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Band 1 – Sutra - Moderner Buddhismus

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<strong>Moderner</strong><strong>Buddhismus</strong>Der Wegdes Mitgefühlsund der WeisheitGeshe Kelsang Gyatso<strong>Band</strong> 1 <strong>Sutra</strong>


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>


Von Geshe Kelsang Gyatso sind folgendeBücher im Tharpa-Verlag erschienen:Allumfassendes MitgefühlEinführung in den <strong>Buddhismus</strong>Das neue MeditationshandbuchHerzjuwelHerz der WeisheitDen Geist verstehenFreudvoller Weg des GlücksSinnvoll zu betrachtenAcht Schritte zum GlückVerwandle dein LebenDas klare Licht der GlückseligkeitWie wir unsere Probleme lösenFührer ins DakinilandMahamudra-TantraDiese digitale Version wurde kostenlos vom Autor für das Wohl derMenschen in unserer modernen Welt angeboten.Gewinne aus dem Verkauf diesesBuchs in anderen Formaten sind demNKT-IKBU Fond desInternationalen Tempelprojektsgewidmet, entsprechend den Vorschriften in Ein Geld-Handbuch[eingetragene Vereinsnr. 1015054 (England)]Ein buddhistischer Verein, der für den Weltfrieden baut.www.kadampatemples.org


Geshe Kelsang Gyatso<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>DER WEG DES MITGEFÜHLSUND DER WEISHEIT<strong>Band</strong> 1 von 3SUTRATharpa-VerlagDeutschland • Schweiz


Titel des Originals: Modern BuddhismDeutsche Erstveröffentlichung 2011Erstveröffentlichung dieser digitalen Edition: 2011Diese ebook-Version von <strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong> - <strong>Band</strong> 1: <strong>Sutra</strong>von Geshe Kelsang Gyatso steht unter einerCreative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.Einige Rechte vorbehalten.Sie dürfen das Werk bzw. den Inhalt vervielfälltigen, verbreiten undzu folgenden Bedingungen öffentlich zugänglich machen:Namensnennung - Sie müssen Geshe Kelsang Gyatso als den Autor/Rechtinhaber des Werks in der von ihm festgelegten Weise nennen;Keine kommerzielle Nutzung - Dieses Werk bzw,. dieser Inhalt darfnicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden;Keine Bearbeitung - Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nichtbearbeitet, abgewandelt oder in anderer Weise verändert werden.Genehmigungen, die über die Bestimmungen dieser Lizenzhinausgehen, werden vonNeue Kadampa-Tradition - Internationale Union des Kadampa-<strong>Buddhismus</strong> verwaltet.Tharpa-Verlag DeutschlandSommerswalde 8D-16727 OberkrämerTharpa Publications betreibt Büros weltweit. Tharpa-Bücher werden inden meisten Weltsprachen veröffentlicht. Siehe<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong> - <strong>Band</strong> 3: Gebete für die tägliche Praxisoder besuchen Sie www.tharpa.com, um Näheres zu erfahren.© Neue Kadampa-Tradition <strong>–</strong>International Union des Kadampa-<strong>Buddhismus</strong> 2011ISBN 978-3908543-43-5 - Adobe Portable Document Format (.pdf)Alle drei Bände liegen als Druckausgabe vor:ISBN 978-3908543-34-4 - Broschur


InhaltsverzeichnisAbbildungenVorwortviiviiiVorbereitende ErklärungWas ist <strong>Buddhismus</strong>? 3Der buddhistische Glaube 7Wer sind die Kadampas? 11Die Kostbarkeit des Kadam-Lamrim 22Der Pfad einer Person anfänglicher AusrichtungDie Kostbarkeit unseres menschlichen Lebens 27Was bedeutet unser Tod? 32Die Gefahren niederer Wiedergeburt 34Zuflucht nehmen 38Was ist Karma? 41Der Pfad einer Person mittlerer AusrichtungWas wir wissen sollten 45Was wir aufgeben sollten 62Was wir praktizieren sollten 64Was wir erlangen sollten 67Der Pfad einer Person großer AusrichtungDas höchste gute Herz <strong>–</strong> Bodhichitta 71Schulung in zuneigungsvoller Liebe 72Schulung in wertschätzender Liebe 77v


Schulung in wünschender Liebe 84Schulung in allumfassendem Mitgefühl 86Schulung in eigentlichem Bodhichitta 87Schulung im Pfad des BodhichittasSchulung in den sechs Vollkommenheiten 91Schulung im Nehmen in Verbindung mitder Praxis der sechs Vollkommenheiten 95Schulung im Geben in Verbindung mit derPraxis der sechs Vollkommenheiten 101Schulung in endgültigem Bodhichitta 105Was ist Leerheit? 106Die Leerheit unseres Körpers 108Die Leerheit unseres Geistes 119Die Leerheit unseres Ichs 120Die Leerheit der acht Extreme 127Konventionelle und endgültige Wahrheiten 133Die Vereinigung der zwei Wahrheiten 140Die Praxis der Leerheit in unserentäglichen Handlungen 145Eine einfache Schulung in endgültigem Bodhichitta 148Überprüfung unserer Lamrim-Praxis 155vi


AbbildungenBuddha Shakyamuni 2Atisha 26Je Tsongkhapa 70Buddha des Mitgefühls 104Arya Tara 154Das Nada 157vii


VorwortDie Anleitungen, die in diesem Buch gegeben werden, sindwissenschaftliche Methoden, mit denen wir unsere menschlicheNatur und unsere menschlichen Qualitäten verbessernkönnen, indem wir unsere geistige Kapazität entwickeln.In den vergangenen Jahren hat unser Wissen der modernenTechnologie beträchtlich zugenommen und daher sind wirZeugen eines immensen materiellen Fortschritts geworden.Eine entsprechende Zunahme an menschlichem Glück hates jedoch nicht gegeben. In der heutigen Welt gibt es nichtweniger Leiden und nicht weniger Probleme. Tatsächlichkönnte man sagen, dass es heutzutage mehr Probleme undgrößere Gefahren gibt denn je zuvor. Das weist darauf hin,dass die Ursache von Glück und die Lösung unserer Problemenicht in der Kenntnis von materiellen Dingen liegt. Glück undLeiden sind Geisteszustände, und deshalb kann ihre Hauptursachenicht außerhalb des Geistes gefunden werden. Wennwir wirklich glücklich und frei von Leiden sein wollen, dannmüssen wir lernen, unseren Geist zu kontrollieren.Wenn Dinge in unserem Leben schiefgehen und wir mitschwierigen Umständen konfrontiert sind, haben wir dieTendenz, die Situation an sich als unser Problem zu sehen.Doch in Wirklichkeit kommen die Probleme, was auch immersie sein mögen, vonseiten unseres Geistes. Begegneten wirschwierigen Umständen mit einem positiven oder friedvollenGeist, wären sie für uns kein Problem; ja, wir könnten sie sogarviii


als Herausforderung oder eine Möglichkeit für Wachstum undEntwicklung betrachten. Probleme entstehen nur, wenn wir aufSchwierigkeiten mit einem negativen Geisteszustand reagieren.Wenn wir also frei von Problemen sein möchten, dann müssenwir unseren Geist umwandeln.Buddha lehrte, dass der Geist die Macht hat, alle angenehmenund unangenehmen Objekte zu erschaffen. Die Weltist das Ergebnis des Karmas oder der Handlungen der Wesen,die sie bewohnen. Eine reine Welt ist das Ergebnis reinerHandlungen, und eine unreine Welt ist das Ergebnis unreinerHandlungen. Da alle Handlungen durch den Geist erschaffenwerden, ist endgültig betrachtet alles, auch die Welt an sich,vom Geist erschaffen. Es gibt keinen anderen Schöpfer als denGeist.Normalerweise sagen wir: „Ich habe das und das erschaffen“oder „Er oder sie hat das und das erschaffen“, doch der eigentlicheSchöpfer von allem ist der Geist. Wir sind wie Dienerunseres Geistes; wenn er etwas tun will, dann müssen wir estun, wir haben keine Wahl. Seit anfangsloser Zeit bis heutewaren wir unter der Kontrolle unseres Geistes, wir hatten keineFreiheit. Doch wenn wir die Anleitungen, die in diesem Buchenthalten sind, aufrichtig praktizieren, können wir diese Situationumkehren und Kontrolle über unseren Geist gewinnen.Nur dann werden wir echte Freiheit haben.Durch das Studium vieler buddhistischer Texte können wirangesehene Gelehrte werden, doch wenn wir Buddhas Lehrenicht in die Praxis umsetzen, wird unser Verständnis des<strong>Buddhismus</strong> hohl bleiben <strong>–</strong> ohne Kraft, unsere eigenen und dieProbleme anderer zu lösen. Zu erwarten, dass ein intellektuellesVerständnis buddhistischer Texte allein unsere Problemelösen kann, ist wie ein kranker Mensch zu sein, der hofft, seineKrankheit allein dadurch zu kurieren, dass er medizinischeAnleitungen liest, ohne jedoch die Medizin tatsächlich zuschlucken. Wie der buddhistische Meister Shantideva sagt:ix


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Wir müssen die Unterweisungen Buddhas, denDharma, in die Praxis umsetzen,Denn nichts kann durch das Lesen von Worten alleinerreicht werden.Ein kranker Mann wird niemals von seiner Krankheitgeheilt werden,Durch das bloße Lesen medizinischer Anleitungen!Jedes einzelne Lebewesen hat den aufrichtigen Wunsch,Leiden und Probleme dauerhaft zu vermeiden. In der Regelversuchen wir dies zu erreichen, indem wir äußere Methodenanwenden. Doch ganz gleich wie erfolgreich wir von einemweltlichen Standpunkt aus betrachtet sind <strong>–</strong> wie reich inmaterieller Hinsicht, wie mächtig oder hoch angesehenwir auch sein mögen: wir werden niemals beständigeBefreiung von Leiden und Problemen finden. In Wirklichkeitstammen alle Probleme, die wir Tag für Tag erfahren, ausunserer Selbstwertschätzung und dem Festhalten amSelbst <strong>–</strong> Fehlvorstellungen, die unsere eigene Wichtigkeitübertreiben. Da wir dies jedoch nicht verstehen, machenwir gewöhnlich andere für unsere Probleme verantwortlich,wodurch diese noch schlimmer werden. Aus diesen zweigrundlegenden Fehlvorstellungen entstehen alle unsereanderen Verblendungen wie Wut und Anhaftung, durch diewir endlose Probleme erfahren.Ich bete, dass alle, die dieses Buch lesen, tiefen inneren odergeistigen Frieden erfahren und den wahren Sinn menschlichenLebens verwirklichen mögen. Insbesondere möchte ich jedenermutigen, vor allem das Kapitel Schulung in endgültigemBodhichitta zu lesen. Durch das wiederholte Lesen und Überdenkendieses Kapitels, mit einem positiven Geist, werden Sieein sehr tiefgründiges Wissen oder eine Weisheit gewinnen, diegroße Bedeutung in Ihr Leben bringt.Geshe Kelsang Gyatsox


<strong>Band</strong> 1 von 3<strong>Sutra</strong>


Buddha Shakyamuni


Vorbereitende ErklärungWAS IST BUDDHISMUS?<strong>Buddhismus</strong> ist die Praxis von Buddhas Unterweisungen, dieauch „Dharma“ genannt wird, was „Schutz“ bedeutet. Indemsie Buddhas Unterweisungen praktizieren, werden Lebewesendauerhaft vor Leiden geschützt. Der Gründer des <strong>Buddhismus</strong>ist Buddha Shakyamuni. Er zeigte 589 v. Chr. in Bodh Gaya(Indien), wie das endgültige Ziel der Lebewesen, die Erlangungder Erleuchtung, vollendet wird. Auf Bitten der Götter Indra undBrahma begann Buddha anschließend seine tiefgründigen Lehrenzu erläutern oder das „Rad des Dharmas zu drehen“. Buddhagab 84.000 Unterweisungen und aus diesen kostbaren Unterweisungenentwickelte sich der <strong>Buddhismus</strong> in dieser Welt.Heute können wir viele unterschiedliche Formen des<strong>Buddhismus</strong> wie Zen- und Theravada-<strong>Buddhismus</strong> sehen.All diese unterschiedlichen Aspekte sind Übungen der LehrenBuddhas und sie alle sind gleichermaßen kostbar; es sindeinfach unterschiedliche Präsentationen. In diesem Buch werdeich <strong>Buddhismus</strong> gemäß der Kadampa-Tradition erklären, dieich studiert und praktiziert habe. Diese Erklärung wird nichtzum Zwecke eines intellektuellen Verständnisses gegeben,sondern um tiefgründige Realisationen zu gewinnen, durchdie wir unsere täglichen Probleme der Verblendungen lösen3


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>und den wahren Sinn unseres menschlichen Lebens erfüllenkönnen.Es gibt zwei Stufen in der Praxis von Buddhas Unterweisungen<strong>–</strong> die Übungen von <strong>Sutra</strong> und Tantra <strong>–</strong>, die beide indiesem Buch erklärt werden. Obwohl die hier dargelegtenUnterweisungen von Buddha Shakyamuni und buddhistischenMeistern wie Atisha, Je Tsongkhapa und unserengegenwärtigen Lehrern stammen, heißt dieses Buch <strong>Moderner</strong><strong>Buddhismus</strong>, weil seine Präsentation des Dharmas besondersauf die Menschen der modernen Welt zugeschnitten ist. MeineAbsicht für das Verfassen dieses Buches ist es, den Leser kraftvollzu ermutigen, Mitgefühl und Weisheit zu entwickeln undzu bewahren. Wenn jeder aufrichtig den Weg des Mitgefühlsund der Weisheit praktiziert, werden alle seine Probleme gelöstund nie wieder entstehen; das garantiere ich.Wir müssen Buddhas Unterweisungen praktizieren, da eskeine andere echte Methode gibt, um menschliche Problemezu lösen. Da moderne Technologie beispielsweise oft mehrLeiden und Gefahren verursacht, kann sie keine echte Methodesein, um menschliche Probleme zu lösen. Obwohl wir jederzeitglücklich sein wollen, wissen wir nicht, wie wir dies anstellensollen; und immer wieder zerstören wir unser eigenes Glück,indem wir Wut, negative Sichtweisen und negative Absichtenentwickeln. Wir versuchen fortwährend vor Problemen zuflüchten, selbst in unseren Träumen, und wissen nicht, wie wiruns selbst von Leiden und Problemen befreien können. Weilwir die wahre Natur der Dinge nicht verstehen, erschaffen wirlaufend unsere eigenen Leiden und Probleme, indem wir unangemesseneoder nichttugendhafte Handlungen ausführen.Die Quelle aller unserer täglichen Probleme sind unsereVerblendungen wie etwa Anhaftung. Da wir seit anfangsloserZeit so sehr an der Erfüllung unserer eigenen Wünschehingen, führten wir verschiedene Arten von nichttugendhaften4


vorbereitende ErklärungenHandlungen aus <strong>–</strong> Handlungen, die anderen schaden. In derFolge erleben wir ständig verschiedene Arten von Leiden undelende Umstände Leben für Leben, endlos. Wenn sich unsereWünsche nicht erfüllen, erfahren wir gewöhnlich unangenehmeGefühle wie Unglücklichsein oder Depression; diesist unser eigenes Problem, da wir so an der Erfüllung unsererWünsche haften. Verlieren wir einen engen Freund, erfahrenwir Schmerz und sind unglücklich, dies jedoch nur aufgrundunserer Anhaftung an unseren Freund. Verlieren wir unserenBesitz, unsere Position oder unseren Ruf, sind wir unglücklichoder niedergeschlagen, weil wir an diesen Dingen so hängen.Hätten wir keine Anhaftung, gäbe es keine Grundlage dafür,diese Probleme zu erfahren. Viele Menschen sind in Kämpfe,kriminelle Handlungen und sogar Krieg verwickelt; alle dieseHandlungen entstehen aus ihrer starken Anhaftung an dieErfüllung ihrer eigenen Wünsche. Auf diese Weise können wirsehen, dass es kein einziges Problem gibt, welches Lebewesenerfahren, das nicht aus ihrer Anhaftung entsteht. Dies beweist,dass unsere Probleme nie enden werden, es sei denn wir kontrollierenunsere Anhaftung.Die Methode, unsere Anhaftung und andere Verblendungenzu kontrollieren, ist die Praxis von Buddhas Unterweisungen.Indem wir Buddhas Unterweisungen über Entsagung praktizieren,können wir unsere täglichen Probleme, die ausAnhaftung entstehen, lösen; indem wir Buddhas Unterweisungenüber allumfassendes Mitgefühl praktizieren, könnenwir unsere täglichen Probleme, die aus Wut entstehen, lösen;und indem wir Buddhas Unterweisungen über die tiefgründigeSicht der Leerheit, endgültige Wahrheit, praktizieren,können wir unsere täglichen Probleme, die aus Unwissenheitentstehen, lösen. Wie wir Entsagung, allumfassendes Mitgefühlund Leerheit realisierende Weisheit entwickeln, wird indiesem Buch erklärt.5


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Der Ursprung unserer Anhaftung und all unseres Leidens istam Selbst festhaltende Unwissenheit: Unwissenheit darüber,wie Dinge wirklich existieren. Ohne uns auf Buddhas Unterweisungenzu verlassen, können wir diese Unwissenheit nichterkennen; und ohne Buddhas Unterweisungen über Leerheit zupraktizieren, können wir sie nicht aufgeben. Somit werden wirkeine Gelegenheit haben, Befreiung von Leiden zu erlangen.Durch diese Erklärung können wir verstehen, dass alle Dharmapraktizieren müssen, da alle Lebewesen, ob menschlich odernichtmenschlich, ob Buddhisten oder Nicht-Buddhisten, freivon Leiden und Problemen sein wollen. Es gibt keine andereMethode dieses Ziel zu erreichen.Wir sollten verstehen, dass unsere Probleme nicht außerhalbvon uns existieren, sondern ein Teil unseres Geistes sind, derunangenehme Gefühle erfährt. Wenn zum Beispiel unserAuto ein Problem hat, sagen wir für gewöhnlich: „Ich habeein Problem“, aber tatsächlich ist es das Problem des Autosund nicht unser Problem. Das Problem des Autos ist einäußeres Problem und unser Problem, welches unser eigenesunangenehmes Gefühl ist, ist ein inneres Problem. Diese zweiProbleme sind völlig unterschiedlich. Wir müssen das Problemdes Autos lösen, indem wir es reparieren, und wir müssenunser eigenes Problem lösen, indem wir unsere Anhaftung andas Auto kontrollieren. Selbst wenn wir weiterhin die Problemedes Autos lösen, werden wir ständig neue Probleme in Bezugauf das Auto erfahren, wenn wir nicht in der Lage sind, unsereAnhaftung an das Auto zu kontrollieren. Das gleiche gilt fürunser Haus, unser Geld, unsere Beziehungen und so weiter.Weil die meisten Menschen fälschlicherweise glauben, dassäußere Probleme ihre eigenen Probleme sind, suchen sieendgültige Zuflucht in den falschen Objekten. Infolgedessenhören ihre Leiden und Probleme nie auf.6


vorbereitende ErklärungenSolange wir nicht in der Lage sind unsere Verblendungenwie Anhaftung zu kontrollieren, werden wir ständig Leidenund Probleme erfahren, während dieses Lebens und Leben fürLeben, ohne Ende. Weil wir fest mit dem Seil der Anhaftung anSamsara, den Kreislauf des unreinen Lebens, gefesselt sind, istes für uns unmöglich, frei von Leiden und Problemen zu sein,es sei denn wir praktizieren Dharma. Mit diesem Verständnissollten wir einen starken Wunsch entwickeln und bewahren,die Wurzel von Leiden <strong>–</strong> Anhaftung und am Selbst festhaltendeUnwissenheit <strong>–</strong> aufzugeben. Dieser Wunsch wird „Entsagung“genannt und entsteht aus unserer Weisheit.Buddhas Lehren sind wissenschaftliche Methoden, um dieProbleme aller Lebewesen dauerhaft zu lösen. Indem wir seineUnterweisungen in die Praxis umsetzen, werden wir fähigunsere Anhaftung zu kontrollieren und daher für immer freivon allen unseren Leiden und Problemen zu sein. Allein ausdiesem Grund können wir verstehen, wie kostbar und wichtigseine Unterweisungen, der Dharma, für jeden sind. Weilwie oben erwähnt alle unsere Probleme aus der Anhaftungentstehen und weil es keine andere Methode als Dharma gibt,um Anhaftung zu kontrollieren, ist es klar, dass nur Dharmadie eigentliche Methode ist, um unsere täglichen Probleme zulösen.DER BUDDHISTISCHE GLAUBEFür Buddhisten ist der Glaube an Buddha Shakyamuni ihrspirituelles Leben; er ist die Wurzel aller Dharma-Realisa tionen.Haben wir tiefes Vertrauen zu Buddha, werden wir ganznatürlich einen starken Wunsch entwickeln seine Unterweisungenzu praktizieren. Mit diesem Wunsch werden wir unsdefinitiv in unserer Dharma-Praxis bemühen, und mit starkemBemühen werden wir dauerhafte Befreiung von den Leidendieses und zahlloser zukünftiger Leben erreichen.7


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Die Erlangung dauerhafter Befreiung von Leiden hängtvom Bemühen in unserer Dharma-Praxis ab, die vom starkenWunsch abhängt, Dharma zu praktizieren, der wiederumvon tiefem Vertrauen zu Buddha abhängt. Somit können wirverstehen, dass wir, wenn wir wirklich großen Nutzen ausunserer Praxis des <strong>Buddhismus</strong> ziehen wollen, tiefes Vertrauenin Buddha entwickeln und bewahren müssen.Wie entwickeln und bewahren wir dieses Vertrauen? Zuerstsollten wir wissen, weshalb wir beständige Befreiung vonLeiden erlangen müssen. Es genügt nicht, nur vorübergehendeBefreiung von einem besonderen Leiden zu erfahren:Alle Lebewesen, auch Tiere, erfahren vorübergehendeBefreiung von besonderen Leiden. Tiere erfahren vorübergehendeBefreiung von menschlichen Leiden und Menschenerfahren vorübergehende Befreiung von tierischen Leiden. ImMoment mögen wir frei von körperlichen Leiden und geistigemSchmerz sein, aber das ist nur vorübergehend. Späterin diesem Leben und in unseren zahllosen zukünftigen Lebenwerden wir immer wieder unerträgliche körperliche Leidenund geistigen Schmerz ohne Ende erfahren müssen. In diesemKreislauf unreinen Lebens, Samsara, besitzt niemand dauerhafteBefreiung; jeder muss endlos, Leben für Leben, beständigdie Leiden von Krankheit, Altern, Tod und unkontrollierterWiedergeburt erfahren.Innerhalb dieses Kreislaufs unreinen Lebens gibt es verschiedeneBereiche oder unreine Welten, in die wir wiedergeborenwerden können: die drei niederen Bereiche der Tiere, hungrigenGeister und Höllenwesen, und die drei höheren Bereicheder Götter, Halbgötter und Menschen. Von allen unreinenWelten ist die Hölle die schlimmste; es ist die Welt, die derschlimmsten Art von Geist erscheint. Die Welt eines Tieres istweniger unrein und die Welt, die den Menschen erscheint, istweniger unrein als die Welt, die Tieren erscheint. Leiden gibt es8


vorbereitende Erklärungenjedoch in allen Bereichen. Wenn wir als Mensch Wiedergeburtnehmen, müssen wir menschliches Leiden erfahren, wennwir Wiedergeburt als Tier nehmen, müssen wir tierischesLeiden erfahren und wenn wir Wiedergeburt als Höllenwesennehmen, müssen wir die Leiden eines Höllenwesens erfahren.Wenn wir darüber nachdenken, werden wir realisieren, dassnur eine vorübergehende Befreiung von bestimmten Leidennicht gut genug ist; wir müssen definitiv dauerhafte Befreiungvon den Leiden dieses Lebens und all unserer zukünftigenLeben erlangen.Wie können wir dies erreichen? Nur indem wir BuddhasUnterweisungen in die Praxis umsetzen. Das liegt daran, dassnur Buddhas Unterweisungen die eigentlichen Methoden sind,um unsere Unwissenheit des Festhaltens am Selbst, die Quelleall unserer Leiden, aufzugeben. In seiner Unterweisung <strong>Sutra</strong>des Königs der Konzentration sagt Buddha:Ein Magier erschafft verschiedene DingeWie Pferde, Elefanten und so weiter.Seine Schöpfungen existieren nicht wirklich;Ihr solltet alle Dinge auf die gleiche Weise sehen.Nur schon diese eine Unterweisung hat die Kraft, alleLebewesen dauerhaft von ihren Leiden zu befreien. Indemwir diese Unterweisung, die im Kapitel Schulung in endgültigemBodhichitta ausführlicher erklärt wird, praktizieren undrealisieren, können wir die Wurzel all unseres Leidens, unsereUnwissenheit des Festhaltens am Selbst, dauerhaft auslöschen.Wenn dies geschieht, werden wir den höchsten, dauerhaftengeistigen Frieden erfahren, der als „Nirvana“ bekannt ist,dauerhafte Befreiung von Leiden, welches unser tiefsterWunsch und der wirkliche Sinn menschlichen Lebens ist. Diesist der Hauptzweck von Buddhas Unterweisungen.9


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Durch dieses Verständnis werden wir tiefe Wertschätzungfür die große Güte Buddhas gegenüber allen Lebewesenentwickeln — die Güte uns tiefgründige Methoden zu geben,um die dauerhafte Freiheit vom Kreislauf der Leiden vonKrankheit, Altern, Tod und Wiedergeburt zu erreichen. Selbstunsere Mutter besitzt nicht das Mitgefühl, das wünscht, unsvon diesem Leiden zu befreien; nur Buddha besitzt diesesMitgefühl für alle Lebewesen ohne Ausnahme. Buddha befreituns tatsächlich, indem er den Weisheitspfad enthüllt, der unszum endgültigen Ziel des menschlichen Lebens führt. Wirsollten diesen Punkt immer wieder überdenken, bis wir tiefesVertrauen in Buddha entwickeln. Dieses Vertrauen ist unserObjekt der Meditation; wir sollten unseren Geist in Vertrauenin Buddha umwandeln und einsgerichtet so lange wie möglichdarauf verweilen. Indem wir diese Kontemplation und Meditationbeständig praktizieren, werden wir Tag und Nacht, unserganzes Leben lang, tiefes Vertrauen in Buddha bewahren.Eine der Hauptfunktionen Buddhas ist es, jedem einzelnenLebewesen geistigen Frieden zu gewähren, indem er es segnet.Lebewesen sind von sich aus nicht in der Lage einen friedlichenGeist zu kultivieren; nur indem sie Buddhas Segnungenin ihr Geisteskontinuum empfangen, können Lebewesen,selbst Tiere, einen friedlichen Geist erfahren. Wenn ihr Geistfriedvoll und ruhig ist, sind sie wirklich glücklich; doch wennihr Geist nicht friedvoll ist, sind sie nicht glücklich, selbstwenn ihre äußeren Bedingungen perfekt sind. Das beweist,dass Glück von geistigem Frieden abhängt, und da dieser vomEmpfangen der Segnungen Buddhas abhängt, ist Buddhademzufolge die Quelle allen Glücks. Indem wir dies verstehenund überdenken, sollten wir tiefes Vertrauen in Buddha entwickelnund bewahren sowie einen starken Wunsch erzeugen,seine Unterweisungen im Allgemeinen und Kadam-Lamrimim Besonderen zu praktizieren.10


vorbereitende ErklärungenWER SIND DIE KADAMPAS?„Ka“ bezieht sich auf Buddhas Unterweisungen und „dam“bezieht sich auf Atishas Anleitungen des Lamrim (die Stufendes Pfades zur Erleuchtung, die auch als Kadam-Lamrim bekanntsind). „Kadam“ bezieht sich daher auf die Vereinigung vonBuddhas Unterweisungen und Atishas Anleitungen. AufrichtigePraktizierende des Lamrim heißen „Kadampas“. Es gibtzwei Kadampa-Traditionen, die alte und die neue. Praktizierendeder alten Kadampa-Tradition schienen die Praxis desKadam-Lamrim von <strong>Sutra</strong> mehr zu betonen als die Praxis vonTantra. Später gewichteten Je Tsongkhapa und seine Schülerdie Praxis von Kadam-Lamrim sowohl von <strong>Sutra</strong> als auchvon Tantra gleich. Diese neue Tradition, die von Je Tsongkhapagegründet wurde, wird die neue Kadampa-Traditiongenannt.Kadampas verlassen sich aufrichtig auf Buddha Shakyamuni,weil Buddha die Quelle des Kadam-Lamrim ist; sieverlassen sich aufrichtig auf Avalokiteshvara, den Buddha desMitgefühls, und auf den Weisheits-Dharma-Beschützer, wasdarauf hinweist, dass ihre Hauptpraxis Mitgefühl und Weisheitist; und sie verlassen sich aufrichtig auf Arya Tara, weilsie Atisha versprochen hat, Kadampa-Praktizierenden in derZukunft besondere Fürsorge zukommen zu lassen. Aus diesemGrund werden diese vier erleuchteten heiligen Wesen die „vierKadampa Guru-Gottheiten“ genannt.Der Gründer der Kadampa-Tradition ist der große buddhistischeMeister und Gelehrte Atisha. Atisha wurde 982 n. Chr.als Prinz in Ostbengalen, Indien, geboren. Der Name seinesVaters war Kalyanashri (Glorreiche Tugend) und der seinerMutter war Prabhavarti Shrimati (Glorreiches Strahlen). Er warder zweite von drei Söhnen und bei seiner Geburt erhielt er denNamen Chandragarbha (Mondessenz). Der Name Atisha, der11


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>„Frieden“ bedeutet, wurde ihm später vom tibetischen KönigJangchub Ö verliehen, weil er stets ruhig und friedvoll war.Als Chandragarbha noch ein Kind war, nahmen ihn seineEltern zu einem Tempelbesuch mit. Entlang des ganzen Wegeshatten sich Tausende von Menschen versammelt, um einenkurzen Blick auf den Prinzen zu erhaschen. Als er die Mengesah, fragte Chandragarbha: „Wer sind diese Menschen?“ Undseine Eltern antworteten: „Sie sind alle unsere Untertanen.“ ImHerzen des Prinzen entstand spontan Mitgefühl und er betete:„Mögen alle diese Menschen genauso großes Glück genießenwie ich selbst.“ Sobald er jemandem begegnete, entstand inseinem Geist ganz natürlich der Wunsch: „Möge diese PersonGlück finden und frei von Leiden sein.“Schon als kleiner Junge hatte Chandragarbha Visionen vonTara. Manchmal, wenn er auf dem Schoß seiner Mutter saß,fielen blaue Upala-Blumen vom Himmel und er begann zureden, und es sah so aus, als ob er sich mit den Blumen unterhaltenwürde. Yogis erklärten später seiner Mutter, dass dieblauen Blumen, die sie gesehen hatte, ein Zeichen dafür waren,dass Tara ihrem Sohn erschien und mit ihm sprach.Als der Prinz älter wurde, wollten seine Eltern eine Heiratfür ihn arrangieren, doch Tara gab ihm den Rat: „Wenn duAnhaftung an dein Königreich entwickelst, gleichst du einemElefanten, der im Schlamm versinkt und sich nicht wieder selbstdaraus befreien kann, weil er so riesig und schwer ist. Entwicklekeine Anhaftung an dieses Leben. Studiere und praktiziere denDharma. Du warst in vielen früheren Leben ein spirituellerMeister, und auch in diesem Leben wirst du ein spirituellerMeister werden.“ Inspiriert durch diese Worte, entwickelteChandragarbha sehr großes Interesse daran den Dharma zustudieren und zu praktizieren, und er war entschlossen, alleRealisationen der Unterweisungen Buddhas zu erlangen. Erwusste, dass er einen voll qualifizierten spirituellen Meister12


vorbereitende Erklärungenfinden musste, um sein Ziel zu erreichen. Als Erstes ging erzu einem berühmten buddhistischen Lehrer namens Jetari,der in der Nähe lebte, und bat um Dharma-Unterweisungendarüber, wie man sich aus Samsara befreit. Jetari gab ihmUnterweisungen über Zuflucht und Bodhichitta und sagteihm, dass er nach Nalanda gehen und vom spirituellen MeisterBodhibhadra lernen solle, wenn er rein praktizieren wolle.Als der Prinz Bodhibhadra traf, sagte er: „Ich erkenne,dass Samsara sinnlos ist und dass nur Befreiung und volleErleuchtung wirklich lohnend sind. Bitte gib mir Dharma-Unterweisungen, die mich schnell zum Zustand jenseitsallen Leidens, Nirvana, führen.“ Bodhibhadra gab ihm kurzeUnterweisungen über das Entwickeln von Bodhichitta underteilte ihm dann den Rat: „Wenn du Dharma rein praktizierenmöchtest, solltest du den spirituellen Meister Vidyakokilaaufsuchen.“ Bodhibhadra wusste, dass Vidyakokila ein großerMeditierender war, der eine vollkommene Realisation derLeerheit erlangt hatte und sehr geschickt im Unterrichten derStufen des tiefgründigen Pfades war.Vidyakokila gab Chandragarbha vollständige Anleitungensowohl über den tiefgründigen als auch über den weiten Pfadund schickte ihn dann für sein weiteres Studium zum spirituellenMeister Avadhutipa. Avadhutipa gab ihm nicht sofortAnleitungen, sondern schickte den Prinzen zu Rahulagupta,damit er Unterweisungen über die Hevajra- und Heruka-Tantras erhalten konnte. Dann sollte er zu ihm zurückkehren,um detailliertere Anleitungen über das Geheime Mantra zubekommen. Rahulagupta gab Chandragarbha den geheimenNamen Janavajra (Unzerstörbare Weisheit) und die ersteErmächtigung, welche die Ermächtigung zur Praxis desHevajra war. Dann schickte er ihn nach Hause, um die Zustimmungseiner Eltern einzuholen.13


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Obwohl der Prinz nicht am weltlichen Leben haftete, war esdoch wichtig für ihn, die Einwilligung seiner Eltern zu haben,um so praktizieren zu können, wie er es wünschte. Er kehrtealso zu seinen Eltern zurück und sagte: „Wenn ich Dharmarein praktiziere, werde ich, so wie es Arya Tara vorhergesagthat, eure Güte und die Güte aller fühlender Wesen erwidernkönnen. Kann ich dies tun, wird mein menschliches Lebennicht verschwendet sein. Andernfalls wird mein Leben sinnlossein, selbst wenn ich mein ganzes Leben in einem prächtigenPalast verbringen kann. Bitte gebt mir eure Zustimmung,damit ich das Königreich verlassen und mein ganzes Lebender Dharma-Praxis widmen kann.“ Chandragarbhas Vater warunglücklich über diese Worte und wollte seinen Sohn daranhindern, seine Anwartschaft auf den Thron aufzugeben; dochseine Mutter war erfreut zu hören, dass ihr Sohn sein Lebendem Dharma widmen wollte. Sie erinnerte sich, dass bei seinerGeburt wunderbare Zeichen wie Regenbögen erschienenwaren, und sie erinnerte sich an Wunder wie die blauen Upala-Blumen, die vom Himmel fielen. Sie wusste, dass ihr Sohnkein gewöhnlicher Prinz war, und sie gab ihre Einwilligungohne Zögern. Nach einiger Zeit gewährte auch der König demWunsch seines Sohnes Zustimmung.Chandragarbha kehrte zu Avadhutipa zurück und erhieltsieben Jahre lang Anleitungen über Geheimes Mantra. SeineFähigkeiten wurden so groß, dass er eines Tages Stolz entwickelteund dachte: „Wahrscheinlich weiß ich mehr überGeheimes Mantra als irgendjemand sonst auf der ganzen Welt.“In jener Nacht kamen im Traum Dakinis zu ihm und zeigtenihm seltene Schriften, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Siefragten ihn: „Was bedeuten diese Texte?“, aber er hatte keineAhnung. Als er aufwachte, war sein Stolz verschwunden.Später dachte Chandragarbha, dass er Avadhutipas Praxisnachahmen und sich als Laie bemühen sollte, schnell durch14


vorbereitende ErklärungenMahamudra-Praxis mit einer Handlungs-Mudra Erleuchtung zuerlangen. Er hatte jedoch eine Vision Herukas, die ihm sagte, dasser zahllosen Wesen helfen und den Dharma weit verbreiten könne,wenn er ordinieren würde. In jener Nacht träumte er, dass er einerProzession von Mönchen in der Gegenwart Buddha Shakyamunisfolgte, und dieser wunderte sich, warum Chandragarbha nochnicht ordiniert war. Als er aus diesem Traum erwachte, entschlosser sich Mönch zu werden. Er empfing die Ordination von Shilarakshitaund erhielt den Namen Dhipamkara Shrijana.Vom spirituellen Meister Dharmarakshita erhielt DhipamkaraShrijana ausführliche Anleitungen über Sieben Gruppen desAbhidharma und Ozean der großen Erklärung; Texte, die aus derSicht des Vaibhashika-Systems geschrieben waren. Auf dieseWeise meisterte er die Hinayana-Unterweisungen.Noch immer nicht zufrieden, ging Dhipamkara Shrijana nachBodh Gaya, um detaillierte Anleitungen zu erhalten. Eines Tageshörte er zufällig eine Unterhaltung zweier Frauen mit an, diein Wirklichkeit Ausstrahlungen Arya Taras waren. Die Jüngerefragte die Ältere: „Welches ist die wichtigste Methode, schnellErleuchtung zu erlangen?“, und die Ältere antwortete: „Es istBodhichitta.“ Als er dies hörte, fasste Dhipamkara Shrijanaden festen Entschluss, den kostbaren Bodhichitta zu erlangen.Später, während er den großen Stupa in Bodh Gaya umrundete,sprach eine Statue Buddha Shakyamunis zu ihm: „Wenn duschnell Erleuchtung erlangen willst, musst du die Erfahrungendes Mitgefühls, der Liebe und des kostbaren Bodhichittasgewinnen.“ Da wurde sein Verlangen Bodhichitta zu realisierensehr stark. Er hörte, dass der spirituelle Meister Serlingpa, dersehr weit weg an einem Ort namens Serling in Sumatra lebte,eine ganz besondere Erfahrung von Bodhichitta erlangt hatteund in der Lage war, Anleitungen über die <strong>Sutra</strong>s der Vollkommenheitder Weisheit zu geben.15


