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Wortbildung

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Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> des Deutschen SS 2009Allgemeines• Sprechstunde: Donnerstag 14 Uhr, Raum 308 RG• Vorausgesetzte KenntnisseEs werden grammatische Grundkenntnisse im Umfang des ES-Stoffs vorausgesetzt.Zur Ergänzung bzw. Wiederholung eignet sich: LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN (2004): StudienbuchLinguistik. 5. Aufl. Tübingen. Kapitel Semantik, Pragmatik und Textlinguistik.• Arbeitsformen und Leistungsnachweis:(1) Für alle: Morphologische (Teil-)Analyse eines Wortes (<strong>Wortbildung</strong>, Flexion)(2) Für Schein-Aspiranten: Klausur.Bibliographische HinweiseAitchison Jean (1997): Wörter im Kopf. Eine Einführung in das mentale Lexikon. TübingenAltmann, H./Kemmerling, S. (2000, 2 2005): <strong>Wortbildung</strong> fürs Examen. WiesbadenBarz Irmhild /Fleischer W. / Öhlschläger G. (Hrsg.) (1998): Zwischen Grammatik und Lexikon. TübingenBarz, Irmhild u.a. (2007): <strong>Wortbildung</strong> - praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. Frankfurt/M. u.a.Barz, I. (2005): Die <strong>Wortbildung</strong>. In: DUDEN. Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw.Aufl. Hrsg. von derDudenredaktion. Mannheim u.a. (= Der Duden Bd.4). S. 641-772*Donalies, Elke (2005): Die <strong>Wortbildung</strong> des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. Tübingen*Donalies, Elke (2007): Basiswissen Deutsche <strong>Wortbildung</strong>. TübingenEichinger L.M. (1994): Deutsche <strong>Wortbildung</strong>. Heidelberg Groos (Studienbibliographien Sprachwiss.10).-Dazurez. in ZfS 16,1997, 324-326Eichinger L.M. (2000): Deutsche <strong>Wortbildung</strong>. Eine Einführung. TübingenEisenberg, P. (1998, 2 2004): Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. TübingenErben, J. ( 3 1993, 4 2000): Einführung in die deutsche <strong>Wortbildung</strong>slehre. BerlinFleischer, W. /Barz,I. (1995): <strong>Wortbildung</strong> der deutschen Gegenwartssprache. 2.Aufl. Tübingen[Standardhandbuch]Fleischer, W.(2000): Die Klassifikation von <strong>Wortbildung</strong>sprozessen. In: Booij, G. u.a. (eds.): Morphologie. Eininternationales Handbuch zur Flexion und <strong>Wortbildung</strong>. HSK 17.1. Berlin/New York . S. 886-897Henzen Walter (1957, 3 1965): Deutsche <strong>Wortbildung</strong>. 2.Aufl. Tübingen [zur historischen <strong>Wortbildung</strong>]Kühnhold, Ingeborg u.a.(Hrsg./Bearb.): DEUTSCHE WORTBILDUNG. Typen und Tendenzen in derGegenwartssprache (1973-1992). 6 Bde. (Bd.1: Das Verb. -Bd.2: Das Substantiv. -Bd.3: Das Adjektiv. -Bd.4: Substantivkomposita. -Bd.5: Adjektivkomposita und Partizipialbildungen. -Bd.6: Morphem- undSachregister) [Einzeldarstellungen auf breiter Materialbasis]Lohde, M. (2006): <strong>Wortbildung</strong> des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. TübingenMORPHOLOGIE. Ein internationales Handbuch zur Flexion und <strong>Wortbildung</strong>. Hrsg. von G.E.Booij u.a. [2000,2004]. 2 Bde. Berlin, New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [=HSK]17.1-2)Motsch, Wolfgang (1999, 2 2004): Deutsche <strong>Wortbildung</strong> in Grundzügen. BerlinMüller, P.O. (Hrsg.) (2005): Fremdwortbildung. Frankfurt/M. u.a.Müller, Peter O. (2006): Deutsche <strong>Wortbildung</strong>. Eine synchron-diachrone Einführung. BerlinMuthmann G. (1991): Rückläufiges deutsches Wörterbuch. Handbuch der Wortausgänge im Deutschen, mitBeachtung der Wort- und Lautstruktur. 2., unveränd.Aufl. Tübingen (RGL 78)*Naumann B. (2000): Einführung in die <strong>Wortbildung</strong>slehre des Deutschen. 3., neubearb. Aufl. TübingenOlsen, S. (1986) <strong>Wortbildung</strong> im Deutschen. StuttgartRickheit Mechthild (1993): <strong>Wortbildung</strong>. Grundlagen einer kognitiven Wortsemantik. OpladenWeinrich, H.(1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Teil I. Allgemeines1 Wortschatzerweiterung1.1. Wege der WortschatzerweiterungEntstehen alle neuen Wörter durch <strong>Wortbildung</strong>? Handelt es sich in den folgenden Fällen um <strong>Wortbildung</strong>?• Bedeutungsverschiebung, z. B: Metonymie, Metapher, Katachrese: Fuß (des Berges), Kopf (einerKonstruktion)• Onomatopoetica: Kuckuck, grunzen, urgh.• Künstliche Neubildung, "Kunstwörter", "Urschöpfung": Gas, Quarks (1964), Persil (


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009notwendigen Ergänzungen - beibehalten werden: als Bezeichnung für eine minimale morphologische Einheitmit grammatischer oder lexikalischer Funktion, für eine „minimale funktionale Einheit”.2.2. Wort.Das Wort als zusätzliche Strukturebene zwischen Morphem und Phrase ist keine universale sprachliche Einheit.Ein wichtiges Grundkonzept ist es für flektierende Sprachen, für andere Sprachen ist es kaum sinnvoll. Im„isolierenden“ Vietnamesischen z.B. ist der Satz eine Folge unveränderlicher, einsilbiger Grundeinheiten, im„inkorporierenden“ Grönländischen entspricht unserem Satz eine komplexe Einheit von Grundelement undErweiterungen. Der Wortbegriff muss also für jede Einzelsprache angemessen definiert werden. UniversaleEinheiten sind:Äußerung: pragmatische Einheit des sprachlichen Handelns,Satz: strukturelle Form einer Äußerung mit unterschiedlicher einzelsprachlicher Form; im Deutschen: Subjekt +Prädikat,Phrase: komplexe Konstituente eines Satzes als Bedeutungseinheit,Morphem: ungegliederte Bezeichnungseinheit.In flektierenden Sprachen wie dem Deutschen ist das Wort eine autonome Einheit zwischen Laut und Satz.Seine Eigenschaften sind:das Wort ist im Satz grundsätzlich frei beweglich (”freie Einheit”, ”minimal free form”, BLOOMFIELD);das Wort ist nur als ganzes attribuierbar: *reitende Artilleriekaserne;das Wort ist nur als ganzes pronominalisierbar ("Anaphorische Inseln”): *Jeder Unidozent liebt sie (*dieUni). Anaphorischen Bezug auf einen Wortteil gibt es allerdings bei Eigennamen: Die Schröderfanslieben ihn (=Argument für die Sonderstellung der EN innerhalb der Nomina!).Wörter sind regelhafte Produkte der Performanz wie Sätze, doch werden sie im Unterschied zu Sätzengewöhnlich im Gedächtnis gespeichert (”Lexikalisierung” als ”Lexeme”). Speicherung ist eine typischeEigenschaft des Wortes. Es gibt mögliche Sätze und mögliche Wörter, doch die Unterscheidungokkasionell - usuell gibt es nur beim Wort.Idiomatisierung und Bedeutungsentwicklung kennzeichnet das Wort, nicht aber den Satz.Zusammengefasst: Das Wort ist eine freie, d.h. syntaktisch bewegliche bedeutungstragende Einheit mitfester innerer Struktur: Tisch, Tischchen, Tischdecke, Tische, aufgetischt.2.3. WortformSind Fahrrad, Fahrrads und Fahrräder ein Wort oder drei Wörter? Die Frage betrifft den Unterschiedzwischen dem Wort als abstrakter Einheit des sprachlichen Wissens und seiner konkreten Realisierungsform imText, der Wortform, die bei flektierbaren Wörtern eine grammatisch veränderte Flexionsform ist. Man kann(muss aber nicht!) definitorisch festlegen, dass man sich mit dem Terminus Wort auf die konkret geäußerteWortform bezieht (in Abgrenzung von der zugrunde liegenden abstrakten lexikalischen Einheit oder demLexem).Der Formenbestand einer lexikalischen Einheit (also: Tisch, Tisches, Tische usw.) heißt auch ihr Paradigma.Hinweis: Lexikalische Einheiten haben eine konventionelle Zitierform, bei Verben ist dies der Infinitiv, beiSubstantiven der Nominativ Singular, bei Adjektiven der undeklinierte Positiv. Der Infiniv ist also sowohlZitierform der verbalen lexikalischen Einheit wie auch Flexionsform (mít dem Flexiv -en für ‘Infinitiv’).2.4. LexemGerede und Gefaxe sind zwar beides Wörter der deutschen Sprache, doch nur Gerede ist ein Bestandteil dessprachlichen Wissens, ist im mentalen Lexikon gespeichert (oder auch in seinem Modell, dem Wörterbuch).Eine solche lexikalische Einheit heißt Lexem. Das Wort Gefaxe im Sinne von „lästige, andauernde Tätigkeitam Faxgerät” ist hingegen bis jetzt kein Lexem der deutschen Sprache. Es wurde hier gebildet, zusammen mitdem Satz, in dem es vorkam, und wäre anschließend unter „normalen” Umständen wie der zugehörige Satzwieder vergessen worden. Bis zu 1/3 der lexikalischen Einheiten eines Zeitungstexts sind nicht im Wörterbuchgespeichert, also keine Lexeme in diesem Sinn (laut Duden 1998 S.409). Keine Lexeme, aber lexikalischeEinheiten sind neben solchen „Ad-hoc-Bildungen” auch Eigennamen und nicht lexikalisierte fremde Wörter(im Unterschied zu Fremdwörtern). Wenn es auf solche Unterscheidungen nicht ankommt, kann man dieabstrakte lexikalische Einheit generell Lexem nennen.Das Wort gehört also mindestens zwei sprachlichen Ebenen („Modulen”) an. Als abstrakte Einheit ist esBestandteil des lexikalischen Wissens (lexikalische Einheit, oder einfach Lexem,), als konkrete, grammatischangepasste Einheit ist es Konstituente des Satzes bzw. Textes, ist also auch Element des syntaktischen undtextuellen Regelwissens (Wortform, oder einfach Wort).Seite | 3


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20092.5. StammIn der traditionellen historischen Sprachwissenschaft bezeichnet man mit Stamm eine Wortform, die von dengrammatischen Kategorien Person und Numerus abstrahiert, also z.B. Präsensstamm, Präteritumstamm,Konjunktivstamm, Partizipialstamm, Pluralstamm (verbind, verband, verbänd, verbund, wald, wäld).Für eine synchrone Beschreibung der deutschen Gegenwartssprache genügt eine weitere Definition: Stamm alsAbstraktion von allen grammatischen Kategorien, als nicht flektierte Form eines Wortes (kurz: Stamm = Wortminus Flexion). Sinngemäß sind auch nicht flektierbare Wörter Stämme. Die Lautgestalt von Stämmen kanndurch Mutierung verändert sein, man spricht von Stammformen: Mann-Männ(er), find(en)-(ge)fund(en).Stämme verhalten sich in dieser Hinsicht wie Morpheme: Stamm-Stammform / Morphem-Allomorph. Für dasDeutsche ist zu unterscheiden zwischen der unmarkierten Stamm-Grundform und (durch Umlaut oder Ablaut)markierten Formen.Hinweis: Der Stamm eines Wortes sollte, zumindest theoretisch, nicht mit dem Lexem identifiziertwerden. Stämme liegen zwar den entsprechenden Lexemen zugrunde, enthalten aber nicht derenBedeutungsumfang, und sie sind nicht wortartspezifisch. Bei der <strong>Wortbildung</strong> bringt der Stamm nursolche kategorialen Merkmale und Bedeutungsaspekte der entsprechenden Lexeme zur Geltung, die mitdem jeweils anderen Stamm oder Derivativ verträglich sind. Bei einer <strong>Wortbildung</strong> wieScheibenwischer werden von Anfang an nur diejenigen Bedeutungsanteile der Stämme realisiert, diedem intendierten Gebrauch des Wortes entsprechen (vgl. Rickheit 1993 : 48). Dieser Aspekt ist wichtigbei der Beurteilung der Idiomatisierung eines Wortes: Die Bedeutung von Scheibenwischer ergab sichnicht erst durch Idiomatisierung aus einer allgemeinen Bedeutung „ein Apparat um irgendwelcheScheiben irgendwie zu wischen“.Wenn es auf die Unterscheidung zwischen einfachem und komplexem Stamm ankommt, kann maneinen erweiterten Stamm mit Eisenberg (1998/1 : 210) auch Stammgruppe nennen (analog zumTerminus Wortgruppe in der Syntax): einfacher Stamm schlag, komplexer Stamm=Stammgruppevorschlag.Wurzel nennt man in der historischen Sprachwissenschaft eine nicht weiter analysierbare lexikalischeBasiseinheit, z.B. bind, geb, also die Abstraktion von allen formalen Veränderungen einer lexikalischen Einheit(besonders: von Flexiven und Derivativen)- also ungefähr das, was die strukturalistische Morphologielexikalisches Morphem nennt. In neueren synchron orientierten Darstellungen der <strong>Wortbildung</strong> wird auf denWurzelbegriff meist verzichtet.2.6. BasisTerminus der <strong>Wortbildung</strong>. Die Grundlage einer Derivation oder Konversion heißt Basis. So ist z.B. grün dieBasis von Grün, grünen, begrünen und grünlich. Als Basis fungieren gewöhnlich Stämme, doch gibt es auchflektierte Basisformen (ein Grüner, die Kinderchen). Die Begriffe Stamm und Basis sind deshalb nichtsynonym. Die Basis kann ein Morphem sein (‘Basismorphem’: Lehr-er), kann aber auch morphologischkomplex sein (Berücksichtig-ung). An die Basis treten bei der Derivation die Derivationsaffixe (”Derivative”).2.7. Affix (Präfix, Suffix, Zirkumfix).Ausschließlich gebunden vorkommendes Morphem zur Bildung von Wortformen (Flexiv) oder vonWortstämmen (Derivativ). Affixe haben eine allgemeinere, abstraktere Bedeutung als Stämme undkönnen im Unterschied zu den Stämmen typischerweise nicht kombiniert werden, um neue Affixe oderWörter zu bilden. Das Affix ist keine rekursive Kategorie.Da es zwischen Stämmen und Affixen diachronische Übergänge gibt (vgl. Saustall : Sauwetter : sauteuer :saubillig), wurde zur Kennzeichnung der Übergangszone der Terminus Affixoid (Präfixoid, Suffixoid)vorgeschlagen. Zur Diskussion über diesen Begriff vgl. Donalies 2005).2.8. KonfixFür gebundene Stämme wie in Vino-thek, Bio-top, biblio-phil u.dgl. wird seit G.D.Schmidt 1987 häufig derTerminus Konfix verwendet (von R.Kocourek für das Frz. geprägt, von Fleischer/Barz u.a.verbreitet, vgl.z.B. Donalies 2005:21-23). Der Terminus ist problematisch, da er eine Gleichartigkeit solcher Morpheme mitAffixen (Präfixen, Suffixen) suggeriert. Es handelt sich um lexikalische Morpheme, die aus historischenGründen (in der Regel handelt es sich um Bestandteile von Lehnwörtern) nur gebunden vorkommen. GleicheFälle gibt es auch bei nativen Wörtern: Him-, scheuß-, Stief-, Schwieger-, zimper-. Auch Verben alsSeite | 4


