28Frühfremdsprachen:Breite Ablehnung nicht nur bei den LVB-MitgliedernVon Michael WeissVor einem halben Jahr hatder LVB seine Mitgliederüber die Vorverlegung desFremdsprachenunterrichtsbefragt. Dieselbe Umfragewar vom LCH auch denanderen Kantonalsektionenzugeschickt worden. DieResultate liegen nun vor.Weitgehende EinigkeitBaselland ist kein Sonderfall – jedenfallsnicht, wenn es um die Meinung derLehrkräfte zur Einführung einer zweitenFremdsprache auf der Pr<strong>im</strong>arstufegeht. In den entscheidenden Fragensind sie gleicher Meinung wie die Mehrheitder Lehrkräfte (oder wenigstensder kantonalen Lehrerverbände, dennnicht überall haben diese die Umfragean ihre Mitglieder weitergeleitet) derübrigen Deutschschweizer Kantone:• Die Weiterbildung zum Unterrichteneiner Fremdsprache auf der Pr<strong>im</strong>arstufeist akzeptabel, es werden aberzu wenig Zeit und Geld dafür zur Verfügunggestellt.• Die Lehrmittel sind nicht zufriedenstellend.• Die Anzahl der pro Woche für denFremdsprachenunterricht zur Verfügungstehenden Lektionen ist unzureichend.• Die Unterstützung durch IF-/SHP-Lehrpersonen <strong>im</strong> Fremdsprachenunterrichtist ungenügend.• Die Anforderungen an die Schülerinnenund Schüler sind falsch gestellt.• Für die meisten Schülerinnen undSchüler sind zwei Fremdsprachen aufder Pr<strong>im</strong>arstufe nicht zu bewältigen,es sollte daher nur eine Fremdsprachein der Pr<strong>im</strong>ar obligatorisch sein.• Auf dem anforderungsschwächstenNiveau der Sek I sollte nur eineFremdsprache obligatorisch sein.• Im anforderungsschwächsten Niveauder Sek I könnte man Sprachaufenthalteoder Austauschprogramme alsAlternative zum Lektionenunterrichtins Auge fassen.• Ein in der gesamten Deutschschweizkoordinierter Start der Fremdsprachenund damit eine einheitlicheFestlegung auf dieselbe erste Fremdspracheist dringend erforderlich.Von Harmonisierung keine SpurLediglich be<strong>im</strong> letzten Punkt gibt eseine Differenz zu anderen Kantonen:Während <strong>im</strong> Baselbiet nämlich nureine moderate Präferenz zugunstendes Französischen als erste Fremdsprachefestgestellt wird und manwohl auch mit Englisch als ersterFremdsprache zu leben bereit wäre,ist diese Frage anderswo offenbarvon grosser Bedeutung und heftigumstritten – selbst innerhalb der Lehrerschaftder einzelnen Kantone. Somitbleibt das gravierendste Mobilitätshindernisin der DeutschschweizerSchullandschaft zugleich das amschwierigsten zu beseitigende. Diewirkliche Situation ist noch weitausdesolater. Dazu vermeldet der LCHgegenüber der Presse:«Ein neuer Flickenteppich durchziehtdie Schweiz: Die DeutschschweizerKantone an der Sprachgrenze habenFranzösisch ab der 3. Klasse eingeführtund ziehen jetzt mit Englisch abder 5. Klasse nach. Die meisten Zentral-und Ostschweizer Kantone habenbeide Fremdsprachen bereits eingeführt,allerdings in umgekehrter Reihenfolge.Aargau als Teil des BildungsraumsNordwestschweiz mit gemeinsamemBildungsmonitoring führtzuerst Englisch ein, die anderen dreiKantone BS, BL und SO bevorzugendas Französisch als erste Fremdsprache.Dazu kommen die Sonderregelungenin den Kantonen GR, UR undAI mit Beginn von Französisch erst abder 1. Sekundarklasse und in Zürichmit Englisch bereits ab der 2. Klasse.GR und UR starten dafür früher mitItalienisch, UR aber nur als Wahlfach.Im HarmoS-Kanton GL ist Französischauf der Sekundarstufe I mit Grundanforderungenwie <strong>im</strong> Aargau ab Beginnnur ein Wahlfach. Weil der Aargau mitFranzösisch erst in der 6. Klasse beginnt,verlassen dort viele Jugendlichedie Volksschule mit einem Jahr Französischaus der 6. Klasse. Im Kanton AIist es gar möglich, die Volksschuleohne Unterricht in einer Landesspracheabzuschliessen. Auch in den KantonenSG und TG kann Französisch abdem 8. Schuljahr abgewählt werden.Einem 6.Klässler, der mit seiner Familievon UR nach ZH zieht, fehlen fast fünfJahre Englisch, einem 5.Klässler, dervon BE oder BS nach ZH zieht, drei Jahre.Wer von SG oder TG nach BE oderBL wechselt, muss zwei Jahre Französischnachholen, von AG nach SO dreiJahre. Und das kurz vor den Übertrittenin die Sekundarstufe I resp. insGymnasium. Die diversen ‹Koordinationsräume›sind also sehr eng gesteckt:Einen Familienumzug von Bern in denAargau, von Basel nach Zürich, von Urinach Zug, von Innerrhoden nach Ausserhodenoder von St. Gallen nachBern muss man sich gut überlegen.» 