abschließend sehr vorsichtig:.Somlt drängt sich der Verdacht auf, daß die Schule auch heute nicht mehr <strong>Kinder</strong>aus der Unterschicht zum Abitur gelangen läßt, als der technologische Wendelqualifizierte Arbeitskräfte Ober das eigene Nachwuchsreservoir der OberundMItteischicht hinaus fordert. Dabei kann sich die Schule außerdem nochden Luxus leisten. aus der FOlie der fähigen <strong>Kinder</strong> der Unterschicht die anpassungswilligenund unkritischen auszusuchen und auf die Kooptation durch dieMittel- und Oberschicht vorzubereiten. In diesem Sinne kann die Schule auch alszentrale KooptatlonBstelle der Ober- und Mitteischicht gekennzeichnet werden."(55/106)Dieser Schluß. den Rolff durch die FOlie von Material zu ziehen gezwullQen Ist,hält Ihn jedoch nicht davon ab, aus seinen Ergebnissen gleichzeitig .etarke ArgumentefOr eine bildungs soziologische Therapie, also eine Reform des deutsdlenSchulwesens ab(zu)lelten·. (55/106)Aus diesem Beispiel geht deutlich hervor, wie der unbestimmte Charakter der.Industriellen Gesellschaft" die wissenschaftliche Analyse speZifischer Problemevon Ihrer gesellschaftlichen Erscheinungsform abhängig macht; der politische Charaktergesellschaftlicher WidersprOche wird verwischt. Rolff kann beispielsweiseden Widerspruch zwischen einerseits dem Zwang zur Qualifizierung der Arbeitskraft,welcher sich In seiner einseitigen, speZifischen Weise aus der kapitalistischenForm der Entfaltung der Produktivkräfte ergibt, und andererseits der demProletariat fehlenden materiellen Basis dieser Qualifizierung (also allgemein diesich aus der Klassenlage ergebenden Beschränkungen) nicht mehr adäquat erfassen.Damit werden aber auch die Ergebnisse der jeweiligen Analyse fungibel;sie bleiben an die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gebunden.Insofern verweisen auch diese Ideologle- und methodenkritischen lJberlegungenauf die Notwendigkeit einer politisch-ökonomischen Analyse des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses.5)Der Sozialbericht der Bundesregierung stellt fest, daß .nur etwa 6,4 Ofoaller höheren SchOler der BRD aus Arbeiterhauehalten stammen, obwohffast jeder zweite Arbeitnehmer Arbeiter Ist·. (zlt. n.: Frankfurter Rundschau,Nr. 88 vom 16. 4. '70, S. 1.) Diese Zahlen unterscheiden sich nichtvon den seit Jahren bekannten. Ro'lff faßt diese Daten nochmals zusammen.(vgl.: 55/13 f.)89


Entwicklung des proletarischen Kindes unterhistorisch-gesellschaftlichen Bedingungenoffener KlassenkämpfeIm folgenden Abschni,tt wlro der Versuch unternommen, aus den historischen Arbeiten,die sich mit den Problemen <strong>proletarischer</strong> Erziehung befaßten, einige zentraleGedankengänge herauszuziehen, um mit deren Hilfe im weiteren Verlaufder Arbeit ausgewählte Ergebnisse der neueren soziologischen Untersuchungenzur Unterschichtso~ialisatlon zu diskutieren. Im Gegensatz zu diesen sind diehier herangezogenen historischen Ana,lysen von einem eindeutigen politischen Interessegekennzeichnet. Sie befassen sich weder generell mit .Erziehung" nochmit spezifischen Aspekten des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses im Interesse einer allgemeinenTheorie. Im Zentrum steht vielmehr bei allen Autoren - unabhängig vonIhren divergierenden politischen Standpunkten - die l\rage nach den Lebensbedingungenund Entwicklungsmöglichkelten des proletarischen Kindes in der durchscharfe KI'assengegensätze und Klassenkämpfe gekennzeichneten Epoche derWeim81'er Republik.')6) Die Arbeiten von Hoernle, Rühle und Kanitz sind direkter Ausdruck Jhrerpolitischen Praxis. Diese .war zumeist und zuerst die Praxis des Klassenkampfes,Erziehung war ein Moment des politischen Kampfes. An seinemZiel gemessen, blieb ihr Werk nicht selten Fragment.· Gerade darin unterscheidensie sich von den .großen bürgerlichen Pädagogen'. welche Bernfeldin ihrer Praxisferne polemisch mit ,wunderlichen Astronomen" verglich,"die nachts fest schlafen und sich morgens von Sternen erzllhtenlassen, um nach Tisch über sie zu denken und zu schreiben." (3/31)Aspekteder KlassenlageRühle gibt In der Einleitung zu seiner Monographie .Das proletMische Kind"(60/-) einen kurzen zusammenFassenden Oberblick über die objektive Klassenlagedes deutschen Proletari,ats nach dem ersten Weltkrieg. Seine Angaben folgennicht einer genauen ökonomischen Analyse des Verhältnisses von Lohnarbeitund Kapital, sondern erfassen eher oberflächliche Daten der materiellenLage des Proletariats. Dies scheint aber ausreichend, da beispielswei'se die Diskrepanzenzwischen Löhnen und Preisen die allgeme,ine Tendenz der wachsendenmateriellen Ausbeutung hinreichend kennzeichnen.7)Verglichen mit der Vorkriegslage, haben sich die minimalen Lebenshaltungskostenum den 17fachen Betrag erhöht. Dagegen sind die durchschnittlichen Stundenlöhnenur um das 8- bis 11fache angestiegen. D'ieses Verhältnis entsprecheaber noch nicht einmal der tatsächlichen Entwicklung, da es Feierschichten, gelegentlicheArbeitslosigkeit und Kurzarbeit nicht berücksichtig,e. Aus den vorNegendenDaten schMeßt Rühle zusammenfassend, .daß der deutsche Arbeiter mitseinem Lohnertrage sel,~ im günstigsten Falle kaum die Hälfte des Existenzminimumszu bestreiten in der Lage Ist." (60/44)Das steigende materielle Elend erklärt zu einem bestimmten Teil auch die wachsendeTendenz der Frauenlohnarbeit. Nach Rühle ist der Anteil der Frauenarbeitan der gesamten Lohnarbeit nach dem Krieg - der eine enorme Steigerung diesesAnteils brachte - nur in einigen Industriezweigen wieder stärker zurückgegangen,Insgesamt aber angestiegen (vg!. 60/50). Da der Lohn der FrauenarbeitIm Kapitalismus Immer nur als zusätzlicher Lohn zu dem des Mannes definiertJs!'), erklärt sich der duF


trug beispielsweise der jährliche Durchschnittslohn Im Jahre 1Q09 bei den Männern1146,22 RM, bei den Frauen dagegen nur 369,18 RM (60/51). Nach RühlesAngaben ist mindestens die Hälfte der arbeitenden Frauen verheiratet (60/53),was eine dreifache Belastung und Ausbeutung durch Lohnarbeit, Hausarbeit und<strong>Kinder</strong>aufzucht bedeutet.Für die Länge der Arbeitszeit finden sich bel Rühle nur verstreute Angaben. Zwarwar gesetzlich bereits der Achtstundentag vorgeschrieben, doch Ist anzunehmen,daß die Arbeitszeit häufig erheblich länger und vor allem unregelmäßig war. Arbeitslosigkeitund Kurzarbeit sind In kürzesten Zeitabschnitten starken Schwankungenausgesetzt und erhöhen das Ausmaß von Unsicherheit und Ausbeutung.Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, wachsende materielle Ausbeutung, die häufig nichteinmal die unmittelbare Reprodukti


Die Auswirkungen der mangelnden Fürsorge sind deutlich: die gesamte affektiveund kognitive Entwicklung des Kindes ist begrenzt und bewirkt sprachliche Verarmung,Elnengung der Wahrnehmungsfähigkeiten Infolge fehlender Kommunikationsowie die Reduktion der sozl.alen Lernfähigkeit.In diesen ärmsten Schichten des Proletariats sind nicht nur die Frauen zur Lohnarbeitgezwungen, sondern großenteils auch-die Klnder.U) Kanltz unterscheidetdrei Arten kindlicher Arbeit: Lohn- und Erwerbsarbeit, häusliche Arbeit undSchul- bzw. Lemarbelt.1() Als typisches .Ausbeutungsalter· (21/27) nennt er daszwischen neun und vierzehn .lahrefi. Später stehen die <strong>Kinder</strong> bereits In festerLohnarbeit oder In der Lehre, und vor diesem Alter verbringen &ie den größtenTeil ihres Lebens auf der Straße. In den ersten Lebensjahren von Ihren älterenGeschwistern beaufsichtigt.Kindliche LOMarbelt I6t am stärksten in ländlichen und kleinstädtischen Regionenverbreitet, wo häufig noch frühind1.rstrlelle Produktionsformen vorherrschen. Hierund In der LandWirtschaft Ist die K.indererwerbsarbelt durchschnittlich doppelt sohoch wie Im gesamten nationalen Durchschnitt. (21/21) Da das 1903 eingeführteKInderschutzgesetz die gewerbliche Arbeit von fremden KIndem unter zwölf Jahrenverbietet. l888en sich genaue prozentuale Angaben kaum machen bzw., gebendie vorliegenden Angaben das MInimum der wirklichen Verbreitung wieder. NachRühles fundierten SchätZ'ungen betrug die Zahl der erwerbstätigen <strong>Kinder</strong> imJahr 1901 etwa eine Million. d. h. ein Achtel aller Schulkinder (60/274-275). AusEInzeierhebungen läßt sich entnehmen, daß es Industriestädte mit 30-50 % undIndustriedörfer mit bis zu 80 % elW8lbstätlgen <strong>Kinder</strong>n gibt (60/277). Der LohnIst durchgehend Yerschwlndend niedrig und muß den Eltern abgegeben werden.13) Kuczynakl hat In seiner .Geschlchl'e der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismuszwei.äußerst meterialreiche Bände zur <strong>Kinder</strong>arbeit Im Kapitalismusvorgelegt. die hier nicht mehr berücksichtigt werden konnten, die jedochsehr viel genauere Angaben enthalten -als die Arbeiten von Rühle.Hoernle und Kanltz. (Vgl. KucZYlnakl (30/-).) Vgl. auch die Materialsammlungvon Alt (1/-).14) Nach dem deutschen KInderschutzgesetz von 1903 wird die gewerbliche<strong>Kinder</strong>arbeit von .fremden" <strong>Kinder</strong>n unter 12 Jahren auf 3-4 Stundentäglich begrenzt. .Elgene <strong>Kinder</strong> dOrfen schon vom 10. Lebensjahr an gewerblicharbeiten." (21/19)Die Unterscheidung zwischen .elgenen· und .fremden· <strong>Kinder</strong>n erm6glichtweitgehend die Ausbeutung der eigenen <strong>Kinder</strong> (vor allem für selbständigeHandwerker. Kleingewerbe etc.) und begrenzt überhaupt nur dieAusbeutung In der großen Industrie. In der Realität war dieses Gesetz freilichbedeutungslos. da die Strafen bel Obertretung niedriger waren als derProfit, den die Kapitalisten aus der <strong>Kinder</strong>arbeit herausschlugen. (60/286)Ganz abgesehen davon war die Oberwachung der Elnhall\Jng des Gesetzesvöllig unzureichend. (19/56) Es Ist ziemlich klar. da6 die IndustrieJle <strong>Kinder</strong>arbeitnicht als Folge dieses Gesatzes Nrückgeht. sondern weil die Entwicklungder Produktivkräfte sowohl eine gewisse Schulausblklung erzwingtals auch die <strong>Kinder</strong>arbeit In der 9.r06en Industrie nicht mehr so prof1tträchtlgIst wie zu Beginn der Industrialisierung. - Die folgenden Angabenbeziehen sich also euf das Alter unter 10 bzw. 12 Lebensjahren.Noch ungenauer sind die Angaben über die häusliche Arbeit. Nach Kanitz j"t dieHausarbeit im Proletariat noch stärker verbreitet als die kindliche Lohnarbeitund am häufigsten in kinderreichen Famil,ien, In denen Vater und Mutter arbeiten.Die Arbeit erstreckt sich auf die HaushaltfÜhrung und die Beaufsichtigung derjüngeren Geschwister; häufig arbeiten die <strong>Kinder</strong> auch in Nachbarfamil,ien und erha-Itendafür Essen. Kanltz gibt als durchschnittliche Arbeitszeit vier bis sechsStunden an, unter Einbeziehung der Schulzeit 10-12 Stunden täglich. Wichtig istin diesem Zusammenhang noch, daß durchschnittlich .mehr als doppelt so vielMädchen in dreifacher Arbeitsleis~ung (gemeint ist: Hausarbeit, Erwerbsarbeit,Schularbeit) stehen als Jungen· (21/29), d. h., daß die Hausarbeit durchgehendmehr von Mädchen gefordert und erzwungen wird.Aus der Fül,levon Angaben und Beispielen läßt sich verallgemeinernd auf einendirekten Zusammenhang zwischen Armut (Lohnarbeit von Vater und Mutter, unzureichendeWohnverhältnisse), Familiengröße (KInderreichtum, Krankheits- undSterblichkeitshäufigkeit) und Ausmaß der <strong>Kinder</strong>arbeit schließen: In den ärmstenproletarischen Familien, in denen gleichzeitig die <strong>Kinder</strong>zahl am größten ist, Istauch die Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft, am ausgeprägtesten. Gleichzeitigverweist dieser Zusammenhang aber auf die materielle Lage als vordringlicheUrsache der <strong>Kinder</strong>arbeit. Gegenüber diesem realen Grund sollte hier zunächstunberücksichtigt bleiben, daß sich die ,UnterdrUckung von Frau und <strong>Kinder</strong>n Innerhalbder Familie auch ideo,logisch reproduziert.Familienstrukturund Erziehungsmethodel'lDie äußeren Faktoren der Klassenlage, hier nur zusammengefaßt in der Lohnarbeitder EI~ern, der Kindel'8rbelt und den Wohnverhältnissen, bedingen eine spezifischeFamilien91:ruktur und damit auch speZifische Formen und Mechanismender Erziehung und <strong>Sozialisation</strong> der <strong>Kinder</strong>.Alle Autoren betonen. daß die proletarische Familie einen wichtigen Stü~nktder kapitalistischen Ideologk! bilde. In Ihr selbst reprodUziere sich das kapitalistischeAusbeutungsvemältnis. dem der Lohnarbeiter In der Industrie unterliegt.Indem in der Familie die Abhängigsten: die <strong>Kinder</strong>. auch die Ausgebeutetstenselen.1415


Das Autorltätsverhältnlsin der proletarischen Familie Ist aber nicht nur rein IdeologischerNatur, sondern gleichzeitig direkter Ausdruck der Klassenlage. Die Unterdrückungder Frau durch den Mann, der älteren <strong>Kinder</strong> durch die Eltern, derjüngeren <strong>Kinder</strong> durch Eltern und ältere Geschwister spiegelt die Bedeu~ung wieder,die den einzelnen Teilen der Familie bel deren Gesamtproduktion zukommt.Unter den genannten materiellen Verhältnissen war Jedes weitere Kind eine zusätzlicheBelastung für die gesamte Familie; deshalb war seine zeitige Integrationin den famillaien Reproduktlonsprozeß - sowohl durch Helm- als abch durchLohnarbeit - In erster Linie eine ökonomlsOOe Notwendigkeit und nicht alleinbewußte und gewollte Ausbeutung des Kindes durOOdie Eltern. Dennoch personifiziertsich natürllOO die Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft In den Eltern,und sie erzwingen durch physische Gewalt die EInhaltung dieser Aufgaben .• esIst JedoOOnlOOtder MIßbrauOOder elterlichen Gewalt, der die dlrekte oder IndirekteExploitation unreifer Arbeitskräfte durch das Kapital schuf, sondern es Istumgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, welOOe die elterliche Gewalt,durch Aufhebung der Ihr entsprechenden ökonomischen Grundlage, zu einemMißbrauOOgemaOOthat.· (35/514)Die Struktur der proletarischen Familie Ist also In erater Linie durch den Zwangder materiellen Verhältnisse gekennzelOOnet. In soziologischen Termini gesprochen,ist die Rollenstruktur relativ einfach: auOOIn der Familie Ist die dominantemännliche Rolle die des Lohnarbeitera; die väterliche Autorität leitet sich unmittelbardaraus ab. In den ärmsten proletarischen SOOlchtenverliert die scharfeDifferenzierung zwischen männlicher und weiblicher Rolle an Bedeutung, weil dieFrau meist ebenfalls als Lohnarbeiterin zur Reproduktion der Familie beiträgt.Eine atrlktere Trennung tritt erat In höheren SchlOOtendes Proletsrlats ein, Indenen die Frau nlOOtau6erhalb der Familie arbeitet (vgl. 21/51). Hier versOOärftsich das Ober- und Unterordnungsverhältnis, da die gesamte Familie materiellvom väterlichen Lohn abhängig Ist.Für die Entwicklung der <strong>Kinder</strong> Ist diese Rollenverteilung bestimmend, denn sieübernehmen die Rollen nicht In erster Linie virtuell durch Identifikation, sonderndurch den realen Zwang zur Mitarbeit. Die In den Rollen enthaltenen WertGrlentierungenerhalten dadurch ebenfalls einen real erfahrbaren Charakter: da6 dieArbeit des Vaters und damit seine Person die grö6te Bedeutung hat, erfährt dasKind als Hunger, wenn der Vater arbeitslos Ist; ähnlich hat die MInderbewertungder Frau bzw. des Mädchens Ihre materielle Grundlage In der geringen Bezahlungder weiblichen Arbeitskraft, die, in den kapitalistischen Produktionsverhältnissenbegründet, sich Innerhalb der Familie zunädlat nur reproduzlert.'1)15) Die Unterdrückung der Frau hat natQrllOOallgemein Ihre Ursadle nlOOtInden kapitalistischen Produktionsverhältnissen, sondern In der mit der Entwicklungder Produktivkräfte einhergehenden Entstehung der Klassengesellschaftüberhaupt. <strong>Zur</strong> GesOOIOOtedieser Entwicklung vgl. Engels (14/-)und Reich (51 b/-).Aber die spezifische Form der Unterdrückung der Frau Im Kapltallsmuahat Ihre spezlfisOOen UrsaOOenIn den kapitalistischen Produktionsverhältnissen.Die Omnipotenz der ökonomischen Zwänge läßt In der proletarischen Familiekaum Strukturen aufkommen, welche nicht einen direkten Bezug zu diesen Zwängenhaben. Dies gilt nicht nur für die •Verdiener· -Rolle von Vater und Mutter,sondern ebenso für die aus der Wohnungsenge und der <strong>Kinder</strong>arbeit sich ableitendeninnerfamilialen Beziehungen und die Ihnen entsprechenden Erziehungsmechanismen.16)Die engen Wohnverhältnisse erzwingen eine starre äußere Ordnung und zwanghafteStrukturierung der internen Beziehungen. Sie erfordern geradezu mechanischvon den <strong>Kinder</strong>n die Einhaltung dieser Ordnung. Mobilität und Bewegungsdrangder <strong>Kinder</strong> werden innerhalb der Familie von vornherein eingeschränktund können sich nur außerhalb der Wohnung, auf der Straße, entfalten.Innerhalb der Familie Ist der Obergang zwischen Erziehungsforderungen (Gehorsam,Artigkeit, Sparsamkeit, Ordentlichkeit etc.) und der das gleiche Verhaltenerzwingenden realen Umwelt fließend. In jedem Fall finden sich jedoch die materiellenUrsachen und Anlässe für ein bestimmtes, von den Eltern erfordertesVerhalten in der unmittelbaren Umgebung des Kindes. Darin dürfte auch eineUrsache dafür zu sehen sein, daß proletarische Eltern ihren <strong>Kinder</strong>n häufig denGrund für ein gefordertes Verhalten nicht erklären. Der Zwang beispielsweise,ruhig und ordentlich zu sein, bedarf in einer von 4--6 Personen bewohnten Einzimmerwohnungebenso wenig einer Erklärung wie die Aufforderung, sparsam zusein, angesichts der häufigen Erfahrung von Hunger und Not.Die Klnderaroeit ordnet sich In diese Strukturen brucl:tlos ein. Ihrem Charakternach In den meisten Fällen repetitiv, unterstützt sie die Abstumpfung und Abhllngikeltdes Kindes von externen Geboten (vgl. die Angaben bel Rühle: 60/27~295). Unter diesen Bedingungen Ist physiche Gewalt als Mittel der Bestrafungdie aus diesen spezifischen Erziehungsinhalten entstehende und ihnen entsprechende.Erziehungsmethode·.Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sowohl die familialen Beziehungen alsauch die Erziehungsnotwendigkeiten bzw. -ziele in direktem Zusammenhang mitder materieUen Lage stehen. Die Erziehungsmethoden haben keine langfristigenPerspektiven, sondern dienen der Regulierung der Innerfamilialen Beziehungen.Das geforderte Verhalten, mit direktem Zwang durchgesetzt, reproduziert im Kinddie Abhängigkeit des einzelnen Proletariers vom wirtschaftlich Stärkeren. Auf dieseWelse lernt das Kind frühzeitig, .die wirtschaftliche Macht als Regulator derpersönlichen Beziehungen respektieren, eine Eigenschaft, die es spätel in Fabrik,Kaserne und Staat dem Kapitalisten gegenüber zu üben verpflichtet' ist.· (19/58)Kanitz beschreibt, wie diese Erfahrungen des Kindes zur Entwicklung eines .kapitalistischenLebensplanes· (21/34) führe: die sich einzig aus der ökonomischenLage ableitende Gewalt und Bedeutung der erwachsenen Familienmitglieder macheden kindlichen Wunsch, so früh wie möglich Geld Zll verdienen und sich aus16) • Erziehungsmechanismen• und • Erziehungsmethoden • werden hier synonymgebrauOOt,weil die Unterscheidung, Inwieweit ein erzieherisches Verhaltenbewußt Intendiert ist oder slOOvöllig losgelöst vom bewußten Willender E.ltern dis Folge materieller Zwänge durchsetzt, kaum allgemein getroffenwerden kann.1617