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Dhipamkara Shrijana benötigte dreizehn Monate, um mitdem Schiff nach Sumatra zu gelangen. Bei seiner Ankunftbrachte er Serlingpa ein Mandala dar und trug ihm seine Bittenvor. Serlingpa sagte ihm, dass es zwölf Jahre dauern würde, dieAnleitungen zu vermitteln. Dhipamkara Shrijana blieb zwölfJahre in Sumatra und gewann schließlich die kostbare Realisationdes Bodhichittas. Dann kehrte er nach Indien zurück.Indem er sich auf seine spirituellen Meister verließ,gewann Atisha das besondere Wissen der drei Gruppen derUnterweisungen Buddhas <strong>–</strong> der Gruppe der moralischenDisziplin, der Gruppe der Reden und der Gruppe der Weisheit<strong>–</strong> sowie der vier Klassen des Tantras. Außerdem beherrschteer Künste und Wissenschaften, wie etwa Poesie, Rhetorik undAstrologie; er war ein hervorragender Arzt und sehr geschicktim Handwerk und in technischen Dingen.Atisha erlangte auch alle Realisationen der drei höherenSchulungen: Schulung in höherer moralischer Disziplin,Schulung in höherer Konzentration und Schulung in höhererWeisheit. Da alle Stufen des <strong>Sutra</strong>s, wie die sechs Vollkommenheiten,die fünf Pfade und die zehn Ebenen, sowie alle Stufendes Tantras, wie die Erzeugungs- und Vollendungsstufen, inden drei höheren Schulungen enthalten sind, erlangte Atishaalle Realisationen der Stufen des Pfades.Es gibt drei Arten höherer moralischer Disziplin: die höheremoralische Disziplin der Pratimoksha-Gelübde oder Gelübdeder individuellen Befreiung, die höhere moralische Disziplinder Bodhisattva-Gelübde und die höhere moralische Disziplinder tantrischen Gelübde. Die Gelübde, 253 Übertretungenaufzugeben, die ein voll ordinierter Mönch ablegt, sind inden Pratimoksha-Gelübden enthalten. Atisha brach niemalsauch nur ein einziges davon. Das zeigt, dass er sehr starkeAchtsamkeit und sehr große Gewissenhaftigkeit besaß. Erhielt auch die Bodhisattva-Gelübde <strong>–</strong> das Vermeiden der16


vorbereitende Erklärungenachtzehn Hauptübertretungen und sechsundvierzig Nebenübertretungen<strong>–</strong> und alle seine tantrischen Gelübde in reinerWeise ein.Die Erlangungen der höheren Konzentration und höherenWeisheit sind in allgemeine und außergewöhnliche Erlangungenunterteilt. Eine allgemeine Erlangung wird sowohl von<strong>Sutra</strong>- als auch von Tantra-Praktizierenden erreicht, und eineaußergewöhnliche Erlangung wird nur von Praktizierendendes Tantras erreicht. Durch die Schulung in höherer Konzentrationerlangte Atisha die allgemeine Konzentration des ruhigenVerweilens und auf dieser Basis Hellsicht, Wunderkräfteund die allgemeinen Tugenden. Er erreichte zudem außergewöhnlicheKonzentrationen, wie die Konzentrationen derErzeugungs- und Vollendungsstufe des Geheimen Mantras.Durch die Schulung in höherer Weisheit erlangte Atisha dieallgemeinen Realisationen der Leerheit und die außergewöhnlichenRealisationen des beispiel- und sinnklaren Lichts desGeheimen Mantras.Atisha meisterte sowohl die Hinayana- als auch Mahayana-Unterweisungen und wurden von Lehrern beider Traditionenrespektiert. Wenn Nicht-Buddhisten mit ihm debattierten undbesiegt wurden, nahmen sie den <strong>Buddhismus</strong> als ihren Glaubenan. Atisha war wie ein König, das Kronjuwel der indischenBuddhisten, und wurde als zweiter Buddha angesehen.Vor Atishas Zeit hatte der 37. König Tibets, Trisong Detsen(ca. 754-797 n. Chr.), Padmasambhava, Shantarakshita undandere buddhistische Lehrer nach Tibet eingeladen, und unterihrem Einfluss blühte der reine Dharma; doch einige Jahrespäter zerstörte ein tibetischer König namens Lang Darma (ca.836 n. Chr.) den reinen Dharma in Tibet und hob den Sanghaauf. Bis zu jener Zeit waren die meisten der Könige religiösgewesen, doch die schreckliche Herrschaft Lang Darmas warfür Tibet eine dunkle Zeit. Etwa siebzig Jahre nach seinem17


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Tod begann der Dharma durch die Bemühungen solch großerLehrer wie des Übersetzers Rinchen Sangpo in den oberenTeilen Tibets erneut zu erblühen; und auch in den unterenTeilen Tibets begann er durch die Bemühungen eines großenLehrers namens Gongpa Rabsäl erneut zu wachsen. Allmählichverbreitete sich der Dharma bis nach Zentraltibet.Zu jener Zeit gab es keine reine Praxis der Vereinigung von<strong>Sutra</strong> und Tantra. Man hielt die zwei für widersprüchlich wieFeuer und Wasser. Wenn Menschen <strong>Sutra</strong> praktizierten, gabensie Tantra auf, und wenn sie Tantra praktizierten, gaben sie<strong>Sutra</strong> und selbst die Regeln der Vinaya auf. Falsche Lehrerkamen aus Indien, um sich einiges von dem in Tibet reichlichvorhandenen Gold zu beschaffen. Unter dem Vorwand, spirituelleMeister und Yogis zu sein, führten sie Abartigkeiten wieSchwarze Magie, das Erzeugung von Geistererscheinungen,sexuelle Praktiken und rituellen Mord ein. Diese Missbräucheverbreiteten sich ziemlich weit.Ein König namens Yeshe Ö und sein Neffe Jangchub Ö, diein Ngari in Westtibet lebten, waren sehr besorgt darüber, wasmit dem Dharma in ihrem Land geschah. Der König weinte,wenn er an die Reinheit des Dharmas in früheren Zeiten dachteund ihn mit dem unreinen Dharma verglich, der zu seiner Zeitpraktiziert wurde. Es betrübte ihn sehr zu sehen, wie verhärtetund unkontrolliert der Geist der Menschen geworden war. Erdachte: „Wie wunderbar wäre es, wenn der Dharma in Tibetwieder erblühen und den Geist der Menschen unseres Volkeszähmen würde.“ Um diesen Wunsch zu erfüllen, sandte erTibeter nach Indien, die Sanskrit lernen und sich im Dharmaschulen sollten, aber viele dieser Menschen konnten das heißeKlima nicht ertragen. Die wenigen, die überlebten, lerntenSanskrit und schulten sich sehr gut im Dharma. Unter ihnenwar der Übersetzer Rinchen Sangpo, der viele Unterweisungenerhielt und dann nach Tibet zurückkehrte.18


vorbereitende ErklärungenDa dieser Plan nicht sehr erfolgreich gewesen war, entschiedsich Yeshe Ö, einen authentischen Lehrer aus Indien einzuladen.Er sandte eine Gruppe von Tibetern mit einer großenMenge Gold nach Indien und beauftragte sie, den fähigstenspirituellen Meister in Indien zu suchen. Er riet ihnen allen,den Dharma zu studieren und perfekte Kenntnisse in Sanskritzu erwerben. Diese Tibeter ertrugen alle Strapazen des Klimasund der Reise, um seinem Wunsch nachzukommen. Einigevon ihnen wurden berühmte Übersetzer. Sie übersetzten vieleSchriften und sandten sie dem König, der sich sehr darüberfreute.Als diese Tibeter in ihr Land zurückkehrten, berichteten sieYeshe Ö: „In Indien gibt es viele sehr gelehrte buddhistischeLehrer, aber der angesehenste und erhabenste unter ihnenist Dhipamkara Shrijana. Wir würden ihn gerne nach Tibeteinladen, aber er hat Tausende von Schülern in Indien.“ AlsYeshe Ö den Namen Dhipamkara Shrijana hörte, war er erfreutund fasste den Entschluss, diesen Meister nach Tibet einzuladen.Da er bereits das meiste seines Goldes aufgebraucht hatteund nun noch mehr davon benötigt wurde, um DhipamkaraShrijana nach Tibet einladen zu können, ging der König aufExpedition, um nach weiterem Gold zu suchen. Als er an eineder Grenzen kam, wurde er von einem nicht-buddhistischenKönig gefangen genommen und ins Gefängnis geworfen. Alsdiese Nachricht bei Jangchub Ö eintraf, überlegte dieser: „Ichbin mächtig genug, gegen diesen König Krieg zu führen, aberwenn ich das tue, werden viele Menschen leiden und ich mussviele schädliche, zerstörerische Handlungen ausführen.“ Erentschied sich, um die Freilassung seines Onkels zu bitten, dochder König gab folgende Antwort: „Ich werde deinen Onkelnur freilassen, wenn du entweder mein Untertan wirst oderden Körper deines Onkels mit Gold aufwiegst.“ Unter großenSchwierigkeiten gelang es Jangchub Ö, Gold aufzubringen,19


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>das dem Körpergewicht seines Onkels entsprach, abgesehenvom Kopf. Da der König auch die restliche Menge forderte,bereitete sich Jangchub Ö darauf vor nach weiterem Gold zusuchen, doch bevor er aufbrach, besuchte er seinen Onkel. Erfand Yeshe Ö zwar körperlich schwach, doch in guter geistigerVerfassung vor. Jangchub Ö sprach durch die Gitterstäbe desGefängnisses: „Schon bald werde ich dich befreien können,denn ich habe fast alles Gold zusammengebracht.“ Yeshe Öantwortete: „Behandle mich bitte nicht, als ob ich wichtig wäre.Du darfst diesem feindlichen König das Gold nicht geben.Schicke alles nach Indien und bringe es Dhipamkara Shrijanadar. Dies ist mein größter Wunsch. Ich werde freudig meinLeben geben, um den reinen Dharma in Tibet wieder herzustellen.Bitte bringe Dhipamkara Shrijana diese Nachricht. Lassihn wissen, dass ich mein Leben gegeben habe, um ihn nachTibet einzuladen. Da er Mitgefühl für das tibetische Volk hat,wird er unsere Einladung annehmen, wenn er diese Nachrichterhält.“Jangchub Ö sandte den Übersetzer Nagtso zusammen miteinigen Begleitern und dem Gold nach Indien. Als sie DhipamkaraShrijana trafen, berichteten sie ihm, was in Tibet vor sichging und dass die Menschen einen spirituellen Meister ausIndien einladen wollten. Sie erzählten ihm, wie viel Gold derKönig als Darbringung gesandt hatte und wie viele Tibetergestorben waren, um den reinen Dharma wiederherzustellen.Sie sagten ihm, dass Yeshe Ö sein Leben geopfert habe, um ihnnach Tibet zu holen. Nachdem sie ihre Bitte vorgebracht hatten,dachte Dhipamkara Shrijana über ihre Worte nach und nahmihre Einladung an. Obwohl er in Indien sehr viele Schülerhatte und dort sehr hart für den Dharma arbeitete, wusste er,dass es in Tibet keinen reinen Dharma gab. Zudem hatte ereine Prophezeiung von Arya Tara erhalten, dass er zahllosenfühlenden Wesen helfen würde, wenn er nach Tibet ginge.20


vorbereitende ErklärungenMitgefühl entstand in seinem Herzen, als er daran dachte, wieviele Tibeter in Indien gestorben waren, und besonders dasOpfer von Yeshe Ö bewegte ihn sehr.Dhipamkara Shrijana musste seine Reise nach Tibet geheimhalten, denn hätten seine indischen Schüler erfahren, dass erIndien verlassen wollte, hätten sie ihn daran gehindert. Ersagte, dass er eine Pilgerreise nach Nepal unternehmen würde,aber von Nepal reiste er weiter nach Tibet. Als seine indischenSchüler schließlich verstanden, dass er nicht zurückkehrenwürde, protestierten sie und warfen den Tibeter vor, dass sieDiebe seien, die ihren spirituellen Meister gestohlen hätten!Da es damals genau wie heute üblich war einen Ehrengastgebührend zu begrüßen, sandte Jangchub Ö ein Gefolgevon dreihundert Reitern zusammen mit vielen bedeutendenTibetern an die Grenze, um Atisha willkommen zu heißen undihm ein Pferd anzubieten, um seine schwierige Reise nachNgari zu erleichtern. Atisha ritt in der Mitte der dreihundertReiter und saß mittels seiner Wunderkräfte eine Elle über demRücken des Pferdes. Diejenigen, die ihn vorher nicht respektierthatten, entwickelten bei seinem Anblick sehr starkes Vertrauenund jedermann sagte, dass der zweite Buddha in Tibet angekommensei.Als Atisha Ngari erreichte, bat ihn Jangchub Ö: „O mitfühlenderAtisha, bitte gib Anleitungen, um dem tibetischen Volkzu helfen. Bitte erteile Ratschläge, die jedermann befolgenkann. Bitte gib uns besondere Anleitungen, damit wir allePfade von <strong>Sutra</strong> und Tantra zusammen praktizieren können.“Um diesen Wunsch zu erfüllen, verfasste und lehrte AtishaLampe für den Pfad zur Erleuchtung, der erste Text, der über dieStufen des Pfades, Lamrim, geschrieben wurde. Er erteiltediese Anleitungen zuerst in Ngari und dann in Zentraltibet.Viele Schüler, die diese Unterweisungen hörten, entwickeltengroße Weisheit.21


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>DIE KOSTBARKEIT DES KADAM-LAMRIMAtisha schrieb den ursprünglichen Kadam-Lamrim aufder Grundlage von Buddha Maitreyas Ornament für klareRealisation. Dies ist ein Kommentar zu den <strong>Sutra</strong>s der Vollkommenheitder Weisheit, die Buddha Shakyamuni auf dem Bergder versammelten Geier in Rajagriha in Indien lehrte. Späterschrieb Je Tsongkhapa seine ausführlichen, mittleren undzusammengefassten Kadam-Lamrim-Texte als Kommentare zuAtishas Kadam-Lamrim-Anleitungen; und dadurch erblühtedieser kostbare Buddhadharma des Kadam-Lamrim in vielenLändern im Osten und nun auch im Westen. Die Anleitungendes Kadam-Lamrim, die Vereinigung von Buddhas Unterweisungenund Atishas besonderen Anleitungen, werden in dreiStufen präsentiert: Anleitungen über die Stufen des Pfadeseiner Person anfänglicher Ausrichtung; Anleitungen über dieStufen des Pfades einer Person mittlerer Ausrichtung; undAnleitungen über die Stufen des Pfades einer Person großerAusrichtung.Alle Unterweisungen Buddhas von <strong>Sutra</strong> und Tantra sind indiesen drei Anleitungen enthalten. Buddhas Unterweisungensind die erhabene Medizin, die sowohl körperliche Krankheitenals auch die Krankheit der Verblendungen für immer heilt.Genauso wie Ärzte unterschiedliche Medizin für unterschiedlicheKrankheiten verordnen, gab Buddha unterschiedlicheDharma-Medizin entsprechend den unterschiedlichen Kapazitätender Menschen. Denjenigen der anfänglichen Ausrichtunggab er einfache Unterweisungen, denjenigen der mittlerenAusrichtung tiefgründige Unterweisungen und denjenigender großen Ausrichtung sehr tiefgründige Unterweisungen.In der Praxis gehören alle diese Unterweisungen zum Kadam-Lamrim, welcher der Hauptkörper von Buddhas Lehren ist.Es gibt keine einzige Unterweisung Buddhas, die nicht imKadam-Lamrim enthalten wäre. Aus diesem Grund sagte Je22


vorbereitende ErklärungenTsongkhapa, dass wir, wenn wir den gesamten Lamrim hören,alle Unterweisungen Buddhas hören, und wenn wir dengesamten Lamrim praktizieren, alle Unterweisungen Buddhaspraktizieren. Kadam-Lamrim ist die Zusammenfassung allerLehren Buddhas <strong>–</strong> er ist sehr praktisch und für jeden geeignet;und seine Präsentation ist anderen Anleitungen überlegen.Indem wir Lamrim-Erfahrung gewinnen, werden wirverstehen, dass sich Buddhas Unterweisungen nicht widersprechen,wir werden Buddhas Unterweisungen in die Praxisumsetzen, wir werden leicht Buddhas endgültige Sichtweiseund Absicht realisieren und werden frei von allen fehlerhaftenSichtweisen und Absichten werden. Alle, Buddhisten wieNicht-Buddhisten, benötigen dauerhafte Befreiung von Leidensowie reines und immerwährendes Glück. Dieser Wunsch wirddurch die Praxis des Lamrim erfüllt. Aus diesem Grund ist siedas wirkliche wunscherfüllende Juwel.Im Allgemeinen sind alle Unterweisungen Buddhas, derDharma, sehr kostbar; doch Kadam-Dharma oder Lamrimist ein ganz besonderer Buddhadharma, der für ausnahmslosjeden geeignet ist. Der große Meister Dromtönpa sagte:„Kadam-Dharma ist wie eine Mala aus Gold.“ So wie jeder,selbst jemand, der keine Mala (oder Gebetskette) benutzt,glücklich wäre, eine goldene Mala geschenkt zu bekommen,weil sie aus Gold ist, so können auf ähnliche Weise alle, selbstNicht-Buddhisten, Nutzen aus dem Kadam-Dharma ziehen.Das ist so, weil es keinen Unterschied zwischen Kadam-Dharma und den alltäglichen Erfahrungen der Menschen gibt.Selbst ohne Dharma zu studieren und ihn zu hören, kommeneinige Menschen oft zu ähnlichen Schlüssen wie denjenigen,welche in den Unterweisungen des Kadam-Dharma erklärtwerden, indem sie Zeitung lesen oder fernsehen und dieWeltlage verstehen. Das ist so, weil Kadam-Dharma mit denalltäglichen Erfahrungen der Menschen einhergeht <strong>–</strong> er kann23


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>nicht vom täglichen Leben getrennt werden. Jeder muss seinLeben glücklich und bedeutungsvoll machen, vorübergehendseine menschlichen Probleme lösen und letztendlich in derLage sein, reines und immerwährendes Glück zu finden,indem er seine Wut, Anhaftung, Eifersucht und besondersseine Unwissenheit kontrolliert.In diesen spirituell degenerierten Zeiten gibt es fünfUnreinheiten, die auf der ganzen Welt zunehmen: (1) UnsereUmgebung wird aufgrund von Umweltverschmutzungzunehmend unrein; (2) unser Wasser, unsere Luft und unsereNahrung werden zunehmend unrein, ebenfalls aufgrund vonUmweltverschmutzung; (3) unser Körper wird zunehmendunrein, weil Krankheiten heute weiter verbreitet sind; (4) unserGeist wird zunehmend unrein, weil unsere Verblendungenimmer stärker werden; und (5) unsere Handlungen werdenzunehmend unrein, weil wir keine Kontrolle über unsereVerblendungen haben.Aufgrund dieser fünf Unreinheiten nehmen Leiden,Probleme und Gefahren überall zu. Durch die Praxis desLamrim können wir jedoch unsere Erfahrung aller dieserUnreinheiten in den spirituellen Pfad umwandeln, der unszum reinen und immerwährenden Glück der Befreiung undErleuchtung führt. Wir können alle Schwierigkeiten, die wirin der Welt sehen, als spirituelle Unterweisungen betrachten,die uns ermutigen Entsagung zu entwickeln, den Wunsch, unsvom Kreislauf unreinen Lebens zu befreien; Mitgefühl, denWunsch, dass andere beständig vom Kreislauf unreinen Lebensbefreit sein mögen; und Weisheit, welche realisiert, dass allediese Unreinheiten die Folgen nichttugendhafter Handlungensind. Auf diese Weise können wir durch die Praxis des Lamrimalle widrigen Umstände in Möglichkeiten für das Entwickelnder Realisationen des spirituellen Pfades umwandeln, die unsreines und immerwährendes Glück bringen werden.24


vorbereitende ErklärungenWann immer Lamrim-Praktizierende Schwierigkeiten undLeiden erfahren, denken sie: „Zahllose andere Lebewesenerfahren größeres Leiden und Schwierigkeiten als ich“, und sieentwickeln und vergrößern auf diese Weise ihr Mitgefühl füralle Lebewesen, welches sie schnell zum höchsten Glück derErleuchtung führt. Kadam-Lamrim ist die höchste Medizin, diealle Leiden von Krankheit, Alter, Tod und Wiedergeburt fürimmer heilt; er ist die wissenschaftliche Methode, um unseremenschliche Natur und Qualitäten zu verbessern und unseretäglichen Probleme zu lösen. Kadam-Lamrim ist der großeSpiegel des Dharmas, in dem wir die Art und Weise sehenkönnen, wie die Dinge wirklich sind, und durch den wir sehenkönnen, was wir wissen sollten, was wir aufgeben sollten, waswir praktizieren sollten und was wir erlangen sollten. Und nurdurch das Benutzen dieses Spiegels können wir die große Gütealler Lebewesen sehen.25


Atisha


Der Pfad einer Person anfänglicherAusrichtungIn diesem Zusammenhang bezieht sich „Person anfänglicherAusrichtung“ auf jemanden, der eine anfängliche Kapazität hat,um spirituelles Verständnis und Realisationen zu entwickeln.DIE KOSTBARKEIT UNSERESMENSCHLICHEN LEBENSDer Zweck, die Kostbarkeit unseres menschlichen Lebens zuverstehen, besteht darin, uns selbst zu ermutigen, den wirklichenSinn aus unserem menschlichen Leben zu ziehen undes nicht mit sinnlosen Tätigkeiten zu verschwenden. Unsermenschliches Leben ist sehr kostbar und sinnvoll, aber nurwenn wir es nutzen, um beständige Befreiung und das höchsteGlück der Erleuchtung zu erlangen. Wir sollten uns ermutigen,den wirklichen Sinn unseres menschlichen Lebens zu erfüllen,indem wir die folgende Erklärung verstehen und darübernachdenken.Viele Menschen glauben, dass der wirkliche Sinn menschlichenLebens in materieller Entwicklung liegt, aber wir könnensehen, dass materielle Entwicklung, ganz gleich wie viel esdavon auf der Welt gibt, niemals menschliches Leiden undProbleme vermindert. Stattdessen bewirkt sie oft, dass Leidenund Probleme zunehmen. Daher ist sie nicht der wirkliche Sinn27


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>menschlichen Lebens. Wir sollten wissen, dass wir gegenwärtignur für einen kurzen Moment aus unseren früheren Leben diemenschliche Welt erreicht haben; und dass wir die Gelegenheithaben, das höchste Glück der Erleuchtung durch die Praxis desDharmas zu erlangen. Dies ist unser außerordentlich großesGlück. Wenn wir Erleuchtung erlangen, werden wir unsereeigenen Wünsche erfüllt haben und wir können die Wünschealler anderen Lebewesen erfüllen. Wir werden uns selbst fürimmer von den Leiden dieses und zahlloser zukünftiger Lebenbefreit haben und wir können jedem einzelnen Lebewesenjeden Tag direkt helfen. Die Erlangung der Erleuchtung istdeshalb der wirkliche Sinn menschlichen Lebens.Erleuchtung ist das innere Licht der Weisheit, das dauerhaftvon allen fehlerhaften Erscheinungen frei ist und dessen Funktiones ist, jedem einzelnen Lebewesen jeden Tag geistigenFrieden zu gewähren. Genau jetzt haben wir eine menschlicheWiedergeburt erhalten und haben die Gelegenheit, Erleuchtungdurch Dharma-Praxis zu erlangen. Wenn wir daher diese kostbareGelegenheit durch sinnlose Tätigkeiten verschwenden,gibt es keinen größeren Verlust und keine größere Torheit. Dasist so, weil es in Zukunft äußerst schwierig sein wird, solcheine kostbare Gelegenheit nochmals zu finden. In einem <strong>Sutra</strong>veranschaulicht Buddha dies durch die folgende Analogie.Er fragt seine Schüler: „Angenommen es gibt einen weitenund tiefen Ozean, der so groß ist wie diese Welt, und aufseiner Oberfläche treibt ein goldenes Joch. Auf dem Grunddes Ozeans lebt eine blinde Schildkröte, die nur einmal allehunderttausend Jahre an die Oberfläche kommt. Wie oft würdediese Schildkröte ihren Kopf durch die Mitte des Jochs heben?“Sein Schüler Ananda antwortete, dass dies in der Tat äußerstselten sei.In diesem Zusammenhang bezieht sich der weite undtiefe Ozean auf Samsara, den Kreislauf unreinen Lebens, denwir seit anfangsloser Zeit Leben für Leben ständig erfahren,28


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtungendlos. Das goldene Joch bezieht sich auf den Buddhadharmaund die blinde Schildkröte bezieht sich auf uns. Obwohl wirkörperlich keine Schildkröte sind, sind wir geistig nicht sehrverschieden; und obwohl unsere körperlichen Augen nichtblind sein mögen, sind es unsere Weisheitsaugen. In denmeisten unserer zahllosen früheren Leben sind wir auf demGrund des Ozeans von Samsara gewesen, in den drei niederenBereichen <strong>–</strong> den Bereichen der Tiere, hungrigen Geister undHöllenwesen <strong>–</strong>, und sind nur alle hunderttausend Jahre oderso als Menschen an die Oberfläche gekommen. Selbst wennwir für kurze Zeit den oberen Bereich des Ozeans Samsarasals Mensch erreichen, ist es äußerst schwierig, dem goldenenJoch des Buddhadharmas zu begegnen: Der Ozean Samsarasist äußerst weit, das goldene Joch des Buddhadharmas bleibtnicht an einer Stelle, sondern wandert von Ort zu Ort, undunsere Weisheitsaugen sind immer blind. Aus diesen Gründensagt Buddha, dass es in Zukunft äußerst selten sein wird, demBuddhadharma wieder zu begegnen, selbst wenn wir einemenschliche Wiedergeburt erhalten. Dem Kadam-Dharma zubegegnen ist sogar noch seltener. Wir können sehen, dass diegroße Mehrheit der Menschen in der Welt dem Buddha dharmanicht begegnet ist, obwohl sie für kurze Zeit den oberen BereichSamsaras als Menschen erreicht hat. Dies deshalb, weil sichihre Weisheitsaugen nicht geöffnet haben.Was heißt „dem Buddhadharma begegnen“? Es heißt in den<strong>Buddhismus</strong> einzutreten, indem wir aufrichtig Zuflucht zuBuddha, Dharma und Sangha nehmen und somit die Gelegenheithaben, in den Pfad zur Erleuchtung einzutreten und aufihm voranzuschreiten. Wenn wir dem Buddhadharma nichtbegegnen, haben wir keine Gelegenheit dies zu tun und wirhaben daher keine Gelegenheit, das reine und immerwährendeGlück der Erleuchtung, den wirklichen Sinn menschlichenLebens, zu verwirklichen. Zum Abschluss sollten wir denken:29


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Gegenwärtig habe ich für kurze Zeit die menschliche Welterreicht und habe die Gelegenheit, dauerhafte Befreiung vonLeiden und das höchste Glück der Erleuchtung zu erlangen,indem ich Dharma in die Praxis umsetze. Wenn ich diesekostbare Gelegenheit mit sinnlosen Tätigkeiten verschwende,gibt es keinen größeren Verlust und keine größere Torheit.Mit diesem Gedanken fassen wir den starken Entschluss,den Dharma von Buddhas Unterweisungen über Zuflucht,allumfassendes Mitgefühl und die tiefgründige Sicht von Leerheitjetzt, während wir die Gelegenheit haben, zu praktizieren.Wir meditieren dann immer wieder über diesen Entschluss.Wir sollten diese Kontemplation und Meditation jeden Tag invielen Sitzungen üben und uns auf diese Weise ermutigen, denwirklichen Sinn aus unserem menschlichen Leben zu ziehen.Wir sollten uns fragen, was für uns das Wichtigste ist <strong>–</strong> waswünschen wir uns, wonach streben wir, wovon träumen wir?Für manche Menschen ist es materieller Besitz, wie ein großesHaus mit dem neuesten Luxus, ein schnelles Auto oder eingut bezahlter Job. Für andere ist es Ansehen, gutes Aussehen,Macht, Zerstreuung oder Abenteuer. Viele versuchen den Sinnihres Lebens in der Beziehung zu ihrer Familie und ihremFreundeskreis zu finden. Alle diese Dinge können uns einekurze Weile glücklich machen, aber sie können uns auch vieleSorgen und viel Leid bereiten. Sie können uns niemals das vollkommeneund dauerhafte Glück verschaffen, nach dem wiruns alle in unseren Herzen sehnen. Haben wir sie zum Hauptzweckunseres Lebens erkoren, werden sie uns eines Tages imStich lassen, da wir sie nicht mit uns nehmen können, wennwir sterben. Weltliche Errungenschaften sind als Selbstzweckhohl; sie sind nicht der wirkliche Sinn menschlichen Lebens.Mit unserem menschlichen Leben können wir den höchsten,dauerhaften geistigen Frieden, der als „Nirvana“ bekannt ist,30


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtungsowie Erleuchtung erlangen, indem wir Dharma in die Praxisumsetzen. Da diese Errungenschaften nichttäuschend undendgültige Zustände von Glück sind, sind sie der wirklicheSinn des menschlichen Lebens. Weil aber unser Wunsch nachweltlichem Vergnügen so stark ist, haben wir wenig odergar kein Interesse an Dharma-Praxis. Von einem spirituellenStandpunkt aus ist dieses fehlende Interesse an Dharma-Praxiseine Art von Faulheit, welche die „Faulheit der Anhaftung“genannt wird. Solange wir diese Faulheit haben, ist das Torzur Befreiung für uns verschlossen und wir werden in derFolge Elend und Leiden in diesem und in zahllosen zukünftigenLeben erfahren. Der Weg, diese Faulheit zu überwinden,welche das Haupthindernis für unsere Dharma-Praxis ist,besteht darin, über den Tod zu meditieren.Wir müssen immer wieder über unseren Tod nachdenkenund meditieren, bis wir eine tiefe Realisation des Todesgewinnen. Obwohl wir auf einer intellektuellen Ebene allewissen, dass wir schließlich sterben werden, bleibt unserGewahrsein des Todes oberflächlich. Da unser intellektuellesWissen um den Tod nicht unsere Herzen berührt, denken wirweiterhin an jedem einzelnen Tag: „Ich werde heute nichtsterben, ich werde heute nicht sterben.“ Selbst an unseremTodestag denken wir noch darüber nach, was wir morgen odernächste Woche tun werden. Dieser Geist, der jeden Tag denkt:„Ich werde heute nicht sterben“, ist täuschend <strong>–</strong> er führt unsin die falsche Richtung und lässt unser menschliches Lebenleer werden. Andererseits werden wir durch Meditieren überden Tod den täuschenden Gedanken: „Ich werde heute nichtsterben“ schrittweise durch den nichttäuschenden Gedanken:„Ich könnte heute sterben“ ersetzen. Der Geist, der spontanjeden einzelnen Tag denkt: „Ich könnte heute sterben“, istdie Realisation des Todes. Es ist diese Realisation, die unsereFaulheit der Anhaftung direkt beseitigt und die Tür zum spirituellenPfad öffnet.31


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Im Allgemeinen könnten wir heute sterben oder wir könntenheute nicht sterben, wir wissen es nicht. Wenn wir jedoch jedenTag denken: „Ich werde heute nicht sterben“, wird uns dieserGedanke täuschen, weil er aus unserer Unwissenheit entsteht.Wenn wir stattdessen jeden Tag denken: „Ich könnte heutesterben“, wird uns dieser Gedanke nicht täuschen, weil eraus unserer Weisheit entsteht. Dieser nützliche Gedanke wirdunsere Faulheit der Anhaftung verhindern und uns ermutigen,uns für das Wohlergehen unserer zahllosen zukünftigen Lebenvorzubereiten oder großes Bemühen anzuwenden, in den Pfadzur Befreiung und Erleuchtung einzutreten. Auf diese Weisewerden wir unser gegenwärtiges menschliches Leben sinnvollmachen. Bis jetzt haben wir unsere zahllosen früheren Lebenohne irgendeinen Sinn verschwendet. Wir haben aus unserenfrüheren Leben nichts außer Verblendungen und Leidenmitgebracht.WAS BEDEUTET UNSER TOD?Unser Tod ist die dauerhafte Trennung unseres Körpers undGeistes. Wir mögen viele vorübergehende Trennungen unseresKörpers und Geistes erfahren, doch diese sind nicht unser Tod.Wenn zum Beispiel diejenigen Meditation ausüben, die ihreSchulung in der Praxis, die als „Bewusstseinsübertragung“bekannt ist, abgeschlossen haben, dann trennt sich ihr Geistvon ihrem Körper. Ihr Körper bleibt dort, wo sie meditieren,und ihr Geist geht in ein Reines Land und kehrt dann zu ihremKörper zurück. Nachts, in Träumen, bleibt unser Körperim Bett, doch unser Geist geht zu verschiedenen Orten derTraumwelt und kehrt dann zu unserem Körper zurück. DieseTrennungen unseres Körpers und Geistes sind nicht unser Tod,weil sie nur vorübergehend sind.Beim Tod trennt sich unser Geist dauerhaft von unseremKörper. Unser Körper bleibt am Ort dieses Lebens, doch unserGeist geht zu verschiedenen Orten unserer zukünftigen Leben,32


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtungwie ein Vogel, der ein Nest verlässt und zu einem anderenfliegt. Dies zeigt klar die Existenz unserer zahllosen zukünftigenLeben und dass die Natur und Funktion unseres Körpersund Geistes sehr unterschiedlich sind. Unser Körper ist einesichtbare Form, die Farbe und Gestalt besitzt, unser Geistjedoch ist ein formloses Kontinuum, dem Farbe und Formimmer fehlen. Die Natur unseres Geistes ist leer wie Raum undseine Funktion ist, Objekte wahrzunehmen oder zu verstehen.Dadurch können wir verstehen, dass unser Gehirn nicht unserGeist ist. Das Gehirn ist einfach nur ein Teil unseres Körpers,das im Gegensatz zu unserem Geist beispielsweise fotografiertwerden kann.Wir sind vielleicht nicht glücklich, etwas über unseren Todzu hören. Doch das Nachdenken und Meditieren über den Todist sehr wichtig für die Wirksamkeit unserer Dharma-Praxis.Das ist so, weil es unser Haupthindernis unserer Dharma-Praxis <strong>–</strong> die Faulheit der Anhaftung an die Dinge dieses Lebens<strong>–</strong> vermeidet und uns dazu ermutigt, genau jetzt reinen Dharmazu praktizieren. Tun wir dies, werden wir den wirklichen Sinnmenschlichen Lebens vor unserem Tod verwirklichen.WIE MAN ÜBER DEN TOD MEDITIERTZuerst führen wir folgende Kontemplation aus:Ich werde mit Sicherheit sterben. Es gibt keine Möglichkeit,meinen Körper vor dem endgültigen Zerfall zu bewahren. Tag umTag, Moment für Moment zerrinnt mein Leben. Ich habe keineAhnung, wann ich sterben werde; der Zeitpunkt des Todes istvöllig ungewiss. Viele junge Menschen sterben vor ihren Eltern,manche sterben bei ihrer Geburt <strong>–</strong> es gibt keine Gewissheit indieser Welt. Zudem gibt es unzählige Ursachen vorzeitigenTodes. Das Leben von vielen starken und gesunden Menschenwird durch Unfälle zerstört. Es gibt keine Garantie, dass ichheute nicht sterben werde.33


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Haben wir wiederholt über diese Punkte nachgedacht,wiederholen wir immer wieder in unserem Geist: „Ich könnteheute sterben, ich könnte heute sterben“, und konzentrierenuns auf das Gefühl, das dies hervorruft. Wir verwandelnunseren Geist in dieses Gefühl: „Ich könnte heute sterben“,und verweilen einsgerichtet darauf solange wie möglich. Wirsollten diese Meditation wiederholt ausüben, bis wir jedeneinzelnen Tag spontan glauben: „Ich könnte heute sterben.“Schließlich werden wir zu einer Schlussfolgerung gelangen:„Da ich diese Welt schon bald verlassen muss, macht es keinenSinn Anhaftung an die Dinge dieses Lebens zu entwickeln.Stattdessen werde ich von jetzt an mein ganzes Leben reinerund aufrichtiger Dharma-Praxis widmen.“ Wir halten diesenEntschluss Tag und Nacht aufrecht.In der Meditationspause sollten wir ohne Faulheit Bemühenin unserer Dharma-Praxis anwenden. Da wir erkennen, dassweltliche Vergnügen täuschend sind und uns davon abhalten,unser Leben auf eine sinnvolle Weise zu nutzen, sollten wirAnhaftung an sie aufgeben. Auf diese Weise können wir dasHaupthindernis für reine Dharma-Praxis beseitigen.DIE GEFAHREN NIEDERER WIEDERGEBURTDer Zweck dieser Erklärung ist uns zu ermutigen, Schutz vorden Gefahren niederer Wiedergeburt vorzubereiten. Wenn wirdies nicht jetzt tun, während wir ein menschliches Leben mitseinen Freiheiten und Ausstattungen besitzen und die Gelegenheitdazu haben, wird es zu spät sein, wenn wir einmaleine der drei niederen Wiedergeburten angenommen haben.Hinzu kommt, dass es äußerst schwierig sein wird wieder einsolch kostbares menschliches Leben zu erhalten. Es heißt, dasses für Menschen leichter ist Erleuchtung zu erlangen, als es fürWesen wie Tiere ist, eine kostbare menschliche Wiedergeburtzu erlangen. Wenn wir dies verstehen, werden wir ermutigt34


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtungsein Nichttugend aufzugeben, Tugend zu praktizieren undZuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha (den erhabenenspirituellen Freunden) zu nehmen. Dies ist der eigentlicheSchutz.Nichttugendhafte Handlungen auszuführen ist die Hauptursachedafür, eine niedere Wiedergeburt anzunehmen,während Tugend zu praktizieren und Zuflucht zu Buddha,Dharma und Sangha zu nehmen die Hauptursachen für einekostbare menschliche Wiedergeburt sind <strong>–</strong> eine Wiedergeburt,in der wir die Gelegenheit haben, dauerhafte Befreiungvon allen Leiden zu erlangen. Schwere nichttugendhafteHandlungen sind die Hauptursache für Wiedergeburt als einHöllenwesen, mittelschwere nichttugendhafte Handlungensind die Hauptursache für Wiedergeburt als hungriger Geistund leichtere nichttugendhafte Handlungen sind die Hauptursachefür Wiedergeburt als ein Tier. In den buddhistischenSchriften werden viele Beispiele dafür gegeben, wie nichttugendhafteHandlungen zu Wiedergeburt in den drei niederenBereichen führen.Es gab einmal einen Jäger, dessen Frau aus einer Familie vonViehzüchtern stammte. Nachdem er starb, nahm er Wiedergeburtals Kuh, die der Familie seiner Frau gehörte. Ein Metzgerkaufte dann diese Kuh, schlachtete sie und verkaufte dasFleisch. Der Jäger wurde sieben Mal als Kuh, die der gleichenFamilie gehörte, wiedergeboren und wurde so zu Nahrung fürandere Menschen.In Tibet gibt es einen See namens Yamdroktso, wo vieleMenschen aus der nahe gelegenen Stadt ihr ganzes Leben mitFischfang verbrachten. Einmal besuchte ein großer Yogi mitHellsicht die Stadt und sagte: „Ich sehe, dass die Menschendieser Stadt und die Fische im See ständig ihren Platz wechseln.“Was er meinte, war, dass die Menschen der Stadt, diesich am Fischen erfreuten, als Fische, die Nahrung anderer35


