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Musik und Musiktheater in Bratislava / Pressburg vor und ... - Pf UJEP

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Vladimír Zvara<strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>theater <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> / Pozsony / <strong>Bratislava</strong> <strong>vor</strong> <strong>und</strong> nach dem ErstenWeltkriegAspekte <strong>und</strong> KontexteIn der Geschichtsschreibung ist der Nachvollzug von Bruchl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität historischerProzesse von gleicher Wichtigkeit. In der Geschichte der Stadt <strong>Bratislava</strong> (<strong>Pressburg</strong>, Pozsony) <strong>in</strong>der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert begegnen wir mehrerene<strong>in</strong>schneidenden Brüchen. Es handelt sich um primär politische Ereignisse, die jedoch erheblicheKonsequenzen auf das gesellschaftliche Leben <strong>und</strong> das kulturelle Geschehen hatten: derÖsterreichisch-Ungarische Ausgleich (1867), die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik(1918–1919), der Zerfall der Tschechoslowakischen Republik <strong>und</strong> der Beg<strong>in</strong>n des ZweitenWeltkriegs (1938, 1939), das Ende des Kriegs (1945) <strong>und</strong> der „Siegreiche Februar“ (diekommunistische Machtübernahme) <strong>in</strong> 1948. Wohl führt das Leben konkreter Menschen meistensquer durch solche geschichtlichen Brüche, um dadurch die Kont<strong>in</strong>uität der Geschichte zugewährleisten. Doch für <strong>Bratislava</strong> des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts trifft das, leider, nur begrenzt zu. Inhistorisch kürzester Zeit kam es nämlich wiederholt zu – zum<strong>in</strong>dest partiellem –„Bevölkerungsaustausch“. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen zahlreiche Zuwanderer <strong>in</strong> die Stadt– Slowaken <strong>und</strong> Tschechen. Die meisten Tschechen zogen 1938 wieder ab. Während des ZweitenWeltkriegs, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Jahren 1942 <strong>und</strong> 1944, wurde der Großteil der Juden aus derSlowakei, also auch aus <strong>Bratislava</strong> <strong>in</strong> den fast sicheren Tod transportiert. 1945–1946 wurden vieleUngarn <strong>und</strong> Deutschen gezwungen, die Stadt zu verlassen, bzw. wurden aus ihr verjagt, 1948folgten dann viele Nicht-Kommunisten. Gleichzeitig zogen Slowaken zu, <strong>in</strong> Zahlen, die dieZwischenkriegs-Zuwachsrate weit übertrafen. Mit dem Ergebnis, dass beide seit Jahrh<strong>und</strong>ertendom<strong>in</strong>ierenden Sprachen der Stadt – Deutsch <strong>und</strong> Ungarisch – ihr abhanden gekommen s<strong>in</strong>d. Dieethnische Vielfalt von <strong>Bratislava</strong> versank <strong>in</strong> die Vergangenheit. Die deutsch-slowakisch-ungarischeDreisprachigkeit, <strong>in</strong> den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen noch gang <strong>und</strong> gäbe, wurdenach dem zweiten Weltkrieg zu e<strong>in</strong>er marg<strong>in</strong>alen Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> überlebte nur <strong>in</strong> wenigen„<strong>Pressburg</strong>er“ Familien.Für Historiker s<strong>in</strong>d Brüche <strong>und</strong> Trennl<strong>in</strong>ien leichter erfassbar <strong>und</strong> zuweilen attraktiver alsKont<strong>in</strong>uität. Bei der Suche nach e<strong>in</strong>er geschichtlichen Orientierung <strong>und</strong> ihrer Auswertung s<strong>in</strong>d nichtselten ideologische Schemen <strong>und</strong> teleologische Konstruktionen behilflich, die oft auch als dashistorische Bewusstse<strong>in</strong> lenkende Normen funktionieren. Für slowakische <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong>Theaterhistoriker war <strong>und</strong> ist zum Teil bis heute die Sichtweise der „slowakischen <strong>Musik</strong>“ <strong>und</strong> des„slowakischen Theaters“ <strong>in</strong> ethnischer Auffassung maßgeblich. 1 Von dieser Optik wird<strong>in</strong>sbesondere der Markste<strong>in</strong> des Jahres 1918 unterstrichen <strong>und</strong> so manche existierendeüberethnische Kont<strong>in</strong>uität der kulturellen Entwicklung auf dem Gebiet der heutigen Slowakeiverunklart. Wird aber für die Geschichte der Kultur mechanisch die Periodisierung der politischenGeschichte <strong>und</strong> dazu noch die teleologische Orientierung im Geiste e<strong>in</strong>er konkreten nationalenIdeologie angewandt, so kommt es zur weitgehenden Selektion <strong>und</strong> Deformation des historischenGedächtnisses.Besonders trifft dies für <strong>Bratislava</strong> <strong>und</strong> dessen Kulturgeschichte zu. Das Jahr 1918 (bzw. 1919)kann ke<strong>in</strong>esfalls als das Jahr Null betrachtet werden. Die Operette, aus Wien kommend, bildetegegen Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts den Kern des lokalen ungarischen Theaterrepertoires, überlebteden Umsturz <strong>und</strong> konnte auch noch <strong>in</strong> Zeiten des Slowakischen Staates (1939–1945) die Kassedes Slowakischen Nationaltheaters füllen. Das deutsche Schauspiel <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong>, dessen Tradition1 Das deuten auch schon die Titel von zwei großen Synthesen der 90er Jahre an: ELSCHEK, Oskár (Hrsg.):Dej<strong>in</strong>y slovenskej hudby od najstarších čias po súčasnosť (Geschichte der slowakischen <strong>Musik</strong> von denAnfängen bis zur Gegewart). <strong>Bratislava</strong>: ASCO Art & Science 1996; MISTRÍK, Miloš et al.: Slovenské divadlov 20. storočí (Slowakisches Theater im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert). <strong>Bratislava</strong>: Veda 1999.