der Abhängigkeit In der Familie zu befrelen17), zu seinem bestimmenden Lebensmotiv.Geld zu verdienen und darüber zu verfügen. sei die dem Kind durch diefamllialen Erfahrungen sich einzig vermittelnde Vorstellung und Perspektive vonFreiheit und Unabhängigkeit.Zum Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktionund kleinbürgerlicher Reproduktion in der FamilieDie wldersprOchliche Entwicklung des proletarischen Kindes hat seine allgemeinsteUrsache Im Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Betrachtet mangenauer die gesellschaftliche Realität, Innerhalb deren sich das proletarischeKind entwickelt, so spezifiziert sich der grundlegende Widerspruch zu dem zwischender das Proletariat als Klasse erst erzeugenden und reproduzierendenWeise der gesellschaftlichen Produktion und der kleinbOrgerlichen Form, in derder Proletarier vereinzelt seine Arbeitskraft reproduziert: der .proletarischen"Familie.Der Begriff .proletarische Familie· erscheint selbst als Derivat dieses Widerspruchs.Denn in Ihrer historischen Realität und Blütezeit vereinte die Familie insich Funktionen, die mit der Entstehung und Entwicklung der kapital.istlschen Produktionsweiseund der ihr entsprechenden Gesellschaftsform mehr und mehr ausder Familie verlagert werden, und aus der Familie des Proletariats - wie diedargestellten äußeren Bedingungen schon zeigen - zu allererst.In der Epoche der einfachen Warenproduktion vereinte die Familie in sich örtlichund zeitlich Produktion und Reproduktion, Fortpflanzung und Erziehung. Dieseverschiedenen Funktionen bildeten unter sich eine Einheit und waren wechselseitigvoneinander abhängig: das Ausmaß der Produktion bestimmte s'lch In ersterLinie durch die Reproduktionsbedürfnisse; die Erziehllng leistete .in erster LInieder feste, unverbrüchliche Rahmen, In den das gesamte Leben aller FamIlenmltgliederdurch die gemeinsame Produktion gespannt war." (19/60) Diese Erziehungwar a~o in dem Sinne eine Arbeitserziehung, als .das Kind ... vom ersten Le-17) .Kaum verdient der junge Arbeiter, oft euch die junge Arbeiterin, so verändertsich Ihre häusliche Position. Der Sklave wird zum MItbefehlshaberüber die jüngeren Geschwister, die noch nicht verdienen. wil'd ZlJm Mltbefehlshaberoftmals auch über die Mutter.· (21/31)bensjahre an automatisch in diese WIrtschaftsgemeinschaft hinein(wuchs) und ...gleichzeitig mit fast allen Bildungselementenin Berührung (kam), die auf derdamaligen Entwicklungsstufe der Ges·elischaft für die Erziehung eines normalenKleinbürgers no~endig waren .... Die naturwüchsige Arbeitsteilung innerhalbder bäuerlichen bzw. der kleinbürgerlichen Familie wies ... dem Kind seinen bestimmtenAnteil an der produktiven Arbeit und der Verwaltung zu." (19/40-41)Mit der kapitalistischen Form der Entfaltung der Produktivkräfte wird diese Arbeits-und L3benseinheit in ihrer alten Art zerstört: die Konzentration der Produktionsmittelentzieht der Familie ihre ökonomische Basis; Wohnung und Arbeitsstättewerden zu getrennten Bereichen. Indem zusätzlich die Vermittlungdes gesellschaftlich notwendigen Wissens außerfamiliar institutionalisiert wird(Entwicklung des Schulwesens), verliert die Familie gerade die Erziehungsmöglichkeiten.die in der Produktions- und Lebenseinheit enthalten war.Diese allgemeinen Entwicklungen wirken sich auf die gegensätzlichen Klassenverschieden aus. Der Prozeß der Funktionstrennung ehemals familialer Aufgabenentspringt dem Fortschritt der kapitalistischen Produktion und entspricht damitder Konsolidierung der Herrschaft der bürgerlichen Klasse; er ist für die Familieder Bourgeoisie kontinuierlich und konsistent. Schul- und Ausbildungswesen unddie familiale Erziehung ergänzen sich und bilden für das bürgerliche Kind einenkontinuierlichen Erfahrungszusammenhang: die Autorität des Vaters und des Lehrersfolgen den gleichen Wertmustern. deren Anerkennung und Obernahme durchdas bürgerliche Kind generell den Eintritt In die Positionen der herrschendenKlasse garantiert.Der gleiche Prozeß verläuft aber für das Proletariat entsprechend dem Widerspruchzwischen gesellschaftlicher Produktion und kleinbürgerlich-familialer Reproduktiondiskontinuierlich und inkonsistent. Mit der Zerstörung der alten Familienformdurch die kapitalistische Form der Vergesellschaftung der Produktionentstehen für das Proletariat als beherrschte und ausgebeutete Klasse nicht naturwüchsigInstitutionen. die, dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionentsprechend, die ehemals familialen Funktionen erfüllten. Naturwüchsiges Produktdieses Prozesses ist nur die .erzwungene Familienlosigkeit der Proletarier·(32/478)..le mehr sich die alte Familie auflöst - In der Bourgeoisie der bürgerlichen FamiliePlatz macht -, umso stärker wird ihre Existenz moralisch, juristisch und philosophischgestützt.Das Interesse der kapitalistischen Gesellschaft, die Existenz noch dieser halbzerstörtenproletarischen Familie aufrechtzuerhalten, ist in erster Linie ökonomischerNatur; denn die ökonomisch und ;uristisch sanktionierten Ober- und Unterordnungsverhältnissebilden die familiale Basis für die Ausbeutbarkeit der einzelnenFamilienmitglieder.Der Proletarier tauscht seine Arbeitskraft gegen ihre Reproduktionskosten ein;der soziale Ort der Reproduktion Ist - historisch bedingt - die Familie.Zu Beginn der kapitalistischen Epoche, in der aufgrund des Standes der Produktivkräftedie Ausbeutung der Frauenarbeit im breiten Maßstab noch nicht möglichwar, mußte der Arbeitslohn des Mannes die gesamte Familie reproduzieren. Erst1819


mit der Entfaltung der Produktivkräfte wird diese Grundlage der Familie zerstörtund die zusätzliche Ausbeutung der weiblichen (und kindlichen) ArbeItskraft möglich.•Je weniger die Handarbeit Geschicklichkeit und Kraftäußerung erheischt,d. h. je mehr die moderne Industrie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeitder Männer durch die der Weiber verdrängt. Geschlechts- und Altersunterschiedehaben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse. Es gibt nurnoch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Geschlecht verschiedene Kostenmachen.' (Marx. zlt. n. 60/50)'Indem die maximale Ausbeutung des Familienvaters In der Industrie zur Lohnarbeitvon Frau und <strong>Kinder</strong>n zwingt. fließen In der Familie als Reproduktoinseinheitdie EInzeIlöhne zum Familienlohn zusammen.• Der Wert der Arbeitskraft war bestimmtnicht nur durch die zur Erhaltung des Individuellen erwachsenen Arbeiters,sondern durch die zur Erhaltung der ArbeiterfamIlIe nötige Arbeitszeit. Indem dieMaschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteiltsie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertetdaher seine Arbeitskraft ... ,. Vier (Familienmitglieder) müssen nun nicht nurArbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit eine Familie lebe.' (35/417) Das heißt aber auch, daß nur die Summe der EInzeIlöhne für die Reproduktionder gesamten Familie hinreicht.Dieser ökonomisch begründete Zwangsverband der proletarischen Fsmille perpetulertsich ständig, Indem, durch das Untertanenverhältnis unterstützt, die Familiegezwungen ist, Ihre Mitglieder vereinzelt der Lohnarbeit auszuliefern. Dasheißt, daß der Widerspruch zwischen dem durch den Kapitalismus erst entstehendenProletariat und der Form seiner Reproduktion In der kleinbürgerlichen FamilieIn einem ökonomischen Zwangsverhältnis begründet ist, welches die kleinbürgerlicheLebensweise des Proletariats ständig erneuert, solange es sich nicht bewußtals Klasse organisiert."Mit der kleinbürgerlichen Lebensweise Ist aber auch die Ihr gemäße Bewußtseinslagegegeben. Der Zwang zur Individuellen Reproduktion, die Abhängigkeitder Familienmitglieder von Ihrer jeweiligen Lohnarbeit, die aus der hierarchischenFamilienstruktur hervo)ogehendeUnterdrückung des jeweils Untergeordneten unddie daraus scheinbar folgende Sicherheit der .Unterdrücker· unterminieren ständigdie kollektive Erfahrung In der Produktion und unterstützen die .klelnbürgerlichenFamilienideale des Individuellen Vorwärtskommens und privaten Erwerbs.·(19/59) Der gesellschaftliche Charakter der Erziehung, der im Proletariatseine naturwüchsig deutlichste Gestalt findet, indem die Erziehungsfunktionen fastvöllig aus der Familie verlagert sind, wird durch die kleinbürgerliche Lebensweiseständig verschleiert.Die individualisierten Abhängigkeitsverhältnisse Innerhalb der Familie förderndas Gefühl von Ohnmacht gegenüber der Gewalt des kapitalistischen Alltags und.In den Unterdrückten infolge ihrer Hoffnungslosigkeit das Bedürfnis nach Ruhe,die Scheu vor dem Kampfe.· (19/59) Hoernle kennzeichnet zusammenfassendden Charakter der proletarischen Familie so:.Sie atomisiert die Arbeiterschaft, sie zerlegt die kompakte, durch die gemeinsameStellung im Produktionsprozeß verbundene proletarische Masse In eine Unzahlsich selbständig dünkender und kleinbürgerlich empfindender Atome. Dadurchwird die heutige FalT';Iqnverfassung zu p "m Kanal für "'Ie bürgerlicheGeistesverseuchung, zu ei·ner r••"l


Innerhalb der FamIlie Ist die do.rnlnante Erfahrung des Kindes die der Abhllnglgkeltvon den Erwachsenen. Dabei umfaßt der unstrukturlerte Begriff .Abhänglgkelt·hier die Momente der materiellen Lage der proletarischen FamilIe und Ihresubjektive Erscheinungsform In bestimmten erzieherischen Verhaltensweisen derEltern und lliteren Geschwister. Die Abhängigkeit des Kindes Ist In erster Unleeine ökonomisch-materielle vom Arbeitslohn des Vaters oder/und der Mutter.Da aber - wie schon zuvor gezeigt - die Strukturen In der proletarischen FamIliesich durch Ihre reale Erfahrbarkelt auszeichnen, wirkt die Dominanz dermateriellen Abhllnglgkelt gleichzeitig der Errichtung von Irrational psychischenAbhllnglgkelten des Kindes von den Eltern entgegen. Für die Entwicklung komplizierterpsychischer Abhängigkeitsmechanismen läßt die proletarische FamilIekeinen Raum. Deren allgemeinste Voraussetzung: die über einen langen Zeitraumenge Bindung der Familienmitglieder untereinander, wird gerade durch die ökonomischeLage der FamilIe verhindert. Für das proletarische Kind ergibt sich alsoeine Verschllrfung der materiellen Abhängigkeit nicht aus der Errichtung zusätzlicherpsychischer Abhängigkeitsmechanismen, sondern viel eher, indem es durchdie ökonomische Lage der Familie und personell vermittelt durch die Eltern, zurLohn- oder Hausarbeit gezwungen wird. Je ökonomisch abhllngiger das Kind Inder Familie Ist (d. h. auch die Familie selbst), desto zeitiger ist es zur eigenenLohnarbeit gezwungen, die zwar die Voraussetzungen für die Aufhebung der famIlialenAbhängigkeit schafft, aber nur I·ndem sie durch die Lohnabhängigkeit Inder Industrie ersetzt wird.Dieses Kontinuum von Abhängigkeit bringt jedoch gleichzeitig eine frühe Unabhllnglgkeltdes Kindes von elterlicher Beaufsichtigung und .Erzlehung· mit sich.Wird das kleine Kind allenfalls noch von älteren Geschwistern versorgt, so treibenes die engen Wohnverhältnisse sehr früh In .den großen proletarischen <strong>Kinder</strong>garten:die Straße·. (21/40)Trotz der sozialen Homogenitllt des WohnmIlieus bildet die Straße für das proletarischeKind keineswegs ein einheitliches Erfahrungsfeld. Als Verkehrs- undAustauschort umfaßt die Straße der bürgerlichen Großstadt die verschiedenstenAusdrucksformen der Klassengegenslltze, olme aber die Basis dies8f Gegensätzedeutlich werden zu lassen. Für das proletarische Kind ist dieser Erfahrungsbereichgerade gekennzeichnet durch die weitgehende Unabhängigkdlt von elterlicher Beaufsichtigungund den Mangel an Orientierungsstrukturen, mit deren Hilfe es dieEindrücke der sozialen Realität ordnen könnte.Die Vielfalt der sich auf der Straße vermittelnden Erfahrungen kann grundslltzUchjede Entwicklungstendenz Im Kind unterstützen. Ob sich das Kind zum klassenbewußtenProletarier entwickelt oder die verwahrlosenden Tendenzen der Straßezur Kriminalität führen, hängt nicht so sehr von einzelnen bestimmten Erfahrungenab, sondern eher von der relatiVEm Konsistenz der Erfahrungsmuster In denverschiedenen Erfahrungsbereichen. U)19) Inhaltliche Verallgemeinerungen lassen sich auf dieser beschreibendenEbene nicht vornehmen, es können nur die verschiedenen Richtungen benanntwerden, In welchen sich die Straßenerfahrungen beim proletarischenKind auswirken.22Ein wichtiges Erfahrungsmuster vermittelt sich dem Kind Im Kollektiv der Straßenkinder.Die Gemeinschaft der Straßenkinder Ist zunächst ein diffuses Kollektiv.Zwar vermittelt es Formen kollektiven Verhaltens, etwa in Zusammenschlüssen<strong>proletarischer</strong> <strong>Kinder</strong>, die gemeinsam kleine Raubzüge unternehmen, andere <strong>Kinder</strong>gruppenbekämpfen etc.; aber solange der Bestand der Gruppen wegen derstarken Fluktuation zufällig bleibt, sind äuch die darin sich vermittelnden Erfahrungenvon geringer Bedeutung.Dies ändert sich, wenn die Gruppen über den zufälligen Anlaß hinaus bestehenbleiben. In diesen Gruppen ist die hierarchlsche Struktur nicht einfach ein Ausdruckder Ubernahme familialer Vorbilder, sondern sie findet Ihre Grundlage Inrealen kindlichen Fähigkeiten und Fakten wie: Körperkraft, Alter, Erfahrungen,Kenntnis der Umwelt etc. In den Aktivitäten der <strong>Kinder</strong>gruppen werden Bedürfnisseorganisiert, die dem materiellen Elend entsprlngen.10) Der Erfolg dieser Aktivitäten- d. h. hier: die Befriedigung der Bedürfnisse - hängt weitgehend vomkollektiven Charakter ihrer Durchführung ab. Im <strong>Kinder</strong>kollektiv sammelt das proletarischeKind zum ersten Mal die generell für seine Klasse geltende Erfahrung,daß der erfolgr-eiche Kampf für die Realisierung von Bedürfnissen nur In organisierter,kollektiver Weise möglich ist.Dieses Erfahrungsmuster ist aber in sich gebrochen. Denn die kindlichen Aktlvltlltenwerden zwar kollektiv organisiert und vermitteln dem Kind so bestimmteGrundmuster kollektiven Verhaltens, aber dies bildet nicht schon die Garantiedafür, daß die Inhalte der Aktionen ""'- auf der kindlichen Ebene - den Zielendes K~assenkampfes entsprechen. Zudem kann die hieran;:hische Struktur derGruppe, häufig gerade dann, wenn sie auf realen, für das Kind durchschaubarenFäh'igkelten aufbaut, die Ausbildung solidarischen Verhaltens an die Existenz derGruppenführung binden. In diesen Fällen vermittelt das Kollektiv dem Kind dieMöglichkeit aktiven kämpferischen Verhaltens, ohne aber die bewußte Durchschaubarkeltder Erfahrungen zu geben, weil diese durch die Hierarchie der Gruppein der Spitze monopolisiert bleibt. Neben der Erfahrung des erfolgreichenkollektiven Handeins erzeugt das gleiche Kollektiv die Ohnmacht des vereinzeltenKindes.Diese Ambivalenz wird generell durch die Begrenzung der kollektiven Erfahrungenunterstützt. Denn diese betreffen immer nur einen Ausschnitt der gesamten20) Eine eindrucksvolle Schilderung der verwahrlosenden Wirkungen der Straßegibt Kolbenhoff In seinem Roman .Untermenschen· (28/-).In einem späteren Abschnitt soll versucht werden, die Bedeutung der Konsistenzder Erfahrungsbereiche für die Entwicklung des proletarischen Kindesetwas allgemeiner zu bestimmen. (Vgl. 2.6.)Kolbenhoff berichtet beispielsweise von Oberfllllen und organisiertem Diebstahleiner proletarischen <strong>Kinder</strong>gruppe und zeigt retrospektiv die Entwicklungder einzelnen <strong>Kinder</strong> In Ihrem weiteren Leben. Seinem Buch Illßt sichklar der Gegensatz zwischen den Erfahrungen Im KInderkollektiv, In derFamilie und der Schule In seinen Individualisierenden Konsequenzen, wieumgekehrt die Bedeutung organisierter KInderkollektIve entnehmen. (28/-)23


Lebenserfahrungen des Kindes, und außerhalb Ihrer Ist das Kind weitgehend aufsich selbst gestellt. Vor allem treffen die Bestrafungen das vereinzelte Kind; eowohlin der Famile als auch In den staatlichen Institutionen wie Schule, Fürsorgeerziehungund Gerlcht.")Die affektiv-emotionale Entwicklung des proletarischen Kindes Ist ebenso wie dieBildung der Ihr entsprechenden kognitiv-Intellektuellen Strukturen objektiv vonden ökonomisch-sozialen Zwängen der Klassenlage bestimmt, die sich In denSozialerfahrungen des Kindes vermitteln und verfestigen. Im frühesten Lebensalterbereits wird die Entfaltung der Persönlichkeitsstrukturen auf diejenigen Fähigkeitenhin funktionalisiert und eingeengt, die für die Lösung unmittelbarer ökonomischerund sozialer Probleme der proletarischen Lebenspraxis erforderlich sind.Die historische LiteratiJr - mit Aus ,,,"me Rühles, auf dessen Arbeit spllter eingegangenwird - behandelt den Zusammenhang zwischen objektiver Klassenlageund der Bildung der Persönlichkeitsstruktur sehr oberflächlich. Die Frage, wiedie Klassenlage Im einzelnen die Persönlichkeitsstruktur festlegt, Ist In der historischenAnalyse der EntwIcklung des proletarischen Kindes nicht genauertheoretisch thematlslert.22) Dennoch lassen sich aus den bereits genannten hIstorischenZusammenhängen eInige Aussagen gewinnen.Wenn für das heranwachsende Kind der enge, affektive Kontakt zur Mutter, bzw.zu einer ständigen Bezugsperson, von größter Bedeutung für die Entwicklung sowohlaffektiver als damit auch kognitiver Strukturen Ist, so erwies sich geradedie objektive Lage der proletarischen Familie - der Zwang zur Frauenlohnarbeit,die unzureichenden WohnverhältnIsse etc. - als zentrales Hemmnis für die Herausbildungjener intensIven Kommunikation. Die Befriedigung der unmittelbarenphysischen und psychischen Bedürfnisse des Kindes Ist bereits von den Zwängender Lohnarbeit gekennzeichnet. Insofern liegt im mangelnden affektiven Kontaktdie früheste Form der materiellen Abhängigkeit des Kindes von den Eltern. Der21) Die historischen Arbeiten belegen klar, daß der Begriff der VerwahrlosungIn seiner politischen Bedeutung als Gegensatz zur Wohlerzogenheit desbürgerlichen Kindes definiert Ist. Zwischen verwahrlosten und proletarischen<strong>Kinder</strong>n besteht kein prInzipieller Gegensatz; vielmehr Ist jedes proletarischeKind tendenziell auch verwahrlost, die Grenze Ist fließend. Rühlebetont, daß der Eingriff der staatlichen Fürsorgeerziehung In die proletarischeFamilie häufig mit dem Zweck erfolgt. politiach mlßUeblge. <strong>Kinder</strong>,die Ihrer Diskriminierung In der Schule Widerstand entgegensetzen oderdie materielle Not und Hunger zu organisierten Formen von Diebstahl ambürgerlIchen Reichtum führte, zu staatlicher Zwangserziehung zu verurteilen.(vgl.: 60/315-346)22) Zugleich enthalten aber die praktischen Versuche organisierter <strong>proletarischer</strong>Erziehung Implizit die Beantwortung dIeser Frage, indem sie an bestimmtenFähigkeiten des proletarischen Kindes ansetzen, welche jedochnicht begrifflich klar beschrieben werden.Dieser Mangel wird angesichts der gesellschaftlichen Bedingungen unwichtig,die eindeutig das Problem der ~rziehung praktisch bestimmten. VgJ.auch den Abschnitt ,Prinzipien organisierter proletariacher Erziehung'.fehlende Kontakt fördert Im Kind die Anlage wenig differenzierter affektiverStrukturen, die Insofern der Lebenssituation angemessen sind, als diese zurDurchsetzung unmittelbarer Interessen nicht eine subtil-feingliedrige PersönlichkeltsstruktiJrverlangt, sondern viel eher eine belastbare.Das Kind lemt also nicht In breiten, affektiv-kommunikativen Zusammenhängen,sondern eher adaptiv. Insofern hängt die spezifische Ausprägung der kindlichenStrukturen vom unmittelbaren elterlichen Vorbild ab. Wo die Beziehungen derEltern untereinander und Ihre Lebenssituation in der Familie von den ErfahrungenInnerhalb der Produktion geprägt Ist, vermitteln sich dem Kind die für die proletarischeExistenz notwendigen Formen direkter Aggressivität und direkter Bedürfnlsbefrledigung.Innerhalb der Familie verarbeitet das Kind diese Erfahrungenals einzig erfolgreiche, mittels derer es sich In der real feindlichen Umwelt durchsetzenkann. Gleichzeitig erwirbt das ~Ind diese Strukturen über Inhalte, die Individualistischan die Famile gebunden bleiben und die realen gesellschaftlichenUrsachen des materiellen Elends nicht mehr erkennen lassen.Diese Begrenzung wird vor allem gestützt durch Charakter und Richtung derkognitiven Strukturen, die sich Im Zusammenhang mit der affektiven Kommunikationentwickeln. Ermöglichen die proletarischen Lebensverhältnisse nur geringdifferenzierte affektive Beziehungen, so engen sie Im Bereich der kognitivenStrukturen den Horizont möglicher Erfahrungen und Kommunikationsumsetzungenein. Die Begrenzung der Lebensinhalte auf die tagtägliche SIchersteIlung derReproduktion verhindert beim Kind die Entwicklung zeitlicher und abstrahierterLebensperspektiven. Der Spracherwerb spiegelt als Produkt der sprachlichen undaffektlv-vorsprachlichen Kommunikation die Enge des Lebensbereiches wieder.Die Sprache-versetzt das Kind nicht In die Lage, die reale Lebensumwelt zunächstvirtuell zu erweitern, sondern verstärkt die Dominanz der bestehenden Strukturen,Indem sie gegenständlich an die real erlebte und erlebbare Umwelt gebundenbleibt. Daraus erklärt sich auch, daß das proletarische Kind weniger In abstrahierenderForm lernt, als vielmehr im Zusammenhang mit seinen realen Lebenserfahrungen.Wo aber aufgrund dieses Tatbestandes sich in der proletarischenFamile keine Erweiterung der Umweltperspektive entwickeln kann, fehltauch jegliches Potential im Kind, Individuell die Lebensverhältnlse zu verändern.Zwar wird das Kind in der proletarischen Familie vereinzelt, aber dieser Prozeßläuft Im Rahmen sozialer Erfahrungen ab, die immer wieder demonstrieren, daßsie Individuell nicht veränderbar sind und so ihrerseits die angelegten Strukturenrückwirkend veratärken.2425


Rühles Erklärungsansatz der psychologischen Entwicklungdes proletarischen KindesUnter den hier zugrundeliegenden historischen Arbeiten versucht Rühle In seinerAnalyse .Die Seele des proletarillchen Kindes· (59/-) als einziger, die der objektivenKlassenlage entsprechenden psychologische Entwicklung und Konstitutiondes proletarischen Kindes zu erklären. Rühle begreift seine Arbeit als einenVersuch, .die Herausarbeitung '1:Iespsychologischen Profils der proletarischen JugendIn Angriff zu nehmen· (59/13), wobei seln politisches Interesse davon bestimmtIst, .jede wissenschaftliche Erkenntnis unmittelbar 1,'0 den Dienst desKlassenkampfes· (59/12) zu stellen. Al.s wissenschaftliche Grundlage benenntRüh.e die Individualpsychologie Alfred Adlel1S,die .elne Psychologie von durchausrevolutionärem Grundcharakter· (59/12) sei; der Nachweis dieser Behauptungwird allerdings an k;lner Stelle explizit erbracht.Rühle legt seiner Analyse den biologischen Tatbestand zugrunde•• daß derMensch als kleines Kind zur Welt kommt· (59/14) .• Kleln· bezeichne jedoch nichtnur einen objektiven Zustand, sondern impliziere historisch auch die .physlscheund psychische Schwäche, Unerfahrenheit (und) Minderwertigkeit· (59/14). Entsprechendsei der Erwachsene nicht nur .körperlich fertig und ausgereift ... ,sondern auch erfahren, tOchtlg, leistungsfähig (und) vollwertig· (59/14). Auf diesenGegensatz r.aaglere der .Instlnkt" (59/14) des Kindes, indem sein natürl,ichesTrleb- und Erbpotential die Tendenz enthalte, .selne Existenz gegenüber den Ihrdrohend, n mannigfaltigen Gefahren zu sichern.· (59/14) Dieser grundsätzliche,naturbedingte Gegensatz erhalte aber erst historisch, mit der Entwicklung derKlassengesellschaft, seine speZifische soziale Form von Unterdrückung, OberundUnterordnung. In de,' Klassengesellschaft werde die Existenzfürsorge unddie Sicherung gegenüber den Naturgewalten, als deren institutionelles und historischesProdukt Rühle die Kultur bezeichnet, zum Kampf der Menschen gegeneinanderbzw. zum Machtstreben; .die kulturelle Verfügungsgewalt Identifiziertesich mit der sozialen Herrschaftsgewalt, die Ihrerseits die Konsequenz ökonomischerBesitztitel und materieller Produktivkräfte war." (59/15) ROhie betont Indiesem Zusammenhang, daß In der Klassengesellschaft die Kultur nicht nur vonder herrschenden Klasse monopolisiert werde, sondern zusätzlich - historischbedingt - eine .maskuline Kultur· (59/16) sei, die sich auf der Basis der Unterdrückungder Frau errichte. Der KI,assengegensatz treffe also beispielsweise dasproletarische Mädchen dreifach: .Es ist als Glied der proletarischen Klasse, alsKind und als Mädchen kulturell verkürzt, geschmälert und geprellt.· (59/17)Die historisch und kulturell bedingte Sozlalerfa~ng der Unsicherheit und Minderwertigkeitverdichte sich im Lauf der kindlichen Entwicklung zum .Minderwertigkeitskomplex·(59/19). In Anlehnung an Adler hebt Rühle hervor, daß Or-ganeffekte und Mängel der physischen Konstitution des Kindes häufig die Entstehungdes Minderwertigkeitskomplexes auslösen, seine Entwicklung a>ufjedenFall beschleunigen. Auf diese kontinuierliche Erfahrung reagiere das Kind, Indemes • früher oder später mit Versuchen zu einem Ausgleich einer Kompensationder vorhandenen Mängel und Schwächen eln(setzt)· (59/19). Rühle erklärt dieGenese dieser Kompensation nicht, er beschreibt nur, daß sie die Tendenz habe,.durch intensivere Funktion, gesteigerte OOOngund vermehrte Leistung das Mankoauszugleichen.· (59/19) Jedes Kind versuche also - bewußt und unbewußt- diejenigen Verhaltensweisen zu verstärken, die der Oberwindung der Unsicherheitdienen. Im Laufe der dabei gesammelten Erfahrungen bildeten sich bestimmte,.zur Kräftigung und Aufrichtung des Geltungsgefühls brauchbare Leitlinien·(59/19), die der kindlichen Verhaltensorientierung dienten..Indem je länger je mehr alle seelischen Funktionen in der Richtung dieser Leitlinieverlaufen, alle seelischen Prozesse von hier aus ihr typisches Bild empfangen,bildet sich ein Summe von Bereitschaften, Verhaltensweisen, Fähigkeitenheraus, die einen bestimmten Lebensplan decken und umschließen; wir nennensie Charakter.Wird der Lebensplan so angelegt, der Charakter so geformt, daß die Schwierigkeitentatsächlich überwunden werden und das Geltungsgefühl nie unter ein gewisseserträgliches Maß herabgesetzt Ist, so Ist der Minderwertigkeitskomplexdurch eine glückliche Kompensation behoben. Ist dies jedoch nicht der Fall, soerzeugen die unbefriedigten Minderwertigkeitsgefühle Anspruch auf übe·rsteigerteBefriedigung aus der Logik des Lebens heraus und enden In der Neurose.·(59/20)Die typische psychische Reaktion des Kindes auf die Erfahrung der Minderwertigkeitbezeichnet Rühle als Abwehr oder .männlichen Protest· (59/52). Diese Haltunghabe generell das Ziel, .Macht zu gewinnen Im Interesse der Sicherungund Behauptung Innerhalb der menschlichen Gesellschaft.· (59/54) Rühle bezeichnetdieses Verhalten des Kindes nach Adler al·s .männlichen Protest·, .weil dasMachtstreben des Kindes als ProteststeIlung gegen das Minderwertigkeitsgefühlgerichtet Ist und mit dem Ziel einer männlichen Rolle durchgeführt wird.· (59/52­53) Die Orientierung erfolge am Vater bzw. am Mann, weil seine Person diegrößte Geltung genieße, weil er als Autorität .das Wunschbild und Ideal derkindlichen Phantasie liefert.· (59/52) Demgegenüber kennzeichne die weiblicheRolle eher Schwäche. Abhängigkeit und Unterlegenheit (vgl. 59/53).Entsprechend diesen Repräsentanzen unterscheidet Rühie generel.1zwischen zweitypischen Formen der kindlichen Protesthaltung, die sich entweder der direktenoder der Indirekten Aggression bedienten. In beiden Fällen sei aber die Protesthaltungvom gleichen Ziel bestimmt: .Sich Geltung zu verschaffen, sich Machtzu sichern, sich gegenüber'dem 'Minderwertigkeitsgefühl in erfolgreicher ProteststeIlungdurchzusetzen. Was die direkte Aggression auf geradem, offenem Wegezu erreichen suchte, wird mit Hilfe der indirekten Aggression auf Umwegen, Winkelzügen,von hinten herum erstrebt.· (59/57)Diese belden Typen kindlichen Verhaltens finden ihre Erscheinungsform Im trotzigenbzw. gehorsam-unterwürfigen Kind. Rühle faßt diese Formen der kindlichen2627