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Konstituenten von Weiterbildungen sind in der Regel gebundene Morpheme: Rechn-ung, Les-er, Fahr-rad. Vgl.unten S. 12.2.9. FugenelementTerminus der <strong>Wortbildung</strong>. Fugenelemente sind semantisch funktionslose Laute zwischen den Konstituenteneines komplexen Wortes (also keine Morpheme!): wesentlich, öffentlich, eigentlich, Liebesbrief,Zeitungsmeldung. Meist wird der Terminus im engeren Sinne auf die Elemente der Kompositionsfugeeingeschränkt.3 Morphologische MittelDie formalen Mittel zur Bildung morphologischer Konstruktionen sind in der Wortstammbildung(=<strong>Wortbildung</strong>) und der Wortformbildung (=Flexionsmorphologie) grundsätzlich dieselben. Einige Verfahrensind allerdings auf die Wortstammbildung beschränkt. Auf der Basis der allgemeinen Veränderungstypen„Erweiterung“ und „Ersetzung“ kann man folgende Verfahren sind unterscheiden:1. Transposition: Überführung in eine andere syntaktische Kategorie: Die Form der Konstruktion bleibt gleich,die grammatische oder lexikalische Veränderung zeigt sich nur im veränderten syntaktischen Verhalten:rot > das Rot, lesen >das Lesen, das Mädchen > die Mädchendumm > Dummheit, üb(en) > Übung, schöner > verschöner(n), lauf(en) > Lauf.2. Univerbierung: Verknüpfung der Konstituenten einer syntaktischen Konstruktion zu einem Wort:auf Grund > aufgrund, kalt stellen > kaltstellen, durch lesen > durchlesen.Man kann die Univerbierung auch als Sonderfall der Transposition definieren, da durch dieses Verfahrengrundsätzlich eine Phrasenkategorie (z.B. eine NP) zu einer Wortkategorie (z.B. N) wird.3. Modifizierung/Modifikation: Erweiterung eines Stamms als Kopf/Kern nach links:(a) Erweiterung durch einen Stamm: Buch > Bilder-buch, greifen > er-greifen(b) Erweiterung durch ein Präfix: er-blüh-,miß-brauchen, Un-lust (=Präfigierung)Eine seltene Sonderform der Modifizierung ist die Reduplikation: Verdoppelung einer anlautenden Silbemit oder ohne Lautveränderung (Mama, Popo, Klimbim, got. haihait < haitan, lat. cu-curri < currere)4. Suffigierung:(a)Überführung eines Stamms als Kern in eine Konstruktion mit Suffix als Kopf: Fleiß > fleißig, groß >Größe, belehren > Belehrung.(b) In der Wortformbildung des Deutschen ist die Suffigierung durch Flexive das grundlegende Verfahren.(c) Die Zirkumfigierung ist ein Sonderfall der Suffigierung bzw. ein Kombination aus Suffigierung undModifizierung: ge-(such)-t, be-(leid)-ig-.5. Mutierung: Ersetzung von Segmenten durch interne formale Veränderung des Stamms:(a) Vokalwechsel: Vater-Väter, groß-größer, be-hüt(en), röt-lich, un-säg-lich, ein-äug-ig (Umlaut); bind-,band-, -bund/Bund, find-, -fund/Fund (Ablaut)Hinweis: Durch Umlaut entsteht oft eine formale Stammveränderung ohne Funktion, z.B. rot > rötlich, Wald> Wäldchen, fang(en) > fäng(st(b) Konsonantenwechsel: verlieren – Verlust, : schneiden - schnitt(c) Akzentwechsel: Dóktor-Doktóren(d) Die Kürzung (als Mittel der <strong>Wortbildung</strong>) kann man als Sonderform der Mutierung betrachten:Automobil > Auto, Professor > Prof, Lastkraftwagen > LKW.Hinweis: Ersetzung liegt auch bei der Suppletion vor, der Ergänzung eines Paradigmas durch einen anderenWortstamm: gut-bess(er), viel-mehr-meist, bin-ist-war.4 Flexion und <strong>Wortbildung</strong>4.1. Unterschiede Flexion –Derivation• InventarFlexion: begrenztes Inventar. Allerdings gilt dies ähnlich auch bei der Derivation.• FunktionFlexive dienen der syntaktischen Anpassung, nämlich dem Ausdruck von Rektion und Kongruenz.• DistributionFlexive immer am Rand, im Deutschen rechts. Dabei gilt als feste Reihenfolge der Suffixe: Derivativ vorFlexiv. Scheinbare Ausnahmen: Flektierte Wortformen als Bestandteil von komplexen Wörter, z.B.Seite | 5


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Häusermeer („Numerusfuge“), Kinderchen. In diesen Fällen dienen die Flexive allerdings nicht mehr dersyntaktischen Anpassung.Das Präteritum-Flexiv –t- in leg-t-est steht nicht am Ende der Konstruktion. Doch: es kann überhaupt nichtam Ende stehen! Und keinesfalls kann nach dem –t- ein Derivativ antreten. Die beiden Flexive von legtestehen also zusammen am Wortende.• KompositionalitätsprinzipDas Kompositionalitätsprinzip gilt bei der Flexion uneingeschränkt, die Konstruktion ist voll transparent.Derivationen unterliegen wie alle <strong>Wortbildung</strong>en dem Prozess der Idiomatisierung.• LexikalisierungFlexionsformen werden nicht lexikalisiert.• RestriktionenInnerhalb der Flexionsklassen gibt es keine Restriktionen wie bei der <strong>Wortbildung</strong>.4.2. ZuordnungsproblemeFolgende Formen erlauben ein zusätzliches adjektivisches Flexiv rechts von der Grundform:• Partizip II: das bestand-en+e Examen, ein geglück-t-es Examen• Partizip I: schnatter-nd+e Gänse• Gradation: eine größ-er+e Freude.Man kann die Suffixe –en, -et, -nd usw., die dem Adjektivflexiv vorausgehen, deshalb auch als adjektivbildendeDerivative und die Basis als Adjektiv auffassen. Sprachgeschichtlich wäre eine solche Analyse vorzuziehen, dadie Partizipien eigentlich Verbaladjektive sind, die nicht zum Flexionsparadigma des Verbs gehören.Das Partizip II ist heute allerdings wie der Infinitiv im Flexionsparadigma grammatikalisiert (bei denperiphrastischen Verbformen), so dass diese Formen in der Regel mit Recht zur Flexion gerechnet werden.4.3. Diachronische PerspektiveIn diachronischer Perspektive gibt es Übergänge vom Derivativ zum Flexiv (selten auch umgekehrt), z.B.• ge- als perfektivierendes Präfix > Flexiv zur Bildung des analytischen Perfekts• flug-s, eilend-s Flexiv > Derivativ• Passivparaphrasen wie Das Haus blieb ungebaut, Das Buch blieb ungelesen: hier erscheint das zur<strong>Wortbildung</strong> gehörende Präfix un- grammatikalisiert zusammen mit Kopula und Partizip II.4.4. Synchronische PerspektiveSynchronisch ergibt sich ein Kontinuum mit prototypischer Struktur:• Kasus sind flexivischer als Plural, das Diminutiv ist flexivischer als das Nomen agentis.• Skalenenden: Kasus ⇔ KompositumTeil II. Wortstammbildung (= <strong>Wortbildung</strong>)5 Theoretische Grundbegriffe der <strong>Wortbildung</strong>Analogie. Innerhalb der produktiven <strong>Wortbildung</strong>stypen folgen Neubildungen typischerweise dem formalenund semantischen Muster lexikalisierter Bildungen. Man spricht in solchen Fällen der Nachahmung einzelnerWörter von Analogie. Wenn das Muster nicht genau kopiert wird, können analogische Musternachahmungenauch zu Regelveränderungen führen.Inkorporation. Sonderfall der Univerbierung, s.d.Kern. Diejenige Konstituente einer Konstruktion, die die lexikalische Grundbedeutung trägt, z.B. die Basis vonSuffixbildungen: in Lehrer ist lehr- der Kern, -er der Kopf. Im einfachen Stamm und auch in bestimmtenkomplexen Wörtern fallen Kopf und Kern zusammen.Kopf. Diejenige Konstituente einer Konstruktion, die die Kategorie der Konstruktion festlegt, z.B. ein Suffix(freund-lich vs. Freund-schaft) oder die rechte Konstituente eines Kompositums (Eis-becher vs. eis-kalt). DerKopf (engl. head) fordert einen bestimmten Stamm-Typ als Komplement, z.B. -ung einen Verbstamm. Einemorphologische Konstruktion aus Kopf und Komplement ist ebenso aufgebaut wie eine syntaktischeKonstruktion aus Prädikat und Ergänzung (z.B. in Max gähnt).Lexikalisierung. Eigenschaft eines Wortes, bereits ”bekannt” zu sein, also zum ”mentalen” Lexikon derSprecher zu gehören. Die lexikalisierten Wörter einer Sprache heißen auch Lexeme. Sie sind häufigidiomatisiert, müssen es aber nicht sein. Ad-hoc-Bildungen sind neugebildete Wörter, die nicht lexikalisiertSeite | 6


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009sind, Neologismen hingegen sind zwar ebenfalls neue Wörter, aber sie gehören bereits zum sprachlichenRepertoire, sind also lexikalisiert.Modifikator/Modifikation. Modifikatoren sind Konstituenten, die einen Stamm erweitern und modifizieren,aber keinen Einfluß auf die Kategorie und die Grundbedeutung der Konstruktion haben, z.B. Verbpartikel,Präfixe oder die linke Konstituente von Komposita. Modifikatoren sind im Deutschen linksverzweigend undsetzen eine Einheit aus Kopf und Kern voraus. Bei <strong>Wortbildung</strong>sprozessen mit Modifikatoren spricht man vonModifikation oder Modifizierung.Hinweis: Bei Suffixbildungen wie kleinlich oder Zweiglein (Diminutiva) ändert sich durch das Suffix zwarebenfalls weder die Kategorie noch die Grundbedeutung, es liegt jedoch in solchen Fällen keine Modifikation unddamit auch keine Ausnahme von der angegebenen Regel vor.Motivierung, Demotivierung (=Idiomatisierung). Als voll motiviert gilt eine Weiterbildung, wenn ihreformale Struktur und ihre Bedeutung vollständig aus ihren morphologischen Konstituenten und der Funktion der<strong>Wortbildung</strong>sregel herleitbar ist („Kompositionalitätsprinzip“). Man spricht in diesem Fall auch von einertransparenten Bildung. Demotiviert oder idiomatisiert ist eine Weiterbildung dann, wenn eine solcheZurückführung nur noch teilweise oder gar nicht mehr möglich ist. Demotivierung ist ein diachronischer Prozeß,der sich kontinuierlich vollzieht. Manche unterscheiden deshalb zwischen voll-, teil- und demotiviert.Lexikalisierung zum Lexem kann, muß aber nicht mit Idiomatisierung einhergehen.• Ursache der Idiomatisierung sind alle Formen von Sach- bzw. Bedeutungswandel. Hinzutreten kannLautwandel: fahren-fertig, biegen-Bucht, Geselle-Saal.• Endpunkt der Idiomatisierung ist die Isolierung der Konstituenten (Nachtigall, Pausbacke,Heuschrecke, drollig, Argwohn, Stiefmutter; Gugelhupf) oder die völlige Verschmelzung zu einemunsegmentierbaren Stamm (heute, heuer, heint).• Idiomatisierung liegt auch vor beim Übergang vom Stamm zum Affix: -bar, -haft, -lich, -schaft,-heit, -mäßig, erz-, sau-, end- usw.FRAGE: Liegt in Fällen wie Stehsammler, Mausmatte, Warmduscher Idiomatisierung vor?Neubildungen von Wörtern haben in der Regel nicht eine "eigentliche" Bedeutung, die sich aus denKonstitutenten und der Bildungsregel ergibt, und die dann später der Idiomatisierung unterliegt.Vielmehr ist es normal, dass Neubildungen schon im Augenblick ihrer Prägung gegenüber der"wörtlichen" Bedeutung einen Mehrwert haben, also den Eindruck der Idiomatisierung erwecken.Beispiel Gutmensch, Warmduscher: Die usuelle Bedeutung von Wörtern wie Bahnhof, Fahrrad,Gutmensch, Warmduscher war also wahrscheinlich von Anfang an die normale und ist nicht ein Produktder Idiomatisierung.Frage. Wie sind die folgenden Wörter hinsichtlich ihrer Motivierung zu beurteilen: den Gedankengang erfassen,zum Lernen anspornen, eine Neuigkeit erfahren, ein Sprungbrett zum Erfolg? (nach Barz 2004)Produktivität. Eigenschaft einer Bildungsregel, die nach vorhandenen Mustern neue Wörter ”produziert”. Nurnoch schwach produktive Muster heißen auch ”aktiv”. ”Sehr produktiv” und ”unproduktiv” markierenEndpunkte eines Kontinuums. Von den regelhaft möglichen Wörtern werden nur diejenigen gebildet, für die einaktueller oder wiederkehrender Bedarf besteht.FRAGE: Welche der folgenden Suffixe zur Bildung von Substantiven sind heute noch produktiv:-e, -ung, -t, -nis?Restriktionen. "Potentielle" Bildungen können aus unterschiedlichen Gründen ungebräuchlich sein. Sofern derGrund dafür eine grammatische Regel ist (und nicht z.B. fehlender Bedarf für das Wort), nennt man solche FälleRegelbeschränkungen oder Restriktionen.Aufgabe. Ordnen Sie die ungebräuchlichen Bildungen ?Bächchen, Störrischheit, Gottkeit, Armheit, Arbeitung,Sterbung, Reiser, besen, beginnbar, unschwanger verschiedenen Restriktionstypen zu und geben Sie dafürBegründungen.Transposition. Veränderung der syntaktischen Kategorie bei der <strong>Wortbildung</strong>: die Zielkategorie ist nichtidentisch mit der Basiskategorie. Transposition liegt immer dann vor, wenn sich die Kategorie des<strong>Wortbildung</strong>sprodukts gegenüber der des zugrunde liegenden Worts oder Syntagmas verändert. Transpositionist typisch für Suffixbildungen: schön (Adj.) > Schönheit (Subst.). Hinweis: Konversion ist eine Bezeichnungfür einen <strong>Wortbildung</strong>styp, und zwar für solche Wörter, die allein auf Transposition beruhen (s. unten).Seite | 7