mehr darüber aus, wie ihre Autoren die beschriebenen Veranstaltungen betrachteten, bzw.betrachten wollten, welche künstlerische <strong>und</strong> gesellschaftliche Bedeutung sie ihnen zuschrieben,als über die Veranstaltung selbst. Es ist bezeichnend, dass Jana Laslavíková, die dasTheatergeschehen <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1886–1920 ausführlich untersuchte, <strong>in</strong> ihrenArbeiten mehr über gesellschaftliche <strong>und</strong> politische Aspekte des Theaters berichtet als über dasTheater als künstlerisches Phänomen. 55 Andererseits sollten <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong> Theaterhistoriker nicht aufihre fachspezifischen Fragestellungen verzichten <strong>und</strong> über die <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong> Theatergeschichte derStadt nicht alle<strong>in</strong> als über e<strong>in</strong>en Teil allgeme<strong>in</strong>erer kultureller <strong>und</strong> gesellschaftlicher Prozesseberichten, sondern sie auch im engeren S<strong>in</strong>n als Geschichte spezifischer <strong>und</strong> manchmal auchbedeutender künstlerischer Ereignisse beleuchten.***<strong>Pressburg</strong> manifestierte sich bis <strong>in</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>vor</strong>wiegend als deutsche Stadt <strong>in</strong>Oberungarn, genauer gesagt: e<strong>in</strong>e Stadt mit der Mehrzahl deutsch sprechender Bürger. Diedeutschsprachigen <strong>Pressburg</strong>er waren das dom<strong>in</strong>ierende Ethnikum, mit maßgeblicher Vertretungim Wirtschaftsleben der Stadt, als Besitzer von Immobilien, We<strong>in</strong>bauer, Kaufleute <strong>und</strong>Handwerker. Auch die Stadtverwaltung war <strong>vor</strong>wiegend <strong>in</strong> ihren Händen. Der Aufstieg desungarischen Nationalbewusstse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> den Reihen der Stadtbewohner tritt seit den 1840er Jahrene<strong>in</strong>, wobei die von der ungarischen Reformbewegung deklarierten Fortschritts- <strong>und</strong> Freiheitsideene<strong>in</strong>e bedeutende Rolle spielten. Im Revolutionsjahr 1848 profilierte sich der deutschsprechende<strong>Pressburg</strong>er Bürger, der zugleich eifriger ungarischer Patriot <strong>und</strong> Kritiker des reaktionären Wienswar. Als nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich <strong>in</strong> 1867 <strong>in</strong> ganz Ungarn e<strong>in</strong> politischerDruck auf die Magyarisierung des öffentlichen Lebens erfolgte (<strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> ausschließlich zumNachteil der deutschen Sprache, da die Position der zahlreichen slowakischen Stadtbewohner <strong>und</strong>der slowakischen Sprache im öffentlichen Leben <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Kultur unbeträchtlich war), haben diedeutschen Bürger demonstrativ ihren ungarischen Patriotismus bek<strong>und</strong>et, die Erweiterung derRolle der ungarischen Sprache im Schulwesen, im Theater <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong> im öffentlichen Lebenunterstützt <strong>und</strong> <strong>in</strong> Volkszählungen <strong>in</strong> hohem Maß ihre deklarative ethnische Zugehörigkeitgeändert. 6 Die Beweggründe hierzu waren sicher verschieden: von politischer Überzeugung bis h<strong>in</strong>zur Berücksichtigung von Karrieren, ökonomischen Vorteilen <strong>und</strong> Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e bessereZukunft der K<strong>in</strong>der. Zeitgenössische Quellen deuten auch an, dass das Ziel des ostentativenPatriotismus der Deutschen <strong>in</strong> Ungarn auch e<strong>in</strong>e Abwehr gegenüber dem Misstrauen der „anti-Wienerisch“ gestimmten Ungarn war. Gleichzeitig muss aber betont werden, dass die sozialenUnterschiede im Alltag viel mehr Bedeutung hatten als ethnisch-sprachliche Grenzen. 75 LASLAVÍKOVÁ, Jana: Keď lokálne neznamená prov<strong>in</strong>čné. Mestské divadlo v Prešporku v rokoch 1886-1920:fakty a kontexty. In: Slovenská hudba, Jg. 33 (2007), Nr. 3–4, S. 439–465; LASLAVÍKOVÁ, Jana – ZVARA,Vladimír: „Naše publikum nerozbíja poháre od šampanského“. Poznámky k dej<strong>in</strong>ám Mestského divadla vPrešporku v rokoch 1886–1920. In: Prezentácie – konfrontácie 2008. Zborník príspevkov z medz<strong>in</strong>árodnejkonferencie (Hrsg. Miloslav Blahynka – Markéta Štefková). <strong>Bratislava</strong>: Divis Slovakia, 2008, S. 25–37;LASLAVÍKOVÁ, Jana: Mestské divadlo v Prešporku v rokoch 1886–1920. Dissertation (Filozofická fakultaUniverzity Komenského). <strong>Bratislava</strong> 2009.6 Volkszählungen bieten folgende historische demographische Zahlenangaben für <strong>Pressburg</strong> / <strong>Bratislava</strong>:1850/51: <strong>in</strong>sgesamt 42 200 E<strong>in</strong>wohner – davon 74,6 % Deutsche, 17,9 % Slowaken, 7,4 % Ungarn.1890: <strong>in</strong>sgesamt 52 400 E<strong>in</strong>wohner – davon 59,9 % Deutsche, 19,9 % Ungarn, 16,6 % Slowaken.1910: <strong>in</strong>sgesamt 78 200 E<strong>in</strong>wohner – davon 42 % Deutsche, 40 % Ungarn, 17 % Slowaken.Vgl. FRANCOVÁ, Zuzana: Obyvatelia – etnická, sociálna a konfesijná skladba. In: <strong>Bratislava</strong> (RočenkaMestského múzea), č. 10, <strong>Bratislava</strong>: Mestské múzeum, 1998, S. 17–38.7 Zu dieser Problematik vgl. TANCER, Jozef – MANNOVÁ, Elena: Od uhorského patriotizmu k menš<strong>in</strong>ovéhmunacionalizmu. Zmeny povedomia Nemcov na Slovensku v 18. a 19. storočí. In: My a tí druhí v modernejspoločnosti. Konštrukcie a transformácie kolektívnych identít (Hrsg. Gabriela Kiliánová – Eva Kowalská –Eva Krekovičová). <strong>Bratislava</strong>: Veda 2009, besonders S. 357–361 <strong>und</strong> 373–379.


Seit Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts haben auch ungarische Theatergesellschaften im alten<strong>Pressburg</strong>er Städtischen Theater, das im Jahr 1776 von Graf Georg (György) Csáky erbaut wurde,ihr Glück versucht. Doch g<strong>in</strong>g es eher um Episoden, im Vergleich zur kont<strong>in</strong>uierlichen <strong>Pf</strong>lege desdeutschen Theaters (ebenfalls auf der Basis von Theatergesellschaften, die sich das Stadttheatermieteten). Noch 1863 führt der Verfasser e<strong>in</strong>er Zeitungsnachricht den Misserfolg der Vorstellungender renommierten ungarischen Opern- <strong>und</strong> Schauspielgesellschaft von István Reszler imStädtischen Theater e<strong>in</strong>erseits auf das verlockende Frühl<strong>in</strong>gswetter <strong>und</strong> andererseits auf dieTatsache zurück, dass das <strong>Pressburg</strong>er Publikum der ungarischen Sprache nicht mächtig sei. 8 Umzwanzig Jahre später (1884–1886) wird an Stelle des alten Theaters das neue Stadttheater derArchitekten Ferd<strong>in</strong>and Fellner <strong>und</strong> Hermann Helmer erbaut. Im Städtischen Theaterkomitee wirderregt über die Gliederung der Spielzeit <strong>und</strong> über Symbolik diskutiert. 9 In der Frage der Gliederungder Spielzeit wird e<strong>in</strong> Kompromiss erzielt: Als Hauptsaison gilt weiterh<strong>in</strong> die deutsche Spielzeit,aber auch dem ungarischen Theater wird se<strong>in</strong> Anspruch im Voraus garantiert. Die ungarischeNationalidee siegt e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong> Sachen der Symbolik. Die Decke des Zuschauerraums im neuenHaus wird mit Szenen aus ungarischen historischen Dramen dekoriert, <strong>in</strong> den Nischen derFassade erhalten drei Figuren des ungarischen künstlerischen Kanons ihren Platz: József Katona,Mihály Vörösmarty <strong>und</strong> Franz/Ferenc Liszt, ergänzt durch die europäischen Klassiker JohannWolfgang von Goethe <strong>und</strong> William Shakespeare. 10 Und die festliche Eröffnungs<strong>vor</strong>stellung <strong>in</strong>Anwesenheit des ungarischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten Kálmán Tisza, deren Programm der Rákóczy-Marsch, e<strong>in</strong> dichterischer Prolog von Mór Jókai <strong>und</strong> die Nationaloper Bánk Bán von Ferenc Erkelbildeten, gestaltete sich zu e<strong>in</strong>er wahren nationalen Manifestation. 11Unter dem E<strong>in</strong>fluss von Richtl<strong>in</strong>ien aus Budapest, die nun bestimmen, dass der M<strong>in</strong>imalanteil derVorstellungen <strong>in</strong> ungarischer Sprache an allen Theatern im Königreich ansteigen soll, ändert sichstufenweise auch die Proportion deutscher <strong>und</strong> ungarischer Vorstellungen im <strong>Pressburg</strong>erStadttheater. Nach der Eröffnung des neuen Hauses wurde e<strong>in</strong> Modell festgelegt, wonach der vonOktober bis Februar dauernde Teil der Spielzeit dem deutschen Theater zur Verfügung stand <strong>und</strong>nur von Februar bis April das ungarische Theater an die Reihe kam. 1902 war die Relation bereitsumgekehrt: die Ungarn erhielten die attraktivere W<strong>in</strong>terspielzeit. 12 Das Theater wurde langsamaber sicher zur Plattform des politischen Kampfes. Die Magyarisierung der Kultur stieß nämlich andie Anpassungsgrenzen der deutschsprachigen <strong>Pressburg</strong>er, die mit der E<strong>in</strong>engung des Raumesfür das deutsche Theater nicht e<strong>in</strong>verstanden waren. Immer wieder werden ungarischeVorstellungen von Deutschen kritisiert, nicht primär aufgr<strong>und</strong> der ungarischen Sprache, sondernwegen ihrer – wie behauptet wurde – ger<strong>in</strong>ger Qualität.Für deutsche <strong>und</strong> ungarische Theatergesellschaften, die <strong>in</strong> dieser Zeit <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> wirkten, wardie Oper der traditionelle, publikumsattraktive, aber wirtschaftlich <strong>und</strong> personal anspruchsvollsteTeil des Repertoires. Opern<strong>vor</strong>stellungen konzentrierten sich daher auf das Ende der Spielzeit,bzw. wurden mithilfe der aus Wien oder aus Budapest angereisten gastierenden Künstlernzustande gebracht. 13 Das Opernrepertoire unterschied sich kaum vom üblichen Repertoire <strong>in</strong>anderen Städten der Region: italienisches melodramma, französische opéra comique <strong>und</strong> grandopéra, deutsche Oper, repräsentiert durch Mozarts Zauberflöte <strong>und</strong> Werke von Lortz<strong>in</strong>g <strong>und</strong>Nicolai, aber auch den „romantischen“ Wagner (<strong>in</strong> den 70er Jahren wurden <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> erstmalsLohengr<strong>in</strong> <strong>und</strong> Tannhäuser aufgeführt). Seit den 60er Jahren gewann die Operette zunehmend anPopularität <strong>und</strong> entwickelte sich zum Repertoire-Schwerpunkt der ungarischen Gesellschaften.Jana Laslavíková hat Dokumente gesammelt, die von beträchtlichen Unterschieden des8 <strong>Pressburg</strong>er Zeitung, 12.5.1863; zit. nach: HOZA, Štefan: Opera na Slovensku, Bd. 1. Mart<strong>in</strong>: Osveta 1953,S. 87.9 Vgl. FABRICIUS, Otto von: Das neue Theater <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong>. Festschrift. <strong>Pressburg</strong>: Druckerei desWestungarischer Grenzbote 1886.10 Vgl. BLAHOVÁ, Elena: Busty na priečelí historickej budovy Slovenského národného divadla. In: <strong>Bratislava</strong>(Zborník Mestského múzea), Nr. 17. <strong>Bratislava</strong>: Mestské múzeum 2005, S. 95–104.11 Vgl. im Artikel Der Eröffnungstag des neuen Theaters. In: <strong>Pressburg</strong>er Zeitung, 23.9.1886, S. 5.12 Vgl. LASLAVÍKOVÁ, Jana: Mestské divadlo v Prešporku v rokoch 1886–1920, Zit. <strong>in</strong> Anm. 5, S. 31.13 Vgl. ebenda, S. 34–36.