AggressIvItAt sehr allgemein. Trotz sei die kindliche .Antwort auf AutorltAt. EsgAbe keinen Trotz, wenn es keine Autorität gäbe·. (59/54) Damzufolge sei jeglicheReaktion des Kindes auf Umweltzwänge, die durch die Eltern oder a'ndereErwachsene vermittelt werden, als trotzige Auflehnung gegen die AutorltAt zubegreifen, mit dem Ziel, die .Errelchung dei von Ihm (dem Erzieher) verfolgtenZwecks unter allen UmstAnden zu verhindern.· (59/55) Auf der Ebene der IdealtypischenKonstl'\Jktlon gelangt Rühle zu dem Schluß, daß das Kind In diesenAuselnandersel:Z\Jngen mit der Autorität Immer .Sleger· (59/55) bleibe, da derkindliche Trotz als Folge der Autorlttlt dem Kind die aktive Rolle In den Auseinandersetzungenoffenlasse. Selbst wenn das Kind sich der Gewalt der Autoritätfügen mOsse, könne es aus dieser Unterdrückung noch Genugtuung beziehen.Rühle betont, der kindliche Versuch, die AutorltAt anzugreifen und herabzusetzen,habe einzig die Funktion, demgegenüber die eigene Autorltlt des Kindes zu festigen.Insofern sei .der trotzige Mensch ... Immer ein Individualist, Egoist,Machtmenech, Gewalthaber - eine Gegen-Autorität, aber doch Autorität.· (59/56)Gegenüber der direkten Aggression des trotzigen KI·ndes erscheine die IndirekteAggression In Formen des Gehorsams und der Unterwürfigkeit des Kindes. Seindeutlichster Charakterzug sei - wieder Idealtypillch - die Verstellung und dieLüge. Das Kind füge sich freiwillig den Anordnungen der Autorltlt, sei gehorsamund ordenttlch und erwerbe sich so Sympathie und Vertrauen. Um sich dieso erreichte Anerkennung zu sichern, benutze das Kind häufig die Mittel der Denunzatlon,LOge und Intrige. wobei es dem direkten Konflikt möglichst auszuweichenversuche..Dlese Kategorie von <strong>Kinder</strong>n stellt die Schulschwänzer und Drückeberger, Petzerund Angeber, Spitzel und Denun2!lanten, Näscher und heimlichen Diebe ..•..••die ganze Schar derer, die sich bei ertappter Tat auf Versehen. Vergeseen, Verlieren,auf MIßverstAndnisse und den großen Unbekannten hinausreden. die nieFarbe bekennen und sich stets der Verantwortung zu entziehen suchen.· (59/59)Nach Rühles Ansatz unterliegt generell jedes Kind - unabhängig von aelnerKlassenlage - der Gefahr. daß sich Minderwertigkeitsgefühle zu einem Komplexverdichten, den das Kind - bewußt und unbewußt - durch ein allgemeinesSIcherungsstreben zu kompensieren versuche, indem es mittels direkter oderIndirekter Aggression der eigenen Persönlichkeit Geltung zu verschaffen suche.auf dem Weg, die Macht und AutoritAt der Erwachsenen real oder In dar kindlichenInterpretation e1nzuschtAnken.Dieser Ansatz lAßt non noch offen, welche konkreten objektiven und subjektivenLebensfaktoren ein bestlmmt81l Verhalten des einzelnen Kindes determinieren;noch viel weniger Ist mit dieser Typologie bereits ein Erklärungsansatz für dieklassenspezifische Entwicklung des Kindes gegeben. Zwer beont ROhle, daß essich um Idealtypen kindlichen Verhaltens und nicht um Realtypen handle, aber erversAumt es, Im weiteren deren VerhAltnls systematisch zu untersuchen.Als einZigen Zusammenhang benennt Rühle, daß die .Dynamik· der kindlichenAggression .durch IntensltAt und Umfang des Minderwertigkeitsgefühls· (59/65)bedingt sei. Diese Abhängigkeit kennzeichnet nun den Obergang zur zweitenEbene der Darstellung, auf der Rühle - mehr phänomenologisch als systematisch- mittels der zuvor gewonnenen Kategorien die spezifische Entwicklungdes proletarischen Kindes darzustelien versucht.Die proletarischen Lebensverhältnisse forcierten generell die Bildung eines starkenMinderwertigkeitsgefühls. Infolge der materiellen Not habe das Kind einegeschwlchte physische Konstitution; Krankheit und Mißbildungen treten gehäuftauf. Gleichzeitig werde die kindliche Entwicklung durch die WohnverhAltnisse,den Mangel an Verständnis und die Rohheiten und Brutalität der Umgebung eingeschränkt.Das Kind könne diese ständige Erfahrung der Ohnmacht und EinschränkungIndividuell nur als Minderwertigkeit verarbeiten; zugleich sei es ständiggezwungen, seine Existenz zu sichern, Indem es mittels direkter oder IndirekterAggressivität gegen die Umweltzwänge und die sie vermittelnden Personenseine eigenen unmittelbaren Lebensinteressen durchzusetzen versuche. Aus diesemZusammenhang erklärt Rühle das allgemein stärkere Ausmaß aggressivenPotentials beim proletarischen Kind.Das Minderwertigkeitsgefühl wird nicht nur In der psychischen Entwicklung desproletarischen Krndes verarbeitet, sondern vermittelt ihm ebenso die ersten Formender Erfahrung des Klassengegensatzes. Das Kind verarbeitet den Gegensatzzwischen Besitz und Armut, der sich In der sozialen Umwelt - Schule,Straße etc. - als Klassendiskriminierung realisiert, als Individuelle Erfahrungnur auf dem bereits dargestellten Hintergrund subjektiver Minderwertigkeit. Keineswegsvermittle diese Erfahrung des Klassengegensatzes dem Kind bereitsautomatisch Klassenbewußtsein. Rühles Beispiele zeigen deutlich, daß diese IndividuelleErfahrung zu Haß und Neid führt; beim Kind zu jenem AußerIich devotenund gehorsamen Verhalten bei indirekter. unterdrückter AggresslvltAt. AlsIndividuelle Erfahrungsprodukte würden Haß und Neid kleinbürgerliche Lebensweisenund Ideale unterstützen, weiChe sich aber In der RealitAt nicht verwirklichenließen und an der Klassenlage und den Erfahrungen der Klassendiskrimlnierungnichts zu ändern vermögen.Diese Form der kindlichen Erfahrung und Verarbeitung des KlaSoSengegensatzeskennzeichnet Rühle als erste Phase einer dreistufigen Entwicklungsreihe. Sie seivor allem in den Schichten des Proletariats verbreitet, In denen die kleinbürgerlich-IndividualistischeLebenspraxis und damit ein ausgeprägtes AutorltätsverhAltnlszwischen Eltern und <strong>Kinder</strong>n vorherrsche. Auf dieser zweiten Ebene seinerDarstelr~ng greift Rühle also unsystematisch auf einen weiteren ErklArungszusammenhangzurück: daß die Entwicklung des proletarischen Kindes, seine Verarbeitungdes Klassengegensatzes vom Entwicklungsstand des Klassenbewußtseinsder gesamten Klasse abhängig seI. Als zweite Phase habe dementsprechend.In der Epoche d81l entwickelten Klassenbewußtseins ... ooch bel den <strong>Kinder</strong>nder Trotz als generelle HalliUng den Gehorsam erheblich zurückgedrängt." (59/68)Aber selbst dort, wo der Kampf des proletarischen Kindes gegen die AutoritätIm zuflllig organisierten Kollektiv der Straßenbanden die Individualisierte Erfahrungdes einzelnen Kindes durchbreche und damit dem Kind die Grundlagenkollektiven Verhaltens vermittle. bleibe es Insgesamt ein .Rlvallttltskampf· (59/2829


69), der nicht gegen das Prinzip der Autarität gerichtet sei, sandern einzig dasZiel habe, .im Widerstreit gegen andere Autaritäten seine (des Kindes) eigeneAutarität durch(zu)setzen und Ziur Anerkennung (zu) bri,ngen.· (59/69) Insafemselen auch jene ersten Farmen argarllsierter <strong>Kinder</strong>- und Jugenderziehung, diesich mit dem Fartschritt der proletarischen Klassenarganisation gebildet hatten,der zweiten Phase zuzurechnen.Die dritte Phase werde dagegen charakterisiert sein durch den organisierten undgeschulten Kampf der ~inder und Jugendlichen gegen das die Beziehungen derMenschen in der Klassengesellschaft und auch tn der praletarischen Organisationbeherrschende Prinzip der Autorität. Diesem Autoritätsprinzip sei im Kampf der<strong>Kinder</strong> und Jugendlichen ein Prinzip der Gemeinschaft entgegengestellt, das dengrundsätzlichen Gegensatz zwischen Kindheit und Erwachsenheit aufhebe.Für die Organisation der Erziehungsarbeit folgert Rühle, sie könne nur .Gemeinschaftserziehung...durch Erziehungsgemeinschaft van Jugendlichen und <strong>Kinder</strong>nunter Ausschluß von Erwachsenen· (59/23) sein. Diesem Pastulat liegt allerdingshistorisch die Existenz der organisierten Arbeiterbewegung zugrunde. Entsprechendseiner grundlegenden Kritik des Autoritätsprinzips revidiert Rühle implizitdas durch den Klassengegensatz bestimmte Verhältnis van Klassenkampf undOrg.anisatian. Wenn er zusammenfassend schreibt, .Saziallsmus Ist eben Gemeinschaft,und Gemeinschaft ist der Antipade von Herrschaft, Autarltät, Gewalt.Der Autorität am fernsten heißt dem Soziaiismus am nächsten sein·, so verläßter die Ebene der marxistischen Analyse und muß zwangsläufig zum IndividualistischenIdealisten werden, der die Notwendigkeit des organisierten, palitischenKlassenkampfes gegen die herrschende Klasse zugunsten einer histarisch falschenGemeinschaftsvarstelJung leugnet.Diese etwas ausführlichere Darstellung zeigte schon deutlich, daß Rühle seinenVersuch, die Genese der psychischen Entwicklung und Konstitutian des praletarischenKindes auf der Basis der objektiven Klassenlage systematisch zu erklären.nicht einlösen kann. Seiner Arbeit liegen Varaussetzungen zugrunde. diezwar der Farm nach hlstarlsch abgeleitet sind, aber In der Analyse dann axlamatischals Kanstanten erscheinen. Der grundsätzliche Gegensatz zwischen Autarität'und Nichtautarität, Unterdrücker und Unterdrücktem, Eltern und Kind kannvom Kind nur als Mi·nderwertigkeit verarbeitet werden, gegen die es - gleichsaminstinktiv - mit Sicherungsversuchen direkter ader indirekter Aggressivitätreagiere. Auf diesen als allgemein gesetzten Zusammenhängen errichtet Rühleseine Typalogie der kindlichen Entwicklung, mittels derer er dann die speZifischeEntw~lung des praletarlschen Kindes zu erklären versucht.Diese Typalagle Ist auf das Kind zentriert.! Indem Rühle die Beziehung zwischenErwachsenem und Kind als Autoritätsverhältnis hlstarisch konstant setzt, kann erOberhaupt erst jene Typalagie errichten und gelingt es ihm erst, die kindlicheEntwicklung nur vam Kind aus zu betrachten und darzustellen. Das heißt aberauch, seine Typalogie gerät i,os Wanken, wenn die Konstanz des Autaritätsverhältnisseshistorisch aufgelöst wird. Zugleich schränkt die auf das Klnd zentrierteVerfahrenswelse die ErklärungsmögHchkeiten kindlicher Entwicklung weitgehendauf die Kanstanten des Minderwertligkeil18gefühls und der Aggre88lvltat ein.Wie beispielsweise das Kind bestimmte Fähigkeiten - etwa Sprache ader Intelligenz- erwirbt bzw. wadurch die Entwicklung dieser Fähigkeiten verhindertoder eingeschränkt wird, läßt sich nur nach deterministisch durch das Ausmaßdes Minderwertigkeitsgefühls und seiner aggressiven Verarbeitung erklären. Dasgleiche gilt für die sazialen Umweltverhältnisse, die nur sekundären Erklärungswerterlangen können und auch erst auf der zweiten Ebene der Darstellung, dieder Erklärung der spez,ifischen Entwicklung des praletarischen Kindes gilt, eingehenderberücksichtigt werden. Auf dieser Ebene muß Rühle die Annahme derhistarischen Kanstanz des Autaritätsverhältnisses revidieren. Denn nur, wenndas Autaritätsverhältnis selbst der histarischen Veränderung unterliegt, kann erden histarischen Fartschritt in der Entwicklung des praletarischen Kindes - dener in seiner dreiphasigen Entwicklungslinie zu zeigen versuchte - erklären.Dennach haben bel aller Kritik Rühles Kategarien deskriptiven Wert, weshalbauch seine Arbeit hier so. ausführlich referiert wurde. Das verdeutlicht sich abererst, wenn einige Implikatianen benannt werden, die er selbst in seine Arbeitnicht mehr systematisch einbezieht.Die erste Ist darin zu sehen, daß die für die Entwicklung des Kindes wichtigeund natwendige Kammunikatian gerade unter praletarischen Lebensbedingungenweitgehend fehlt ader doch nur In begrenztem Umfang erfolgt. Das Kind ist frühauf sich selbst angewiesen; seine Sozial erfahrungen, die Rühle anschaulich beschreibt,werden auf dem Hintergrund unmittelbarer Bedürfnisartikulation undebenso. unmittelbarer Einschränkungen verarbeitet, ahne daß für das ~ind einesystematische Möglichkeit bestünde, durch Kammunikation die Erfahrungen selbsttransparent zu machen und so. Realitätsperspektiven anzulegen, die ihm andereVerarbeitungsmöglichkeiten eröffneten. als die. seine eigene Ohnmacht einzig alsMinderwertigkeit zu begreifen.Damit zusammenhängend, ist zum zweiten die Tatsache zu nennen, daß unterden materiellen Lebensbedingungen des Proletariats das Kind Im allgemeinensich in einem ständigen Existenzkampf befindet, der in Rühles Begriffen von•Trotz·, .Abwehr" und • Pratest· nur unklar und einzig bezogen auf das Kind- nicht generell auf seine Klasse - zum Ausdruck kommt. Zugleich findet dieserExistenzkampf unter der Perspektive einer verkürzten Kindheit, d. h. des frühenEintritts In den Produktionsprazeß, statt.Diese Lebensperspektive realisiert sich für das proletarische Kind bereits inden Zwängen der Klnderai'beit: als kantlnuierliche Sazialerfahrung erklärt sieerst das der BefriE!"digungunmittelbarer Lebensbedürfnisse dienende. typisch aggressiveVerhalten des Kindes, das Rühle zwar richtig beschreibt, aber nicht erklärenkann, da er es aus bialagisch-histarischen Konstanten ableitet und nichtaus der historisch konkreten Analyse der Klassenlage,Die verkürzte Kinqheitlst Ausdruck der kapitalistischen Produktiansverhältnlsseund Ihrer Entwicklung: so. wie in der anarchischen Epoche der kapitalistischenPraduktion die Ausbeutung der bloßen, unausgebildeten Arbeitskraft - also. geradeauch die der <strong>Kinder</strong> - für den Fortschritt der kapitalistischen Rraduktianausreichte, so. setzte dieser gleiche FartAchritt jener maßlasen Explaitatian Grenzenim physischen und psychischen Verschleiß der Arbeitskraft. Marx beschreibt,3031


wie beispielsweise die In Druckereien ausgebeuteten <strong>Kinder</strong>, .sobald sie zu altfür Ihre kindliche Arbeit werden, also wenigstens Im 17. Jahr ... , aus der Drukkerel(entlassen werden). Sie werden Rekruten des Verbrechens. Einige Versuche,Ihnen anderswo Beschäftigung zu verschaffen, scheitern an Ihrer Unwissenheit,Rohheit, körperlichen und geistigen Verkommenheit.· (35/509) Die Fabrlkgesetzgebungund In Ihrer Folge die Entwicklung des Schulwesens schaffennun die Ausbeutung der kindlichen Arbeltakraft nicht ab, sondern regulieren &Jenur Im breiten gesellschaftlichen Maßstab. Indem der Fortschritt der kapitalistischenProduktion selbst eine grundlegende Ausbildung der Arbeitskraft erzwingt,nimmt gleichzeitig die Lebensperspektive des proletarischen Kindes gegenüberdem naturwüchslg-zufälligen einen geregelten Charakter an: der verkürzten Kindheit,die von den AUllbeutungserfahrungen der Eltern In der Produktion und vomdadurch bestimmten Charakter des sozialen Milieus geprägt Ist, folgt generellder eigene Eintritt des heranwachsenden Kindes In die Lohnarbeit. In RühlesArbeit kommt diesen Zusammenhängen allenfalls nebensächliche Bedeutung zu.Bel Ihrer Berücksichtigung verdeutlicht sich auch, daß gerade der AllgemeIngültigkeitsanspruchdes Ansatzee seine Arbeit falsch macht, d. h., Ihren Erklärungswerteinschränkt. Zugleich wird jedoch - jene Implikationen einbezogen - derbeschreibende Wert von Rühles Kategorien sichtbar.Welche Tendenz weist nun diese Beschreibung auf? Bel Rühle selbst Ist dieRichtung seiner Arbeit mit seinem politischen Interesse Identisch. Er verfolgtkonsequent seinen Ansatz der Kritik jeglicher Autorität und verläßt damit dieBasis der marxistischen Analyse. Nicht mehr der antagonistische Widerspruchzwischen den gesellschaftlichen Klassen bildet die Grundlage der Analyse, sondernder als historisch allgemein gesetzte Gegensatz zwischen Autorität undNIchtautorität; für die Analyse der kindlichen Entwicklung der Gegensatz zwischenKindheit und Erwachaenhelt.Demgegenüber gewinnen bei Berücksichtigung der Kritik an ROhles allgemelnemAnsatz seine Beschreibungen eine andere RichtUng. Sie zeigen eindeutig, daßdie proletarische Existenz nicht schon aus sich selbst heraus revolutionäres Klassenbewußtaelnund die Bereitschaft zur Organlslerung produziert. Die proletarischeExistenz unterstützt Im Kind die Anlage einer widersprüchlichen Persönlichkeitastruktur,die sich einesteils durch Dlrektheit der Aggressivität, Unmittelbarkeitder Bedürfnisbefriedigung, Belastbarkeit aufgrund physischer Stärke, Kooperatlonsbereltschaftund Solidarität auszeichnet, In der aber diese Momentegekoppelt erscheinen mit lähmender Passivität, Enge der Perspektive, lntellektuelienBarrieren, Mangel an Initiative und autoritärer Anpassung In individualisiertenLebenHituationen. ln den verschiedenen Lebenssituationen realisIerensich Jeweils bestimmte Aspekte dieser Persönllchkeltsstnlktur: In der IndividualisierendenAtmosphäre der Familie oder. der diskriminierenden Schulsituation werdenbeispielsweise gerade kleinbürgerliche Bewußtseinshaltungen unterstützt, diejedoch gleichzeitig von den Kooperation und Solidarität erfordernden LebenssituationenIn den KLndergruppen der StI'1lIßegebrochen sind;Diese WldersprOchlichkelt läßt sich systematisch nur erfassen, wenn die potentiellenEnlwicklungslinlen BUS der objektiven Klassenlage erklärt werden. Das Er-gebnls dieser Analyse zeigte, daß das proletarische Kind die grundlegendenVerhaltensmuster und Handlungspotentiale im <strong>Sozialisation</strong>sprozeß erwirbt, dieden historischen Erfahrungen des Proletariats entsprechen. Diese Potentiale setzensich aber erst durch ihre Organisierung in reales klassenbewußtes Handelnum. Rühle beschreibt diesen Zusammenhang, wenn er sagt, das proletarischeKind stelle sich aufgrund der Erfahrung seiner Klassenlage .von Anfang an wenigerauf Individuum als auf Masse ein ...Unbeschadet seines Individuellen Bewußtseins und seiner individuellen Interessendenkt und fühlt es im Massensinne, Interessiert es sich als Masse, Ist esIn der Masse mutiger als allein. Die Straße hat die Erziehung zur Masse unterstülztund gefördert. Die Jugend, die ... in kindlicher Abwehrstellung gegen dieGesellschaft zu einer notwendigen Notgemeinschaft der Straßenjugend gelangteund damit zum ersten Male direkt an das Prinzip des Kollektivismus stieß, rechnetmit der Organisation als einer Selbstverständlichkeit. Massengefühl. Massenbewußtsein,Massenaktion sind ihm wertvolle ideologische und praktische Mittelder Sicherung, der Erhöhung und Macht.· (59/111)Insofern ist die organisierte proletarische Erziehung vom Entwicklungsstand desKlassenbewußtseins, d. h. dem Organisationsgrad der gesamten Klasse abhängig.Erst In dieser durch die Klassenorganisation bestimmten Erziehungspraxisvermittelt sich dem Kind mit der kollektiven Identität - der Einheit des individuellenBewußtseins und Verhaltens mit dem kollektiven Handeln der Klasse ­auch die Individuelle, welche sich unter den proletarischen Lebensbedingungenfür das vereinzelte proletarische Kind nicht herausstellen kann.Prinzipien organisierter <strong>proletarischer</strong> ErziehungTheoretische Voraussetzungen und BedingungenAus den bislang dargestellten historischen Arbeiten wurde Material für die Theseabgeleitet, daß die proletarischen Lebensverhältnisse im Kind die Anlage einerwidersprüchlichen Persönlichkeitsstruktur fördern, die sowohl Elemente aktiven,kämpferischen Klassenhandelns umfaßt als auch die passiv-fatalistischer, ohnmächtigerAnpessung. Verallgemeinernd läßt sich daraus schließen, daß die klassenspeziflscheAusprägung der Persölllichkeitsstruktur Im Proletariat die gesell-3233