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Menschen, wiedergeboren wurden; und die Fische im See,wurden als Menschen wiedergeboren, die Freude am Fischenhatten. Indem sie auf diese Weise ihren körperlichen Aspektwechselten, töteten und aßen sie sich ständig gegenseitig.Dieser Kreislauf des Elends setzte sich von Generation zuGeneration fort.WIE MAN ÜBER DIE GEFAHREN NIEDERERWIEDERGEBURT MEDITIERTAls Erstes denken wir über Folgendes nach:Wenn das Öl einer Öllampe verbraucht ist, erlischt die Flamme,weil die Flamme durch das Öl erzeugt wird. Stirbt jedoch unserKörper, erlischt unser Bewusstsein nicht, da das Bewusstseinnicht vom Körper erzeugt wird. Wenn wir sterben, muss unserGeist diesen jetzigen Körper, der nur eine zeitweilige Behausungist, verlassen und einen neuen Körper finden, wie ein Vogel, dersein Nest verlässt, um zu einem anderen zu fliegen. Unser Geisthat weder die Freiheit zu bleiben, noch kann er sich auswählen,wohin er gehen möchte. Wir werden durch die Winde unsererHandlungen oder unseres Karmas (unser Glück oder Unglück)zum Ort unserer nächsten Wiedergeburt geweht. Ist das Karmanegativ, das zum Zeitpunkt unseres Todes reift, erfahren wirmit Sicherheit eine niedere Wiedergeburt. Schwerwiegendesnegatives Karma verursacht eine Wiedergeburt in der Hölle,mittelschweres negatives Karma verursacht eine Wiedergeburtals hungriger Geist und geringeres negatives Karma verursachteine Wiedergeburt als Tier.Es ist sehr einfach, schweres negatives Karma zu erschaffen.Töten wir zum Beispiel aus Wut eine Mücke, schaffen wir dieUrsache, in der Hölle wiedergeboren zu werden. Während diesesund all unserer zahllosen früheren Leben haben wir zahlreicheschwerwiegende negative Handlungen begangen. Falls wir diese36


Der Pfad einer Person anfänglicher AusrichtungHandlungen nicht schon durch aufrichtiges Bekennen gereinigthaben, bleiben ihre Potentiale in unserem Geisteskontinuum undjedes dieser negativen Potentiale kann zum Zeitpunkt unseresTodes reifen. Dies bedenkend, sollten wir überlegen: „Wo werdeich morgen sein, wenn ich heute sterbe? Es ist gut möglich, dassich mich im Tierbereich, unter den hungrigen Geistern oder inder Hölle wiederfinden werde. Würde mich heute jemand einedumme Kuh nennen, könnte ich das schwer ertragen, aber waswerde ich tun, wenn ich tatsächlich eine Kuh, ein Schwein oderein Fisch werde <strong>–</strong> die Nahrung der Menschen?“Haben wir eingehend über diese Punkte nachgedacht undverstanden, wie die Lebewesen in den niederen Bereichen, zumBeispiel Tiere, Leiden erfahren, erzeugen wir große Furcht voreiner Wiedergeburt in den niederen Bereichen. Dieses Gefühlder Furcht ist das Objekt unserer Meditation. Wir halten esdann, ohne es zu vergessen; unser Geist sollte einsgerichtet undso lange wie möglich auf diesem Gefühl der Furcht verweilen.Wenn wir das Objekt unserer Meditation verlieren, erneuernwir das Gefühl der Furcht, indem wir uns sofort wieder daranerinnern oder indem wir die Kontemplation wiederholen.In der Meditationspause versuchen wir unser Gefühl derFurcht, eine Wiedergeburt in den niederen Bereichen anzunehmen,niemals zu vergessen. Im Allgemeinen ist Furchtsinnlos, doch die Furcht, die durch die obige Kontemplationund Meditation erzeugt wird, hat enormen Sinn, da sie ausWeisheit und nicht aus Unwissenheit entsteht. Diese Furcht istdie Hauptursache für die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharmaund Sangha, die der eigentliche Schutz vor derartigen Gefahrenist, und sie hilft uns, achtsam und gewissenhaft zu sein, nichttugendhafteHandlungen zu vermeiden.37


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>ZUFLUCHT NEHMENIn diesem Zusammenhang bedeutet „Zuflucht nehmen“Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma und Sangha. Der Zweckdieser Praxis ist, uns dauerhaft vor niederer Wiedergeburt zuschützen. Weil wir gegenwärtig Menschen sind, sind wir freivon einer Wiedergeburt als Tier, hungriger Geist oder Höllenwesen,doch dies ist nur vorübergehend. Wir sind wie einGefangener, dem gestattet wird, für eine Woche Urlaub nachHause zu gehen, der aber dann ins Gefängnis zurückkehrenmuss. Wir brauchen dauerhafte Befreiung von den Leidendieses und zahlloser zukünftiger Leben. Dies ist abhängigdavon, in den buddhistischen Pfad zur Befreiung einzutreten,auf ihm voranzuschreiten und ihn zu vollenden, was wiederumdavon abhängig ist, in den <strong>Buddhismus</strong> einzutreten.Wir treten durch die Praxis der Zufluchtnahme in den<strong>Buddhismus</strong> ein. Damit unsere Praxis der Zuflucht qualifiziertist, sollten wir, während wir Buddha vor uns visualisieren,sprachlich oder geistig das Versprechen ablegen, unser ganzesLeben lang Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha zunehmen. Dieses Versprechen ist unser Zufluchtsgelübde unddas Tor, durch das wir in den <strong>Buddhismus</strong> eintreten. Solangewir dieses Versprechen halten, befinden wir uns innerhalb des<strong>Buddhismus</strong>, brechen wir es aber, befinden wir uns außerhalb.Indem wir in den <strong>Buddhismus</strong> eintreten und darin bleiben,haben wir die Gelegenheit den buddhistischen Pfad zurBefreiung und Erleuchtung zu beginnen, auf ihm voranzuschreitenund ihn zu vollenden.Wir sollten unser Versprechen der Zufluchtnahme zuBuddha, Dharma und Sangha unser ganzes Leben langnie aufgeben. Zuflucht nehmen zu Buddha, Dharma undSangha bedeutet, dass wir Bemühen anwenden, um BuddhasSegnungen zu empfangen, Dharma in die Praxis umzusetzenund Hilfe durch den Sangha zu erhalten. Dies sind die drei38


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtunghauptsächlichen Verpflichtungen des Zufluchtsgelübdes.Wenn wir diese drei hauptsächlichen Verpflichtungen haltenund aufrichtig praktizieren, können wir unser endgültiges Zielerreichen.Der Hauptgrund, warum wir den Entschluss fassen unddas Versprechen ablegen, unser ganzes Leben lang Zufluchtzu Buddha, Dharma und Sangha zu nehmen, ist der, dass wirdauerhafte Befreiung von Leiden erlangen müssen. Gegenwärtigmögen wir von körperlichem Leid und geistigemSchmerz frei sein, wie jedoch zuvor erwähnt, ist diese Freiheitnur eine vorübergehende. Später in diesem und in unserenzahllosen zukünftigen Leben werden wir ständig unerträglicheskörperliches Leiden und geistigen Schmerz erfahrenmüssen, Leben für Leben, endlos.Ist unser Leben in Gefahr oder werden wir durch jemandembedroht, suchen wir für gewöhnlich Zuflucht bei der Polizei.Natürlich kann uns die Polizei manchmal vor einer bestimmtenGefahr beschützen, doch keine Polizei kann uns dauerhafteBefreiung vom Tod geben. Sind wir ernsthaft krank, suchen wirZuflucht bei Ärzten. Manchmal können Ärzte eine bestimmteKrankheit heilen, doch kein Arzt kann uns dauerhafteBefreiung von Krankheit geben. Was wir wirklich benötigen,ist dauerhafte Befreiung von allen Leiden, und als Menschenkönnen wir dies erreichen, indem wir Zuflucht zu Buddha,Dharma und Sangha nehmen.Buddhas sind „erwacht“, was bedeutet, dass sie aus demSchlaf der Unwissenheit erwacht sind und von den TräumenSamsaras, dem Kreislauf unreinen Lebens, frei sind. Buddhassind völlig reine Wesen, die dauerhaft von allen Verblendungenund fehlerhafter Erscheinung frei sind. Wie zuvor erwähnt istBuddhas Funktion, jedem einzelnen Lebewesen jeden Tag geistigenFrieden zu gewähren, indem er es segnet. Wir wissen,dass wir glücklich sind, wenn unser Geist friedvoll ist, und39


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>unglücklich, wenn er es nicht ist. Es ist deshalb klar, dass unserGlück von einem friedvollen Geist abhängt und dass es nichtvon guten äußeren Bedingungen herrührt. Selbst wenn unsereäußeren Bedingungen schlecht sind, werden wir immer glücklichsein, wenn wir jederzeit einen friedvollen Geist bewahren.Durch das beständige Empfangen von Buddhas Segnungenkönnen wir jederzeit einen glücklichen Geist bewahren.Buddha ist daher die Quelle unseres Glücks. Dharma ist dereigentliche Schutz, durch den wir dauerhaft von den Leidenvon Krankheit, Altern, Tod und Wiedergeburt erlöst werdenund Sangha sind die erhabenen spirituellen Freunde, die unszu korrekten spirituellen Pfaden führen. Durch diese dreikostbaren wunscherfüllenden Juwelen Buddha, Dharma undSangha <strong>–</strong> die als die „Drei Juwelen“ bekannt sind <strong>–</strong> können wirsowohl unsere eigenen Wünsche als auch die Wünsche alleranderen Lebewesen erfüllen.Jeden Tag sollten wir aus der Tiefe unseres Herzens Bittgebetean die erleuchteten Buddhas rezitieren, während wirtiefes Vertrauen in sie bewahren. Dies ist eine einfache Methodefür uns, beständig Buddhas Segnungen zu empfangen. Wirsollten auch an Gruppengebeten, die als „Pujas“ bekanntsind, teilnehmen und in buddhistischen Tempeln oder Gebetsräumenorganisiert werden. Sie sind kraftvolle Methoden, umBuddhas Segnungen und Schutz zu erhalten.WIE MAN ÜBER ZUFLUCHTNAHME MEDITIERTAls Erstes denken wir über Folgendes nach:Ich möchte mich dauerhaft vor den Leiden dieses und zahlloserkünftiger Leben schützen und davon befreien. Ich kann diesnur erreichen, indem ich Buddhas Segnungen empfange, denDharma in die Praxis umsetze und Hilfe vom Sangha, denerhabensten spirituellen Freunden, erhalte.40


Der Pfad einer Person anfänglicher AusrichtungIndem wir auf diese Weise tief nachdenken, fassen wirzuerst einen starken Entschluss und versprechen dannaufrichtig, unser ganzes Leben lang zu Buddha, Dharmaund Sangha Zuflucht zu nehmen. Wir sollten jeden Tag überdiesen Entschluss meditieren und unser Versprechen für denRest unseres Lebens beständig bewahren. Die Verpflichtungenunseres Zufluchtsgelübdes bestehen darin, immer Bemühenanzuwenden, um Buddhas Segnungen zu empfangen, Dharmain die Praxis umzusetzen und durch den Sangha, unsere reinenspirituellen Freunde einschließlich unseres spirituellen Lehrers,Hilfe zu erhalten. Auf diese Weise nehmen wir Zuflucht zuBuddha, Dharma und Sangha. Dadurch werden wir unser Zielerreichen <strong>–</strong> dauerhafte Befreiung von allen Leiden dieses undzahlloser zukünftiger Leben. Das ist der wirkliche Sinn unseresmenschlichen Lebens.Um unser Versprechen zu wahren, unser ganzes Leben langZuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha zu nehmen, unddamit wir und alle Lebewesen Buddhas Segnungen und seinenSchutz erhalten, rezitieren wir das folgende Zufluchtsgebetjeden Tag mit starkem Vertrauen:Bis wir Erleuchtung erlangen, nehmen ich und alle fühlendenWesenZuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha.WAS IST KARMA?Der Zweck Karma zu verstehen und daran zu glauben ist der,zukünftiges Leiden zu verhindern und die Grundlage fürden Pfad zur Befreiung und Erleuchtung zu schaffen. Karmabedeutet allgemein „Handlung“. Aus nichttugendhaften Handlungenentsteht Leiden und aus tugendhaften Handlungenentsteht Glück. Wenn wir dies glauben, glauben wir an Karma.41


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Buddha gab ausführliche Unterweisungen, um diese Wahrheitzu beweisen, sowie viele verschiedene Beispiele, um die besondereVerbindung zwischen den Handlungen unserer früherenLeben und unseren Erfahrungen dieses Lebens aufzuzeigen.Einige davon werden in Freudvoller Weg des Glücks erklärt.In unseren früheren Leben führten wir verschiedene Artenvon nichttugendhaften Handlungen aus, die für andere Leidenbewirkten. Als Ergebnis dieser nichttugendhaften Handlungenentstehen unterschiedliche elende Bedingungen undSituationen und wir erfahren endlos menschliche Leiden undProbleme. Für alle anderen Lebewesen gilt das Gleiche.Wir sollten beurteilen, ob wir glauben oder nicht glauben,dass die Hauptursache von Leiden unsere nichttugendhaftenHandlungen und die Hauptursache von Glück unseretugendhaften Handlungen sind. Wenn wir dies nicht glauben,werden wir niemals Bemühen aufbringen, um tugendhafteHandlungen oder Verdienste anzusammeln, und wir werdenniemals unsere nichttugendhaften Handlungen reinigen.Aufgrund dessen werden wir ständig Leiden und Schwierigkeitenerfahren <strong>–</strong> Leben für Leben, endlos.Jede von uns begangene Handlung hinterlässt eine Prägungin unserem sehr subtilen Geist und jede Prägung hat irgendwannihre eigene Auswirkung zur Folge. Unser Geist gleichteinem Feld und das Ausführen von Handlungen gleicht demSäen von Samen in diesem Feld. Tugendhafte Handlungensetzen Samen für zukünftiges Glück und nichttugendhafteHandlungen setzen Samen für zukünftiges Leiden. DieseSamen ruhen in unserem Geist, bis die Bedingungen für ihreReifung entstehen und sie ihre Auswirkung produzieren.In manchen Fällen geschieht dies erst viele Leben nach demLeben, in dem die ursprüngliche Handlung begangen wurde.Die Samen, die zum Zeitpunkt unseres Todes reifen, sindsehr wichtig, weil sie die Art der Wiedergeburt unseres42


Der Pfad einer Person anfänglicher Ausrichtungnächsten Lebens bestimmen. Welcher Samen beim Tod reifwird, hängt vom Geisteszustand ab, in dem wir sterben. Sterbenwir mit einem friedvollen Geist, wird dies einen tugendhaftenSamen anregen und wir werden eine glückliche Wiedergeburterfahren. Sterben wir aber mit einem unfriedlichen Geist, zumBeispiel in einem Zustand der Wut, wird dies einen nichttugendhaftenSamen anregen und wir werden eine unglücklicheWiedergeburt erfahren. Der Vorgang gleicht der Art und Weise,wie Albträume durch einen erregten Geisteszustand unmittelbarvor dem Einschlafen ausgelöst werden.Alle unangemessenen Handlungen, einschließlichTöten, Stehlen, sexuelles Fehlverhalten, Lügen, trennendeRede, verletzende Rede, leeres Geschwätz, Begehrlichkeit,Böswilligkeit und Halten von falschen Sichtweisen, sindnichttugendhafte Handlungen. Wenn wir nichttugendhafteHandlungen aufgeben und uns bemühen, frühere nichttugendhafteHandlungen zu reinigen, praktizieren wirmoralische Disziplin. Dies verhindert, dass wir zukünftigesLeid erfahren und eine niedere Wiedergeburt annehmen.Beispiele von tugendhaften Handlungen sind die Schulungenin allen Meditationen oder anderen spirituellen Übungen, diein diesem Buch dargelegt werden. Meditation ist eine tugendhaftegeistige Handlung, welche die Hauptursache dafür ist,geistigen Frieden in der Zukunft zu erfahren. Wann immerwir Meditation praktizieren, ob unsere Meditation klar ist odernicht, üben wir eine tugendhafte geistige Handlung aus, dieeine Ursache für zukünftiges Glück und geistigen Frieden ist.Normalerweise sorgen wir uns vor allem um körperliche undsprachliche Handlungen, doch in Wirklichkeit sind geistigeHandlungen wichtiger. Unsere körperlichen und sprachlichenHandlungen hängen von unserer geistigen Handlung ab <strong>–</strong>davon, dass wir geistig einen Entschluss fassen.43


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Wann immer wir tugendhafte Handlungen wie Meditationoder andere spirituelle Übungen ausführen, sollten wirfolgenden geistigen Entschluss fassen:Während ich das Pferd tugendhafter Handlungen reite,Werde ich es mit dem Zügel der Entsagung in den Pfadder Befreiung führen;Und indem ich das Pferd mit der Peitsche desBemühens vorantreibe,Werde ich schnell das Reine Land der Befreiung undErleuchtung erreichen.Nachdem wir über die obige Erklärung nachgedacht haben,sollten wir denken:Da ich selbst niemals leiden und immer glücklich sein möchte,muss ich meine nichttugendhaften Handlungen aufgeben undreinigen, und aufrichtig tugendhafte Handlungen ausüben.Wir sollten jeden Tag über diesen Entschluss meditieren undihn in die Praxis umsetzen.44


Der Pfad einer Person mittlererAusrichtungIn diesem Zusammenhang bezieht sich eine „Person mittlererAusrichtung“ auf jemanden, der eine mittlere Kapazität hat,um spirituelles Verständnis und Realisationen zu entwickeln.WAS WIR WISSEN SOLLTENIm <strong>Sutra</strong> der Vier Edlen Wahrheiten sagt Buddha: „Ihr solltetLeiden erkennen.“ Wenn er das sagt, dann rät uns Buddha,dass wir die unerträglichen Leiden, die wir in unseren zahllosenzukünftigen Leben erfahren werden, erkennen, unddaher Entsagung entwickeln sollten, den Entschluss, uns fürimmer von diesen Leiden zu befreien.Im Allgemeinen verstehen alle, selbst Tiere, die körperlicheoder geistige Schmerzen erfahren, ihr eigenes Leiden. Dochwenn Buddha sagt: „Ihr solltet Leiden erkennen“, meint er,dass wir die Leiden zukünftiger Leben erkennen sollten. Wennwir diese erkennen, werden wir einen starken Wunsch entwickeln,uns von ihnen zu befreien. Dieser praktische Ratschlagist für jeden wichtig, weil wir unser gegenwärtiges menschlichesLeben für die Freiheit und das Glück unserer zahllosenzukünftigen Leben nutzen werden, sofern wir den Wunschhaben, uns von den Leiden der zukünftigen Leben zu befreien.Es gibt nichts Sinnvolleres als das.45


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Haben wir diesen Wunsch aber nicht, dann werden wir unserkostbares menschliches Leben einzig für die Freiheit und dasGlück dieses einen kurzen Lebens verschwenden. Das wäredumm, denn unsere Absicht und unsere Handlungen wärennicht verschieden von der Absicht und den Handlungen derTiere, die einzig und allein mit diesem Leben beschäftigt sind.Der große Yogi Milarepa sagte einmal zu einem Jäger namensGonpo Dorje:Du hast den Körper eines Menschen, aber den Geisteines Tieres.Du, ein Mensch, der den Geist eines Tieres besitzt, bittehöre mein Lied an.Normalerweise denken wir, dass es am Wichtigsten ist, dieProbleme und Leiden des gegenwärtigen Lebens zu lösen, undwir widmen unser ganzes Leben diesem Ziel. In Wirklichkeitsind die Probleme und Leiden dieses Lebens sehr kurz; wennwir morgen sterben, enden sie morgen. Da jedoch die Dauerder Probleme und Leiden zukünftiger Leben endlos ist, istdie Freiheit und das Glück unserer zukünftigen Leben vielwichtiger als die Freiheit und das Glück dieses einen, kurzenLebens. Buddha ermutigt uns mit den Worten: „Ihr solltetLeiden erkennen“, dieses gegenwärtige Menschenleben zunutzen, um die Freiheit und das Glück unserer unzähligenzukünftigen Leben vorzubereiten. Wer so handelt, ist wahrhaftigweise.Wenn wir in zukünftigen Leben als ein Tier, etwa als Kuhoder Fisch geboren werden, werden wir zur Nahrung fürandere Lebewesen und wir werden viele Arten von tierischemLeid erfahren müssen. Tiere haben keine Freiheit und werdenvon Menschen für Nahrung, Arbeit und Vergnügen benutzt.Sie haben keine Gelegenheit sich zu entwickeln; selbst wenn siekostbare Worte des Dharmas hören, sind sie so sinnlos für sie46


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungwie das Rauschen des Windes. Werden wir als hungriger Geistgeboren, werden wir nicht einmal den kleinsten Wassertropfenzum Trinken haben; allenfalls unsere Tränen werden unserWasser sein. Wir werden für viele hundert Jahre unerträglichenDurst und Hunger erfahren. Wenn wir als Höllenwesenin den heißen Höllen geboren werden, wird unser Körperuntrennbar mit Feuer eins sein, und andere werden unsereKörper nur durch unsere Schreie vom Feuer unterscheidenkönnen. Wir werden für Millionen von Jahren unter der unerträglichenFolter unserer brennenden Körper leiden müssen.Wie alle anderen Phänomene existieren die Höllenbereichenicht inhärent, sondern als bloße Erscheinungen des Geistes,wie Träume. Wenn wir als Gott des Begierdebereichs geborenwerden, erfahren wir viel Streit und Unzufriedenheit. Selbstwenn wir etwas oberflächliches Vergnügen erleben, werdenunsere Wünsche immer stärker und unser geistiges Leidenist sogar größer als das der Menschen. Wenn wir als Halbgottgeboren werden, sind wir immer eifersüchtig auf die Herrlichkeitder Götter und leiden geistig sehr darunter. UnsereEifersucht ist wie ein Dorn in unserem Geist, der uns für langeZeit geistig und körperlich leiden lässt. Wenn wir als Menschgeboren werden, müssen wir die verschiedenen Arten vonmenschlichen Leiden erfahren, wie die Leiden der Geburt, derKrankheit, des Alterns und des Todes.GEBURTWenn unser Bewusstsein in die Vereinigung des Spermasunseres Vaters und der Eizelle unserer Mutter eintritt, istunser Körper eine sehr heiße, wässrige Substanz, wie weißer,leicht rötlich gefärbter Joghurt. In den ersten Momenten nachder Empfängnis haben wir keine groben Empfindungen,aber sobald sich diese entwickeln, beginnen wir, deutlichenSchmerz zu spüren. Unser Körper wird allmählich härter47


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>und wenn unsere Gliedmaßen wachsen, fühlt es sich an, alsob unser Körper auf einer Folterbank gestreckt würde. Inder Gebärmutter ist es heiß und dunkel. Für neun Monate istdieser kleine, eng zusammengepresste Raum voller unreinerSubstanzen unser Heim. Es fühlt sich an, als ob man in einenmit schmutziger Flüssigkeit gefüllten kleinen Wassertankeingezwängt wäre, dessen Deckel dicht verschlossen ist, sodass weder Luft noch Licht eindringen können.Während wir uns im Mutterleib befinden, erleben wir invölliger Einsamkeit große Schmerzen und große Angst. Wirreagieren äußerst empfindlich auf alles, was unsere Muttertut. Wenn sie schnell geht, fühlt es sich an, als würden wir voneinem hohen Berg fallen, und wir haben schreckliche Angst.Wenn sie Geschlechtsverkehr hat, fühlt es sich an, als würdenwir zwischen zwei riesigen Gewichten zerquetscht und erstickt,und wir geraten in Panik. Wenn unsere Mutter auch nur eineneinzigen Sprung macht, fühlt es sich an, als würden wir ausgroßer Höhe heftig auf den Boden aufschlagen. Wenn sie etwasHeißes trinkt, fühlt es sich an, als ob kochendes Wasser unsereHaut verbrennen würde, und wenn sie etwas Kaltes trinkt,fühlt es sich an wie eine eiskalte Dusche im tiefsten Winter.Wenn wir den Mutterleib verlassen, ist es, als würden wirdurch eine enge Spalte zwischen zwei harten Felsen gedrückt,und als Neugeborenes ist unser Körper so empfindlich, dassjede Art von Kontakt schmerzhaft ist. Selbst wenn uns jemandsehr behutsam hält, fühlen sich die Hände an wie Dornbüsche,die sich in unser Fleisch bohren, und die feinsten Gewebe fühlensich rau an und kratzen. Verglichen mit der Weichheit undGlätte des Mutterleibes, ist jede Berührung rau und schmerzhaft.Wenn uns jemand hochnimmt, fühlt es sich an, als würdenwir über einen tiefen Abgrund geschwungen, und wir habenAngst und fühlen uns unsicher. Wir haben alles vergessen,was wir in unseren vergangenen Leben gewusst haben; wirbringen nur Schmerz und Verwirrung aus dem Mutterleib mit.48


Der Pfad einer Person mittlerer AusrichtungWas immer wir auch hören, ist so sinnlos wie das Geräusch desWindes, und wir können nichts von dem verstehen, was wirwahrnehmen. In den ersten Wochen gleichen wir jemandem,der blind, taub und stumm ist und unter starkem Gedächtnisschwundleidet. Wenn wir hungrig sind, können wir nichtsagen: „Ich brauche etwas zu essen“, und wenn wir Schmerzenhaben, können wir nicht sagen: „Hier tut es weh.“ Die einzigenZeichen, die wir geben können, sind heiße Tränen und wildeGebärden. Unsere Mutter hat oft keine Ahnung, unter welchenSchmerzen und Beschwerden wir leiden. Wir sind vollständighilflos, und alles muss uns beigebracht werden: wie man isst,wie man sitzt, wie man geht und so weiter.Obwohl wir in den ersten Wochen unseres Lebens amverletzlichsten sind, hören unsere Schmerzen nicht auf, wennwir aufwachsen. Während unseres ganzen Lebens erfahrenwir weiterhin die verschiedensten Arten von Leiden. Genausowie die Wärme eines Feuers, das wir in einem großen Hausanzünden, das ganze Haus durchdringt und die gesamteWärme im Haus von diesem Feuer stammt, so durchdringtLeiden unser ganzes Leben, wenn wir in Samsara geborenwerden, und alles Elend, das wir erfahren, entsteht, weil wireine verunreinigte Wiedergeburt angenommen haben.Unsere menschliche Wiedergeburt, verunreinigt durch diegiftige Verblendung des Festhaltens am Selbst, ist die Grundlageunseres menschlichen Leidens; ohne diese Grundlage gibtes keine menschliche Probleme. Die Schmerzen der Geburtwandeln sich allmählich in die Schmerzen von Krankheit,Altern und Tod <strong>–</strong> sie sind ein Kontinuum.KRANKHEITUnsere Geburt führt auch zu den Leiden der Krankheit. So wieder Wind und der Schnee des Winters die Pracht der grünenWiesen, Wälder und Blumen vertreibt, so nimmt uns Krankheit49


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>die jugendliche Pracht unseres Körpers, zerstört seine Stärkeund unsere Sinneskräfte. Wenn wir normalerweise fit undgesund sind, sind wir plötzlich unfähig, all unsere normalenkörperlichen Handlungen auszuüben, wenn wir krankwerden. Sogar ein Meisterboxer, der normalerweise all seineGegner k.o. schlagen kann, wird ganz hilflos, wenn ihn eineKrankheit trifft. Krankheit lässt alle Erfahrungen unserer täglichenVergnügen verschwinden und bereitet uns Tag und Nachtunangenehme Gefühle.Wenn wir krank werden, gleichen wir einem Vogel, derhoch am Himmel schwebt und plötzlich abgeschossen wird.Wird ein Vogel abgeschossen, fällt er senkrecht zu Boden wieein Klumpen Blei, und all seine Pracht und Stärke sind sofortzerstört. Ganz ähnlich ergeht es uns: Wenn wir krank werden,sind wir augenblicklich handlungsunfähig. Wenn wir ernsthaftkrank sind, können wir vollständig von anderen abhängigwerden und sogar die Kontrolle über unsere Körperfunktionenverlieren. Dieser Wandel ist schwer zu ertragen, insbesonderefür diejenigen, die stolz auf ihre Unabhängigkeit und körperlicheGesundheit sind.Wenn wir krank sind, fühlen wir uns frustriert, weil wirunsere tägliche Arbeit nicht verrichten können. Wir könnennicht alle Aufgaben erledigen, die wir uns vorgenommenhaben. Wir werden leicht ungeduldig mit unserer Krankheitund fühlen uns wegen all der Dinge deprimiert, die wir nichttun können. Wir können die Dinge nicht genießen, die unsgewöhnlich Freude bereiten, wie Sport oder Tanzen, Trinkenoder reichhaltiges Essen oder die Gesellschaft unserer Freunde.Alle diese Beschränkungen führen dazu, dass wir uns nochelender fühlen; und um unser Unglück noch zu vergrößern,müssen wir alle Schmerzen erdulden, die die Krankheit mitsich bringt.Wenn wir krank sind, müssen wir nicht nur alle unerwünschtenSchmerzen der Krankheit selbst erleiden, wir50


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungmüssen auch allerlei andere unerwünschte Dinge erdulden.Wir müssen zum Beispiel alle Behandlungen über uns ergehenlassen, die verschrieben werden, sei es eine übelriechendeMedizin, eine Reihe von Spritzen, eine größere Operationoder Abstinenz von etwas, was wir sehr mögen. Wenn wir unsoperieren lassen, müssen wir ins Krankenhaus gehen und alleBedingungen dort akzeptieren. Wir müssen vielleicht essen,was wir nicht mögen, und den ganzen Tag im Bett liegen, ohneetwas tun zu können, und vielleicht ängstigt uns die bevorstehendeOperation. Unser Arzt erklärt uns möglicherweisenicht genau, wo das Problem liegt und ob er erwartet, dass wirüberleben oder nicht.Wenn wir erfahren, dass unsere Krankheit unheilbar ist, undwir unser Leben nicht genutzt haben, um Dharma zu praktizieren,werden wir uns Sorgen machen und Angst und Reueverspüren. Möglicherweise werden wir deprimiert sein unddie Hoffnung aufgeben, oder wir werden wütend auf unsereKrankheit und sehen sie als Feind, der uns böswillig all unsereFreude raubt.ALTERNUnsere Geburt führt auch zu den Schmerzen des Alterns: Alternstiehlt uns unsere Schönheit, unsere Gesundheit, unsere guteFigur, unseren zarten Teint, unsere Vitalität und unser Wohlbehagen.Altern verwandelt uns in verachtenswerte Objekte,bringt viele ungewollte Schmerzen und führt uns rasch zumTod.Während wir alt werden, verlieren wir die Schönheitunserer Jugend, und unser starker, gesunder Körper wirdschwach und von Krankheit belastet. Unsere einst feste undgut proportionierte Figur wird gebeugt und entstellt. UnsereMuskeln und unser Fleisch schrumpfen, so dass unsere Gliederwie dünne Stöcke werden und unsere Knochen hervortreten.51


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Unser Haar verliert die Farbe und den Glanz, und unsere Hautverliert ihren Schimmer. Unser Gesicht wird runzlig, undunsere Gesichtszüge verzerren sich. Milarepa sagte:Wie stehen alte Leute auf? Sie stehen auf, als würdensie einen Pfahl aus dem Boden ziehen. Wie gehen alteLeute? Wenn sie einmal auf ihren Füßen stehen, müssensie behutsam gehen wie Vogelfänger. Wie setzen sich alteLeute hin? Sie brechen zusammen wie schweres Gepäck,dessen Riemen gerissen ist.Wir können über das folgende Gedicht nachdenken, dasdie Leiden des Altwerdens beschreibt. Es wurde von demGelehrten Gungtang verfasst:Wenn wir alt sind, wird unser Haar weiß,Aber nicht, weil wir es sauber gewaschen haben.Es ist ein Zeichen, dass wir bald dem Herrn des Todesbegegnen werden.Wir haben Falten auf unserer Stirn,Aber nicht weil wir zu viel Fleisch haben.Es ist eine Warnung vom Herrn des Todes: „Du bist imBegriff zu sterben.“Unsere Zähne fallen aus,Aber nicht, um Raum für neue zu schaffen.Es ist ein Zeichen, dass wir das Essen der Menschenbald nicht mehr genießen können.Unsere Gesichter sind hässlich und unfreundlich,Aber nicht, weil wir Masken tragen.Es ist ein Zeichen, dass wir die Maske der Jugendverloren haben.Unsere Köpfe wackeln hin und her,Aber nicht, weil wir nicht einverstanden sind.Es ist der Herr des Todes, der unsere Köpfe mit dem52


Der Pfad einer Person mittlerer AusrichtungStock schlägt, den er in seiner rechten Hand hält.Wir gehen gebeugt und starren auf den Boden,Aber nicht, weil wir verlorene Nadeln suchen.Es ist ein Zeichen, dass wir nach verlorener Schönheit,Erinnerung und verlorenem Besitz suchen.Wir richten uns auf allen Vieren vom Boden auf,Aber nicht, weil wir Tiere imitieren.Es ist ein Zeichen, dass unsere Beine zu schwach sind,unseren Körper zu tragen.Wir setzen uns hin, als ob wir plötzlich hingefallenwären,Aber nicht, weil wir wütend sind.Es ist ein Zeichen, dass unser Körper seine Kraftverloren hat.Wir wiegen unseren Körper hin und her, wenn wir gehen,Aber nicht, weil wir uns für wichtig halten.Es ist ein Zeichen, dass unsere Beine den Körper nichttragen können.Unsere Hände zittern,Aber nicht, weil sie in Versuchung sind zu stehlen.Es ist ein Zeichen, dass die verlangenden Finger desHerrn des Todes unseren Besitz stehlen.Wir essen sehr wenig,Aber nicht, weil wir geizig sind.Es ist ein Zeichen, dass wir das Essen nicht verdauenkönnen.Wir keuchen häufig,Aber nicht, weil wir den Kranken Mantras zuflüstern.Es ist ein Zeichen, dass unser Atem bald verschwindenwird.53


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Wenn wir jung sind, können wir um die ganze Welt reisen,doch wenn wir alt sind, schaffen wir es kaum zu unseremeigenen Gartentor. Wir werden zu schwach, um uns mitvielen weltlichen Dingen zu beschäftigen, und unsere spirituellenAktivitäten sind oft eingeschränkt. So haben wir zumBeispiel nur noch wenig körperliche Kraft für tugendhafteHandlungen, und wir haben weniger geistige Energie fürsAuswendiglernen, Nachdenken und Meditieren. Wir könnennicht an Unterweisungen teilnehmen, die an Orten stattfinden,die schwer zu erreichen sind oder schlechte Unterkünfte haben.Wir können anderen nicht helfen, wenn dies körperliche Stärkeund Gesundheit erfordert. Entbehrungen wie diese machenalte Leute oft sehr traurig.Wenn wir alt werden, werden wir wie Blinde oder Taube.Wir können nicht deutlich sehen und brauchen immer stärkereBrillen, bis wir schließlich nicht mehr lesen können. Wirkönnen nicht gut hören und daher wird es immer schwieriger,Musik zu hören, fernzusehen oder zu hören, was andere sagen.Unser Gedächtnis schwindet. Alle Aktivitäten, weltliche undspirituelle, werden mühevoller. Wenn wir meditieren, wirdes schwieriger für uns, Realisationen zu erlangen, weil unserGedächtnis und unsere Konzentration zu schwach sind, undbeim Studium können wir uns nicht groß anstrengen. Wennwir den Dharma nicht in unserer Jugend gelernt und praktizierthaben, bleibt uns daher nichts anderes übrig, als Reue zuempfinden und auf den Herrn des Todes zu warten.Wenn wir alt sind, bereiten uns die Dinge, die wir frühergenossen haben, nicht mehr das gleiche Vergnügen. BeimEssen, Trinken und Sex verspüren wir nicht mehr die gleicheFreude. Wir sind zu schwach, um Spiele zu spielen, und oftsind wir sogar zu erschöpft, um uns unterhalten zu lassen.Wenn unsere Lebensspanne schwindet, können wir an denAktivitäten junger Leute nicht mehr teilnehmen. Wenn sie auf54


Der Pfad einer Person mittlerer AusrichtungReisen gehen, müssen wir zurückbleiben. Niemand will unsbei sich haben, wenn wir alt sind, und niemand will uns besuchen.Sogar unsere eigenen Enkel wollen nicht sehr lange beiuns bleiben. Alte Menschen denken oft: „Wie wundervoll wärees, wenn junge Leute bei mir wären. Wir würden spazierengehen und ich könnte ihnen vieles zeigen.“ Doch die jungenLeute kümmern sich nicht um diese Pläne. Wenn das Leben zuEnde geht, erfahren alte Leute den Kummer des Verlassenseinsund der Einsamkeit. Sie haben viele besondere Leiden.TODUnsere Geburt führt auch zu den Leiden des Todes. Wenn wirin unserem Leben sehr schwer gearbeitet haben, um Besitzanzusammeln, und wenn wir sehr starke Anhaftung daranentwickelt haben, werden wir zum Zeitpunkt des Todes sehrleiden und denken: „Jetzt muss ich meinen ganzen kostbarenBesitz zurücklassen.“ Gewöhnlich fällt es uns sehr schwer, auchnur einen kleinen Teil unseres am meisten geschätzten Besitzesauszuleihen, geschweige denn, ihn wegzugeben. Kein Wunderalso, dass wir uns so elend fühlen, wenn wir erkennen, dasswir in den Händen des Todes alles aufgeben müssen.Wenn wir sterben, müssen wir uns selbst von unserenengsten Freunden trennen. Wir müssen unseren Ehepartnerverlassen, auch wenn wir viele Jahre zusammen und nichteinen einzigen Tag voneinander getrennt waren. Haben wirsehr starke Anhaftung an unsere Freunde, werden wir zumZeitpunkt des Todes großes Elend erfahren, doch alles, was wirtun können, ist, ihre Hände zu halten. Wir werden den Todesprozessnicht aufhalten können, selbst wenn sie uns anflehen,nicht zu sterben. Gewöhnlich sind wir eifersüchtig, wenn unsjemand, an dem wir sehr stark hängen, allein lässt und Zeit mitjemand anderem verbringt. Doch wenn wir sterben, werdenwir unsere Freunde für immer bei anderen zurücklassen55