1Doch damit nicht genug: Auch die Frage,ob die Fremdsprachen benotetwerden und welche Rolle sie für denÜbertritt in die Sek I spielen, wird vonKanton zu Kanton anders gehandhabt.Dabei wird die Bandbreite derdenkbaren Möglichkeiten voll ausgeschöpft.Die Stundendotationen derFremdsprachen sind ebenfalls nichtüberkantonal geregelt.Ernüchternde ErgebnisseAus dem Kanton Luzern liegen ersteErgebnisse über die Wirksamkeit desFrühenglischunterrichts vor. 2 Über dieHälfte der Kinder erreicht die Lernziele<strong>im</strong> Teilbereich «Hören» nicht, <strong>im</strong>Teilbereich «Lesen» sind es sogar zweiDrittel. Der Leiter der Luzerner Dienststellefür Volksschulbildung verortetedas Problem sofort bei der mangelhaf-
2013/14-0129ten didaktischen Ausbildung der unterrichtendenLehrkräfte, welche nunverbessert werden soll.Es wäre wohl ehrlicher, auch andere Ursachenfür den sich nicht einstellendenErfolg in Betracht zu ziehen. Wir habensie schon erwähnt, als wir <strong>im</strong> letztenlvb.inform nach Gründen für die ablehnendeHaltung der Lehrkräfte gegenüberder Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichtsgesucht haben:• Fremdsprachige Kinder beherrschenhäufig weder ihre Muttersprachenoch die Mundart noch die Unterrichtsspracherichtig. Bevor sie abernicht wenigstens eine Sprache gutsprechen, sind sie nicht bereit, zusätzlichmit einer vierten Sprache belastetzu werden.• Französisch und Englisch sind für diemeisten Kinder abstrakte Sprachen:Sie kennen niemanden, der dieseSprachen <strong>im</strong> Alltag spricht und verstehennicht, wozu sie sie lernen sollen.Die Motivation, sie zu erlernen,ist daher nicht vorhanden.• Mit drei oder gar nur zwei Unterrichtslektionenpro Woche ist dasErleben der Sprache, das <strong>im</strong> Fall derMuttersprache von selbst zu derenErwerb führt, extrem eingeschränkt.Gerade hinter das Konzept des spielerischenSpracherwerbs müssen unterdiesen Bedingungen sehr grosseFragezeichen gesetzt werden. Dieserst recht, wenn der Fremdsprachenunterricht– abweichend von der ursprünglichenAbsicht der EDK – garnichts Spielerisches an sich hat, sondernvon Anfang an Noten gesetztund überprüfbare Leistungen eingefordertwerden.Der Widerstand wächst:Wie reagiert der LCH?Nicht nur Lehrkräfte, auch Politikerinnenund Politiker verschiedener Parteienund verschiedener Kantone denkenbereits über die Abschaffung derzweiten Fremdsprache auf der Pr<strong>im</strong>arstufenach, respektive sind froh darüber,wenn sie in ihrem Kanton gar nieeingeführt wurde. Im Kanton Graubünden,der nicht selten als Musterbeispielfür die natürliche Sprachenvielfalthinhalten muss, soll die zweiteFremdsprache auf der Pr<strong>im</strong>arstufe mitHilfe einer Initiative abgeschafft werden.In Nidwalden prüft der Regierungsratdie Abschaffung des Frühfranzösischen.Walter Bircher, Direktorder Pädagogischen Hochschule Zürich,spricht sich offen für nur eine Fremdspracheauf der Pr<strong>im</strong>arstufe aus. Inetlichen Kantonen insbesondere derOst- und Zentralschweiz sind Postulatehängig, welche eine Evaluation desFrühfremdsprachenkonzepts oder gardessen Abschaffung fordern.Man könnte annehmen, dass der LCHaufgrund der mehr als klaren Rückmeldungenseiner Kantonalsektionen densofortigen Abbruch des Exper<strong>im</strong>ents«Frühfremd» fordern würde. Dies istjedoch nicht der Fall: Nach einer ausführlichenKritik an den nicht erfülltenGelingensbedingungen hält der LCHfest, dass man den Kantonen noch bisEnde des Schuljahres 2015/16 Zeit lassensolle, funktionierende Frühfremdsprachenkonzeptezu etablieren. Zudiesem Zeitpunkt läuft die Frist ab,welche die EDK den Kantonen für dieUmsetzung eingeräumt hat. Sollte sichaber bis dann keine wesentliche Ver-