schaftlIchen HerrschaftlsverhAltnlsse widerspiegelt. Für das vereinzelte Arbelterkl'ndwirken die proletarischen Lebensverhältnisse depravierend, weil s,le Ihmeinzig den Erwerb solcher Fähigkeiten erlauben, die beim erwachsenen Proletarierdessen Ohnmacht kennzeichnen, seine Klassenlage individuell verändern zukOnnen.Insofenn Ist der Begriffskomplex von Individualismus-Kollektivismus und Abhängigkeit-Unabhängigkeit,mit dem zuvor der Zusammenhang zwischen objektiver<strong>proletarischer</strong> Klassenl,age und seiner subjektiven Erschetnungswelse Im proletarischenKind zu erfassen vensucht wurde, auf der Basis jener These weiterdifferenzierbar: zumindest für die historischen Lebensbedingungen des Proletariatsbedeutet Indlviduali,smus zugleich Depravation; die Abhängigkeit förderndenSozialerfahrungen des proletarischen kIndes In Familie und Schule Intensivierendiesen Zusammenhang. Aber Indem die zuvorderst ökonomische Abhängigkeitdes Kindes zugleich auf dem Hintergrund der verkürzten Kindheit und des frühenEintritts In die Lohnarbeit Grundlagen der Unabhängigkeit von Eltern undSchule nur durch die gleichzeitig el,nsetzende Lohnabhängigkeit schafft, unterstütztdieser Prozeß zwar die Bildung kollektiver Erfahrungsmuster, die historischden Kampferfahrungen des Proletarl,ats entsprechen, ohne jedoch naturwüchsigoder zwangsläufig abzulaufen. Die produktive Entfaltung jener kollektiven ErfahrungsmusterIm proletarischen Kind, d. h. der seiner psychischen und physischenEntwicklungsstufe entsprechende Fortschritt seines Klassenbewußtseinshängt Im Ergebnis davon ab, Inwieweit die proletarische Organisation diesenProzeß durch seine Organls'lerung bewußt unterstützt.In der Epoche der Weimarer Republik I'st von verschiedenen revolutionären undreformistischen Organisationen der Versuch unternommen worden, die Erziehungdes proletarischen Kindes außenhalb der Familie zu organisieren, Im Folgendensollen einige der Prinzipien dargestellt werden, die der Arbeit in den voJ'l derKommunistischen Partei organisierten kommunistischen KIndergruppen zugrundelagen.23)23) Der folgende Abschnitt stützt sich im wesentlichen auf zwei ArbeitenHoernles, der am Aufbau und an der Leitung der von der KPD organisiertenkommunistischer <strong>Kinder</strong>gruppen führend beteiligt war. In .Grundfragen<strong>proletarischer</strong> Erziehung" und .Die Arbeit In den kommunistischen <strong>Kinder</strong>gruppen"(19/-) werden sowohl die Theorie revolutionärer kommunistischerErziehung als auch die praktisch-methodischen Schwierigkeiten derkonkreten Arbeit dargestellt. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen'"i?ersönlichkeitsstrukturund Klassenlage, die anhand der historischenArbeiten diskutiert werden sollte, wird von Hoernle nur Indirekt gestellt,im Hinblick darauf, Inwieweit Ihre Beantwortung zum Fortschritt der praktischenArbeit beiträgt. Verdeutlicht man sIch den Stand der Klassenauselnandersetzungentnder Weimarer Epoche, so verliert diese Frage tatsächlichan Bedeutung, bzw. umgekehrt: diese Frage wird heute, In einerPhase erst langsam beginnender Klassenkämpfe für die Strategie revolutionärer<strong>proletarischer</strong> Erziehung wieder wichtiger. Dazu ist jedoch die genaueKenntnis und Analyse der historischen Praxis in der Phase voll entwickelterKlassenkämpfe unabdingbar.Hoernle bezeichnet als Grundlinie der Erziehungsarbeit die .Elngliederung desKindes in den Kampf und die Arbeit seiner Klasse" (19/167).U) Damit Ist unterden historischen Bedingungen bereits der notwendig politische Charakter derErziehung klargestellt. Auf der Grundlage der materialistischen Analyse des Erziehungsprozesses(vgl.: 19/13-33), die historisch den KI,assencharakter jederErziehung zeigte und deren Ergebnis Hoernle als .Einführung des Kindes in seinegesellschaftlichen Funktionen ... für die Klassengesellschaft: ... in seine Klassenfunktionen" (19/168) zLlsammenfaßt, leitet sich die politische BegrÜndung fürdas Postulat der Kampferziehung ab: .Das proletarische Kind kann sehr gutheute schon teilnehmen am Kampf seiner Klasse. einfach deshalb, weil es anden Leiden seiner Klasse teilnimmt." (19/168) Da in der Klassengesellschaft dasInteresse der Bourgeoisie darin besteht, das proletarische Kind •für die Funktionendes Lohnsklaven" (19/168) abzurichten, hat die proletarische Kampforganisationnicht nur di,e Aufgabe, das Kind zu schützen, sondern vielmehr, es aufden Klassenkampf vorzubereiten. Dies i,st aber einzig durch die Verbindung vonpraktischem Handeln, also einer der kindlichen Entwicklungsstufe entsprechendenBeteiligung am Klassenkampf Uind theoretisch intellektueller Aufklärung möglich.Da objektiv kein Gegensatz zwischen den Interessen des proletarischen Kindesund dem kämpfenden Proletariat besteht, wohl aber subjektiv in der einzelnenproletarischen Famil,ie (vgl.: 19/57--...Q3), in der sich das Ausbeutungsverhältnis,dem der Proletarier in der Lohnarbeit unterliegt, gegenüber Frau und <strong>Kinder</strong>nreproduziert, liegt die Aufgabe der von der proletarischen Organis'ation geleitetenErziehung darin, diesen Widenspruch aufzuheben. Indem damit die naturwüchsigschon weitgehend aus der proletarischen Familie verlagerten Erziehungsaufgabentendenziell von der proletarischen Organisation übernommen werden,erfüllt sie politisch bewußt eine objektive gesellschaftliche Tendenz: die Vergesellschaftungder Erziehung; das heißt aber in der Klassengesellschaft: ein objektivesErfordernis des Klassenkampfes. Denn nur, wenn dieser Prozeß derVergesellschaftung politisch bewußt und organisiert erfolgt, kann das Proletariatdie depravierenden Auswirkungen auf die Entwicklung seiner <strong>Kinder</strong> aufheben,welche sich aus den - durch die Entwicklung der Produktivkräfte naturwüchsigsich vollziehenden nur den Interessen der Bourgeoisie entsprechenden ­Formen der Vergesellschaftung der Erziehung im Kapitalismus ergeben.24) Diese Grundlinie der proletarischen Klassenerziehung Ist an die Existenzder Klassenorganisation ebenso wie an einen objektiven gesellschaftlichenZustand gebunden, der seinerseits die Klassengegensätze verschärft undso zur weiteren treibenden Kraft der Klassenkämpfe wird. Marx schreibtin der Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie-, .die Revolutionen bedürfennämlich eines passiven BelQents, einer materiellen Grundlage ... Esgenügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeitmuß sich selbst zum Gedanken drängen." (34/386) Dieser Hinweis sollnatürlich für die gegenwärtige Situation keiner fatalistischen K't'isentheorieVorschub leisten; aber ebensoweniggenügt für die Organisation alleindas subjektive Moment. Zumindest für die historische Situation zeigtHoernl,es Arbeit, daß die organisierte proletarische Erziehung ein Produktreal erliahrener Klassengegensätze und der proletarischen KampforganIsationist.3435


Um die objektive Bedeutung klarzustellen, die die Erziehungsarbeit der KPD historischfür das Proletariat hatte, soll hier noch einmal kurz rekapituliert werden,welche Auswirkungen die naturwüchslge, ungeplante Vergesellschaftung der Erziehungfür die Entwicklung des proletarischen Kindes hatte.Im Prozeß der Vergesellschaftung der Erziehung, welche ihre allgemeinste GrundlageIn der Entwicklung der Produktivkräfte findet, werden Erziehungsfunktionenaus der Familie verlagert und außerfamilial, d. h. gesellschaftlich organisiert. DieserProzeß verläuft aber widersprüchlich. Während in der Bourgeoisie noch eingroßer Tell der Erziehungsfunktionen In der Familie liegt, sind sie im Proletariatbereits weitgehend aus der Familie verlagert. Geblieben sind Im Proletariat nurdie allernotwendigsten Formen der Aufzucht - Marx nennt das die ,erzwungeneFamilienlosigkeit der Proletarier' (32/478); Hoernle sagt, die Familie des Proletariatssei nur noch eine ,dürftige Wohn- und Schlafgemeinschaft" (19/47) -'die wesentlichen Erziehungsfunktionen sind der Familie entrissen.War ursprünglich die wichtigste Erziehungsfunktion der Familie die Vermittlungdes gesellschaftlich notwendigen Wissens, so tritt mit der kapitalistischen Elltwicklungder Produktivkräfte, die gerade diese Funktion gesellschaftlich organisiert,eine Differenzierung ein: Die bürgerliche Familie vermittelt nicht mehr dasnotwendige Wissen, wohl aber beim Kind die Voraussetzungen dafür, daß diesesWissen und seine Erscheinungsform als notwendige kindliche Fähigkeit überhauptgesellschaftlich vermittelt werden kann. Das heißt: Die Herausbildung deraffektiven und kognitiven Kommunikationsstrukturen des Kindes bildet die familialvermittelte Grundlage der Lernfähigkeit, welche erst gesellschaftlich organisiertesLernen, d. h. gesellschaftliche Erziehung, möglich macht.Im Proletariat Ist gerade die Bildung dieser Grundlage verkümmert, reduziert aufjene notwendigen Formen, die zur Bewältigung der unmittelbarsten Lebensproblemeerforderlich sind. Insofern ist die Marxsche These von der Zerstörung deralten Familie (vgl.: 352513 ff.) durch die kapitalistische Entwicklung der Produktivkräfterelativ zu begreifen. Zwar löst .die große Industrie mit der ökonomischenGrundlage des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeitauch die alten Familienverhältnisse' auf (35/513), jedoch ohne die Familieinsgesamt zu zerstören, d. h., ihr sämtliche Funktionen zu entziehen. Entsprechendder widersprüchlichen Entfaltung der Produktivkräfte Im Kapitalismus Istauch der Auflösungsprozeß der Familie selbst widersprüchlich; d. h., sie behältgemäß ihre eigenen reduzierten Existenz Restfunktionen, die sich allerdings fastnur für die Bourgeoisie als funktional erweisen.Die Restfunktionen der Familie sind Ausdruck der begrenzten, noch nicht vollentfalteten Vergesellschaftung der Erziehung im Kapitalismus, tdie als Folge derwidersprüchlichen Entwicklung der Produktivkräfte erst eine formale Aufteilungim <strong>Sozialisation</strong>sprozeß hervorruft. Für die Bourgeoisie besteht zwischen denbeiden Aspekten des Sozialisierungsprozesses: den famIliai, d. h. privat vermittetlenaffektiven und kognitiven Kommunikationsstrukturen des Kindes - alsoseiner Lernfähigkeit - und dem darauf aufbauenden, gesellschaftlich organisiertenLernen des Kindes - also der Wissensvermittlung - kein Widerspruch, sondernKontinuität und Konsistenz.38Werden Im Proletariat die Grundlagen der Lernfähigkeit des Kindes nur In demreduzierten Maß angelegt, das für die Lösung der unmittelbaren Lebensaufgabennotwendig Ist, so Ist t:uglelch das naturwüchslge Ausmaß der Vergesellschaftungder Erziehung wesentlich größer als In der Bourge91sle. Die Lernfähigkeit vermitteltsich dem proletarischen Kind neben der Familie gerade In solchen Bereichen,die gleichsam als ,Zusatzbereiche' für die Ausbildung der affektiven undkognitiven Kommunikationsstrukturen dienen: In den Straßenkollektiven der proletarischen<strong>Kinder</strong>, In denen der Kontakt nicht nur zweckorientiert Ist, sondern zusätzlichauch eine starke affektive Beziehung zwischen den <strong>Kinder</strong>n Besteht, spieltsich ein großer Tell der Lernprozesse ab, die sich beim bürgerlichen Kind In derFamilie vollziehen (vgl.: 28/-). Die hier angelegten Persönlichkeits strukturen de9proletarischen Kindes sind Ihrer Forin nach an das Kollektiv gebunden, sie sindIn Ihren Grundmustern kollektive Strukturen. Ihrem Inhalt nach beziehen sich dieLernprozesse weitgehend auf Erfahrungen der Klassenlage, also Erfahrungen sozialenCharakters, die ROhie als kollektiven Protest gegen die Minderwertigkeit,d. h. für das proletarische Kind: die/ Klassendiskriminierung be9chrleben hatte.Ihrem politischen Charakter nach vollziehen sich aber diese Lernprozesse In gesellschaftlichzufälligen, nicht fest organisierten Kollektiven, das heißt. als KInderkollektivvermitteln sie dem einzelnen Kind mit der Erfahrung erfolgreichen kollektivenHandeins zugleich die Ohnmacht des verelnzelt~n Individuums und auch dieOhnmacht eines nicht fest organisierten Kollektivs. Diese Erfahrung Ist allerdingsIn den KInderkollektiven nIcht bewußt, sondern eher diffus, da dem Kind keineIntellektuellen ErklärungsmOgllchkelten verfügbar sind.Auf diesem Hintergrund läßt sich le~ der Beqrlff der Konsistenz der Erfahrunqsbereichegenauer fassen. Er bezieht sich zunächst auf den formalen Zusammenhang,daß das Kind In bestimmten Sozialbereichen typische Erfahrungen sammelt,die Ihrerseits typische Verhaltensweisen und damit auch bestimmte CharakterzOgeund PersönlIchkeitsstrukturen hervorrufen. Konsistenz heißt: ein geringerGrad an WldersprOchlichkelt In den SozIalerfahrungen.So sind beispielsweIse fOr das bOrgerllche Kind die Sozlalerfahrunaen In denverschIedenen Erfahrungsbereichen historisch weitgehend konsistent. Das machtegerade die Ungebrochenhelt aus, mIt der sich Im bürgerlIchen Kind die Werteund Normen seiner Klasse In der PersönlIchkeitsstruktur verankerten.'') Schule,Femllle. Milieu' - es bestanden kaum WIdersprOche, die fOr das bürgerlicheKind unmittelbar erfahrbar waren. Inaofern hatte gerade die bOrgerllche Ideologie25) Heute sind dIese Prozesse gerede In der bOrgerlIchen Jugend gebrochen.Aber diese Gebrochenhelt läßt sIch sinnvoll auch nur Okonomlsch erklären.Dabei müßte diese Analyse berOckslchtlgen. daß großen Teilen desBürgertums mit dem historIschen Vilrlust nennenswerten Eigentums (ZerstörungkleIner Industrle-, Gewerbe- und Handelsbetriebe durch den kapitalistischenMonopolislerungsprozeß) auch jle .6konomlsche Basis einerungebrochenen, klassenmäßIgen SozialIsationsfÄhigkeit geraubt Ist. DieseTatsache drOckt sich' u. a. beispielsweise In derProtestbewegung der Studentenaus.37


von der behüteten Kindheit ei,nen realen Grul'ld. Der eigenen kindlichen Erfahrungnach war das bürgerliche Kind ökonomisch weitgehend unabhängig, und diepsychische Abhängigkeit, die dafür umso stärker ausgeprägt ist, vermag dasKind nicht zu durchschauen. Auf diesem Hintergrund erwirbt das Kind familialaffektive und kognitive Kommunikationsstrukturen, mittels derer es sich in denverschiedenen Erfahrungsbereichen einheitlich orientieren konnte und die auch- generell - seine Klassengebundenheit garantierten.26Beim proletarischen Kind sind dagegen die Sozialerfahrungen weitgehend inkonsistent,sie variieren in den verschiedenen Bereichen. Die Straße vermittelt andereWerte und verlangt andere Verhaltensweisen als die Familie und andereals die Schule. Zugleich zeichnen sich die Sozialerfahrungen durch eine Unmittelbarkeitaus, die ka,um noch Distanz aufkommen läßt; die das Verhalten bestimmendeLebenssituationen und -zwänge sind unmittelbar erfahrbar; sie werdenständig als Realität erlebt - das proletarische Kind muß sich darauf einstellen,darauf reagieren. Das bewirkt aber gerade den Widerspruch, daß diese real erlebtenZwänge der Klassenlage nicht mehr durchschaubar sind, weil dem proletarischenKind die dazu notwendigen kognitiven Strukturen fehlen. Sie werdennaturwüchsig nur soweit ausgebildet, wie es für die Lösung unmittelbarer Lebensproblemedes Proletariats unabdingbar ist. Weiter oben wurde bereits gezeigt,daß das proletarische Kind naturwüchsig keine PersönlichkeilJSstrukturen erwirbt,die ihm ermöglichen, seine Lebensperspektive zunächst virtuell zu erweitern.Der naturwüchsig höhere Grad der Vergesellschaftung der Erziehung Im Proletariatbei gleichzeitiger Inkonsistenz der Erfahrungen des proletarischen Kindeserklärt auch den Einfluß der Schule auf das proletarische Kind wie ebenso - inscheinbarem Widerspruch dazu - die Tatsache, daß es in der bürgerlichen Schulenur begrenzt lernen kann. Hoernl,e schreibt über den Einfluß der Schule auf dasproletarische Kind:.Sie verheimlicht dem Arbeiterkind nicht nur seine Klassenlage, sie täuscht dasKind nicht nur über die geschichtliche Entwicklung von Staat und Gesell,schaft,über die eigenen Existenzbedingungen, sie zwingt es gleichzeitig ganz systematischzu einer dem Arbeiterkinde ursprünglich fremden und feindlichen Denkweiseund Betätigung, die den Interessen der kapitalistischen Produktion entspricht.·(19/194)Doch gleichzeitig Übte sie eine .suggestive Macht" aus:.Da~Kind mag den Lehrer hassen, es nimmt dennoch sein Wort als Offenbarung;es mag noch so unter dem Schuldrill leiden, es fühlt hier doch gegenüber Straßeund Elternhaus die überlegene Organisat;ion." (19/194)26) Als Beispiel für die psychischen Prozesse läßt sich der Odipuskomplexdes bürQerlichen Jungen anführen, dessen typische Lösung sozial den Eintrittin die väterliche Herrschaftsposition antizipiert und garantiert. Dassoll nicht heißen, für den Proletarierjungen sei der Odipuskomplex wenigerausgeprägt oder unbedeutsamer; wichtig ist nur, daß die Beziehungzwischen psychischen und sozialen Prozessen füt das proletarische Kindwidersprüchlicher ist.38Das Prinzip des Kollektivismus ist für das Proletariat nur als kämpferischesmöglich. Hoernle faßt das zusammen, wenn er für die intellektuell-weltanschaulicheErziehung zeigt, daß nicht allein die wissenschaftliche Analyse der sozialenZusammenhänge ausreicht, sondern deren aktiv-kämpferische Umsetzungnotwendig sei. "Die erste und letzte Frage, die in unseren Diskussionen und Gesprächengestellt werden soll, muß lauten: was können wir hierbei tun, wiemüssen wir hierbei eingreifen? Und man wird staunen, wie erfinderisch, wiepraktisch, wie brennend von Aktivität die Arbeiterkinder sind." (19/213)Die wissenschaftliche Erziehung des Kindes als aktiv-kämpferische basiert damitzugleich auf der für das proletarische Kind ty(jischen Lern- und Erfahrungsweise.Da die sozialen Erfahrungen des Arbeiterkindes vom frühesten Alter anErfahrungen des Klassengegensatzes sind und in ihnen gleichzeitig auf Grundder familialen Situation wesentliche Lernprozesse abspielen, sind die dadurchvermittelten Strukturen der Lernfähigkeit des Kindes sowohl an einen bestimmtenInhalt: nämlich allgemein soziale Zusammenhänge der Klassenlage, gebundenals auch an eine bestimmte Form: das proletarische Kind lernt in kollektiven Erfahrungswsammenhängen.Diese Beziehung zwischen Erfahrung und Lernen bildetdie Grundlage für die wissenschaftliche Erziehung in den kommunistischen<strong>Kinder</strong>gruppen. Hoernle schreibt:"Nicht Bücherweisheit ist unser wissenschaftlicher Unterricht, sondern erst einmal:Beobachten lernen! Und was liegt dem Proletarierkinde näher als die sozialenGegensätze zu beobachten, die Klassenkämpfe, in denen es selber verwickeltist. Beobachten auf Grund eigener Erfahrungeni Zum Beobachtenlernentritt nun als zweites das Austauschen der Beobachtungen, das schriftliche undmündliche Mitteilen, Diskutieren, Fragen und Antworten. So wird in unserenPioniergruppen jede einzelne Beobachtung ergänzt, verglichen, korrigiert, inden richtigen Zusammenhang eingegliedert. Jetzt beginnt die dritte Stufe deswissenschaftlichen Denkens: der Aufbau eines ganzen weltanschaulichen Systems,in das auch späterhin mit Leichtigkeit jede neue Beobachtung oder Erfahrungeingegliedert, aus dem für jede neue Situation und Tat leicht und schnelldie notwendigen Maßstäbe und geistigen Waffen genommen werden können."(19/145-146).17)Diese der Klassenlage und ihren allgemeinen Auswirkungen aufs Kind entsprechendeErziehung der Einheit von Erkennen und Handeln ist in einer Periode offenerKlassenkämpfe nur möglich, wenn sie vom fortschrittlichsten Teil des Proletariatsorganisiert wird. Dieser historische Zusammenhang unterstützt die allgemeineThese, wonacR nur eine direkte antikapitalistische Erziehung die Bildungkollektiver und individueller Identität des proletarischen Kindes zu fördern vermag.Dabei ist die Frage nach dem konkreten Charakter der proletarischenKampforganisation, ihrem Aufbau und ihrer Beziehung zur Erziehungsorganisationnicht abstrakt entscheidbar, sondern nur historisch konkret, entsprechend demspezifischen Stand der Entfaltung der Produktivkräfte, und der Offenheit der gesellschaftlichenWidersprüche, d. h. dem Entwicklungsgrad des Klassenbewußtseinsim Proletariat.27) Zum organisatorischen Aufbau der kommunistischen <strong>Kinder</strong>gruppen vgl.Hoernle: 19/196 ff.).39


Zusammenfassung neuerer Ergebnisse derForschungsliteratur zur <strong>Sozialisation</strong> desArbeiterkindesMethodischeProblemeIm folgenden Abschnitt soll versucht werden, In einem kurzen Abriß einige derzentralen und durch die Vielzahl der Untersuchungen allgemein bestätigten Ergebnisseüber den Sozialisl!tionsprozeß des Arbeiterkindes darzustellen.2')Zuvor müssen jedoch einige methodische Probleme erörtert werden, die zum Teildie Richtung der Ergebnisse mitbestimmen und gleichzeitig zu Ihrer kritischenDiskussion notwendig sind.28) Die folgenden Untersuchungsergebnisse entstammen weitgehend amerikanischenArbeiten. Die Frage, Inwieweit diese Ergebnisse auch Gültigkeitfür die westdeutscheo Verhältnisse besitzen, Ist In verschiedenen Arbeitengeprüft worden - so beispielsweise von Rolff (55/-), der an mehrerenStellen seiner Arbeit Gültigkeitsprobleme diskutiert.Im einzelnen Ist noch auf die interkulturelle Untersuchung von DeverElYxund Bronfenbrenner (13/-) hinzuweisen, welche zeigt, daß die Ergebnisseder amerikanischen Untersuchungen sich generell auf die westdeutschenVerhältnisse übertragen lassen. Ähnliche Schlußfolgerungen ziehen Pearlinund Kohn (49/-) aus einer vergleichenden Studie zwischen USA undNorditalien.In den zugrunde liegenden neueren Untersuchungen wird generell die Familieals zentrale Instanz des primären kindlichen <strong>Sozialisation</strong>sprozesses begriffen.Sie erscheint als diejenige soziale Institution, in der dem heranwachsenden Kindspezifische Werthaltungen vermittelt werden; .sie werden in der Familie erhalten,aber auch verändert und wirken durch die Familie auf die nächste Generation".(10/44) .Jeweils mit der Geburt eines Kindes in der Kernfamilie wird der Prozeßder Tradierung von kulturellen Werten neu in Gang gesetzt. Eingebettet In jedeNuance des Verhaltens der Pflegeperson fließen ständig Werthaltungen in den,Erziehung' genannten Prozeß e'ln, die vom Nachwuchs übernommen werden.'(10/45)29) In ähnlicher Weise charakterisi,ert McKinley die allgemeine Sozialisierungsfunktionder Familie:•Vor allem die Familie schafft sozialisierte Persönlichkeiten - sie sozialisiertbeide: das Kind und den Erwachsenen. Die menschliche Persönlichkeit ist eineFolge sowohl der Biologie als auch sozialer Erfahrungen. Die Familie ist dieGruppe, die im Rahmen heutiger sozialer Organisation am besten geeignetscheint, das Kind - mal geduldig, mal mit Gewalt - dahinzubringen, jenen Standardsdes Verhaltens und der gefühlsmäßigen Einstellung zu entsprechen, diefür das entfaltete Individuum einer bestimmten Altersposition als angemessen angesehenwerden. Emotionale Abhängigkeit und Engagement sind notwendig, umdiese Entwicklung zu bewirken, und falls das Kind, aufgrund des engen Zusammenhangszwischen Säuglingsalter und, Kindheit, nicht dazu kam, Anerkennungund Liebe seiner Eltern und seiner Erzieher im allgemeinen zu verlangen, dannwerden sich die Probleme der <strong>Sozialisation</strong> sehr vergrößern.' (38/18)Entsprechend diesen und vielen ähnlichen Bestimmungen der familialen <strong>Sozialisation</strong>sfunktionwird der spezifische Charakter des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses inden einzelnen Klassen - und das heißt die spezifische Funktion, die die Familiedabei erfüllt - erst sekundär von der Analyse erfaßt. Wenn angenommen wird,daß die Familie generell - unabhängig von spezifisch zu erklärenden Abweichungen- der erste zentrale Ort des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses ist, .by which an Individual,born with behavioral potentialities of enormousiy wide range is led todevelop actual behavior which Is confined within a much narrower range - therange of what Is customary and acceptable for him according to the standardsof his group" (9/655) - oder wie Rolff den <strong>Sozialisation</strong>sprozeß vom Individuumaus definiert: .als Reifung des ,unmenschlichen' Säuglings zum vollwertigen Mitgliedder Gesellschaft und ihrer Kultur" (55/22», dann geht in die auf diesen allgemeinenBestimmungen aufbauende Begriffsbildung und in die Konstruktion derMeßinstrumente bereits eine spezifische Verzerrung ein. Denn wie im zweitenTeil dieser' Arbeit gezeigt werden konnte, erwies sich gerade die proletarische29) .Dle ,Kern-Familie' (stellt) eine meist nur formalsoziologisch von dem sieumgebenden Familienverband abzuhebende kleine Gruppe (dar), nämlichKleinkinder und ihre männlichen und weiblichen Dauerpflegepersonen (Vaterund Mutter).' (10/12)4041


