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Emil Bock und der Nationalsozialismus - Die Egoisten

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Regina Reinsperger: <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> , <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Christengemeinschaft von 1938 bis 1959, hat 1947 FriedrichBenesch <strong>und</strong> 1950 Werner Georg Haverbeck als Pfarrer in die Christengemeinschaftaufgenommen. Dass er Haverbecks (siehe Wikipedia-Artikel:“Werner Georg Haverbeck)nationalsozialistische Vergangenheit kannte, hat CG-Pfarrer Georg Blattmann überliefert(siehe egoisten-Artikel:“Beneschs Lebenslauf“). Hans-Werner Schroe<strong>der</strong> berichtet in seinerBenesch-Biographie auf Seite 119, dass <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> 1947 auf einer Jugendtagung in Stuttgartsinngemäß über das 3. Reich gesagt habe: „Der Enthusiasmus <strong>und</strong> die Begeisterung, diedamals in <strong>der</strong> deutschen Jugend waren, waren doch in Ordnung! <strong>Die</strong> Popanze jedoch, dieals die so genannten Führer diesen Idealismus auf sich zogen, die waren die eigentlicheKatastrophe!“ In diesem Zusammenhang fehlt jeglicher Hinweis auf die verbrecherischenInhalte im Denken <strong>der</strong> jugendlichen Idealisten: das nationalsozialistische völkischeBewusstsein einerseits <strong>und</strong> die mör<strong>der</strong>ische Rassenk<strong>und</strong>e an<strong>der</strong>erseits. <strong>Die</strong>Weltanschauung wird von <strong>Bock</strong> hier vollständig ausgeklammert <strong>und</strong> lediglich die „Popanze“werden als Katastrophe benannt. Schroe<strong>der</strong> schreibt auf Seite 120: „<strong>Bock</strong> ist über jedenVerdacht nationalsozialistischer Tendenzen erhaben.“ Sehen wir, so gut es eben geht nach,ob <strong>und</strong> wie wir diese Aussage verifizieren können.<strong>Die</strong> VerbotszeitRudolf Hess, <strong>der</strong> Stellvertreter des Führers (siehe Wikipedia), schützte Gruppierungen, diesich mit Astrologie, Spiritismus <strong>und</strong> Okkultismus, Pendeln <strong>und</strong> Magnetopathie, Wahrsagerei,Kartenlegen, Handlesen, Traumdeutung, Christian Science <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>beten befassten, <strong>und</strong>ebenso die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die anthroposophische Heilpädagogik,Kliniken <strong>und</strong> Sanatorien, <strong>und</strong> die Christengemeinschaft. Einige Waldorfschulen wurden als„Musterschulen“ genehmigt <strong>und</strong> konnten nach dem Verbot <strong>der</strong> AnthroposophischenGesellschaft von 1935 vorerst weiter arbeiten. Nach Hess` Flug nach England im Mai 1941verboten Himmler <strong>und</strong> Heydrich ( siehe die Wikipedia-Seiten: „Heinrich Himmler“ <strong>und</strong>Reinhard Heydrich“) alle diese Initiativen. <strong>Die</strong> Christengemeinschaft wurde alsSammelbecken von Anthroposophen angesehen <strong>und</strong> am 9. Juni 1941 verboten <strong>und</strong> vielePfarrer verhaftet. <strong>Die</strong> meisten Christengemeinschafts - Pfarrer wurden nach vier bis sechsWochen wie<strong>der</strong> freigelassen <strong>und</strong> zur Wehrmacht eingezogen o<strong>der</strong> dienstverpflichtet. Nicht so<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> als Leiter <strong>der</strong> Christengemeinschaft, Elisabeth Klein, als Vertreterin <strong>der</strong>Waldorfschulen <strong>und</strong> Erhard Bartsch als Leiter <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Demeter-Bewegung ,sie blieben in Haft. Erhard Bartsch wurde im Dezember 1941 entlassen.<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> war nach seiner Inhaftierung <strong>und</strong> Verhören in Stuttgart in das kleine, 1820erbaute Amtsgerichtsgefängnis Welzheim gebracht worden, das die Gestapo jetzt als KZführte (siehe bei Wikipedia: “KZ Welzheim“). Dort teilte er sich eine Zelle mit seinen Pfarrer -Kollegen Martin Borchart, Hans Fed<strong>der</strong>sen, Gottfried Husemann, Eberhard Klemp <strong>und</strong> HansKuhn. <strong>Die</strong> Gruppe musste nicht zur Arbeit ausrücken <strong>und</strong> niemand wurde geschlagen. Siewurden in Welzheim nicht mehr von <strong>der</strong> Gestapo verhört <strong>und</strong> bekamen regelmäßig zu essen,auch wenn Hans Fed<strong>der</strong>sen in seinen Erinnerungen das Essen als „unglaublichen Fraß“bezeichnete. <strong>Die</strong> Gruppe zelebrierte in ihrer Zelle regelmäßig leise die Weihehandlung <strong>und</strong>konnte ihrem Aufenthalt auch Komik abgewinnen: „Es wurde einmal so gelacht, dass dieWärter hereinstürzten <strong>und</strong> schrieen, dass es hier nichts zu lachen gäbe, womit sie auchwie<strong>der</strong> recht hatten.. -… Es war gar nicht an<strong>der</strong>s möglich, als die unsäglichen Leiden desLagers intensiv mitzuerleben; wussten wir doch nicht, was für uns selbst im nächsten