künstlerischen Niveaus der verschiedenen Direktionsären zeugen. Doch kann festgelegt werden,dass <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts dem <strong>Musik</strong>theater <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> ke<strong>in</strong>e Blütezeitbeschert war. Auch der junge Bruno Walter, als Kapellmeister am <strong>Pressburg</strong>er Stadttheater <strong>in</strong> derSpielzeit 1897−1898 tätig, h<strong>in</strong>terließ e<strong>in</strong> Zeugnis über das kle<strong>in</strong>e Orchester, den nicht allzu gutenChor <strong>und</strong> über Anfänger-Solisten (wenn er auch die Atmosphäre im Theater <strong>und</strong> die Bereitschaftder Kollegen, an besseren künstlerischen Ergebnissen zu arbeiten, gelobt hat). 14 Andererseits istbekannt, dass so mancher <strong>Pressburg</strong>er Bürger die Wiener Theater, die Hofoper <strong>in</strong>begriffen,regelmäßig besuchte. Und von der Offenheit des <strong>Pressburg</strong>er Publikums zeugt zum Beispiel auchder begeisterte Empfang der Brünner Oper, die 1902 <strong>und</strong> 1905 <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong> gastierte <strong>und</strong> Werketschechischer Komponisten <strong>in</strong> Orig<strong>in</strong>alsprache zur Aufführung brachte. Am Rande sei bemerkt,dass <strong>Pressburg</strong> die Gastspiele der Brünner Oper – paradox <strong>und</strong> bezeichnend – e<strong>in</strong>em Deutsch-<strong>Pressburg</strong>er, Gustav Mauthner, Kritiker des Tagblatts Westungarischer Grenzbote <strong>und</strong> Besitzere<strong>in</strong>er Konzertagentur, zu verdanken hatte. 15Noch an der Neige des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte <strong>Pressburg</strong> ke<strong>in</strong>e musikalischen Institutionen immodernen S<strong>in</strong>n. Jedoch wirkten hier mehrere anerkannte private <strong>Musik</strong>lehrer 16 <strong>und</strong> mehreremusikalische Vere<strong>in</strong>e auf konfessioneller, nationaler oder professioneller Basis, die auchöffentliche Auftritte veranstalteten. 17 In Orchesterkonzerten spielten Mitglieder desTheaterorchesters, das von den wechselnden Theaterdirektoren engagiert wurde <strong>und</strong> jeweils mehroder m<strong>in</strong>der aus den selben, <strong>in</strong> der Stadt ansässigen <strong>Musik</strong>ern bestand. Neben demTheaterorchester hatten auch Militärkapellen öffentliche Auftritte, hauptsächlich <strong>in</strong> Form vonPromenadenkonzerten (e<strong>in</strong>en besonders guten Ruf genoss die Kapelle des ZweitenInfanterieregiments des k. u. k. Heeres). 18 Das Angebot wurde durch zahlreiche <strong>und</strong> beliebteZigeunerkapellen ergänzt. Große, spektakuläre Produktionen – Aufführungen von Haydn- <strong>und</strong>Liszt-Oratorien, Beethovens Neunter Symphonie oder Verdis Requiem – fanden mit vere<strong>in</strong>tenKräften statt, wobei ethnische <strong>und</strong> konfessionelle Grenzen problemlos überschritten wurden.Produktionen dieser Art wurden <strong>in</strong> der Regel vom Kirchenmusikvere<strong>in</strong> zu Sankt Mart<strong>in</strong> koord<strong>in</strong>iert,der ununterbrochen von 1833 bis 1950 bestand <strong>und</strong> auch über e<strong>in</strong> eigenes Orchester verfügte. DieDirigenten dieses Vere<strong>in</strong>s gehörten zu den bedeutendsten <strong>Pressburg</strong>er Komponisten des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts: Joseph Kumlik, Karl Mayrberger <strong>und</strong> Joseph Thiard-Laforest. DerKirchenmusikvere<strong>in</strong> schuf auch Bed<strong>in</strong>gungen für die Entstehung (bzw. die Erneuerung) derhöheren <strong>Musik</strong>schule, der <strong>Pressburg</strong>er Städtischen Orgel- <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>schule (1906), deren Direktorgleichzeitig Dirigent des Kirchenmusikvere<strong>in</strong>s <strong>und</strong> Professor am katholischen Gymnasium war (alserster wirkte <strong>in</strong> diesen Funktionen der Brucknerschüler Eugen Kossow). Vom Kirchenmusikvere<strong>in</strong>wurde 1906 auch die Gründung des Städtischen Orchesters angeregt.Als Konzertveranstalter waren auch mehrere „Konzert-Direktionen“, d. h. Agenturen tätig, dieKünstlergastspiele organisierten. Die Bilanz ist bee<strong>in</strong>druckend: In <strong>Pressburg</strong> gastierte dasMe<strong>in</strong><strong>in</strong>gener Hoforchester unter der Leitung Hans von Bülows, das Münchner Tonkünstler-Orchester, wiedeholt das Wiener Tonkünstler-Orchester, das Budapester PhilharmonischeOrchester <strong>und</strong> die „Böhmische Philharmonie“. In <strong>Pressburg</strong> konzertierten auch große Virtuosen:14 Vgl. WALTER, Bruno: Téma s variacemi. Vzpomínky a úvahy. Praha: Státní hudební vydavatelství 1965, S.114–120.15 Näheres <strong>in</strong>: LASLAVÍKOVÁ, Jana: Ocenenie českej opery v Prešporku. Poznámky k hosťovaniu Národnéhodivadla z Brna v prešporskom Mestskom divadle v rokoch 1902–1905. In: Česko-německé hudební vztahy vm<strong>in</strong>ulosti a současnosti (CD ROM; Hrsg. Lenka Přibylová). Ústí nad Labem: Univerzita Jana EvangelistyPurkyně 2008.16 Nach dem Bullet<strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong>er Wegweiser für das Jahr 1885 waren hier als <strong>Musik</strong>lehrer vierzehnPersonen tätig; vgl. LENGOVÁ, Jana: Hudba v období romantizmu a národno-emancipačných snáh (1830–1918). In: Elschek, Oskár (Hrsg.): Dej<strong>in</strong>y slovenskej hudby od najstarších čias po súčasnosť, zit. <strong>in</strong> Anm. 1,S. 209.17 Zu den bedeutendsten Gesangsvere<strong>in</strong>en gehörte die Liedertafel (seit 1847), der Typographenb<strong>und</strong> (seit1872), der Toldy-Kör (Toldy Zirkel; seit 1874), der <strong>Pressburg</strong>er S<strong>in</strong>gvere<strong>in</strong> (seit 1879), der ArbeiterGesangsvere<strong>in</strong> E<strong>in</strong>igheit (seit 1904) sowie mehrere Kirchenchöre.18 Vgl. LENGOVÁ, Jana: Vojenská hudba a hudobný život Bratislavy v 19. storočí. In: Slovenská hudba, Jg. 19(1993), Nr. 3–4, S. 458–480.