Familie keineswegs als SozialIsationsinstanz, welche derart funktionale EntwlcklungsproZ6ssedes Kindes ermögllcht.30)Dies heißt nicht, die proletarische Famil'ie sei für die SozlaUsation des Kindesvon geringer Bedeutung; vielmehr zeigten die historischen Arbeiten, daß die Familiezwar eine wichtige <strong>Sozialisation</strong>sinstanz darstellt, deren Einfluß sich jedocherst voll erfa9Sen läßt, wenn die weiteren für die Entwicklung des Kindes bedeutsamenErfahrungsbereldle mit berücksichtigt werden; denn der widersprüch­Liche Oharakter der <strong>Sozialisation</strong> 'des proletarischen Kindes ergab sich geradeaus dem Funktionsverlust der Familie und der dadurch gestiegenen BedeutungaußerfiamiNaler <strong>Sozialisation</strong>sinstanzen.Die Verzerrung qn den grundlegenden Annahmen der klassenspezifischen Sozialiaationsforschungbezieht sIch also auf die Funktion der Familie im <strong>Sozialisation</strong>sprozeß.Wird die Familie als primäre und entscheidende <strong>Sozialisation</strong>s instanzder Analyse z.ugrundegelegt, 80 entspricht diese Annahme ihrer Bedeutung fürdie Mittelkla9Se, wätirend umgekehrt mit dem gleichen I,nstrumentarium sich die<strong>Sozialisation</strong> des proletarischen Kindes nur verzerrt, d. h., in ihrer Abweichungvom mittelklassenspezifischen <strong>Sozialisation</strong>sprozeß erfassen läßt.3')30) Hoernle schreibt über die objektiven Erziehungsmöglichkeiten der proletarischenFamilie: .Auch die besten pädagogischen Absichten scheitern anden unerbittlichen Konsequenzen der materiellen und geistigen Armut desProletariats, an seiner Abhängigkeit und Verknechtung." (19/62 f.) Aberselbst in den vereinzelten FMlen, in denen proletarische Eltern in der Lagewären, Ihre Kinde besser (optimal?) zu erziehen, scheitere dies an denäußeren Einflüssen: .Das Milieu ist stärker als die Eltern." (19/63)31) <strong>Zur</strong> Kritik dieses Mlttelschichtbias vgl.: 64/97 ff. Die Bedeutung der FamilieIst natürlich nur ein Beispl,el dieser Verzerrung; generell ist jedes Meßinstrumentdavon betroffen. Besonders deutlich wird das bel veroalen In­Vgl. tellig8QZtests; beispielsweise: hier ist(47/-).die Verzerrung aber auch schon weitgehend erkannt.Allgemeiner 8011 hier noch auf folgende Punkte hingewiesen werden: Indieser Arbeit soll statt von • Schichten· bzw. .schichtenspezifischen Sozia­Iisatloneprozessen von • Klassen· uncl .klassenspezifischen· SozIalIsationsprozessengesprochen werden.Die empirischen Untersuchungen zur <strong>Sozialisation</strong> gehen weitgehend vonder Annalvne aus, daß die .moderne Industrielle Gesellschaft· nicht mehrdurch den Gegensatz der Klassen gekennzeichnet sei, sondern durch dk!Existenz sozialer Schichten. Diese grundlegende Voraussetzung hat derartumfaflQl'eiche und inhaltlich bedeutsame Konsequenzen, daß sie aufbegrenztem Raum nicht angemessen kritisiert werden kann.Ein formaler Hinweis mag hier genügen: Die Unterschicht (bestimmt nachEinkommen, Erziehung, Beruf etc.) umfa8t jedenfalls die Arbeiterklasse;Insofern sind die nach dem Schichtungsschema gewonnenen speZifischenAngaben auch für das Industrieproletariat zutreffend. Insgesamt wird hierdie Annahme vertreten, daß die Untersuchungen emplrlsch-posltlvlstischrichtig Bind, d.I1., daß Ihre Ergebnisse tatsächlich weitgehend das wieder-Neben vergleichenden Untersuchungen der klassenspezifischen <strong>Sozialisation</strong>,welche hauptsächUchan Erklärungen für die festgestellten Differenzen interessiertsind und weniger daran, die klassenmäßige Funktionalität spezifischer Erscheinungsformendes SoziaUsationsprozesses zu bestimmen, wird die Frage nach derspeZifischen Realität, innerhalb deren sich der <strong>Sozialisation</strong>sprozeß abspielt, inanderen Untersuchungen mit dem Begriff der .Subkultur" bzw.• subk'ulturellerWertsysteme" zu erfassen versucht.Nach Oevermann zeichnet sich jede Subkultur .durch spezifische Verhaltensnormenund Lebensgewohnheiten aus, ihren MitgUedern sind Deutungs'systeme undinterpretationsschemata gemeinsam, sie sprechen eine speZifische Sprache, teilenGeschmacksvorstellungen, Vorstellungen von Gut und Böse, Richtig undFalsch. <strong>Kinder</strong> der Mittel- und Unterschicht werden in sehr unterschiedliche sozialeUmweltbedingungen hineingeboren, übernehmen von ihren Eltern unterschiedlicheVerhaltensorientierungen, stehen im täglichen Leben unterschiedlichenProblemstellungen gegenüber, kurzum: entwickeln ei'nen in vieler Hinsicht andersartigenErfahrungshorizont. " (47/169)Entsprechend dieser Kennzeichnung lassen sich typische subkulturelle Wert- undHandlungssysteme als .Reflex auf dk! gemeinsamen Lebenserfahrungen der Ineiner Klassezusammengefaßten Individuen dar(stellen)". (64/102)Wenn dieses Konzept als Erklärungsrahmen des klassenspezifischen <strong>Sozialisation</strong>sprozesseszugrundegelegt wird, muß jedoch die ökonomische Grundlage, weicheerst jene Gemeinsamkeiten der Lebenspraxis konstit\Jiert, in die Analyseeingehen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß die als gemeinsam erkannten Lebensgewohnheiten,Werte, Vorstellungen etc. selbst als Beetimmungsgrundlagedes speZifischen SoziaUsationsprozes·ses begriffen werden, sich also verselbständigen.Oevermann spricht diesen Zusammenhang explizit eus, wenn er daraufverweist, daß mit dem Begriff des .subkulturellen Milieus· .nicht die Priorität kulturellerFaktoren geg.enüber ökonomischen für die Konstitution des Schicht\Jngssystemsbehauptet werden (soll). Vielmehr soll das Problem der Priorität damitumgangen we~den". (47/183) (Hervor~bung nicht im Original.)Sowohl die Verzerrung im Hinblick auf die Bedeutung der Familie, welche sichrein methodisch aus dem vergleichenden Ansatz ergibt, als auch die Problemeim weitergehenden Erklärungsral1men des subkulturellen Milieus - in dem zumindesttheoretisch die Möglichkeit besteht, klassenspezifische Aspekte des 80­zlalisationsprozesses gemäß ihrer Funktionalität für die jeweilige Klasse zu erfassen- sind Ausdruck gl''Uondl·egendermethodischer Schwierigkeiten des positivistischenAnsatzes.geben, was untersucht werden soll. .Falsch" sind die Untersuchungeneher im Hinblick auf die Aspekte der Realität, welche von den Instrumen\ten gar nicht erfaßt werden sollen. (vgl. beispielswei'se Anm. 33.)Auf dem Hintergrund der historischen Arbeiten verliert dieser Mangel jedochan Bedeutung, da grundsätzlich die Vergleichsmöglichkeit besteht;zudem wäre eine Kritik, die sich auf die grunctlegenden Begriffen entstammendenFehler und Mängel bezieht, in dem Maße Idealistisch, wie sie diegesellschaftlichen Interessen unberücksichtigt läßt, welche sich In bestimmtenherrschenden wissenschaftlichen Ansätzen widerspiegeln.4243


AllgemeIn laßt elch sagen, daß diese Schwierigkeiten Ihre Grundlage Im Verhaltnlsvon Sozlallaatlonatheorle und ~mplrlschen Untersuchungen finden. Währenddie SozialIsationstheorie, von den verschiedensten Ansätzen ausgehend, versucht,eine allgem~lne Theorie der <strong>Sozialisation</strong> zu formulieren, greifen die empirischenUntersuchungen nur einzelne Variablen heraus, die jedoch in keinereinheitlichen Beziehung zur Theorie stehen. Insofern lasse,n sich die empirischenUntersuchungen Ihrer theoretischen Bedeutung nach dahingehend charakterisieren,daß sie, von den verschiedensten wissenschaftlichen Positionen ausgehend, empirischeVersatzstücke liefern, dJe nachträglich bestimmte theoretische Annahmenstützen.32)Zugleich Ist der Versuch, den Sozlallsatlonaprozeß klaseenspezlflsch zu untersuchenlind zu Arklären, kelneswega In den grundlegenden Annahmen berücksichtigt.Die Klassenzl:lgehOr!gkelt erscheint In den vergleichenden Untersuchungenals eine Variable unter anderen; während Im subkulturellen Ansatz die Klassenzugellörlgkeltden allgemeinen Rahmen, aber auch die Grenze der Untersuchungbildet.Da es sich In dieser Arbeit weniger um die Kritik der SozialIsationstheorie handelt,als eher darum, die Ergebnisse der empirischen Arbeiten zur typischen <strong>Sozialisation</strong>des Arbeiterkindes zu diskutieren und mit den historischen Arbeitenzu konfrontieren, kann hier weitgehend auf die Diskussion des widersprüchlichenVerhllltnisses von SozialIsationstheorie und --empirie verzichtet werden, soweitnicht bestimmte theoreUsche Prämissen für die Erklärung der Ergebnisse selbstunabdingbar alnd.Der folgende Abriß der Ergebnisse neuerer Untersuchungen ztIr <strong>Sozialisation</strong>stOtzt'sich daher Im wesentlichen auf eine Zusammenstellung solcher Variablen,die sich In den Untersuchungen für die kisssenspezifische Ausprägung der <strong>Sozialisation</strong>als wichtig erwiesen haben; diese Darstellung hat also keinen systematischen,sondern eher Relevanzanspruch.Diesem Vorgehen liegt die Voraussetzung zugrunde, daß die empirischen Arbeitenihren Anspruch, bestimmte Aspekte der Realität quantitativ zu erfassen undder Realität entsprechend darzustellen, generell einlösen.Dies gilt allgemein und schließt nicht aus, daß In einzelnen Punkten die Darstellungselbst das Darzustellende entsprechend grundlegender Prämissen verfälscht.33)32) Oevermann u. a. schreiben, daß .der Begriff der ,<strong>Sozialisation</strong>' ... Innerhalbder Sozialwissenschaften eher ein Programm als einen geschlossenen,Forschungszweig' bezeichne. (48/5)Dementsprechend versuchen sie, die den verschiedenen SpezialdisziplInenentstammenden Varlable{l zu verknüpfen, um so den Gesamtprozeß der<strong>Sozialisation</strong> erfassen zu können.Für diesen Ansatz wird sich jedoch gerade der Ausschluß der Frage nachder ,Priorität' als Hindernis einer adäquaten Erfassung des klassenspezlflschen<strong>Sozialisation</strong>sprozesses erweisen.33) Dies gilt beispielsweise besonders für den Punkt, welche Bedeutung kollektiv-solidarischenPersönlIchkeitsstrukturen Im Proletariat zukommt. In44Eine Kritik, die sich auf diese internen Mängel der Untersuchungen bezieht, mußjedoch im Rahmen der Untersuchungen bleiben; werden dagegen die Untersuchungengerade mit diesen Mängeln als adäquater Ausdruck gesellschaftlicher Interessenerkannt, so verdeutlicht sich auch die gesellschaftliche Funktion, welchediesem Förschungszweig zukommt.Erziehungsverhalten und Wertorientierung der Eltern:Aspekte der familialen RollenstrukturS4)Bronfenbrenners vergleichende Sekundäranalyse achtzehn verschiedener amerikanischerUntersuchungen zur frühkindlichen <strong>Sozialisation</strong> (5/-) erbrachte für allesozialen Klassen zunächst ähnliche Entwicklungstrends. Danach waren die Elterninnerhalb des 25jährigen Untersuchungszeitraums durchgehend nachgiebiger gegenüberden spontanen Bedürfnissen ihrer <strong>Kinder</strong>; ihre Zuneigungsäußerungenwaren ungezwungener; die Verwendung psychologischer Bestrafungsmethodenwie <strong>Zur</strong>eden, Appell an das Schuldgefühl und DcQhung mit Liebesentz~g weiterverbreitet. Wenn diese Trends auch in der Mittelklasse erheblich stärker ausgeprägtwaren, so ließen doch insgesamt die Untersuchungen nur in zwei Punktensignifikante klassenspezifische Differenzen im elterlichen Erziehungsverhalten erkennen:in der Verwendung der Bestrafungsmethoden und im Charakter der Erwartungen,die die Eltern an ihre <strong>Kinder</strong> richten. Für die Arbeiterkl.asse kamendiesem Versäumnis zeiGt sich jedoch auch ein bestimmtes gesellschaftlichesInteresse, das sich unabhängig vom einzelnen Wissenschaftler durchsetztund sich auf die Bedeutung Individualistischer Persönlichkeitsstrukturenin den an Mittelklassenwerten orientierten gesellschaftlichen Institutionenbezieht. (vgl. auch Anm. 31.)34) Die drei folgenden Abschnitte basieren auf den zusammenfassenden Arbeitenvon Rolff (55/-), Koch (22/-) und dem Seminarbericht <strong>Sozialisation</strong>und kompensatorische Erziehung (64/-). Als Teilnehmer dieses Seminarshabe ich die zusätzliche Literaturauswahl vorgenommen. Jedochwurden Im einzelnen die Originalarbeiten und zusätzlich weitere den folgendenAbschnItten zugJ'\mdegelegt.45


die Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen: Gegenüber psychologischen Diszlpllnlerung&methodenIn der Mittelklasse sind bei der Arbeiterklasse direkteBestrafungsmetlhoden hlluflger.Das bezJeht sich nicht nur auf die stärker verbreitete Anwendung physischer Be­Sb'1afungsm9lf1oden,sondern auch auf erzieherisches Verhalten, das I'n den Untersuchungenals "mac:htauaspielend" und .nonpermissive" (62/472) gekennzeichnetwird. Anbrülkm, Drohungen, das Kind der Lächerlichkeit preisstellen, erscheinenals Extreme dieses Elternverhaltens.Diese Ergebnisse impUzieren jedoch nicht, daß der affektive Kontakt zwischenEltern und Kind In der Arbeiterklasse geringer oder negativer wäre als in derMittelklasse; Bronfenbrenners Analyse zeIgte, daß zumindest in den ersten Lebensjahrendi'e Erziehungstechniken (als ein Index der affektiven Bezie'hung) innerhalbder beiden Klassen sich nicht wesentlich unterschei,den.35) Allgemeinlassen sich daher die Ergebnisse über typische Haltungen von Arbeiterki'ndernnur im Zusammenhang mit ihren Erwartungen a'n das Kind und mit ihren Wertorientierungensinnvoll diskutieren; denn die Erwartungen der Eltern an die <strong>Kinder</strong>sind als Reflex der Erfahrungen der Klassenlage in den elterlichen Wertorientierungen~u&ammengefaßt. Nach Bronfenbrenners Sekundäranalyse lassensich zunächst folgende Ergebnisse nennen: Eltern der Mittelklasse erwarten vonIhren <strong>Kinder</strong>n eher und häufiger als in der Arbeiterklasse Selbständigkeit undMithilfe im Haushalt; generell also die Erwartung eigenständigen Leistungsvermögens(.mastery" (5/417». Umgekehrt sind in der Arbeiterklasse die Erwartungenan das Kind eher auf die Einhaltung äußerer Regeln und Gebote bezogen wie Gehorsam,Sauberkeit, Ordnung etc. Diesen Erwartungen entsprechen die Erziehungstechniken:In der Mittelklasse die indirekte Methode des Liebesentzugs,welche aber nach Bronfenbrenners Interpretation umso effektiver das gewünschteZiel: Verinnerlichung der Werte und Selbstkontrolle, erreicht; in der Arbeiterklasseeher die Methode direkter Bestrafung.Kohn hat diesen Zusammenhang in seinen Arbeiten weiter untersucht und geze,igt,daß die Wertvorstellungen der Eltern bezüglich ihrer Erwartungen an I'hre<strong>Kinder</strong> von den Berufserfahrungen abhängig sind.36) Neben den objektiven Dif-35) Gemeint sind Stillen, Entwöhnen, Sauberkeitserziehung etc.Die anfäng,lich rigideren und strengeren MÜtter aus der Mittelklasse verändertenim Untersuchungszeitraum ihr Verhalten und wurden aMgemeinnachgiebiger. Bei Arbeitermüttern ist ein solcher .säkulärer Wandel· (Bronfenbreriner)nicht festzustellen.36) Nach Kohn drückt sich die Verschiedenartigkeit der Klassenlage in verschiedenenKonzepten sozialer Realität, verschiedenen Wünschen undHoffnungen atIs.• From people's conception of the desirable - and particularlyfrom tlleir conceptions of what characteristlcs are desirable inchildren, one oan discern thelr objectives. in child-rearing.Thus, conceptions of the desirable - that is values - become the keyconcept for this analysis, the bridge between position in the larger socialstructure and the behavior of the individual.' (26/471)ferenzen der KI,assenlage,deren Bedeutung er nicht weiter analysiert, nennt Kohndrei Unterschiede im Charakter der für die Mittelklasse und die Arbeiterklassetypischen Arbeit: Während die Arbeit der Mittelklasse mehr durch interpersonelleBeziehungen, Symbole urld Ideen gekennzeichnet sei, ist es die Arbeit derArbeiterklasse durch den Umgang mit Dingen; gegenüber größerer Selbstbestimmung(.self-


zeigen, daß sich In der MIttelklassenfamilIe die Rollen von Vater und Mutterbezüglich der KIndererziehung annähern" so daß der Vater weniger autoritär unddie Mutter als strafende Instanz wichtiger wird (vgl.: 7/323). In der Famile derArbeiterklasse Ist dagegen die Rollendifferenzierung stärker ausgeprägt: der VaterIst als bestrafende Instanz wichtiger als die Mutter; zugleich besteht jedochdie Tendenz, daß der jeweilige, Elternteil dem gleichgeschlechtlichen Kind gegenüberdie stärker dlszlpllnlerende Instanz darst&llt.H)McKlnley (38/-) hat diesen Zusammenhang genauer untersucht und für den VaterIn der Arbeiterfamilie zeigen können, daß sein strengeres Verhalten gegen­Ober dem Kind mit der objektiV' gerlng.eren Bedeutung, die er Im Beruf hat, gekoppeltIst. Insofern wird sein höheres Maß an autoritärem Verhalten gegenüberdem Kind damit erklärt, daß die Frustrationserfahrungen im Beruf ein stärkeresAggressionspotential bewirken, das sich Im Verhalten gegenüber den <strong>Kinder</strong>nmanifestiere. Die subjektiv als gering erfahrene Bedeutung der eigenen PersonIm Beruf wirkt sich Innerhalb der Familie objektiv In gleicher Welse aus, da derVater vor allem In den untersten Schichten der Arbeiterklasse die famIIlale Reproduktionsfunktionallein nicht erfüllen kann; Indem die Mutter In diesen Fällenselbst zur Arbeit gezwungen Ist, gewinnt Ihre Person Innerhalb der Familie anGewicht und parallel dazu - also allgemein mit sinkender Berufsposition desVaters - verliert er Innerhalb der Familie an Bedeutung.• The father's feelingof famillai and soclal Inadequacy, and the greater Ilkellhood of the wife's work­Ing all operate to reduce his Involvement in the family and his exerclse of authoritywlthout noticeable blocklng the opportunlties for aggression In the famlly.­(38/102) (Hervorhebung nicht Im OriginaL)Nach McKlnleys Analyse ergibt sich aus dem realen Bedeutungszuwachs derMutter In der ArbeiterfamilIe zugleich Ihre sinkende Bewertung des Vaters. DieseEntwicklung, die sich zunächst aus realen, materiellen Gründen ableitet, stärktdie Autonomie und' Autorität der Mutter gegenüber den <strong>Kinder</strong>n, vor allem demSohn. Für Ihn sei nun wegen seiner engeren affektiven Beziehung zur Mutterund weil er selbst die stärksten Aggressionen vom Vater erfährt, die Ablehnungdes Vaters besonders stark. Wie auch schon aus anderen Untersuchungen referiertwurde, bewirken die Erziehungstechniken einen geringen Grad an Verinnerlichungder Verha4enserwartungen; dieser Zusammenhang wird mit McKlnleysAnnahme für das Verhältnis zwischen Vater und Sohn Insoweit erklärt, als diereal ohnmächtige gesellschaftliche und famIIlale Stellung des Vaters seinem autoritär-aggressivenVerhalten gegenüber dem Sohn kelhe Verbindung mit positivenSanktionen ermöglicht: der Vater Ist kein Vorbild, bietet wenig Schutz gegenüberaußerfamilialen Zwängen und vermittelt kaum gesellschaftlich nützliche undfisches Erziehungsverhalten die Arbeiten von Bronfenbrenner (7/-), Neldhardt(46/-), McKinley (38/-). Zusammenfassend auch Mussen, Congerund Kagan (43/-).38) Bronfenbrenner (6/266) hat In seinen Oberlegungen, die sich freilich hauptsächlichauf obere und untere Mittelklasse beziehen, festgestellt, daß typischeMittelklassenwerte wie Verantwortungsbewußtsein und Führerfähigkeitdurch Eltern-Klnd-Beziehungen gefördert werden, In denen jeweils dergleichgeschlechtliche Elternteil die hauptsächlich bestrafende Instanz darstellt.brauchbare Fähigkeiten. Die väterliche Aggressivität steigert Im Sohn allenfallsdie physische Realangst, ohne jedoch psychische Abhängigkeit zu fördern. In diesemRahmen sind für den Sohn die väterlichen Bestrafungen irrelevant; ein Zusammenhang,den Bronfenbrenner für das Erziehungsverhalten in der Arbeiterklassedahingehend verallgemeinert hatte, daß .physical punlshment for aggressiontends to increase rather than decrease aggressive behavior." (5/419)Identifikation, Abhängigkeit, Agg~essionAus den bisher referierten Ergebnissen zum Verhalten der Eltern und der FamilIenstrukturläßt sich zunächst zusammenfassend folgendes Bild der <strong>Sozialisation</strong>des Arbeiterkindes ableitelI:Die Arbeitereltern orientieren ihre Erwartungen an der Einhaltung externer Regeln,die, wenn auch nach der Situation variabel, sich Insofern als rigide erweisen,als sie mit physischer Bestrafung und häufig ablehnend-negativer Einstellunggegenüber dem Kind verbunden sind, Die direkten Bestrafungsmethoden,wie Insgesamt der eher unmittelbare impulsiv-emotionale Charakter des elterlichenVerhaltens sind wenig geeignet, im Kind die Errichtung verinnerlichter Verhaltensorientierungenzu fördern. Die affektiv-emotionale Beziehung zum Kindwird eher als negativ bezeichnet, da ihr keine außerfamilialen GratifikationsmöglIchkeitenverfügbar sind. Dies gilt Insbesondere für den Vater, dessen mit sinkendemBerufsprestige wachsende autoritäre Aggressivität eher subjektiv kompensatorischeFunktionen erfOlit und der den- <strong>Kinder</strong>n wegen seiner realen familialenund gesellschaftlichen Schwäclle kaum als brauchbares Vorbild dienen kann.Entgegengesetzt dazu wird die Mutter für den Aufbau emotionaler Sicherheit~Ichtiger. Daraus läßt alch ein speZifisches Muster der 'Innerfamilialen IdentIfikationsprozesseableiten. Einige Ergebnisse sollen im folgenden kurz dargestelltwerden.MoKinley untersuchte auf der Grundlage seines Materials (Interviews, Jedoch keineErhebung über jüngere <strong>Kinder</strong>) die Frage der positiven Identifikation an Abhängigkeitvom Grad der emotionalen Bedeutung, Macht und Strenge der beldenEltern.3f) Für die Arbeiterfamilie erhielt er Ergebnisse, die sich bereits an derzuvor dargestellten famllialen Stellung des Vaters erkennen ließen:39) Bel McKlnley Ist der Begriff Identifikation nur sehr vage gefaßt und bleibtohne genauere theoretische Untermauerung. Dies verdeutlicht sich In elnl-4848