Augenblick eintreten konnte“ berichtet Hans Fed<strong>der</strong>sen. <strong>Die</strong> Ungewissheit über ihr Schicksallastete schwer auf ihnen. <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> wurde im September 1941 zu einem Verhör nach Berlin<strong>und</strong> anschließend wie<strong>der</strong> nach Welzheim zurück gebracht. Seine Kollegen waren daschon , nach sechs Wochen Haft, Anfang August 1941, entlassen worden.Wie <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> im Februar 1942 dann doch freikam, berichtet die Waldorflehrerin ElisabethKlein, geb. von Staudt, in ihrer Autobiographie „Begegnungen“ auf Seite 101folgen<strong>der</strong>maßen:„Am nächsten Morgen öffnete sich die Tür meiner Zelle. Herein trat <strong>der</strong> (Gestapo)KommissarFriedt <strong>und</strong> sagte: „Ich habe Sie eben unten beim Gefängnisarzt krank schreiben lassen. Siekönnen jetzt vier Wochen allein in ihrer Wohnung bleiben <strong>und</strong> stehen unter meinem Schutz.Sie haben mächtige Fre<strong>und</strong>e. Wir bekommen Sie hier nicht frei. Ich habe alles versucht.Versuchen Sie es jetzt selbst <strong>und</strong> rufen Sie täglich bei uns an.“ - Mein Vater hatte eineSchwester, Frau Professor Lohmann, die Frauenschaftsleiterin in München-Land war. IhrMann hatte das Lietzsche Lan<strong>der</strong>ziehungsheim in Schondorf am Ammersee begründet(siehe: http://www.landheim-schondorf.de ) Sie war mit Frau Scholz-Klink befre<strong>und</strong>et, <strong>der</strong>obersten Leiterin <strong>der</strong> Frauenschaft. Ich unterrichtete sie von meiner Lage. Sie besuchte michumgehend <strong>und</strong> wandte sich sofort an Frau Scholz-Klink. <strong>Die</strong>se bürgte für mich als Mutter vonvier Kin<strong>der</strong>n, <strong>der</strong>en Vater (Anm.: CG-Pfarrer Gerhard Klein) arbeitsverpflichtet war. Siebürgte ebenso für <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> als Witwer <strong>und</strong> Vater von vier Kin<strong>der</strong>n. Meine Verwandte hattemeine inständige Bitte, die Sache für uns beide vorzubringen, erfüllt. Frau Scholz-Klink hattegute Beziehungen zu Heydrich, dem Leiter <strong>der</strong> SS. Ein Kurier brachte das Schreiben nachPrag (Anm.: zu Heydrich) <strong>und</strong> seine Antwort an Frau Scholz-Klink. Für <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> <strong>und</strong> michwurde gleichzeitig Ende Februar 1942, also nach ungefähr neun Monaten, <strong>der</strong> Haftbefehlaufgehoben.“Auch Rudolf Hauschka, <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Firma Wala-Heilmittel in Eckwälden war in <strong>der</strong>Aktion vom 9. Juni 1941 verhaftet worden. Er berichtet über die Freilassung in seinerAutobiographie folgen<strong>der</strong>maßen:„Eines Morgens stand mein Hauptwachtmeister strahlend in <strong>der</strong> Tür <strong>und</strong> rief: „Herr Doktor,die St<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Freiheit hat geschlagen! Meine erste Frage galt Dr. Stavenhagen. Auch siewurde gleichzeitig entlassen. …..Dass alles so glimpflich ablief, verdankten wir unseremFre<strong>und</strong> Otto Ohlendorf. Wie ich später erfuhr, waren sogar Todesurteile in Aussichtgenommen, die die fünf Hauptverhafteten <strong>der</strong> Aktion vom 9. Juni 1941 betrafen. (Dr. Bartsch,Lic. <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>, Erbprinz Georg Moritz von Sachsen-Altenburg, Elisabeth Klein <strong>und</strong> ich). – Ineiner „Führerbesprechung“ soll sich Otto Ohlendorf zum Wort gemeldet haben <strong>und</strong> sogeschickt plädiert haben, dass an<strong>der</strong>s entschieden wurde – sehr zum Ärger von Himmler<strong>und</strong> Heydrich. <strong>Die</strong>se sollen geäußert haben: „<strong>Die</strong>sen Burschen (Otto Ohlendorf) müssen wirhärten!“ Sie setzten eine Strafversetzung in die Ukraine durch…..“Der Anthroposoph Uwe Werner berichtet über die Freilassung <strong>der</strong> Pfarrer Anfang August1941 in seinem Buch: „Anthroposophen in <strong>der</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ 1999. Über dieFreilassung <strong>Bock</strong>s teilt er jedoch nichts näheres mit, Elisabeth Kleins Version könnte aberaufgr<strong>und</strong> folgen<strong>der</strong> Intervention vorbereitet gewesen sein, die Uwe Werner berichtet: „Es istanzunehmen, dass die Korvettenkapitäne Hellmuth von Ruckteschell <strong>und</strong> Hans Erdmengerentscheidend dazu beitrugen, dass insbeson<strong>der</strong>e die Pfarrer <strong>der</strong> Christengemeinschaft voneiner längeren Inhaftierung verschont blieben.“ Im Juli <strong>und</strong> August 1941 hatte Erdmenger einGespräch über die Lage <strong>der</strong> Pfarrer <strong>der</strong> Christengemeinschaft mit dem Oberbefehlshaber<strong>der</strong> Kriegsmarine, Großadmiral Rae<strong>der</strong>, dieser gab ihm den Befehl, sich „mit dem Stab vonAdmiral Canaris (Abwehr) in Verbindung zu setzen, damit von dort die Haftbefreiungnunmehr unverzüglich verfügt würde.“ <strong>Die</strong>ser Befehl Rae<strong>der</strong>s fand im Amt Canaris Gehör.