Franz Liszt, Clara Schumann, Anton Rub<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, Joseph Joachim, Johannes Brahms, CamilleSa<strong>in</strong>t-Saëns, Pablo Casals. Andererseits brachte die <strong>Pressburg</strong>er deutsche <strong>und</strong> ungarischePresse auch Berichte über zahlreiche künstlerisch problematische <strong>und</strong> dramaturgisch nichtglücklich konzipierte Konzerte. Auch hier galt, dass das Angebot der kulturellen Veranstaltungen <strong>in</strong><strong>Pressburg</strong> en gros mit jenem von Wien <strong>und</strong> Budapest nicht zu vergleichen war. Viele <strong>Pressburg</strong>erbesuchten regelmäßig Konzerte <strong>in</strong> beiden Metropolen.***1919 betrat die tschechoslowakische Staatsmacht die Stadt <strong>und</strong> gab ihr auch e<strong>in</strong>en neuen Namen(<strong>in</strong>spiriert durch e<strong>in</strong> Neuwort aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert): <strong>Bratislava</strong>. 19 Die Stadt erweiterte sich: wardie Zahl der E<strong>in</strong>wohner im Jahr 1900 61 500, so erhöhte sie sich 1919 bereits auf 83 200 <strong>und</strong> 1930sogar auf 123 800. Die Volkszählungen dokumentieren auch, dass sich auch die Proportionen dernationalen Zugehörigkeit der E<strong>in</strong>wohner rasch veränderten (auch wenn wir wissen, dass dieDeklaration der nationalen Zugehörigkeit <strong>in</strong> Volkszählungen das Ergebnis verschiedenartigmotivierter <strong>in</strong>dividueller Entscheidungen ist). 20Die deutsch- <strong>und</strong> ungarischsprachigen Bewohner von <strong>Bratislava</strong> gerieten <strong>in</strong> Opposition; MitBitterkeit verfolgten sie die politische Entwicklung <strong>und</strong> die geme<strong>in</strong>same Lage führte zugegenseitiger Annäherung. Das tschechoslowakische Lager war um vieles une<strong>in</strong>iger: E<strong>in</strong> nichtunbeträchtlicher Teil der Slowaken, <strong>in</strong>sbesondere der Anhänger der Slowakischen Volkspartei (seit1925 Hl<strong>in</strong>ka Partei), beurteilte die Politik der Tschechen <strong>in</strong> der Slowakei als kolonialistisch <strong>und</strong> hieltdie kämpferische Haltung gegenüber der Idee der tschechoslowakischen Nation <strong>und</strong> dempolitischen Tschechoslowakismus als notwendig <strong>und</strong> angebracht.Der Positionskampf um den Charakter der Stadt projizierte sich klar auch <strong>in</strong> das <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong>Theaterleben. Neu entstandene tschechoslowakische Kulturvere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Assoziationen –namentlich der Kulturverband für die Slowakei (Osvetový zväz pre Slovensko) <strong>und</strong> derSlowakische Kunstvere<strong>in</strong> (Umelecká beseda slovenská), beide seit 1922 – als auch dasSlowakische Nationaltheater (seit 1920) werden aus Prag subventioniert. Andererseits gastieren <strong>in</strong><strong>Bratislava</strong> auch renommierte Künstler aus Budapest mit (ebenfalls politisch motivierter)Unterstützung der Budapester Regierung. Resultat dieses wettstreitartigen Konkurrenzkampfeszwischen alten <strong>und</strong> neuen Organisatoren kultureller Veranstaltungen ist e<strong>in</strong> ungewöhnlich buntesAngebot für die E<strong>in</strong>wohner der Stadt: M<strong>in</strong>destens zweimal pro Woche f<strong>in</strong>den Konzerte klassischer<strong>Musik</strong> statt. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen konzertieren hier die Geiger EugèneYsaӱe, Fritz Kreisler, Nathan Milste<strong>in</strong>, Jenő Hubay, die Pianisten Eugen d´Albert, Ernő vonDohnányi <strong>und</strong> Béla Bartók, Orchester wie die Wiener Philharmoniker (unter der Leitung von FelixWe<strong>in</strong>gartner, Richard Strauss <strong>und</strong> Wilhelm Furtwängler), die Budapester Philharmonie mit Ernővon Dohnányi <strong>und</strong> András Komor oder die Tschechische Philharmonie mit Václav Talich (derspäter, <strong>in</strong> den Jahren 1949–1952 Chefdirigent der Slowakischen Philharmonie se<strong>in</strong> wird). 21Ungarische <strong>und</strong> deutsche Kulturvere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Assoziationen hatten den Vorteil guter Kontakte zuWien <strong>und</strong> Budapest, <strong>in</strong> ihrer Dramaturgie waren sie jedoch nicht immer abhängig von den <strong>in</strong>19 Vgl. HORVÁTH, Vladimír – RÁKOŠ, Elemír – WATZKA Jozef (Hrsg.): <strong>Bratislava</strong>, hlavné mesto Slovenska(pripojenie Bratislavy k československej republike roku 1918–1919). <strong>Bratislava</strong>: Obzor 1977.20 Aufgr<strong>und</strong> von Volkszählungen können folgende historische demographische Angaben angeführt werden:1910: <strong>in</strong>sgesamt 78 200 E<strong>in</strong>wohner – davon 42 % Deutsche , 40 % Ungarn, 17 % Slowaken.1919 (August): <strong>in</strong>sgesamt 83 200 E<strong>in</strong>wohner – davon 36,3 % Deutsche, 32,9 % tschechoslowakischerNationalität, 29 % Ungarn, 1,8 % andere.1930: <strong>in</strong>sgesamt 123 800 E<strong>in</strong>wohner – davon 33 % Slowaken, 25 % Deutsche, 23 % Tschechen, 16 %Ungarn, 3,8 % Juden.Vgl. FRANCOVÁ, Zuzana: Obyvatelia – etnická, sociálna a konfesijná skladba, Zit. <strong>in</strong> Anm. 6.21 Diesem Thema widmet sich die umfangreiche Arbeit: KURAJDOVÁ, Ema: Koncertný život Bratislavyv rokoch 1918–1938. Dissertation (Ústav hudobnej vedy SAV). <strong>Bratislava</strong> 2005.