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Univerbierung. Verschmelzung von syntaktisch selbständigen, meist benachbarten Konstituenten zu einemWort. Ein Sonderfall der Univerbierung ist die Inkorporation: Univerbierung einer abhängigen Konstituente mitdem Kopf der Konstruktion, z.B. eines Komplements in das Verb (radfahren, kaltstellen) oder eines Attributs indas Nomen (Meeresrauschen, Schafskopf: „uneigentliche“ Komposita). Hinweis: Zusammenrückung ist eineBezeichnung für einen <strong>Wortbildung</strong>styp, und zwar für solche Wörter, die allein durch Univerbierung zustandekommen (s. unten).Aufgabe. Diskutieren Sie das Problem der Abgrenzung von Syntax und Morphologie an den folgenden Beispielen:ein tief erschütterndes Bild, mit tief bewegter Stimme – ein tiefschwarzes Kleid, ein tieftrauriges Kind, tiefgekühlteWare; Blut stillendes Medikament – blutstillendes Medikament; die Milch kalt stellen – den Gegner kaltstellen.Konversion. <strong>Wortbildung</strong>styp: Bildung eines neuen Worts aus einem anderen Wort mit Änderung derBasiskategorie (also mit Transposition) und ohne Affix . In der engeren Definition von Fleischer/Barz: ohneAffix und ohne Mutierung, also ohne formale Änderung des Stamms.6 Arten der <strong>Wortbildung</strong>Auf der Basis der allgemeinen Veränderungstypen (s. oben Abschnitt 3 Morphologische Mittel) werden für diedeutsche Gegenwartssprache folgende Arten der <strong>Wortbildung</strong> unterschieden:• Komposition = Modifikation durch einen Stamm oder mehrere univerbierte Stämme• Derivation (im weiteren Sinn!) = Erweiterung durch Affix (Suffigierung oder Modifikation durchPräfix)• Konversion = Transposition ohne weitere Veränderung (auch mit Univerbierung der Basis).• KürzungEs können auch mehrere Veränderungstypen zusammen auftreten. Es entstehen dann komplexe Mischtypen, diein der <strong>Wortbildung</strong>stheorie unterschiedlich behandelt und benannt werden (dazu unten s.v. Kombinatorische<strong>Wortbildung</strong>). Im folgenden Überblick sind diese zunächst nicht berücksichtigt.(a) Morphologische Erweiterung: Komposition und DerivationWortformStammFlexiveinfacher Stammerweiterter Stamm:erweitert mit1. grün, Grund2. steh-3. scheuß-, -flat, Him-4. Vino-, -thekWortstammKomposition1. blaugrün,Hundehütte,radfahren2. rot-grün, Vorschule3. Him-beere,Vino-thek4. Rhein-Main-Donau-KanalAffix (=Derivativ)Derivation1. ent-stehen, Un-flat2. grün-lich, scheuß-lich3. un-aussprech-lich4. drei-bein-ig(b) Morphologische Kürzung: KurzwortbildungUnterschiedliche Arten der Kürzung von Wörtern oder Wortgruppen: Auszubildende(r) > Azubi, Diskothek> Disko, Professor > Prof. Dazu im einzelnen unten s.v. Kürzung.(c) Kategoriale Veränderung: Konversion und Zusammenrückunggrün > (das) Grün, grün > grün(en), enstehen > das Entstehen, Rad fahren > das Radfahren.Seite | 8


(d) Phonologische Veränderung: „ implizite Derivation“Grund > gründ(en), Hu t> hüt(en), rot > röt(en), find(en) > Fund, zieh(en) > ZugFrage: Ist die implizite Ableitung heute noch produktiv?Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009In allen <strong>Wortbildung</strong>skonstruktionen kann statt eines Stamms auch eine Wortgruppe auftreten, also zumjeweiligen Veränderungstyp Univerbierung hinzukommen:• Kompositum: Einfamilienhaus aus ein(-) Familie + Haus,• Derivation: Gesetzgeber aus Gesetz geb(-) +-er,• Konversion: kaltstellen aus kalt stellen (sog. Zusammenrückung, Inkorporation)Hinweis: Die <strong>Wortbildung</strong> mit nichtnativen Stämmen (Fremdwörtern, Konfixen) zeigt verschiedeneBesonderheiten: die Stämme bilden im deutschen Lexikon ein eigenes Inventar mit mitphonologischen und morphologischen Besonderheiten: Akzentwechsel innerhalb einer Wortfamilie,Endbetonung, volle Endsilbenvokale, besondere Vokale wie Nasalvokale oder hohe Kurzvokale u.a.Die Inventare sind stärker getrennt als im Englischen (hard words) oder Französischen (mots savants),doch gibt es Übergänge und Mischungen (sog. hybride Bildungen). Zu Konfix, Konfigierung s.obenAbschnitt 2)7 Komposition7.1. DefinitionGrundlage ist die Unterscheidung frei-gebunden. Welche Definitionen sind brauchbar?• Wort+Wort• Konstruktion aus freien Morphemen• Konstruktion aus freien Morphemen oder Morphemkonstruktionen.Problemfall sind jeweils die Komposita mit verbalem Erstglied: Verbstämme. Deshalb besser:• Konstruktion aus Wörtern oder Wortstämmen. Stamm ist definiert als diejenige Form eines Wortes, dieder Flexion zugrunde liegt, also z.B. mit Flexiven verknüpft werden kann.Es bleiben dann noch immer als Problemfälle:− Unflektierbare unikale Morpheme : Him-, Brom-, -gall− Unflektierbare nichtunikale Stämme, sog. ”Konfixe” (z.B. Fleischer/Barz S.26):Stief-, Kosmo-, Bio-, Biblio-, Anglo-, Astro-, Info-, Disko-, Thermo-, -thek: weder Wörter, nochflektierbar; einige Stämme kommen allerdings als Kürzungen frei vor.• Sinnvoll deshalb als zusätzliches Kriterium: kategoriale Bedeutung, so auch Fleischer/B. ebd.,„Lexikalisch-semantische Bedeutung”: Astro-↔ Stern-, Kosmo- ↔ Welt-, -thek-↔ -platz.7.2. Das Determinativkompositum: Formale Eigenschaftena) Binäre Struktur. Dies gilt auch für Fälle wie Einfamilienhaus, Mehrzweckhalle, VollkornbrotKlarsichthülle und für Bindestrich-Komposita wie Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Rhein-Main-Donau-Kanal,Berg-und-Tal-Bahn. Das mehrgliedrige Determinans ist als Wortgruppen-Konstituente aufzufassen (dieallerdings nicht notwendig einer syntaktischen Konstruktion entspricht).Anders zu beurteilen ist in dieser Hinsicht die sog. Zusammenrückung, z.B. Vergißmeinnicht.b) Kopf ist die rechte Konstituente, deshalb „Grundwort”, Determinatum. Das Determinativkompositum isteine „rechtsköpfige” Konstruktion, die Benennung erfolgt nach der Kategorie des Kopfs:Nominalkompositum, Adjektivkompositum usf. Da das Grundwort als Kopf von derselben Kategorie istwie die Gesamtkonstruktion, ergibt sich als Test: das Kompositum als Ganzes kann durch sein Grundwortsubstituiert werden.c) Kategorien der Konstituenten. Es gibt kaum kategoriale Beschränkungen für die Konstituenten:Interjektion+N: Aha-Erlebnis, flektiertes Verb+N: Kann-Kind, Ist-Zustand, usf..d) Akzent: auf dem Bestimmungswort. Der Akzent ist das beste Kriterium zur Unterscheidung vomKopulativkompositum, s.unten. Problem: Diskothek, Allomorph, Thermometer u.dgl. Die Akzentuierungder zweiten Konstituente entspricht dem Akzentmuster der Derivation (!).Seite | 9


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009e) Fuge: Das Fugenelement war ursprünglich das Flexiv eines vorangestellten Genitivattributs: der KinderGeschrei > Kindergeschrei, des Elefanten Rüssel > Elefantenrüssel. Während der ältere Kompositionstypohne Fugenelement einer lexikalischen Kompositionsregel folgt, hat sich der Typus mit Fugenelementaus syntaktischen Attributkonstruktionen entwickelt. Es handelt sich dabei also historisch umUniverbierung, sog. „Zusammenrückungen“. Im Unterschied zur üblichen Analyse behandelt DONALIES(2005) die genitivisch interpretierbaren Formen auch synchron als genitivische Wortformen,Fugenelemente liegen dann nur in Formen wie Zeitungsleser vor, die nicht genitivisch analysierbar sind.Als Fugenelement gelten in jedem Fall auch die Vokale -o- und -i- bei entlehnten Stämmen, z.B. Thermo-stat,Vin-o-thek, Filz-o-kratie, Agr-i-kultur.f) Komplexität / Rekursivität:. Die Bildungsregel ist rekursiv (N > N+N), es gibt keine grammatischeBeschränkung für die Anzahl der Konstitutenten: Tütentütentüte, Zwischenzwischenlager (Atommülllagerin der Nähe eines Atomkraftwerks, in dem der Atommüll gelagert wird, bevor er ins Zwischenlagerkommt, 20. 2. 02 BR).Besonders in Fachsprachen von Recht und Verwaltung: Vertrag, Tarifvertrag, Angestelltentarifvertrag,Bundesangestelltentarifvertrag, ?Bundesangestelltentarifvertragsverhandlungsbeginn7.3. Das Determinativkompositum: Semantische Eigenschaften, Bedeutungsstruktura) Allgemeine semantische Relation: eine Art von x, Determination. Das Grundwort ist (1) syntaktischerKopf der Konstruktion, legt also die syntaktische Kategorie des Kompositums fest, und (2) semantischerKern (= Nukleus), der angibt, um welche semantische Sorte von Gegenständen (Referenzbereich) es sichhandelt. Das Determinatum des Kompositums ist wie beim einfachen Wort zugleich Kopf und Kern, dasDeterminans ist der Modifikator. Zwischen dem Grundwort und dem Kompositum als ganzem bestehteine Hyponymierelation: Kiste ist das Hyperonym zu Holzkiste, Abfallkiste usw. Dem syntaktischenSubstitutionstest entspricht ein semantischer Test: ein Tischtuch ist ein Tuch.b) Beim Typus Adj+N gibt es morphologische Restriktionen, z.B. scheinen adjektivische Derivate alsDeterminans ausgeschlossen (*-lich/-bar/-ig + N). Die Komposita vom Typ N+N kennen nurpragmatische, keine formalen oder semantischen Restriktionen. Die Konstruktion der Bedeutung erfolgtin gleicher Weise wie die Konstruktion von Sinn in Texten, also die Konstruktion von Kohärenz. Es gibtallerdings bevorzugte Konzepte, die auf den kognitiven Grundmustern der Wahrnehmung aufbauen, z.B.(nach Rickheit 1993):Medium: Flötenspiel, Schürhaken, SchlafsandAffiziertes Objekt: Kopfschmerz, Bratwurst,Effiziertes Objekt: Weinanbau, BisswundeFunktion: Kannenkran, KaffeesahneAktor: Schülerfest, Filmheld, KannkindOrt: Gartenbank, Musikzimmer, SeminarschlafDie Interpretation eines Kompositums hängt vom Kontext und vom Weltwissen ab. Auch ohne Kontextgibt es für jedes Kompositum in der Regel eine bevorzugte Lesart:Merkmal von Kanne RelationKannenkran Gewicht: schwer Affiziertes OBJEKT Papierkran, HolzkranKannenstempel Gegenstand/Materie ORT SchulstempelKannenrand Ganzes mit Teilen PART Reisrand, MetallrandKannentransport Gegenstand/beweglich OBJEKT HaustransportKanneneisen Materielles Artefakt MATERIAL BaumeisenKannenmilch Behälter ORT GesichtsmilchKannenmord Schwer MEDIUM (Instrument) Buchmord, VogelmordKannenpresse Artefakt Effiziertes OBJEKT HandpresseKannenzimmer Gegenstand/Größe OBJEKT BalkenzimmerKannengedicht Sache THEMA Schülergedichtc) Wenn möglich, werden Rektionsbeziehungen realisiert. In solchen Fällen spricht man auch von„Rektionskomposita“, d.h. das Grundwort regiert sein Bestimmungswort gemäß einer zugrundeliegenden Rektionsbeziehung. Nach Fleischer-Barz lassen diese Komposita „nur eine Lesart zu”, S.94.• die Zeitung lesen (Verb+Akkusativobjekt)>Zeitungsleser, maschineschreibenSeite | 10


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009• sich vor etwas ängstigen, vor etwas Angst haben (PO)>Zukunftsangst, Sicherheitsstreben• der Zug fährt ab (Subjekt/Agens)>Zugabfahrt, Kindergeschrei• arm an etwas (PO)>abgasarm. Ebenso: steuerfrei, fälschungssicher, selbstzufrieden.Seite | 11