Während In der Mittelklasse der Vater gegenüber der Mutter sich eIs das wichtigereIdentifikationsobjekt - zumindest für den Sohn - erweist, lat In der Familieder Arbeiterklasse gerade bel strengen Erziehungetechniken des Vaters keineNeigung des Sohnes festzustellen, sich mit dem Vater zu Identifizieren; unabhängigvon der Klassenlage jedoch Ist bel einer effektiven emotionalen Beziehung(.emotlonal support· (38/159» des Vaters zum Sohn dessen Identifikation mitdem Vater höher als mit der Mutter. Da jedoch diese positiv-emotionale Veter­Sohn-Beziehung für die Arbeiterfamilie atypisch Ist, gilt hier die stärkere klentlflkatlondes Sohnes mit der Mutter. Eine KOl\Sequenz dieses klentifikationsmusterssieht McKlnley In einer stärkeren außerfamllialen Orientierung und Bindungdes Sohnes an gleichgeschlechtliche Sozlal- und Altersgruppen, da die intensive­'re Beziehung zur Mutter In der Odipalen und nachödipalen Phase die ohnehinbestehende väterliche Aggressivität weiter steigert und gleichzeitig in der Familiekeine angemessenen männlichen Vorbilder existieren.In den meisten Untersuchungen Ist das Identifikationsproblem zwar in den theoretischenGrundannahmen auf Begriffe der psychoanalytischen Theorie bezogen,In der quantitativen - und soweit überhaupt vorgenommenen - klassenspezifischenErfassung werden jedoch nur Indirekte Variablen benutzt.·O) Ahnlich, wieschon bel McKlnley erwähnt, wird also zur Individuellen Genese der IdentifikationIn Ihrer Abhängigkeit von der KIessenlage Insgesamt wenig gesagt.·1)Sears, Maccoby und Levln (62/-) haben In Ihrer Untersuchung Identifikationüber die Variable .Dependenz· zu erfassen versucht. Ausgehend von einerrollentheoretischen Definition des Identiflkationsbegriffs, wonach Identifikationals der Prozeß beschrieben wird, In dem das Kind In seinem Verhalten dieRolle einer anderen Person, speziell der Mutter, übernimmt (62/370), entwickelndie Autoren die Annahme, daß für Erfolg oder Mißerfolg dieser Rollenübernahmeder Grad der kindlichen Abhängigkeit von den Eltern, speziell derMutter, bestimmend sei. Abhängigkeit aelbst wird Inhaltlich begriffen als .thechild's need to assure himself of the conti nuance of the affectlon and nur1uranceto whlch he has become acoostomed In early Infancy.· (62/374) Aufgrund dieser40)41)gen widersprüchlichen Ergebnissen, qle er nur unter 4uhllfenahme weitergehendertheoretischer Ansätze erklären kann. Da es hier nicht so sehr umdie Frage der theoretischen Exaktheit geht, wurden McKlnleys Ergebnissedennoch berücksichtigt, da sie In der generellen Richtung die IdentifikationsmusterIn der ArbeiterfamIlie widerspiegeln.Vgl. Sears, Rau, Alpert (631-), für den theoretischen Ansatz besondersKapitel I, S. 1-26. Die Autoren bauen Ihre Untersuchung auf den psychoanalytischenBegriffen der anaklltlschen bzw. defensiven Identifikation auf.Ihre Arbeit enthält jedoch keine Aussagen zum spezifischen Identlflkatlonsproze6In der Arbeiterfamilie.Vgl. zusammenfassend die Obersicht der bis ca. 1962 vorliegenden Untersuchungenbel Mussen, Conger und Kagen (431266--280).Abhängigkeitsbeziehung läßt sich die Identifikation mittels des spezifischen Charaktersder Erziehungstechniken umschreiben: die für die Mittelklasse typischenpsychologischen Erziehungstechniken vor allem der Mutter beWirken ein hohesMaß an Dependenz, welches die Identifikation mit der Mutter, d. h. die Obernahmebestimmter Aspekte des mütterlichen Verhaltens, erleichtere; entgegengesetztsind die mehr direkt-physischen Erziehungsmethoden der Arbeitereltern der Errichtungpsychischer Abhängigkeit und damit verinnerlichter Kontrollinstal'!Zen desHandeins im Kind weniger zuträglich.Zu der Fpage, wie der Identifikat~onsprozeß des Sohnes verläuft, dllf" nach anfänglicherIdentifikation mit der Mutter eine gleichgeschlechtliche Beziehung zumVater oder anderen männlichen Personen aufnimmt, wird auf Anna Freuds Begriffder .Identifikation mit dem Aggressor· (vgl.: 16/-) 'rekurriert: die Spannungzwischen Angst vor dem und Haß gegen den Vater wegen der Beziehung desSohnes bzw. des Vaters zur Mutter löst der Sohn durch eine defensive Identifikationmit dem Aggressor. Aufgrund der dargestellten Zusammenhänge könnteman schließen, daß die Identifikation mit dem Aggressor für das Arbeiterkindtypisch ist, da es sich um ein eher aggressives Identifikationsmuster handelt,das gleichzeitig der Angstabwehr dient. Dieser Schluß wird aber In den vorliegendenUntersuchungen nicht explizit gezogen.·2}Die begriffliche Fassung \Ion .Dependenz· ist in den verschiedenen Untersuchungennicht einheitlich. Dies hat seinen Grund in der Entwicklung des Kindes selbst:nach einer in den ersten zwei Lebensjahren notwendigen Abhängigkeit von derBezugsperson erweist sich mit wachsendem Alter Dependenz nur in dem Maßals funktional für die infantile Entwicklung, als mit der Errichtung InternalisierterKontrollinstanzen, die inhaltlich die Abhängigkeit von den elterlichen Wertvorstellungenumreißen, zugleich im Rahmen dieser Abhängigkeit selbständiges Verhaltenmöglich wird.Mussen, Conger und Kagan weisen in ihrem Oberblick (43/289--293) darauf hin,daß die Entwicklung von Dependenz auch wesentlich vom elterlichen Vorbild abhängt;<strong>Kinder</strong>, deren Eltern abhängiges Verhalten"positiv sanktionieren, würdenselbst ein hohes Maß an Abhängigkeit reigen; wächst das Kind dagegen in einereher abweisenden Umgebung auf, sei der Grad an Dependenz gering. DieseAussege Ist aber von der Konsistenz der elterlichen Werte und Erziehungsmethodenabhängig: Ist das Verhalten der Eltern inkonsistent, so sei unabhängigvom Charakter dieses Verhaltens (permissiveness vs. restrlctiveness) eher einhoher Grad an Dependenz zu erwarten. (vgl.: 43/290)Diesen zuletzt dargestellten Ergebnissen liegen keine klassenspezifisch angelegtenUntersuchungen zugrunde, doch läßt sich aufgrund der Zuvor berichteten Zusammenhängezwischen Dependenz und Erziehungstechniken annehmen, daß das42) McKinley deutet seine begrenzten Ergebnisse sogar direkt gegen dieseThese und führt dazu die Bedeutung gleichgeschlechtlicher außerfamilialerA1ters- und SozIalgruppen für den Arbeiterjungen an. (vgl. 38/161, 158,93)5051


Arbeiterkind ein großes Maß an Unabhängigkeit besitzt, welches eher von externalisierterRegelsetzung eingeschränkt wird, während In der Mittelklasse eherdependentes, Jedoch Im Rahmen der verinnerlichten Kontrollinstanzen selbständigesVerhalten beim Kind überwiegt.Diese Zusammenhänge werden w~lterhln gestützt durch das In allen Untersuchungen- unabhängig von der zugrundelIegenden theoretlechen Definition undOperationallslerung des Begriffs der Aggression - nachgewiesene höhere Ausmaßdirekter Aggressivität beim proletarischen Kind.Nach den Ergebnissen von Sears u. 8. verhalten sich Arbeitereitern gegenüberkindlicher Aggressivität restriktiver und bestrafender als Eltern der Mittelklasse.Zugleich schränken diese Verhaltensweisen jedoch die Aggressivität des Kindesnicht ein, sondern fördern sie. Besonders die gegen die Eltern gerichtete Aggressivitätwird In der Arbeiterklasse bestraft, während Aggressivität gegen andere<strong>Kinder</strong> oder gegen Geschwister zwar weniger bestraft, jedoch auch nichtdirekt durch elterliche Ermutigung unterstützt wlrd.U)Miller und Swanson (41/-) gelangen In Ihrer Untersuchung zu ähnlichen Resultaten.Anhand verschiedener Erhebungsreihen zeigen sie, daß für Arbeiterkinderder direkte Ausdruck aggressiven Verhaltens gegenüber Indirekten Formen desMIttelklassenkindes typisch Ist. Während In einigen Testreihen die Beziehungzwischen Dlrekthelt der Aggressionsäußerung und Zugehörigkeit zur Arbeiterklassehauptsächlich über die Anwendung physischer Erziehungstechniken derEltern vermittelt Ist, zeigen andere Ergebnisse eine direkte Beziehung zwischenKlassenlage und Charakter der Aggressionsäußerung. So reagierten beispielsweiseArbeiterkinder gegenüber Tadeln und <strong>Zur</strong>echtweisungen des Lehrers mitdirekter Aggressivität und verbalisierten Ihren Widerstand, während <strong>Kinder</strong> derMittelklasse Indirekt und eher passiv reagierten. (vgl. 41/333 f.)43) Vgl. Sears u. a. (62/429, 254 f.). - Unter anderem berichten Sears u. a.,daß bei Müttern der Mittelklasse eine besonders hohe Nachgiebigkeit füraggressives Verhalten des Kindes gegen die Eltern festzustellen sei. (62/429) Dleses~ Ergebnis weist auf eine begriffliche Unklarheit hin, die füreinen großen Tell der Untersuchungen mehr oder weniger ausgeprägt gilt:wird Aggression begriffen als .the expression of rage· (62/218) - oderseinem Ärger Ausdruck verleihen (vgl.: 64/123), so muß hohe Permlsslvltätfür dieses Verhalten Im Rahmen der anderen Ergebnisse gesehen werden:Bel einem hohen Grad an kontroll Immanenter Dependenz, einem eheranaklitlschen als defensiven (aggressiven) Identifikationsmuster des MltteiklassenkIndes,bel der Existenz sozialer, außerfamlllaler Gratifjkatlonsmuster'und daran orientierter Lebensperspektiven führt die Duldung aggressivenV~rhaltens gegen die Eltern zugleich auch zur Einschränkung aufdas Im Rahmen jener internalisierten Kontrollen erlaubte Ausmaß. Insoferndürfte die Häufigkeit dieser Aggressivität absolut geringer sein alBIn proletarischen Familien und Ihr Charakter den elterlichen Wertvorstellungenentsprechen. In diesem Sinne Ist auch das Resultat von Sears U.8.zu verstehen, die von einem durchgehenden PermlsalvltätBfaktor (.a generaltralt of permissivenesB·) (62/255) Bprechen: Mütter, die In einemAspekt Ihres Verhaltens gegenüber dem Kind permissiv waren, neigtenauch In anderen Aspekten zu dieser Haltung. (62/255) Kohns Interpretation,wonach Eltern der Mittelklasse Ihr Kind beim Verlust der Selbstkontrollebestrafen (vgl.: 25/365). gilt Insofern generell auch für aggresBlveB Verhaltendes Kindes: aggressives Verhalten wird von permlsBlven Elterndann beBtraft, wenn sich darin der Verlust der Selbstkontrolle zeigt; IBtdies nicht der Fall, kann AggresBivltät geduldet werden und IBt Bogar ImRahmen der Kontrollinstanzen funktional.52Diese ZUBammenhänge erweisen deutlich, daß mit Skalen, die Inhaltlichdurch Normen und Werte der MlttelldaBse definiert Bind, daB gleiche Ver-Sprache, Lernen, LeistungsmotivitationNeben den bereits angeführten Aspekten der <strong>Sozialisation</strong> existiert zu den Bereichender Lernformen, des Spracherwerbs und--.clerLeistungsmotivation - allgemeinzum Bereich der kognitiven Entwicklung deB Individuums - eine umfangreicheForschungsliteratur.") Im folgenden Abschnitt werden abschließend einigehalten In der Arbeiterklasse nicht adäquat erfaßt werden kann. Denn hierhaben die aggressiven Verhaltensweisen nicht nur einen anderen Charakter,sondern auch eine andere Funktion. (vgl.: 53/38-41)44) Mussen, Conger und Kagan (44/-) beschreiben In Ihrem Sammelband denBereich der kognitiven Entwicklung des Individuums als .the growth andchange In such phenomena aB thlnklng, percelvlng, Imaginlng, problemsolvlng,and concepl formation". (44/263)Im einzelnen nennen Ble fünf Aspekte, u. a.: Differenzierung In der Wahrnehmungvon äußeren Stimuli; Entwicklung eines Vokabulars zur Einstufungvon externen Ereignissen und Innerem Fühlen; Erwerb der Regelnund Logik äußerer Ereignisse und die Anwendung dieser Regeln auf Problemsltuatlonen;Differenzierung des Gedächtnisses; wachsende Flihigkeitkommunikativ-verbaler Verllußerung von Gedanken. (vgl.: 44/263.) DemgegenüberBollen hier die Ergebnisse eher für das Vorschul- und beginnendeSchulalter des Kindes referiert werden.53


Resultate dargestellt, an denen sich die klassenspezifIsche Ausprägung der kognitivenEntwicklung ablesen läßtDie Bedeutung des Spracherwerbs fOr die lernfähigkeit des Individuums läßtsich auf der Grundlage der eingehenden Untersuchungen Bernsteins klassenspezlflschdarstellen. Bernstein differenzierte In seinen Untersuchungen zwischender formalen, kulturbedingten Sprache und Ihrer aktuellen Ausprägung als klassenspezlflscheSprechweise.,Die soziale Struktur der Mlttel- und der ArbeIterklasse Ist 80 beschaffen, daßdie Betonung auf verschiedenartige Mltgflchkeiten der Sprache gelegt wird, sodaßsich daraus zwei verschiedene Typen des Sprachgebrauchs ergeben, welchedie Sprechenden auf verschiedene Arten von Beziehungen zu Objekten und Personenverweisen, und zwar unabhll.nglg vom Niveau der gemessenen Intelligenz.Die Rolle der Intelligenz besteht darin, daß sie dem Sprechenden erlaubt, jeneMöglichkeiten erfolgreicher auszubeuten, die durch die gesellschaftlich festgelegtenFormen des Sprachgebrauchs symbolisiert werden.' (4/64---65)Belden Formen des Sprachgebrauchs liegen also spezifische Sozialbeziehungenzugrunde; das heißt, sie sln"d nicht Individuell bestimmt, sondern durch die Zugehörigkeitder Individuen Ztlr klassenspezifIschen Subkultur - allgemein durchIhre Klassenlage.FOr die frOhkindliche Entwicklung des Spracherwerbs Ist besonders der klassenspezlflscheCharakter des affektiven Kontakts zwischen Mutter und Kind bedeutsam.Im vorangehenden Abschnitt wurden bereits die Differenzen zwischen Arbeiterfamllleund MIttelklassenfamIlIe Im Hinblick auf die Erziehungstechniken und-haltungen während des Vorschulalters kurz beschrieben. Sie sollten hier nochmalsunter dem Aspekt der Kommunikationsstruktur dargestellt werden.In der Familie der Mittelklasse Ist der affektive Kontakt zwischen Mutter undKind bereits Im frOhesten lebensalter verbal vermittelt. Die emotionalen Äußerungender Mutter gegenOber dem Kind werden zugleich verbalisiert, so daß dasKind frOhzeItig, bevor es selbst aktiver sprachlicher Kommunikation fähig Ist,lernt, auf Differenzen Im sprachlichen Verhalten der Mutter zu reagieren. Da dasKind auf den Intensiven Kontakt mit der Mutter angewiesen Ist, sInd derart verbalisierteUnterschiede Im mOtterlichen Verhalten, welche speZifischen Gefühlslagenund Einstellungen, Belohnungen und Entzug, etc. anzeigen, besonders wichtig.Wegen der Bedeutung dieser mittelbaren Form der Beziehung zwischen Mutterund Kind' ,entsteht eine Spannung zwischen dem Kind und seiner Umwelt, dieIn Ihm den Wunsch weckt, seine Beziehungen In Indtvlduallslerter Form zu verbalisieren."(4/65)Da die Mutter In Ihrem Verflalten dem Kind sowohl die subjektive Beziehungeis auch die objektive äußere EreIgnisse betreffenden Bedeutungszusammenhängeverbal zu vermitteln sucht, erwirbt das Kind frühzeitig ein sprachliches Dlskrlmlnlerungsvermögenzwischen kognitiven und emotionalen Prozessen.In der ArbeiterfamIlIe Ist dagegen der affektive Kontakt zwischen Mutter und Kindunmittelbar. DIe Kommunikationsform Ist hier häufiger eine nlchtaprachllche, sym-54bolische, wodurch das Kind die Intendierten Kommunlkatlonsi'll'halte, dIe GefOhlslagenund Differenzen Im Verhalten der Mutter weniger über eInen aligemelngOItlgenSprachrahmen zu erfassen lernt, als vielmehr mittels eines differenzierendenSymbolmusters, das jedoch in seiner Gültigkeit beschrllnkt Ist. Dadurch lernt dasKind weniger, zwischen sich und seiner Umwelt zu unterscheiden, de die Erfassungdes Bedeutungszusammenhangs subjektiver und objektiver Erscheinungennicht über verbalisierte und damit Individuell umsetzbare kognitive Prozesse verläuft.Bernstein kennzeichnet diesen Kommunikationsverleuf als ,expressivenSymbolismus'. (4/66)Verallgemeinernd bezeichnet Bernstein den typischen Sprachgebrauch der Mittelklasseals ,differenziert' (,elaborated code'), den der Arbeiterklasse hingegenals ,restriktiv' (,restrlcted code') .• 5)Der differenzierte Sprachgebrauch der Mittelklasse zeichnet sich durch folgendeMerkmale aus:1. Komplexe grammatische Satzkonstruktionen mit hlluflgem Gebrauch verschIedenerKonjunktionen; häufiger Gebrauch von Präpositionen zur Kennzeichnunglogischer, räumlicher und zeitlicher Beziehungen; hlluflge Verwendung der unpersönlichenPronomina ,es' und ,man';,Der expressive Symbolismus, der durch diese sprachliche Form bedingt wird,verleiht dem Gesagten weniger logische Bedeutung als affektive Unterstützung.'2. ,Die Individuelle Qualifikation wird verbal durch die Struktur und die BeziehungenInnerhalb und zwischen den Sätzen vermittelt. Die subjektive Absicht wirdunter Umständen in Worten erläutert.3. Es handelt sich"um eine Form des Sprachgebrauchs, die auf die Möglichkeitenhinweist, die einer komplexen begrifflichen Hierarchie Inhärent sind und die dieOrganisation der Erfahrung erlauben." (4/66)Dagegen Ist der für die Arbeiterklas·se typische restriktive Sprachgebrauch vonfolgenden Merkmalen gekennzeichnet:,1. Kurze, grammatisch einfache, oft unfertige Slltze, von dOrftlger Syntax, diemeist In der Aktivform stehen.2. Verwendung einfacher und immer derselben Konjunktionen.3. Häufige Verwendung kurzer Befehle und Fragen.4. Seltener Gebrauch der unpersönlichen Pronomina ,es' und ,man'.5. Starre und begrenzte Verwendung von Adjektiven und Adverben.6. Die Feststellung einer Tatsache wird oftim Sinne einer BegrOndung und einerSchlußfolgerung verwendet, genausr gesagt, BegrOndung und Folgerung werdendurcheinandergeworfen, und am Ende entsteht eine kategorische Festatellung.7. Die individuelle Auswahl aus einer Reihe traditioneller Wendungen oderAphorismen spielt eine große Rolle.45) In der deutschen Obersetzung wurden die belden verschIedenen Formendes Sprachgebrauchs mit den Begriffen ,formal' (elaborated code) und,öffentlich' (restrlcted code) Obersetzt. Hier wird aber der Obersetzungvon Rolff gefolgt, der von differenziertem und restriktivem Sprachgebrsuchspricht.55