diesen europäischen Metropolen geltenden Trends. Die systematisch erfolgenden Aufführungender Werke Béla Bartóks durch den ungarischen Männerchor des Vere<strong>in</strong>s Toldy-Kör <strong>in</strong> den 20erJahren übertraf das Ausmaß des Interesses um Bartóks kompositorisches Schaffen seitens derBudapester <strong>Musik</strong><strong>in</strong>stitutionen jener Zeit. Die tschechoslowakischen Konzertagenturen waren umdie Marg<strong>in</strong>alsierung der ungarischen <strong>und</strong> deutschen Konkurrenten mittels adm<strong>in</strong>istrativerMaßnahmen bemüht, wobei ihnen auch e<strong>in</strong>ige <strong>Musik</strong>publizisten behilflich waren. Manargumentierte unter anderem mit den H<strong>in</strong>weis darauf, dass sich die „alten“ Agenturen auf denImport wertloser Kaffeehaus- <strong>und</strong> Nachtlokal-Kapellen aus Ungarn <strong>und</strong> Österreich konzentrierthätten. 22 Diese Absicht e<strong>in</strong>er Marg<strong>in</strong>alisierung konnte b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>iger Jahren <strong>in</strong> hohem Maß auchverwirklicht werden. Andererseits entstand 1926 der <strong>Bratislava</strong>er Konzertvere<strong>in</strong> (Bratislavskýkoncertný spolok), der Vertreter von tschechoslowakischen Institutionen, dem Kirchenmusikvere<strong>in</strong><strong>und</strong> von weiteren lokalen <strong>Musik</strong>vere<strong>in</strong>en ohne Unterschied auf ethnische Zugehörigkeit vere<strong>in</strong>te. Inder Konzertsaison 1926/1927 gastierten <strong>in</strong> der Stadt im Rahmen der Abonnement-Konzerte des<strong>Bratislava</strong>er Konzertvere<strong>in</strong>s die Wiener Philharmoniker, die Tschechische Philharmonie, das ImreWaldbauer- <strong>und</strong> Jenő Kerpely-Quartett, das Ondříček-Quartett sowie das Tschechische Quartett.Auf dem Programm standen neben dem gängigen Repertoire auch Werke von Suk, Kodály,Bartók, Milhaud, <strong>und</strong> auch Werke des damaligen Direktors des Kirchenmusikvere<strong>in</strong>s AlexanderAlbrecht.1920 wurde das Slowakische Nationaltheater (Slovenské národné divadlo, SND) gegründet. Esentstand die Genossenschaft des SND, aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Entschlusses der tschechoslowakischenRegierung. Betrieben wurde das Theater mit e<strong>in</strong>er – schwankender – Subvention des PragerM<strong>in</strong>isteriums für Schulwesen <strong>und</strong> Nationalbildung, die meistens auch durch e<strong>in</strong>en Beitrag der Stadt<strong>und</strong> des Gaus ergänzt wurde. An der Spitze des SND stand e<strong>in</strong> Direktor-Unternehmer, mit dem dieGenossenschaft e<strong>in</strong>en Vertrag abschloss; namentlich waren es Bedřich Jeřábek (1920–1922),Oskar Nedbal (1923–1928, 1929–1930), Václav Jiřikovský (1926–1939) Antonín Drašar (1931–1938). Erst 1939, nach Entstehung der Slowakischen Republik, wurde das Theater verstaatlicht.Die Vorstellungen des SND fanden im ersten Jahrzehnt fast ausschließlich <strong>in</strong> tschechischerSprache statt; erst 1932 entstand das selbständige slowakische Schauspielensemble des SND.Sie begegneten dem Boykott der deutsch-ungarischen Alt-Bewohner. Nur langsam <strong>und</strong> mitSchwierigkeiten konnte das eigene Publikum zustande kommen, wobei <strong>in</strong> den ersten Jahren nichtso sehr Slowaken das Stammpublikum bildeten als eher die tschechische Intelligenz <strong>und</strong> dastschechische Beamtentum <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong>). Trotzdem erzielte das SND <strong>in</strong> Verhandlungen mit demStadtrat über die Gliederung der Spielzeit immer größere Erfolge. Von der gleichmäßigenAufteilung der zwölf Monate im Jahr 1921 – 4:4:4 – gelang die Gliederung im Jahr 1930 zu derRelation 10:1:1 (den M<strong>in</strong>derheiten blieben die Sommermonate zur Verfügung), wobei sichgleichzeitig das Modell stabilisierte, nachdem auch während der Spielzeit des SND für deutsche<strong>und</strong> ungarische Vorstellungen gewisse Wochentage reserviert wurden (deutscher Montag,ungarischer Dienstag). Natürlich spielten die Deutschen <strong>und</strong> Ungarn ohne staatliche Subvention,abgesehen von der Unterstützung des ungarischen Theaters seitens der ungarischen Regierung <strong>in</strong>Budapest. Das SND siegte, aber das Theater wurde wiederum zum Kampffeld zwischenTschechoslowakisten <strong>und</strong> slowakischen Autonomisten. Diese Kämpfe reflektierten e<strong>in</strong>eunglaubliche Mischung von edlem Idealismus, niedrigem politischen Kalkül <strong>und</strong> ausgesprochenerBorniertheit, <strong>und</strong> nahmen mitunter tragische Züge an. Als Höhepunkt <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n gilt dertragische Tod des Dirigenten, Komponisten <strong>und</strong> Direktoren des SND Oskar Nedbal. Gehetzt vonder slowakischen autonomistischen Presse <strong>und</strong> von se<strong>in</strong>en tschechischen Gegnern (die ihm se<strong>in</strong>eWiener <strong>und</strong> ausländischen Erfolge <strong>vor</strong> 1918 nicht verzeihen konnten), von der Genossenschaft<strong>und</strong> dem M<strong>in</strong>isterium auf Gnade <strong>und</strong> Ungnade den f<strong>in</strong>anziellen Problemen überlassen, <strong>in</strong> derPanik, für die Schulden <strong>vor</strong> Gericht zitiert zu werden, verübte Oskar Nedbal im Jahr 1930Selbstmord. 2322 Vgl ebenda, S. 34 <strong>und</strong> 42–43.23 Vgl. LAJCHA, Ladislav: Zápas o zmysel a podobu SND (1920–1938). In: Lajcha, Ladislav (Hrsg.):Dokumenty SND 1 (1920–1938). Zápas o zmysel a podobu SND. <strong>Bratislava</strong>: Divadelný ústav 2000, S. 40–99.


Das SND war mit großen Aufgaben <strong>und</strong> Ambitionen beladen, aber der Staat erhöhte nur sehrzaghaft se<strong>in</strong>e Subvention. Zum Beispiel erhielt im Jahr 1931 das Prager Nationaltheater11 800 000 Kronen, während für das SND nur 2 300 000 Kronen übrig blieben (so wurden auchtschechische Prov<strong>in</strong>ztheater subventioniert). Dazu kämpfte das SND mit Publikumsmangel. Alt-<strong>Pressburg</strong>er besuchten das tschechoslowakische Theater nicht <strong>und</strong> Slowaken, die <strong>in</strong> den erstenJahren der Republik nur zur Arbeit nach <strong>Bratislava</strong> kamen, hatten kaum Bedarf an Konzert- oderTheaterbesuchen, <strong>und</strong> kehrten sowieso zum Wochenende zu ihren Familien zurück, für die sie <strong>in</strong>der überfüllten Stadt noch ke<strong>in</strong>e entsprechende Unterkunft gef<strong>und</strong>en haben. Die nationalorientierten Studenten aus dem Studentenheim S<strong>vor</strong>adov demonstrierten gegen die Aufführungendeutscher <strong>und</strong> ungarischer Werke am SND, doch ihr Interesse am slowakischen Theater hielt sich<strong>in</strong> Grenzen. Als sie 1933 laut gegen die Aufführung der ungarischen Operette Ball im Hotel Savoyvon Paul Abraham am SND protestierten, hat die Schriftsteller<strong>in</strong> Zuzka Zguriška ihnen zugerufen:„Demonstriert hier nicht, sondern besucht lieber slowakische Schauspiele, die <strong>vor</strong> Leere gähnen!