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20097. 4. Typen des KompositumsEine systematische Klassifikation der Komposita ergibt sich nach der Art Benennung, also auf der Basis desreferentiellen Bezugs:(a) Gattung und Differenz (Modifikation, Spezifizierung): endozentrische Determinativkompositaein Buch, und zwar eines mit Bildern > Bilderbuch(b) Konstitutive Teile (additiv): Kopulativkompositaaus Baden und Württemberg bestehend > Baden-Württemberg,medizinisch u. technisch ausgerichtet >medizinisch-technisch(e Assistentin)(c) Charakteristische Eigenschaft (attributiv): Possessivkompositaein rotes Kehlchen habend > Rotkehlchen, eine rote Haut habend > Rothaut(d) Beziehung (relational): präpositionale Rektionskompositavor Mittag > Vormittag, vor der Schule > VorschuleDie Typen (b)-(d) werden exozentrisch genannt, da der Referenzgegenstand nicht „im“ Kompositumbezeichnet wird, das referentielle „Zentrum" vielmehr „außerhalb" des Wortes liegt: x besteht aus A und B, x hatA, x hat die Eigenschaft B(A). Ihr Verhältnis zum Determinativkompositum wird in der Forschungunterschiedlich beurteilt. Neben dem Determinativkompositum kann das Kopulativkompositum (präzisedefiniert, s. unten 6.4.1) als eigenständiger Bildungstyp gelten.7. 5. Kopulativkomposita• Akzent: rot-grün vs. rotgrün.• Semantik bzw. Syntax der Relation: koordinativ bzw. parataktisch: Garmisch-Partenkirchen. Dies giltauch für Fälle wie Nordost (=zwischen Nord und Ost) oder München-Pasing (=München, und zwarPasing). Die Konstituenten sind kategorial und semantisch äquivalent: weiß-blau, nebenbei, Nordost,Baden-Württemberg.• Keine Kopulativkomposita sind demnach Wörter wie Hosenrock, Manteljacke, problematisch ist auchdie Zuordnung von Adjektiven wie dummschlau u.ä.Aufgabe. Welche der folgenden <strong>Wortbildung</strong>en könnte man als Kopulativkomposita klassifizieren:Dichter-Komponist, Waisenknabe, Märchenknabe, Märchenonkel, Kapitänleutnant, Polizeioffizier,Meistersinger, Hamburg-Altona, rotblond, Hans-Peter?7. 6. Sonderfälle und Abgrenzungen(a) PossessivkompositaVom synchronen Standpunkt lassen sich die Possessivkomposita vom Typ Dickschädel, Rotkehlchen,Dreizack am einfachsten als Sonderfall des Determinativkompositums mit metonymischer Bedeutung(Synekdoche, pars pro toto) auffassen. Zu vergleichen wären Fällen wie Der Lodenmantel sog an seinerZigarre (J.R.Becher, zit. Fleischer/Barz), Du Arsch, schieb mal den Blinddarm rüber!Fleischer/B. (S.46) meinen, sie seien: „prinzipiell als Determinativkomposita zu betrachten”, ähnlich unklaräußert sich Erben (68): mit „abweichender Funktion”. Historisch ist der „metonymische" Gebrauchallerdings recht alt oder vielleicht sogar primär, der Ansatz eines eigenen Typus also gerechtfertigt.Auffällig ist die parallele Form der Ableitung von Wortgruppen, vgl. Dreifuß-Tausenfüßler, Rothaut-Dickhäuter. Es handelt sich so gesehen um Ableitungen von Wortgruppen, gegenüber dem expliziten Typusmit -er jedoch implizit. Der Terminus „implizite Ableitung” ist jedoch unpassenderweise für den TypusTrank < trinken gebräuchlich. Möglich wäre auch der Terminus „Nullableitung". Diachronische undsystematische Gesichtspunkte (z.B. Akzent, s.oben) sprechen jedoch dafür, die Zuordnung zur Kompositionbeizubehalten.Aufgabe. Welche der folgenden <strong>Wortbildung</strong>en sind Possessivkomposita: Milchbar,Milchbart, Geizhals, Halskrause, Rotkehlchen, Rotfuchs, Rothaut, Rothaargebirge, Dickhäuter,Dickicht, Dickwanst, Dickdarm, Dickkopf, Dickmilch, Einbaum?.Seite | 12


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009(b) Präpositionale RektionskompositaBei Wörtern wie Vormittag, Übersee handelt es sich diachronisch in den meisten Fällen umZusammenrückungen aus den entsprechenden Präpositionalphrasen: Übersee aus über See, Vormittag ausvor Mittag (Ich komme noch vor Mittag > vormittag > Vormittag), mit Univerbierung durch Inkorporationder regierten Nominalphrase. Im Unterschied zu anderen Zusammenrückungen liegt der Akzent auf demErstglied wie beim Determinativkompositum und bei Partikelverben: 'Übersee vs. über'dies, über'eck,'Vormittag-'Vorzeit-vor'zeiten, vor'einst.Aufgabe. Welche der folgenden <strong>Wortbildung</strong>en sind präpositionale Rektionskomposita:Vorgarten, Vorschule, Sonderschule, Nachtisch, Nachspeise, Vorzeit, Mittag?.(c) Komposita mit nichtnativen Stämmen („Konfixkomposita“)Wörter wie Thermo-stat, Vino-thek enthalten nichtnative Stämme, die aufgrund ihrer Herkunft nicht freivorkommen, sondern nur gebunden als Bestandteile von Lehnwörtern (Bibliothek) oder Analogiebildungen(bibliophil, Infothek). Der für solche gebundenen Stämme vorgeschlagene Terminus „Konfix“ ist zwarungünstig, da er fälschlicherweise einen Zusammenhang mit den Affixen suggeriert, hat sich aberweitgehend durchgesetzt. Die Bestandteile solcher Bildungen sind keine Affixe, sondern lexikalischeStämme, nicht anders als bei nativen Wörtern wie Him-beere, Schwieger-sohn oder Fahr-rad. Es handeltsich also um einen Sonderfall des Kompositums. Vgl. oben Abschn.2.7.7. Textuelle Funktionen der KompositaTextuelle Verdichtung, mit anaphorischem oder kataphorischem Bezug: ”Nominalkomposita lassen sichals Raffungen von mehr oder minder umfachreichen Textsegmenten beschreiben (Weinrich 938).• Geisterpferd, Höhlenforscherrettungsmannschaft• Neuerdings ist zu dieser Fischerei in der Straße von Messina eine andere hinzugekommen und zwar umMalta, und diese Malta-Fischerei auf Schwertfische, is eigentlich eine Zufallsfischerei. Das wird alsoganz einfach alles mit Hand gemacht...(Hörfunk, zit.Erben S.66).• Igelriese (Dürrenmatt, Das Versprechen) „großer Mann, der igelartige Trüffel aus Schokoladeverschenkt“.• Körperfürst (Zauberberg): stilistische Nuancierung.8 Derivation/Suffigierung8.1. Komposition und DerivationDie Derivation ist der zweite Haupttyp der <strong>Wortbildung</strong>. Während bei der Komposition zwei Stämme beteiligtsind, tritt bei der Derivation zum Stamm ein Derivativ. Derivative operieren auf Stämmen und aktualisierenbestimmte Bedeutungsanteile ("semantische Argumente") des Stamms. Da Suffixe und Präfixe unterschiedlichegrammatische Eigenschaften haben, erscheint es sinnvoll, Derivation (im engeren Sinne) als Weiterbildung vonStämmen durch Suffixe zu definieren und die Präfixbildung als eigenen <strong>Wortbildung</strong>styp zu behandeln.8.2. Kopf und KernFür Suffixbildungen gilt grundsätzlich das Prinzip der ”Rechtsköpfigkeit”: die rechte Konstituente, also dasSuffix, bestimmt die grammatische und semantische Kategorie der Gesamtkonstruktion. Suffixe verhalten sichdabei wie lexikalische Einheiten (Determinatum, Grundwort) im Falle der Komposition:DerivationKompositionDeterminatumSuffix:-er: Person, -ung: HandlungStamm:frau, mannDeterminansles-, erzähl-kauf-, putz-Seite | 13


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009KopfKategorie des Kopfs und der KonstruktionSubstantiv Adjektiv VerbStamm: Komposition Geh-weg geh-faul weg-gehenDerivativ: SuffigierungTröpf-chenForm-ungtropf-ig (!)form-bartröpf-el(n)form-ier(en)Der semantische Kern (also der Nukleus) einer Derivation ist die Basis, Kopf und Kern sind also nicht identischwie beim Determinativkompositum:• Derivation: Kern (lehr-) +Kopf (-er)• Determinativkompositum: Modifikator(lehr-)+Kern=Kopf.(-personal)8.3. Suffix oder Stamm: Zur Bestimmung von Affixen(a) Distributionelle Basiskriterien:• Nur in Verbindung mit einem Stamm• In fester Position relativ zu einem Stamm und zu anderen Suffixen.Das Affix ist damit hinreichend von den gebundenen Stämmen, speziell den Verbstämmen abgegrenzt.Kommt die Einheit auch frei vor, entscheidet die Semantik (zig Leute, Urwald). Ein besonderes Problem indiesem Zusammenhang sind die trennbaren Verben und die Bildungen mit „Konfix“.(b) Restriktionen bezüglich der Stammkategorie: begehbar -?gehbar - *bergbar. Dazu unten 8.4 (c).(c) Beschränkte Kombinierbarkeit, keine Rekursivität: *freiheitlichkeithaft, *Tischchenchen, aber:Tütentütentüte(d) Verhalten an der Silbengrenze: Lei-t#ung, Flei-sch#e-r#ei vs. Hühner#-ei.(e) Abstrakte Semantik: „Entkonkretisierung, Verallgemeinerung” (Fleischer). Im Falle von Affixoiden:entsprechende semantische Veränderung des Affixes gegenüber dem Stamm (steuerfrei vs. rückenfrei,Haupt der Bande vs. Hauptbandit).(f) „Reihenbildung”. Typische Eigenschaft von Affixen, manchmal als wichtigste angesehen. Gilt allerdingsnur im Rahmen der jeweiligen Restriktionen: -ette in Sandalette, -ice in Directrice,-chen bei Substantiven usw. Andererseits gibt es häufig benutzte Kompositionsmuster, deren Frequenzmanches Derivationsmuster übertrifft. Also: Reihenbildung ist eine zusätzliches, allerdings prototypischesKriterium.8.4. RestriktionenWährend die Komposition keinen systematischen Beschränkungen unterliegt, ist die Suffigierung durchRestriktionen unterschiedlicher Art und Reichweite gekennzeichnet:(a) sachliche: kein Bezeichnungsbedarf ("Informativität"): ?Flöhin, ?Rieslein, ?unschwanger, ?Tuer,?beginnbar,(b) lexikalische: lexikalisiertes Synonym (”blocking”): ?Stechung/Stich, ?Fahrung/Fahrt, ?besen/kehren,?Reiser/Reisender, ?Armheit/Armut,(c) syntaktische: Kategorie der Basis:-chen bei Substantiven, -ung bei Verben ("deverbal"), -bar beitransitiven Verben (aber: unsinkbar, unkaputtbar); Zielkategorie: be- nur zur Weiterbildung von Verben(d) semantische: ?Sterbung, ?Tuer vs. Nichtstuer, ?Gähnung, !?Rieslein, !?Speiserei vs.Esserei (Erben S.45"stilistische" Beschränkung), ?Erzfreund vs. Erzfeind(e) phonologische: ?Stühllein, ?Bächchen, ?Geanbrülle(f) morphologische: im Unterschied zur Komposition (die laut Duden 1998 S. 409 „rund zwei Drittel desWortschatzes” umfasst) sind die Derivationsregeln nur beschränkt rekursiv bzw. kombinierbar:*Rudererin, Zaubererin, *honigig, *rötlichig, *beverstecken, Gottkeit, Störrischheit,*Geverstecke: nicht bei präfigierter Basis, aber bei trennbarer Partikel: Herumgestehe. Möglich:Versteckerei. Aber: Fremdlingin.(g) historische: Herkunft der Konstituenten (Fremdwort + Fremdaffix).Problem: Welche Restriktionen gehören (wie gewöhnlich im Falle der Syntax) zum Sprachsystem, also zurGrammatik, welche sind als Normbeschränkungen zu beschreiben?Seite | 14


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20099 Präfixbildung1. Präfixe unterscheiden sich von Suffixen grundlegend dadurch, daß sie nicht Kopf der Konstruktion sind,also nicht die Wortart bzw. die kategoriale Bedeutung bestimmen. In dieser Hinsicht ist dieZusammenfassung von Präfigierung und Suffigierung unter dem Begriff Derivation (z.B. im DUDEN)problematisch.2. Präfixe ändern grundsätzlich nicht die Wortart der Basis: schön-unschön, Mut-Mißmut, zahlen-bezahlen.Auch in Fällen wie befeuchten, entgiften ändert die Präfigierung nicht die Wortart, es liegt zusätzlich eineTransposition der Basis vor, also eine kombinatorische <strong>Wortbildung</strong> (vgl. dazu unten Kap. 14). Anders Barz2005:673.3. Präfixe sind teilweise akzentfähig (Missgunst, Unmensch), Suffixe in der Regel nicht (Ausnahme:Fremdsuffixe wie in Lauferei, universal, Philosophie). Die „echten“ Verbalpräfixe wie be- sind jedoch nichtakzentuierbar. Es stellt sich daher die Frage, ob der Typus „Präfigierung“ als homogener <strong>Wortbildung</strong>stypgelten kann.Kein grundsätzlicher Unterschied zur Suffigierung besteht hinsichtlich der Kategorie der Basis (anders:Fleischer). Auch Suffixe verbinden sich mit verschiedenen Basiskategorien: traumhaft, naschhaft, krankhaft.Allerdings ist verbale Basis für die Präfixe be-, ent-, er-, ver-, zer- typisch.10 <strong>Wortbildung</strong> durch Transposition I: KonversionVerwandte bzw. konkurrierende Termini: implizite Derivation, implizite Ableitung, NullableitungWie die konkurrierenden Termini zeigen, kann man die Konversion auch als Sonderfall der Derivation(=Ableitung) auffassen. Die Ableitungsbeziehung bleibt implizit, die Kategorie des Konversionsprodukts ist nuran der Flexionsform bzw. an der syntaktischen Verwendung kenntlich.10.1. Stamm als Basis ("lexikalische Konversion")• VerbstammV > N der Ruf, das Lob, die Schau. Problem: Ableitungsrichtung in Fällen wie Arbeit, Lob, Rast.V > Interjektion ächz, stöhn, seufz, zitter• AdjektivstammAdj > N das Grün, ein Hoch (auf jmdn.), Barock, DeutschAdj > V grün(en), welk-, faul-. Mit Mutierung (Umlaut): röt-, schwärz-, kürz-• NomenN > V film-, salz-, fisch-, frühstück-, hamster-, email-N > Präp dank, trotz, kraftN > Adj ernst, klasse, schuld, orange• SonstigesEin zues Wirtshaus, ein Muß, das Heute, kein Zurück, das Es, eine Sechs.10.2. Flektierte Wortform als Basis ("syntaktische Konversion")• Infinitiv ("Infinitivkonversion"): V > Ndas Lernen, Studieren, Schwimmen• Flektiertes Adjektiv, Partizip I, Partizip II: Adj/Part > Ndie Grünen (ein Grüner, der Grüne), das Schöne, dein Alter, mein GläubigerStudierende, die Reisendenein Abgeordneter, die Angestellten, der Beamte, die Verstorbene10.3. Syntaktische Wortgruppe als Basis.Als syntaktische Konversionen können auch die verschiedenen Fälle der Zusammenrückung bestimmt werden.Durch Univerbierung ergibt sich eine Transposition von einer Wortgruppe zu einem Wort, z.B. auf Grund(=Präpositionalphrase) > aufgrund (=Präposition). Weitere Formveränderungen liegen nicht vor, dasdefinierende Kriterium einer Konversion ist also erfüllt. Vgl. unten Abschn.13 <strong>Wortbildung</strong> mit Wortgruppen-Konstituenten.Seite | 15


