Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009• Theoretische Folgerung wäre: die regelhafte <strong>Wortbildung</strong> ist Teil der Syntax. Dagegen wirdeingewandt, dass der transformationelle Ansatz ist zu stark ist. Probleme z.B.: Unterschiede inder Produktivität, z.B. Lücken in Bildungsmustern, Unterschied zwischen okkasionellen undusuellen Bildungen, semantische Unterschiede zwischen hypothetischer syntaktischer Basis undWort: Schreibmaschine vs. Maschine [zum] Schreiben, Fahrrad vs. Rad [zum] Fahren, Lehrer[+habituell] vs. einer, der lehrt.(2) Im neueren, „lexikalistischen“ Ansatz wird <strong>Wortbildung</strong> als modularer Teil des Lexikons oderals eigenes Modul konzipiert. Wahrscheinlich sind zwei Module anzunehmen, wobei das ersteModul die allgemeinen Regeln für mögliche Wörter enthält, also die Regeln der paradigmatischen<strong>Wortbildung</strong>, und das zweite als Filter fungiert für die Aktualisierung nach Mustern, also für dietatsächlich aktualisierten Analogiebildungen mit ihren semantischen und pragmatischenRestriktionen.(3) Das wichtigste Argument für die Filterfunktion von Analogieprozessen sind die üblichensemantischen Restriktionen bzw. die semantisch beschränkte Reihenbildung wie z.B. beim Typfleckig, schmutzig, ölig, dreckig, staubig („Vorhandensein von Gegenständen an anderenGegenständen“, gegenüber *knopfig, *taschig),u.ä.Das Analogiemodul dürfte auch zuständig sein für neue Wörter, die außerhalb produktiver Musternach dem Vorbild analysierbarer lexikalisierter Wörter entstehen. Gemäß dem modularenGrammatikkonzept, das eine Interaktion zwischen den autonomen Modulen vorsieht, muß aber mitRückwirkungen der analogischen Wörter auf das Regelsystem gerechnet werden. Nicht zwingendist die Annahme zweier verschiedener Analogietypen. Die Analogiebildung bei Fällen wieHausmann, Vorschußbrennesseln, Arbeitsbegräbnis oder Geisterpferd („lexikalische Analogie“)ist strukturell gleichartig mit dem Fall erbauen : Erbauer → zerstören : Zerstörer („grammatischeAnalogie“).(4) Im Rahmen eines lexikalistischen Ansatzes lässt sich der Prozess der paradigmatischen<strong>Wortbildung</strong> als Nachbildung lexikalisierter <strong>Wortbildung</strong>sprodukte beschreiben. Die Nachbildungberuht auf lexikalischen Einheiten (Wörtern, Stämmen, Affixen) und Relationen zwischen diesenEinheiten, wie sie im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind. Im folgenden werdenunsystematisch einige Aspekte dieses Ansatzes genannt(a) <strong>Wortbildung</strong>sregeln können nicht den Anspruch erheben, den kognitiven Prozess derProduktion neuer Wörter abzubilden. Neue Wörter werden nicht nach Regeln gebildet, sondernnach Mustern, z.B. drucken → Drucker, kopieren → Kopierer wie bohren : Bohrer, radieren :Radierer usw. Je mehr solche Muster im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind, desto eherkönnen sich Neubildungen anschließen. Man sagt dann: desto produktiver ist die<strong>Wortbildung</strong>sregel.(b) Die Nachahmung umfasst in der Regel alle Aspekte des Musters, z.B. Kategorie der Basis +Bedeutung der Basis + Suffix → Form + Bedeutung der Gesamtkonstruktion:machen : machbar, lesen : lesbar, kopieren : kopierbar = faxen : Xkopier-+-er : Kopierer = "Gerät zum Kopieren" → fax-+-er : Faxer="Gerät zum Faxen"ein-nehmen : Ein-nahme → in Betrieb nehmen : Inbetriebnahme (*Nahme!, ahd. nâma).Die Analogiebildung kann darüber hinaus ganz spezielle Gebrauchsbedingungen undBedeutungsaspekte des Musters übernehmen:Fahrer (auf der Autobahn...) : Geisterfahrer → Pferd auf der Autobahn..: X(c) Traditionell spricht man nur dann von Analogie, wenn ein einzelnen Muster (z.B. beiGeisterpferd) zugrunde liegt. oder wenn sich eine regelhaft erwartbare Form an ein anderesMuster angleicht (z.B. in der Flexion: mhd. ich reit, wir riten → nhd. ich ritt, wir ritten). DerBegriff der <strong>Wortbildung</strong>sregel lässt sich jedoch allgemein auf der Basis des Analogiebegriffsdefinieren: eine produktive Regel liegt dann vor, wenn Analogiebildungen auf eine Mengegleichartig analysierbarer lexikalisierter Wortpaare zurückgreifen können.Seite | 28
Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009(d) Die Nachbildung kann sich aber auch in einzelnen oder mehreren Merkmalen vom Musterunterscheiden, indem z.B. Kategorie oder Bedeutung der Basis abweichen, indem semantischverwandte Präfixe oder Partikel substituiert werden oder in einer Ableitungskette einursprünglich verbindendes Glied übersprungen wird:Bi(gamie) : Mono(gamie) = Bikini : Xaufsteigen : absteigen = aufsitzen : Xbefahren (transitives Verb) : befahrbar →fahren (intrans. Verb) : fahrbar.(e) Wenn solche abweichende Bildungen wiederum nachgeahmt werden, kann durch häufigeMusterwiederholung ein neuer Bildungstyp entstehen:∅ legen be-legen (entlegen)Fall fallen befallen entfallenKleid kleiden be-kleiden ent-kleiden (Ornativa u. Privativa)Stuhl ∅ be-stuhlen !ent-stuhlenSchmutz ∅ be-schmutzen !ent-schmutzenGräte ∅ ∅ ent-gräten („Präfixkonversion“)Staub ∅ ∅ ent-stauben⇓Holz ∅ ∅ ab-holzen („Partikelkonversion“)Gras ∅ ∅ ab-grasen----------------------------------------------------------------------------------------------------------------stark stärken ver-stärken Verstärk-ung (Resultativa, Faktitiva)besser bessern ver-bessern Verbesserungspät ∅ ver-späten Verspät-ung⇓Holz ∅ ver-holzen Verholz-ungKnoche(n) ∅ ver-knöch-er-n Verknöcher-ungSteppe ∅ ver-steppen Verstepp-ungGlatze ∅ ∅ Verglatz-ung (SZ)------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------∅ stark stärken be-stärk-enNachteil nachteil-ig ∅ be-nachteilig-enRücksicht ∅ ∅ be-rücksicht-ig-en (Präfix-Suffix-Derivat.)(f) In gleicher Weise kann man auch die sog. Rückbildungen zu erklären:Mut ⇒ mutigHochmut ⇒ hoch#müt-ig⇓Sanftmut ⇐ sanft-mütig(g) Man sagt, eine Regel (d.h. ein <strong>Wortbildung</strong>styp) sei produktiv, wenn nach diesem Muster neueWörter gebildet werden, und man unterscheidet nach der Häufigkeit solcher Weiterbildungensogar Grade von Produktivität. Im Grunde ist aber jede einigermaßen transparenteLexikoneinheit ein potentielles Analogiemuster:reden : Rede, fragen : Frageschreiben → die Schreibe, machen → Mache, anmachen → Anmachedenken → die DenkeSeite | 29