“ 24Die slowakische Theatergeschichte erschöpft sich aber bei weitem nicht mit der„Machtübernahme“ durch Tschechen <strong>und</strong> Slowaken <strong>und</strong> den nationalen Konflikten. Die neue,überwiegend slowakische Stad <strong>Bratislava</strong> erfuhr e<strong>in</strong>e rasante Entwicklung, differenzierte <strong>und</strong>kultivierte sich. Oskar Nedbal pflegte Oper <strong>und</strong> Ballett auf <strong>in</strong>ternationalem Niveau, berühmte Gästefolgten se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung, 25 aber er unterstützte auch den slowakischen künstlerischen Nachwuchs.Se<strong>in</strong> Neffe <strong>und</strong> Nachfolger <strong>in</strong> der Position des Opernchefs Karel Nedbal schuf <strong>in</strong> Zeiten derWirtschaftskrise e<strong>in</strong>e ausgesprochen progressive Dramaturgie, nicht nur im S<strong>in</strong>n von Aufführungenmoderner Werke <strong>und</strong> Novitäten (Janáček-Zyklus, Prokofiews Liebe zu den drei Orangen, 1931,Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk, 1935 26 ) sondern auch h<strong>in</strong>sichtlich der aktuellsten<strong>in</strong>szenatorischen Tendenzen (Regisseur František Šulc, Bühnenbildner František Tröster). KarelNedbals ambitionierte Dramaturgie wurde vom Direktor Karel Drašar durch das Anfüllen derTheaterkasse mit E<strong>in</strong>nahmen von beliebten Operetten-Aufführungen ermöglicht; dieseDramaturgie wäre aber auch kaum denkbar gewesen ohne e<strong>in</strong> kultviertes, fortgeschrittenesPublikum. Die Nedbals <strong>und</strong> Drašar gewannen nach <strong>und</strong> nach das Interesse der duetsch- <strong>und</strong>ungarischsprachigen <strong>Pressburg</strong>er, <strong>und</strong> zwar nicht nur mit Operetten- <strong>und</strong> Ballett<strong>vor</strong>stellungen,sondern auch dank des hohen Niveaus der Opernproduktionen <strong>und</strong> der her<strong>vor</strong>ragendengastierenden Solisten <strong>und</strong> Dirigenten, e<strong>in</strong>schließlich berühmter Komponisten als Dirigenteneigener Werke am SND: Pietro Mascagni (Cavalleria rusticana, 1925) <strong>und</strong> Richard Strauss(Elektra, Rosenkavalier, 1929).Auch <strong>in</strong> der Konzertdramaturgie nahm der Anteil der Moderne zu, mit <strong>in</strong>begriffen die Werke jungerslowakischer Komponisten. Betätigung fanden zunehmend auch tschechische <strong>und</strong> slowakischeprofessionelle <strong>Musik</strong>er. Das Theaterorchester trat seit 1923 regelmäßig unter dem Namen<strong>Bratislava</strong>er Symphonie Orchester (Bratislavský symfonický orchester) auf <strong>und</strong> entwickelte sich <strong>in</strong>den 30er Jahren zum führenden Orchester der Stadt. Die Orchestervere<strong>in</strong>igung SlowakischePhilharmonie, seit 1921 konzertierend, blieb durch die Tatsache der überwiegend ausAmateurmusikern bestehenden Mitgliedschaft begrenzt (die professionelle, staatlich f<strong>in</strong>anzierteSlowakische Philharmonie entstand erst 1949). Dazu existierte seit 1929 <strong>und</strong> erweiterte sichpermanent auch das R<strong>und</strong>funkorchester (Orchester des Radiojournals), anfangs mit nur 18Mitgliedern. Beliebt waren nach wie <strong>vor</strong> Militärkapellen, e<strong>in</strong>ige sogar durch e<strong>in</strong>e Streichergruppeergänzt, die neben Konzerten auch <strong>in</strong> Kaffeehäusern <strong>und</strong> Restaurants aufspielten (dank derhäufigen R<strong>und</strong>funkübertragungen erfreute sich <strong>in</strong> jenen Jahren der größten Popularität die <strong>Musik</strong>des 39. Infanterie-Aufklärungsregiments unter Kapellmeister Ján Langer 27 ).24 Ebenda, S. 135.25 Vgl. BLAHO, Jaroslav: Hosťujúci zahraniční speváci na scéne Opery Slovenského národného divadlav rokoch 1920–1945. In: 100 rokov nového operného divadla v Bratislave. 1886–1986. Referáty prednesenéna muzikologickej konferencii v rámci BHS 1986 (Hrsg. Katarína Horváthová), <strong>Bratislava</strong>: MDKO 1988, S.72–78; BLAHOVÁ, Elena: Slovenské národné divadlo 1920–1995 (fakty – osobnosti – udalosti). <strong>Bratislava</strong>:Národné divadelné centrum 1996, S. 173–177.26 Es war die erste Aufführung außerhalb der Grenzen der Sowjetunion.27 Vgl. KURAJDOVÁ, Ema: Koncertný život Bratislavy v rokoch 1918–1938, zit. <strong>in</strong> Anm. 21, S. 66 <strong>und</strong> 118.


Die 20er <strong>und</strong> 30er Jahre brachten e<strong>in</strong>en quantitativen <strong>und</strong> zunehmend auch qualitativenAufschwung des <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong> Theaterlebens <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> <strong>und</strong> zugleich e<strong>in</strong>e Entwicklung desslowakischen kunstliebenden Publikums. Das Projekt der slowakischen nationalen Kultur wurdedurchgeführt – im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Hochkultur urbanen Typs. Dieses Projekt wurde von se<strong>in</strong>enProtagonisten verschieden aufgefasst. Für manche war es <strong>vor</strong>wiegend e<strong>in</strong> politisches Projekt, e<strong>in</strong>eArt kultureller Landnahme. Für andere, zum Beispiel für den Schriftsteller <strong>und</strong> damaligen hohenBeamten des Prager M<strong>in</strong>isteriums für Kultur <strong>und</strong> nationale Bildung Jaroslav Kvapil handelte es sichum e<strong>in</strong> aufrichtig geme<strong>in</strong>tes <strong>und</strong> tief empf<strong>und</strong>enes Ideal. Das Projekt wurde schrittweiseumgesetzt, <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Musik</strong>, Theater, Literatur sowie bildende Kunst. Und trotzdem wirdnoch <strong>in</strong> den 1960er Jahren e<strong>in</strong>e „Besucherkrise“ <strong>in</strong> der Oper des SND zum Anlass vonÜberlegungen, ob es <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> e<strong>in</strong> Publikum mit ausgeprägtem <strong>und</strong> dauerhaften Interesse fürdie Oper gäbe – wobei das Stadttheater <strong>vor</strong> dem ersten Weltkrieg, da die Stadt viel kle<strong>in</strong>er war,fast doppelt so viele Sitzplätze hatte 28 <strong>und</strong> über Publikumsmangel nicht klagen konnte. 29Die slowakische künstlerische Moderne reifte unter tschechischem E<strong>in</strong>fluss heran – dem E<strong>in</strong>flussder tschechischen Moderne, aber auch unter dem E<strong>in</strong>fluss tschechischer Anschauungen über dieWege <strong>und</strong> Ziele der slowakischen Kunst. Wie aber e<strong>in</strong>gangs bereits bemerkt wurde, wuchs<strong>in</strong>sbesondere das slowakische Schauspiel auch im engen Kontakt zur deutschen, bzw.österreichischen Moderne. Nach 1918 übertrug der große deutsche Regisseur Max Re<strong>in</strong>hardte<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>er Tätigkeit nach Wien <strong>und</strong> Schauspieler aus dem Kreis des Re<strong>in</strong>hardtschenTheaters <strong>in</strong> der Josefstadt (Re<strong>in</strong>hardt war dessen Direktor <strong>in</strong> den Jahren 1923–1938, danachübernahm se<strong>in</strong> Mitarbeiter He<strong>in</strong>z Hilpert die Leitung) gastierten zwei Jahrzehnte lang regelmäßig <strong>in</strong><strong>Bratislava</strong>. Vorstellungen mit Schauspielern wie Alexander Moissi, Max Pallenberg <strong>und</strong> denGeschwistern Thimig repräsentierten e<strong>in</strong> Niveau, das den Standard des tschechischen <strong>und</strong>natürlich auch des ungarischen Schauspiels <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> weit übertraf. Nach 1933 haben nochdazu e<strong>in</strong>ige bedeutende deutsche Schauspieler, die das Hitler-Deutschland verließen, e<strong>in</strong>eÜbergangs- oder Gelegenheitstätigkeit am Städtischen Theater von <strong>Bratislava</strong> gef<strong>und</strong>en (ErnstDeutsch, Tilla Durieux, Albert <strong>und</strong> Elsa Bassermann, Fritz Kortner). Auch diesen Anregungen ist zuverdanken, dass das junge slowakische Schauspiel am SND sich <strong>in</strong> historisch kurzer Zeit e<strong>in</strong>bemerkenswertes Niveau <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e aktuelle künstlerische Orientierung erarbeitete – wir denken <strong>in</strong>erster Reihe an Inszenierungen von Ján Jamnický <strong>in</strong> den Kriegsjahren, als dieser Regisseur<strong>in</strong>mitten des braunen Meeres des damaligen Europa e<strong>in</strong> modernes slowakischesSchauspielensemble schuf, das an die Tendenzen der Avantgarde zwischen den beidenWeltkriegen anknüpfte (Max Re<strong>in</strong>hardt, Emil František Burian, Nikolai Ochlopkow). 