Durch Rae<strong>der</strong>s Vermittlung konnte Erdmenger mit Rosenberg <strong>und</strong> Heydrich Kontaktaufnehmen. „Möglicherweise hatten Erdmengers Nachfragen <strong>und</strong> die durch ErdmengersIntentionen von <strong>der</strong> Abwehr , vielleicht durch die von Canaris selbst ausgehenden Schritte,den entscheidenden Einfluss darauf, dass Heydrich die Haft <strong>der</strong> Pfarrer <strong>und</strong> Lehrer nachsechs Wochen beendete.“<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> wurde nach seiner Haftentlassung auch dienstverpflichtet wie seine Kollegen: erarbeitete währen des Krieges ganztägig als kaufmännisch Angestellter bei <strong>der</strong> Firma Boschin Stuttgart. ( Brief an Paul Jagenberg vom 9. 2. 1942). Über seine Haftzeit schreibt er am18. 12. 1942 an Jagenberg: „…ich bitte Sie doch, die beigelegten Übersetzungen <strong>der</strong>Thessalonicher – Briefe (Anm.: Neues Testament) als kleine Weihnachtsgabeentgegenzunehmen…. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>lage dieser Neufassung stammt aus dem letzten Winter,als ich nicht zu Hause war.“ Und Barbara Nordmeyer berichtet in ihrem Buch „Zeitgewissen“über <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>s Haftzeit: „Sicher war es nicht in <strong>der</strong> Absicht <strong>der</strong> Gestapo gelegen, als sie Ihn1941/42 im Konzentrationslager inhaftierte , ihm dadurch die nötige Zeit zu schenken, nunzu einer gr<strong>und</strong>legend neuen Phase <strong>der</strong> Bibelübersetzung auszuholen.“<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> selbst schreibt im Juni 1946 im Vorwort zu seinem Buch „<strong>Die</strong> drei Jahre“ überdiese Zeit: „ Im Juni 1941 wurde unter gewalttätigem Zugriff die Christengemeinschaft inDeutschland verboten. Damals wurden mit unserer gesamten Literatur auch die bereitserschienenen Bände dieser Reihe, wo man ihrer nur habhaft werden konnte, weggenommen<strong>und</strong> samt allen Verlagsbeständen eingestampft. Unter den Büchern <strong>und</strong> Papieren, die manwagenladungsweise aus meiner Wohnung fortholte, war auch das Manuskript zu mehrerenKapiteln des nächsten Bandes, <strong>der</strong> Ende 1941 hätte erscheinen sollen. Nach meinerEntlassung aus dem Konzentrationslager gelang es mir – im Jahre 1943 – die verlorenenTeile neu zu schreiben <strong>und</strong> das Fehlende zu ergänzen. Allerdings musste ich dabei, da zudieser Arbeit neben <strong>der</strong> aufgenötigten fremden Berufstätigkeit nur wenig Zeit blieb, mehr alsich es sonst getan hätte, in <strong>der</strong> Formgebung auf eine Reihe von Vorträgen zurückgreifen, dieich im Winter 1939/40 gehalten hatte. – Auch in <strong>der</strong> jetzigen Fassung des Werkes wird <strong>der</strong>Leser ein gewisses Mitschwingen des Zeitschicksals bemerken. Wie auch in den früherenBänden…so ist auch in diesem Buch kein Wort geschrieben ohne das Bewusstsein, dadurchdem dämonischen Fieber <strong>und</strong> <strong>der</strong> satanischen Veräußerlichung <strong>der</strong> chaotisch gewordenen<strong>und</strong> sich in Todeszuckungen windenden Zivilisation die ordnenden <strong>und</strong> neubeseelendenIdeale <strong>und</strong> Impulse einer zeitgemäßen Christuserkenntnis entgegenzusetzen.“Quellen:<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>, „<strong>Die</strong> Drei Jahre“, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1971<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>, „Briefe“, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1968Hans Fed<strong>der</strong>sen, „Erlebnisse <strong>und</strong> Erinnerungen aus <strong>der</strong> Zeit des Verbotes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gestapohaft –Stuttgart-Welzheim Sommer 1941, Private Vervielfältigung ca.1971Rudolf Hauschka, „Wetterleuchten einer Zeitenwende“, Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 1966Elisabeth Klein, „Begegnungen – Mitteilenswertes aus meinem Leben“, Verlag die Kommenden,Freiburg i.Breisgau 1978Barbara Nordmeyer, „Zeitgewissen – Biographische Skizzen“, Verlag Urachhaus Stuttgart 1985Uwe Werner, „Anthroposophen in <strong>der</strong> Zeit des <strong>Nationalsozialismus</strong> (1933 -1945), Oldenbourg VerlagMünchen 1999


Internet:Wikipedia-Artikel über: Werner Georg Haverbeck, Friedrich Benesch, Rudolf Hess, ReinhardHeydrich, Heinrich Himmler, Gertrud Scholz-Klink, KZ Welzheim, Wilhelm CanarisForschungsstelle Kulturimpuls – Biographien Dokumentation: <strong>Bock</strong>, <strong>Emil</strong> – Hauschka, Rudolf –Hauschka-Stavenhagen, Margarete - Klein, Elisabeth <strong>und</strong> Klein, Gerhard http://biographien.kulturimpuls.org/<strong>Die</strong> Christengemeinschaft – Neue Folge Heft 2 – Juni 1946- <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> -Im Mai 1946 konnte auch die Zeitschrift „<strong>Die</strong> Christengemeinschaft“ wie<strong>der</strong> erscheinen.Damals mussten alle „Druckerzeugnisse“ von den Besatzungsbehörden genehmigt werden<strong>und</strong> auch die Papierzuteilung war einige Jahre rationiert, ehemalig verfolgte Personen o<strong>der</strong>Organisationen wurden bevorzugt behandelt. In den Heften <strong>der</strong> Christengemeinschaftwurden durchweg religiöse Themen aus CG Sicht behandelt, man versuchte, <strong>der</strong> geradezusammengebrochenen NS-Ideologie richtige Gedanken entgegenzusetzen, „im SpirituellenGegentatsachen zu schaffen“ ohne z.B. die politische Religion <strong>und</strong> Weltanschauung