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>müssen. Wir werden alle verlassen müssen, einschließlichunserer Familie und aller Menschen, die uns in diesem Lebengeholfen haben.Wenn wir sterben, müssen wir diesen Körper, den wirgeschätzt und auf so viele Arten umsorgt haben, zurücklassen.Er wird wie ein geistloser Stein und verbrannt oder im Bodenvergraben werden. Wenn wir den inneren Schutz der spirituellenErfahrung nicht haben, werden wir zum Zeitpunktdes Todes Angst und Kummer sowie körperlichen Schmerzerfahren.Wenn unser Bewusstsein unseren Körper beim Tod verlässt,gehen alle Potentiale, die wir in unserem Geist durch tugendhafteoder nichttugendhafte Handlungen angesammelt haben,mit ihm. Etwas anderes können wir aus dieser Welt nichtmitnehmen. Alle anderen Dinge täuschen uns. Der Tod beendetalle unsere Aktivitäten <strong>–</strong> unsere Gespräche, unser Essen, dasTreffen mit Freunden, unseren Schlaf. An unserem Todestaggeht alles zu Ende und wir müssen alle Dinge zurücklassen,sogar die Ringe an unseren Fingern. In Tibet tragen Bettlereinen Stock bei sich, um sich gegen Hunde zu verteidigen.Um den absoluten Verlust beim Tod zu verstehen, können wiruns daran erinnern, dass die Bettler zum Zeitpunkt des Todessogar diesen alten Stock zurücklassen müssen, das Geringste,was ein Mensch besitzen kann. Überall auf der Welt könnenwir sehen, dass der auf Steinen eingravierte Name der einzige„Besitz“ der Toten ist.ANDERE ARTEN DES LEIDENSWir müssen auch die Leiden der Trennung, die Leiden, demzu begegnen, was wir nicht mögen, und die Leiden, unsereBegierden nicht zu erfüllen, erfahren <strong>–</strong> dazu gehören das Leidender Armut und das Leiden, durch Menschen und Nichtmenschensowie durch Wasser, Feuer, Wind und Erde zu Schaden56


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungzu kommen. Schon vor der letzten Trennung durch den Todmüssen wir uns oftmals vorübergehend von Menschen undDingen trennen, die wir gern haben, und dies bereitet uns geistigeSchmerzen. Es kann sein, dass wir unser Land verlassenmüssen, wo alle unsere Freunde und Verwandten leben, oderwir müssen uns von einer Arbeit trennen, die uns gefällt.Möglicherweise verlieren wir unseren guten Ruf. Sehr oft imLeben erfahren wir das Unglück, uns von den Menschen, diewir mögen, trennen zu müssen oder Dinge, die uns erfreuenund die uns gefallen, verlieren oder auf sie verzichten zumüssen. Doch wenn wir sterben, müssen wir uns für immervon allen Gefährten und Freuden, und von allen äußeren undinneren Bedingungen für unsere Dharma-Praxis dieses Lebenstrennen.Oft begegnen wir Menschen, die wir nicht mögen, undmüssen mit ihnen leben, oder wir begegnen Umständen, dieunangenehm für uns sind. Vielleicht befinden wir uns sogar insehr gefährlichen Situationen, wie in einem Feuer oder einerÜberschwemmung, oder wir finden uns in Umständen, woGewalt herrscht, wie in einem Aufstand oder einer Schlacht.Unser Leben ist voll von weniger extremen Situationen, die wirals lästig empfinden. Manchmal werden wir davon abgehalten,das zu tun, was wir wollen. So kann es vorkommen, dass wiruns an einem sonnigen Tag zum Strand aufmachen, und dannin einem Stau steckenbleiben: Ständig erfahren wir Beeinträchtigungendurch den inneren Dämon der Verblendungen,der unseren Geist und unsere spirituellen Übungen stört. Esgibt zahllose Umstände, die unsere Pläne vereiteln und unsdavon abhalten, das zu tun, was wir wollen. Es ist, wie nacktin einem Dornbusch zu leben: Sobald wir versuchen, uns zubewegen, werden wir durch die Umstände verletzt. Menschenund Dinge sind wie Dornen, die sich in unser Fleisch bohren,und es gibt keine Situation, in der wir uns ganz und gar wohlfühlen.Je mehr Wünsche und Pläne wir haben, desto größere57


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Enttäuschungen erleben wir. Je größer der Wunsch nachbestimmten Verhältnissen ist, desto eher finden wir uns in Situationengefangen, die wir nicht wollen. Jeder Wunsch scheintsein eigenes Hindernis hervorzurufen. Unerwünschte Situationentauchen auf, ohne dass wir danach suchen. Tatsächlichsind die einzigen Dinge, die ohne Mühe entstehen, die Dinge,die wir nicht wollen. Niemand möchte sterben, doch der Todkommt mühelos. Niemand möchte krank sein, doch die Krankheitkommt mühelos. Wenn wir ohne Wahl und Kontrollewiedergeboren werden, haben wir einen unreinen Körper, wirbewohnen eine unreine Umgebung, und somit ergießen sichunerwünschte Dinge über uns. Diese Art von Erfahrung ist inSamsara ganz selbstverständlich.Unsere Wünsche sind zahllos, aber wie groß auch unsereAnstrengungen sind, nie haben wir das Gefühl, dass sie erfülltwurden. Sogar wenn wir bekommen, was wir uns wünschen,bekommen wir es nicht so, wie wir es wollen. Wir besitzenzwar das Objekt, doch wir können keine Befriedigung ausseinem Besitz gewinnen. Zum Beispiel träumen wir vielleichtdavon, reich zu werden, doch sind wir dann wirklich reichgeworden, gestaltet sich unser Leben nicht so, wie wir es unsvorgestellt hatten, und wir haben nicht das Gefühl, unserWunsch sei in Erfüllung gegangen. Der Grund ist, dass unsereWünsche nicht abnehmen, wenn unser Reichtum zunimmt. Jegrößer unser Reichtum ist, desto größer sind unsere Wünsche.Der Reichtum, den wir suchen, kann nicht gefunden werden,weil wir eine Größe suchen, die unsere Wünsche stillt, unddas kann kein noch so großer Reichtum. Was noch schlimmerist: Dadurch, dass wir das Objekt unseres Begehrens erhalten,schaffen wir neue Umstände für Unzufriedenheit. Mitjedem Objekt, das wir wünschen, kommen andere Objekte,die wir nicht wünschen. Zum Beispiel sind mit ReichtumSteuern, Unsicherheit und komplizierte finanzielle Umständeverbunden. Diese unerwünschten Extras verhindern, dass wir58


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungje das Gefühl haben, wirklich das zu besitzen, was wir unswünschen. Vielleicht träumen wir von einem Urlaub in derSüdsee, und es kann vorkommen, dass wir tatsächlich unsereFerien dort verbringen. Doch die eigentliche Erfahrung ist nieganz so, wie wir es erwartet haben, und unser Urlaub bringtunerfreuliche Dinge mit sich, einen Sonnenbrand zum Beispielund große Auslagen.Wenn wir es überprüfen, sehen wir, dass unsere Wünscheübertrieben sind. Sie beinhalten das Beste, was Samsara zubieten hat: die beste Arbeit, den besten Partner, den bestenRuf, das beste Haus, das beste Auto, den besten Urlaub. Alles,was nicht zum Besten gehört, hinterlässt ein Gefühl der Enttäuschung.Dies lässt uns weiter suchen und doch nie finden, waswir uns wünschen. Kein weltliches Vergnügen kann uns dievollständige und vollkommene Befriedigung geben, die wirbegehren. Ständig werden bessere Dinge hergestellt. Überallverkünden Anzeigen, dass das absolut Beste gerade auf denMarkt gekommen ist, aber einige Tage später trifft ein neues‚Bestes‘ ein, und es ist besser als ‚das Beste‘, das vor einigenTagen angepriesen wurde. Es ist kein Ende an neuen Dingenabzusehen, die unsere Wünsche fesseln.Schulkinder können ihren eigenen und den Ehrgeiz ihrerEltern nicht zufriedenstellen. Sogar wenn sie die Besten ihrerKlasse sind, sind sie nicht zufrieden, außer sie können es imnächsten Jahr wieder sein. Wenn sie weiter erfolgreich in ihrerArbeit sind, wird ihr Ehrgeiz so stark sein wie eh und je. Esgibt keinen Punkt, an dem sie sich ausruhen können mit demGefühl, vollkommen mit dem Erreichten zufrieden zu sein.Wir könnten denken, dass zumindest die Menschen auf demLand, die ein einfaches Leben führen, zufrieden sein müssten.Wenn wir es aber nachprüfen, werden wir herausfinden,dass auch Bauern auf der Suche sind und nicht finden, wassie sich wünschen. Ihr Leben ist voller Probleme und Sorgen,und sie haben keinen wirklichen Frieden und Zufriedenheit.59


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Ihr Lebensunterhalt hängt von vielen Unsicherheitsfaktorenaußerhalb ihrer Kontrolle ab, wie etwa dem Wetter. Bauernsind nicht weniger frei von Unzufriedenheit als Geschäftsleutein der Stadt. Die Geschäftsleute sehen schick und tüchtig aus,wenn sie morgens mit ihren Aktenkoffern zur Arbeit gehen,aber obwohl sie äußerlich sehr souverän wirken, hegen sie inihren Herzen große Unzufriedenheit. Sie sind immer auf derSuche und können nicht finden, was sie sich wünschen.Wenn wir über diese Situation nachdenken, könnten wirzum Schluss kommen, dass wir finden, was wir suchen, wennwir unseren gesamten Besitz aufgeben. Prüfen wir es aber nach,sehen wir, dass auch arme Leute suchen und nicht finden, wassie sich wünschen; für viele arme Leute ist es schwierig, auchnur das Notwendigste zum Leben zu finden.Auch durch ständiges Verändern der Umstände können wirdas Leiden der Unzufriedenheit nicht vermeiden. Wir denkenvielleicht, dass wir irgendwann finden, was wir uns wünschen,wenn wir immer wieder unseren Partner oder unsere Arbeitsstellewechseln oder wenn wir ständig herumreisen. Aberselbst wenn wir an jeden Ort dieses Planeten reisen würdenund an jedem Ort einen neuen Geliebten oder eine neueGeliebte hätten, wir würden immer noch nach einem anderenOrt und einem neuen Partner suchen. In Samsara gibt es keinewirkliche Erfüllung unserer Begierden.Wen auch immer wir sehen, in hoher oder niedrigerStellung, Ordinierter oder Laie, Mann oder Frau, sie unterscheidensich bloß in ihrer Erscheinung, in ihrer Kleidung,ihrem Benehmen und ihrem Rang. In ihrer Essenz sind allegleich <strong>–</strong> sie alle haben Probleme in ihrem Leben. Wenn wir einProblem haben, ist es leicht zu glauben, dass es durch unserebesonderen Umstände verursacht wurde und dass das Problemverschwinden wird, wenn wir unsere Umstände ändern. Wirgeben die Schuld anderen Menschen, unseren Freunden,unserem Essen, unserer Regierung, unserer Zeit, dem Wetter,60


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungder Gesellschaft, der Geschichte und so fort. Doch äußereUmstände wie diese sind nicht die Hauptursache unsererProbleme. Wir müssen erkennen, dass diese schmerzhaftenErfahrungen die Konsequenzen unserer Wiedergeburt sind,die vom inneren Gift der Verblendungen verunreinigt ist. DieMenschen müssen menschliches Leiden erfahren, weil sie eineverunreinigte menschliche Wiedergeburt angenommen haben.Tiere müssen tierisches Leiden erfahren und hungrige Geisterund Höllenwesen müssen auf ähnliche Weise ihre eigenenLeiden erfahren, weil sie eine verunreinigte Wiedergeburtangenommen haben. Selbst Götter sind nicht ohne Leiden, weilauch sie eine verunreinigte Wiedergeburt angenommen haben.So wie eine Person, die in einem tobenden Feuer gefangen ist,intensive Furcht entwickelt, so sollten wir intensive Furcht vorden unerträglichen Leiden des endlosen Kreislaufs unreinenLebens entwickeln. Diese Furcht ist echte Entsagung undentsteht aus unserer Weisheit.Nachdem wir über die obige Erklärung nachgedacht haben,sollten wir zum Abschluss denken:Es hat keinen Nutzen die Leiden künftiger Leben zu verneinen;wenn sie mich tatsächlich ereilen, ist es zu spät, mich vor ihnenzu schützen. Deshalb muss ich definitiv jetzt diesen Schutzvorbereiten, während ich dieses menschliche Leben habe,das mir die Gelegenheit gibt, mich dauerhaft von den Leidenmeiner unzähligen künftigen Leben zu befreien. Wenn ich keinBemühen anwende, um dies zu erreichen, sondern es zulasse,dass mein Leben sinnentleert wird, dann gibt es keine größereTäuschung und keine größere Torheit. Ich muss mich jetztbemühen, mich dauerhaft von den Leiden meiner unzähligenkünftigen Leben zu befreien.Wir meditieren beständig über diesen Entschluss, bis wirden spontanen Wunsch entwickeln, uns dauerhaft von denLeiden unserer zahllosen zukünftigen Leben zu befreien. Das61


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>ist die eigentliche Realisation der Entsagung. In dem Moment,wo wir diese Realisation entwickeln, treten wir in den Pfadzur Befreiung ein. In diesem Zusammenhang bezieht sichBefreiung auf den höchsten, dauerhaften geistigen Frieden,der als „Nirvana“ bekannt ist und uns reines und immerwährendesGlück schenkt.WAS WIR AUFGEBEN SOLLTENIm <strong>Sutra</strong> der Vier Edlen Wahrheiten sagt Buddha: „Ihr solltetUrsprünge aufgeben.“ Wenn er das sagt, dann rät uns Buddha,dass wir Ursprünge aufgeben sollten, wenn wir uns dauerhaftvon den Leiden unserer zahllosen zukünftigen Lebenbefreien wollen. „Ursprünge“ bedeutet unsere Verblendungen,hauptsächlich unsere Verblendung des Festhaltens am Selbst.Festhalten am Selbst wird ein „Ursprung“ genannt, weil esdie Quelle all unserer Leiden und Probleme ist, und ist auchals „innerer Dämon“ bekannt. Verblendungen sind falscheGewahrseinsarten, deren Funktion es ist, geistigen Frieden, dieQuelle von Glück, zu zerstören; sie haben keine andere Funktion,als uns zu schaden. Verblendungen wie das Festhalten amSelbst verweilen immer in unserem Herzen und schaden unskontinuierlich Tag und Nacht, pausenlos, indem sie unserenGeistesfrieden zerstören. In Samsara, dem Kreislauf unreinenLebens, hat niemand die Gelegenheit echtes Glück zu erfahren,weil sein geistiger Frieden, die Quelle von Glück, ständig durchden inneren Dämon des Festhaltens am Selbst zerstört wird.Unsere Unwissenheit des Festhaltens am Selbst ist einGeist, der fälschlicherweise glaubt, dass unser Selbst, unserKörper und all die anderen Dinge, die wir normalerweisesehen, tatsächlich existieren. Aufgrund dieser Unwissenheitentwickeln wir Anhaftung an die Dinge, die uns gefallen, undWut auf die Dinge, die uns nicht gefallen. Dann führen wir62


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungunterschiedliche Arten von nichttugendhaften Handlungenaus und erfahren infolge dieser Handlungen unterschiedlicheArten von Leiden und Problemen in diesem Leben und Lebenfür Leben.Die Unwissenheit des Festhaltens am Selbst ist ein inneresGift, das weit größeren Schaden anrichtet als jedes andere Gift.Da unser Geist durch dieses innere Gift verschmutzt ist, siehter alles auf eine fehlerhafte Art und Weise, und in der Folgeerfahren wir halluzinationsgleiche Leiden und Probleme. InWirklichkeit existieren unser Selbst, unser Körper und all dieanderen Dinge, die wir normalerweise sehen, nicht. Festhaltenam Selbst kann mit einem giftigen Baum verglichen werden,alle anderen Verblendungen mit seinen Ästen und all unsereLeiden und Probleme mit seinen Früchten. Das Festhalten amSelbst ist die grundlegende Quelle all unserer Verblendungenund all unserer Leiden und Probleme. Dadurch können wirverstehen, dass all unsere Leiden und Probleme dieses undzahlloser zukünftiger Leben dauerhaft aufhören, wenn wirunser Festhalten am Selbst aufgeben. Der große Yogi Sarahasagte: „Wenn dein Geist dauerhaft vom Festhalten am Selbsterlöst ist, gibt es keinen Zweifel, dass du dauerhaft von Leidenerlöst sein wirst.“ Wenn wir dies verstehen und über die obigeErklärung nachgedacht haben, sollten wir denken:Ich muss großes Bemühen anwenden, um meine Unwissenheitdes Festhaltens am Selbst zu erkennen, zu vermindern undschließlich vollständig aufzugeben.Wir sollten beständig über diesen Entschluss meditieren undihn in die Praxis umsetzen.63


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>WAS WIR PRAKTIZIEREN SOLLTENIm <strong>Sutra</strong> der Vier Edlen Wahrheiten sagt Buddha: „Ihr solltet denPfad praktizieren.“ In diesem Zusammenhang meint „Pfad“keinen äußeren Pfad, der von einem Ort zum anderen führt,sondern einen inneren Pfad, eine spirituelle Realisation, dieuns zum reinen Glück der Befreiung und Erleuchtung führt.Die Praxis der Stufen des Pfades zur Befreiung ist zusammengefasstin den drei Schulungen der höheren moralischenDisziplin, der höheren Konzentration und der höheren Weisheit.Diese Schulungen werden „höher“ genannt, weil sie durchEntsagung motiviert sind. Deshalb sind sie der eigentliche Pfadzur Befreiung, den wir praktizieren müssen.Die Natur der moralischen Disziplin ist ein tugendhafterEntschluss, unangemessene Handlungen aufzugeben. Wennwir moralische Disziplin praktizieren, geben wir unangemesseneHandlungen auf, bewahren ein reines Verhalten undführen jede Handlung korrekt, mit einer tugendhaften Motivationaus. Moralische Disziplin ist für alle äußerst wichtig,damit zukünftige Probleme für einen selbst und für anderevermieden werden können. Sie macht uns rein, weil sie unsereHandlungen rein macht. Wir selbst müssen sauber und reinsein; einfach nur einen sauberen Körper zu haben reicht nicht,da unser Körper nicht unser Selbst ist. Moralische Disziplin istwie die große Erde, die die Ernte der spirituellen Realisationenträgt und nährt. Ohne die Praxis der moralischen Disziplin ist esschwierig, in der spirituellen Schulung Fortschritte zu machen.Die Schulung in höherer moralischer Disziplin bedeutet, durchEntsagung motiviert zu lernen, tief vertraut mit der Praxis dermoralischen Disziplin zu sein.Die zweite höhere Schulung ist die Schulung in höhererKonzentration. Die Natur der Konzentration ist ein einsgerichtetertugendhafter Geist. Solange wir diesen Geist halten,64


Der Pfad einer Person mittlerer Ausrichtungwerden wir geistigen Frieden erfahren und somit werden wirglücklich sein. Wenn wir Konzentration praktizieren, verhindernwir Ablenkungen und konzentrieren uns auf tugendhafteObjekte. Es ist sehr wichtig, sich in Konzentration zu schulen,da wir mit Ablenkungen nichts erreichen können. Die Schulungin höherer Konzentration bedeutet, durch Entsagung motiviertzu lernen, tief vertraut zu sein mit der Fähigkeit, Ablenkungenzu vermeiden und sich auf tugendhafte Objekte zukonzentrieren. Für jede Dharma-Praxis gilt, dass es einfach istFortschritte zu machen, wenn unsere Konzentration klar undstark ist. Normalerweise sind unsere Ablenkungen das Hauptproblemfür unsere Dharma-Praxis. Die Praxis der moralischenDisziplin verhindert grobe Ablenkungen und Konzentrationverhindert subtile Ablenkungen; gemeinsam führen sie zuschnellen Ergebnissen in unserer Dharma-Praxis.Die dritte höhere Schulung ist die Schulung in höherer Weisheit.Die Natur der Weisheit ist ein tugendhafter intelligenterGeist, dessen Funktion es ist, sinnvolle Objekte wie die Existenzfrüherer und zukünftiger Leben, Karma und Leerheit zuverstehen. Diese Objekte zu verstehen ist für dieses und zahllosezukünftige Leben von großer Bedeutung. Viele Menschensind sehr intelligent, was die Zerstörung ihrer Feinde, die Sorgefür ihre Familie, die Erfüllung ihrer Wünsche und Ähnlichesanbelangt, doch das ist keine Weisheit. Selbst Tiere habendiese Intelligenz. Weltliche Intelligenz ist täuschend, Weisheithingegen wird uns niemals täuschen. Sie ist unser innerer spirituellerMeister, der uns zu korrekten Pfaden führt, und sie istdas göttliche Auge, durch das wir vergangene und zukünftigeLeben und die besondere Verbindung zwischen unseren Handlungenund Erfahrungen, „Karma“ genannt, sehen können.Karma ist ein sehr weitreichendes und subtiles Thema, undwir können es nur mittels Weisheit verstehen. Schulung inhöherer Weisheit ist zu lernen, unsere Leerheit realisierende65


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Weisheit durch Nachdenken und Meditation über Leerheitzu entwickeln und zu vergrößern, mit einer Motivation derEntsagung. Diese Weisheit ist äußerst tiefgründig. Ihr Objekt,Leerheit, ist nicht das Nichts, sondern die wahre Natur allerPhänomene. Eine ausführliche Erklärung von Leerheit wird imKapitel Schulung in endgültigem Bodhichitta gegeben.Die drei höheren Schulungen sind die eigentliche Methode,die beständige Beendigung der Leiden dieses und zahlloserzukünftiger Leben zu erlangen. Die folgende Analogie machtdies verständlich. Wenn wir einen Baum mit einer Säge fällen,dann kann die Säge allein, ohne die Hilfe der Hände, den Baumnicht fällen, und die Hände ihrerseits sind von unserem Körperanhängig. Die Schulung in höherer moralischer Disziplin istwie unser Körper, die Schulung in höherer Konzentrationist wie unsere Hände und die Schulung in höherer Weisheitist wie die Säge. Wenn wir alle drei zusammen anwenden,können wir den giftigen Baum unserer Unwissenheit desFesthaltens am Selbst fällen, und automatisch werden alleanderen Verblendungen (seine Äste) und alle unsere Leidenund Probleme (seine Früchte) vollständig aufhören. Dannwerden wir die dauerhafte Beendigung der Leiden dieses undzukünftiger Leben erlangt haben <strong>–</strong> den höchsten, dauerhaftengeistigen Frieden, der als „Nirvana“ oder Befreiung bekanntist. Wir werden alle unsere menschliche Probleme gelöst undden wirklichen Sinn unseres Lebens erfüllt haben.Die obige Erklärung betrachtend, sollten wir denken:Da die drei höheren Schulungen die eigentliche Methodesind, dauerhafte Befreiung vom Leiden dieses und zahlloserzukünftiger Leben zu erlangen, muss ich starkes Bemühenanwenden, sie zu praktizieren.Wir sollten über diesen Entschluss beständig meditieren undihn in die Praxis umsetzen.66


Der Pfad einer Person mittlerer AusrichtungWAS WIR ERLANGEN SOLLTENIm <strong>Sutra</strong> der Vier Edlen Wahrheiten sagt Buddha: „Ihr solltetBeendigungen erlangen.“ In diesem Zusammenhang bedeutet„Beendigung“ die dauerhaft Beendigung von Leiden undseinem Urspung, der Unwissenheit des Festhaltens am Selbst.Wenn er dies sagt, dann rät uns Buddha, nicht mit vorübergehenderBefreiung von bestimmten Leiden zufrieden zu sein,sondern die Absicht zu haben, das endgültige Ziel menschlichenLebens, den höchsten, dauerhaften geistigen Frieden(Nirvana), und das reine und immerwährende Glück derErleuchtung zu verwirklichen.Ausnahmslos jedes Lebewesen muss den Kreislauf vonKrankheit, Altern, Tod und Wiedergeburt endlos, Leben fürLeben, erfahren. Indem wir Buddhas Vorbild folgen, solltenwir starke Entsagung für diesen endlosen Kreislauf entwickeln.Als Buddha mit seiner Familie im Palast lebte, sah er, dass seinVolk unaufhörlich Leiden erfahren musste, und fasste denfesten Entschluss, Erleuchtung, große Befreiung, zu erlangenund alle Lebewesen zu diesem Zustand zu führen.Buddha ermutigt uns nicht alltägliche Tätigkeiten aufzugeben,die für notwendige Lebensbedingungen sorgen oderwelche Armut, Umweltprobleme oder bestimmte Krankheitenund so fort verhindern. Doch ganz gleich wie erfolgreich wirbei diesen Tätigkeiten auch sein mögen, wir werden niemalsdie dauerhafte Beendigung derartiger Probleme erreichen.Wir werden sie trotzdem weiter in unseren zahllosen zukünftigenLeben erfahren müssen, und obwohl wir sehr hart dafürarbeiten, diese Probleme zu verhindern, wachsen selbst indiesem Leben die Leiden der Armut, der Umweltverschmutzungund der Krankheiten auf der ganzen Welt an. Desweiterengibt es jetzt aufgrund der Kraft moderner Technologie vielegroße Gefahren, die sich überall auf der Welt entwickeln unddie man noch nie zuvor erlebt hat. Daher sollten wir uns nicht67


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>nur mit einer vorübergehenden Freiheit von besonderenLeiden begnügen, sondern großes Bemühen anwenden, umbeständige Freiheit zu erlangen, solange wir diese Gelegenheithaben.Wir sollten uns an die Kostbarkeit unseres menschlichenLebens erinnern. Diejenigen, die aufgrund ihrer früherenverblendeten Sichtweisen, die den Wert der spirituellen Praxisverneinten, als Tiere wiedergeboren wurden, haben keineMöglichkeit, eine spirituelle Praxis auszuüben, die allein zueinem sinnvollen Leben führt. Da es für Tiere unmöglich istspirituelle Anleitungen anzuhören, sie zu verstehen, darübernachzudenken und zu meditieren, ist ihre gegenwärtigeWiedergeburt als Tier an sich ein Hindernis. Nur Menschensind frei von solchen Hindernissen und haben alle notwendigenBedingungen für das Ausüben spiritueller Pfade, die alseinzige zu immerwährendem Frieden und Glück führen. DieseKombination von Freiheit und notwendigen Bedingungen istdas besondere Merkmal, welches unser menschliches Leben sokostbar macht.Zum Abschluss sollten wir denken:Ich sollte mich nicht mit einer bloß vorübergehenden Beendigungvon bestimmten Leiden zufrieden geben, die selbst Tiere erfahrenkönnen. Ich muss die dauerhafte Beendigung der Unwissenheitdes Festhaltens am Selbst <strong>–</strong> der Quelle von Leiden <strong>–</strong> erlangen,indem ich aufrichtig die drei höheren Schulungen praktiziere.Wir sollten jeden Tag über diesen Entschluss meditieren undihn in die Praxis umsetzen. Auf diese Weise führen wir unsselbst zum befreienden Pfad.68


Der Pfad einer Person großerAusrichtungIn diesem Zusammenhang bezieht sich eine „Person großerAusrichtung“ auf jemanden, der eine große Kapazität hat, umspirituelles Verständnis und Realisationen zu entwickeln.Da dieses Thema ausgedehnt und tiefgründig ist und sowohl<strong>Sutra</strong> als auch Tantra umfasst, wird dazu in den nachfolgendenKapiteln und in <strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong> - <strong>Band</strong> 2: Tantra eineausführliche Erklärung dazu gegeben.69


Je Tsongkhapa


Das höchste gute Herz <strong>–</strong> BodhichittaWir sollten Entsagung <strong>–</strong> den aufrichtigen Wunsch, dauerhafteBefreiung zu erlangen <strong>–</strong> Tag und Nacht aufrechterhalten. Es istdas Tor zur Befreiung <strong>–</strong> dem höchsten, dauerhaften geistigenFrieden <strong>–</strong> und die Grundlage für fortgeschrittenere Realisationen.Wir sollten uns jedoch nicht damit begnügen nur unsereeigene Befreiung anzustreben; wir müssen auch das Wohlanderer Lebewesen berücksichtigen. Unzählige Lebewesenertrinken im Ozean Samsaras und erfahren unerträglicheLeiden. Jeder von uns ist nur eine einzelne Person, die Anzahlanderer Lebewesen aber ist unendlich groß. Das Glück andererist daher viel wichtiger als unser eigenes. Aus diesem Grundmüssen wir in den Bodhisattva-Pfad eintreten, der uns zumZustand der vollen Erleuchtung führt.Das Tor, durch das wir den Bodhisattva-Pfad betreten, istBodhichitta. „Bodhi“ bedeutet Erleuchtung und „chitta“ Geist.Bodhichitta ist der Geist, der sich spontan wünscht Erleuchtungzu erlangen, um jedem einzelnen Lebewesen direkt zuhelfen. In dem Augenblick, in dem wir den kostbaren Geistdes Bodhichittas entwickeln, werden wir ein Bodhisattva <strong>–</strong> einePerson, die sich spontan wünscht, Erleuchtung zum Wohlealler Lebewesen zu erlangen <strong>–</strong> und wir werden ein Sohn odereine Tochter der Eroberer-Buddhas.Das höchste gute Herz des Bodhichittas kann nicht ohneSchulung entwickelt werden. Je Tsongkhapa sagte:71


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Indem wir den Boden der zuneigungsvollen Liebe mitwertschätzender Liebe bewässern,Und dann die Samen von wünschender Liebe undMitgefühl säen,Wird der Medizin-Baum des Bodhichittas wachsen.Dies impliziert, dass es fünf Stufen der Schulung in Bodhichittagibt: 1. Schulung in zuneigungsvoller Liebe, 2. Schulung inwertschätzender Liebe, 3. Schulung in wünschender Liebe,4. Schulung in allumfassendem Mitgefühl und 5. Schulung ineigentlichem Bodhichitta.SCHULUNG IN ZUNEIGUNGSVOLLER LIEBEIn dieser Schulung lernen wir ein warmes Herz und einGefühl, allen Lebewesen ohne Ausnahme nahe zu sein, zuentwickeln. Diese zuneigungsvolle Liebe lässt unseren Geistrein und ausgeglichen werden und bereitet die Grundlagedafür, wertschätzende Liebe für alle Lebewesen zu erzeugen.Normalerweise ist unser Geist unausgeglichen; wir fühlenuns entweder jemandem aus Anhaftung zu nah oder anderenaus Wut zu fern. Es ist unmöglich, das höchste gute Herz desBodhichittas mit einem derart unausgeglichenen Geist zuentwickeln. Dieser unausgeglichene Geist ist die Quelle allerunserer täglichen Probleme. Wir denken vielleicht, dass einigeLeute unsere Feinde sind, weil sie uns schaden; wie sollen wirdann also ein warmes Herz und ein Gefühl von Nähe für solcheLeute entwickeln und bewahren? Diese Denkweise ist nichtkorrekt. Die Menschen, die wir als unsere Feinde betrachten,sind in Wahrheit unsere Mütter aus früheren Leben. UnsereMütter aus früheren Leben und unsere Mutter dieses jetzigenLebens sind alle unsere Mütter, und sie alle sind gleichermaßengütig zu uns.72


Der Pfad einer Person groSSer AusrichtungEs ist falsch zu folgern, dass die Mütter aus früheren Lebenjetzt nicht mehr unsere Mütter sind, nur weil lange Zeitvergangen ist, seit sie tatsächlich für uns gesorgt haben. Wennunsere jetzige Mutter sterben würde, würde sie dann aufhören,unsere Mutter zu sein? Nein, wir würden sie immer noch alsunsere Mutter betrachten und für ihr Glück beten. Das gleichegilt für alle unsere früheren Mütter <strong>–</strong> sie sind gestorben, bleibenaber dennoch unsere Mütter. Es liegt nur an den verändertenäußeren Erscheinungen, dass wir einander nicht erkennen.Im täglichen Leben sehen wir viele verschiedene Lebewesen,menschliche und nichtmenschliche. Einige betrachten wirals Freunde, andere als Feinde und die meisten als Fremde.Diese Unterscheidungen werden durch unsere fehlerhaftenGeisteshaltungen getroffen, sie werden nicht durch gültigeGeistesarten verifiziert. Statt solch fehlerhaften Geisteshaltungenzu folgen, wäre es besser, alle Lebewesen als unsereMütter zu betrachten. Wann immer wir jemandem begegnen,sollten wir denken: „Diese Person ist meine Mutter.“ Auf dieseWeise werden wir gegenüber allen Lebewesen ein warmesHerz und ein Gefühl, ihnen gleichermaßen nahe zu sein,entwickeln. Unser Glaube, dass alle Lebewesen unsere Müttersind, ist Weisheit, weil er ein bedeutsames Objekt versteht,nämlich dass alle Lebewesen unsere Mütter sind. Mit diesemVerständnis werden wir diesem und zahllosen zukünftigenLeben großen Sinn geben. Wir sollten diesen nutzbringendenGlauben oder diese nutzbringende Sicht nie aufgeben.Wir sollten wie folgt nachdenken:Da es unmöglich ist, einen Anfang meines Geisteskontinuumszu finden, folgt, dass ich in der Vergangenheit zahlloseWiedergeburten hatte; und wenn ich zahllose Wiedergeburtenhatte, muss ich zahllose Mütter gehabt haben. Wo sind alle73


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>diese Mütter jetzt? Es sind all die Lebewesen, die heute amLeben sind.Haben wir wiederholt über diesen Punkt nachgedacht, glaubenwir fest daran, dass alle Lebewesen unsere Mütter sind, undmeditieren über diesen Glauben.DIE GÜTE DER LEBEWESENNachdem wir zur Überzeugung gelangt sind, dass alle Lebewesenunsere Mütter sind, denken wir über die enorme Gütenach, die wir von ihnen allen empfangen haben, als sie unsereMütter waren; aber wir denken auch über die Güte nach, diesie uns zu anderen Zeiten erwiesen haben.Wenn uns unsere Mutter nicht gewollt hätte, so hätte sienach unserer Empfängnis eine Abtreibung vornehmen lassenkönnen. Hätte sie dies getan, hätten wir jetzt nicht diesesmenschliche Leben. Sie war so gütig und gestattete uns in ihremKörper heranzuwachsen. Deshalb können wir jetzt ein menschlichesLeben und alle seine Vorteile erfahren. Hätten wir alsKleinkind nicht ihre ständige Fürsorge und Aufmerksamkeiterhalten, hätten wir sicherlich einen Unfall erlitten und wärenjetzt behindert, verkrüppelt oder blind. Glücklicherweise hatuns unsere Mutter nicht vernachlässigt. Tag und Nacht hat sieuns liebevoll umsorgt und uns wichtiger genommen als sichselbst. Sie hat uns täglich mehrfach das Leben gerettet. In derNacht ließ sie es zu, dass wir ihren Schlaf unterbrachen und amTag verzichtete sie auf ihre gewohnten Vergnügen. Sie mussteihre Arbeitsstelle aufgeben und wenn ihre Freunde ausgingen,um sich zu amüsieren, musste sie zurückbleiben. Sie gab ihrganzes Geld für uns aus und gab uns die beste Nahrung unddie besten Kleider, die sie sich leisten konnte. Sie brachte unsbei, wie man isst, geht und spricht. Sie war um unsere Zukunft74


Der Pfad einer Person groSSer Ausrichtungbesorgt und tat ihr Bestes, uns eine gute Ausbildung zu ermöglichen.Dank ihrer Güte können wir jetzt lernen, was immerwir wollen. Hauptsächlich dank der Güte unserer Mutterhaben wir jetzt die Möglichkeit, Dharma zu praktizieren undschließlich Erleuchtung zu erlangen.Da es niemanden gibt, der nicht zu irgendeiner Zeit inunseren früheren Leben unsere Mutter war, und da uns alleunseren früheren Mütter mit derselben Güte behandelten, mitder uns unsere gegenwärtige Mutter in diesem Leben behandelthat, sind alle Lebewesen sehr gütig.Die Güte der Lebewesen beschränkt sich aber nicht nur aufdie Zeit, als sie unsere Mütter waren. Alle unsere täglichenBedürfnisse werden ständig dank der Güte anderer Lebewesenbefriedigt. Aus unserem früheren Leben brachten wirnichts mit. Dennoch erhielten wir, sobald wir geboren waren,unverzüglich ein Heim, Essen, Kleider und alles, was wir sonstnoch brauchten; alles durch die Güte anderer zur Verfügunggestellt. Alles, woran wir uns jetzt erfreuen, wurde uns durchdie frühere oder gegenwärtige Güte anderer zur Verfügunggestellt.Wir können sehr viele Dinge benutzen, ohne selbst viel dazubeigetragen zu haben. Denken wir nur an Einrichtungen wieStraßen, Autos, Züge, Flugzeuge, Schiffe, Häuser, Restaurants,Hotels, Bibliotheken, Krankenhäuser, Geschäfte, Geld undvieles mehr, so ist es offensichtlich, dass viele Menschen sehrhart daran gearbeitet haben, all dies bereitzustellen. Obwohlwir wenig oder gar nichts dazu beigetragen haben, stehen unsdiese Einrichtungen zur Verfügung. Dies zeigt die große Güteanderer.Sowohl unsere allgemeine Ausbildung als auch unserespirituelle Schulung erhalten wir von anderen. Alle unsereDharma-Realisationen, von den allerersten Einsichten bis zurErlangung der Befreiung und Erleuchtung, erreichen wir nur75


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>dank der Güte anderer. Als Menschen haben wir im Allgemeinendie Gelegenheit, das höchste Glück der Erleuchtungzu erlangen. Dem ist so, weil wir die Gelegenheit haben, inden Pfad zur Erleuchtung einzutreten und ihm zu folgen: einspiritueller Pfad, der durch Mitgefühl für alle Lebewesen motiviertist. Das Tor, durch das wir in den Pfad zur Erleuchtungeintreten, ist daher Mitgefühl für alle Lebewesen <strong>–</strong> allumfassendesMitgefühl <strong>–</strong>; und wir entwickeln dieses Mitgefühlnur, indem wir uns auf alle Lebewesen als Objekte unseresMitgefühls verlassen. Dies zeigt, dass es an der großen Gütealler Lebewesen liegt, die uns als Objekte unseres Mitgefühlsdienen, dass wir die Gelegenheit haben, in den Pfad zurErleuchtung einzutreten und das höchste Glück der Erleuchtungzu erlangen. Es ist daher klar, dass für uns alle Lebewesenhöchst gütig und kostbar sind.Aus der Tiefe unseres Herzens sollten wir denken:Jedes einzelne Lebewesen ist höchst gütig und kostbar für mich.Sie bieten mir die Gelegenheit, das reine und immerwährendeGlück der Erleuchtung zu erlangen <strong>–</strong> das endgültige Zielmenschlichen Lebens.Durch dieses Verständnis und diese Denkweise erzeugenwir ein warmes Herz und ein Gefühl, allen Lebewesen ohneAusnahme gleichermaßen nahe zu sein. Wir wandeln unserenGeist in dieses Gefühl um und verweilen darauf einsgerichtet,so lange wie möglich. Indem wir auf diese Weise kontinuierlichnachdenken und meditieren, werden wir jederzeit und in jederSituation ein warmes Herz und ein Gefühl, allen Lebewesennah zu sein, bewahren. Haben wir die acht Nutzen des Bewahrenszuneigungsvoller Liebe, die weiter unten im AbschnittWünschende Liebe aufgezählt sind, verstanden, sollten wirkontinuierliches Bemühen in dieser Praxis anwenden.76


