26tor einmal 50 Seiten als Umfang gefordert):«Wer soll denn, wenn er nichtgerade vom Fach ist und sich professionellmit Schule befasst, das <strong>ganze</strong>557-seitige Konvolut in seiner Gänzelesen, verstehen und dazu angemessenStellung nehmen können, ausser ebeneinige Behörden und Organisationen?»Die Ursache für die gewaltigeD<strong>im</strong>ension des Lehrplans 21 besteheeben <strong>im</strong> bereits erwähnten Missverständnis,gemäss welchem Lehrplänezugleich die Schule als auch die Lernprozesseregulieren müssten. Das führein diesem Fall zu einer «Überforderungder Öffentlichkeit», die gemäss Künzlials «naiv», «unverfroren» oder «zynisch»interpretiert werden könne.Das Hauptproblem dieser Konstellationbestehe nun darin, dass eine «nötigeöffentliche Anerkennung undLegit<strong>im</strong>ität für die Klärung des Auftragesder Schule» so kaum einzuholensei, «auch nicht für die Abgrenzungdes Berufsauftrages der Lehrerschaftgegen permanent drohendeAusweitung und Überfrachtung».Mitschuldig daran sei auch die organisierteLehrerschaft, die «einen ‹direkteinführbaren› Lehrplan» geforderthabe, ohne wirklich zu wissen, was siedamit verlange. Das Resultat sei nunein Lehrplan, <strong>im</strong> welchem «Schulverordnung,Schulleitbild, Lehrplan, didaktisch-pädagogischePrinzipien undLeitlinien, Unterrichts- und Prüfungsvorgabenuntrennbar ineinanderamalgamiert» seien, was alles andereals «modern» anmute, sondern an Zeiten«vor jeder funktionalen Differenzierungund Planzerlegung» erinnere.Urteil 3: Der Lehrplan 21gefährdet die demokratischeLegit<strong>im</strong>ation der VolksschuleKünzli hält die Konsultation insgesamtfür «widersprüchlich», weil sie einerseitszur Stellungnahme einlade,«durch Struktur und Umfang» aber sogleichwieder auslade. Nicht etwa, dasser es «zielführend» fände, «ein breitesLaienpublikum auch über Kompetenzstufenund konstruktivistische Lernparadigmatadiskutieren zu lassen», aberin einem durch Komplexität und Ausmassdes Lehrplans verursachten Fernhaltender Laien vom Schuldiskurs erkenntKünzli eine Gefährdung «derpolitischen Legit<strong>im</strong>ation der öffentlichenSchule» sowie eine Verletzungder «Grundlage von Demokratie».Dabei bestünde in Künzlis Wahrnehmungdie eigentliche Herausforderungin solchen Prozessen eben gerade inder schwierigen Aufgabe, «eine verantwortbareund akzeptable Grenzezwischen dem professionellen Fachdiskursund dem öffentlichen Gesprächüber Schule und Bildung zu ziehen».Künzli kritisiert, dass es in diesem Kontextnoch nicht einmal seitens des wissenschaftlichenProjektbeirats «einpaar klärende Gedanken und Überlegungen»gebe.Grundsätzliche Zweifelam Sinn solcher ProjekteRudolf Künzli zweifelt «an der Rationalitätsolcher Übungen», wenn man bedenke,«dass auch dieser Lehrplan, inwelcher kantonal modifizierten Formauch <strong>im</strong>mer, nicht ohne Lehrmittel und
2013/14-0127Schulbücher auskommen wird, ohneLernaufgaben und Prüfungsprogramme,die ihn nach Lage der Dinge undder Dynamik gesellschaftlicher wie erziehungswissenschaftlicherund schulischerEntwicklungen in vielen Aspektenschon bald überholt haben werden,noch bevor er <strong>im</strong> Jahre 2016 oder 2018in kraft- und umgesetzt werden wird».Plädoyer für «curriculareBescheidenheit»In Bezugnahme auf ein Zitat von ErziehungswissenschaftlerProf. DietrichBenner – «Für alles Lehren und Lernengilt, dass es grundsätzlich nicht delegierbarist und nicht stellvertretendvon anderen wahrgenommen odervollzogen werden kann.» – merkt RudolfKünzli an, dass diese Aussage ebenauch auf Fachdidaktiker, Bildungsadministratorenund Lehrplankommissionärezutreffe. Weil Lehrpläne nichtdazu in der Lage seien, individuelleoder institutionelle Lernprozesse zusteuern, sondern lediglich «eine grobeRichtung erwünschter Anstrengungen»anzugeben vermöchten, plädiertRudolf Künzli für eine «curriculare Bescheidenheit»– und schliesst seineAusführungen mit einer Strophe ausBrechts «Dreigroschenoper».