30Die moderne Auffassung des Schauspieltheaters wurde auch an die Oper übertragen.Protagonisten e<strong>in</strong>er Annäherung der Oper an aktuelle Theaterpr<strong>in</strong>zipien waren <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> dietschechischen Regisseure Bohuš Vilím <strong>und</strong> (besonders) Viktor Šulc. Ihre Bühnenbildner waren derSlowake Ľudovít Hradský, Schüler von Oskar Strnad <strong>und</strong> Anhänger Alfred Rollers, <strong>und</strong> derTscheche František Tröster, der <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> die Errungenschaften des Berl<strong>in</strong>er Expressionismusdurchsetzte. Der Prozess der Modernisierung von Opern<strong>in</strong>szenierungen kann heute auch anhandvon Texten des Opernkritikers Ivan Ballo, die ihrerseits zum Durchsetzen der modernen Kunst aufdiesem Gebiet beitrugen, rekonstruiert werden. 1936, an der Schwelle der NS-Ära, die denmodernistischen „Auswüchsen“ natürlich nicht wohlwollend zugeneigt se<strong>in</strong> sollte, wurde kam <strong>in</strong><strong>Bratislava</strong> e<strong>in</strong>e Opern<strong>in</strong>szenierung zustande, die zu e<strong>in</strong>em Beispiel engagierter Kunst wurde <strong>und</strong>durch die Re<strong>in</strong>heit der Form <strong>und</strong> der künstlerischen Idee e<strong>in</strong>e durchschlagende, aktuelle Aussage28 Zur Zeit der Eröffnung des neuen Theaters im Jahr 1886 wurde die Zahl der Sitzplätze mit 1167angegeben; vgl. FABRICIUS, Otto von: Das neue Theater <strong>in</strong> <strong>Pressburg</strong>, zit. <strong>in</strong> Anm. 9, S. 2–3. NachUmgestaltungen des Zuschauerraums <strong>in</strong> den Jahren 1949–1950 <strong>und</strong> 1969–1972 hat das Haus heute e<strong>in</strong>Kapazität von 611 Sitzplätzen.29 Vgl. HRUŠKOVIC, Michal et al.: Návštevnosť Opery SND v Bratislave. Záverečná správa z výskumu.<strong>Bratislava</strong>: Výskumný ústav kultúry a verejnej mienky 1969, <strong>in</strong>sbesondere S. 40–47 <strong>und</strong> 113–115.30 Vgl. LAJCHA, Ladislav: O enkláve nemeckého divadla v Bratislave. In: Miscellanea theatralia. SborníkAdolfu Scherlovi k osmdesát<strong>in</strong>ám (Hrsg. Eva Šormová – Michaela Kuklová). Praha: Divadelní ústav 2005, S.401–412.


<strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Appell gegen Unfreiheit <strong>und</strong> Totalität vermittelte: die Inszenierung von BeethovensFidelio aus der Werkstatt des Regisseurs Viktor Šulc <strong>und</strong> des Bühnenbildners František Tröster.Konzertpodien <strong>und</strong> Opernbühne riefen, natürlich, auch nach Werken slowakischer Komponisten.Schicksale <strong>und</strong> Schöpfungen von Komponisten slowakischer Herkunft, bzw. von jenen, die aufdem Gebiet Oberungarns tätig waren, wurden vom Verlauf der Geschichte bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong> konntennur schwer den E<strong>in</strong>klang mit dem zeitgenössischen Verständnis der slowakischen <strong>Musik</strong> f<strong>in</strong>den. 31Ján Levoslav Bella (1843–1936), der bedeutendste slowakische Komponist des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,fand <strong>in</strong> Oberungarn ke<strong>in</strong> angemessenes Betätigungsfeld <strong>und</strong> verbrachte den Großteil se<strong>in</strong>esproduktiven Lebens (1881–1921) <strong>in</strong> Siebenbürgen, als Regens chori <strong>in</strong> Hermannstadt. DerKomponist, der anschließend seit 1921 <strong>in</strong> Wien lebte, wurde von kompetenten Vertretern dertschechoslowakischen Kultur nur zaghaft <strong>und</strong> mit Vorbehalt zur Kenntnis genommen. Es ist OskarNedbals Großzügigkeit zu verdanken, dass die Uraufführung von Bellas Oper Wieland derSchmied auf der Bühne des SND im Jahr 1928 stattfand (Bella komponierte das Werk <strong>in</strong> denJahren 1880–1890).Bald begann jedoch e<strong>in</strong> neues Zeitalter der Geschichte der slowakischen <strong>Musik</strong>. Ihr Protagonist,Alexander Moyzes (1906–1984), studierte Komposition bei Otakar Šín <strong>und</strong> bei Antonín DvořáksSchüler Vítězslav Novák am Prager Konservatorium. Moyzes kam 1928 nach <strong>Bratislava</strong> <strong>und</strong>begann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als <strong>Musik</strong>publizist das <strong>Musik</strong>leben <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong> als prov<strong>in</strong>ziell <strong>und</strong>ungenügend professionell zu kritisieren. Als Lehrer, R<strong>und</strong>funkredakteur <strong>und</strong> Komponist war erbemüht, das <strong>Musik</strong>leben <strong>in</strong> der Slowakei auf e<strong>in</strong> höheres Niveau zu heben. Neben Moyzes <strong>und</strong>se<strong>in</strong>en Altersgenossen Eugen Suchoň <strong>und</strong> Ján Cikker werden her<strong>vor</strong>ragende <strong>Musik</strong>er der Stadt,Lehrer <strong>und</strong> Komponisten an den Rand des musikalischen Geschehens verdrängt, die <strong>Bratislava</strong>aus „<strong>Pressburg</strong>er Zeiten“ geerbt hatte, <strong>vor</strong> allem Alexander Albrecht <strong>und</strong> Frico Kafenda. 32 DieKont<strong>in</strong>uität von Alt-<strong>Pressburg</strong> f<strong>in</strong>det im Kirchenmusikvere<strong>in</strong> (unter der Leitung von AlexanderAlbrecht) <strong>und</strong> <strong>in</strong> den kulturellen Vere<strong>in</strong>en der Nationalitäten statt. Im Konzertsaal der Redoute, imNationaltheater <strong>und</strong> auf der Welle des <strong>Bratislava</strong>er R<strong>und</strong>funks wurde nun hauptsächlich die neueslowakische <strong>Musik</strong>kultur ausgebaut. Die erste slowakische Symphonie ist die Erste von AlexanderMoyzes, entstanden 1929. Die erste allgeme<strong>in</strong> akzeptierte „slowakische Nationaloper“, SuchoňsKrútňava (Katrena), entstand 1941–1949 (nicht zufällig trägt die Oper, trotz ihrervolksmusikalischen Prägung, klare Merkmale der expressionistischen Theaterpoetik, die Suchoň <strong>in</strong>Opern<strong>vor</strong>stellungen des SND der 30er Jahre kennenlernte 33 ). Moyzes, Suchoň <strong>und</strong> Cikkerprofilieren sich als Modernisten, soweit man ihr Schaffen an slowakischen Verhältnissen misst.Dass sie sich, wohl auch bee<strong>in</strong>flusst von den Verhältnissen, vom Schönbergschen Weg derLockerung der Tonalität (der junge Suchoň) sowie vom Neoklassizismus <strong>und</strong> der NeuenSachlichkeit (der junge Moyzes) abwandten, dass sie <strong>in</strong> der Beziehung zu volksmusikalischerInspiration mehr an Vítězslav Novák als an Béla Bartók anknüpften, dass sie den Weg e<strong>in</strong>er„gemäßigten Moderne“ wählten, was ihnen den heimischen Erfolg erleichtern sollte, aus e<strong>in</strong>erLangzeit-Perspektive aber ihre Etablierung im Kontext der europäischen <strong>Musik</strong>geschichte kaumermöglicht hat – das ist e<strong>in</strong> eigenes Thema, dem wir uns an dieser Stelle nicht widmen können.***31 Vgl. HRČKOVÁ, Naďa: Tradícia, modernosť a slovenská hudobná kultúra 1918–1948. <strong>Bratislava</strong>: Litera1996, <strong>in</strong>sbesondere S. 139–140.32 Alexander Moyzes hat viele Jahre später se<strong>in</strong> Bedauern darüber ausgesprochen, dass er <strong>und</strong> se<strong>in</strong>eGenerationsgefährten <strong>in</strong> den 30er Jahren die „alten Herren“, „Traditionalisten“ Bella, Albrecht <strong>und</strong> Kafendaunterschätzt hätten; vgl. ZELJENKA, Ilja: Rozho<strong>vor</strong>y s Alexandrom Moyzesom (1984) (Hrsg. Vladimír Godár).<strong>Bratislava</strong>: Scriptorium Musicum 2003, S. 31–34.33 Vgl. ZVARA, Vladimír: Realismus <strong>und</strong> nationale Mythen. Eugen Suchoňs Oper Krútňava im Wandel desnationalen Selbstverständnisses der Slowaken. In: Peter Csobádi – Gernot Gruber – Jürgen Kühnel – UlrichMüller – Oswald Panagl – Franz Viktor Spechtler (Hrsg.): Politische Mythen <strong>und</strong> nationale Identitäten im(<strong>Musik</strong>-) Theater. Vorträge <strong>und</strong> Gespräche des Salzburger Symposions 2001. Anif/Salzburg: Verlag UrsulaMüller-Speiser 2003, Bd. II, S. 771–775.