Der Pfad einer Person groSSer AusrichtungSCHULUNG IN WERTSCHÄTZENDER LIEBEDiese Schulung hat zwei Stufen: 1. Gleichstellen vom Selbstund anderen; 2. Austauschen vom Selbst mit anderen.GLEICHSTELLEN VOM SELBST UND ANDERENDiese Praxis heißt „Gleichstellen vom Selbst und anderen“,weil wir lernen zu glauben, dass das Glück und die Freiheitvon uns selbst und allen anderen Lebewesen gleichermaßenwichtig sind. Andere schätzen zu lernen ist die beste Lösungfür unsere täglichen Probleme und ist die Quelle all unsereszukünftigen Glücks.Es gibt zwei Ebenen der Wertschätzung anderer: (1) anderewie einen engen Freund oder Verwandten schätzen; und (2)andere schätzen wie uns selbst. Die zweite Ebene ist tiefgründiger.Indem wir alle Lebewesen wie uns selbst schätzen,werden wir das tiefgründige allumfassende Mitgefühl entwickeln,das als der schnelle Pfad zur Erleuchtung dient. Das isteiner der wesentlichen Punkte des Kadam-Lamrim.Um sich im Gleichstellen vom Selbst und anderen zuschulen, üben wir folgende Kontemplation aus und denken:Ich muss glauben, dass das Glück und die Freiheit von mir undallen anderen Lebewesen gleichermaßen wichtig ist, denn:(1) Sowohl in diesem als auch in vorangegangenen Lebenhaben mir alle Lebewesen große Güte erwiesen.(2) Genau wie ich wünschen sich alle Lebewesen, frei vonLeiden zu sein und nur Glück zu erfahren. In dieser Hinsichtunterscheide ich mich nicht von allen anderen Wesen; wir sindalle gleich.(3) Ich bin nur einer, wohingegen es unzählige andereLebewesen gibt. Wie also kann ich nur um mich selbst besorgt77


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>sein, während ich andere vernachlässige? Mein Glück und meineLeiden sind im Vergleich zum Glück und Leiden unzähligeranderer Lebewesen belanglos.Haben wir über diese Punkte nachgedacht, glauben wir festdaran, dass das Glück und die Freiheit von uns selbst und allenanderen Lebewesen gleichermaßen wichtig sind. Wir verweilenso lange wie möglich einsgerichtet auf diesem Glauben. Wirsollten diese Kontemplation und Meditation kontinuierlichpraktizieren, bis wir spontan glauben, dass das Glück und dieFreiheit von uns und allen anderen Lebewesen gleichermaßenwichtig sind. Dies ist die Realisation des Gleichstellens vomSelbst mit anderen.AUSTAUSCHEN VOM SELBST MIT ANDERENDiese Schulung hat drei Stufen: 1. Über die Nachteile derSelbstwertschätzung nachdenken, 2. über die Vorteile nachdenkenandere zu schätzen und 3. die eigentliche Schulung imAustauschen vom Selbst mit anderen.ÜBER DIE NACHTEILE DERSELBSTWERTSCHÄTZUNG NACHDENKENWas ist Selbstwertschätzung? Wenn wir „ich“ und „mein“denken, nehmen wir ein inhärent existierendes Ich wahr, undwir schätzen es und glauben, dass sein Glück und seine Freiheitam Wichtigsten sind. Dies ist Selbstwertschätzung. Für unsselbst zu sorgen ist keine Selbstwertschätzung. Wir müssen füruns selbst sorgen, um dieses menschliche Leben aufrechtzuerhalten,damit wir fortwährendes Bemühen anwenden können,seinen wirklichen Sinn zu erfüllen.78


Der Pfad einer Person groSSer AusrichtungSelbstwertschätzung und Festhalten am Selbst sindunterschiedliche Aspekte eines Geistes. Festhalten amSelbst hält an einem inhärent existierenden „Ich“ fest undSelbstwertschätzung glaubt, dass solch ein „Ich“ kostbarund seine Glück und seine Freiheit höchst wichtig sind.Selbstwertschätzung ist unsere normale Sicht, die glaubt:„Ich bin wichtig“ und „Mein Glück und meine Freiheit sindwichtig“, und die das Glück und die Freiheit anderer Lebewesenvernachlässigt. Sie ist Teil unserer Unwissenheit, weil esin Wirklichkeit kein inhärent existierendes Ich gibt. Dennochschätzt unser Geist der Selbstwertschätzung dieses Ich undglaubt, dass es das Allerwichtigste ist. Er ist ein törichterund täuschender Geist, der ständig unseren inneren Friedenstört und ein großes Hindernis ist, den wirklichen Sinnunseres menschlichen Lebens zu erfüllen. Diesen Geist derSelbstwertschätzung hatten wir Leben für Leben, seit anfangsloserZeit, selbst im Schlaf und im Traum.In Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas sagtShantideva:[..] alles Leid dieser WeltEntsteht aus dem Wunsch, dass wir selbst glücklichsein mögen.Wir erhalten Leiden nicht als Strafe. Alle Leiden stammenaus unserem Geist der Selbstwertschätzung, der wünscht,dass wir selbst glücklich sein mögen, während er das Glückanderer vernachlässigt. Es gibt zwei Wege dies zu verstehen.Erstens ist der Geist der Selbstwertschätzung der Schöpferaller unserer Leiden und Probleme; und zweitens ist dieSelbstwertschätzung die Grundlage für das Erfahren allerunserer Leiden und Probleme.Wir leiden, weil wir in früheren Leben Handlungen ausführten,die für andere das Erfahren von Leiden bewirkten, motiviert79


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>durch selbstsüchtige Absicht <strong>–</strong> unsere Selbstwertschätzung.Als ein Ergebnis dieser Handlungen erfahren wir jetzt unseregegenwärtigen Leiden und Probleme. Deshalb ist der wahreSchöpfer all unserer Leiden und Probleme unser Geist derSelbstwertschätzung.Unsere gegenwärtige Erfahrung eines bestimmten Leidensund Problems hat eine besondere Verbindung zu bestimmtenHandlungen, die wir in unseren früheren Leben ausführten.Das ist sehr subtil. Diese verborgene Verbindung können wirnicht mit unseren Augen sehen, aber wir können sie verstehen,indem wir unsere Weisheit benutzen und insbesondere, indemwir uns auf Buddhas Unterweisungen über Karma verlassen.Im Allgemeinen weiß jeder, dass er, wenn er schlechte Handlungenausführt, schlechte Ergebnisse erfahren wird unddass er, wenn er gute Handlungen ausführt, gute Ergebnisseerfahren wird.Der Geist der Selbstwertschätzung ist ebenso die Grundlagefür das Erfahren aller unserer Leiden und Probleme. Wennbeispielsweise Menschen ihre Wünsche nicht erfüllen können,leiden viele von ihnen unter Depressionen, Entmutigung,Unglücklichsein und geistigen Schmerz, und manche wollensich sogar umbringen. Dies allein weil ihre Selbstwertschätzungglaubt, ihre eigenen Wünsche seien so wichtig. Deshalb ist esihre Selbstwertschätzung, die in erster Linie für ihr Unglücklichseinverantwortlich ist. Ohne Selbstwertschätzung gäbe eskeine Grundlage für das Erfahren derartiger Leiden.Wenn wir ernsthaft krank sind, finden wir es schwierig,unser Leid zu ertragen. Doch die Krankheit schadet unsnur, weil wir uns so schätzen. Erfährt jemand anderes eineähnliche Krankheit, haben wir kein Problem. Wieso? Weil wirihn (oder sie) nicht schätzen. Wenn wir andere jedoch wie unsselbst schätzen würden, fänden wir ihre Leiden schwierig zuertragen. Das ist Mitgefühl. Wie Shantideva sagt:80


Der Pfad einer Person groSSer AusrichtungDas Leiden, das ich erfahre,Schadet anderen nicht,Aber ich finde es schwer zu ertragen,Weil ich mich schätze.Genauso schadet das Leiden andererMir selbst nicht,Doch wenn ich andere schätze,Werde ich ihr Leiden schwer zu ertragen finden.Leben für Leben haben wir seit anfangsloser Zeit versucht,die Wünsche unseres selbstwertschätzenden Geistes zuerfüllen, im Glauben, dass seine Sicht wahr ist. Wir habengroßes Bemühen bei der Suche nach dem Glück aus äußerenQuellen aufgebracht, doch es ist nichts dabei herausgekommen.Weil uns die Selbstwertschätzung getäuscht hat,haben wir unzählige frühere Leben verschwendet. Sie hat unsdazu verleitet für unseren eigenen Nutzen zu arbeiten, dochwir haben nichts gewonnen. Dieser törichte Geist machtealle unsere früheren Leben leer <strong>–</strong> als wir diese menschlicheWiedergeburt annahmen, brachten wir nichts mit uns außerVerblendungen. Jeden Moment eines jeden Tages täuscht unsdieser Geist der Selbstwertschätzung weiterhin.Nachdem wir über diese Punkte nachgedacht haben,denken wir:Nichts fügt mir größeren Schaden zu als dieser Dämon meinerSelbstwertschätzung. Sie ist die Quelle aller meiner Negativität,meines Unglücks, meiner Probleme und Leiden. Deshalb mussich meine Selbstwertschätzung aufgeben.Wir sollten jeden Tag über diesen Entschluss meditieren undihn in die Praxis umsetzen.81


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>ÜBER DIE VORTEILE NACHDENKENANDERE ZU SCHÄTZENWenn wir tief denken, dass andere wichtig sind und dass ihrGlück und ihre Freiheit wichtig sind, dann schätzen wir andere.Wenn wir andere in dieser Weise schätzen, werden wir immergute Beziehungen zu ihnen haben, in Harmonie mit anderenleben, und unser tägliches Leben wird friedvoll und glücklichsein. Wir beginnen diese Praxis mit unserer Familie, unserenFreunden und denjenigen, die um uns sind, und dann entwickelnund bewahren wir allmählich wertschätzende Liebe füralle Lebewesen ohne Ausnahme.In Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas sagtShantideva:Alles Glück dieser WeltEntsteht aus dem Wunsch, dass andere glücklich seinmögen.Denken wir sorgfältig darüber nach, werden wir erkennen,dass unser gesamtes gegenwärtiges und zukünftiges Glückvon unserer Wertschätzung für andere abhängt <strong>–</strong> unseremWunsch, dass andere glücklich sein mögen. Weil wir andereschätzten, übten wir in unseren vergangenen Leben tugendhafteHandlungen aus wie die, uns davon zurückzuhalten sieumzubringen oder ihnen zu schaden, und gaben es auf, sie zubestehlen und zu betrügen. Wir gaben ihnen materielle Hilfeund Schutz und praktizierten Geduld. Als Ergebnis diesertugendhaften Handlungen haben wir jetzt dieses kostbaremenschliche Leben erhalten mit der Gelegenheit, menschlicheVergnügen zu erfahren.Als unmittelbare Auswirkung der Wertschätzung andererwerden viele unserer täglichen Probleme, wie diejenigen, die82


Der Pfad einer Person groSSer Ausrichtungdurch Wut, Neid und selbstsüchtiges Verhalten entstehen,verschwinden, und unser Geist wird ruhig und friedvollwerden. Da wir auf rücksichtsvolle Art handeln werden,werden wir anderen Freude bereiten und uns nicht in Streitereienund Kämpfe verwickeln. Schätzen wir andere, werden wirdarum bemüht sein ihnen eher zu helfen als zu schaden, undvon daher ganz natürlich negative Handlungen vermeiden.Stattdessen werden wir positive Handlungen ausüben, wieMitgefühl, Liebe, Geduld und das Geben von materieller Hilfeund Schutz. Somit erschaffen wir die Ursache, reines undimmerwährendes Glück in Zukunft zu erlangen.Schätzen wir alle anderen Lebewesen wie uns selbst, sindinsbesondere ihre Leiden für uns schwer zu ertragen. UnserGefühl, dass die Leiden aller anderen Lebewesen schwer zuertragen sind, ist allumfassendem Mitgefühl, und dies wirduns schnell zum reinen und immerwährenden Glück derErleuchtung führen. Genau wie alle früheren Buddhas werdenauch wir von der Mutter, dem allumfassenden Mitgefühl,als erleuchteter Buddha geboren werden. Das ist der Grund,warum unsere Wertschätzung aller Lebewesen uns befähigt,Erleuchtung sehr schnell zu erlangen.Wir betrachten alle diese Nutzen und denken:Der kostbare Geist, der alle Lebewesen schätzt, beschütztsowohl mich als auch andere vor Leiden, bringt reines undimmerwährendes Glück, und erfüllt die Wünsche sowohl vonmir als auch von anderen. Daher muss ich immer alle Lebewesenohne Ausnahme schätzen.Wir sollten jeden Tag über diesen Entschluss meditieren undihn außerhalb der Meditation in die Praxis umsetzen. Dasbedeutet, dass wir tatsächlich jedes einzelne Lebewesen, Tiereeingeschlossen, schätzen sollten.83


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>DIE EIGENTLICHE SCHULUNG IMAUSTAUSCHEN VOM SELBST MIT ANDERENAustauschen vom Selbst mit anderen bedeutet, dass wir dasObjekt unserer Wertschätzung tauschen, von uns selbst zu allenanderen Lebewesen. Ohne Schulung ist dies unmöglich. Wieschulen wir uns im Austauschen vom Selbst mit anderen? Miteinem Verständnis der großen Nachteile uns selbst zu schätzenund der großen Vorteile alle Lebewesen zu schätzen, wie obenerklärt, und indem wir uns erinnern, dass wir den Entschlussgefasst haben unsere Selbstwertschätzung aufzugeben undimmer alle Lebewesen ohne Ausnahme zu schätzen, denkenwir aus der Tiefe unseres Herzens:Ich muss aufhören mich selbst zu schätzen und stattdessenausnahmslos alle anderen Lebewesen schätzen.Wir meditieren dann über diesen Entschluss. Wir solltendiese Meditation kontinuierlich praktizieren, bis wir spontanglauben, dass das Glück und die Freiheit jedes einzelnen Lebewesensweitaus wichtiger sind als unser eigenes. Dieser Glaubeist die Realisation des Austauschens vom Selbst mit anderen.SCHULUNG IN WÜNSCHENDER LIEBEMit dem Verständnis und dem Glauben, dass das Glück unddie Freiheit eines jeden einzelnen Lebewesens weitaus wichtigersind als unser eigenes, erzeugen wir wünschende Liebefür alle Lebewesen, indem wir denken:Wie wunderbar wäre es, wenn alle Lebewesen das reine undimmerwährende Glück der Erleuchtung erlangen würden!Mögen sie dieses Glück erlangen. Ich selbst werde für diesesZiel arbeiten.84


Der Pfad einer Person groSSer AusrichtungWir verweilen so lange wie möglich einsgerichtet auf diesemkostbaren Geist der wünschenden Liebe für alle Lebewesen.Wir wiederholen diese Meditation immer wieder, bis wirspontan wünschen, dass jedes einzelne Lebewesen das Glückder Erleuchtung erfahren möge. Dieser spontane Wunsch istdie eigentliche Realisation von wünschender Liebe.Wünschende Liebe wird auch „unermessliche Liebe“genannt, weil wir durch bloße Meditation über wünschendeLiebe unermesslichen Nutzen in diesem und in unzähligenzukünftigen Leben erhalten werden. Auf der Grundlage vonBuddhas Unterweisungen zählte der große Gelehrte Nagarjunaacht Nutzen der zuneigungsvollen Liebe und wünschendenLiebe auf: (1) Wenn wir auch nur für einen Moment über zuneigungsvolleLiebe und wünschende Liebe meditieren, sammelnwir größere Verdienste an, als wenn wir dreimal täglich allenHungernden in dieser Welt Nahrung geben würden.Wenn wir den Hungernden Nahrung geben, geben wir ihnennicht echtes Glück. Das ist so, weil das Glück, das aus demGeben von Nahrung entsteht, kein echtes Glück ist, sondernlediglich eine vorübergehende Verminderung des Leidensdes Hungers. Meditation über zuneigungsvolle Liebe undwünschende Liebe aber führt uns und alle Lebewesen zumreinen und immerwährenden Glück der Erleuchtung.Die verbleibenden sieben Nutzen der Meditation überzuneigungsvolle Liebe und wünschende Liebe sind die, dasswir in der Zukunft (2) große liebevolle Güte von Menschen undNichtmenschen erhalten werden, (3) wir auf unterschiedlicheArt und Weise von Menschen und Nichtmenschen beschütztwerden, (4) wir jederzeit geistig glücklich sein werden, (5)wir jederzeit körperlich gesund sein werden, (6) wir keinerleiSchaden durch Waffen, Gift und andere schädliche Bedingungenerleiden werden, (7) wir mühelos alle notwendigen85


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Bedingungen erhalten werden und (8) wir im höheren Himmeleines Buddha-Landes geboren werden.Haben wir über diese Vorteile nachgedacht, solltenwir jeden Tag viele Male Bemühen anwenden, um überwünschende Liebe zu meditieren.SCHULUNG IN ALLUMFASSENDEM MITGEFÜHLGroßes Mitgefühl ist ein Geist, der sich aufrichtig wünschtalle Lebewesen dauerhaft von Leiden zu befreien. Wenn wirauf der Grundlage der Wertschätzung für alle Lebewesenüber ihre körperlichen Leiden und geistigen Schmerzen, ihreUnfähigkeit, ihre Wünsche zu erfüllen, ihren Mangel an Freiheitund wie sie durch Ausüben negativer Handlungen Samenfür zukünftiges Leiden ansammeln, nachdenken, werden wirein tiefes Mitgefühl für sie entwickeln. Wir müssen uns in sieeinfühlen und ihren Schmerz so deutlich spüren wie unsereneigenen.Niemand möchte leiden, doch aus Unwissenheit erschaffendie Lebewesen Leiden, indem sie nichttugendhafte Handlungenausführen. Wir sollten daher gleiches Mitgefühl für alleLebewesen ohne Ausnahme empfinden. Es gibt kein einzigesLebewesen, das kein geeignetes Objekt unseres Mitgefühlswäre.Alle Lebewesen leiden, weil sie verunreinigte Wiedergeburtenangenommen haben. Die Menschen haben keine andereWahl, als enormes menschliches Leiden zu erfahren, weil sieeine menschliche Wiedergeburt angenommen haben, die durchdas innere Gift der Verblendungen verunreinigt ist. Gleichermaßenmüssen Tiere tierisches Leiden erfahren und hungrigeGeister und Höllenwesen müssen all die Leiden ihrer jeweiligenBereiche erfahren. Wenn die Lebewesen alle diese Leidennur für ein einziges Leben erfahren müssten, wäre es nicht so86


Der Pfad einer Person groSSer Ausrichtungschlimm, doch der Kreislauf des Leidens setzt sich Leben fürLeben fort, endlos.Um Entsagung zu entwickeln, haben wir zuvor darübernachgedacht, wie wir in unseren zahllosen zukünftigen Lebendie unerträglichen Leiden von Tieren, hungrigen Geistern,Höllenwesen, Halbgöttern und Göttern erfahren müssen.Jetzt, an diesem Punkt, betrachten wir, um Mitgefühl für alleLebewesen, die unsere Mütter sind, zu entwickeln, wie sie inihren zahllosen zukünftigen Leben die unerträglichen Leidenvon Tieren, hungrigen Geistern, Höllenwesen, Halbgötternund Göttern erfahren müssen.Haben wir darüber nachgedacht, sollten wir denken:Ich kann das Leiden dieser unzähligen Mutterwesen nichtertragen. Im weiten und tiefen Ozean Samsaras, demKreislauf verunreinigter Wiedergeburt, ertrinkend, müssensie unerträgliches körperliches Leiden und geistige Schmerzenin diesem und in unzähligen zukünftigen Leben erfahren. Ichmuss all diese Lebewesen dauerhaft von ihren Leiden befreien.Wir sollten kontinuierlich über diesen Entschluss, der allumfassendesMitgefühl ist, meditieren und großes Bemühenanwenden, sein Ziel zu erfüllen.SCHULUNG IN EIGENTLICHEM BODHICHITTAIn dem Augenblick, wo wir Bodhichitta entwickeln, werdenwir ein Bodhisattva <strong>–</strong> eine Person, die sich spontan wünscht,Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen zu erlangen. Anfänglichwerden wir ein Bodhisattva auf dem Pfad der Ansammlungsein. Wenn wir dann mit dem Fahrzeug des Bodhichittas demPfad zur Erleuchtung folgen, können wir von einem Bodhisattvaauf dem Pfad der Ansammlung fortschreiten zu einem87


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Bodhisattva auf dem Pfad der Vorbereitung, einem Bodhisattvaauf dem Pfad des Sehens und dann zu einem Bodhisattvaauf dem Pfad der Meditation. Von dort aus werden wir denPfad des Nicht-mehr-Lernens erreichen, den eigentlichenZustand der Erleuchtung. Wie bereits erwähnt, ist Erleuchtungdas innere Licht der Weisheit, das dauerhaft von allenfehlerhaften Erscheinungen frei ist und dessen Funktion es ist,jedem einzelnen Lebewesen jeden Tag geistigen Frieden zugewähren. Wenn wir die Erleuchtung eines Buddhas erlangen,werden wir fähig sein, jedem einzelnen Lebewesen direkt zuhelfen, indem wir Segnungen gewähren, sowie durch unserezahllosen Ausstrahlungen.In den <strong>Sutra</strong>-Unterweisungen sagt Buddha:In diesem unreinen Leben SamsarasErfährt niemand echtes Glück;Die Handlungen, die sie ausführen,Werden immer die Ursachen für Leiden sein.Das Glück, das wir normalerweise durch gute Bedingungenerfahren, etwa hohes Ansehen, eine gute Position, eine guteArbeit, gute Beziehungen, anziehende Formen sehen, guteNachrichten oder wunderschöne Musik hören, Essen, Trinkenund Sex ist nicht echtes Glück, sondern sich veränderndesLeiden <strong>–</strong> eine Verminderung von unserem vorangegangenemLeiden. Wir glauben jedoch aus Unwissenheit, dass nur diesGlück ist, und deshalb wünschen wir uns niemals echtesGlück, das reine und immerwährende Glück der Befreiung undErleuchtung, nicht einmal für unser eigenes Wohl. Wir suchenimmer in diesem unreinen Leben Samsaras nach Glück, so wieder Dieb, der Gold in Milarepas leerer Höhle suchte und nichtsfand. Der große Yogi Milarepa hörte eines Nachts einen Diebin seiner Höhle herumstöbern und rief ihm zu: „Wie erwartest88


Der Pfad einer Person groSSer Ausrichtungdu hier nachts etwas Wertvolles zu finden, wenn ich bei Tagenichts Wertvolles finden kann?Wenn wir durch Schulung den kostbaren Geist der Erleuchtung,Bodhichitta, entwickeln, denken wir spontan:Wie wunderbar wäre es, wenn ich und alle Lebewesen echtesGlück, das reine und immerwährende Glück der Erleuchtung,erlangten! Mögen wir dieses Glück erlangen. Ich selbst werdefür dieses Ziel arbeiten.Wir müssen diesen kostbaren Geist des Bodhichittas inunserem Herzen haben. Er ist unserer innerer spirituellerMeister, der uns direkt zum Zustand des höchsten Glücks derErleuchtung führt; und er ist das wirkliche wunscherfüllendeJuwel, mit dem wir die Wünsche von uns selbst und anderenerfüllen können. Es gibt keine nützlichere Absicht als diesenkostbaren Geist.Haben wir über die obige Erklärung nachgedacht, denkenwir aus der Tiefe unseres Herzens:Ich bin eine einzige Person, aber andere Lebewesen sind zahllos,und sie alle sind meine gütigen Mütter. Diese zahllosenMutterwesen müssen unerträgliche körperliche Leiden undgeistigen Schmerz in diesem und in unzähligen zukünftigenLeben erfahren. Verglichen mit dem Leiden dieser zahllosenLebewesen ist mein eigenes Leiden belanglos. Ich muss alleLebewesen für immer von Leiden befreien und zu diesemZweck muss ich die Erleuchtung eines Buddhas erlangen.Wir meditieren einsgerichtet über diesen Entschluss, derBodhichitta ist. Wir sollten diese Kontemplation und Meditationkontinuierlich praktizieren, bis wir den spontanenWunsch entwickeln Erleuchtung zu erlangen, um jedem89


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>einzelnen Lebewesen direkt zu helfen, und dann sollten wirgroßes Bemühen anwenden, um unseren Bodhichitta-Wunschzu erfüllen.90


Die Schulung im Pfad desBodhichittasEs gibt drei Stufen der Schulung im Pfad des Bodhichittas:1. Schulung in den sechs Vollkommenheiten, 2. Schulung imNehmen in Verbindung mit der Praxis der sechs Vollkommenheitenund 3. Schulung im Geben in Verbindung mit der Praxisder sechs Vollkommenheiten.SCHULUNG IN DEN SECHSVOLLKOMMENHEITENDie sechs Vollkommenheiten sind der eigentliche Pfad zurErleuchtung und sie sind auch der Pfad des Bodhichittas undBodhisattva-Pfad. Indem wir diesem Pfad mit dem Fahrzeugdes Bodhichittas folgen, werden wir mit Sicherheit denZustand der Erleuchtung erreichen. Unser Bodhichitta-Wunschist Erleuchtung zu erlangen, um jedem einzelnen Lebewesendirekt zu helfen. Um diesen Wunsch zu erfüllen, sollten wir vorunserem spirituellen Meister oder vor einem Bild Buddhas, daswir als lebendigen Buddha betrachten, versprechen, den Pfaddes Bodhisattvas oder seine Schulung auszuüben, währendwir das folgende Gebet dreimal rezitieren. Dieses Versprechenist das Bodhisattva-Gelübde.So wie alle früheren Sugatas, die Buddhas,Den Erleuchtungsgeist (Bodhichitta) erzeugtenUnd alle StufenDer Bodhisattva-Schulung vollendet haben,91


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>So will auch ich zum Wohle aller LebewesenDen Erleuchtungsgeist erzeugenUnd alle StufenDer Bodhisattva-Schulung vollenden.Wenn wir das Bodhisattva-Gelübde ablegen, nehmen wir dieVerpflichtung auf uns den Pfad zur Erleuchtung auszuüben, dieBodhisattva-Schulung, was die Praxis der sechs Vollkommenheitenist. Wenn wir eine Arbeitsstelle antreten, verpflichtenwir uns normalerweise, die Wünsche unseres Arbeitgeberszu erfüllen. Tun wir dies nicht, verlieren wir schnell unsereStelle. Nachdem wir Bodhichitta <strong>–</strong> den Entschluss Erleuchtungzu erlangen, um jedem einzelnen Lebewesen direkt zu helfen<strong>–</strong> erzeugt haben, müssen wir uns gleichermaßen verpflichten,die Praxis der sechs Vollkommenheiten auszuüben. Wenn wirdiese Verpflichtung nicht eingehen, werden wir die Gelegenheit,Erleuchtung zu erlangen, verlieren. Indem wir darübernachdenken, sollten wir uns selbst ermutigen, das Bodhisattva-Gelübde abzulegen und die sechs Vollkommenheit aufrichtigzu praktizieren.Die sechs Vollkommenheiten sind die Übungen des Gebens,der moralischen Disziplin, der Geduld, des Bemühens, derKonzentration und der Weisheit, welche durch Bodhichittamotiviert sind. Wir sollten erkennen, dass die sechs Vollkommenheitenunsere tägliche Praxis sind.In der Praxis des Gebens sollten wir Folgendes praktizieren:(1) Denjenigen materielle Hilfe geben, die in Armut leben,einschließlich Tieren Nahrung geben; (2) praktische Hilfe fürKranke und körperlich Schwache geben; (3) Schutz geben,indem wir immer versuchen das Leben anderer zu retten, dasLeben von Insekten eingeschlossen; (4) Liebe geben <strong>–</strong> lernenalle Lebewesen zu schätzen, dadurch dass wir immer glauben,dass ihr Glück und ihre Freiheit wichtig sind; und (5) Dharmageben: anderen helfen, ihre Probleme der Wut, Anhaftung und92


Schulung im Pfad des BodhichittasUnwissenheit zu lösen, indem wir Dharma-Unterweisungenoder sinnvolle Ratschläge geben.In der Praxis der moralischen Disziplin sollten wir jeglicheunangemessene Handlungen aufgeben, einschließlich solcher,die für andere Leid bewirken. Wir sollten es insbesondereaufgeben, die Verpflichtungen unserer Bodhisattva-Gelübdezu brechen. Dies ist das grundlegende Fundament, auf demwir Fortschritte auf dem Bodhisattva-Pfad machen können.Indem wir dies tun, werden unsere Handlungen von Körper,Rede und Geist rein, sodass wir reine Wesen werden.In der Praxis der Geduld sollten wir es niemals zulassen,dass wir wütend oder entmutigt werden, sondern vorübergehendjegliche Schwierigkeiten oder Schaden durch andereakzeptieren. Wenn wir Geduld praktizieren, tragen wir diehöchste innere Rüstung, die uns direkt vor körperlichemLeiden, geistigem Schmerz und anderen Problemen schützt.Wut zerstört unsere Verdienste oder unser Glück, sodass wirständig viele Hindernisse erfahren werden, und aufgrundmangelnder Verdienste wird es schwierig sein unsere Wünschezu verwirklichen, speziell unsere spirituellen Ziele. Es gibt keingrößeres Übel als Wut. Mit der Praxis der Geduld können wirjedes spirituelle Ziel erreichen; es gibt keine größere Tugendals Geduld.In der Praxis des Bemühens sollten wir uns auf das unerschütterlicheBemühen verlassen, eine große Menge anVerdiensten und Weisheit anzusammeln, welche die Hauptursachefür die Erlangung von Buddhas Formkörper (Rupakaya)und Wahrheitskörper (Dharmakaya) sind. Vor allem sollten wirdie Kontemplation und Meditation über Leerheit betonen, dieArt und Weise wie die Dinge wirklich sind. Dadurch könnenwir leicht Fortschritte auf dem Pfad zur Erleuchtung machen.Mit Bemühen können wir unser Ziel erreichen; mit Faulheitwerden wir nichts erreichen.93


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>In der Praxis der Konzentration sollten wir auf dieser Stufedie Verwirklichung der Leerheit beobachtenden Konzentrationdes ruhigen Verweilens betonen. Weiter unten wird imAbschnitt Eine einfache Schulung in endgültigem Bodhichittaeine Erklärung dazu gegeben. Wenn wir durch die Kraftdieser Konzentration eine besondere Weisheit des „höherenSehens“ erlangen, welche die Leerheit der Phänomene sehrklar realisiert, werden wir von einem Bodhisattva auf demPfad der Ansammlung zu einem Bodhisattva auf dem Pfadder Vorbereitung.In der Praxis der Weisheit sollten wir auf dieser Stufe dieKraft unserer Weisheit des höheren Sehens durch fortwährendeMeditation über die Leerheit aller Phänomene mit Bodhichitta-Motivation verstärken. Wenn sich dadurch unser höheresSehen in den Pfad des Sehens umwandelt, welcher die direkteRealisation der Leerheit aller Phänomene ist, werden wir voneinem Bodhisattva auf dem Pfad der Vorbereitung zu einemBodhisattva auf dem Pfad des Sehens. Im Moment, wo wirden Pfad des Sehens erreichen, werden wir ein höherer Bodhisattvasein, der keine Leiden Samsaras mehr erfährt. Selbstdann, wenn jemand unseren Körper mit einem Messer Stückfür Stück zerschneiden sollte, werden wir keine Schmerzenerfahren, da wir eine direkte Realisation davon besitzen, wiedie Dinge wirklich existieren.Nach der Vollendung des Pfades des Sehens ist es für denweiteren Fortschritt notwendig, kontinuierlich die Meditationüber die Leerheit aller Phänomene mit Bodhichitta-Motivationauszuüben. Diese Meditation wird „Pfad der Meditation“genannt. Wenn wir diese Stufe erreicht haben, werden wir voneinem Bodhisattva auf dem Pfad des Sehens zu einem Bodhisattvaauf dem Pfad der Meditation.Wenn sich unsere Weisheit des Pfades der Meditation ineine allwissende Weisheit umwandelt, haben wir den Pfadder Meditation vollendet, welche die dauerhafte Beendigung94


Schulung im Pfad des Bodhichittasfehlerhafter Erscheinungen erfährt. Diese allwissende Weisheitwird der „Pfad des Nicht-mehr-Lernens“ genannt, die eigentlicheErleuchtung. Wenn wir diese Stufe erreichen, werden wirvon einem Bodhisattva auf dem Pfad der Meditation zu einemerleuchteten Wesen, einem Buddha, fortgeschritten sein. Wirwerden das endgültige Ziel der Lebewesen erreicht haben.Die anfängliche Schulung des Bodhisattvas im Ansammelnvon Verdiensten oder Weisheit ist der Bodhisattva-Pfad derAnsammlung. Die Schulung des Bodhisattvas im Ansammelnvon Verdiensten oder Weisheit, die eine Vorbereitung dafürist, den Pfad des Sehens zu erlangen, ist der Bodhisattva-Pfadder Vorbereitung. Die Schulung des Bodhisattvas, die eineanfängliche direkte Realisation von Leerheit ist, ist der Bodhisattva-Pfaddes Sehens. Nach der Vollendung des Pfades desSehens ist die Schulung des Bodhisattvas, die kontinuierlichüber Leerheit meditiert, der Bodhisattva-Pfad der Meditation.Buddhas allwissende Weisheit, die durch das Vollenden allerSchulungen von <strong>Sutra</strong> und Tantra erlangt wird, ist der Pfad desNicht-mehr-Lernens, der Zustand der Erleuchtung.SCHULUNG IM NEHMEN IN VERBINDUNG MIT DERPRAXIS DER SECHS VOLLKOMMENHEITENEs gibt vier hauptsächliche Vorteile der Meditationen überNehmen und Geben: Sie sind kraftvolle Methoden, um (1) diePotentiale nichttugendhafter Handlungen zu reinigen, die dasErfahren von unheilbaren Krankheiten wie Krebs bewirken;um (2) eine große Ansammlung von Verdiensten anzuhäufen;um (3) unser Potential heranreifen zu lassen, in der Lage zusein, allen Lebewesen zu helfen; und um (4) unseren Geist zureinigen.Es gab einmal einen Lamrim-Praktizierenden namensKharak Gomchen, der ernsthaft an Lepra erkrankt war. DieBehandlungen der Ärzte brachten nichts und sein Zustand95


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>verschlechterte sich Jahr für Jahr. Schließlich sagten ihm dieÄrzte, dass sie nichts tun könnten, um seine Krankheit zuheilen. Da er glaubte, dass er bald sterben werde, verließGomchen sein Zuhause und ging auf einen Friedhof, um sichauf den Tod vorzubereiten. Während er auf dem Friedhofweilte, konzentrierte er sich Tag und Nacht darauf, die Meditationenüber Nehmen und Geben mit starkem Mitgefühl füralle Lebewesen zu praktizieren. Durch diese Praxis wurde ervollkommen geheilt und kehrte gesund und mit einem glücklichenGeist nach Hause zurück. Es gibt viele andere ähnlicheBeispiele.Im Moment sind wir nicht fähig, allen Lebewesen zu helfen,aber wir haben das Potential für diese Fähigkeit, die Teil unsererBuddha-Natur ist. Indem wir die Meditation über Nehmen undGeben mit starkem Mitgefühl für alle Lebewesen praktizieren,wird das Potential für die Fähigkeit, allen Lebewesen zu helfen,reifen, und wenn dies geschieht, werden wir ein erleuchtetesWesen, ein Buddha werden. Wenn wir unseren Geist durchdie Übungen von Nehmen und Geben reinigen, werden allespirituellen Realisationen mit Leichtigkeit in unserem Geistwachsen. Indem wir über die vier hauptsächlichen Vorteileder Meditation über Nehmen und Geben nachdenken, solltenwir uns selbst ermutigen, diese Meditationen aufrichtig zupraktizieren.„Nehmen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, das Leidenanderer mittels Meditation auf uns zu nehmen. Wenn wir überNehmen meditieren, sollte unsere Motivation Mitgefühl sein,indem wir denken:Ich muss alle Lebewesen für immer von ihren Leiden undÄngsten dieses und unzähliger zukünftiger Leben befreien.Auf diese Weise praktizieren wir durch das Gebenvon Schutz die Vollkommenheit des Gebens. Indemwir Selbstwertschätzung aufgeben, praktizieren wir die96


Schulung im Pfad des BodhichittasVollkommenheit der moralischen Disziplin. Indem wir freiwilligalle widrigen Umstände, die unsere Praxis des Nehmensbehindern, annehmen, praktizieren wir die Vollkommenheitder Geduld. Indem wir Bemühen anwenden, diese Meditationständig ohne Faulheit auszuüben, praktizieren wir die Vollkommenheitdes Bemühens. Indem wir uns einsgerichtet ohneAblenkung auf die Meditation des Nehmens konzentrieren,praktizieren wir die Vollkommenheit der Konzentration. Undindem wir realisieren, dass wir selbst, alle Lebewesen undihre Leiden als bloße Namen und nicht inhärent existieren,praktizieren wir die Vollkommenheit der Weisheit. So solltenwir uns in der Meditation über das Nehmen in Verbindungmit der Praxis der sechs Vollkommenheiten schulen. Dies isteine sehr tiefgründige Methode, die sechs Vollkommenheitenzu praktizieren. Wir sollten dieselbe Methode auf alle anderenMeditationen anwenden, zum Beispiel bei der Meditationüber den Tod, damit wir schnell Fortschritte auf dem Pfad zurErleuchtung machen können.Es gibt zwei Stufen der Meditation über Nehmen: 1. Meditationüber Nehmen, indem wir uns auf alle Lebewesen richten,und 2. Meditation über Nehmen, indem wir uns auf bestimmteLebewesen richten.MEDITATION ÜBER NEHMEN, DAS SICH AUFALLE LEBEWESEN RICHTETAuf dieser ersten Stufe richten wir uns auf die Versammlungausnahmslos aller Lebewesen und denken dann aus der Tiefeunseres Herzens:In ihren unzähligen zukünftigen Leben werden diese Lebewesenständig ohne Wahl die Leiden von Menschen, Tieren, hungrigenGeistern, Höllenwesen, Halbgöttern und Göttern erfahren. Wiewunderbar wäre es, wenn alle diese Lebewesen für immer vonden Leiden und Ängsten dieses und zahlloser zukünftiger Leben97