des<strong>Nationalsozialismus</strong> direkt aufzuarbeiten. Das wurde jedem selbst überlassen. Jedochfanden sich in den ersten Jahrgängen immer wie<strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Rubrik „Blicke in die Zeit“ auchVersuche, einige Themen <strong>der</strong> jüngsten politischen Vergangenheit aufzuarbeiten. Im Heft 2<strong>der</strong> neuen Folge vom Juni 1946 findet sich auf Seite 52 ff. mit dem Titel: „Zur Frage <strong>der</strong>deutschen Schuld“ ein allgemein religiös gehaltener Artikel von Pfarrer August Pauli über dieKriegsschuld von 1914! <strong>und</strong> ein Artikel von <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> „Schuldige Unschuld“. <strong>Die</strong>ser Artikelkann ein wenig Licht auf <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>s Verständnis des jüngst erlebten <strong>Nationalsozialismus</strong>werfen <strong>und</strong> da <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> als „Erzoberlenker“ in <strong>der</strong> Christengemeinschaft Meinungsbildnerwar, lohnt es, sich mit diesem Artikel zu beschäftigen.„Deutschlands schuldige Unschuld“Zu Beginn referiert <strong>Bock</strong> einen in <strong>der</strong> „Tribüne“ (Stuttgart, Mai 1946) unter o.a. Titelerschienenen Artikel von „William Harlan Hale, (dem) politischen Berater bei <strong>der</strong>Nachrichtenkontrollabteilung <strong>der</strong> amerikanischen Besatzungsarmee“. Schon das damalsallgemein gebrauchte <strong>und</strong> übliche Wort „Besatzungsarmee“ zeigt, dass die Mehrheit dieserGeneration nicht primär die Befreiung vom <strong>Nationalsozialismus</strong> durch die„Siegermächte“ (wie sich die Alliierten nannten) erlebte, wie die vielen Verfolgten, die um ihrLeben bangen mussten, son<strong>der</strong>n eine Besatzungsarmee in <strong>der</strong> deutschen Heimat. - <strong>Bock</strong>berichtet, es sei nicht zu verw<strong>und</strong>ern, dass Hale in den Kreisen <strong>der</strong> ehemaligen Wehrmacht,die nicht an<strong>der</strong>s als nationalistisch denken könnten, Einstellungen vorfinde, die er (Hale) fürBrutherde gewalttätiger Gegensätzlichkeiten halte <strong>und</strong> die Konflikte mit den US-Streitkräftenwahrscheinlich machten. Interessant findet <strong>Bock</strong> hingegen Hales Aussage, dass dieser auchmit den Antifaschisten nicht zufrieden sei. „Er findet unter ihnen so gut wie nirgends solche,die für sein (Hales) Ideal <strong>der</strong> Demokratie reif wären.“ <strong>Die</strong>se Aussage <strong>Bock</strong>s klingt, als ob dieDemokratie ein privates Hobby von Hale wäre <strong>und</strong> man fragt sich, inwieweit <strong>Bock</strong>, <strong>der</strong> jaauch beruflich in einer hierarchisch geglie<strong>der</strong>ten Gemeinschaft steht, Verständnis für dieDemokratie hat. <strong>Bock</strong> berichtet weiter, dass Hale vorwiegend in Nordafrika Männer über ihre


politische Einstellung befragt habe, die in Deutschland in einem KZ inhaftiert waren <strong>und</strong>anschließend einer in Afrika kämpfenden Strafeinheit zugewiesen worden waren. <strong>Die</strong>Kommunisten erschienen Hale zu herrschsüchtig, die Sozialdemokraten zu spießig, „eine Artaber, auf die er immer wie<strong>der</strong> stößt,“ schreibt <strong>Bock</strong>, „versetzt ihn geradezu in Unruhe: „Derauffallendste Typ, den ich immer wie<strong>der</strong> erlebte“, berichtet Hale, „war <strong>der</strong> des jugendlichenunpolitischen Idealisten. „Sie müssen den gründlichen Überdruss des Deutschen an <strong>der</strong>Politik begreifen lernen <strong>und</strong> nicht an die Logik <strong>und</strong> Vernunft, son<strong>der</strong>n an die deutsche Seeleappellieren – an das Verlangen des einfachen Mannes nach Frieden <strong>und</strong> Sicherheit.“, sagteeiner <strong>der</strong> Kriegsgefangenen .“ Hale , so berichtet <strong>Bock</strong>, kann diese „Unschuldigen“ nichtfreisprechen von <strong>der</strong> Mitschuld an den Untaten des Nazismus, Hale schreibt:“ In all diesemlag eine geistige Verschwommenheit <strong>und</strong> Verträumtheit, die in seltsamem Gegensatz standzu dem gradlinigen Handeln, dessen die Männer sich fähig gezeigt hatten. Obgleich sieRebellen waren, glaubten sie doch noch an die alte Mär von <strong>der</strong> geheimnisvollen „deutschenSeele“ o<strong>der</strong> „Seelenfülle“, die sich <strong>der</strong> Zerglie<strong>der</strong>ung durch den Verstand entzieht. Siesprachen von Antinazismus, doch es klang wagnerisch….<strong>Die</strong>s politische Zau<strong>der</strong>n, dieseFlucht in die Innerlichkeit…machen uns zu schaffen, sobald wir versuchen, Männer zufinden, die Deutschland gänzlich neue Richtlinien geben könnten.“ Soweit die Worte Haleswie sie <strong>Bock</strong> zitiert. <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> knüpft jetzt an den „unpolitischen Idealisten“ an <strong>und</strong> schreibt:„Und doch wäre es für die Zukunft <strong>der</strong> Menschheit – nicht nur <strong>der</strong> Deutschen – von größterWichtigkeit, wenn berücksichtigt würde, welche positiven inneren Erfahrungen sich in jenenVerschwommenheiten <strong>und</strong> Verträumtheiten unbeholfen andeuten, auf dem Wege wohin <strong>und</strong>auf welcher Spur sich jene Träumer befinden. Sie sind nicht enge Deutschtums-<strong>Egoisten</strong>,wenn sie von <strong>der</strong> „deutschen Seele“ sprechen. Ihr gr<strong>und</strong>sätzlicher Überdruss an <strong>der</strong> Politikrührt von einer Erfahrung her, die sie nicht als Deutsche, son<strong>der</strong>n als Menschen, durch ihrDeutschtum jedoch mit beson<strong>der</strong>er Intensität <strong>und</strong> Unentrinnbarkeit gemacht haben. Siehaben jede Art von Politik satt, die in bewussten o<strong>der</strong> naiven Anspruch auf die Lebenstotalitätdie inneren Werte <strong>der</strong> Seele, das individuelle geistige Leben des Menschen für ihre Zweckeeinspannt. In ihnen regt <strong>der</strong> Adler eines freien Geisteslebens seine Schwingen, <strong>der</strong> langegenug durch die Zwangsläufigkeiten des Staatsinteresses <strong>und</strong> die Nützlichkeitsdespotie <strong>der</strong>Wirtschaft in einen Käfig gesperrt war.