Es bleibt Tatsache, dass für Slowaken <strong>und</strong> Tschechen <strong>in</strong> der Zeit zwischen den beidenWeltkriegen die Frage e<strong>in</strong>er wünschenswerten Bewahrung der Mehrsprachigkeit, der Pluralitätkultureller Tradition <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität im Bezug zu Alt-<strong>Pressburg</strong> <strong>in</strong> <strong>Bratislava</strong>, die <strong>in</strong> den 20er Jahrennoch präsent waren, nicht gestellt wurde. Die Zeit, da der Stadtrat noch se<strong>in</strong> altes Briefpapier mitdreisprachigem Briefkopf verwendete, da die Theatersaison <strong>in</strong> drei gleiche Teile gegliedert war <strong>und</strong>der Zeitungsverkäufer <strong>in</strong> Kaffeehäusern se<strong>in</strong>e Ware mit dem Ausruf „Nov<strong>in</strong>y – Zeitung – Újság“angeboten hatte, war von nicht allzu langer Dauer. Die Er<strong>in</strong>nerung an die Zeit <strong>vor</strong> 1918, dieBitterkeit <strong>und</strong> das gegenseitige Misstrauen – all das war noch viel zu lebendig, <strong>und</strong> viel zu starkwar die Überzeugung, dass <strong>vor</strong> allem die Durchsetzung der Identität <strong>und</strong> Kultur der eigenennationalen Geme<strong>in</strong>schaft wünschenswert war. Die erneute Verstärkung der Rechte der Deutschennach 1938 erfolgte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em völlig anderen Kontext <strong>und</strong> war machtpolitisch motiviert. Dernazistischen Karpatendeutschen Partei g<strong>in</strong>g es nicht um e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> gegenseitiger Harmonie,sondern um die Umsetzung der übergeordneten Rolle der Deutschen. E<strong>in</strong>trittskarten für deutscheTheater<strong>vor</strong>stellungen wurden nicht im freien Verkauf angeboten, sogar Theaterkritiker derslowakischen Presse wurden nicht zugelassen. Der Zweite Weltkrieg hat dann das Ende dermultiethnischen Stadt <strong>Bratislava</strong> vollendet: Nach dessen Abschluss hat für den Großteil derSlowaken nicht nur die ungarische, sondern auch die deutsche Sprache e<strong>in</strong>en Beigeschmack derbitteren Vergangenheit bekommen, e<strong>in</strong>er Vergangenheit, die es zu unterdrücken, zu verdrängengalt.Heute entdecken wir die anderssprachigen Traditionen unserer Hauptstadt als wertvolleshistorisches Erbe. Mit Sympathie <strong>und</strong> Nostalgie sprechen wir wieder den Namen „Prešporok“ aus,unter dem unsere Vorfahren <strong>vor</strong> 1919 die Stadt kannten. Wir bew<strong>und</strong>ern Alexander Albrecht, denerstrangigen europäischen Komponisten, der zudem als Direktor des Kirchenmusikvere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> derZwischenkriegszeit die politische <strong>und</strong> ethnische Toleranz im Namen der Kunst repräsentierte. Wirkehren zurück zum Vermächtnis der <strong>Pressburg</strong>er Deutschen Gustav Mauthner <strong>und</strong> Eugen Hollý, 34als auch des Slowaken Ivan Ballo, 35 zu jenen Publizisten, die das kulturelle Geschehen der Stadtkritisch <strong>und</strong> großzügig, ohne Rücksicht auf nationale <strong>und</strong> politische Grenzen kommentierten. Wirs<strong>in</strong>d stolz auf die Beziehung Béla Bartóks zu unserer Stadt, <strong>in</strong> der er das Gymnasium besuchte(1893–1899) <strong>und</strong> wiederholt als Pianist Konzerte gab, <strong>und</strong> zu der ihn familiäre <strong>und</strong>fre<strong>und</strong>schaftliche Bande knüpften. 36 Auch die Büsten, die <strong>in</strong> den 30er Jahren vom Frontgiebel desSlowakischen Nationaltheaters beseitigt wurden, s<strong>in</strong>d auf ihre Plätze zurückgekehrt. 37 Und dasmusikalische Erbe der Zeit <strong>vor</strong> <strong>und</strong> nach dem ersten Weltkrieg erwacht langsam zum neuenLeben: die <strong>Musik</strong> von Alexander Albrecht, Štefan Németh-Šamorínsky <strong>und</strong> anderen vergessenenoder halbvergessenen <strong>Pressburg</strong>er Komponisten. Es ist aber bezeichnend für unsere Zeit, dassdiese Wiedererweckung des wertvollen Kulturerbes <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er der „ste<strong>in</strong>ernen“ <strong>Musik</strong><strong>in</strong>stitutionen ihrZentrum hat, sondern im kle<strong>in</strong>en Konzertsaal des Palais Pálffy <strong>in</strong> der heutigen Zámocká Straße, <strong>in</strong>dem die Veranstaltungen der <strong>Musik</strong>vere<strong>in</strong>igungen Musica aeterna <strong>und</strong> Albrecht<strong>in</strong>a stattf<strong>in</strong>den. 3834 Vgl. LAJCHA, Ladislav: O enkláve nemeckého divadla v Bratislave, zit. <strong>in</strong> Anm. 30, S. 403–404 <strong>und</strong> 407–408.35 Vgl. Ivan Ballo a Opera Slovenského národného divadla (Hrsg. Ladislav Lajcha). <strong>Bratislava</strong>: Národnédivadelné centrum 1995.36 Vgl. ČÍŽIK, Vladimír (Hrsg.): Bartóks Briefe <strong>in</strong> der Slowakei. <strong>Bratislava</strong>: Slovenské národné múzeum 1971.37 Bis auf e<strong>in</strong>e – Mihály Vörösmarty – die nicht erhalten ist. Vgl. BLAHOVÁ, Elena: Busty na priečelí historickejbudovy Slovenského národného divadla, zit. <strong>in</strong> Anm. 10.38 Dieser Text entstand im Rahmen e<strong>in</strong>es von der Förderagentur des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums derSlowakischen Republik <strong>und</strong> der Slowakischen Akademie der Wissenschaften VEGA unterstützten Projektes(Nr. 2/0143/11). Es stellt e<strong>in</strong>e leicht überarbeitete Fassung von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> slowakischer Sprache publiziertenBeitrag dar: ZVARA, Vladimír: Hudba a hudobné divadlo v Bratislave pred prvou svetovou vojnou a po nej.Aspekty a súvislosti. In: Príspevky k vývoju hudobnej kultúry na Slovensku (Hrsg. Ľubomír Chalupka).<strong>Bratislava</strong>: Stimul 2009, S. 69−86.

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