8. Feststellungen werden als Implizite Fragen formuliert, die dann eine Art KreIsgesprächauslösen, bel dem sich die Gesprächspartner ihrer gegenseitigen Sympathieversichern, das heißt, man redet in gegenseitiger Obereinstimmung imKreis herum.9. Der Symbolismus besitzt einen niedrigen Grad der Allgemeinheit.10. Die persönliche Qualifikation wird aus der Satzstruktur weggelassen oderIst nur Implizit vorhanden; folglich wird die subjektive Absicht nicht mit Wortenexplizit gemacht oder erläutert.· (4/67)Bernstein folgert aus seinen Untersuchungen. daß die Beherrschung des differenziertenSprachgebrauchs zugleich die Fähigkeit Impliziert, die restriktive Sprachezu verstehen und anzuwenden, während umgekehrt Personen, die nur den restriktivenSprachgebrauch erlernt haben. vom Verständnis und vor allem der Anwendungsmöglichkeitdet t'l'fferenzierten Sprache ausgeschlossen sein können.Da der Erwerb des spezifischen Sprachgebrauchs an die Klassenlage und nichtan Individuelle Fähigkeiten gebunden ist, hat dieser Schluß bedeutsame Konsequenzen:denn..cJasArbeiterkind. das im allgemeinen nur die restniktive Sprachebeherrscht, wird so von gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten ausgeschlossen.deren Realisierung die Beherrschung einer differenzierten Sprache voraussetzt.Bevor dies genauer belegt wird, sollen einige der wichtigsten Implikatlonender belden Formen des Sprachgebrauchs beschrieben werden.Die Beherrschung des differenzierten Sprachgebrauchs vermittelt dem Individuumdie Fähigkeit langfristiger verbaler Planung von potentiellen Handlungsabläufen.Der hohe Grad an Individueller Differenzierungsmöglichkeit und der begriffliche,Abstraktionen und Verallgemeinerungen ermöglichende Charakter des differenziertenSpracl:1gebrauchserlauben dem Individuum die Einordnung widersprüchlicherErfahrungen in abstrakt allgemeine Zusammenhänge. Die sprachlichen Mittelgestatten eine vielschichtige Verwendungsmöglichkeit sprachlichen Verhaltens undsetzen das Individuum so in die Lage. sich verschiedenen sozialen Situationenanpassen zu können. Diese Anpassungsmöglichkeit wird bedeutsam. wenn manberücksichtigt, daß die Beherrschung des differenzierten Sprachgebrauchs zumindestauch das Verständnis des restriktiven mit umfaßt.Diese Implikationen entsprechen generell der auf Individuellen Aufstieg und Lelstungskonkurrenzausgerichteten Lebensperspektive der Mittelklasse.Der für die Arbeiterklasse typische restriktive Sprachgebrauch Ist dagegen aufgrunddes hohen Anteils expressiver Symbole und seines deskriptiven Charaktersfür die Individuell differenzierende Erfassung verschiedener und widersprechendersozialer Situationen wenig geeignet. Der restriktive Sprachgebrauch entsprlcl'rteher kollektiven Sozialbeziehungen und -situationen. In denen das Individuumdurch seine Zugehörigkeit zum Kqllektlv dessen Normen übernimmt undIdentität gewinnt. Der Bestätigungseffekt Im restriktiven Sprachgebrauch (KreIsgespräch)leitet sich aus der sozialen Lage des Kollektivs ab. die mit der Gemeinsamkeitder sozialen Bedingungen. unter denen seine Mitglieder leben. aucheinen hohen Grad an Obereinstimmung in der Beurteilung der sozialen Realitätbewirkt. Aus dieser Obereinstimmung ergibt s.ich auch der solidarische Beziehungenbetonende Charakter des restriktiven Sprachgebrauchs. Er erfüllt vordergrOn-dig Schutzfunktionen, mittels derer sich das Kollektiv gegen die Umwelt absichert.Der typisch deskriptive Charakter dieser Sprachform und die Vermischungvon Folgerung und Begründung eignen sich wenig zur Analyse der Realität; denndie restriktive Sprache erlaubt kaum die differenzierte Erfassung widersprüchlicherErfahrungen und Aspekte der Realität in komplexen Zusammenhängen. Zugleichwird das Individuum durch die Obernahme kollektiver Identität und Normenin der Artikulation spezifischer individueller Bedürfnisse und Erfahrungenauf jene Normen und Standards eingeschränkt. Insofern reproduzieren sich Inder Sprachform die eingeschränkten Sozialbeziehungen des Proletariats und derCharakter seiner Lebens- und Arbeitsbedingungen.46)Für das proletarische Kind hat der Erwerb des restriktiven Sprachgebrauchs ­analog der vorangehenden allgemeinen Darstellung - Insbesondere Implikationenfür den Schulerfolg. In der Schule sieht sich das proletarische Kind einerRealität konfrontiert, zu deren Erfassung und Durchdringung gerade jene differenzierteSprache notwendig ist, welche Ihm im <strong>Sozialisation</strong>sprozeß nicht vermitteltwird. Der formale Charakter der Schulbildung, orientiert an der mittelbaren,abstrakt-symbolischen Erfassung allgemeiner Zusammenhänge, beraubtdas an die Form der restriktiven Sprache gebundene Lernpotential des proletarischenKindes seiner Realisierungschancen. Von Anfang an steht das Kind unterdem Zwang, die die gesamte Schulrealität durchzi,ehende differenzierte Sprachein die ihm geläufige Sprachform rückübersetzen zu müssen. Die Möglichkeit derRückübersetzung. d. h. langfristig das kumulative Lernen der differenzierten Sprache.wird nicht nur dadurch verhindert, daß die Schule derartige Lernprozessenicht unterstützt, sondern zugleich - und wichtiger - wegen ihrer sozialen Implikationen.Denn grundsätzlich besteht In der Schule für das proletarische Kindein Konflikt zwischen dem unmittelbar-expressiven Charakter seiner erlerntenSozialbeZIehungen, welcher sich In der restriktiven Sprache niederschlägt, undder mittelbaren Weise, In der es In der Schule wahrnehmen und lernen sowieauch reagieren muß.• Der Umstand, daß das Kind aus der Arbeiterklasse einemanderen Aspekt der Sprache Bedeutung beimißt als deltl, der vom Schulunterrichtverlangt wird, ist für den Widersliand verantwortlich, den es der Erweiterungdes Vokabulars, der Handhabung von Wörtern und der Konstruktion von geordnetenSätzen entgegensetzt. was schließlich zu elnlilr allgemeinen kognitiven Verarmungführt." (4/70) (im Or,iginal hervorgehoben.)Gleichzeitig ist dieser Widerstand jedoch für das Kind selbst .funktiona'·, daes sich in der Individualisierenden Schulsituation einzig vor Identitätsverlustschützen kann. indem 1's sich auf die seiner sozialen Lage entsprechenden Fähigkeiten,welche in der Schule als Unfähigkeiten erscheinen, zurückzieht. Bernsteinsieht diesen Zusammenhang insofern, als er darauf verweist. wie die Pro-46) Diese Beschreibung bezieht sich auf die Lage des Proletariats in Epochenruhender Klassenkämpfe. Sprache als Schutzformation gegen indivl-lualisierendeEinflüsse der sozialen Realität hat nicht nur regressiven Charakter.sondern zeigt auch unorganlsierte Formen von Resistenz gegen dieseEinflüsse an. Vgl. dazu ausführlich: Negt (45/-).5657


leme dee proletarischen Kindes In der Schule sich aus einer Situation ergeben,ln der es .Im Grunde um den Ver&uch geht, das fundamentale Perzeptionssystemdes Kindes, ja sogar die Mittel, durch die 8S sozialisiert worden Ist, zu verändern·.(4/70)Bernsteins Befunde, die er aus der klassenspezifischen Analyse des Sprachgebraucheerhielt, werden durch eine große Anzahl weiterer Untersuchungen 9'11­derer Aspekte bestätigt und ergänzt.Rlessman faßt In seiner Arbeit (53/-) den typischen Lernstil des ArbeiterkindesIn einer Reihe von Merkmalen zusammen, die Im fotgenden kurz referiert werdensollen.Das Arbeiterkind lernt eher Im Verlauf konkreter Aktivität als durch abstrakt-verbaleKommunikation. Aus diesem Grunde sind abstrake Lernprozesse langsamer,was sich jedoch erst In der Schulrealität, in welcher der Bezug zum realen Handelngenerell fehlt, als MIßerfolg (Im Lernen) auswirkt. Das Arbeiterkind .requiresmore examples before seelng a point, arriving at a conclusion or forminga concept. He Is unwilling t9 jump to concluslons or to generalize quickly ...He Is a slawer reader, slower problem solver, slower at getUng down to work,slawer In taklng tests·. (53/65) Ist jedoch ein RealitätsbeZtlg In den LernprozeßInvolvlert,'so entfallen die Schwierigkeiten, die das Kind In der Schule beim Lernenabstrakter Zusammenhänge hat. Das Arbeiterkind gelangt also eher durchInduktive Prozesse zu Verallgemeinerungen als durch deduktive. Rlessman hebtdie größere Bedeutung hervor, welche dem Inhalt eines Problems gegenuberseiner formalen Struktur fur die Lernfähigkeit des Arbeiterkindes zukommt. Dajedoch die Schule eher formale Qualifikationen fördert und honoriert, und dieLerninhalte ZtIgleich einer sozialen Realität entstammen, die dem Arbeiterkindfremd "lst47), kann sich das Lernpotential des Kindes nicht entfalten; die Lernschwierigkeitenverstärken die soziale Diskriminierung des Kindes, welche sichaus seiner Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse ergibt.Rlessmans Ergebnisse werden durch die Untersuchungen von Cohen (12/-) undMesslck (39/-) gestUtzt, deren Resultate zu zwei speZifischen Punkten hier nochangefOhrt werden soHen.Cohen unterscheidet zwischen analytischem, für die Mittelklasse typischem Stilder Kognition und dem In der Arbeiterklasse typischen relationalen kognitivenStil. Dies entspricht weitgehend der Unterscheidung Bernsteins zwischen differenziertemund restrlkllivem Sprachgebrauch.Nach Cohen Ist der für Arbeiterkinder typische relationale Stil kognitiver Erfassungder Realität durch ein hohes Ausmaß an .ego-Involvement· gekennzeichnet,was zur Folge hat, .daß des Lernen bel Unterschichtklndem als soziale Erfshrunggesehen wird, während MItteischichtkinder Lernen eher als .non-90cial· empfinden."(zlt. n.: 64/90.) Zusätzlich sehen Arbeiterkinder den Lehrer eher als Indlv~uman, während Mittelklassenkinder den Lehrer als InformationsqYelle be-47) Dieser Inhaltliche Zusammenhang wird sehr anschaulich In den Arbeitenvon Kohl beschrieben. (24/-)58greifen. (vgl.: 64/150.) Ähnlich zeigen die Ergebnisse von Messick (zit. n. 64/90)für Arbeiterkinder eine größere Feldabhängigkeit der Lernprozesse als für <strong>Kinder</strong>der Mittelklasse, welche eher feldunabhängig lernen. Feldabhä'ngigkelt beziehtsich auf den sozialen Kontext, Innerhalb dessen sich Lernprozesse und sozialeErfahrungen abspielen. Die höhere Feldabhängigkeit der Lern- und Waht-­nehmungsprozesse besagt, daß Arbeiterk.inder eher in sozialen Zusammenhängenlernen, womit in einem weiteren Punkt die in diesem Abschnitt dargestellten Ergebnisseunterstützt werden.Abschließend sollen einige Resultate aus Arbeiten referiert werden, die s'ich mitder Analyse der Leistungsmotivation befassen.cI)Allgemein läßt sich • Leistungsmotivation· als eine Verhaltensdispos.itlon beschreiben,welche den Handlungen des Individuums eine auf Leistung - das Erreichenvon Erfolg und Vermeiden von Mißerfolg - bezogene Interne Dynamikverleiht.•The behavior of people, hlghly moti'v'ated for achievement Is persistent str1vingactivity. aimed at attalnlng a high goal In some area Involvlng competltion wltha standard of excellence. In relation to these standards of excellence the achlevementorlented person directs his efforts towards obtainlng the pleasure ofsuccess and avoldlng the pain of failure.· (56/204 f.)48) In den vorangehenden Abschnitten wurden insbesondere solche Untersuchungsergebnissereferiert, die eindeutige und auch Inhaltliche Differenzendes klassenspezifischen <strong>Sozialisation</strong>sprozesses anzeigten. So waren beispielsweiseBernsteins Resultate zum klassen9peziflschen Sprachgebrauchdurch die inhaltliche Beschreibung zweier verschiedener Sprachformen bestimmt,und auch die In der Arbelter- und Mittelklasse typisch vorherrschendenErziehungstechniken der Eltern ließen sich noch weitgehend inihrer inhaltlichen Differenz beschreiben. Dies gilt jedoch kaum noch vonden Ergebnissen zur Leistungsmotivation. Hier wird mit einem einheitlichdefinierten Instrument das individuelle .Bedarfnls· nach Leistung gemessen,ohne daß dieses Instrument zur klassenspeZifischen Erfas&Ung derLeistungsdisposition klassenspezifisch definiert wurde; die Klassenzugehörigkeiterscheint vielmehr nur als Variable, deren Korrelation mit demGrad an Leistungsmotivation auf diese Weise von vornherein bestimmt ist.Kurz gesagt, können mit diesem Instrument nur Differenzen Innerhalb derMittelklasse selbst gemessen werden. Erscheinen unter diesen Umständendie Ergebnisse fragwürdig und sinnlos, welche zur Verteilung undZtIm Grad der Leistungsmotivation In der Amelterkla9Se gewonnen werden,so sollen hier dennoch und gerade aus diesem Grunde einige referiertwerden. Denn einesteils unterliegen auch die E'1lebnisse zu anderenAspekten 'der Sozialisatlo"n der hier geschilderten Tendenz, slnnvoMe Aussagennur für die Mittelklasse zu machen, also den spezifischen Sozialisatlonsprozeßim Proletariat nur durch seine Abweichung von Charakter undAusprägung der Mittelklassensozialisation bestimmen zu können, d. h., ihnim Grunde nicht zu erfassen; andererseits erscheint die Analyse derindividuellen Leistungsbereitschaft (das heißt auch der Bedingungen, siezu optimieren) das geheime Interesse auch der Unter&uchungen zu sein,die vordergründig andere Aspekte der Sozial-isatiOnzu erfassen ver&Uchen.59


Rolff hat In seiner Arbeit einige empirische Untersuchungen dargestellt, welchesich besonders auf den Zusammenhang zwischen Leistungsmotivation und elterlichemErziehungsverhalten beziehen. Aus diesen Untersuchungen ergibt sich ­zunllchst unabhllnglg von der Klassenzugehörigkeit - ein deutlicher Zusammenhangzwischen dem Grad der gemessenen LeiBtungsmotiv8tlon des Kindes unddem Erziehungsverhalten der Eltern: Eltern von hoch leistungsmotivierten <strong>Kinder</strong>nerwarten und verlangen von Ihrem Kind früher Selbständigkeit und Selbstkontrolleals Eltern von <strong>Kinder</strong>n mit niedriger Lelswngsmotivatlon. Zugleich &lnd jeneEltern weniger restriktiv gegenOber dem Kind und versuchen, Ihm Selbstvertrauenund Sicherheit zu vermitteln, Indem sie es zur Elgenstllndlgkelt anregen und Indiesem Sinne erfolgreiches Handeln des Kindes emotional belohnen.Die Eltern niedrig motivierter <strong>Kinder</strong> zeigten dagegen In all diesen Punkten eingeringeres und In einem spllteren Alter einsetzendes Anspruchs niveau. (vgl. 55/39,40). Rolff folgert aus den Untersuchungsergebnissen, daß die Entwicklung einerhohen leistungsmotivation des Kindes generell hohe Leistungserwartungender Eltern voraussetzt, welche mit wenig Restriktionen durchgesetzt werden. Umgekehrterweise sich ein niedriges und spllt einsetzendes Anspruchsniveau, gekoppeltmit Restriktionen und autoritärer Haltung des Vaters als wenig geeignet,beim Kind einen hohen Grad an Lelstungsmotlvablon zu erzielen. (vgl.: 55/42).Am Zusammenhang zwischen Erziehungshaltungen und Grad der Lelswngsmotlvation läßt sich bereits deutlich die klassenspezifische Verteilung ablesen: dieErziehungstechniken der Eltern hoch motivierter <strong>Kinder</strong> stimmen mit den zuvorals für die Mittelklasse typisch dargestellten weitgehend überein, was umgekehrtentsprechend für die Arbeiterklasse gilt.Von diesem Ergebnis ausgehend, untersucht Rosen den Zusammenhang zwischenKlassenlage, Leistungsmotivation und Wertorientierung. (56/-) &- zeigt, daß dieLeistungsmotivation allein sozialen Aufstieg bzw. Schulerfolg nicht erklllrt, dondernzuslltzlich .kulturelle· Faktoren insoweit entscheidend sind, als .they pro­"lIde adefinition of goals, focus the attention of the Individual on achlevement.and prepare him to translate motiv into action·. (56/206)Dieser Prozeß setzt jedoch sowohl die Analyse von sozialen Siluationen voraus,in denen eine bestimmte Leistung Oberhaupt erwartet wird, also funktional Ist,als auch die genaue Kenntnis der Ziele des eigenen (bzw. von anderen erwarteten)Verhaltens. Bevor also ein leistungsorientiertes Verhalten sich Oberhaupt Insozialem Erfolg ausdrücken kann, muß ein BedOrfnls bestehen, diesen Erfolg zuerreichen. Dieses Bedürfnis Ist nach Rosen durch die Individuellen bzw. klassenspezifischenWertorientierungen determiniert.Die Analyse dieser Wertorlentierungen4')49)60zeigt nun, daß Arbe1terklnder, welcheRosen versucht die Wertorlentlerungen mit Fragen auf drei verschiedenenEbenen zu erfasse~', Innerhslb deren sich die Antworten dichotomtischordnen lassen. Die speZifischen Fragen (Items) sind aus den folgendensllgemeinen abgeleitet: 1. Was sind die In der sozialen Klasse oder Subkulturallgemein akzeptierten Wege und Methoden, die· Probleme der Lebenspraxis(environment) zu lösen; 2. Wie Ist die spezIfische Zeilidimen-zugleich einen niedrigen Grad an LeistungsmotIvation aufweisen, eher passlvistisch,familistisch und gegenwartsorientiert sind, während Mittelklasaenklndereher aktivistisch, Individualistisch und zukunftsorientiert slnd5ll)Rosen belegt In seiner Untersuchung abschließend, daß für die Aufstlegsorlentlerung,d. h. den Schulerfolg, die klassenspezifischen Werthaltungen von größererBedeutung sind als der Grad der Leistungsmotivation.SO)sion charakterisiert: 3. Welcher Art sind die generellen Beziehungen derIndividuen zur eigenen Familie. Die Beantwortung der daraus konstruiertenItems ermöglicht eine dichotomische Einteilung In folgende Klassender Orientierung: 1. aktivistische vs. passivistische Orientierung; 2. Zukunfts-vs. Gegenwartaorlentlerung; 3. individualistische w. familistIscheOrientierung.Diese Merkmale beschreiben kein Verhalten, sondern beziehen sich sufspezifische Haltungen der Individuen gegenüber der sozialen Realität. Das.passivistlsch· orientierte Arbeiterkind wird also der sozialen Realität gegenüberdie Haltung einnehmen, daß diese Individuell nicht· zu verändernIst, sondern akzeptiert werden muß. Darin drückt sich jedoch prinzipiellauch ein von der Klassenlage geprllgtes Bewußtsein der mangelndenMöglichkeiten aus, gesellschaftliche Zusammenhllnge eil Incllvlduum erfolgreichlindern zu können; wie umgekehrt ein al\Llv-kollektives Bewußtseinvon dieser Kategorie gar nicht erfaßt werden kann.61


Vergleichende Diskussion historischerneuerer Untersuchungsergebnisse zurzialisation <strong>proletarischer</strong> <strong>Kinder</strong>undSo-Dies gilt jedoch nicht im gleichen Maße für die Erfassung des SoziaLIsationsprozessesin der Arbeiterklasse. Denn aus den historischen Arbeiten ließ sich klarerkennen, daß zwar ein wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung von den Erfahrungenin der Familie bestimmt wird, neben dieser aber die Obrigen Erfahrungsbereichevon ähnlicher Bedeutung sind. In den Ergebnissen der neueren Untersuchungenäußert sich dieser Zusammenhang Insofern, als mit der zentralen Fragenach Bedeutung und Auswirkung der elterlichen Erziehungstechniken die <strong>Sozialisation</strong>des proletarischen Kindes nur noch als (einzig) individueller Prozeß begriffenwerden kann. Inwlew&lt neben den individuellen <strong>Sozialisation</strong>smustern,die hauptsächlich In der Familie angelegt werden, sich gleichzeitig kollektive entwickeln,läßt sich jedoch aufgrund jener familienzentrierten Anlage In den Untersuchungennicht mehr direkt erfassen. Dennoch weisen einige Ergebnisse ­auf dem Hintergrund dieser Oberlegungen - auf Zusammenhänge hin, die In IhrerRichtung mit den historischen übereinstimmen.Obereinstimmung zwischen historischen und neuerenUntersuchungsergebnissenIn elAOl'Tlanderen ZusammenhangS') wurde bereits darauf hingewiesen, daß dieherangezogenen soziologischen Arbeiten sich hauptsllchlich auf die famIliale <strong>Sozialisation</strong>beziehen und daß sich mit dieser Beschrllnkung zugleich eine generelleMlttelklassenwertorlentierung In den Ansatz einschleicht. Unabhllnglg von denpolitischen Implikatlonen dieser Tatsache läßt sich der Bias hier inhalt/ich begrOnden:denn die Konzentration auf die familiale <strong>Sozialisation</strong> reflektiert die generellhöhere BedeuliUng, die ihr In der Mittelklasse gegenüber der Arbeiterklasse zukommt.In den Untersuchungen ließ sich für die Mittelklasse als zentrales Problemzeigen, wie von der spezifischen Form der famillalen <strong>Sozialisation</strong> derCharakter der Integration des sozialisierten Individuums in die Institutionen derMittelklasse und damit seine klassenmäßig erfolgreiche Lebenspraxis abhängt.Insofern ist auch die Konzentration der Methoden auf die Erfassung der Erziehungstechniken- unabhängig von immanenten methodologischen Probleman _dem Ziel der Untersuchungen angemessen.51) Vgl. unter .Methodl8che Probleme·An den historischen Arbeiten konnte gezeigt werden, wie sich in der proletarischenFamilie aufgrund der materiellen Zwänge der Klassenlage ein Muster direkterund unmittelbarer Beziehungen herausbildete, die fOr das Kind sowohlunmittelbar-emotional erfahrbar waren als auch zugleich durch diese Unmittelbarkeitkeine Distanzierungsmöglichkeit - als eine Entwicklungsbedingung kognitiverStrukturen und Prozesse - enthielten. Diese Lage der Familie bildete ebensodie Grundlage der allgegenwärtigen ökonomischen Abhängigkeit des Kindeswie seiner relativ frühen Unabhängigkeit von elterlicher Beaufsichtigung: nebender Famili.e sammelte das Kind einen großen Teil der fOr seine Persönlichkeitsentwicklungbedeutsamen Sozialerfahrungen In Straße, Betrieb, Schule und <strong>Kinder</strong>gruppen.Das elterliche Erziehungsverhalten selbst, bestimmt von der tagtäglichenSIchersteIlung der Reproduktion, vermittelte dem Kind keine längerfristigenLebensperspektiven, da es selbst direkter Ausdruck der Ausbeutungserfahrungenin der Lohnarbeit war.Waren In der historischen Situation die <strong>Sozialisation</strong>sfunktionen der Familie wegender materiellen ~ge noch weiter reduziert, als In den neueren Untersuchungenzum Ausdruck kommt, so läßt sich jedoch gegenwärtig für das Proletariatgl'Undslitzlich die gleiche Tendenz erkennen: das elterliche Verhalten Ist geprägtvon den Erfahrungen in der Lohnarbeit; Insofern sind die an externer Regeleinhaltungorientierten Verhaltenserwartungen gegenüber den K.indern direkter Ausdruckdieser Erfahrungen.Erziehungstechniken und Wertvorstellungen bewirken beim Arbeiterkind einengeringen Grad an elterlicher Abhängigkeit und verursachen gleichzeitig die direktenFormen der Aggressionsäußerung.In den Untersuchungen wird dieser Zusammenhang auf die Erzieflungstechnlkender Eltern zurückgefOhrt, die der Errichtung verinnerlichter Kontrollinstanzen desHandeins entgegenwirken. Diesa Interpretation entstammt den Ergebnissen derSozialisatIon des Mittelklassenkindes, wo .erfolgrelche· <strong>Sozialisation</strong> mit einemhohen Grad .an .self-control" des Kindes gleichbedeutend war. Dagegen muß -6263