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>befreit wären! Mögen sie dies erreichen. Ich selbst werde für siearbeiten, um dies zu erreichen. Ich muss es tun.Indem wir so denken, stellen wir uns vor, dass sich dieLeiden aller Lebewesen in Form von schwarzem Rauchsammeln. Dieser löst sich in unsere Unwissenheit des Festhaltensam Selbst und der Selbstwertschätzung in unseremHerzen auf. Wir glauben dann fest, dass alle Lebewesen fürimmer von Leiden befreit sind und unsere Unwissenheit desFesthaltens am Selbst und der Selbstwertschätzung vollständigzerstört ist. Wir meditieren einsgerichtet, so lange wie möglichüber diesen Glauben.Mit Mitgefühl für alle Lebewesen sollten wir diese Meditationkontinuierlich praktizieren, bis wir Zeichen erfahren,die darauf hinweisen, dass unser Geist gereinigt worden ist.Zu diesen Zeichen kann die Heilung von einer Krankheitgehören, die wir vielleicht haben, oder die Verminderungunserer Verblendungen, ein friedlicher und glücklicher Geist,die Zunahme unseres Vertrauens, unserer korrekten Absichtund korrekten Sicht und besonders die Verstärkung unsererErfahrung von allumfassendem Mitgefühl.MEDITATION ÜBER NEHMEN, DAS SICH AUFBESTIMMTE LEBEWESEN RICHTETIn dieser Meditation können wir uns zum Beispiel auf alleLebewesen richten, die das Leiden der Krankheit erfahren.Dann denken wir:Diese Lebewesen erfahren das Leiden der Krankheit in diesemund in ihren unzähligen zukünftigen Leben ohne Ende. Wiewunderbar wäre es, wenn diese Lebewesen für immer vonKrankheit befreit wären! Mögen sie dies erreichen. Ich selbstwerde für sie handeln, damit sie dies erreichen. Ich muss es tun.98


Schulung im Pfad des BodhichittasSo denkend stellen wir uns vor, dass sich das Leiden derKrankheit aller Lebewesen in Form von schwarzem Rauchsammelt. Dieser löst sich in unsere Unwissenheit des Festhaltensam Selbst und der Selbstwertschätzung in unseremHerzen auf. Wir glauben dann fest, dass alle diese Lebewesenfür immer von Krankheit befreit sind und unsere Unwissenheitdes Festhaltens am Selbst und der Selbstwertschätzung vollständigzerstört ist. Wir meditieren einsgerichtet, so lange wiemöglich über diesen Glauben.Auf die gleiche Weise können wir die Meditation überNehmen praktizieren, indem wir uns auf ein bestimmtes Individuumoder eine Gruppe von Lebewesen richten, die andereLeiden wie Armut, Kämpfe und Hungersnot erfahren.Wir sollten insbesondere Bemühen anwenden, tiefe Vertrautheitmit der Meditation über Nehmen zu entwickeln, die aufalle Lebewesen gerichtet ist. Diese Meditation reinigt unserenGeist, was wiederum unsere Handlungen reinigt, sodass wirein reines Wesen werden. Wenn wir mit starkem Mitgefühl füralle Lebewesen sterben, werden wir mit Sicherheit im ReinenLand eines Buddhas geboren werden. Das ist so, weil unserMitgefühl, das sich beim Sterben manifestiert, direkt bewirkenwird, dass unser Potential, Wiedergeburt im Reinen Land einesBuddhas zu nehmen, reift. Das ist das gute Ergebnis eines gutenHerzens. Das Ergebnis davon, ein gutes Herz zu bewahren, dassich aufrichtig wünscht, alle Lebewesen für immer von ihrenLeiden zu befreien, ist, dass wir selbst beständige Befreiungvon Leiden erfahren werden, indem wir Wiedergeburt imReinen Land eines Buddhas nehmen.Als zum Beispiel Geshe Chekhawa im Sterben lag, entwickelteer den aufrichtigen Wunsch in der Hölle wiedergeborenzu werden, um den Höllenwesen direkt zu helfen; doch erempfing klare Visionen, dass er in Sukhavati, dem Reinen99


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Land von Buddha Amitabha, wiedergeboren würde. Er sagtezu seinem Gehilfen: „Leider wird mein Wunsch nicht erfüllt.“Dieser fragte ihn: „Was ist dein Wunsch?“, und Geshe Chekhawaantwortete: „ Mein Wunsch ist, Wiedergeburt in derHölle zu nehmen, damit ich den Höllenwesen direkt helfenkann, aber ich sah klare Zeichen, dass ich im Reinen Land vonBuddha Amitabha geboren werde.“ Obwohl Geshe ChekhawaWiedergeburt in der Hölle nehmen wollte, hinderte ihn seinMitgefühl für alle Lebewesen daran, eine niedere Wiedergeburtanzunehmen. Er hatte keine andere Wahl, als ins ReineLand eines Buddhas zu gehen, wo er beständige Befreiungvon Leiden erfuhr. Obwohl Geshe Chekhawa Wiedergeburtin einem Reinen Land nahm, war er dennoch durch seineAusstrahlungen in der Lage, den Höllenwesen zu helfen.Wir denken vielleicht, dass unsere Überzeugung, dassLebewesen beständige Befreiung von Leiden durch unsereMeditation erlangt haben, nicht korrekt ist, da Lebewesendiese nicht tatsächlich erlangt haben. Obwohl es stimmt, dassLebewesen nicht tatsächlich beständige Befreiung von Leidenerlangt haben, ist unser Glauben dennoch korrekt, weil eraus unserem Mitgefühl und unserer Weisheit entsteht. Überdiesen Glauben zu meditieren lässt unser Potential für dieFähigkeit, alle Lebewesen dauerhaft von Leiden zu befreien,schnell heranreifen, sodass wir schnell Erleuchtung erlangenwerden. Deshalb sollten wir einen derart nützlichen Glauben,dessen Natur Weisheit ist, niemals aufgeben. Meditation überNehmen ist der schnelle Pfad zur Erleuchtung und hat eineähnliche Funktion wie die tantrische Praxis. Es wird gesagt,dass tantrische Realisationen einfach erreicht werden, indemwir uns auf korrekten Glauben und Vorstellung verlassen.Diese Praxis ist sehr einfach; alles, was wir tun müssen, ist, mitder Meditation über korrekten Glauben und Vorstellung, wiesie im Tantra präsentiert wird, tief vertraut zu werden, indemwir kontinuierlich Bemühen anwenden.100


Schulung im Pfad des BodhichittasSCHULUNG IM GEBEN IN VERBINDUNG MIT DERPRAXIS DER SECHS VOLLKOMMENHEITEN„Geben“ bedeutet in diesem Zusammenhang, anderen durchMeditation unser eigenes Glück geben. Im Allgemeinen gibt esim Kreislauf unreinen Lebens, Samsara, überhaupt kein echtesGlück. Wie zuvor erwähnt ist das Glück, das wir normalerweisedurch Essen, Trinken, Sex und so weiter erfahren, keinechtes Glück, sondern lediglich eine Verminderung einesvorangegangenen Problems oder einer Unzufriedenheit.Wenn beispielsweise das Glück, das wir durch Sex erfahren,wirkliches Glück wäre, dann würde folgen, dass Sex selbst einewirkliche Ursache des Glücks ist. Wäre dies wahr, dann würdeunser Glück umso mehr zunehmen, je mehr Sex wir hätten.Doch tatsächlich wäre das Gegenteil der Fall. Anstatt dassunser Glück anwachsen würde, nähme unser Leiden zu. InVierhundert Versen sagt der buddhistische Meister Aryadeva:Die Erfahrung von Leiden wird niemals durch diegleiche Ursache verändert werden,Doch wir können sehen, dass die Erfahrung von Glückdurch die gleiche Ursache verändert wird.Das heißt, dass zum Beispiel das durch Feuer verursachteLeiden niemals durch Feuer in Glück verändert wird. Dochwir können sehen, das zum Beispiel durch Essen verursachtesGlück einfach nur durch Essen in Leiden verändert wird.Wie meditieren wir über Geben? In Leitfaden für die Lebensweiseeines Bodhisattvas sagt Shantideva:. . .Um das Wohl aller Lebewesen zu vollenden,Werde ich meinen Körper in ein erleuchteteswunscherfüllendes Juwel umwandeln.Wir sollten unseren ständig verweilenden Körper, unserensehr subtilen Körper, als das wahre wunscherfüllende Juwel101


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>betrachten; er ist unsere Buddha-Natur, durch die die Wünschevon uns selbst und allen anderen Lebewesen erfüllt werden.Wir denken dann:Alle Lebewesen wünschen sich jederzeit glücklich zu sein,doch sie wissen nicht, wie man das macht. Sie erfahren niewahres Glück, weil sie aus Unwissenheit ihr eigenes Glückzerstören, indem sie Verblendungen wie Wut entwickeln undnichttugendhafte Handlungen ausüben. Wie wunderbar wärees, wenn all diese Lebewesen das reine und immerwährendeGlück der Erleuchtung erfahren würden! Mögen sie diesesGlück erfahren. Ich werde jetzt mein eigenes zukünftiges Glückder Erleuchtung jedem einzelnen Lebewesen geben.Indem wir auf diese Weise denken, stellen wir uns vor, dasswir von unserem ständig verweilenden Körper in unseremHerzen unendliche Lichtstrahlen aussenden, die in ihrer Naturunser zukünftiges Glück der Erleuchtung sind. Diese erreichenalle Lebewesen der sechs Bereiche und wir glauben fest, dassjedes einzelne Lebewesen das reine und immerwährende Glückder Erleuchtung erfährt. Wir meditieren einsgerichtet, so langewie möglich über diesen Glauben. Wir sollten diese Meditationkontinuierlich praktizieren, bis wir spontan glauben, dassjetzt tatsächlich alle Lebewesen unser zukünftiges Glück derErleuchtung erhalten haben. Mit dieser Praxis sind wir wie einBodhisattva, der hirtengleichen Bodhichitta praktiziert. So wieein Hirte seiner Herde Schutz und notwendige Bedingungengeben möchte, bevor er sich selbst entspannt, so möchte einBodhisattva, der hirtengleichen Bodhichitta praktiziert, allenLebewesen Schutz und endgültiges Glück zukommen lassen,bevor es dies für sich selbst erreicht.Diese Meditation hat vier hauptsächliche Vorteile: (1) Sievergrößert unsere wünschende Liebe für alle Lebewesen; (2) sielässt unsere potentielle Fähigkeit, allen Lebewesen zu helfen,reifen; (3) sie trägt eine große Ansammlung von Verdiensten102


Schulung im Pfad des Bodhichittasoder Glück zusammen; und (4) sie bewirkt, dass unseregewöhnlichen Erscheinungen und Vorstellungen aufhören.Unser zukünftiges Glück der Erleuchtung ist das Ergebnisdavon, dass wir Mitgefühl für alle Lebewesen erzeugen. DieMeditation über Geben bringt dieses zukünftige Glück in denPfad und ist daher ein schneller Pfad zur Erleuchtung, der eineähnliche Funktion wie die tantrische Praxis hat. Wir solltenstarkes Bemühen in der Praxis dieser Meditation anwenden,damit wir schnell Fortschritte auf dem Pfad zur Erleuchtungmachen können.Wenn wir über Geben meditieren, sollte unsere Motivationwünschende Liebe sein. Indem wir auf diese Weise Liebe geben,praktizieren wir die Vollkommenheit des Gebens. Indem wirSelbstwertschätzung aufgeben, praktizieren wir die Vollkommenheitder moralischen Disziplin. Indem wir freiwillig allewidrigen Umstände, die unsere Praxis des Gebens behindern,annehmen, praktizieren wir die Vollkommenheit der Geduld.Indem wir Bemühen anwenden, diese Meditation ständig ohneFaulheit auszuüben, praktizieren wir die Vollkommenheit desBemühens. Indem wir uns ohne Ablenkung einsgerichtet aufdie Meditation über Geben konzentrieren, praktizieren wirdie Vollkommenheit der Konzentration. Und indem wir realisieren,dass wir selbst, alle Lebewesen und ihr Glück alle alsbloße Namen und nicht inhärent existieren, praktizieren wirdie Vollkommenheit der Weisheit. So sollten wir uns in derMeditation über Geben in Verbindung mit der Praxis der sechsVollkommenheiten schulen.Schulung im Geben ist eine besondere Meditation überwünschende Liebe, die sich aufrichtig wünscht, dass alleLebewesen echtes Glück erlangen <strong>–</strong> das reine und immerwährendeGlück der Befreiung und Erleuchtung. Wie obenerwähnt, wird die Meditation über wünschende Liebe auch„unermessliche Liebe“ genannt, weil uns einfach nur dasMeditieren über wünschende Liebe unermesslichen Nutzen indiesem und unzähligen zukünftigen Leben bringt.103


Buddha des Mitgefühls


Schulung in endgültigemBodhichittaWenn wir über Leerheit meditieren, um endgültigen Bodhichittazu entwickeln oder zu vergrößern, schulen wir uns in endgültigemBodhichitta. Eigentlicher endgültiger Bodhichitta ist eineWeisheit, die Leerheit direkt realisiert, die durch Bodhichittamotiviert ist. Sie wird „endgültiger Bodhichitta“ genannt, weilihr Objekt endgültige Wahrheit, Leerheit, ist, und sie einer derHauptpfade zur Erleuchtung ist. Der Bodhichitta, der bis jetzterklärt wurde, ist konventioneller Bodhichitta und hat dieNatur von Mitgefühl, wohingegen endgültiger Bodhichitta dieNatur von Weisheit hat. Diese zwei Bodhichittas sind wie diezwei Flügel eines Vogels, mit denen wir zur erleuchteten Weltfliegen können.Wenn wir die Bedeutung von Leerheit nicht kennen, gibt eskeine Grundlage für die Schulung in endgültigem Bodhichitta,da Leerheit das Objekt von endgültigem Bodhichitta ist. JeTsongkhapa sagte:Das Wissen um Leerheit ist jedem anderen Wissenüberlegen,Der Lehrer, der Leerheit fehlerfrei lehrt, ist jedemanderen Lehrer überlegenUnd die Realisation der Leerheit ist die eigentlicheEssenz des Buddhadharmas.105


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>WAS IST LEERHEIT?Leerheit ist die Art und Weise, wie die Dinge wirklich sind. Esist die Art und Weise, wie die Dinge existieren, im Gegensatzzur Art und Weise, wie sie erscheinen. Wir halten es für selbstverständlich,dass die Dinge, die wir um uns herum sehen,wie Tische, Stühle und Häuser, wahrhaft existieren, weil wirglauben, dass sie genauso existieren, wie sie erscheinen. Dochdie Art und Weise, wie die Dinge unseren Sinnen erscheinen,ist trügerisch und vollkommen widersprüchlich zu der Artund Weise, wie sie tatsächlich existieren. Die Dinge scheinenaus sich selbst heraus zu existieren, unabhängig von unseremGeist. Dieses Buch beispielsweise, das unserem Geist erscheint,scheint seine eigene unabhängige, objektive Existenz zubesitzen. Es scheint ‚außerhalb‘ zu sein, während unser Geist‚innerhalb‘ zu sein scheint. Wir haben das Gefühl, dass dasBuch ohne unseren Geist existieren kann. Wir glauben nicht,dass unser Geist in irgendeiner Weise daran beteiligt ist, dieExistenz des Buches hervorzubringen. Diese von unseremGeist unabhängige Art der Existenz wird „wahre Existenz“,„inhärente Existenz“, „aus sich selbst heraus existierend“ undauch „Existenz vonseiten des Objekts“ genannt.Obwohl die Dinge unseren Sinnen direkt als wahrhaft oderinhärent existierend erscheinen, fehlt allen Phänomenen inWirklichkeit wahre Existenz; sie sind leer von wahrer Existenz.Dieses Buch, unser Körper, unsere Freunde, wir selbst und dasgesamte Universum sind in Wirklichkeit nur Erscheinungendes Geistes, ähnlich den Dingen, die man in einem Traumsieht. Wenn wir von einem Elefanten träumen, erscheint unsder Elefant deutlich in allen Einzelheiten: Wir können ihnsehen, hören, riechen und berühren. Wenn wir aber aufwachen,wird uns klar, dass er nur eine Erscheinung des Geisteswar. Wir fragen uns nicht: „Wo ist der Elefant jetzt?“, weil wirverstehen, dass er lediglich eine Projektion unseres Geistes war106


Schulung in endgültigem Bodhichittaund keinerlei Existenz außerhalb unseres Geistes besaß. Alsdas Traumgewahrsein, das den Elefanten festhielt, endete, gingder Elefant nicht irgendwo hin. Er verschwand einfach, denner war lediglich eine Erscheinung des Geistes und existiertenicht getrennt vom Geist. Buddha sagt, dass das gleiche füralle Phänomene gilt; sie sind bloße Erscheinungen des Geistes,völlig abhängig vom Geist, der sie wahrnimmt.Die Welt, die wir erleben, wenn wir wach sind, und die Welt,die wir erleben, wenn wir träumen, sind beides bloße Erscheinungendes Geistes, die aus unseren fehlerhaften Vorstellungenentstehen. Wenn wir behaupten, dass die Traumwelt unwahrist, dann müssen wir auch sagen, dass die Welt des Wachzustandesunwahr ist; und wenn wir darauf bestehen, dass dieWelt des Wachzustandes wahr ist, müssen wir auch einräumen,dass die Traumwelt wahr ist. Der einzige Unterschied ist, dassdie Traumwelt eine Erscheinung unseres subtilen Traumgeistesist, während die Welt des Wachzustandes eine Erscheinungunseres groben Wachgeistes ist. Die Traumwelt existiert nur solange, wie das Traumgewahrsein existiert, dem sie erscheint,und die Welt des Wachzustandes dauert nur so lange an, wiedas Gewahrsein des Wachzustandes anhält, dem sie erscheint.Buddha sagte: „Ihr solltet wissen, dass alle Phänomene wieTräume sind.“ Wenn wir sterben, lösen sich unsere grobenwachen Geisteszustände in unseren sehr subtilen Geist auf,und die Welt, die wir erlebt haben, verschwindet ganz einfach.Die Welt, wie sie von anderen wahrgenommen wird, bestehtweiterhin, unsere persönliche Welt hingegen wird völlig undunwiederbringlich verschwinden, genauso wie die Welt inunserem Traum letzte Nacht.Buddha sagte auch, dass alle Phänomene wie Illusionensind. Es gibt viele verschiedene Arten von Illusionen, wieLuftspiegelungen, Regenbögen oder Halluzinationen, diedurch Drogen hervorgerufen werden. In der Vergangenheit107


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>gab es Magier, die ihr Publikum derart beeinflussen konnten,dass es bestimmte Objekte, wie beispielsweise ein Stück Holz,als einen Tiger wahrnahm. Jene Zuschauer, die unter demBann des Zauberspruches standen, sahen einen echten Tigerund bekamen Angst; die Zuschauer aber, die erst nach derVerzauberung dazukamen, sahen einfach nur ein Stück Holz.Allen Illusionen ist gemeinsam, dass die Art und Weise ihrerErscheinung nicht mit der tatsächlichen Existenz übereinstimmt.Buddha verglich alle Phänomene mit Illusionen, denndurch die Kraft der Prägungen der Unwissenheit des Festhaltensam Selbst, die wir seit anfangsloser Zeit angesammelthaben, scheint alles, was dem Geist erscheint, von Natur auswahrhaft existierend zu sein, und wir glauben instinktiv andiese Erscheinung. In Wirklichkeit jedoch ist alles vollkommenleer von wahrer Existenz. So wie eine Luftspiegelung, die wieWasser aussieht, aber nicht wirklich Wasser ist, erscheinen unsdie Dinge auf täuschende Weise. Weil wir ihre wahre Naturnicht erkennen, werden wir von Erscheinungen getäuschtund halten an Büchern und Tischen, Körpern und Weltenals wahrhaft existierend fest. Als Folge dieses Festhaltens anPhänomenen entwickeln wir Selbstwertschätzung, Anhaftung,Hass, Eifersucht und andere Verblendungen; unser Geist wirdgereizt und unausgeglichen und unser geistiger Friede wirdzerstört. Wir gleichen Reisenden in der Wüste, die ihre Kräftedadurch erschöpfen, dass sie Luftspiegelungen nachjagen,oder jemandem, der nachts eine Straße entlang läuft und dieSchatten der Bäume für Verbrecher oder wilde Tiere hält, diedarauf warten, ihn anzugreifen.DIE LEERHEIT UNSERES KÖRPERSUm zu verstehen, wie Phänomene leer von wahrer oderinhärenter Existenz sind, sollten wir unseren eigenen Körperbetrachten. Haben wir einmal verstanden, wie unserem Körper108


Schulung in endgültigem Bodhichittawahre Existenz fehlt, können wir die gleiche Argumentationohne Schwierigkeiten auf andere Objekte übertragen.In Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas sagt BodhisattvaShantideva:Deshalb gibt es keinen wahrhaft existierenden Körper,Aus Unwissenheit aber nehmen wir einen Körper inden Händen und so fort wahr,Wie ein Geist, der fälschlicherweise eine Personfesthält,Wenn er die Form eines Steinhaufens in derDämmerung sieht.Einerseits kennen wir unseren Körper sehr gut. Wir wissen,ob er gesund oder krank, schön oder hässlich und so weiterist. Niemals aber untersuchen wir ihn näher und fragen uns:„Was genau ist mein Körper? Wo ist mein Körper? Was istseine wahre Natur?“ Würden wir unseren Körper in dieserWeise untersuchen, wären wir nicht in der Lage, ihn zu finden:Anstatt unseren Körper zu finden, wäre das Ergebnis dieserUntersuchung, dass unser Körper verschwindet. Die Bedeutungdes ersten Teils von Shantidevas Vers „Deshalb gibt eskeinen Körper“ ist, dass kein Körper vorhanden ist, wenn wirnach unserem ‚wahren‘ Körper suchen, und dass auch keinKörper in unseren Händen und so weiter ist. Unser Körperexistiert nur, wenn wir nicht nach einem wahren Körper, derüber dessen bloße Erscheinung hinausgeht, suchen.Es gibt zwei Wege, nach einem Objekt zu suchen. EinBeispiel für die erste Methode, die wir als eine „konventionelleSuche“ bezeichnen können, ist das Suchen nach unserem Autoauf einem Parkplatz. Das Ergebnis dieser Art von Suche ist,dass wir das Auto insofern entdecken, als wir den Gegenstandfinden, den jeder als unser Auto bezeichnet. Nehmen wireinmal an, wir haben unser Auto auf dem Parkplatz ausfindig109


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>gemacht, sind nun aber nicht mit der bloßen Erscheinung desAutos zufrieden, sondern wollen genau feststellen, was dasAuto wirklich ist. Wir könnten dann eine Suche durchführen,die wir als „endgültige Suche“ nach dem Auto bezeichnen,wobei wir innerhalb des Objektes nach etwas suchen, was dasObjekt selbst ist. Wir fragen uns deshalb: „Sind irgendwelcheEinzelteile des Autos das Auto? Sind die Räder das Auto? Istder Motor das Auto? Ist das Fahrgestell das Auto?“ und soweiter. Wenn wir eine endgültige Suche nach unserem Autodurchführen, geben wir uns nicht damit zufrieden, auf dieMotorhaube, die Räder und so weiter zu zeigen und dann„Auto“ zu sagen; wir wollen wissen, was das Auto wirklich ist.Anstatt nur das Wort „Auto“ zu benutzen, wie es gewöhnlicheLeute tun, wollen wir wissen, worauf sich das Wort wirklichbezieht. Wir möchten das Auto geistig von allem, was nichtdas Auto ist, trennen, damit wir sagen können: „Das ist es,was das Auto wirklich ist.“ Wir wollen ein Auto finden, aber inWahrheit gibt es kein Auto, wir können nichts finden. Im <strong>Sutra</strong>der Zusammengefassten Vollkommenheit der Weisheit sagt Buddha:„Wenn ihr mit Weisheit nach eurem Körper sucht, könnt ihrihn nicht finden.“ Dies gilt auch für unser Auto, unser Hausund alle anderen Phänomene.In Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas sagtShantideva:Wenn man es auf diese Weise untersucht,Wer lebt und wer ist es, der sterben wird?Was ist die Zukunft und was ist die Vergangenheit?Wer sind unsere Freunde und wer sind unsereVerwandten?Ich flehe dich an, der du genauso bist wie ich,Bitte verstehe, dass alle Dinge leer sind, wie Raum.110


Schulung in endgültigem BodhichittaDie essentielle Bedeutung dieser Worte ist, dass es, wenn wirmit Weisheit nach Dingen suchen, keine Person gibt, die lebtoder stirbt, dass es keine Vergangenheit oder Zukunft gibt, unddass es keine Gegenwart gibt, unsere Freunde und Bekannteneingeschlossen. Wir sollten wissen, dass alle Phänomene leersind wie Raum, was bedeutet, dass wir wissen sollten, dass allePhänomene nichts anderes als Leerheit sind.Um Shantidevas Behauptung zu verstehen, dass es inWirklichkeit keinen Körper gibt, müssen wir eine endgültigeSuche nach unserem Körper durchführen. Sind wir gewöhnlicheWesen, so scheinen alle Objekte, einschließlich unseresKörpers, inhärent zu existieren. Wie oben erwähnt, scheinenObjekte unabhängig von unserem Geist und unabhängig vonanderen Phänomenen zu sein. Das Universum scheint auseigenständigen Objekten zu bestehen, die von ihrer Seite ausexistieren. Diese Objekte scheinen aus sich selbst heraus alsSterne, Planeten, Berge, Menschen und so fort zu existieren unddarauf zu ‚warten‘, von bewussten Wesen erfahren zu werden.Normalerweise kommen wir nicht auf die Idee, dass wir inirgendeiner Weise an der Existenz dieser Phänomene beteiligtsind. Wir haben beispielsweise das Gefühl, dass unser Körpervon seiner eigenen Seite aus existiert und dass er nicht vonunserem eigenen oder dem Geist irgendeines anderen abhängt,um ins Leben gerufen zu werden. Wenn unser Körper jedochtatsächlich so existieren würde, wie wir instinktiv an ihmfesthalten <strong>–</strong> als ein äußeres Objekt und nicht als eine Projektiondes Geistes <strong>–</strong>, müssten wir auf unseren Körper zeigenkönnen, ohne auf irgendein Phänomen zu deuten, das nichtunser Körper ist. Wir sollten imstande sein, ihn unter seinenTeilen oder außerhalb seiner Teile zu finden. Da es keine dritteMöglichkeit gibt, müssen wir, wenn unser Körper weder unterseinen Teilen noch außerhalb davon gefunden werden kann,zur Schlussfolgerung gelangen, dass unser Körper, den wirnormalerweise sehen, nicht existiert.111


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Es ist unschwer zu verstehen, dass die einzelnen Teileunseres Körpers nicht unser Körper sind <strong>–</strong> es ist absurd zusagen, dass unser Rücken, unsere Beine oder unser Kopfunser Körper sind. Wenn einer der Teile, beispielsweiseunser Rücken, unser Körper wäre, dann wären die anderenTeile gleichermaßen unser Körper, und es würde folgen, dasswir viele Körper besitzen würden. Außerdem können unserRücken, unsere Beine und so weiter nicht unser Körper sein,da sie Teile unseres Körpers sind. Der Körper ist der Besitzerder Teile, und der Rücken, die Beine und so weiter sind derBesitz; Besitzer und Besitz können nicht identisch sein.Manche Menschen glauben, dass, obwohl keiner derEinzelteile des Körpers der Körper ist, die Ansammlungaller Teile insgesamt den Körper bildet. Ihnen zufolge istes möglich, unseren Körper zu finden, wenn wir analytischnach ihm suchen, weil die Ansammlung aller Körperteileunser Körper sein soll. Diese Behauptung kann jedoch mitvielen gültigen Gründen widerlegt werden. Die Kraft dieserBegründungen ist uns vielleicht nicht auf den ersten Blickklar, überdenken wir sie aber sorgfältig, mit einem ruhigenund positiven Geist, werden wir ihre Gültigkeit schätzenlernen.Wenn keiner der einzelnen Teile unseres Körpers unserKörper ist, wie kann dann die Ansammlung aller Teile unserKörper sein? Eine Gruppe von Hunden beispielsweise kannkein Mensch sein, da keiner der einzelnen Hunde ein Menschist. Da jedes einzelne Mitglied der Gruppe ein ‚Nichtmensch‘ist, wie soll sich diese Ansammlung von Nichtmenschen aufmagische Weise in einen Menschen verwandeln können?Da auch die Ansammlung der Teile unseres Körpers eineAnsammlung von Dingen ist, die nicht unser Körper sind,kann die Ansammlung nicht unser Körper sein. Genausowie eine Gruppe von Hunden einfach nur Hunde sind, stelltdie Ansammlung aller Körperteile einfach nur Teile unseres112


Schulung in endgültigem BodhichittaKörpers dar. Sie verwandelt sich nicht auf magische Weisein den Besitzer der Teile, in unseren Körper.Möglicherweise fällt es uns schwer, diesen Punkt zuverstehen. Doch wenn wir lange darüber nachdenken, miteinem ruhigen und positiven Geist, und mit erfahrenenPraktizierenden darüber diskutieren, wird es uns mit derZeit klarer werden. Wir können außerdem authentischeBücher zu diesem Thema wie Herz der Weisheit oder Ozeandes Nektars lesen.Es gibt noch einen anderen Weg zu erkennen, dass dieAnsammlung der Teile unseres Körpers nicht unser Körperist. Wenn wir auf die Ansammlung der Teile unseres Körperszeigen und sagen können, dass diese an sich unser Körperist, dann muss die Ansammlung der Teile unseres Körpersunabhängig von allen Phänomenen existieren, die nichtunser Körper sind. Daraus würde folgen, dass die Ansammlungder Teile unseres Körpers unabhängig von den Teilenselbst existiert. Das ist zweifellos absurd. Wenn es wahrwäre, könnten wir alle Teile unseres Körpers entfernen, unddie Ansammlung der Teile bliebe zurück. Deshalb könnenwir den Schluss ziehen, dass die Ansammlung der Teileunseres Körpers nicht unser Körper ist.Da der Körper nicht innerhalb seiner Teile gefundenwerden kann, weder als Einzelteil noch als Ansammlung,bleibt nur noch die Möglichkeit, dass er getrennt von seinenBestandteilen existiert. Ist dies der Fall, sollte es möglichsein, alle Teile unseres Körpers geistig oder durch physischeHandhabung zu entfernen, und der Körper bliebezurück. Wenn wir jedoch Arme und Beine, unseren Kopfund unseren Rumpf und alle anderen Teile unseres Körpersentfernen, bleibt kein Körper zurück. Das beweist, dass eskeinen Körper gibt, der unabhängig von seinen Einzelteilenexistiert. Aufgrund von Unwissenheit deuten wir, wann113


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>immer wir auf unseren Körper deuten, nur auf einen Teilunseres Körpers, der nicht unser Körper ist.Wir haben nun überall gesucht und waren nicht in derLage unseren Körper zu finden, weder unter seinen Teilennoch anderswo. Wir können nichts entdecken, was demlebhaft erscheinenden Körper entspricht, an den wir unsnormalerweise klammern. Wir sind gezwungen Shantidevazuzustimmen, wenn er sagt, dass es keinen Körper zu findengibt, wenn wir nach ihm suchen. Dies beweist eindeutig,dass unser Körper, den wir normalerweise sehen, nichtexistiert. Es ist fast so, als ob unser Körper überhaupt nichtexistieren würde. Tatsächlich können wir nur insoferndavon sprechen, dass unser Körper existiert, als wir mitdem bloßen Namen „Körper“ zufrieden sind und nichterwarten, einen echten Körper hinter dem Namen „Körper“zu finden. Versuchen wir einen echten Körper zu entdeckenoder auf einen zu zeigen, auf den sich der Name „Körper“bezieht, werden wir überhaupt nichts finden. Anstatt einenwahrhaft existierenden Körper zu finden, werden wir diebloße Abwesenheit unseres Körpers, den wir normalerweisesehen, wahrnehmen. Diese bloße Abwesenheit des Körpers,den wir normalerweise sehen, ist die Art und Weise, wieunser Körper tatsächlich existiert. Wir werden erkennen,dass der Körper, den wir normalerweise wahrnehmen, anden wir uns klammern und den wir schätzen, überhauptnicht existiert. Diese Nichtexistenz des Körpers, an denwir uns normalerweise klammern, ist die Leerheit unseresKörpers, die wahre Natur unseres Körpers.Der Begriff „wahre Natur“ ist sehr bedeutungsvoll. Dawir mit der bloßen Erscheinung unseres Körpers und demNamen „Körper“ nicht zufrieden waren, untersuchtenwir unseren Körper, um seine wahre Natur zu entdecken.Das Ergebnis dieser Untersuchung war ein definitives114


Schulung in endgültigem BodhichittaNichtauffinden unseres Körpers. Wo wir einen wahrhaftexistierenden Körper zu finden hofften, entdeckten wir dievöllige Nichtexistenz dieses wahrhaft existierenden Körpers.Diese Nichtexistenz oder Leerheit ist die wahre Naturunseres Körpers. Abgesehen von der bloßen Abwesenheiteines wahrhaft existierenden Körpers gibt es keine anderewahre Natur unseres Körpers. Jede andere Eigenschaftunseres Körpers ist bloß Teil seiner trügerischen Natur.Wenn dies der Fall ist, warum richten wir uns die ganzeZeit auf die trügerische Natur unseres Körpers? Gegenwärtigignorieren wir die wahre Natur unseres Körpers undanderer Phänomene und konzentrieren uns ausschließlichauf ihre trügerische Natur. Sich ständig mit trügerischenObjekten zu beschäftigen hat aber zur Folge, dass unserGeist unruhig wird und wir im elenden Leben Samsarasverharren. Möchten wir reines Glück erfahren, müssen wirunseren Geist mit der Wahrheit vertraut machen. Anstattunsere Energie zu verschwenden, indem wir uns auf bedeutungslose,trügerische Objekte konzentrieren, sollten wiruns auf die wahre Natur aller Dinge konzentrieren.Obwohl es unmöglich ist, unseren Körper zu entdecken,wenn wir analytisch nach ihm suchen, erscheint er uns ohneAnalyse doch sehr klar. Weshalb ist das so? Shantideva sagt,dass wir aufgrund von Unwissenheit unseren Körper innerhalbder Hände und anderer Teile unseres Körpers sehen.In Wirklichkeit existiert unser Körper nicht innerhalb seinerTeile. So wie wir in der Abenddämmerung einen Steinhaufenfür einen Mann halten können, obwohl es keinen Mann inden Steinen gibt, genauso sieht unser unwissender Geisteinen Körper in der Ansammlung von Armen, Beinen und soweiter, obwohl dort kein Körper vorhanden ist. Der Körper,den wir in der Ansammlung der Arme und Beine sehen, istlediglich eine Halluzination unseres unwissenden Geistes.115


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Da wir ihn aber nicht als solche erkennen, klammern wir unsfest an ihn, schätzen ihn und erschöpfen unsere Kräfte beimVersuch, ihn vor allen Unannehmlichkeiten zu schützen.Damit wir unseren Geist mit der wahren Natur des Körpersvertraut machen können, verwenden wir die obige Argumentation,um nach unserem Körper zu suchen, und nachdemwir ihn wirklich überall gesucht und nicht gefunden haben,konzentrieren wir uns auf die raumähnliche Leerheit, die diebloße Abwesenheit des Körpers ist, den wir normalerweisesehen. Diese raumähnliche Leerheit ist die wahre Naturunseres Körpers. Obwohl sie leerem Raum ähnelt, ist sieeine bedeutungsvolle Leerheit. Ihre Bedeutung ist die völligeNichtexistenz des Körpers, den wir normalerweise sehen, desKörpers an dem wir so stark festhalten und den wir unserganzes Leben lang geschätzt haben.Wenn wir mit der Erfahrung der raumähnlichen, endgültigenNatur des Körpers vertraut sind, wird sich das Festhaltenan unserem Körper vermindern. Als Folge davon werden wirviel weniger Leiden, Angst und Frustration in Zusammenhangmit unserem Körper erfahren. Unsere körperliche Anspannungwird abnehmen, unsere Gesundheit wird sich verbessernund selbst wenn wir erkranken, werden unsere körperlichenBeschwerden unseren Geist nicht stören. Menschen, die einedirekte Erfahrung der Leerheit besitzen, spüren keinerleiSchmerz, selbst wenn man sie schlägt oder auf sie schießt. Dasie wissen, dass die tatsächliche Natur ihres Körpers dem Raumgleicht, ist es für sie, wenn sie geschlagen oder angeschossenwerden, als ob Raum geschlagen oder beschossen würde.Ferner besitzen gute und schlechte äußere Bedingungen keineKraft mehr ihren Geist zu stören, weil sie erkennen, dass sieder Illusion eines Magiers gleichen und keine Existenz getrenntvom Geist besitzen. Statt von sich verändernden Bedingungenhin- und hergerissen zu werden wie eine Marionette an einer116


Schulung in endgültigem BodhichittaSchnur, bleibt ihr Geist frei und ruhig im Wissen um dieGleichheit und Unveränderlichkeit der endgültigen Natur allerDinge. So erfährt eine Person, die die Leerheit, die wahre Naturder Phänomene, direkt realisiert, Tag und Nacht und Leben fürLeben Frieden und Glück.Wir müssen zwischen dem konventionell existierendenKörper, der tatsächlich existiert, und dem inhärent existierendenKörper, der nicht existiert, unterscheiden. Wir müssenaber darauf achten, uns nicht von den Worten in die Irre führenzu lassen und zu glauben, dass hinter dem konventionellexistierenden Körper mehr steckt als eine bloße Erscheinungunseres Geistes. Vielleicht ist es weniger verwirrend zu sagen,dass es für einen Geist, der die Wahrheit oder Leerheit direktsieht, keinen Körper gibt. Ein Körper existiert nur für einengewöhnlichen Geist, dem ein Körper erscheint.Shantideva rät uns, konventionelle Wahrheiten, wie unserenKörper, Besitz, sowie Orte und Freunde, nicht zu untersuchen,es sei denn, wir möchten Leerheit verstehen. Stattdessen solltenwir mit ihren bloßen Namen zufrieden sein, so wie es weltlicheMenschen sind. Wenn eine weltliche Person den Namen undden Zweck eines Objektes kennt, begnügt sie sich damit, dasObjekt zu kennen, und führt keine weiteren Untersuchungendurch. Wir müssen das gleiche tun, es sei denn, wir möchtenüber Leerheit meditieren. Wir sollten aber bedenken, dass wirbei einer näheren Untersuchung der Objekte nichts finden,denn sie würden einfach verschwinden <strong>–</strong> so wie eine Luftspiegelungverschwindet, wenn wir nach ihr suchen.Die gleiche Argumentation, die wir benutzt haben, um dasFehlen der wahren Existenz unseres Körpers zu beweisen,kann auf alle anderen Phänomene übertragen werden. DiesesBuch beispielsweise scheint aus sich selbst heraus zu existieren,irgendwo in seinen Teilen; untersuchen wir das Buch jedochgenauer, entdecken wir, dass weder die einzelnen Seiten nochdie Ansammlung der Seiten das Buch ausmachen, und doch117