«Ja mach´ nur einen PlanSei nur ein grosses Licht!Und mach dann noch ´nen zweitenPlanGehn tun sie beide nicht.Denn für dieses LebenIst der Mensch nicht schlecht genug.Doch sein höh’res StrebenIst ein schöner Zug.»1Rudolf Künzli, Der Lehrplan 21: Ein Lehrplander neuen Generation, aber auch ein zukunftsfähigesModell zur Klärung des gesellschaftlichenAuftrags der Schule?, http://www.lehrplanforschung.ch/?p=3207; alle Zitateentstammen diesem DokumentLVB-Kommentar zumZusammenhang zwischenHarmoS und dem Lehrplan 21Prof. Rudolf Künzli weist darauf hin,dass das Grossprojekt «Lehrplan 21»seine Legit<strong>im</strong>ität aus der vom St<strong>im</strong>mvolkbefürworteten Bildungsharmonisierungbeziehe. Kernargument derHarmonisierungs-Befürworter war <strong>im</strong>merdie behauptete zunehmende Mobilitätin unserer Gesellschaft. Konkretwollte man also zu verhindern suchen,dass schulpflichtige Kinder, die vomKanton A in den Kanton B umziehen,an ihrer neuen Schulstätte eine ganzandere Schulrealität (Fächer, Inhalte,Anforderungen) vorfinden als vor ihremWohnortswechsel.Wenn Sie, geschätzte Leserin respektivegeschätzter Leser, die Probe aufsExempel machen und in Ihrem persönlichenUmfeld einmal erfragen wollen,weshalb seinerzeit der Bildungsharmonisierungzugest<strong>im</strong>mt wurde, wirdin den meisten Fällen mit an Sicherheitgrenzender Wahrscheinlichkeit – undbestens nachvollziehbar – der Begriff«Mobilität» fallen.Statistisch erhärtetes Zahlenmaterial,aus dem sich hätte herauslesen lassen,wie viele schulpflichtige Kinder in derVergangenheit tatsächlich von solchenSchulortswechseln in problematischerArt und Weise betroffen gewesen waren,waren damals nicht ausfindig zumachen. Ob alternative, weniger allumfassendeLösungsansätze – z.B. dasÄufnen kantonaler Fonds zwecks intensiverEinzelförderung solcher «problematischerUmzugs-Betroffenen» –überhaupt jemals in Betracht gezogenwurden, entzieht sich der Kenntnis desAutors. Naheliegend erscheint jedochdas beliebte Bildungs-Reform-Motto:«Wenn schon, denn schon!»Seither wird das Schweizer Schulweseneiner fundamentalen strukturellen Vereinheitlichungunterzogen – angeblich.Mehr noch: Auch die Methodik des Unterrichtenssoll neu gedacht werden,wie die Kompetenzorientierung desLehrplans 21 unter Beweis stellt – obwohldies mit dem Erleichtern der innerschweizerischenMobilität herzlichwenig zu tun hat. Man bastelt alsomunter und emsig und in nie nachlassenderKadenz an der «Schule Schweiz»herum, rückt jede erdenkliche Neuerungauf teilweise verschlungenen Pfadenirgendwie in die Nähe von «HarmoS»und so wollen die Diskussionenüber diese oder jene (Teil-)Reform garnie mehr abreissen.Und angesichts der vorliegenden 557Seiten des «historischen» Lehrplans 21tut sich be<strong>im</strong> Betrachter irgendwanndie ketzerische Frage auf, ob das gewaltigeUmkrempeln dieses Systems letztlichauch dazu dient, den Blick auf dieunangenehme Wahrheit zu verstellen,dass wir aktuell Lichtjahre von der versprocheneninhaltlichen Bildungsharmonisierungentfernt sind – was vorrangigder Fremdsprachen-Thematikgeschuldet ist. Oder wie es unlängst <strong>im</strong>LCH-Organ «BILDUNG SCHWEIZ» (<strong>Ausgabe</strong>7/8, 2013) lapidar formuliert war:«Der Fremdsprachenunterricht ist unterschiedlicherals je zuvor.»Solange sich daran nichts ändert, bleibtder Begriff «Bildungsharmonisierung»ein epochaler (und höchst kostspieliger)Etikettenschwindel. Und der Lehrplan21, wie Prof. Künzli es konstatiert,vermag in dieser Hinsicht definitiv keinenneuen Anstoss zu leisten.