auf dem Hintergrund der historischen Ergebnl98e •...••gesehen werden, daß s·lchIn Jenen drei Bel'9lcher' '="Iekthelt der Aggresslonslußerung, geringer Grad derDependenz lind ,OInlmele Selbstkontrolle die WIdersprüchlIchkelt des Sozlallsat1onsproz88sesIm Proletariat manifestiert. Sie erweist sich darin, daß dem KindVerhaltensmuster vermittelt werden, welche die Grundlage kollektiven Handeinsbilden, zugleich Jedoch In einer Individualistisch orientierten Umwelt keine sozialerfolgreichen RealislerungsmOglichkelten und -felder finden. Dies soll etwas genauerdargestellt werden.Der geringe Grad an vel"lnnerllchter Selbstkontrolle des ArbeIterkindes reduziertseine Individuellen SchuldgefOhle. Das Kind verhAlt sich unabhAnglger und Außertseine Emotionen direkter als Antwort auf Sozlal-Erfahrungen; da es EinschrAnkungen- Innerhalb der Familie - hauptsAchIIch bel der Verletzung bestimmterAußerer Regeln erfAhrt, reduziert sich durch die Bestrafung weder dasaggre88lve Potential, noch paßt sich das Kind vollkommen an die Erwartungenan. Die Erziehungstechniken der Eltern, Reflex der Erfahrungen der Produktionund des KlassenmilIeus, bewirken also weder eine passive Anpassung an dieZwAnge der Klassenlage, noch forcieren sie bewußt das WIderstandspotentialdes 'K.lndes; vielmehr blelbtdJeses - außerhalb des Rahmens der familienbezogenenRegeleinhaltung - davon relativ unberührt. Das hohe Maß an Unabhängigkeitund direkter Aggressivität, mit der das Arbe!terklnd einschrAnkende Sozlalerfahrul'lgenbeantwortet, bildet die theoretische und praktische Grundlagefür die Integration aes Indlvlduums in das Kollektiv.Denn dieser Integration stehen weder verJnnerlichte, auf dal IndIYlduum und aelnevereinzelte Lebenspraxis und KonkurrenzfAhigkeit bezogene Kontrollinstanzenentgegen - wie beispielsweise In der Mittelklasse die verinnerlichte .self-control·~ noch mangEtltes an aggressivem Potential und IndivIdueller, auf praktischesHandeln gerichteter Energie; vielmehr werden beide Im Kollektiv zum gemeinsamen,zielgerichteten Handeln gerichteter Energie Integriert: das aggrestl!ove Potential der Individuen bildet die kollektive solidarische Energie und das WIderstandepotentlal;der Mangel an Individuellen Kontrollinstenzen ermöglicht erst,sie durch die Instanz der kollaktlven Kontrolla zu ersetzen.Entgegen dieser theoretischen Möglichkeit bietet aber die gegenwArtige Lebensrealltliltdem proletarischen Kind diese Chance nicht. In der kapital.lstlschen Klassengesellschaftwird das Arbeiterkind Individualisiert; das geringe Maß anSelbstkontrolle, Grundlage möglichen kollektiven Verhaltens, erweist sich alsManko, wo die soziale Umwelt Gratifikationen und Erfolg nur als Produkt IndividuellerLeIstungskonkurrenz ~rmöglicht. Rühle hatte diesen Zusammenhang mitdem Begrlff,des Minderwertigkeitsgefühls beschrieben und gezeigt, wie die Klassenlagedes proletarischen Kindes dessen Entstehung begünstigt und zugleichIndlvldueH nur ohnmächtige LösungsmOglichkelten eröffnet.Ähnlich bildet das hohe AgQl"esslonspotentlal des Arbeiterkindes die Grundlageseiner Widerstandskraft; Jedoch In Ihrer Individuellen Form dient die direkte Aggressivität&.r Angstabwehr: als ohnmAchtlge und hilflose Reaktion auf dieZwänge der Klass.nlage, welche Individuell nicht ",u überwinden sind.Vor allem Rühle hatte diesen Zusammenhang zwischen ohnmächtigem • Protest·des Kindes und seinen Erfahrungen der Klassendiskriminierung (.MinderwertlgkeitsgefÜhl")betont.Die neueren Untersuchungen zeIgten, daß sIch an dIesem Zusammenhang zwischenAggression, Angst und Klassendiskriminierung auch unter veränderten gesellschaftlichenBedIngungen für das einzelne Arbeiterkind relativ wenIg geänderthat.51)Umgekehrt lIeß sich aus den historischen Arbeiten klar erkennen, wie dieseshöhere Maß an Aggressivität z·ur Grundlage organisierter <strong>Kinder</strong>kollektive wurde,d. h., der Zusammenhang zwischen Angst, Aggression und Diskriminierung ImKollektiv aktiv gebrochen werden kiann.Ein weiteres Problem soll hier kurz untersucht werden:die Rolle des Vaters Inder Familie der Arbeiterklasse. In den neueren Untersuchungen war unter demAspekt der Identifikation und der Familienstruktur gezeigt worden, daß in der Arbeiterfamiliedie Bedeutung des Vaters als I.dentifikationsobjekt der <strong>Kinder</strong> undauch als Instanz ·affektiver Sicherheit gegenüber der Mutter sinkt. McKinley hattedieses Ergebnis so interpretiert, daß mit sinkender Berufsposition - gemessenim Lohn, Im gesellschaftlichen Prestige und in der Befriedigung, die der Berufermöglicht - auch die objektive Bedeutung des Vaters für die Familie fällt; nichtnur, daß er selbst kaum die Reproduktionskosten der Familie aufbringen kann,die Mutter also mitarbeiten muß, sondern auch seine subjektiven Verhaltensmöglichkeitenin der Familie bewirken diese Veränderung; die Familie hat nur nocheine kompensative Funktion für die im und durch den Beruf erlittenen Frustrationenund gilt insofern als Bereich, In dem der Vater jene Frustrationen aggressivkompensiert.53) Diese letzte Kompensationsfunktion ist Sicherlich für die proletarischeFamilie von zunehmender Bedeutung; aber ebenso, wie sIe den Autoritätsverlustdes Vaters nur unzureichend erklärt, Ist sie selbst der Erklärung bedürftig.Neidhardt, der in diesem Zusammenhang von der .Sozlalisationsschwäche desUnterschichtvaters" (46/183) spricht, führt zusätzlich die geringen Kenntnisse undFähigkeiten des Vaters an, welche zusammen mit den anderen Faktoren .besondersden Unterschichtsöhnen ein frühes SozialIsationsdefizit eInbrIng(enJ.·(46/187) Jedoch auch diese erweiterte Erklärung hat nur deskriptiven Wert undbleibt wie die anderen Erklärungsansätze insofern der Mlttelklassen-Wertorlentierungverhaftet, als sie die der Klassenlage entstammenden Depravationen derArbeiterklasse nochmals als Unfähigkeit attestiert.Jedoch sind beispielsweise gerade Versuche wie die McKinleys und Kohns, spezifischeErscheinungsformen der <strong>Sozialisation</strong> in der Arbeiterfamilie auf den Cha-52) Miller und Swanson 5(.-hreibenbeispIelsweise, daß Arbeiterkinder .seemto have as many internalized prohibitions against direct aggression as thesons of white-collar workers, but social pressures prompt them to fight ...When they express aggression, they tend not to blame themselves or toreverse their Impulses," (41/396)53) Vgl. McKlnley (38/-), KapItel 6 und 7; bes. S. 97-102.8465


akter der Arbeit zurOckzufOhren,sehr ·aufschlußrelch.54) In diesen UnterSYchungen11mmtdie Analyse eine Richtung an, welche den In positivistischen Untersuchungengewöhnlichen Erklärungerahmen verläßt und eine elnaeutlge AbhängigkeitIndividueller Verhaltensweisen und Einstellungen vom Charakter der Arbeitnachweist. Aus dieser Erkenntnis ziehen die Autoren aber nur die alten SchlOsse;während McKlnley nur zu zeigen vermag, daß das hohe, aber tunktionslose Aggresslonspotentialdes Arbeltervatb(li selO8 Quelle in den Frustrationen am Arbeitsplatzhat, wies Kohn einzig die Ursachen der elterlichen ErziehungswerteIm Charakter der Arbeit nach.lI)Ober diesen Punkt gehen jedoch die Analysen nicht hinaus. Die Ursache Ist darinzu sehen, daß die weitergehende Analyse der gesellschaftlichen Arbeit eineim Rahmen der herrschenden gesellschaftlichen Interessen verbleibende Interpretationdes SozialIsationsprozesses ausschlösse; wird dagegen die Arbeit nurals Quelle Individueller Wertvorstellungen oder Frustrationen begriffen. so lassensich die .dysfunktlonalen· Momente des SozialIsationsprozesses In der Arbeiterklassenoch Im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als veränderbarinterpretieren.Vergleicht man die Ergebnisse und Erklärungen neuerer Untersuchungen zumFunktionsverlust des Vaters in der proletarischen Familie mit der historischenRealität. so fällt, ähnlich wie bereits bel den anderen Aspekten der Soziali&ation,auch hier eine generelle Obereinstimmung auf.Zugleich zeigt jedoch der genauere Vergleich eine Differenz: Bezog sich derFunktionsverlust der proletarischen Familie unter den historischen Bedingungenauf die Familie insgesamt, so berichten die neueren Untersuchungen im wesentlichenüber die sinkende Bedeutung des ~aters der ArbeiterfamilIe für die <strong>Sozialisation</strong>des proletarischen Kindes.54) Vgl. auch Rosens Hinweis, daß für die Entwicklung der Lelsliungsmotfvationein speZifischer gesellschaftlicher Rahmen notwendig Ist, eine soziale Realität,welche Leistung überhaupt sinnvoll erscheinen läßt. Für den ArbeiterIst dieser Rahmen weitgehend oorch kollektive Erfahrungsmuster definiert,das heißt aber auch, daß sein Leistungsmotiv eher kollektiV geprägtIst. (vgl.: Rosen 56/-).55) Dysfunktional Ist die väterliche Aggressivität Im Hinblick auf die kindliche<strong>Sozialisation</strong>, In der sie beispielsweise gerade nicht das geforderte Verhaltenbeim Kind unterstützt, Identifikationen ermöglicht etc.Der Zusammenhang zwischen Frustrationserfahrungen In der Produktion(d. h. Ausbeutung) und der aggressiven Kompensation In der Familie wirdvon McKlnley Insofem in der alten Weise interpretiert, als die zugrundeliegendeFrustrations-Aggressions-Hypothese auf den Abbau von Aggressionausgerichtet ist (beispielsweise durch Reduktion der Frustrationserfahrungen).D,lese Entwicklung, die nicht nur einen spezifischen Aspekt der <strong>Sozialisation</strong> betrifft,sondern Insgesamt Charakter und Struktur der Arbeiterfamilie, soll im abschließendenAbschnitt dieser Arbeit etwas eingehender dargestellt werden.Zuvor sollen noch einige Ergebnisse zur kognitiven Entwicklung des Arbeiterkindes- speziell zu den Lernb&dlngungen - diskutiert werden.<strong>Zur</strong> kognitiven Entwicklung des Arbeiterkindes ließen sich aus den neueren Arb$lteneindeutige Zusammenhänge entnehmen. Auf dem Hintergrund der <strong>Sozialisation</strong>In der ArbeiterfamilIe erwiesen sich die dem Kind vermittelten Fähigkeitenund Verhaltensdispositionen grilndsätzllch als funktional für die Lösung unmittelbarerPr9bleme des sozialen -Milieus. Die Obereinstimmung mit der historischenSituation zeigte aich dabei bislang am dautllchsten In der Aggressfvität des Arbalter1


klassenspezifischen Sprachgebr,auchs und seiner Konsequenzen deutlich zeJgte- werden I,nder Schule dem einzelnen KInd als Vereagen angelastet.s7)Neben diesen liußeren Gründen, die kein grundsätzliches Desinteresse an Lernprozessenanzeigen, haben die SchwierigkeIten des proletarIschen KIndes bzw.die Gebundenheit seiner Lernbereitschaft an sozi,ale Zusammenhänge, die denErfahrungen der eigenen Klasse entsprechen, zwei weitere Aspekte: einerseitssind sie Ausdruck des Widerstands gegen Identitätsverlust, welcher bel der Annahmevon bürgerlichen Wertvorstellungen oder auch i,n der IndivIdualisierendenSituation der Schule droht; andererseits bewirkt dieses Widerstands potential, dassich in vereinzelten Lebenssituationen nicht kollektIv entfalten kann, eInen tatsächlichenMangel an Fähigkeiten. Darin äußert sich ein regressives Moment,welches sich im Hinblick auf die Lernschwterigkeiten tatsächlich kumulativ auswirkt.Das heißt, Indem organisierte Lernzusammenhänge fehlen, dIe den SozIalerfahrungender Klassenlage entsprechen, reduzieren sich Insgesamt sozi,ale Lernprozesse,die den Erwerb- weitergehender Fähigkeiten ermöglichen könnten. Insofernerhalten die In der Schoulevermittelten Kenntnisse und FähigkeIten einenCharakter, der sie hauptsächlich für die Bourgeoisie verfügbar macht uOO sieauch in erster linie für die BourgeoIsie als sinnvol erscheinen läßt.In diese Zusammenhänge ordnet sich das Problem der LeIstungsmotivetIon entsprechendein. Rosen hatte gezeigt, daß sich der Begriff der Leistungsmotivationnur sinnvoll bestImmen läßt, wenn ein sozIaler Rahmen vorhanden Ist, In demLeistung honoriert !Jnd erwartet wird. Da dieser Rahmen in der SchulrealItät Inder Regel nur für bürgerliche Schüler gegeben ist, sind auch die Ergebnisse nurfür das Bürgertum brauchbar; umgekehrt läßt sich für die Schüler aus der Arbaiterklasseentsprechend den oben dargestellten Zusammenhängen eher ein kollektivistischorientIertes Leistungsmotiv erwarten, das damIt den wichtigen Erfahrungender Klassen/age entsprIcht.S1)57) Geschieht ales nicht direkt. so verarbeitet das Kind diesen Dlskrlmlnlerun~zusammenhangsubUler,Vgl. Riessman (53/16 ff.), Chap. 11I: .DIscrlmlnatlon wlthout Prejudlce·.Vgl. auch die Bedeutung der peer groups. Rolff referiert beispielsweiseaus "amerikanIschen Untersuchungen, daß die Mlttelklasse-Peer-Groupsdie schulischen und außerschulIschen Aktlvltllten monopolisieren und Ar­.beiterkinder - eInzeln oder ebenfalls In Peer Groups - bewußt ausschließen.(55/76 ff.)58) Vgl. da2lUAbschnitt • Sprache, Lernen, Leistungsmotlvetlon·, und die Arbeitenvon Rosen (56/-); (57/-).68Politiseh-OkonomischerErklärungsansatzDie allgemeine Obereinstimmung zwischen der historischen Entwicklungssituationdes Arbeiterkindes und der gegenwärtigen, welche In verschiedenen <strong>Sozialisation</strong>saspektengezeigt werden konnte, hatte keinen absoluten Charakter, sonderneinen relativen. Die Entwicklung des Kindes varIIerte mit der allgemeinen gesellschaftlichenEntwicklung; und im Verhältnis zu dieser erwiesen sich die Sozlalisationsprozessedes proletarischen Kindes innerhalb der verschiedenen historischenZustände als übereinstimmend.Dieser Zusammenhang, welcher In dieser Arbeit hervorgehoben wurde, kann vonden neueren Untersuchungen der Soziologie nicht wirklich erfaßt und erkanntwerden, weil sie einem formal historischen Ansatz folgen, der geschichtliche Entwicklungenauf einzelne Aspekte Isoliert und damit ihre allgemeinen gesellschaftlichenZusammenhänge verwischt.Dagegen beschreiben Begriffe wie: Elend, Depravation, Unterprivilegierung, Ausbeutung,Lernschwierigkeiten, etc. - also die Begriffe, welche die Ausprägungder <strong>Sozialisation</strong> des Arbeiterkindes kennzeIchnen, weniger absolute, IsolierteZustände als vielmehr soziale Verhältnisse: Das Arbeiterkind hat nicht an sichLernschwierigkeiten, sondern im Verhältnis zum bargerlichen Kind und Im Verhältniszur Schule; Depravstion ist sinnvoll nur 2lUbenutzen, wenn es ein Verhältniszu den Bedingungen von • Nicht-Depravation· beschreibt. So gesehen,verweisen all die Oberelnstimmungen, welche gezeigt werden konnten, auf dieNotwendigkeit, sie Im Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung zu bestimmen;und das heißt allgemein: Im Verhältnis zur Entfaltuog der Produktivkräfte und derEntwicklung


Dieser Zusammenhang wird aber erst deutlich bel der Frage nach dem Wert derArbeitskraft. Wie für Jede andere Ware, bestimmt sich der Wert der Arbeitskraftdurch die zu Ihrer Produktion notwendige Arbeitszeit; das heißt hier: .Der Wertder Arbeitskraft Ist der Wert der zur Erhaltung Ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.·(35/185).Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel (das,was mit dem Arbeitslohn gedeckt werden muß - J. R.) schließt also die Lebensmittelder Ersatzmänner ein, d. h. der <strong>Kinder</strong> der Arbeiter, so daß sich dieseRace eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.' (35/186)Der Arbeitslohn Ist also nicht nur zur Reproduktion der eigenen Arbeitskraft desArbeiters notwendig, sondern schließt daraber hinaus mit den ReproduktIonskostenseiner <strong>Kinder</strong> ebenso die Kosten lfirer Ausbildung ein - d. h. dIe Kostender Ausbildung Ihrer Arbeitskraft .• Um die allgemein menschliche Natur so zumodifizieren, dsß sie Geschick und Fertigkeit In einem bestimmten Arbeitszweigerlangt, entwickelte und speZifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmtenBildung oder Erziehung, welche Ihrerseits eine größere oder geringere Summevon Warenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakterder Arbeitskraft sind Ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten,verschwindend klein fOr die gewöhnliche Arbeitskraft, gehen also ein Inden Umkreis der zu Ihrer Produktion verausgabten Werte.' (35/186)Dieser Zusammenhang Ist hier besonders wichtig, weil damit gezeigt Ist. wie vonder Qualifikation der elterlichen Arbeit - also dem Grad der Kompliziertheit derArbeit, die sie verrichten - auch die Entwicklung des Kindes bestimmt wlro.Auf diesem Hintergrund läßt sich das Produkt des kindlichen SozialisatIonsprozesses:die Summe seiner erworbenen Fähigkeiten - vermittelt Ober den Charakterder elterlichen Arbeitskraft - mit dem potentiellen QualifIkationsgrad derArbeitskraft des Kindes gleichsetzen. Das heißt aber: an diesem speZifischenPunkt Ist eIn Zusammenhang zwischen <strong>Sozialisation</strong> und ökonomisch-materiellerRealität hergestellt, welcher die AbhAnglgkelt der <strong>Sozialisation</strong>sprozesse von ökonomischenZussmmenhAngen - auch Ober dIe unmittelbare Bedeutung der K1assenlagehinaus - eindeutig festlegt.Konkret: Ist die berufliche Position des Arbeiters niedrig (und In den neuerenempirischen Untersuchungen wurde gezeigt, daß nur ooter dieser Bedingung jenerBedeutungsverlust des A\:beltervaters elntrltt), d. h., leistet er wenig. qualifiZierteArbeit bzw. Ist sein Lohn niedrig. so sind auch die Kosten, die er zur Ausbildungder Arbeitskraft seiner <strong>Kinder</strong> aufbringen kann, gering; die ArbeiterfamilIe kannunter diesen Umständen Ihren <strong>Kinder</strong>n ebenfalls nur die A\lsblldung einfacherArbeitskraft ermöglichen. Dieser Zusammenhang gilt f\BturwOchslg sowohl fürdie historische Situation als auch für die gegenwärtige.Im historischen Teil dieser Arbeit konnte zusätzlich dargestellt weroen, wie dieseBedingung für die Ausbildung der kindlichen Arbeitskraft dem damaligen kapitalistischenEntwicklungsstand der Produktivkräfte entsprach, welcher noch weitgehendauf der Ausbeutung einfacher Arbeitskraft beruhte.") Insofern erwies sich59) Dennoch markierte wahrscheinlich Jene Epoche des Kapitalismus den Obergangzu einer Stufe, auf der mehr und mehr qualifiZierte (Marx: komplizler-70rIiin der damaligen Epoche die Autorität des proletarischen Vaters als grundsätzlichfunktional für die Reproduktion der seiner eigenen Arbeitskraft entsprechendenbel seinen <strong>Kinder</strong>n.Für die <strong>Sozialisation</strong> des proletarischen Kindes bedeutete diese Funktionalität.daß der Vater noch Haltungen, Kenntnisse und Fähigkeiten repräsentierte, welchefür das proletarische Leben notwendig waren; der autoritäre und brutale Charakterdes väterlichen Verhaltens schwächte dabei grundsätzlich diese Funktionen.welche sich aus dem Charakter der gesellschaftlichen Arbeit ergaben. nicht ab.Insofern läßt sich für die historische Lage der proletarischen Familie zu den imzweiten Teil referierten Ergebnissen hinzufügen, daß neben den für die <strong>Sozialisation</strong>des Kindes dysfunktIonalen Momenten Funktionen fortbestanden, die sichallerdings erst adäquat erfassen lassen auf dem Hintergrund ökonomischer Fragestellungen.Demgegenüber %eichnet sich die gegenwärtige Epoche des Kapitalismus durcheine enorme DifferenZierung und Technisierung der Industrie, ein ständiges Ansteigendes konstanten gegenüber dem variablen Kapital ElUS. Unter diesen Bedingungenkommt Intensiven Faktoren: Verbesserung der Qualifikationsstrukturder Arbeitskraft, Rationalisierung der Produktion etc. - In wachsendem MaßeBedeutung für die weitere Entwicklung und Existenz der kapitalistischen Produktionsweisezu. (vgl.: 20/-.)Gegenüber der historischen Lage reicht der naturwOchsige Reproduktlonsprozeßder Arbeitskraft nicht mehr aus; die kapitalistische Produktion erfordert zunehmendqualifizierte Arbeitskraft auch von den Teilen des Proletariats, welche bislangweitgehend einfache Arbeit verrichteten; In Jedem Falle gilt dies jedoch fürdie Ausbildung der Arbeitskraft der proletarischen Jugend.Unter anderem gewinnt dabei der Funktionsverlust dea Arbeitervaters erneut anBedeutung. Wird in den neueren Untersuchungen dieses Ergebnis betont, so läßtsich gegenüber den zuvor für die historische Lage gegebenen Erklärungen einweiterer Autoritätsverlust des Vaters ebenfalls aus dem Charakter der Arbeitskraftableiten. Der proletarische Vater - soweit er selbst wenig qualifizierte Arbeitverrichtet - verliert unter den gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsbedingungen,die zunehmend qualifizierte Arbeitskraft erfordern, auch ,die autoritär-aggressivenVorbildfunktionen für das Kind, welche er historisch - trotz derdargestellten .Zerstörung· der Familie - noch hatte. Allgemeiner laßt sich aagen,daß mit dem sinkenden Wert der Arbeitskraft auch die familiale Funktionder Verm'ittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zerfällt; d. h., der familial vermittelteAnteil des Vaters an der Ausbildung der Arbeitskraft des Kindes wirdaus der Familie verlagert. Beschreibt man diesen Funktionsverlust des Vaters alseinen weiteren Schritt im Prozeß der Zerstörung der proletarischen Familie, sowird erneut der relative und widersprüchliche Charakter dieser .Zerstörung·tel Arbeitskraft für seine weitere Existenz notwendig wurde. Dies zeigtesich Im fortschreitenden Prozeß der Vergesellschaftung der Erziehung, Indem, In der Folge der Fabrikgesetzgebung, auch die <strong>Kinder</strong> des Proletariatsdie grundlegendste Ausbildung in der Volksschule erhielten.71


deutlich. Gegenober der historischen Situation wird eine weitere <strong>Sozialisation</strong>sfunktionder proletarischen Familie entzogen. Aber dieser Prozeß zerstört dieFamilie nicht im Sinne von .Auflösung·, sondern .Zerstöl"Ung" bazl,eM sich vielmehrauf ehemals gesellschaftlich nützliche und notwendige Funktionen; dasheißt auch, daß er relativ zur gesellschaftlichen Entwicklung verläuft. In der proletarischenFamilie, in der der Vater einfache Arbeit verrichtet, kann heute dieGrundlage der zur Ausbildung qualifizierter Arbeitskraft notwendigen Fähigkeitennicht mehr vermittelt werden. Dennoch bleibt sie weiter als billigster Ort der Reproduktionder Arbeitskraft erhalten. Ist die Arbeit einfach, nicht kompliziert, LIndsil1kt ihr-Wert gegenüber der kapitalistischen Entwicklung der Produkti""kräfte, soläßt sich das Ei'gebnis beispielsweise von McKlnley, wonach die Familie für diesenArbeiter hauptsächlich kompensatlve Funktionen erfüllt, ebenfalls In diesemRahmen erklären: die Reproduktion der Arbeitskraft selbst nimmt, wenn ihr Wertsinkt, Innerfamilial den Charakter der Kompensation verschlissener Arbeitskraftan. Das heißt aber, daß der Zerstörungsprozeß der proletarischen Familie keinunabhängiger Porzeß Ist, sondern ebenfalls von der Entwicklung der Produktivkräftebestimmt wird. Zugleich enthält diese Entwicklung einen Widerspruch, dersich auf den Sozi,alisatlonsprozeß In der beschriebenen Weise dysfuoktlonal auswirkt:denn das proletarische Kind Ist aufgrund der familiaren <strong>Sozialisation</strong> ebensowenigfür schulisch vermittelte Grundlagen einer weitergehenden Qualifi,katlonseiner Arbeitskraft disponiert, wie umgekehrt die Familie selbst die Basis fürQualifikationsprozesse nicht mehr abgeben kann.Gleichzeitig mit diesem Widerspruch steigt jedoch im Kapitalismus der Zwang,die Arbeitskraft im kapitalistischen Sinne - also elnseltl'g begrenzt - zu qualifizieren.Im Vergleich zur historischen Situation, In der das Arbeiterkind bewußtund direkt von Bildung und Ausbildung ausgeschlossen war und die Vergesellschaftungder Erziehung sich als naturwüchsiges Produkt der kapitalistischen Produktionsweiseerwies, hat heute der Kapitalismus -,- verkörpert Im Staat - eindirektes Interesse an der kapitalistisch gelenkten •Vergesellschaftung" der Erziehung,um eine frühe Funktionalislerung der individuellen Fähigkeiten Im Hinblickauf die künftigen Erfordernisse der kapitalistischen Produktion zu erreichen.Die Analyse der einzelnen Aspekte der proletarischen <strong>Sozialisation</strong> zeigte jedoch,daß Im Kapitalismus eine del'1llrtige el·nseitlge Aufhebung von .Dysfunktionalitllten"selbst nur mit dem Entstehen neuer Widersprüchlich kelten einhergehenkann; umgekehrt hängt also der Charakter der Widersprüche und ihre Lösun~'ebenso davon ab, wie das Pl'Oletariat organisatorisch darauf antwortet.Literaturverzeichnis:1. Alt, Robert:<strong>Kinder</strong>ausbeutung und Fabrikschufen.Materialien zur Geschichte der Erziehung.Bart'in 19582. 8ahrdt, Hans"P.:Automation - Konsequenzen der verlindertenBerufsstruktur, In: Automation ­Risiko und Chance, Bd. I u. 11, Frankfurt!Main 19663. Bernfeld, Siegfrled:Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung,Frankfurt/Maln 19674. iBernsteln, B.:Sozio.ku,lturelle Determinanten des Lernens.Mit besonderer eerückslchtlgungder Rolle der Sprache, In: t;lelntz, P.(Hrsg.), Soziologie der Schule, Sonderheft4 der Kölner Zeitschrift für SozIologieund Sozialpsychologie, Köln undOpladen 19595. Bronfenbrenner, Urie:SoC'ialisation and <strong>Social</strong> Class throughTime and Space, in: Maccoby, E. E. ­Newcomb, T. M. - Hartley, E. L. (Hrsg.),Readings in 6.~ial Psychologie, NewYork 19586. Ders.:Some Familial AnteC'edents of Responsibilityand Leadership in Adolescents,in: Petrulio, L. - Bass, B. M. (Hrsg.),L.eadership and. Interpersonal Behav1or,New York 19617. Ders.:Wandel der amerikanischen <strong>Kinder</strong>erziehung,in: Friedeburg, L. v. (Hrsg.), JugendIn der modernen Gesellschaft, .Kölnund Berlin 1965, Seite 321 ff.7273


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