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 200911 <strong>Wortbildung</strong> durch Transposition II11.1. „Präfixkonversion“Verben wie bestuhlen, erbleichen, entgräten, verschönern, versacken sind durch Präfigierung und zusätzlicheVeränderung der Wortart, also Transposition, entstanden. Die zugrunde liegenden Stämme sind keine Verben,die Bestimmung solcher Wörter als Präfixbildungen (z.B. Barz 2005) ist deshalb nicht adäquat: einePräfigierung verändert nicht die Wortart.Hinweis: Die Bezeichnung Präfixkonversion (Fleischer/Barz) ist genau genommen irreführend, da keineKonversion im üblichen Sinne des Terminus vorliegt. Dasselbe gilt für den analog gebildeten TerminusPartikelkonversion. Der DUDEN-Terminus „desubstantivische bzw. deadjektivische Präfixderivation“ (Barz2005) enthält wiederum keinen Bezug auf den Prozess der Transposition (Präfixe verändern nicht die Wortart).11.2. „Partikelkonversion“Eine ähnliche Bildungsweise zeigen Verben wie aufgabeln. auftischen, unterbuttern, einsacken (ein = in, vgl.hinein), übervorteilen, übernachten. Der zugrunde liegende nominale Stamm wird wiederum durchTransposition zu einem Verb und erfährt gleichzeitig eine Modifikation, hier nicht durch ein Präfix, sonderndurch eine Partikel (Partikel hier wie im Terminus Partikelverb im weiteren Sinn für unflektierbare Wörter, z.B.Präpositionen). Zugrunde liegt entweder eine Wortgruppe im syntaktischen Sinn wie bei der Zusammenrückung(aufgabeln < auf die Gabel, unterbuttern > unter die Butter), oder auch eine konzeptuell-lexikalischeVerknüpfung wie im Falle der mehrgliedrigen Derivation oder Komposition (Türsteher bzw. Hals-Nasen-Ohren-Arzt). Vgl. dazu unten Kap. 12.Hinweis: Die Bezeichnung „desubstantivisches Partikelverb“ im DUDEN (Barz 2005:1061/1069) erfasstnicht die Tatsache, dass bei solchen Bildungen eine Transposition der Basis vorliegt. Eine Modifikationeiner substantivischen Basis durch eine Partikel ergibt kein Verb, vgl. Auf-wind (Wortart unverändert!)vs. auf-tischen.Systematisch kann man Partikelkonversion und Präfixkonversion im Rahmen eines Modells derkombinatorischen <strong>Wortbildung</strong> beschreiben, vgl. unten Kap.14, im Schema S. 20 D3 und D4.12 <strong>Wortbildung</strong> mit Mutierung (= Stammveränderung)1. Für Weiterbildungen mit Stammalternation, also mit Mutierung des Stamms, wird häufig der Terminus"implizite Ableitung/implizite Derivation" verwendet (z.B. Fleischer/Barz). Soweit die Mutierung dieeinzige formale Änderung der Basis darstellt, handelt es sich um einen ererbten, heute aber unproduktivenBildungstyp mit Ablaut: fliegen-Flug, sprechen-Spruch, schießen-Schuß, werfen-Wurf, greifen-Griff, ziehen-Zug usw.Eine synchrone Analyse der Ableitungsbeziehung ist in solchen Fällen weder möglich noch angebracht. InAnalysen kann man die Stammalternation notieren und eventuell hypothetisch als Derivation rekonstruieren:fliegen ist gegenüber Flug wahrscheinlich primär, also Basis.Im übrigen ist der Terminus "implizit" in solchen Fällen ohnehin nicht angebracht, da ja eine expliziteMarkierung (eben durch Mutierung) vorliegt. Der Terminus "implizite Ableitung" (oder "impliziteDerivation") wäre besser geeignet für die Konversion (und wird gelegentlich auch so gebraucht): hier bleibtder Übergang von einem Wort zum anderen in der Tat implizit, nämlich ohne formale Markierung.2. Für synchrone Analysen wichtiger ist die Mutierung durch Umlaut. Der Umlaut geht zurück auf dieAssimilation eines hinteren Stammvokals an eine -i-oder -j-haltige Folgesilbe im Ahd. Er wurde bei gleichenphonologischen Bedingungen regelmäßig durchgeführt, und zwar unabhängig von der morphologischenStruktur: bei kausativen Verben wie hängen


13 <strong>Wortbildung</strong> mit Wortgruppen – KonstituentenZusammenbildung und ZusammenrückungLauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 200913.1. Zur Terminologie• Wortgruppen als Konstituenten von Weiterbildungen gibt es bei allen Grundtypen der <strong>Wortbildung</strong>: alsDeterminans eines Kompositums, als Basis einer Derivation und als Basis einer Konversion.KompositumSuffigierungKonversionKERN bzw. MODIFIKATORaugenhals-nasen-ohrenabtischdick hautab landgrünrot haut (!?)ab sahneKOPFArztArztwindlererig∅ [Substantiv]∅ [Substantiv]∅ [Verb]Im Unterschied zu anderen Weiterbildungen spielt bei diesen Typen die lexikalische Analogie nur eineunwesentliche Rolle. Welche Wortkombination „zusammengerückt” oder „zusammengebildet” wird, hängtvon textuellen oder konzeptuellen Faktoren ab. Zugrunde liegen häufig realisierte syntaktischeKonstruktionen (damit, infolge, infolgedessen, zeitlebens; vgl. staubsaugen, Vormittag, Übersee), aber auchsachlich begründete konzeptuelle Beziehungen zwischen Lexemen, die keine syntaktische Basis haben(Rhein-Main-Donau-Kanal, Türsteher).• Während bei Wortgruppen-Komposita und Wortgruppen-Derivationen allenfalls die Bezeichnungstrittig ist, gibt es bei der Wortgruppen-Konversion eine Kontroverse, ob man Bildungen wie aufgrundüberhaupt zur <strong>Wortbildung</strong> rechnen soll (z.B. Eisenberg 1, 1998, 225: kein "Gegenstand der<strong>Wortbildung</strong> im eigentlichen Sinne"). Die Entscheidung hängt davon ab, wie man <strong>Wortbildung</strong>, Syntaxund Lexikon abgrenzt. Im folgenden wird davon ausgegangen, daß <strong>Wortbildung</strong> nicht als Komponentedes Lexikons definierbar, sondern ein eigenes grammatisches Modul ist, das sowohl mit der Syntax wiemit dem Lexikon in Beziehung steht. Man kann dabei zwischen paradigmatischer (lexikalischer) undsyntagmatischer (syntaktisch fundierter) <strong>Wortbildung</strong> unterscheiden.Ein starkes Argument für eine solche Sichtweise ist der historisch nachweisbare Übergang vonsyntagmatischer zu paradigmatischer <strong>Wortbildung</strong> bei der Komposition (ynn schaffs kleydern Luther1546 - in Schafskleidern Luther 1552: "Reanalyse" einer Attributkonstruktion als Kompositum).13.2. Typologiea) Wortgruppe als Determinans eines KompositumsLangzeitgedächtnis, Großraumwagen, Fünfganggetriebe, Vorkriegszeit, Einfamilienhaus, Sauregurkenzeit(Erben S. 32f. "Zusammenrückung"), NachhausewegRhein-Main-Donau-Kanal, Hals-Nasen-Ohren-ArztMehrzweck-: -halle, -gerät, möbel, -tischVollkorn-: -brot, -nahrung, -mehl (vs. Roggenschrotsemmel!)Klarsicht-: -hülle, -folie, -packungb) Wortgruppe als Basis einer Derivation (traditionell: "Zusammenbildung", z.B. Erben 31f.)vielgliedrig, rotwangig, übernächtig,neutestamentlich, zweiwöchentlich (vs. wöchentlich!?)Gesetzgeber, Schwarzhörer, Türsteher, Warmduscher, Vorwärtseinparker, Ärmelaufkrempler, Schnellmerker(Stellengesuch JETZT 24/1999)Viersitzer, Fensterheberc) Wortgruppe als Basis einer syntaktischen Konversion (gewöhnlich: "Zusammenrückung")Fleischer/Barz (1992:48f. ) fassen die Zusammenrückung als Wortgruppenkonversion auf, da dasKonversionsprodukt (stets: ein Wort) kategorial verschieden sei von der Konversionsbasis (stets: eineWortgruppe), also definitionsgemäß die Voraussetzung einer Konversion vorliege: Veränderung derKategorie ohne explizite formale Kennzeichnung.Seite | 17


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009d) Sortiert man die Fälle nach der Kategorie der Basis sowie des Konversionsprodukts, ergeben sich folgendeTypen mit syntaktischer Basis:(1) Satz>N ("Imperativische Satznamen")Vergissmeinnicht, Rührmichnichtan, Guckindieluft, Taugenichts, Kehraus, Stelldichein, Fingerzeig,Zeitvertreib(2) Verbalphrase>Ndein ständiges Zuspätkommen (erweiterte Infinitivkonversion)Dankeschön, Habenichts (evtl. auch zu a)(3) Präpositionalphrase > Präpositionaufgrund, anstelle, mithilfe, zugunsten, zulasten, infolge(4) Präpositionalphrase > Adverbwährenddessen, trotzdem, vorzeiten, beizeiten, ohnedieskopfüber, flußauf, tagein - tagaus(5) Adverbphrase>Adverb (d.h. Zusammenrückung einer attributiven Adverbkonstruktion)fortan; dabei, darauf, dazu, damit, daneben usw., worüber, worauf usw.herab, herüber usw., hinauf, hinab usw.(6) Adjektivphrase>NDreikäsehoch, Nimmersatt, Gernegroß, Fußbreit; Magenbitter(7) Nominalphrase>Adverb: jederzeit, heutigentags, derart(8) Nominalphrase>N: VaterunserHinweis: Anders zu beurteilen ist der Typus unterbuttern, aufgabeln. Hier liegt zwar wie bei denZusammenrückungen eine Univerbierung syntaktischer Konstituenten vor, hinzu kommt abersystematisch die Transposition der Basis vom Nomen zum Verb. Der Typus ist deshalb eher derPräfixkonversion anzuschließen, s. oben S. 14.14 <strong>Wortbildung</strong> des VerbsIn der <strong>Wortbildung</strong> des Verbs spielt die Suffigierung nur eine geringe Rolle (stud-ier-, inform-ier-). Typischeverbale <strong>Wortbildung</strong>smittel sind die Präfigierung (be-, ent-, er-, ge-, ver-, zer-, u.a.) und die teils feste, meistaber unfeste Verbindung mit sog. Partikeln“ (auf-, ab-, vor- usw., „trennbare Verben). Aufgrund derTrennbarkeit bzw. des freien Vorkommens dieser Konstituenten ergeben sich vielfältige begriffliche Probleme,eine brauchbare terminologische Regelung fehlt.14.1. Kriterien einer Systematik• Vorkommen des Erstglieds als Wort:Mit diesem Kriterium müßte man Fälle wie trennbares durchfahren, übersetzen und untrennbaresdurchfahren, übersetzen zusammenfassen, da in beiden Fällen das frei vorkommende durch bzw. überzugrunde liegt. Nachteile: die syntaktischen Unterschiede werden verwischt (Trennbarkeit, Betonung), undin vielen Fällen ergeben sich Probleme mit der Bedeutung: sind die trennbaren und die nicht trennbaren„Partikel“ semantisch identisch oder soll man Homonymie annehmen?• Trennbarkeit:Klares grammatisches Kriterium. Die trennbaren „Halbpräfixe” werden mit den anderen trennbarenKategorien zusammengefasst, also mit Präpositionen, Adverbien, Adjektiven oder Substantiven. Man kannvon trennbaren Verbalkomposita sprechen, die einerseits von untrennbaren Komposita wie staubsaugenunterschieden werden, andererseits von den verbalen Präfixbildungen. Nachteil: Untrennbare Einheiten wieum in umfáhren müssen anders behandelt werden, z.B. als Präfixe, obwohl es gleichbedeutende freie Formengibt.14.2. Folgerungen und Vorschläge• Untrennbare Konstituenten:Die untrennbaren Partikelverben kann man aufgrund ihrer grammatischen Eigenschaften den Präfixverbenzurechnen. Neben der Distribution (Untrennbarkeit) ist auch die Intonation dieselbe: umfahren, übersetzenwie befahren, versetzen. <strong>Wortbildung</strong>styp ist also Präfixbildung (bzw. Derivation, wenn man Derivationals Oberbegriff für Suffigierung und Präfigierung verwendet). Um den Zusammenhang mit denentsprechenden freien Wörtern (Präpositionen, Adverbien) zu kennzeichnen, kann man den TerminusHalbpräfix beibehalten oder (mit Altmann/Kemmerling) von "Partikelpräfix" sprechen.Seite | 18