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>gibt es ohne Seiten kein Buch. Statt ein wahrhaft existierendesBuch zu finden, bleibt nur eine Leerheit zurück, die Nichtexistenzdes Buches, an dessen Existenz wir zuvor noch geglaubthaben. Aufgrund unserer Unwissenheit scheint das Buchunabhängig von unserem Geist zu existieren, so als ob unserGeist innen und das Buch außen wäre; wenn wir das Buchjedoch analysieren, entdecken wir, dass diese Erscheinungvollkommen unwahr ist. Es gibt kein Buch außerhalb unseresGeistes. Es gibt kein Buch ‚da draußen‘, innerhalb der Seiten.Das Buch existiert einzig und allein als bloße Erscheinung, alsbloße Projektion des Geistes.Alle Phänomene existieren mittels Konvention; nichts istinhärent existierend. Das gilt für den Geist, für Buddha undsogar für die Leerheit selbst. Alles wird durch den Geistbloß zugeschrieben. Alle Phänomene haben Teile: physischePhänomene habe physische Teile und nichtphysische Phänomenebesitzen verschiedene Teile oder Eigenschaften, diegedanklich unterschieden werden können. Benutzen wir diegleiche Argumentation wie oben, so können wir erkennen,dass jedes Phänomen weder eins mit seinen Teilen, noch dieAnsammlung seiner Teile, noch getrennt von seinen Teilen ist.So können wir die Leerheit aller Phänomene realisieren, diebloße Abwesenheit aller Phänomene, die wir normalerweisesehen oder wahrnehmen.Es ist besonders hilfreich, über die Leerheit von Objektenzu meditieren, die in uns starke Verblendungen wie Anhaftungoder Wut hervorrufen. Wenn wir richtig analysieren,werden wir erkennen, dass das Objekt, das wir begehrenoder auch ablehnen, nicht aus sich selbst heraus existiert.Seine Schönheit oder Hässlichkeit und sogar seine Existenzwerden durch den Geist zugeschrieben. Wenn wir solcheÜberlegungen anstellen, werden wir herausfinden, dass eskeinen Grund für Anhaftung oder Wut gibt.118


Schulung in endgültigem BodhichittaDIE LEERHEIT UNSERES GEISTESNachdem Geshe Chekhawa in Geistesschulung in sieben Punktenaufzeigt, wie eine analytische Meditation über die Leerheitder inhärenten Existenz von äußeren Phänomenen, zumBeispiel unserem Körper, ausgeführt wird, sagt er, dass wiranschließend unseren eigenen Geist analysieren sollten, umzu verstehen, wie ihm inhärente Existenz fehlt.Unser Geist ist keine unabhängige Wesenheit, sondern einsich ständig wandelndes Kontinuum, das von vielen Faktorenabhängt: seinen vergangenen Momenten, seinen Objekten undden inneren Energiewinden, von denen unsere Geistesartengetragen werden. Wie alles andere auch, wird unser Geist einerAnsammlung von vielen Faktoren zugeschrieben und somitfehlt ihm inhärente Existenz. Ein primärer Geist beispielsweisehat fünf Teile oder geistige Faktoren: Gefühl, Unterscheidung,Absicht, Kontakt und Aufmerksamkeit. Weder die einzelnengeistigen Faktoren noch die Ansammlung dieser geistigenFaktoren sind der primäre Geist, weil sie geistige Faktoren undsomit Teile des primären Geistes sind. Es gibt jedoch keinenprimären Geist, der von diesen geistigen Faktoren getrenntexistiert. Ein primärer Geist wird den geistigen Faktoren bloßzugeschrieben, die die Basis der Zuschreibung darstellen, undsomit existiert er nicht aus sich selbst heraus.Nachdem wir die Natur unseres primären Geistes identifizierthaben, die eine raumähnliche Leere ist, die Objektewahrnimmt oder versteht, suchen wir innerhalb seiner Teile<strong>–</strong> Gefühl, Unterscheidung, Absicht, Kontakt und Aufmerksamkeit<strong>–</strong> nach unserem Geist, bis wir schließlich seineUnauffindbarkeit realisieren. Diese Unauffindbarkeit ist seineendgültige Natur oder Leerheit. Dann denken wir:Alle Phänomene, die meinem Geist erscheinen, haben die Naturmeines Geistes. Mein Geist hat die Natur von Leerheit.119


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Auf diese Art und Weise haben wir das Gefühl, dass sich allesin Leerheit auflöst. Wir nehmen ausschließlich die Leerheit allerPhänomene wahr und meditieren über diese Leerheit. DieseMethode, über Leerheit zu meditieren, ist tiefgründiger als dieMeditation über die Leerheit unseres Körpers. Allmählich wirdunsere Erfahrung der Leerheit immer klarer werden, bis wirschließlich eine unbefleckte Weisheit erlangen, die die Leerheitaller Phänomene direkt realisiert.DIE LEERHEIT UNSERES ICHSDas Objekt, an das wir uns am stärksten klammern, ist unserSelbst oder Ich. Aufgrund der Prägungen der Unwissenheitdes Festhaltens am Selbst, die wir seit anfangsloser Zeit angesammelthaben, erscheint unser Ich als inhärent existierend,und unser Geist des Festhaltens am Selbst hält in dieser Weiseautomatisch an ihm fest. Obwohl wir ständig an einem inhärentexistierenden Ich festhalten, selbst im Schlaf, ist nicht leichtzu erkennen, wie es unserem Geist erscheint. Um es klar zuidentifizieren, müssen wir damit beginnen, ihm zu erlauben,sich stark zu manifestieren, indem wir über Situationen nachdenken,in denen wir ein übertriebenes Ich-Gefühl haben, seies, weil wir uns schämen, oder sei es, weil wir Angst haben,verlegen oder entrüstet sind. Wir erinnern uns an eine solcheSituation oder stellen sie uns vor und versuchen dann, ohneKommentar oder Analyse, ein klares geistiges Bild vom Ichzu gewinnen, wie es uns normalerweise in solchen Momentenerscheint. Auf dieser Stufe müssen wir geduldig bleiben, da esviele Sitzungen dauern kann, bis wir ein klares Bild erhalten.Schließlich werden wir sehen, dass das Ich vollkommenfest und real zu sein scheint, als ob es aus sich selbst herausexistieren würde, unabhängig von Körper oder Geist. Dieseslebhaft erscheinende Ich ist das inhärent existierende Ich, das120


Schulung in endgültigem Bodhichittawir so überaus schätzen. Es ist das Ich, das wir verteidigen,wenn wir kritisiert werden, und auf das wir so stolz sind, wennwir gelobt werden.Haben wir einmal eine Vorstellung, wie das Ich unterdiesen extremen Umständen erscheint, sollten wir versuchenzu erkennen, wie es normalerweise, in weniger extremenSituationen, erscheint. Wir können zum Beispiel das Ich beobachten,das gegenwärtig dieses Buch liest, und versuchen zuentdecken, wie es unserem Geist erscheint. Schließlich werdenwir sehen, dass das Ich, obwohl es in diesem Fall kein übertriebenesIch-Gefühl gibt, dennoch als inhärent existierenderscheint, so als ob es aus sich selbst heraus existieren würde,unabhängig von Körper oder Geist. Haben wir einmal ein Bilddes inhärent existierenden Ichs, richten wir uns für eine Weilemit einsgerichteter Konzentration darauf. In der Meditationgehen wir dann zur nächsten Stufe über, indem wir übergültige Begründungen nachdenken, um zu beweisen, dass dasinhärent existierende Ich, an das wir uns klammern, in Wirklichkeitgar nicht existiert. Das inhärent existierende Ich undunser Selbst, das wir normalerweise sehen, sind das gleiche.Wir sollten wissen, dass keines von beiden existiert; beidessind Objekte, die durch Leerheit verneint werden.Wenn das Ich so existiert, wie es erscheint, dann muss esauf eine der vier folgenden Arten existieren: als Körper, alsGeist, als Ansammlung von Körper und Geist, oder als etwas,das von Körper und Geist getrennt ist. Es gibt keine andereMöglichkeit. Wir denken sorgfältig darüber nach, bis wir zurÜberzeugung gelangen, dass es sich so verhält. Dann fahrenwir fort und untersuchen jede der vier Möglichkeiten:(1) Ist unser Ich unser Körper, so ergibt es keinen Sinn von„meinem Körper“ zu sprechen, da der Besitzer und derBesitz identisch sind.121


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Ist unser Ich unser Körper, so gibt es keine künftigeWiedergeburt, weil das Ich mit dem Tod des Körperszu existieren aufhört.Sind unser Ich und unser Körper identisch, dannfolgt aus der Tatsache, dass wir fähig sind, Vertrauenzu entwickeln, zu träumen oder mathematische Rätselzu lösen, dass unser Fleisch, unser Blut und unsereKnochen dies auch tun können.Da keine dieser Folgerungen gilt, ist unser Ich nichtunser Körper.(2) Ist unser Ich unser Geist, so ist es unlogisch von „meinemGeist“ zu sprechen, weil der Besitzer und der Besitzidentisch sind. Richten wir aber unsere Aufmerksamkeitauf unseren Geist, sagen wir normalerweise „meinGeist“. Dies weist eindeutig darauf hin, dass unser Ichnicht unser Geist ist.Ist unser Ich unser Geist, folgt aus der Tatsache,dass jede Person viele verschiedene Arten von Geisthat, wie zum Beispiel die sechs Bewusstseinsartenoder begriffliche und nichtbegriffliche Geistesarten,dass jede Person genauso viele Ichs besitzt. Da dieseine absurde Behauptung ist, folgt, dass unser Ichnicht unser Geist sein kann.(3) Da unser Körper nicht unser Ich ist und unser Geistnicht unser Ich ist, kann die Ansammlung von unseremKörper und Geist nicht unser Ich sein. Die Ansammlungvon unserem Körper und Geist ist eine Ansammlungvon Dingen, die nicht unser Ich sind. Wie kann dadie Ansammlung unser Ich sein? In einer Kuhherdebeispielsweise ist keines der Tiere ein Schaf, deshalb istdie Herde selbst auch kein Schaf. Genau gleich verhält122


Schulung in endgültigem Bodhichittaes sich mit der Ansammlung von unserem Körper undGeist: Weder unser Körper noch unser Geist ist unser Ich,deshalb kann die Ansammlung nicht unser Ich sein.(4) Ist unser Ich weder unser Körper noch unser Geist, nochdie Ansammlung unseres Körpers und Geistes, bleibteinzig die Möglichkeit, dass unser Ich etwas ist, das vonunserem Körper und Geist getrennt ist. Ist dies der Fall,so müssen wir unser Ich wahrnehmen können, ohnedass unser Körper und unser Geist erscheinen. Wennwir uns aber vorstellen würden, dass unser Körperund unser Geist vollständig verschwinden, dann bliebenichts übrig, was wir als unser Ich bezeichnen könnten.Daraus folgt, dass unser Ich nicht von unserem Körperund Geist getrennt ist.Wir sollten uns vorstellen, dass sich unser Körperallmählich in Luft auflöst. Darauf löst sich unser Geistauf, unsere Gedanken treiben im Wind auseinanderund unsere Gefühle, Wünsche und unser Bewusstseinlösen sich in nichts auf. Bleibt etwas, das unser Ich ist?Da ist nichts. Es ist offensichtlich, dass unser Ich nichtetwas ist, das von Körper und Geist getrennt ist.Wir haben nun alle vier Möglichkeiten untersucht und esist uns nicht gelungen, unser Ich zu finden. Da wir bereitsentschieden haben, dass es keine fünfte Möglichkeit gibt,müssen wir daraus schließen, dass unser Ich, an dem wirnormalerweise festhalten und das wir schätzen, überhauptnicht existiert. Dort, wo früher ein inhärent existierendes Icherschien, erscheint nun eine Abwesenheit dieses Ichs. DieseAbwesenheit eines inhärent existierenden Ichs ist Leerheit, dieendgültige Wahrheit.Wir denken auf diese Weise nach, bis unserem Geist einallgemeines oder geistiges Bild der Abwesenheit unseres Selbst,123


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>das wir normalerweise sehen, erscheint. Dieses Bild ist unserObjekt der verweilenden Meditation. Wir versuchen völligdamit vertraut zu werden, indem wir kontinuierlich einsgerichtet,so lange wie möglich über dieses Bild meditieren.Da wir an unserem inhärent existierenden Ich seit anfangsloserZeit festgehalten und es mehr als alles andere geliebthaben, kann die Erfahrung, in der Meditation unser Ich nichtzu finden, zuerst ziemlich schockierend sein. Einige Menschenbekommen Angst und denken: „Ich bin völlig nichtexistentgeworden.“ Andere wiederum empfinden große Freude, so alsob die Quelle aller ihrer Probleme verschwinden würde. BeideReaktionen gelten als gute Zeichen und weisen auf eine richtigeMeditation hin. Nach einer Weile werden diese anfänglichenReaktionen schwächer, und unser Geist wird zu einem ausgewogenenZustand kommen. Dann werden wir fähig sein, aufruhige, kontrollierte Art und Weise über die Leerheit unseresSelbst zu meditieren.Wir sollten unserem Geist gestatten sich so lange wie möglichin die raumähnliche Leerheit zu versenken. Wichtig ist, daranzu denken, dass unser Meditationsobjekt die Leerheit ist, diebloße Abwesenheit unseres Selbst, das wir normalerweisesehen und nicht ein bloßes Nichts. Hin und wieder sollten wirunsere Meditation mit Wachsamkeit überprüfen. Wenn unserGeist zu einem anderen Objekt abgeschweift ist oder wir dieBedeutung der Leerheit verloren haben und uns auf das bloßeNichts konzentrieren, kehren wir zur Kontemplation zurück,bis in unserem Geist wieder eine klare Vorstellung der Leerheitunseres Selbst entsteht.Wir fragen uns vielleicht: „Wenn mein Selbst, das ichnormalerweise sehe, nicht existiert, wer meditiert dann? Wersteht nach der Meditation auf? Wer spricht zu den anderen?Wer antwortet, wenn mein Name gerufen wird?“ Obwohlunser Selbst, das wir normalerweise sehen, nicht existiert,bedeutet dies nicht, dass unser Selbst überhaupt nicht existiert.124


Schulung in endgültigem BodhichittaWir existieren als bloße Zuschreibung. Solange wir mit derbloßen Zuschreibung unseres Selbst zufrieden sind, gibt eskeine Probleme. Wir können denken: „Ich existiere, ich gehein die Stadt“ und so fort. Das Problem entsteht erst, wenn wirnach unserem Selbst getrennt von der bloßen begrifflichenZuschreibung „Ich“, unserem „Selbst“, suchen. Unser am Selbstfesthaltender Geist klammert sich an ein Ich, das endgültigexistiert, unabhängig von begrifflicher Zuschreibung, als ob eshinter dem Etikett ein wirklich existierendes Ich gäbe. Würdeein solches Ich existieren, müssten wir es finden können,doch wir haben gesehen, dass das Ich in einer Untersuchungnicht gefunden werden kann. Die Schlussfolgerung, die sichaus unserer Suche ergab, war ein eindeutiges Nichtauffindenunseres Selbst. Diese Unauffindbarkeit unseres Selbst ist dieLeerheit unseres Selbst, die endgültige Natur unseres Selbst.Unser Selbst, das als bloße Zuschreibung existiert, ist diekonventionelle Natur unseres Selbst.Wenn wir zu Beginn Leerheit realisieren, tun wir es begrifflich,mittels eines allgemeinen Bildes. Indem wir immer wiederüber Leerheit meditieren, wird das allgemeine Bild allmählichtransparenter, bis es sich vollkommen auflöst und wir Leerheitdirekt erkennen. Diese direkte Realisation der Leerheit wirdunser erstes vollkommen nichtfehlerhaftes Gewahrsein oderunsere erste ‚unbefleckte‘ Geistesart sein. Bis wir Leerheitdirekt realisieren, sind alle unsere Geistesarten fehlerhafteGewahrseinsarten, weil ihre Objekte aufgrund von Prägungender Unwissenheit des Am-Selbst-Festhaltens oder An-wahr-Festhaltens als inhärent existierend erscheinen.Die meisten Menschen tendieren zum Extrem der Existenzund denken, wenn etwas existiert, dann muss es inhärentexistieren, und übertreiben somit die Art und Weise, wie dieDinge existieren, d. h. sie geben sich nicht mit dem bloßenNamen zufrieden. Andere tendieren vielleicht zum Extrem125


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>der Nichtexistenz und meinen, wenn Phänomene nichtinhärent existierten, dann gäbe es sie überhaupt nicht, und sieübertreiben somit das Fehlen ihrer inhärenten Existenz. Wirmüssen erkennen, dass Phänomene, obwohl ihnen jegliche Spureiner Existenz von ihrer Seite aus fehlt, dennoch konventionellals bloße Erscheinungen eines gültigen Geistes existieren.Begriffliche Geistesarten, die am Ich oder anderen Phänomenenals wahrhaft existierend festhalten, sind falscheGewahrseinsarten und sollten daher aufgegeben werden.Ich sage aber nicht, dass alle begrifflichen Gedanken falscheGewahrseinsarten sind und deshalb aufgegeben werdensollten. Es gibt viele korrekte begriffliche Geistesarten, diein unserem Alltagsleben nützlich sind, wie zum Beispiel derbegriffliche Geist, der sich daran erinnert, was wir gesterngetan haben, oder der begriffliche Geist, der versteht, was wirmorgen tun werden. Auch auf dem spirituellen Pfad gibt esviele begriffliche Geistesarten, die erzeugt werden müssen.Konventioneller Bodhichitta im Geisteskontinuum einesBodhisattvas beispielsweise ist ein begrifflicher Geist, weiler sein Objekt, große Erleuchtung, mittels eines allgemeinenBildes festhält. Außerdem müssen wir Leerheit mittels einesschlussfolgernden Erkenners, der ein begrifflicher Geist ist,realisieren, ehe wir Leerheit mit einem nichtbegrifflichen Geistdirekt realisieren können. Durch Kontemplation der Gründe,die inhärente Existenz widerlegen, erscheint unserem Geist einallgemeines Bild des Fehlens oder der Leerheit von inhärenterExistenz. Das ist die einzige Möglichkeit, wie die Leerheitvon inhärenter Existenz anfangs unserem Geist erscheinenkann. Wir meditieren dann über dieses Bild mit immerstärkerer Konzentration, bis wir schließlich Leerheit direktwahrnehmen.Es gibt einige Menschen, die behaupten, dass man beimMeditieren über Leerheit den Geist einfach von allen begrifflichenGedanken frei machen sollte. Sie argumentieren, dass126


Schulung in endgültigem Bodhichittaweiße Wolken die Sonne gleich stark verdunkeln würden wieschwarze Wolken, und genauso würden positive begrifflicheGedanken unseren Geist gleich stark verdunkeln wie negativebegriffliche Gedanken. Diese Sicht ist vollkommen falsch, dennwenn wir uns nicht um ein begriffliches Verständnis der Leerheitbemühen, sondern stattdessen alle begrifflichen Gedanken zuunterdrücken versuchen, wird unserem Geist die tatsächlicheLeerheit niemals erscheinen. Wir erlangen unter Umständeneine lebhafte Erfahrung einer raumähnlichen Leere, doch diesist nur das Fehlen von begrifflichen Gedanken <strong>–</strong> es ist nichtLeerheit, die wahre Natur der Phänomene. Meditation überdiese Leere kann unseren Geist vorübergehend ruhig werdenlassen, sie wird aber weder unsere Verblendungen zerstören,noch uns von Samsara und seinen Leiden befreien.DIE LEERHEIT DER ACHT EXTREMEWenn alle notwendigen atmosphärischen Ursachen undBedingungen zusammentreffen, erscheinen Wolken. Sind dieseUmstände nicht vorhanden, können sich keine Wolken bilden.Wolkenbildung ist vollständig von Ursachen und Bedingungenabhängig. Ohne sie können sich keine Wolken bilden. Gleichesgilt für Berge, Planeten, Körper, den Geist und alle anderenerzeugten Phänomene. Da ihre Existenz von Faktoren außerhalbihrer selbst abhängig ist, sind sie leer von inhärenter oderunabhängiger Existenz und sind bloße Zuschreibungen desGeistes.Über die Lehre des Karmas <strong>–</strong> Handlungen und ihreWirkungen <strong>–</strong> nachzudenken kann uns helfen, dies zuverstehen. Woher kommen alle unsere guten und schlechtenErfahrungen? Dem <strong>Buddhismus</strong> zufolge sind sie das Ergebnisdes positiven und negativen Karmas, das wir in der Vergangenheiterzeugt haben. Als Folge von positivem Karmatreten attraktive und angenehme Menschen in unser Leben,127


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>erfreuliche Lebensbedingungen entstehen und wir lebenin einer schönen Umwelt; aufgrund von negativem Karmahingegen treten unangenehme Leute und Dinge in Erscheinung.Diese Welt ist die Auswirkung des kollektiven Karmas,das von den Wesen, die sie bewohnen, erzeugt wurde. DaKarma seinen Ursprung im Geist hat <strong>–</strong> insbesondere in unserengeistigen Absichten <strong>–</strong>, können wir erkennen, dass alle Weltenaus dem Geist entstehen. Das ist ähnlich der Art und Weise,wie Erscheinungen in einem Traum entstehen. Alles, was wirbeim Träumen wahrnehmen, ist das Ergebnis des Heranreifenskarmischer Potentiale in unserem Geist und besitzt keine Existenzaußerhalb unseres Geistes. Ist unser Geist ruhig und rein,reifen positive Prägungen heran und angenehme Traumerscheinungenentstehen; ist unser Geist jedoch erregt undunrein, reifen negative Prägungen heran, und unangenehme,albtraumhafte Erscheinungen sind die Folge. In ähnlicher Weisesind alle Erscheinungen unserer Welt des Wachzustandes nurauf das Heranreifen von positiven, negativen oder neutralenPrägungen in unserem Geist zurückzuführen.Haben wir einmal verstanden, wie die Dinge aus ihreninneren und äußeren Ursachen und Bedingungen entstehenund keine unabhängige Existenz haben, dann wird uns derbloße Anblick oder das Nachdenken über die Erzeugung vonPhänomenen an deren Leerheit erinnern. Anstatt unserenEindruck von Stabilität und Objektivität der Dinge zu untermauern,werden wir beginnen, die Dinge als Manifestationihrer Leerheit zu betrachten, die ebenso wenig konkreteExistenz besitzen wie ein Regenbogen, der aus einem leerenHimmel erscheint.So wie die Erzeugung von Dingen von Ursachen und Bedingungenabhängig ist, so ist es auch der Zerfall von Dingen.Deshalb können weder Erzeugung noch Zerfall wahrhaftexistierend sein. Wenn zum Beispiel unser neues Auto zerstörtwürde, wären wir unglücklich, da wir sowohl am Auto als128


Schulung in endgültigem Bodhichittaauch am Zerfall des Autos als inhärent existierend festhalten;verständen wir aber, dass unser Auto eine bloße Erscheinungunseres Geistes ist <strong>–</strong> so wie ein Auto in einem Traum <strong>–</strong>, würdeuns seine Zerstörung nichts ausmachen. Das gilt für alleObjekte unserer Anhaftung; wenn wir realisieren, dass es denObjekten und ihren Beendigungen an wahrer Existenz fehlt,gibt es keinen Grund sich aufzuregen, wenn wir von ihnengetrennt werden.Alle funktionierenden Dinge <strong>–</strong> unsere Umwelt, unsereVergnügen, unser Körper, unser Geist und unser Selbst <strong>–</strong>ändern sich von einem Moment zum nächsten. Sie sindinsofern unbeständig, als sie nicht einen zweiten Moment langandauern können. Das Buch, das Sie im Augenblick lesen, istnicht dasselbe Buch, das Sie eben noch gelesen haben, und eskonnte nur entstehen, weil das Buch von eben aufgehört hatzu existieren. Wenn wir subtile Unbeständigkeit verstehen,dass nämlich unser Körper, unser Geist, unser Selbst und soweiter nicht über den Augenblick hinaus bestehen bleiben, istes unschwer zu verstehen, dass sie leer von inhärenter Existenzsind.Obwohl wir möglicherweise damit einverstanden sind,dass unbeständige Phänomene leer von inhärenter Existenzsind, meinen wir vielleicht, dass beständige Phänomene, weilsie unveränderlich sind und nicht aus Ursachen und Bedingungenentstehen, inhärent existieren müssen. Doch selbstbeständige Phänomene wie Leerheit und nichterzeugter Raum(die bloße Abwesenheit von physischer Behinderung) sind inabhängiger Beziehung stehende Phänomene, da sie von ihrenTeilen, ihrer Basis der Zuschreibung und dem Geist, der siezuschreibt, abhängen. Somit sind sie nicht inhärent existierend.Obwohl Leerheit endgültige Wirklichkeit ist, ist sie nichtunabhängig oder inhärent existierend, denn selbst sie hängtvon ihren Teilen, ihren Grundlagen und den Geistesarten ab,die sie zuschreiben. So wie eine Goldmünze nicht unabhängig129


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>von ihrem Gold existieren kann, genauso existiert auch dieLeerheit unseres Körpers nicht getrennt von unserem Körper,weil sie lediglich das Fehlen der inhärenten Existenz unseresKörpers ist.Wenn wir an irgendeinen Ort gehen, entwickeln wir denGedanken: „ich gehe“, und halten an einer inhärent existierendenHandlung des Gehens fest. Wenn uns jemand besuchenkommt, denken wir in ähnlicher Weise: „er kommt“, und haltenan einer inhärent existierenden Handlung des Kommens fest.Beide Vorstellungen sind Festhalten am Selbst und falscheGewahrseinsarten. Geht jemand weg, dann haben wir dasGefühl, dass eine wahrhaft existierende Person wahrhaftigweggegangen ist, und wenn sie zurückkommt, haben wir dasGefühl, dass eine wahrhaft existierende Person wahrhaftigzurückgekehrt ist. Das Kommen und Gehen von Menschengleicht jedoch dem Erscheinen und Verschwinden eines Regenbogensam Himmel. Wenn die Ursachen und Bedingungenfür die Erscheinung eines Regenbogens zusammenkommen,taucht ein Regenbogen auf, und wenn sich die Ursachen undBedingungen für das weitere Erscheinen des Regenbogensauflösen, verschwindet er; doch der Regenbogen kommt wedervon irgendwo her, noch geht er irgendwo hin.Wenn wir ein Objekt, beispielsweise unser Ich, beobachten,sind wir überzeugt, dass es sich um eine einzelne, unteilbareWesenheit handelt und dass seine Einzahl inhärent existierendist. In Wirklichkeit jedoch besteht unser Ich aus vielen Einzelteilen:Teilen, die schauen, hören, laufen und denken, oderauch Teilen, die eine Lehrerin, eine Mutter, eine Tochter undeine Ehefrau sind. Unser Ich wird der Ansammlung dieser Teilezugeschrieben. Wie jedes andere Einzelphänomen auch ist eseine Einzahl. Diese Einzahl jedoch ist lediglich zugeschrieben,genauso wie es eine Armee ist, die bloß auf eine Ansammlung130


Schulung in endgültigem Bodhichittavon Soldaten zugeschrieben ist, oder ein Wald, der auf eineAnsammlung von Bäumen zugeschrieben ist.Wenn wir mehr als ein Objekt sehen, betrachten wir dieVielzahl dieser Objekte als inhärent existierend. So wie dieEinzahl bloß zugeschrieben ist, so ist auch die Mehrzahl nureine Zuschreibung des Geistes und existiert nicht seitens desObjektes. Statt zum Beispiel eine Ansammlung von Soldatenoder Bäumen aus der Sicht der einzelnen Soldaten oder Bäumezu betrachten, können wir sie als Armee oder Wald betrachten,als einzelne Ansammlung oder Ganzes also, so dass wir danneine Einzahl statt einer Mehrzahl vor uns haben.Zusammenfassend können wir sagen, dass eine Einzahlnicht aus sich selbst heraus existiert, denn sie wird einfachnur auf eine Mehrzahl, ihre Einzelteile, zugeschrieben. Ingleicher Weise existiert eine Mehrzahl nicht aus sich selbstheraus, weil sie auf eine Einzahl, die Ansammlung ihrer Teile,zugeschrieben wird. Einzahl und Mehrzahl sind somit bloßeZuschreibungen eines begrifflichen Geistes, und es fehlt ihnenan wahrer Existenz. Wenn wir dies deutlich realisieren, bestehtkein Grund Anhaftung und Wut für Objekte zu entwickeln,weder für eine Einzahl noch eine Mehrzahl. Wir neigen dazu,die Fehler und die Qualitäten von wenigen auf viele zu projizieren,und entwickeln daraufhin Hass oder Anhaftung, zumBeispiel auf der Grundlage von Rassenzugehörigkeit, Religionoder Nationalität. Über die Leerheit von Einzahl und Mehrzahlnachzudenken kann hilfreich sein, Hass oder Anhaftung dieserArt zu vermindern.Obwohl Erzeugung, Zerfall und so weiter existieren,existieren sie nicht inhärent. Es sind unsere begrifflichen Geistesartender Unwissenheit des Festhaltens am Selbst, die anihnen als inhärent existierend festhalten. Diese Vorstellungenhalten an den acht Extremen fest: inhärent existierende Erzeugung,inhärent existierender Zerfall, inhärent existierendeUnbeständigkeit, inhärent existierende Beständigkeit, inhärent131


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>existierendes Gehen, inhärent existierendes Kommen, inhärentexistierende Einzahl und inhärent existierende Mehrzahl.Obwohl diese Extreme nicht existieren, halten wir aufgrundunserer Unwissenheit immer an ihnen fest. Alle anderenVerblendungen wurzeln in den Vorstellungen dieser achtExtreme, und weil Verblendungen verursachen, dass wirverunreinigte Handlungen ausführen, die uns im GefängnisSamsaras gefangen halten, sind diese Vorstellungen die WurzelSamsaras, des Kreislaufs unreinen Lebens.Inhärent existierende Erzeugung ist das gleiche wie dieErzeugung, die wir normalerweise sehen, und wir solltenwissen, dass in Wirklichkeit keine von diesen existiert. Dasgleiche gilt für die restlichen sieben Extreme. Zum Beispiel istinhärent existierender Zerfall und Zerstörung und der Zerfallund die Zerstörung, die wir normalerweise sehen, das gleiche,und wir sollten wissen, dass beide nicht existieren. UnsereGeistesarten, die an diesen acht Extremen festhalten, sindunterschiedliche Aspekte unserer Unwissenheit des Festhaltensam Selbst. Weil es unsere Unwissenheit des Festhaltens amSelbst ist, die uns endlose Leiden und Probleme erfahren lässt,wird all unser Leiden in diesem und zahllosen zukünftigenLeben dauerhaft aufhören und wir werden den wirklichen Sinndes menschlichen Lebens erfüllen, wenn diese Unwissenheitdurch Meditation über die Leerheit aller Phänomene dauerhaftaufhört.Das Thema der acht Extreme ist tiefgründig und erfordertausführliche Erläuterungen und ausgedehnte Studien. Buddhabeschreibt sie im Detail in den <strong>Sutra</strong>s der Vollkommenheit derWeisheit. In Grundlegende Weisheit, einem Kommentar zu den<strong>Sutra</strong>s der Vollkommenheit der Weisheit, führt Nagarjuna vieletiefgründige und kraftvolle Begründungen an, um zu beweisen,dass die acht Extreme nicht existieren, indem er aufzeigt, wiealle Phänomene leer von inhärenter Existenz sind. Durch132


Schulung in endgültigem Bodhichittadie Analyse konventioneller Wahrheiten begründet er ihreendgültige Natur und zeigt, weshalb es nötig ist, sowohl diekonventionelle als auch die endgültige Natur eines Objektes zuverstehen, um das Objekt in vollem Umfang zu verstehen.KONVENTIONELLE UND ENDGÜLTIGEWAHRHEITENAlles, was existiert, ist entweder eine konventionelle Wahrheitoder eine endgültige Wahrheit, und da sich endgültige Wahrheitausschließlich auf Leerheit bezieht, ist alles außer Leerheiteine konventionelle Wahrheit. Beispielsweise sind Dinge wieHäuser, Autos und Tische alle konventionelle Wahrheiten.Alle konventionellen Wahrheiten sind unwahre Objekte, daihre Art zu erscheinen und ihre Art zu existieren nicht übereinstimmt.Wenn jemand freundlich und gütig erscheint, dochseine wirkliche Absicht die ist, unser Vertrauen zu gewinnen,um uns dann zu bestehlen, würden wir sagen, dass er falschoder trügerisch ist, denn es besteht eine Diskrepanz zwischender Art und Weise, wie er erscheint, und seiner wirklichenNatur. In ähnlicher Weise sind Objekte, wie Formen und Töne,falsch oder trügerisch, weil sie inhärent zu existieren scheinen,in Wirklichkeit jedoch bar jeder inhärenten Existenz sind. Weilihre Art zu erscheinen nicht mit der Art, wie sie existieren,übereinstimmt, sind konventionelle Wahrheiten als „trügerischePhänomene“ bekannt. Eine Tasse scheint zum Beispielunabhängig von ihren Teilen, ihren Ursachen und dem Geist,der sie festhält, zu existieren, doch in Wirklichkeit ist sie völligvon diesen Dingen abhängig. Da die Art und Weise, wie dieTasse unserem Geist erscheint, und die Art und Weise, wiedie Tasse existiert, nicht übereinstimmen, ist die Tasse einunwahres Objekt.133


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Obwohl konventionelle Wahrheiten unwahre Objekte sind,existieren sie dennoch tatsächlich, weil ein Geist, der einekonventionelle Wahrheit direkt wahrnimmt, ein gültiger Geist,ein vollkommen verlässlicher Geist ist. Ein Augenbewusstseinzum Beispiel, das eine Tasse auf dem Tisch direkt wahrnimmt,ist ein gültiger Erkenner, weil er uns nicht täuschen wird:Wenn wir nach der Tasse greifen, um sie anzuheben, werdenwir sie dort finden, wo unser Augenbewusstsein sie sieht. Hierunterscheidet sich ein Augenbewusstsein, das eine Tasse aufdem Tisch wahrnimmt, von dem Augenbewusstsein, das einevom Spiegel reflektierte Tasse mit einer echten verwechselt,oder dem Augenbewusstsein, das eine Luftspiegelung fürWasser hält. Obwohl eine Tasse ein unwahres Objekt ist, istdas Augenbewusstsein, das die Tasse direkt wahrnimmt, auspraktischen Gründen ein gültiger, verlässlicher Geist. Obwohles ein gültiger Geist ist, ist er nichtsdestoweniger ein fehlerhaftesGewahrsein, weil die Tasse diesem Geist als wahrhaftexistierend erscheint. Es ist ein gültiger und nichttäuschenderGeist in Bezug auf die konventionellen Eigenschaften der Tasse<strong>–</strong> ihre Position, Größe, Farbe und so weiter <strong>–</strong>, aber fehlerhaft inBezug auf ihre Erscheinung.Zusammenfassend können wir sagen, dass konventionelleObjekte unwahr sind, weil sie aus sich selbst heraus zuexistieren scheinen, obwohl sie in Wirklichkeit bloße Erscheinungendes Geistes sind, ähnlich den Dingen, die in einemTraum erlebt werden. Traumobjekte haben aber im Rahmendes Traumes eine relative Gültigkeit, und dies unterscheidetsie von den Dingen, die überhaupt nicht existieren. Angenommenwir stehlen in einem Traum einen Diamanten undjemand fragt uns anschließend, ob wir den Diebstahl begangenhaben. Obwohl der Traum lediglich eine Schöpfung unseresGeistes ist, sprechen wir die Wahrheit, wenn wir mit „Ja“antworten, lügen jedoch, wenn wir „Nein“ entgegnen. Obwohldas gesamte Universum in Wirklichkeit nur eine Erscheinung134


Schulung in endgültigem Bodhichittades Geistes ist, können wir, was die Erfahrungen gewöhnlicherWesen angeht, ebenso zwischen relativen Wahrheiten und relativenUnwahrheiten unterscheiden.Konventionelle Wahrheiten können in grobe konventionelleWahrheiten und subtile konventionelle Wahrheiten unterteiltwerden. Am Beispiel des Autos wird uns klar werden, dass allePhänomene diese beiden Ebenen von konventioneller Wahrheitbesitzen. Das Auto selbst und das Auto, das von seinen Ursachenabhängt, sowie das Auto, das von seinen Einzelteilenabhängt, sind grobe konventionelle Wahrheiten des Autos. Siewerden „grob“ genannt, weil sie relativ einfach zu verstehensind. Das Auto, das von seiner Basis der Zuschreibung abhängt,ist ziemlich subtil und nicht einfach zu verstehen, stellt abertrotzdem eine grobe konventionelle Wahrheit dar. Die Basis derZuschreibung des Autos sind die Teile des Autos. Um das Automit dem Geist festhalten zu können, müssen die Teile des Autosunserem Geist erscheinen; ohne dieses Erscheinen der Teile istes unmöglich, den Gedanken „Auto“ zu entwickeln. Deshalbsind die Teile die Basis der Zuschreibung des Autos. Wir sagen:„Ich sehe ein Auto“, doch genau genommen sehen wir immernur die Teile des Autos. Wenn wir jedoch den Gedanken „Auto“entwickeln, indem wir dessen Teile wahrnehmen, sehen wirdas Auto. Es gibt kein Auto, das etwas anderes ist als seineTeile, und es gibt keinen Körper, der etwas anderes ist als seineTeile, und so weiter. Das Auto, das als eine bloße gedanklicheZuschreibung existiert, ist die subtile konventionelle Wahrheitdes Autos. Wir haben dies verstanden, wenn wir erkennen, dassdas Auto nicht mehr als eine bloße Zuschreibung eines gültigenGeistes ist. Wir können subtile konventionelle Wahrheiten erstverstehen, wenn wir Leerheit verstanden haben. Wenn wir diesubtile konventionelle Wahrheit durch und durch verstehen,haben wir sowohl die konventionelle als auch die endgültigeWahrheit realisiert.135