“ Wie man unschwer erkennen kann, baut <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>seinen Text auch wie einen Propaganda-Text auf: die idealistischen Träumer sind für ihnkeine Deutschtums-<strong>Egoisten</strong>, gerade so, als hätte es die vergangenen 12 Jahre <strong>der</strong>allgegenwärtigen, nationalsozialistischen Propaganda nicht gegeben, in <strong>der</strong> ständig von <strong>der</strong>„Rassenseele des deutschen Volkes“ , vom „Selbst, <strong>der</strong> Identität <strong>und</strong> Substanz desdeutschen Volkes“, vom „Arier als höchstem Ebenbild des Herrn“ <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichenpseudoreligiösen Begriffen die Rede war. <strong>Bock</strong> meint, dass die Menschen nicht nur einfachnach den Erfahrungen in <strong>der</strong> NS-Diktatur von <strong>der</strong> Politik nichts mehr wissen wollen, son<strong>der</strong>n„träumerisch“ ein freies Geistesleben ersehnen <strong>und</strong> gleichzeitig „verschwommen tastendunterwegs sind“ zur „Dreiglie<strong>der</strong>ung des sozialen Organismus“. Er deutet also die Realitätgemäß seiner eigenen anthroposophischen Weltanschauung um <strong>und</strong> meint zu wissen: „ Aberauch die an<strong>der</strong>en, humaneren Staatsformen, die es heute gibt, sind einengende, absterbenlassende Kräfte für den Adler des Menschengeistes. Dass das Geistesleben auch durchDemokratisierung leidet <strong>und</strong> verkümmert, ist eine Einsicht, zu <strong>der</strong> vielleicht in Deutschlanddie wirklich zukunftswilligen Menschen leichter gelangen als an<strong>der</strong>swo, weil hier wenigstensvon <strong>der</strong> Vergangenheit her <strong>der</strong> Sinn für ein reiches lebendiges Leben des Geistes vorhandenist.“ Wenn er jedoch die drei Sphären <strong>der</strong> Dreiglie<strong>der</strong>ung betrachtet, die jeweils ihreneigenen Gesetzmäßigkeiten folgen, aber im sozialen Leben wie<strong>der</strong> ineinan<strong>der</strong> greifen, wie erausführt, so sieht er im „Staatsleben das eigentliche politische Gebiet, das in <strong>der</strong> Tat nichtan<strong>der</strong>s als nach demokratischen Prinzipien, d.h. nach dem Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> Gerechtigkeit(„Gleichheit“) geregelt werden kann.“


Nach <strong>Bock</strong> verkümmert also das freie Geistesleben durch Demokratisierung, er kann sichalso z.B. keine Gesprächs- o<strong>der</strong> Diskussionskultur außerhalb einer Hierarchie vorstellen <strong>und</strong>in schöner deutscher Überheblichkeit sagt er, dass die „wirklich zukunftswilligen Menschen“diese seine antidemokratische Einsicht teilen, „weil hier wenigstens von <strong>der</strong> Vergangenheither <strong>der</strong> Sinn für ein reiches lebendiges Leben des Geistes vorhanden ist.“ Wie „tief“ das„reiche, lebendige Geistesleben“ in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts inDeutschland verankert war, hat ja gerade die nationalsozialistische Zeit gezeigt. <strong>Bock</strong> sprichtgerade so, als ob es in den an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n keine ebenbürtige Kultur <strong>und</strong>kein lebendiges Geistesleben gegeben hätte <strong>und</strong> auch in den USA keinerlei Kultur zu Hausewäre. Damit bewegt er sich inhaltlich, ohne es zu merken, auf dem Boden wenn nicht des<strong>Nationalsozialismus</strong>, so doch des Nationalchauvinismus. <strong>Die</strong> Staatsform „Demokratie“kann <strong>Bock</strong> lediglich mit <strong>der</strong> anthroposophischen Vorgabe „Gleichheit <strong>der</strong> Bürger vor demGesetz“ verbinden, das allein macht aber noch keine Demokratie aus. <strong>Die</strong> „Dreiglie<strong>der</strong>ung“<strong>der</strong> Staatsform „Demokratie“ in ihre drei unverzichtbaren Säulen, <strong>der</strong> Gewaltenteilung in dieLegislative (unabhängige, nicht weisungsgeb<strong>und</strong>ene Abgeordnete in einem frei <strong>und</strong> geheimgewählten Parlament), in die Jurisdiktion (unabhängige Rechtssprechung durch nichtweisungsgeb<strong>und</strong>ene, unabhängige Richter) <strong>und</strong> die Exekutive (Verwaltung, die an dieGesetze <strong>der</strong> Legislative geb<strong>und</strong>en ist, diese umsetzt <strong>und</strong> durch eine unabhängigeGerichtsbarkeit kontrolliert wird), sieht <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> nicht, auch nicht, dass die For<strong>der</strong>ung nachDemokratie <strong>und</strong> Gewaltenteilung auch in Deutschland nicht neu ist <strong>und</strong> „zum reichenlebendigem Leben des Geistes“ <strong>der</strong> Deutschen gehört: schon die Freiheitskämpfer von 1848stellten diese For<strong>der</strong>ungen vergeblich. Sie wurden dafür in ganz Europa verfolgt <strong>und</strong>wan<strong>der</strong>ten