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009• Trennbare Konstituenten:Die trennbaren Partikel (Typus abreisen) verhalten sich grammatisch wie die entsprechenden trennbarenVerben mit Substantiv, Adjektiv oder Adverb (radfahren, kaltstellen, herkommen). In den finiten Formenstehen sie getrennt mit eigenem Wortakzent, in den infiniten Formen ändert sich grammatisch überhauptnichts (Stellung und Betonung bleiben gleich!), doch werden die Teile zusammengeschrieben. Man könntealso das Problem auf die Orthographie reduzieren (zumal angesichts der neuen Regeln!), dagegen sprichtaber die für Wörter typische Lexikalisierung und Idiomatisierung solcher Einheiten. Es liegt also eigentlicheine partielle Zusammenrückung syntaktischer Konstituenten vor, nämlich die Zusammenrückungabhängiger Satzglieder mit dem Verb (Inkorporation). Die Konstituenten werden üblicherweise dortzusammengerückt (und traditionell zusammengeschrieben), wo sie syntaktisch in Kontaktstellung stehen, inden anderen Fällen bleiben sie getrennt.Da der Typus unabhängig von einer syntaktischen Basis durch Analogie produktiv ist (z.B. aufsitzen:absitzen nach aufsteigen : absteigen), sollte man ihn zur <strong>Wortbildung</strong> rechnen. Am besten wäre es, wie beiden „uneigentlichen“ Komposita mit Fugenelement (die ja auch aus Zusammenrückungen entstanden sind!)von Komposition zu sprechen. Die Intonation liegt im Unterschied zu den untrennbaren Fällen auf derersten Konstituente wie beim Determinativkompositum: übersetzen wie Überdruck, abreisen sie Abweg,staubsaugen wie Staubtuch, kaltstellen wie Kaltfront. Je nach Erstglied könnte man dann unterscheidenzwischen einem verbalen Substantiv-, Adjektiv- oder Partikelkompositum.Wenn man den Typus "Partikelverben" nennt, erfasst man entweder nicht den grammatischenZusammenhang mit den gleichartigen Substantiv- und Adjektivfügungen, oder man muss (wie Eisenberg1998/1: 254ff., oder Barz im DUDEN) ad hoc eine übergreifende Kategorie „Verbpartikel" einführen (miteinem gänzlich anderen Partikelbegriff als dem in der Syntax üblichen).Praktischer Hinweis: Trotz dieser Einwände empfiehlt es sich, in Examensaufgaben für alle trennbarenVerben die eingeführten Termini Partikelverb bzw. Partikelverb-Bildung zu verwenden.Trennbare Verbteile (Zusammenrückung, Inkorporation): ÜbersichtSie fährtweil sieSie beabsichtigtSie willRádSubstantivrád gefahren istrád zu fahrenrád fahrenDer Motor läuft...weil der MotorDer M. ist in GefahrDer M. darf nichtheißAdjektivheiß gelaufen istheiß zulaufenheiß laufenIch faxeIch habeIch beabsichtigeIch wollteEr lehnte das FahrradEr hat das FahrradEr beabsichtigt, das F.Er will das FahrradAdverbzurückzurück gefaxtzurück zu faxenzurück faxenPräposition (PP)án án gelehntán zu lehnenán lehnenAufgabe. Ordnen Sie die folgenden Verben den verbalen <strong>Wortbildung</strong>stypen zu und begründen SieIhre Entscheidung: durchtrennen, loslassen, recyceln, layouten, emailen.Seite | 19


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Aufgabe. Beschreiben Sie die Bedeutungen des Präfixes ver- in den gegenwartssprachlichen Verbenverblühen, verzuckern, verbauen, verkalken, versetzen, versagen, verwerfen, verführen.15 Kombinatorische <strong>Wortbildung</strong><strong>Wortbildung</strong> lässt sich als Kombination von fünf grundlegenden Operationen beschreiben (vgl. obenGrundtypen der <strong>Wortbildung</strong>)1. Transposition: Überführung in eine andere syntaktische Kategorie2. Univerbierung: Verknüpfung einer syntaktischen Konstruktion zu einem Wort3. Modifikation: Erweiterung eines Stamms als Kopf/Kern nach links4. Suffigierung: Überführung eines Stamms als Kern in eine Konstruktion mit Suffix als Kopf5. Mutierung: Interne formale Veränderung eines Stamms durch Vokal- oder Konsonantenwechsel.Auf der Basis dieser fünf Operationen kann man sowohl die bekannten <strong>Wortbildung</strong>stypen definieren, als auchsolche Fälle systematisch beschreiben, für die keine einheitliche Benennung existiert, z.B. „Präfixkonversion“oder „Partikelkonversion“ (dazu oben S. 14) oder „kombinatorische Derivation“.Beispiele (die Nummerierung bezieht sich auf die Tabelle S. 20):A 1 Komposita mit Stamm als Determinans bzw. Erstglied(a) Tischtuch, Uni-Fest(b) Videothek (Komposita mit gebundenen nichtnativen Stämmen, sog. „Konfixen“)(c) Kindergeschrei, Sonnenschein (historisch= Typ D2, Inkorporation eines pränuklearen Genitivattributs)(d) rotgrün, Garmisch-Partenkirchen, Nordost, Hans-Peter (Kopulativkomposita)(e) Dickkopf, Arschloch, Fettwanst, Grünschnabel; Dreirad, Fünfzylinder, Neunauge (Possessivkomposita)(f) Vormittag, Übersee, Untertasse (präpositionale Rektionskomposita, historisch=Typ D2d Zusammenrückung)A 2 Komposita mit einer Wortgruppe als Determinans(a) Einfamilien-haus, Fünfgang-getriebe, Viehhalte-plan(b) Boden-Luft-Rakete, Hab-Acht-StellungA 3 Komposita mit inkorporiertem Erstglied(a) einsetzen, ausstellen, abreisen, einparken („Partikelverben“ mit Adverb/Präposition als Erstglied)(b) rad>fahren, kaltstellen, leisetreten, schwarzarbeiten, hochrechnen, haushalten, hohnlachen, ehebrechen,gewährleisten, bergsteigen(„Partikelverben“ mit Adjektiv/Substantiv als Erstglied)(c) hocherfreut, schwerbeschädigt, wassertriefend(d) kennenlernen, sitzenbleiben, stehenlassen, spazierengehen---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------B Präfigierung(a) belegen, erheben, unschön, Mißklang(b) übersétzen, umfáhren („Partikelpräfixverben“ mit frei vorkommende „Halbpräfixen“)---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------C 1 Derivation mit einfachem Stamm als BasisVorles-ung, les bar, inform-ier(en)Zweig-lein, grün-lichC 2 Derivation mit Wortgruppe als BasisGesetzgeber, Türsteher, Frauenversteher, Weltverbesserer, Warmduscher(Nomen agentis)Viersitzer, Fensterheber, Rasenmäher (Nomen instrumenti)unter-schwell-ig, ab-land-ig, ab-seit-ig, über-zeit-lich, über-nächt-ig, rot-wang-ig, viel-gliedr-igC 3 Kombinatorische Derivation mit Präfix und Suffix(a) un-erschütter-lich, un-verrück-bar(b) ver-stein-er(n), ver-knöch-er(n) (zur alten Stammform der Knoch), be-rücksicht-ig(en)(c) Ver-glatz-ung---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Seite | 20


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009D 1 Konversion mit einfachem Stamm als Basis (Transposition eines Worts)(a) das Gute, ein Angestellter, das Italienische, die Reisenden, ein Muss;treffend, eingebildet, aufgeweckt (Wortform als Basis: Syntaktische Konversion)(b) der Schlag, der Ruf, das Rot, Deutsch, Handel


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Operation/MerkmalBildungstypA Komposition (3 Typen)A 1Stamm als Determinans:KanzlerkandidatA 2Wortgruppe als Determinans(DUDEN=Zusammenbildung)ZahnputzglasA 3Inkorporation:kaltstellen, einsitzenB Präfixbildung (1 Typ)B 1zerreißen, Unlustübersetzen, widersprechenC Derivation (3 Typen)C 1Derivation mit einfacherBasis:Schönheit, heutigC 2Derivation mitWortgruppenbasis(=Zusammenbildung)SchriftstellerC 3KombinatorischeDerivationun-aussprech-lichbe-rücksicht-igenD Konversion (4 Typen)D 1einfache Basis(a) syntaktische BasisSchwimmen, Beamter(b) lexikalische Basis:das Rot, Wurf, SchauD 2Wortgruppe als Basis(=Zusammenrückung):VergißmeinnichtD 3"Präfixkonversion"erbleichen, entgrätenD 4"Partikelkonversion"ausufern, abholzen,1. Transpositiondes Kerns— kleinlich— Zweiglein2. Univerbierung 3. Modifikationdes Kerns+UniverbierungdesModifikators+Univerbierungvon Modifikatorund Kern-------------------+ Kleinheit+ +Univerbierungdes Kerns+ Modifikationdurch Stamm+ ModifikationdurchWortgruppe+ Modifikationdurch Stamm+Modifikationdurch Präfix+ — + Modifikationdurch Präfix4. Suffigierungdes Kerns5. Mutierungdes Kerns(fakultativ)+ täglichKälbchenGröße+ einäugig+ unsäglich+ schwärzen+ +Univerbierungdes Kerns+ + Modifikationdurch Präfix+ +Univerbierungvon Modifikatorund Kern+Modifikationdurch StammerrötenSeite | 22


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009In diesem Überblick nicht erfasst ist lediglich der Bildungstyp Kürzung (dazu unten Abschn. 16), nicht erfasstauch die sog. Rückbildung, die sich als Sonderform der Derivation oder Konversion auffassen lässt:Sanftmut < sanftmütig, staubsaugen < Staubsauger, handhaben < Handhabe,bruchlanden < Bruchlandung, bausparen < Bausparvertrag?Nicht erfasst sind ferner solche Formen der Wortschatzerweiterung, die nicht zur <strong>Wortbildung</strong> imgrammatischen Sinn gehören (vgl. oben Abschn. 1):• Reduplikation (u.ä.): Zickzack, ruckzuck, Wauwau• Entlehnung: Computer, Maus, Kopf [einer Konstruktion], Gewissen, Gegenstand• Entwicklung von Homonymen durch Bedeutungswandel: Bank, Schloss, mouse, head• Lautmalerei (Onomatopoetica): kikeriki, Kuckuck• Kontamination und andere Kunstwörter: Liger, Zesel; Haribo, Gas.16 Wortkürzung1. Kurzwörter (unisegmentale K.): Kürzung auf einen morphologischen Teil des Basisworts.• Kopfformen (auch: linksseitiges Kurzwort): Uni, Akku, Foto, Zoo, Auto, Disko, Ober, Öko,Fax


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Menge aller Lexeme ist genau genommen nur sprachhistorisch beschreibbar, da diese Wörter früher gebildetwurden und seitdem mehr oder weniger verändert sein können.• Im Normalfall besteht eine morphologische Konstruktion aus zwei Teilen, ist also binär zu segmentieren:<strong>Wortbildung</strong>sanalyse < <strong>Wortbildung</strong>(s) + Analyse, usw. Dreiteilige Wörter sind in der Regel zweimal binärzu segmentieren (Fahrradschlauchreparatur), oder es eine Konstituente besteht aus einer Wortgruppe(Vierzylindermotor).• Die Konstituenten müssen existieren! Eine Segmentierung, die eine nicht belegbare Konstituente enthält, istfalsch: *Dach-decker.• Gibt es Beschreibungsalternativen, die sich formal nicht entscheiden lassen, kann oft die Semantik denAusschlag geben: fisch(en) < Fisch, und nicht umgekehrt.2. Bestimmung der Flexion.• Wenn dies nicht durch die Aufgabenstellung ausgeschlossen ist, sollte jedes Wort zunächst (im erstenSchritt und in der Regel nur hier!) nach seiner Flexionsform bestimmt werden. Wortformen innerhalbeines Flexionsparadigmas, die kein Flexiv enthalten, heißen auch unmarkiert (z.B. der/dem/den Tisch). DasAdjektiv in adverbialer oder prädikativer Verwendung ist unflektiert.• Beispiel: (dem) Lehrer: Deklination Subst. mask., Dativ Sing., unmarkiert.- (den) teuren (Autos):Deklination Adj. schwache.Flexion, Dativ Pl., Flexiv -en.3. Analyse der <strong>Wortbildung</strong>Erst nach der Bestimmung der Flexionsform folgt die Analyse der <strong>Wortbildung</strong>, und zwar für jedenSegmentierungsschritt getrennt nach drei Gesichtspunkten:(1) <strong>Wortbildung</strong>styp, z.B. Determinativkompositum, Derivation/Suffixbildung, Konversion, usf.(2) Morphologische Beschreibung der jeweiligen Konstituenten (in der Regel zwei, s.o.), z.B. Apfelbäumchen:Grundwort: Bäumchen, Substantiv, Bestimmungswort: Apfel, Substantiv.-Bäumchen: Basis Substantiv Baum, hier in der durch Umlaut mutierten Stammform Bäum- . Suffix(Derivativ) -chen. Keine Transposition.(3) Beschreibung der Motivationsbedeutung: „Paraphrase”Die semantische Paraphrase der <strong>Wortbildung</strong> erfolgt wie die formale Beschreibung für jede Analysestufegetrennt.Wichtig: Die „Paraphrase” soll nicht die aktuelle Bedeutung oder die lexikalisierteGebrauchsbedeutung(en) des Wortes beschreiben, sondern die strukturelle Bedeutung, die seiner Bildungzugrunde liegt (d.h. durch die es motiviert ist: „Motivationsbedeutung“). In der Regel sind die lexikalischenBedeutungen eines Wortes viel spezifischer als seine Strukturbedeutung. Idiomatisierung liegt vor, wennsich die lexikalische Bedeutung nicht mehr aus der Struktur der <strong>Wortbildung</strong>, d.h. aus der Bedeutung bzw.Funktion der Konstituenten + der Funktion der Bildungsregel erklären lässt. In solchen Fällen kann/soll aufeine Rekonstruktion der strukturellen Bedeutung verzichtet werden. Notwendig ist dann die Bemerkung„idiomatisiert”.Beachten Sie bei der Paraphrase unbedingt folgende Richtlinien:Komposition: Die Paraphrase soll(1) die Konstituenten des Kompositums (jeweils in ihrer Wortart!) enthalten,(2) in möglichst allgemeiner Form die semantische Beziehung zwischen ihnen rekonstruieren.Beispiel: Tischtuch: ”Tuch, das den Zweck hat, auf dem Tisch zu liegen” (finale+lokale Relation). WichtigeRelationen sind u.a.: Funktion, Medium (Instrument), Affiziertes Objekt, Effiziertes Objekt, Aktor, Ort, Zeitusw., s. dazu unten Punkt 4 Terminologie.Die Paraphrase durch ein Genitivattribut ist nicht ausreichend, da in einer solchen Konstruktion diesemantische Beziehung zwischen den Konstituenten nicht zum Ausdruck kommt: weder in Kindergeschreinoch in Geschrei der Kinder kommt die Agens-Rolle von Kinder zum Ausdruck!Derivation / Konversion: Die Paraphrase soll(1) die Basis enthalten (möglichst in der zugrunde liegenden Wortart!),(2) die Funktion des Affixes bzw. der Konversion wiedergeben. Beispiel: Les-ung: ”Tätigkeit zu lesen”(Nomen actionis, idiomatisiert).- Häus-chen: ”kleines/nettes Haus” (Diminutiv / Hypokoristikum), Lesen:Seite | 24