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Genau genommen sind Wahrheit, endgültige Wahrheitund Leerheit Synonyme, da konventionelle Wahrheitennicht wirkliche Wahrheiten sind, sondern unwahre Objekte.Wahr sind sie nur für den Geist derjenigen, die Leerheit nichtrealisiert haben. Nur Leerheit ist wahr, weil nur Leerheit inder Art und Weise existiert, wie sie erscheint. Wenn der Geistirgendeines fühlenden Wesens direkt konventionelle Wahrheitenwahrnimmt, wie zum Beispiel Formen, scheinen sie aussich selbst heraus zu existieren. Wenn jedoch der Geist eineshöheren Wesens Leerheit direkt wahrnimmt, erscheint nichtsanderes als Leerheit; dieser Geist ist völlig vermischt mit derbloßen Abwesenheit inhärent existierender Phänomene. DieArt und Weise, wie Leerheit dem Geist eines nichtbegrifflichenDirektwahrnehmers erscheint, stimmt genau mit der Art undWeise überein, wie Leerheit existiert.Es sollte beachtet werden, dass Leerheit nicht inhärentexistiert, obwohl sie eine endgültige Wahrheit ist. Leerheitist keine getrennte Wirklichkeit, die hinter konventionellenErscheinungen existiert, sondern die tatsächliche Natur dieserErscheinungen. Wir können nicht isoliert über Leerheit sprechen,denn Leerheit ist grundsätzlich das bloße Fehlen derinhärenten Existenz von etwas. Die Leerheit unseres Körperszum Beispiel ist das Fehlen der inhärenten Existenz unseresKörpers, und ohne unseren Körper als Basis kann diese Leerheitnicht existieren. Da Leerheit zwangsläufig von einer Basisabhängt, fehlt ihr inhärente Existenz.In Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas definiertShantideva endgültige Wahrheit als ein Phänomen, das für dennichtverunreinigten Geist eines höheren Wesens wahr ist. Einnichtverunreinigter Geist ist ein Geist, der Leerheit direkt realisiert.Dieser Geist ist das einzige nichtfehlerhafte Gewahrsein;und ausschließlich höhere Wesen besitzen es. Da ein nichtverunreinigterGeist völlig nichtfehlerhaft ist, entspricht alles, was136


Schulung in endgültigem Bodhichittavon einem solchen Geist direkt als wahr wahrgenommen wird,notwendigerweise einer endgültigen Wahrheit. Im Gegensatzdazu ist alles, was vom Geist eines gewöhnlichen Wesens direktals wahr wahrgenommen wird, zwangsläufig keine endgültigeWahrheit, da alle Geistesarten gewöhnlicher Wesen fehlerhaftsind und fehlerhafte Geistesarten niemals direkt die Wahrheitwahrnehmen können.Aufgrund der Prägungen von begrifflichen Gedanken, diedie acht Extreme festhalten, erscheint alles, was dem Geistgewöhnlicher Wesen erscheint, als inhärent existierend. Nurdie Weisheit des meditativen Gleichgewichts, die Leerheitdirekt realisiert, ist nicht durch die Prägungen oder Fleckendieser begrifflichen Gedanken verunreinigt. Das ist die einzigeWeisheit, die keine fehlerhafte Erscheinung besitzt.Wenn ein höherer Bodhisattva über Leerheit meditiert,vermischt sich sein Geist vollkommen mit Leerheit, ohne dieErscheinung von inhärenter Existenz. Er entwickelt eine vollkommenreine, nichtverunreinigte Weisheit, die endgültigerBodhichitta ist. Sobald er sich jedoch aus dem meditativenGleichgewicht erhebt, erscheinen seinem Geist aufgrundder Prägungen des An-wahr-Festhaltens konventionellePhänomene wieder als inhärent existierend. Seine nichtverunreinigteWeisheit wird dann vorübergehend nichtmanifest.Nur ein Buddha kann nichtverunreinigte Weisheit manifestieren,während er gleichzeitig konventionelle Wahrheitendirekt wahrnimmt. Es ist eine außergewöhnliche Eigenschafteines Buddhas, dass sein Geist in einem einzigen Augenblicksowohl konventionelle als auch endgültige Wahrheiten direktund gleichzeitig realisiert. Endgültiger Bodhichitta hat vieleEbenen. Der endgültige Bodhichitta zum Beispiel, der durch dietantrische Praxis erlangt wird, ist tiefgründiger als derjenige,der allein durch die <strong>Sutra</strong>-Praxis entwickelt wird. Der höchsteendgültige Bodhichitta ist der Bodhichitta eines Buddhas.137


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Wenn wir durch gültige Begründungen die Leerheit desersten Extrems, des Extrems der Erzeugung, realisieren, wirdes uns leichtfallen, die Leerheit der verbleibenden siebenExtreme zu realisieren. Haben wir einmal die Leerheit der achtExtreme realisiert, haben wir die Leerheit aller Phänomenerealisiert. Wenn wir diese Realisation gewonnen haben, fahrenwir fort über die Leerheit erzeugter Phänomene und so weiternachzudenken und zu meditieren, und während sich unsereMeditationen allmählich vertiefen, werden wir das Gefühlhaben, dass sich alle Phänomene in Leerheit auflösen. Dannwerden wir in der Lage sein, eine einsgerichtete Konzentrationüber die Leerheit aller Phänomene aufrechtzuerhalten.Um über die Leerheit erzeugter Phänomene zu meditieren,können wir denken:Mein Selbst, das durch Ursachen und Bedingungen als Menschgeboren wurde, ist unauffindbar, wenn ich mit Weisheitinnerhalb meines Körpers und meines Geistes oder getrenntvon meinem Körper und Geist danach suche. Dies beweist,dass mein Selbst, das ich normalerweise sehe, überhaupt nichtexistiert.Haben wir auf diese Weise nachgedacht, haben wir das Gefühl,dass unser Selbst, das wir normalerweise sehen, verschwindet,und wir nehmen eine raumähnliche Leerheit wahr, die diebloße Abwesenheit unseres Selbst, das wir normalerweisesehen, ist. Wir haben das Gefühl, dass unser Geist in dieseraumähnliche Leerheit eintritt und dort einsgerichtet verweilt.Diese Meditation wird „raumähnliches meditatives Gleichgewichtüber Leerheit“ genannt.So wie ein Adler durch die endlose Weite des Himmels segelt,ohne auf Hindernisse zu stoßen, und nur wenig Anstrengungbenötigt, um seinen Flug beizubehalten, genauso können erfahreneMeditierende, die sich auf Leerheit konzentrieren, lange138


Schulung in endgültigem BodhichittaZeit mit geringem Bemühen über Leerheit meditieren. Ihr Geistschwebt durch die raumähnliche Leerheit, ohne von anderenPhänomenen abgelenkt zu werden. Wenn wir über Leerheitmeditieren, sollten wir versuchen, diesen Meditierendennachzueifern. Haben wir unser Meditationsobjekt, das bloßeFehlen unseres Selbst, das wir normalerweise sehen, gefunden,sollten wir von weiterer Analyse absehen und einfach unserenGeist in der Erfahrung dieser Leerheit ruhen lassen. Von Zeit zuZeit sollten wir sicherheitshalber überprüfen, dass wir wederdie klare Erscheinung von Leerheit noch die Erkenntnis ihrerBedeutung verloren haben; wir sollten aber nicht zu eindringlichprüfen, da dies unsere Konzentration stören wird. UnsereMeditation sollte nicht dem Flug eines kleinen Vogels gleichen,der ständig flattert und seine Richtung ändert, sondern demFlug eines Adlers, der sanft durch den Himmel gleitet und nurgelegentlich seine Flügel bewegt. Wenn wir auf diese Weisemeditieren, werden wir fühlen, wie sich unser Geist in Leerheitauflöst und eins mit ihr wird.Wenn uns dies gelingt, dann werden wir während unsererMeditation frei sein vom manifesten Festhalten am Selbst.Verwenden wir aber andererseits unsere ganze Zeit darauf,unsere Meditation zu überprüfen und zu analysieren, underlauben wir unserem Geist nie im Raum der Leerheit zuverweilen, werden wir diese Erfahrung niemals erwerben undunsere Meditation wird uns nicht helfen, unser Festhalten amSelbst zu verringern.Im Allgemeinen müssen wir unser Verständnis von Leerheitdurch ausführliche Studien vertiefen, indem wir sie ausunterschiedlichen Perspektiven beleuchten und zahlreiche,unterschiedliche Argumentationen berücksichtigen. Es istferner wichtig, durch kontinuierliche Kontemplation mit einervollständigen Meditation über Leerheit ganz und gar vertrautzu werden und genau zu verstehen, wie die Argumentation139


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>anzuwenden ist, damit sie zu einer Erfahrung von Leerheitführt. Dann können wir uns einsgerichtet auf Leerheitkonzentrieren und versuchen, unseren Geist mit ihr zu vermischen,so wie sich Wasser mit Wasser vermischt.DIE VEREINIGUNG DER ZWEI WAHRHEITENDie Vereinigung der zwei Wahrheiten bedeutet, dass konventionelleWahrheiten wie unser Körper und endgültigeWahrheiten wie die Leerheit unseres Körpers von gleicherNatur sind. Wenn uns etwas wie unser Körper erscheint,erscheinen sowohl der Körper als auch der inhärent existierendeKörper gleichzeitig. Dies ist dualistische Erscheinung,was subtile fehlerhafte Erscheinung ist. Nur Buddhas sind freivon solch fehlerhaften Erscheinungen. Der Hauptzweck, dieVereinigung der zwei Wahrheiten zu verstehen und darüberzu meditieren, besteht darin, dualistische Erscheinungen zuverhindern <strong>–</strong> also zu verhindern, dass dem Geist, der überLeerheit meditiert, inhärente Existenz erscheint <strong>–</strong> und somitunseren Geist in die Lage zu versetzen, sich in Leerheit aufzulösen.Gelingt uns dies, wird unsere Meditation über Leerheitsehr kraftvoll unsere Verblendungen beseitigen können. Wennwir den inhärent existierenden Körper, den Körper, den wirnormalerweise sehen, korrekt identifizieren und verneinen,sowie über die bloße Abwesenheit eines solchen Körpers mitstarker Konzentration meditieren, werden wir das Gefühlhaben, dass sich unser normaler Körper in Leerheit auflöst. Wirwerden verstehen, dass die wirkliche Natur unseres KörpersLeerheit ist und dass unser Körper lediglich eine Manifestationvon Leerheit ist.Leerheit gleicht dem Himmel und unser Körper gleicht demBlau des Himmels. So wie Blau eine Manifestation des Himmelsselbst ist und nicht von ihm getrennt werden kann, genauso ist140


Schulung in endgültigem Bodhichittaunser ‚blauähnlicher‘ Körper einfach eine Manifestation desHimmels seiner Leerheit und kann nicht von ihm getrenntwerden. Verstehen wir dies, während wir uns auf die Leerheitunseres Körpers konzentrieren, so haben wir das Gefühl, dasssich unser Körper in seine endgültige Natur auflöst. Auf dieseWeise können wir die konventionelle Erscheinung des Körpersin unseren Meditationen mit Leichtigkeit überwinden undunser Geist vermischt sich mit Leerheit.Im Herz-<strong>Sutra</strong> sagt Bodhisattva Avalokiteshvara: „Form istnichts anderes als Leerheit.“ Das bedeutet, dass konventionellePhänomene wie unser Körper nicht getrennt von ihrerLeerheit existieren. Wenn wir mit diesem Verständnis überdie Leerheit unseres Körpers meditieren, wissen wir, dass dieLeerheit, die unserem Geist erscheint, die eigentliche Naturunseres Körpers ist und dass es außer dieser Leerheit keinenKörper gibt. Diese Art der Meditation wird unseren Geist desFesthaltens am Selbst enorm schwächen. Wenn wir wirklichdavon überzeugt wären, dass unser Körper und seine Leerheitvon gleicher Natur sind, würde sich unser Festhalten am Selbstmit Sicherheit verringern.Obwohl wir Leerheiten in Bezug auf ihre Basis der Zuschreibungeinteilen können und von der Leerheit des Körpers,von der Leerheit des Ichs und so weiter sprechen, haben inWahrheit alle Leerheiten die gleiche Natur. Wenn wir zehnFlaschen betrachten, können wir zwischen zehn verschiedenen‚Räumen‘ innerhalb der Flaschen unterscheiden, in Wirklichkeitjedoch haben diese ‚Räume‘ die gleiche Natur. Zerbrechenwir die Flaschen, so sind die ‚Räume‘ nicht voneinander zuunterscheiden. Obwohl wir von der Leerheit des Körpers, desGeistes, des Ichs und so weiter sprechen, haben sie in Wirklichkeitdieselbe Natur und sind ununterscheidbar. Sie könneneinzig durch ihre konventionelle Basis unterschieden werden.141


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Zwei Hauptvorteile ergeben sich aus dem Verständnis, dassalle Leerheiten von gleicher Natur sind: In der Meditationssitzungwird sich unser Geist leichter mit Leerheit vermischenund in der Meditationspause werden wir dazu fähig sein, alleErscheinungen gleichermaßen als Manifestationen ihrer Leerheitzu sehen.Solange wir das Gefühl haben, dass eine Kluft zwischenunserem Geist und Leerheit besteht, dass unser Geist ‚hier‘undLeerheit ‚dort‘ ist, wird sich unser Geist nicht mit Leerheitvermischen. Das Wissen darum, dass alle Leerheiten vongleicher Natur sind, hilft uns, diese Kluft zu überwinden. Imalltäglichen Leben begegnen wir vielen unterschiedlichenObjekten <strong>–</strong> guten, schlechten, attraktiven, hässlichen <strong>–</strong>, undunsere Gefühle ihnen gegenüber unterscheiden sich. Weil wirdas Gefühl haben, dass die Unterschiede von Seiten der Objekteexistieren, ist unser Geist unausgeglichen, und wir entwickelnAnhaftung für attraktive Objekte, Abneigung gegen unschöneObjekte und Gleichgültigkeit gegenüber neutralen Objekten.Es ist sehr schwierig, einen derart unausgeglichenen Geistmit Leerheit zu vermischen. Um dies zu erreichen, müssenwir erkennen, dass die Phänomene in ihrer Essenz leer sind,obwohl sie in vielen verschiedenen Aspekten erscheinen. DieUnterschiede, die wir sehen, sind nur Erscheinungen einesfehlerhaften Geistes. Aus der Sicht der endgültigen Wahrheitsind alle Phänomene gleich in ihrer Leerheit. Für einen qualifiziertenMeditierenden, der einsgerichtet in Leerheit versunkenist, besteht kein Unterschied zwischen Erzeugung und Beendigung,Unbeständigkeit und Beständigkeit, Gehen undKommen, Einzahl und Mehrzahl: Alles ist gleich in Leerheit,und alle Probleme der Anhaftung, der Wut und der Unwissenheitdes Festhaltens am Selbst sind gelöst. In dieser Erfahrungwird alles sehr friedvoll und angenehm, ausgeglichen undharmonisch, heiter und wunderbar. Es gibt keine Hitze, keine142


Schulung in endgültigem BodhichittaKälte, kein Höher, kein Tiefer, kein Hier, kein Dort, kein Selbst,kein Anderer, kein Samsara <strong>–</strong> alles ist gleich im Frieden derLeerheit. Diese Realisation nennt man „den Yoga des Gleichstellensvon Samsara und Nirvana“. Er wird ausführlichsowohl in den <strong>Sutra</strong>s als auch in den Tantras erklärt.Da alle Leerheiten von gleicher Natur sind, hat die endgültigeNatur des Geistes, der über Leerheit meditiert, dieselbeNatur wie die endgültige Natur seines Objektes. Wenn wiranfangs über Leerheit meditieren, scheinen unser Geist undLeerheit zwei getrennte Phänomene zu sein. Wenn wir aberverstehen, dass alle Leerheiten dieselbe Natur haben, werdenwir wissen, dass dieses Gefühl der Trennung einfach nur dieErfahrung eines fehlerhaften Geistes ist. In Wirklichkeit sindunser Geist und Leerheit letzten Endes ‚von einem Geschmack‘.Berücksichtigen wir dieses Wissen in unseren Meditationen,wird es uns helfen, die Erscheinung der konventionellen Naturunseres Geistes zu verhindern, und unserem Geist erlauben,sich in Leerheit aufzulösen.Wenn wir unseren Geist mit Leerheit vermischt haben,werden wir nach der Meditation alle Phänomene gleichermaßenals Manifestationen ihrer Leerheit erfahren. Anstattzu glauben, dass die anziehenden, hässlichen und neutralenObjekte, die wir sehen, inhärent verschieden sind, werdenwir erkennen, dass sie im Grunde dieselbe Natur besitzen.So wie die sanftesten und die gewaltigsten Wellen in einemOzean gleichermaßen Wasser sind, so sind sowohl anziehendeals auch abstoßende Formen gleichermaßen Manifestationender Leerheit. Wenn wir dies realisieren, wird unser Geistausgeglichen und friedvoll werden. Wir werden alle konventionellenErscheinungen als das magische Schauspiel des Geisteserkennen und wir werden nicht verbissen an ihren scheinbarenUnterschieden festhalten.Als Milarepa einer Frau einst Unterricht über Leerheit erteilte,verglich er Leerheit mit dem Himmel und konventionelle143


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Wahrheiten mit den Wolken und bat sie, über den Himmel zumeditieren. Sie folgte seinen Anleitungen mit großem Erfolg,hatte jedoch ein Problem: Wenn sie über den Himmel derLeerheit meditierte, verschwand alles, und sie konnte nichtverstehen, wie Phänomene konventionell existieren können.Sie sagte zu Milarepa: „Es fällt mir leicht, über den Himmel zumeditieren, aber schwer, die Wolken zu begründen. Bitte lehremich, wie man über die Wolken meditiert.“ Milarepa antwortete:„Wenn deine Meditation über den Himmel erfolgreich ist,werden die Wolken kein Problem darstellen. Wolken erscheineneinfach am Himmel. Sie entstehen aus dem Himmel und lösensich wieder im Himmel auf. Sobald sich deine Erfahrungen mitdem Himmel verbessert haben, wirst du die Wolken wie vonselbst verstehen.“Auf Tibetisch lautet die Bezeichnung sowohl für Himmelals auch für Raum „namkha“, obwohl sich Raum von Himmelunterscheidet. Es gibt zwei Arten von Raum, erzeugter Raumund nichterzeugter Raum. Erzeugter Raum ist der sichtbareRaum, den wir innerhalb eines Zimmers oder am Himmelsehen können. Dieser Raum kann nachts dunkel und tagsüberhell werden, und da er auf diese Weise Veränderungenunterworfen ist, ist er ein unbeständiges Phänomen. Diecharakteristische Eigenschaft erzeugten Raumes ist es, keineObjekte zu behindern. Wenn es Raum in einem Zimmer gibt,können wir Objekte ohne Behinderung dort hinstellen. Ebensokönnen Vögel durch den leeren Raum des Himmels fliegen,weil Behinderungen fehlen; hingegen können sie nicht durcheinen Berg fliegen! Deshalb ist es einleuchtend, dass erzeugtemRaum behindernder Kontakt fehlt oder dass er leer davon ist.Dieses bloße Fehlen oder diese Leerheit von behinderndemKontakt ist nichterzeugter Raum.Da nichterzeugter Raum die bloße Abwesenheit von behinderndemKontakt ist, ist er keinen Veränderungen von Momentzu Moment unterworfen und somit ein beständiges Phänomen.144


Schulung in endgültigem BodhichittaWährend erzeugter Raum sichtbar und ganz einfach zuverstehen ist, ist nichterzeugter Raum eine bloße Abwesenheitvon behinderndem Kontakt und um einiges subtiler. Sobaldwir jedoch nichterzeugten Raum verstanden haben, werdenwir es einfacher finden, Leerheit zu verstehen.Der einzige Unterschied zwischen Leerheit und nichterzeugtemRaum besteht im Objekt der Verneinung. Das Objektder Verneinung von nichterzeugtem Raum ist behindernderKontakt, während das Objekt der Verneinung von Leerheitinhärente Existenz ist. Da nichterzeugter Raum die besteAnalogie ist, um Leerheit zu verstehen, wird er in den <strong>Sutra</strong>sund in vielen Schriften verwendet. Nichterzeugter Raum istein nichtbestätigendes negatives Phänomen, das von einemGeist realisiert wird, der einfach nur sein verneintes Objektbeseitigt, ohne ein weiteres positives Phänomen zu realisieren.Erzeugter Raum ist ein bestätigendes oder positives Phänomen,ein Phänomen, das realisiert wird, ohne dass der Geist einverneintes Objekt ausdrücklich beseitigt. Weitere Einzelheitenüber diese zwei Arten von Phänomenen können in Herz derWeisheit und Ozean von Nektar gefunden werden.DIE PRAXIS DER LEERHEIT BEI UNSERENTÄGLICHEN HANDLUNGENBei unseren täglichen Handlungen sollten wir glauben, dassalle Erscheinungen illusorisch sind. Obwohl uns Dinge alsinhärent existierend erscheinen, sollten wir uns daran erinnern,dass diese Erscheinungen trügerisch sind und dass die Dinge,die wir normalerweise sehen, nicht existieren. Wie zuvorerwähnt, sagt Buddha im <strong>Sutra</strong> des Königs der Konzentration:Ein Magier erschafft verschiedene DingeWie Pferde, Elefanten und so weiter.Seine Schöpfungen existieren nicht wirklich;145


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Ihr solltet alle Dinge auf die gleiche Weise sehen.Die letzten zwei Zeilen dieses Verses bedeuten, dass wir wissensollten, dass so, wie die durch den Magier erschaffenen Pferdeund Elefanten nicht existieren, auf gleiche Weise alle Dinge, diewir normalerweise sehen, nicht wirklich existieren. In diesemKapitel Schulung in endgültigem Bodhichitta wurde ausführlicherklärt, wie alle Dinge, die wir normalerweise sehen, nichtexistieren.Wenn ein Magier ein illusorisches Pferd erzeugt, erscheintseinem Geist sehr deutlich ein Pferd, er weiß aber, dass esnur eine Illusion ist. Tatsächlich erinnert ihn die Erscheinungdes Pferdes daran, dass sich vor ihm kein Pferd befindet. Inähnlicher Weise und vorausgesetzt wir sind mit Leerheit gutvertraut, wird uns allein die Tatsache, dass uns Dinge alsinhärent existierend erscheinen, daran erinnern, dass sie nichtinhärent existierend sind. Wir sollten deshalb erkennen, dassalles, was uns in unserem täglichen Leben begegnet, einerIllusion gleicht und dass allem inhärente Existenz fehlt. Aufdiese Weise wird unsere Weisheit Tag für Tag anwachsen undunsere Unwissenheit des Festhaltens am Selbst und andereVerblendungen werden ganz natürlich abnehmen.Zwischen den Meditationssitzungen sollten wir wie einSchauspieler sein. Übernimmt ein Schauspieler die Rolle einesKönigs, dann spricht, kleidet und benimmt er sich wie einKönig, doch er weiß die ganze Zeit über, dass er nicht wirklichein König ist. In gleicher Weise sollten wir in der konventionellenWelt leben und handeln, uns aber immer bewusst sein,dass wir selbst, unsere Umwelt und unsere Mitmenschen, diewir normalerweise sehen, überhaupt nicht existieren.Wenn wir so denken, werden wir in der konventionellenWelt leben können, ohne uns an sie zu klammern. Wir werdensie nicht zu ernst nehmen und auch die Flexibilität des Geistes146


Schulung in endgültigem Bodhichittabesitzen, in jeder Situation konstruktiv zu reagieren. Dawir wissen, dass alles, was sich unserem Geist zeigt, bloßeErscheinungen sind, werden wir nicht an attraktiven Objektenfesthalten und Anhaftung entwickeln, sobald sie erscheinen;und wenn unschöne Objekte auftauchen, werden wir uns nichtan sie klammern und Ablehnung oder Wut entwickeln.In Geistesschulung in sieben Punkten sagt Geshe Chekhawa:„Denke, dass alle Phänomene wie Träume sind.“ MancheDinge, die wir in unseren Träumen erleben, sind schön undmanche hässlich, aber es sind alles bloße Erscheinungenunseres träumenden Geistes. Sie existieren nicht aus sich selbstheraus und sind leer von inhärenter Existenz. Gleiches gilt fürdie Objekte, die wir wahrnehmen, wenn wir wach sind; auchsie sind nur Erscheinungen des Geistes, frei von inhärenterExistenz.Allen Phänomenen fehlt inhärente Existenz. Wenn wireinen Regenbogen betrachten, dann scheint er sich an einembestimmten Ort im Raum zu befinden, und wir meinen, dasswir bei genauer Suche die Stelle ausfindig machen könnten,an der das Ende des Regenbogens den Erdboden berührt. Wirwissen jedoch, dass es nie möglich sein wird, das Ende desRegenbogens zu finden, selbst bei intensiver Suche nicht, dennsobald wir an den Ort kommen, wo unserer Meinung nach derRegenbogen den Boden berührt hat, wird er verschwundensein. Wenn wir nicht nach ihm suchen, ist er klar sichtbar,suchen wir aber nach ihm, ist er nicht da. Alle Phänomene sindso. Wenn wir sie nicht analysieren, erscheinen sie klar, suchenwir jedoch analytisch nach ihnen und versuchen sie von allemanderen zu isolieren, sind sie nicht vorhanden.Wenn etwas tatsächlich inhärent existieren würde und wires erforschen würden, indem wir es von allen anderen Phänomenentrennten, müssten wir in der Lage sein, es zu finden.Doch alle Phänomene sind wie der Regenbogen. Suchen wir147


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>nach ihnen, können wir sie niemals finden. Anfangs magdiese Vorstellung sehr beunruhigend und schwierig für unszu akzeptieren sein; aber dies ist nur natürlich. Mit größererVertrautheit werden wir diese Begründung annehmen können,und schließlich werden wir erkennen, dass sie wahr ist.Es ist wichtig zu verstehen, dass Leerheit nicht Nichts meint.Obwohl Dinge nicht von ihrer eigenen Seite her existieren,unabhängig vom Geist, existieren sie dennoch insofern, alssie von einem gültigen Geist verstanden werden. Die Welt,die wir im Wachzustand erleben, ähnelt der Welt, die wir imTraumzustand erfahren. Wir können nicht behaupten, dassTraumerlebnisse nicht existieren. Wenn wir jedoch glauben,dass sie mehr als bloße Erscheinungen des Geistes sind und‚dort draußen‘ existieren, dann machen wir einen Fehler, wiewir bald nach dem Erwachen bemerken werden.Wie bereits erwähnt gibt es keine bessere Methode geistigenFrieden und Glück zu erfahren, als Leerheit zu verstehen unddarüber zu meditieren. Da unser Festhalten am Selbst uns imGefängnis Samsaras gefesselt hält und der Ursprung unseresganzen Leidens ist, stellt die Meditation über Leerheit dieallumfassende Lösung für alle unsere Probleme dar. Sie ist dasHeilmittel, das alle geistigen und körperlichen Krankheitenheilt, und der Nektar, der das immerwährende Glück desNirvanas und der Erleuchtung gewährt.EINE EINFACHE SCHULUNG INENDGÜLTIGEM BODHICHITTAWir beginnen, indem wir denken:Ich muss Erleuchtung erlangen, damit ich jedem einzelnenLebewesen jeden Tag direkt helfen kann. Zu diesem Zweckwerde ich eine direkte Realisation davon gewinnen, wie dieDinge wirklich sind.148


Schulung in endgültigem BodhichittaMit dieser Bodhichitta-Motivation überlegen wir:Normalerweise sehe ich meinen Körper innerhalb seiner Teile<strong>–</strong> den Händen, dem Rücken und so weiter <strong>–</strong>, doch weder dieeinzelnen Teile noch die Ansammlung der Teile sind meinKörper, weil sie Teile des Körpers sind und nicht der Körperselbst. Es gibt jedoch keinen „mein Körper“ getrennt von seinenTeilen. Indem ich auf diese Weise meinen Körper mit Weisheitsuche, realisiere ich, dass mein Körper unauffindbar ist. Dies istein gültiger Grund, um zu beweisen, dass mein Körper, den ichnormalerweise sehe, überhaupt nicht existiert.Indem wir über diesen Punkt nachdenken, versuchen wir,die bloße Abwesenheit des Körpers, den wir normalerweisesehen, wahrzunehmen. Diese bloße Abwesenheit des Körpers,den wir normalerweise sehen, ist die Leerheit unseres Körpersund wir meditieren einsgerichtet, so lange wie möglich überdiese Leerheit.Wir sollten diese Kontemplation und Meditation kontinuierlichpraktizieren und dann zur nächsten Stufe gehen:Meditation über die Leerheit unseres Selbst. Wir sollten überlegenund denken:Normalerweise sehe ich mein Selbst innerhalb meines Körpersund Geistes, doch weder mein Körper, noch mein Geist, nochdie Ansammlung meines Körpers und Geistes sind mein Selbst,weil sie mein Besitz sind, und mein Selbst ist der Besitzer;und Besitzer und Besitz können nicht das gleiche sein. Es gibtjedoch kein „mein Selbst“ getrennt von meinem Körper undGeist. Indem ich auf diese Weise mein Selbst mit Weisheitsuche, realisiere ich, dass mein Selbst unauffindbar ist. Dies istein gültiger Grund, um zu beweisen, dass mein Selbst, das ichnormalerweise sehe, überhaupt nicht existiert.149


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Indem wir über diesen Punkt nachdenken, versuchen wir,die bloße Abwesenheit unseres Selbst, das wir normalerweisesehen, wahrzunehmen. Diese bloße Abwesenheit unseresSelbst, das wir normalerweise sehen, ist die Leerheit unseresSelbst, und wir meditieren einsgerichtet über diese Leerheit,so lange wie möglich.Wir sollten diese Kontemplation und Meditation kontinuierlichpraktizieren und dann zur nächsten Stufe gehen:Meditation über die Leerheit aller Phänomene. Wir solltenüberlegen und denken:So wie mein Körper und mein Selbst sind alle anderenPhänomene unauffindbar, wenn ich sie mit Weisheit suche. Diesist ein gültiger Grund, um zu beweisen, dass alle Phänomene,die ich normalerweise sehe oder wahrnehme, überhaupt nichtexistieren.Indem wir über diesen Punkt nachdenken, versuchen wir,die bloße Abwesenheit aller Phänomene, die wir normalerweisesehen oder wahrnehmen, zu erkennen. Diese bloßeAbwesenheit aller Phänomene, die wir normalerweise sehenoder wahrnehmen, ist die Leerheit aller Phänomene undwir meditieren kontinuierlich mit Bodhichitta-Motivationüber die Leerheit aller Phänomene , bis wir fähig sind unsereKonzentration für eine Minute klar aufrechtzuerhalten, jedesMal wenn wir darüber meditieren. Unsere Konzentration, diediese Fähigkeit besitzt, wird „Konzentration des Verweilensdes Geistes“ genannt.Auf der zweiten Stufe meditieren wir mit der Konzentrationdes Verweilens des Geistes kontinuierlich über die Leerheitaller Phänomene, bis wir fähig sind, unsere Konzentrationfür fünf Minuten klar aufrechtzuerhalten, jedes Mal wenn wirdarüber meditieren. Unsere Konzentration, die diese Fähigkeitbesitzt, wird „Konzentration des kontinuierlichen Verweilens“150


Schulung in endgültigem Bodhichittagenannt. Auf der dritten Stufe meditieren wir mit der Konzentrationdes kontinuierlichen Verweilens fortwährend überdie Leerheit aller Phänomene, bis wir fähig sind, uns an dasObjekt der Meditation <strong>–</strong> die bloße Abwesenheit aller Phänomene,die wir normalerweise sehen oder wahrnehmen <strong>–</strong> sofortwieder zu erinnern, wenn wir es während der Meditationverlieren. Unsere Konzentration, die diese Fähigkeit besitzt,wird „Konzentration des Wiederverweilens“ genannt. Auf dervierten Stufe meditieren wir mit der Konzentration des Wiederverweilenskontinuierlich über die Leerheit aller Phänomene,bis wir fähig sind, unsere Konzentration während der ganzenMeditationssitzung aufrechtzuerhalten, ohne das Meditationsobjektzu vergessen. Unsere Konzentration, die diese Fähigkeitbesitzt, wird „Konzentration des nahen Verweilens“ genannt.Auf dieser Stufe haben wir eine sehr stabile und klare Konzentration,die auf die Leerheit aller Phänomene gerichtet ist.Dann meditieren wir mit der Konzentration des nahenVerweilens kontinuierlich über die Leerheit aller Phänomene,bis wir schließlich die Konzentration des ruhigen Verweilenserlangen, die auf Leerheit gerichtet ist, was bewirkt, dass wireine besondere körperliche und geistige Geschmeidigkeit undGlückseligkeit erfahren. Mit dieser Konzentration des ruhigenVerweilens werden wir eine besondere Weisheit entwickeln,die die Leerheit aller Phänomene sehr klar realisiert. DieseWeisheit heißt „höheres Sehen“. Indem wir kontinuierlichüber die Konzentration des ruhigen Verweilens in Verbindungmit höherem Sehen meditieren, wird sich unsere Weisheit deshöheren Sehens in die Weisheit verwandeln, die die Leerheitaller Phänomene direkt realisiert. Diese direkte Realisationder Leerheit ist der eigentliche endgültige Bodhichitta. In demMoment, wo wir die Weisheit des endgültigen Bodhichittaerlangen, werden wir ein höherer Bodhisattva. Wie zuvorerwähnt, hat konventioneller Bodhichitta die Natur von151


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>Mitgefühl und endgültiger Bodhichitta die Natur von Weisheit.Diese zwei Bodhichittas sind wie die zwei Flügel eines Vogels,mit denen wir fliegen und die erleuchtete Welt sehr schnellerreichen können.In Der Rat aus dem Herzen Atishas sagt Atisha:Freunde, bis ihr die Erleuchtung erlangt, ist derspirituelle Lehrer unentbehrlich, verlasst euch deshalbauf den heiligen spirituellen Meister.Wir müssen uns auf unseren spirituellen Meister verlassen, biswir Erleuchtung erlangen. Das endgültige Ziel des menschlichenLebens ist Erleuchtung zu erlangen, und dies hängtdavon ab, die besonderen Segnungen Buddhas durch unserenspirituellen Meister kontinuierlich zu empfangen. Buddhaerlangte Erleuchtung mit der alleinigen Absicht, alle Lebewesenmittels seiner Ausstrahlungen entlang den Stufen desPfades zur Erleuchtung zu führen. Wer ist die Ausstrahlung,die uns entlang den Stufen des Pfades zur Erleuchtung führt?Es ist eindeutig unser gegenwärtiger spiritueller Lehrer, deruns aufrichtig und korrekt entlang der Pfade von Entsagung,Bodhichitta und der korrekten Sicht von Leerheit führt, indemer Unterweisungen gibt und ein praktisches Vorbild zeigt.Mit diesem Verständnis sollten wir eine feste Überzeugungentwickeln, dass unser spiritueller Meister eine AusstrahlungBuddhas ist und tiefes Vertrauen in ihn oder sie entwickelnund bewahren.Atisha sagt auch:Bis ihr die endgültige Wahrheit realisiert, ist Zuhörenunentbehrlich, hört deshalb den Unterweisungen desspirituellen Meisters zu.Selbst wenn wir fälschlicherweise zwei Monde am Himmelsehen würden, würde uns diese fehlerhafte Erscheinung daran152


Schulung in endgültigem Bodhichittaerinnern, dass es tatsächlich nicht zwei Monde gibt, sondernnur einen. Wenn uns auf ähnliche Weise das Sehen inhärentexistierender Dinge daran erinnert, dass es keine inhärentexistierenden Dinge gibt, zeigt dies an, dass unser Verständnisvon Leerheit, endgültiger Wahrheit, korrekt ist. Bis unserVerständnis der Leerheit vollkommen ist und um zu verhindern,dass wir in eines der zwei Extreme fallen <strong>–</strong> das Extremder Existenz und das Extrem der Nichtexistenz <strong>–</strong>, sollten wirden Anleitungen unseres spirituellen Meisters zuhören, sielesen und darüber nachdenken. Eine ausführliche Erklärung,wie wir uns auf unseren spirituellen Meister verlassen, kann inFreudvoller Weg des Glücks gefunden werden.Alle Kontemplationen und Meditationen, die in <strong>Band</strong> 1dieses Buches präsentiert wurden, von Die Kostbarkeit unseresmenschlichen Lebens bis Eine einfache Schulung in endgültigemBodhichitta sollten in Verbindung mit den vorbereitendenÜbungen für die Meditation praktiziert werden, die in <strong>Moderner</strong><strong>Buddhismus</strong> - <strong>Band</strong> 3: Gebete für die Meditation zu finden sind.Diese vorbereitenden Übungen werden uns befähigen unserenGeist zu reinigen, Verdienste anzusammeln und die Segnungender erleuchteten Wesen zu empfangen, und so sicherstellen,dass unsere Meditationspraxis erfolgreich ist.153


Arya Tara


Überprüfung unserer Lamrim-PraxisDurch das Praktizieren der Stufen des Pfades von Personenanfänglicher Ausrichtung, mittlerer Ausrichtung und großerAusrichtung haben wir möglicherweise etwas Erfahrung inEntsagung, Bodhichitta und der korrekten Sicht der Leerheitentwickelt, die als die „drei hauptsächlichen Pfade“ bekanntsind. Wir sollten uns prüfen, um zu sehen, ob unsere Erfahrungenvon Entsagung, Bodhichitta und der korrekten Sichtder Leerheit qualifiziert sind oder nicht. Wenn wir unserenGeist beurteilen und dabei feststellen, dass unsere Anhaftungan die Dinge dieses Lebens gleich geblieben ist, dannist dies das Zeichen dafür, dass unsere Entsagung unqualifiziertist. Wenn unsere Selbstwertschätzung, die glaubt, dassunser eigenes Glück und unsere eigene Freiheit wichtig sind,während sie das Glück und Freiheit anderer vernachlässigt,gleich geblieben ist, dann ist dies das Zeichen dafür, dass unserBodhichitta unqualifiziert ist. Und wenn unser Festhalten amSelbst, das an uns selbst, unserem Körper und allen anderenDingen, die wir normalerweise sehen, gleich geblieben ist,dann ist dies das Zeichen dafür, dass unser Verständnis derLeerheit unqualifiziert ist.Wir müssen daher großes Bemühen anwenden, um mitden Schulungen in Entsagung, Bodhichitta und der korrektenSicht der Leerheit tief vertraut zu werden. Wir müssen dieseSchulungen kontinuierlich praktizieren, bis sich unsere Anhaftung,Selbstwertschätzung und unser Festhalten am Selbst155


<strong>Moderner</strong> <strong>Buddhismus</strong>vermindern und wir in der Lage sind, diese Verblendungenzu kontrollieren. Haben wir dies erreicht, so haben wir ‚unserePrüfung bestanden‘ und haben den ‚Rang‘, ein großer Yogioder eine große Yogini zu sein156


Das Nada(Bitte beachten, dass das Nada in der Größe einer kleinenErbse visualisiert werden sollte)

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