daher in die USA aus, wo sie <strong>der</strong> dortigen Demokratie neue Impulse gaben <strong>und</strong>diese weiter strukturierten. Ihre Nachfahren brachten dann 1945 die Demokratie alsStaatsform wie<strong>der</strong> nach Deutschland zurück <strong>und</strong> bauten sie gemeinsam mit dendemokratischen Politikern <strong>der</strong> 20er Jahre (Konrad Adenauer, Theodor Heuss, KurtSchumacher u.a.) in Westdeutschland wie<strong>der</strong> auf. <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> sieht diese historischenZusammenhänge nicht, <strong>und</strong> erkennt nur „einengende, absterbende Kräfte“ auch in„humaneren Staatsformen“ <strong>und</strong> kann sich nicht vorstellen, dass neben dem Wirtschaftslebenauch ein freies Geistesleben eine Demokratie mitbestimmen kann wie z.B. in ethischenDiskussionen, die dann die Gesetzgebung beeinflussen (Themenbeispiele: Abtreibung,Euthanasie, Stammzellenforschung u.a.m.) <strong>Die</strong> heute oft angegriffene Bildungshoheit <strong>der</strong>B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> sollte von <strong>der</strong> Intention her ein möglichst vielfältiges Bildungswesengarantieren <strong>und</strong> so von staatlicher Seite Gr<strong>und</strong>lage für ein „freies Geistesleben“ sein. (P.S.selbstverständlich lässt sich auch heute noch jede „real existierende“ Demokratie, auch zumBeispiel im Sinne <strong>der</strong> o.a. „Dreiglie<strong>der</strong>ung“, verbessern). - Über die „Schuld“ <strong>der</strong>„unpolitischen Idealisten“ schweigt <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>, seinen Schuldbegriff entwickelt er dann imnächsten Absatz:„Organisierte Schuld“So ist die zweite Hälfte von <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>s Aufsatz im Heft „<strong>Die</strong> Christengemeinschaft vom Juni1946 betitelt. Zuerst befasst er sich mit <strong>der</strong> Kriegsschuld von 1914 <strong>und</strong> sieht als Ursache„eine Bewusstseinslücke“ bei allen verantwortlichen europäischen Staatsmännern (darinSteiner folgend). Über das 3. Reich <strong>und</strong> den 2. Weltkrieg sagt er einleitend: „Indem ingrandios satanischer Weise die Konsequenzen aus <strong>der</strong> technischen Denkungsart gezogenwurden, kam ein ungeheuerliches Abgleiten des Menschheitsbewusstseins zustande. <strong>Die</strong>materialistische Weltanschauung verdichtete sich zu einer Fata Morgana, die ihreverführerische Suggestion so wirksam ausübte, dass nur diese o<strong>der</strong> jene Begleiterscheinungam Rande, nicht aber das Phänomen selbst durchschaut <strong>und</strong> abgewehrt wurde.“ Hier zieht<strong>Bock</strong> einen offensichtliche falschen Schluss, <strong>der</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> kämpfte ja geradegegen die materialistische Weltanschauung <strong>und</strong> den kalten, technische Intellekt, <strong>und</strong> sah die


Menschen in den USA als Prototypen <strong>der</strong> materialistischen <strong>und</strong> technischenNützlichkeitsdenker an. In den USA gab es aber dieses „ungeheuerliche Abgleiten desMenschheitsbewusstseins“ nicht, dort verfügten die Menschen, wie <strong>Bock</strong> schreibt, noch übergenügend „Reste traditioneller Moral“. Im Land <strong>der</strong> „deutschen Seele“ <strong>und</strong> ihren vielenverträumten „unpolitischen Idealisten“ , fehlte offensichtlich diese Moral <strong>und</strong> vor allem <strong>der</strong>„öffentliche Gebrauch <strong>der</strong> Vernunft“ , den schon Kant for<strong>der</strong>te, sodass es hier zum„organisierten Verwaltungsmassenmassenmord“ kam.<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> bespricht dann einen Aufsatz von Hannah Arendt mit dem Thema „OrganisierteSchuld“, den diese bereits 1944 verfasst hatte <strong>und</strong> <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Heidelberger Zeitschrift „<strong>Die</strong>Wandlung“ 1946 abgedruckt wurde. <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> referiert Hannah Arendt wie folgt:So gut wie alle Überlegungen über die Schuldfrage bleiben weit hinter <strong>der</strong> Wirklichkeitzurück, weil sie sich nicht dazu aufschwingen würden, das volle „Ausmaß desVerhängnisses“ zu berücksichtigen. Sie sähe sich vor eine so satanische Folgerichtigkeit <strong>und</strong>Lückenlosigkeit des Systems gestellt, angesichts <strong>der</strong>er alle Begriffe von menschlicherVerantwortung versagten. Sie frage sich, wie es zu solch einer überdimensionalen Totalitäthabe kommen können <strong>und</strong> „wie man es ertragen kann, sich mit einem Volk konfrontiert zufinden, in welchem die Linie, die Verbrecher von normalen Menschen, Schuldige vonUnschuldigen trennt, so effektiv verwischt worden ist, dass morgen niemand in Deutschlandwissen wird, ob er es mit einem heimlichen Helden o<strong>der</strong> einem ehemaligen Massenmör<strong>der</strong>zu tun hat. Vor dieser Situation wird uns we<strong>der</strong> eine Definition <strong>der</strong> Verantwortlichen noch dieVerhaftung <strong>der</strong> „Kriegsverbrecher“ schützen.“ <strong>Die</strong> neue Dimension, die die Welt durchDeutschland erfahren habe, sei „jene ungeheuerliche Maschine des„Verwaltungsmassenmordes“ zu <strong>der</strong>en Bedienung man nicht Tausende <strong>und</strong> nichtZehntausende ausgesuchte Mör<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ein ganzes Volk gebraucht hat <strong>und</strong> gebrauchenkonnte.