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009”Tätigkeit zu lesen” (Nomen actionis).(3) Wichtig ist in jedem Fall, dass in der Paraphrase die Wortart des zu paraphrasierenden Wortes zumAusdruck kommt! Also nicht durch Sätze paraphrasieren, z.B. für Lesung *“jemand liest etwas“ oder fürSchönheit *“etwas ist schön“!4. Terminologie zur Beschreibung der strukturellen Bedeutung komplexer WörteragentivBienenhonig. Dichterlesung, Säugetier(s. auch Nomen agentis. Als syntaktische Funktion typischerweise Subjekt)augmentativ Hochgenuß, Vollgas, Riesenfreude, Höllenkrach, Bullenhitze, Bombenrolle, endgeildiminutiv Kindchen, Männlein, kränkeln, Minirockdurativkränkelnfaktitiverhellen, zermürben,finalFischmesser, Kleiderschrank, Strandanzug, wasserdichtkausalSchmerzensschrei, Niespulver, regenfeuchtgraduativ blutjung, heilfroh, uralt, saubillig, superleicht, hypermodernhyponymisch Walfisch, Tannenbaum, Seidenstoffidentifikativ s. hyponymischinchoativ einschlafen, entbrennen, erklingeninstrumental Merkblatt, handgeschrieben, brieflich, Wecker, Hebel, telefonierenintensivierend befragen, verfolgeniterativGebelle, hüsteln, tröpfelnkausativbegradigen, verunreinigen, einschläfernkollektiv Menschheit, Lehrerschaft, Bürgertum, Laubwerk, Rechtswesen, Gebirgekomparativ Kugelfisch, Mondgesicht, grasgrün, löwenhaft, lehrbuchmäüig, närrisch, affig, monströs,monumentalkonsekutiv siedeheißkopulativ rotgrün, Nordost, Garmisch-PartenkirchenlimitativSehvermögen, denkfaul, lebensfremd, schulisch, ärztlich, verkehrsmäßig, finanzielllokalNomen lociBierfass, Büroarbeit, augenkrank, knietief, ofenwarm, seiltanzen, auslaufen, Aufwind, Schmiede,Gärtnerei, GefängnismaterialHolzfass, Blumenstrauß, holzgeschnitzt, golden, blechernmensurativ kilomerlang, tonnenschwermodalSilberstreif (s. auch komparativ)moviertStudentin, GänserichNomen acti Schwellung, ErzeugnisNomen actionis Behandlung, Lauferei, Pflege, Gesang, Reparatur, SchwimmenNomen qualitatis Schönheit, FanatismusNomen agentis Dichter, Lehrling, Wüterich, Dirigent, BibliothekarobjektivVolesungsverzeichnis, Umhängetasche, Brathering, danksagen, Lohnverzicht,steuerfrei, fälschungssicher (evtl. als zugrundeliegende Valenzbeziehung: Objekt)ornativDeckelvase, bekleiden, motorisieren, bebrillt, glücklich, tückisch, waldigpartitivBaumwurzel, Tischfuß. München-Pasing (s. kopulativ)pejorativ Getue, Gehämmere, Singereiperfektiv, resultativ erarbeiten, verheizen, ausheilen, zerdrücken, begradigen, mattierenpossessiv Gemeindewald, Rotkehlchen, Dickkopfprivativ, reversativ entkleiden, desinfizieren, schälen, sinnlos, unweit, asozial, inaktiv, dezentral, antidemokratischprohibitiv Beißkorb, Fliegengitterqualitativ, Schönwetter, Blaulicht, hellblau, glatthobeln. (s. auch Nomen qualitatis)prädikativresultativ s.perfektivsoziativMitschüler, mitmachentemporal Montagsauto, Abendessen, Sendetermin, nachtblindthematisch <strong>Wortbildung</strong>sseminar, BedeutungslehreVgl. auch Eichinger 2000 : 118-120, Altmann-Kemmerling 2000.Seite | 25


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20095. Zur Form der AnalyseDie Form der <strong>Wortbildung</strong>sanalyse ist nicht festgelegt. Es empfiehlt sich jedoch, die Erklärungen zustandardisieren, z.B. anhand des oben vorgeführten dreiteiligen Schemas und eines Baumdiagramms derKonstituentenstruktur.Beispiel (1)Vorlesungsverzeichnisse(Die Vorlesungsverzeichnisse sind fertig)Flexion: Substantiv-Deklination (stark), Nom.Plur.Neutr., markiert durch Flexiv -e, mit Doppel-schreibung von zur Kennzeichnung des stimmlosen [s] bzw. des Silbengelenks (geschlossene Silbe nis mit kurzem i, urspr.mit Nebenton).<strong>Wortbildung</strong>Vorlesungverzeichnis1 Vorlesung(s) Verzeichnis2 vorles- ung3 vor- les-5 ver- zeichn-4 verzeichn- -nis6 zeichen1. Vorlesung(s)+Verzeichnis(a) Bildungstyp: Determinativkompositum N+N(b) Konstituenten: Grundwort (Determinatum): Verzeichnis, Nomen. Bestimmungswort (Determinans):Vorlesung, Nomen. Fugenelement: -s(c) Paraphrase:"Verzeichnis für Vorlesung(en)"2. Vorles+ung(a) Derivation/Suffigierung, mit Transposition V>N(b) Basis: Verbstamm vorles-, Suffix: -ung(c) hier Nomen acti: "etwas, das vorgelesen wird" oder "Ergebnis der Handlung vorlesen"; sonst: Nomenactionis, „Handlung vorzulesen“3. vor-lesen(a) Partikelverb-Bildung (oder: Partikelkompositum)(b) Basis: lesen, Partikel (=Modifikator): vor. Kein Präfix, da in gleicher Bedeutung auch frei vorkommend.(c) „vor (jemandem) lesen“4. Verzeich(n)+nis(a) Derivation/Suffigierung, mit Transposition V > N(b) Basis: Verbstamm verzeichn-, Suffix: -nis, mit Verschmelzung (Assimiliation) der beiden Nasale(c) "Ort, an dem etwas verzeichnet ist", Nomen loci, oder "etwas, das verzeichnet worden ist", Nomen acti5. ver+zeichnen(a) Derivation/Präfigierung(b) Basis: Verb zeichnen, Präfix: ver-(c) idiomatisiert, ursprünglich wohl perfektiv (eine Handlung zum Abschluss bringen)6. zeich(e)n- V < Zeichen N(a) Konversion N > Verb(b) Basis Nomen Zeichen, mit Elision (Synkope) des unbetonten -e- im zugrunde liegenden Stamm vonZeichen(c) "Zeichen machen", idiomatisiert.Seite | 26


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Auch unterschiedliche Darstellungen in Form eines Kastendiagramms sind möglich.Beispiel (2): Bekanntmachung1. Derivation/Suffigierung V > N bekanntmach(en) + -ungBasis: Verbstamm + SuffixNomen actionis, „Handlung bekanntzumachen“2. Zusammenrückung Adj/Partizip + Verb > V bekannt (Adj) + machen (V)(Inkorporation eines Objektsprädikativs)„etwas bekannt machen“3. Flexion: Partizip II bekenn- + -t (+ Mutierung : Vokalwechsel)4. Präfigierung/Präfixverb V > V be- + kennenPräfix + Basis Verb(stamm)Idiomatisiert, keine Paraphrase möglichEine Kopiervorlage weiterer Analysebeispiele befindet sich im Ordner LAUFFER in der Infothek!Teil IV. Theoretische Aspekte der <strong>Wortbildung</strong>1. <strong>Wortbildung</strong>, Syntax und LexikonDie <strong>Wortbildung</strong> ist ein Teilbereich („Modul“) der Grammatik. Sie hat systematische Beziehungensowohl zum Lexikon wie zur Syntax.(1) Der transformationelle Ansatz der <strong>Wortbildung</strong> nahm an, dass <strong>Wortbildung</strong> als Teilmodul derSyntax konzipiert werden muss. Als empirischer Grund wird angeführt, dass <strong>Wortbildung</strong>sregelnsyntaktische Eigenschaften berücksichtigen müssen. Solche Fälle sind z.B.:• „Syntagmatische“ <strong>Wortbildung</strong>:Die Bildung geht auf eine syntaktische Form zurück, und war auf ein einzelnes flektiertes Wortoder auf eine syntaktische Konstruktion (Phrase oder Satz). Es entsteht dabei kein potentiellproduktives Muster, da die Prägung von der besonderen syntaktischen Verknüpfung derKonstituenten abhängt. Manche Autoren rechnen diesen Typus deshalb nicht zur <strong>Wortbildung</strong>.Allerdings kann der univerbierte Konstruktionstyp so häufig zusammengerückt werden, dassdaraus ein paradigmatisches Bildungsmuster hervorgeht. Beispiele sind die "uneigentlichen"Komposita, die sprachgeschichtlich auf die Zusammenrückung von Attributkonstruktionenzurückgehen, oder die verbalen Bildungen vom Typ wiedersehen, kaltstellen (mit Inkorporationeines Adverbials oder Objektsprädikativs).• Typus starker Raucher: ist nur mit Bezug auf Syntax zu erklären.• Steigerung nicht lexikalisierter Adjektive auf -bar: nur durch syntaktische Mittel: *Diese Tapeteist abwaschbarer als jene, nur: Diese T. ist besser abwaschbar / kann besser abgewaschenwerden. Umgekehrt nicht möglich: ist sauberer, aber: *ist besser sauber.• Verbalabstrakta: Steuereinzug durch das Finanzamt : der Einzug der Steuern durch dasFinanzamt : das Finanzamt zieht Steuern ein. Ähnlich:• Täterbezeichnungen: der Schreiber dieser Zeilen, der Fahrer des Busses: „Argumentvererbung“.• Allgemein: Möglichkeit einer syntaktischen Paraphrase: Hundehütte : Hütte für einen Hund.• Ambiguität von <strong>Wortbildung</strong>s-Konstruktionen kann als Ambiguität syntaktischer Basisstrukturen(„Tiefenstrukturen“) erklärt werden: Täterbeschreibung wie Beschreibung des Täters.Seite | 27


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009• Theoretische Folgerung wäre: die regelhafte <strong>Wortbildung</strong> ist Teil der Syntax. Dagegen wirdeingewandt, dass der transformationelle Ansatz ist zu stark ist. Probleme z.B.: Unterschiede inder Produktivität, z.B. Lücken in Bildungsmustern, Unterschied zwischen okkasionellen undusuellen Bildungen, semantische Unterschiede zwischen hypothetischer syntaktischer Basis undWort: Schreibmaschine vs. Maschine [zum] Schreiben, Fahrrad vs. Rad [zum] Fahren, Lehrer[+habituell] vs. einer, der lehrt.(2) Im neueren, „lexikalistischen“ Ansatz wird <strong>Wortbildung</strong> als modularer Teil des Lexikons oderals eigenes Modul konzipiert. Wahrscheinlich sind zwei Module anzunehmen, wobei das ersteModul die allgemeinen Regeln für mögliche Wörter enthält, also die Regeln der paradigmatischen<strong>Wortbildung</strong>, und das zweite als Filter fungiert für die Aktualisierung nach Mustern, also für dietatsächlich aktualisierten Analogiebildungen mit ihren semantischen und pragmatischenRestriktionen.(3) Das wichtigste Argument für die Filterfunktion von Analogieprozessen sind die üblichensemantischen Restriktionen bzw. die semantisch beschränkte Reihenbildung wie z.B. beim Typfleckig, schmutzig, ölig, dreckig, staubig („Vorhandensein von Gegenständen an anderenGegenständen“, gegenüber *knopfig, *taschig),u.ä.Das Analogiemodul dürfte auch zuständig sein für neue Wörter, die außerhalb produktiver Musternach dem Vorbild analysierbarer lexikalisierter Wörter entstehen. Gemäß dem modularenGrammatikkonzept, das eine Interaktion zwischen den autonomen Modulen vorsieht, muß aber mitRückwirkungen der analogischen Wörter auf das Regelsystem gerechnet werden. Nicht zwingendist die Annahme zweier verschiedener Analogietypen. Die Analogiebildung bei Fällen wieHausmann, Vorschußbrennesseln, Arbeitsbegräbnis oder Geisterpferd („lexikalische Analogie“)ist strukturell gleichartig mit dem Fall erbauen : Erbauer → zerstören : Zerstörer („grammatischeAnalogie“).(4) Im Rahmen eines lexikalistischen Ansatzes lässt sich der Prozess der paradigmatischen<strong>Wortbildung</strong> als Nachbildung lexikalisierter <strong>Wortbildung</strong>sprodukte beschreiben. Die Nachbildungberuht auf lexikalischen Einheiten (Wörtern, Stämmen, Affixen) und Relationen zwischen diesenEinheiten, wie sie im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind. Im folgenden werdenunsystematisch einige Aspekte dieses Ansatzes genannt(a) <strong>Wortbildung</strong>sregeln können nicht den Anspruch erheben, den kognitiven Prozess derProduktion neuer Wörter abzubilden. Neue Wörter werden nicht nach Regeln gebildet, sondernnach Mustern, z.B. drucken → Drucker, kopieren → Kopierer wie bohren : Bohrer, radieren :Radierer usw. Je mehr solche Muster im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind, desto eherkönnen sich Neubildungen anschließen. Man sagt dann: desto produktiver ist die<strong>Wortbildung</strong>sregel.(b) Die Nachahmung umfasst in der Regel alle Aspekte des Musters, z.B. Kategorie der Basis +Bedeutung der Basis + Suffix → Form + Bedeutung der Gesamtkonstruktion:machen : machbar, lesen : lesbar, kopieren : kopierbar = faxen : Xkopier-+-er : Kopierer = "Gerät zum Kopieren" → fax-+-er : Faxer="Gerät zum Faxen"ein-nehmen : Ein-nahme → in Betrieb nehmen : Inbetriebnahme (*Nahme!, ahd. nâma).Die Analogiebildung kann darüber hinaus ganz spezielle Gebrauchsbedingungen undBedeutungsaspekte des Musters übernehmen:Fahrer (auf der Autobahn...) : Geisterfahrer → Pferd auf der Autobahn..: X(c) Traditionell spricht man nur dann von Analogie, wenn ein einzelnen Muster (z.B. beiGeisterpferd) zugrunde liegt. oder wenn sich eine regelhaft erwartbare Form an ein anderesMuster angleicht (z.B. in der Flexion: mhd. ich reit, wir riten → nhd. ich ritt, wir ritten). DerBegriff der <strong>Wortbildung</strong>sregel lässt sich jedoch allgemein auf der Basis des Analogiebegriffsdefinieren: eine produktive Regel liegt dann vor, wenn Analogiebildungen auf eine Mengegleichartig analysierbarer lexikalisierter Wortpaare zurückgreifen können.Seite | 28