“ An dieser Größendimension werde „das menschliche Bedürfnis nach Gerechtigkeitzuschanden“. Hannah Arendt führt dann den Typ des „Spießers“ ein, den normalen,mo<strong>der</strong>nen Massenmenschen, <strong>der</strong> um seine bürgerliche Ruhe <strong>und</strong> ein ordentlichesAuskommen für seine Familie zu haben, jeden Beruf auf sich nimmt. Auch wenn <strong>der</strong> Beruf<strong>der</strong> eines Massenmör<strong>der</strong>s sei, so halte sich <strong>der</strong> Spießer nicht für einen Mör<strong>der</strong>, weil er esnicht aus Neigung, son<strong>der</strong>n beruflich getan habe. Der Urtyp des Spießers wird für HannahArendt durch Heinrich Himmler repräsentiert.<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> stimmt dieser Analyse zu, „<strong>der</strong> Erkenntniswert ist ein großer. Er macht bis zueinem gewissen Grade verständlich, wie sich <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Bürokratismus <strong>und</strong>Organisationsmechanismus zu einer gigantischen Massenmordmaschine auswachsenkonnte.“ <strong>Die</strong> faktische Auslösung dieser Unheilentwicklung liege aber im „Ur-Versagen desmenschheitlichen Bewusstseins, durch welches die Dämonien schließlich so sintflutartigeindringen konnten.“ <strong>Bock</strong> berichtet, dass Hannah Arendt den Spießer Himmler mit seinerteuflischen Genialität für den Erfin<strong>der</strong> des Systems halte. Das sei zu viel Ehre für Himmler,meint <strong>Bock</strong>. „Das Unheilsystem, die große Maschine des „Verwaltungsmassenmordes“, istnicht bewusst erf<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> inauguriert worden. Nicht durch Himmler, ja, nicht einmal durchHitler. Es hat sich sozusagen selbst geschaffen, wodurch die gespensterhafte Anonymitätdes Systems zustande kam.“ <strong>Die</strong> Ursache liege im utilitaristisch-materialistischen Denken,das nicht mehr imstande war, den Menschen als primären Faktor des Schicksals zuverstehen <strong>und</strong> in Rechnung zu stellen. <strong>Die</strong>s falsche Denken führe zu einemBewusstseinsversagen <strong>und</strong> öffnete den schwülen Dämonien des Rausches <strong>und</strong> <strong>der</strong>Machtgier das Tor.Man kann aus dieser Analyse <strong>Bock</strong>s unschwer erkennen, dass er Hitlers allgegenwärtigesBuch „Mein Kampf“ nicht gelesen hatte <strong>und</strong> über die Gesetzgebung <strong>und</strong> Ziele des 3. Reiches


trotz allumfassen<strong>der</strong> Propaganda nicht informiert war: wohl auch bei ihm eine „intimeBewusstseinsflucht“, die aber nicht einem „denkerischen Unvermögen“ entstammt, wie er esauch den Nazigrößen bescheinigt. Der <strong>Nationalsozialismus</strong> bekämpfte u.a.: „den westlich -jüdischen Parlamentarismus, die westliche Dekadenz, den jüdisch bolschewistischenMaterialismus, den egoistisch-liberalen Individualismus, den die Seele verdorrendenIntellekt, die erstarrten Kirchen“ um nur einige Schlagworte zu nennen <strong>und</strong> klammertekeineswegs „den Menschen“ in seiner Ideologie <strong>und</strong> in seiner „Rechnung“ aus, erklassifizierte ihn vielmehr wie die Tierwelt in höhere <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>e Stämme: in denhochentwickelten <strong>und</strong> beseelten, nordisch-germanischen Arier <strong>und</strong> den Untermenschen, alsdessen Hauptvertreter den „satanischen Juden“, die „Gegen-Rasse“ , die es zum Wohl <strong>der</strong>Arier in einem „Schicksalskampf“ auszurotten galt. Da <strong>Bock</strong> als Ursache <strong>der</strong> Katastrophenicht die verbrecherische NS-Ideologie sieht, son<strong>der</strong>n lediglich die Dämonie einer„gespensterhaften Anonymität“ eines „sich selbst erschaffen habenden System“, schreibt erüber die Nürnberger Prozesse: „…wo die Notwendigkeit des praktischen Vorgehens zu <strong>der</strong>oberflächlichen Meinung verführte, als könne man mit den üblichen Begriffen vonVerantwortlichkeit, Schuld <strong>und</strong> Sühne durchkommen“, <strong>und</strong> beruft sich auf Hannah Arendt, die1944 schrieb: „Wo alle schuldig sind, kann im Gr<strong>und</strong>e niemand mehr urteilen.“ <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>meint <strong>und</strong> schreibt „Wenn im Nürnberger Prozess die Hauptverantwortlichen immer wie<strong>der</strong>aussagen, sie haben von den Zuständen in den Konzentrationslagern nichts gewusst, soklingt das zwar unglaublich, entspricht aber doch wohl zuallermeist den Tatsachen.…..Wirklich eingeweiht in das Grauen waren vielfach nur die ausführenden Organe….Undjetzt kommen wir an eine wichtige Ursache des Unheils heran: einer gerade säkularen <strong>und</strong>satanischen Gedankenlosigkeit haben sich die sogenannten Verantwortlichen schuldiggemacht. Sie hätten sich bei einigem natürlichen Nachdenken sagen müssen, dass dieBefehle, durch die z.B. die Einrichtung <strong>der</strong> Konzentrationslager angeordnet wurde –gleichviel ob sie von ihnen selbst o<strong>der</strong> von an<strong>der</strong>en erteilt waren – über kurz o<strong>der</strong> lang die<strong>und</strong> die lawinenartigen Folgen zeitigen, die <strong>und</strong> die grauenvollen Dämonien entfesselnmussten. Hier liegt die konkrete Schuld vor, <strong>und</strong> nicht nur bei den Spitzen des Systems.“Wie man aus diesen Zitaten ersehen kann, sind für <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> die entfesselten Dämonen dieHauptschuldigen, nicht etwa die Menschen, die gemäß <strong>der</strong> NS-Ideologie handelten. <strong>Die</strong>Verantwortlichen haben sich hauptsächlich „einer säkularen <strong>und</strong> satanischenGedankenlosigkeit“ schuldig gemacht <strong>und</strong> die Folgen ihrer Anordnungen nicht überschaut.<strong>Die</strong> wirklich in das Grauen eingeweihten waren lediglich die ausführenden Organe. Auchwenn 1946 noch nicht alles bekannt war, was wir heute wissen, so brachte <strong>der</strong> NürnbergerProzess, über den breit <strong>und</strong> ausführlich in allen Medien berichtet wurde, doch genügendstichhaltige Beweise, aus denen man erkennen konnte, dass das „Das habe ich nichtgewusst“ <strong>der</strong> Angeklagten Schutzbehauptungen waren um ihren Hals zu retten. Sogar aus<strong>der</strong> von Heinrich Himmler gehaltenen, berüchtigten Rede vom 4.10.1943 auf <strong>der</strong> SS-Gruppenführertagung in Posen wurden Ausschnitte im Prozess zitiert. Auch wenn man, wie<strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong>, im Sinne <strong>der</strong> anthroposophischen Weltanschauung von <strong>der</strong> Existenz einergeistigen Welt ausgeht, in <strong>der</strong> es auch Menschen inspirierende satanische Dämonen gibt, sokann man die so inspirierten <strong>und</strong> handelnden Menschen keinesfalls von ihrer Schuldfreisprechen. Sie haben sich vielmehr doppelt schuldig gemacht: einmal vor <strong>der</strong> geistigenWelt, weil sie ihr Denken, Fühlen <strong>und</strong> Wollen diesen Dämonen zur Verfügung gestellt haben<strong>und</strong> sich haben inspirieren lassen, <strong>und</strong> einmal hier in <strong>der</strong> realen Welt, in <strong>der</strong> sind sieselbstverständlich nach Recht <strong>und</strong> Gesetz für alle Untaten verantwortlich <strong>und</strong> zurRechenschaft zu ziehen.Aus dem bisher Zitierten kann man unschwer erkennen, dass <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> den<strong>Nationalsozialismus</strong> nicht durchschaute, <strong>und</strong> auch nicht wusste, wie eine Bürokratie ineiner Diktatur funktioniert; noch durchschaute er, wie wir schon oben gesehen haben, die


Staatsform Demokratie <strong>und</strong> ihre Gewaltenteilung - <strong>und</strong> das, obwohl erst die Gesetze <strong>der</strong>Weimarer Republik die Gründung <strong>der</strong> Christengemeinschaft ermöglicht hatten: noch imKaiserreich wäre die Gründung verboten gewesen. Auch eine entschuldigende Ambivalenzgegenüber den nationalsozialistischen Führungsgrößen kann man aus seinen Zeilen lesen,möglicherweise, weil er durch Protektion von einflussreichen Nazi-Größen aus dem KZWelzheim entlassen worden war. - Wie sollte er da „kleinen Mitläufern“ wie Werner GeorgHaverbeck o<strong>der</strong> Friedrich Benesch eine Mitarbeit in <strong>der</strong> Christengemeinschaft verweigern,da er sie sicher auch als die oben zitierten Idealisten sah, die „durch ihr Deutschtum mitbeson<strong>der</strong>er Intensität <strong>und</strong> Unentrinnbarkeit“ eine Erfahrung als Mensch gemacht haben: sieerlebten „ die Lebenstotalität <strong>der</strong> inneren Werte <strong>der</strong> menschlichen Seele, das individuellegeistige Leben des Menschen“ <strong>und</strong> suchen jetzt das freie Geistesleben <strong>und</strong> eine wirklicheErneuerung , wie <strong>Bock</strong> sie sah: „Eine Erkraftung <strong>und</strong> Erziehung des Denkens, damit <strong>der</strong>Mensch erkennt, was <strong>der</strong> Mensch ist; eine Weltanschauungserneuerung, die ausgehend von<strong>der</strong> Erkenntnis des geistig - seelischen Menschenwesens, zur Erkenntnis <strong>der</strong> übersinnlichenWelt <strong>und</strong> <strong>der</strong> göttlichen Mächte vordringt, ist auch das Ziel, das im Namen einesgegenwartsgemäßen Christentums aufgerichtet werden muss.“ <strong>Die</strong> rationale Aufarbeitung<strong>der</strong> Weltanschauung des <strong>Nationalsozialismus</strong>, seiner politischen Religion <strong>und</strong> seinerMassenmorde, für die man ja satanische Dämonen <strong>und</strong> die nachgeordneten „ausführendenOrgane“ meint verantwortlich machen zu können, gehören da nicht zum Program. „Wirmüssen es uns zur Aufgabe machen, im Spirituellen, wenn auch in aller Stille,Gegentatsachen zu schaffen“, schrieb <strong>Emil</strong> <strong>Bock</strong> an Frau Ohlendorf. <strong>Die</strong> „intimeBewusstseinsflucht“ ging also weiter.Literatur:Zeitschrift „<strong>Die</strong> Christengemeinschaft“, Neue Folge Heft 2 – Juni 1946, Seite 52 ff., Verlag UrachhausStuttgartClaus-Ekkehard Bärtsch, „<strong>Die</strong> politische Religion des <strong>Nationalsozialismus</strong>“, Wilhelm Fink Verlag,München 2002Hermann Glaser, „Spiesser-Ideologie – Von <strong>der</strong> Zerstörung des deutschen Geistes im 19. Und 20.Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> dem Aufstieg des <strong>Nationalsozialismus</strong>“ Ullstein TB, Frankfurt am Main 1979Elisabeth Klein, „Begegnungen – Mitteilenswertes aus meinem Leben“, Verlag <strong>Die</strong> Kommenden,Freiburg im Breisgau 1978Internet:Für die Leser, die an einem originalen, nationalsozialistischen Text interessiert sind, können zumBeispiel die berüchtigte Rede nachlesen, die <strong>der</strong> Reichsführer <strong>der</strong> SS, Heinrich Himmler am 4.10.1943bei <strong>der</strong> SS-Gruppenführertagung in Posen gehalten hat. Es finden sich noch weitere interessanteTexte unter „Dokumente“ – „Textdokumente“ http://www.nationalsozialismus.de

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