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009(d) Die Nachbildung kann sich aber auch in einzelnen oder mehreren Merkmalen vom Musterunterscheiden, indem z.B. Kategorie oder Bedeutung der Basis abweichen, indem semantischverwandte Präfixe oder Partikel substituiert werden oder in einer Ableitungskette einursprünglich verbindendes Glied übersprungen wird:Bi(gamie) : Mono(gamie) = Bikini : Xaufsteigen : absteigen = aufsitzen : Xbefahren (transitives Verb) : befahrbar →fahren (intrans. Verb) : fahrbar.(e) Wenn solche abweichende Bildungen wiederum nachgeahmt werden, kann durch häufigeMusterwiederholung ein neuer Bildungstyp entstehen:∅ legen be-legen (entlegen)Fall fallen befallen entfallenKleid kleiden be-kleiden ent-kleiden (Ornativa u. Privativa)Stuhl ∅ be-stuhlen !ent-stuhlenSchmutz ∅ be-schmutzen !ent-schmutzenGräte ∅ ∅ ent-gräten („Präfixkonversion“)Staub ∅ ∅ ent-stauben⇓Holz ∅ ∅ ab-holzen („Partikelkonversion“)Gras ∅ ∅ ab-grasen----------------------------------------------------------------------------------------------------------------stark stärken ver-stärken Verstärk-ung (Resultativa, Faktitiva)besser bessern ver-bessern Verbesserungspät ∅ ver-späten Verspät-ung⇓Holz ∅ ver-holzen Verholz-ungKnoche(n) ∅ ver-knöch-er-n Verknöcher-ungSteppe ∅ ver-steppen Verstepp-ungGlatze ∅ ∅ Verglatz-ung (SZ)------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------∅ stark stärken be-stärk-enNachteil nachteil-ig ∅ be-nachteilig-enRücksicht ∅ ∅ be-rücksicht-ig-en (Präfix-Suffix-Derivat.)(f) In gleicher Weise kann man auch die sog. Rückbildungen zu erklären:Mut ⇒ mutigHochmut ⇒ hoch#müt-ig⇓Sanftmut ⇐ sanft-mütig(g) Man sagt, eine Regel (d.h. ein <strong>Wortbildung</strong>styp) sei produktiv, wenn nach diesem Muster neueWörter gebildet werden, und man unterscheidet nach der Häufigkeit solcher Weiterbildungensogar Grade von Produktivität. Im Grunde ist aber jede einigermaßen transparenteLexikoneinheit ein potentielles Analogiemuster:reden : Rede, fragen : Frageschreiben → die Schreibe, machen → Mache, anmachen → Anmachedenken → die DenkeSeite | 29


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20092. Diachronie der <strong>Wortbildung</strong>stypen<strong>Wortbildung</strong>stypen sind Produkte des Sprachwandels. Die Entwicklung geht im Deutschen inhistorischer Zeit von analytischer zu synthetischer Ausdrucksweise. Aus syntaktischen Konstruktionenentstehen durch häufigen Gebrauch und Funktionswandel Wörter, Teile von Wörtern entwickeln sichzu Affixen:1. Wortgruppeder Riesen Lärm, *fruht bâri ("Frucht tragend")Semantische Spezialisierung, Idiomatisierung⇓2. Zusammenrückung/Inkorporationder stete Riesen Lärm, fruhtbære⇓3. Kompositum:der RíesenlärmSemantische Generalisierung, Grammatikalisierung]⇓⇓4a. Präfixbildung 4b. Suffixbildungder RiesenlärmfruchtbarIn Phasen des sprachlichen Wandels herrscht synchronisch Unsicherheit über die Kategorisierung, wassich in Termini wie Präfixoid, Suffixoid oder Halbpräfix, Halbsuffix ausdrückt. Übergänge zwischengrammatischen Kategorien sind aber sprachgeschichtlich eine ganz normale Erscheinung. Einesynchronische Beschreibung muss dem Rechnung tragen, indem sie solche Übergänge nicht durchstarre Begriffe "wegargumentiert". Man sollte grammatische Kategorien besser im Sinne derPrototypen-Semantik verstehen, also mit Kern, Rand- und Übergangszonen zur benachbartenKategorie.Seite | 30


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009Teil V. Flexionsmorphologie1. Flexion des Verbs: Partizip IIstark: Flexiv –enschwach: Flexiv –t/-etInitialsilbe betontge- vor Stammeinfaches Verbohne Präfixich fahre > bin ge-fahr-enich sage > habe ge-sag- trede > ge-red-etrechne > ge-rechn-etkomplexes Verbohne Präfix (Kompositum)staubsauge>ge-staubsaug-tliebäugle > ge-liebäugel-thohnlächle>ge-hohnlächel-tnichtnatives einfachesVerb__________faxe > ge-fax-tforwarde > ge-forward-etPartikelverbmit trennbarem Verbteilnichtnatives Partikelverbfahre um > um/ge-fahr-ennehme teil >teil/ge-nomm-enlasse los > los/ge lass-en__________setze über > über/ge-setz-tsauge staub(?)>staub/ge-saug-tlerne kennen>kennen/gelern-tfaxe durch > durch/ge-fax-tloade down>down/ge-load-etdate up > up/ge-dat-et (!?)Initialsilbe nicht betontPräfixverbbefahre > befahrenmissfalle > missfallenohne gebesetze > besetztPräfixverbmit trennbarem Verbteilerstehe auf > auf/erstandengestehe zu > zu/gestandenbereite vor > vor/bereiteterkenne zu > zu/erkanntnichtnatives Verb mittrennbarem Verbteil__________formuliere aus>aus/formulierttefoniere ab > ab/telefoniert„Partikelpräfix“verb,mit untrennbarem Verbteilnichtnatives Verbohne Inititalakzentumfahre > umfahren__________übersetze > übersetztstudiere > studiertinformiere > informiertSeite | 31


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20092. Die Ablautklassen der starken Verben1. Gruppe: Kriterium Stamm-VokalKlasse 1 Stammvokal germ i: mhd. î-ei, nhd. Präs. ei – Präteritum i1a rîten-reit-riten-geriten1b lîihen-lech-lihen-gelihen. Sonderfall: Prät.Sing. ê (germ.ai>ê vor r,h,w)Klasse 2 Stammvokal germ. u: mhd. Prät. ou-ô, nhd. Präs. ie, Präteritum o2a biuge/biegen-bouc-bugen-gebogen2b biute/bieten-bôt-buten-geboten2. Gruppe: Kriterium Stamm-KonsonantKlasse 3 Sonant+Konsonant nach Stammvokal binden, helfen3a Nasal gebunden3b Liquid geholfen, gewordenKlasse 4 Sonant nach oder vor Stammvokal: nemen, brechen, sprechenDazu mit h nach Stammvokal: vehten, vlehten, stechenKlasse 5 Obstruent nach Stammvokal: geben, wesen, bitten3. Gruppe: Kriterium a-b-b-a, mit b=uo (VI) und b=ie (VII)Klasse 6 Präteritum uo, nhd. utragen-truoc-truogen-getragenKlasse 7 Präteritum ie, nhd. , unterschiedliche Stammvokale im Präsenshalten-hielt-hielten-gehalten (a+l+Kons)hâhen (schwach: sieden, weben, backen, spaltenReste alter Formen• Päteritum Sing. ward neben wurde ~wurden• Grammatischer Wechsel: fliehen-flog/geflogen, ziehen-zog/gezogen, schneidenschnitt/geschnittenDas Verb seinDrei Stämme1. Idg. *es-/*s-: ist, sint2. Idg. *bheu-/*bhu-: lat. fui, gr. physis, mhd. bin, bis(t), birn, birt (verschmolzen mit Wurzel *es-. DerAuslaut n < -m ist Flexiv, vgl. lat. sum. Verwandt: bauen.3. Die Suppletivformen im Präteritum gehören zum starken Verb wesen, Klasse V (davon sonst nur nochInfinitiv wesen und Imperativ wis!, heute noch: das Wesen, anwesend/abwesend).Seite | 32


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20093. Flexion des AdjektivsPronominale FlexionDIES ERDIES ESDIES EMDIES END ERD ESD EMD ENDIES EDIES ERDIES ENDIES EDIES E DI EDIES ER D ERDIES ER D ERDIES E DI EDI ED ERD ENDI EDIES ES DA SDIES ES D ESDIES EM D EMDIES ES DA S-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------STARKE ADJEKTIVFLEXION: Kein Artikel.Bei manch, solch, mehr und Kardinalzahlen (pronominale, „determinierende“ Flexion).GUT ER RAT HEIß E NACHT KALT ES GETRÄNKGUT EN RAT ES HEIß ER NACHT KALT EN GETRÄNK ESGUT EM RAT HEIß ER NACHT KALT EM GETRÄNKGUT EN RAT HEIß E NACHT KALT ES GETRÄNKHEIß E TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEHEIß ER TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEHEIß EN TAGEN/NÄCHTEN/GETRÄNKENHEIß E TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKESCHWACHE ADJEKTIVFLEXION: Adjektiv-Flexive nur –e und -enBei der, dieser, jener, derselbe, jeder („nominale, attribuierende“ Flexion).D ER GUTE RAT DI E HEIßE NACHT DA S KALTE GETRÄNKD ES GUTEN RATS D ER HEIßEN NACHT D ES KALTEN GETRÄNKD EM GUTEN RAT D ER HEIßEN NACHT D EM KALTEN GETRÄNKD EN GUTEN RAT DI E HEIßE NACHT DA S KALTE GETRÄNKDI E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKED ER HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKED EN HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEDI E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEGEMISCHTE ADJEKTIVFLEXION: Nominativ teilweise stark mit Flexiv -erBei ein, mein, keinEIN -- GUT ER RAT EIN E HEIß E NACHT EIN -- KALT ES GETRÄNKEIN ES GUT EN RATS EIN ER HEIß EN NACHT EIN ES KALT EN GETRÄNKEIN EM GUT EN RAT EIN ER HEIß EN NACHT EIN EM KALT EN GETRÄNKEIN EN GUT EN RAT EIN E HEIß E NACHT EIN KALT ES GETRÄNKKEIN E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEKEIN ER HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEKEIN EN HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKEKEIN E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKESeite | 33


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 20094. Flexion des SubstantivsGrundregel 1 „gemischte“ Feminina: Frau, Katze; Suffixe -heit, -keit, -schaft, -in, -ungSingular ∅ Frau, Katze „stark“: ∅ (d.h. ohne Flexiv)Plural en/n Frau-en, Katze-n (zur e-Tilgung s.u.) „schwach“: nur Flexiv -(e)nGrundregel 2 „starke“ Maskulina/Neutra: Tag, Jahr; Suffixe: -er, -ling, -chenSingular Gen. (e)s Tag-(e)s, Jahr-(e)s, Auto-s, PKW-sDat (e) Tag(e), Jahr(e)Plural e NormalfallTag-e, Jahr-e (zur e-Tilgung s.u.);mit Umlaut: Gäst-e, Stühl-e (alte -i-Stämme ahd. gasti>Gäste)serSonderfall: mehrsilbig, voller Auslautvokal, d.h. kein SchwaAuto-s, Opa-s, LKW-sFlop-s, Prof-s (Fremdwort/Kurzwort)Sonderfall er-Plural, keine synchronische Regel. Bei hinteremStammvokal immer Umlaut (-er < ahd.-ir): Kinder, Wälder; Suffix –tumMaskulina: Wälder, Sträucher, Würmer; GeisterNeutra: Wörter, Hühner, Kälber; Bilder, KinderZusatzregel: e-Tilgung im Plural:Ein e (Schwa) im Pluralsuffix wird getilgt, wenn die Endsilbe eines mehrsilbigen Stamms einSchwa enthält. Bei den Maskulina und Neutra entfällt damit regelhaft das Suffix –e, diePluralform erscheint ohne Markierung.FemininaFreude > Freude--nFeder > Federn--nRegel > Regel--nMaskulina/Neutra: Getriebe > Getriebe--Bohrer > Bohrer--, Eimer > Eimer--, Lehrer > Lehrer--Meisel > Meisel--, Esel > Esel--Wagen > Wagen--, Garten > Gärten—Die Schwa-Tilgung findet sich auch beim e-Plural der starken Feminina, s.unten Sonderfall (2).-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------2. Sonderfall „gemischte“ Maskulina/NeutraSingular stark (e)s Staat-es, Auge-s, See-sPlural schwach (e)n Staat-en, Auge-n, See-n3. Sonderfall „schwache“ Maskulina:Singular + Plural schwach: –(e)n: Löwe, Drache, Bär („Typus Löwe: schwach“), ferner beinichtnativen Suffixen: -ant, -ent, -and, -ient, -ist, -ast, -at, -et, -it, -ot ,-nom, -loge u.a.Singular Gen.Dat.Akk. (e)n des Löwe-n, Bär-en, Demonstrant-en, Student-en, Klient-enPlural (e)n die Löwe-n, Bär-en, Demonstrant-en, Student-en, Klient-en4. Sonderfall „starke“ Feminina: Mäuse, Töchter („Typus Maus: stark“)Singular ∅, Plural –e, bei Typ (1) und (2) nur mit Umlaut, Stammvokal a, o, u, au(1) Singular ∅, Plural –e: Maus, Laus, Gans, Kuh; Luft, Lust, Brust, Kunst, Kraft, Not(2) Singular ∅, Plural ∅ (Schwa-Tilgungsregel, s.o.): Mutter, TochterSeite | 34


Lauffer PS <strong>Wortbildung</strong> SS 2009(3) Singular ∅, Plural -s (zweisilbig, voller Auslautvokal): Oma, Bar, ProfSeite | 35

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