ganze Ausgabe im pdf-Format - Lehrerinnen

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22«Natur, Mensch und Gesellschaft» im Lehrplan 21:So eben gerade nicht!Von Michael WeissKompetenzen umfassensowohl Wissen als auchKönnen, wobei Ersteresdem Letzteren vorangehenmuss. Im Kapitel «Natur,Mensch und Gesellschaft»des Lehrplans 21 fehlt dasWissen fast vollständig.Warum das ausgesprochentöricht ist und gravierendeAuswirkungen nach sichziehen wird, wenn es sobestehen bleibt.Die Kleinen AntillenDie Kleinen Antillen begrenzen die Karibiknach Osten hin. Wenn Sie das nichtohnehin schon gewusst haben, hilftIhnen diese kleine Zusatzinformationvermutlich, sich ein ziemlich genauesBild von der Lage der Kleinen Antillenzu machen.Ihr Vorwissen ist dabei entscheidend:Die gegebene Information nützt Ihnennur dann etwas, wenn Sie wissen,dass mit Karibik hier das KaribischeMeer gemeint ist, das an seiner Westgrenzean Mittelamerika, im Nordenan den Golf von Mexiko, im Süden anSüdamerika und im Osten an den Atlantikgrenzt. Um sich zu orientieren,müssen Sie weiter eine grobe Vorstellungvon der Form und Lage Amerikas(Nord-, Mittel- und Südamerika)haben.Sie müssen zudem wissen, dass derAtlantik ein mehrere tausend Kilometerbreiter Ozean ist, der im Westendurch Amerika und im Osten durchEuropa und Afrika begrenzt ist und imÜbrigen vom Nordpolarmeer bis zurAntarktis reicht. Daraus wird klar, dassSie auch die Form der übrigen Kontinentein etwa kennen und ausserdemnoch wissen sollten, dass die Erde eineKugel mit einem Umfang von etwa40‘000 km ist.Elementares Faktenwissen undseine NotwendigkeitDas einfache Beispiel zeigt, dass eineelementare, auf Faktenwissen basierendegeographische Orientierungauf verschiedenen Ebenen – global,kontinental, national, kantonal, regionalund kommunal – unabdingbarist, um eine neue Information, in diesemFall über die Lage der KleinenAntillen, aufnehmen zu können.Dieses elementare geographische Faktenwissenist nicht nur die Grundlagedes weiterführenden Geographieunterrichts,sondern auch unerlässlich fürweitere Fächer wie Geschichte, Biologieund Wirtschaft, sowie für die imLehrplan 21 prominent erscheinendeninterdisziplinären Themen wie «Nachhaltigkeit»:Wenn Sie die Ökobilanzeneiner italienischen und einer neuseeländischenKiwi vergleichen, müssenSie selbst darauf kommen, dass dieneuseeländische Kiwi, ohne dass sieverdirbt, aufgrund der grossen Entfernungnur per Flugzeug schnell genugbis zu uns gelangen kann, während dieitalienische Kiwi vermutlich auf demLandweg bis zu uns transportiert wird.Ebenso wie die geographische ist aucheine elementare, auf Faktenwissen basierendehistorische Orientierung füretliche Fächer unabdingbar. Beginnund Ende verschiedener historischerEpochen, aber auch die Jahreszahleneinschneidender Ereignisse, die ungefährenLebensdaten bedeutender Personen,und all dies auf den schon genanntenEbenen – global, kontinental,national, kantonal, regional und kommunal–, sind Voraussetzung nicht nurfür ein «kompetentes» Verständnis vonGeschichte, sondern auch für die Naturwissenschaften,die Sprachen, Wirtschaft,Musik und das Gestalten.Elementares biologisches Faktenwissenmag für andere Disziplinen wenigerwichtig sein. In Bezug auf denThemenkreis der nachhaltigen Entwicklungkann man aber auch nichtdarauf verzichten, zu wissen, welcheObst- und Gemüsesorten bei unswachsen und wann sie geerntet werden,welche Bäume (und entsprechendwelche Holzarten) in derSchweiz wachsen und wie diese aussehen,welche Tiere welche Bedürfnissean ihren Lebensraum haben usw.Muss man all dies ständig nachschlagen,kommt man – buchstäblich – aufkeinen grünen Zweig.Am Anfang steht das WissenDass solches Faktenwissen im Kapitel«Natur, Mensch, Gesellschaft» (im Folgendenmit «NMG» abgekürzt) imLehrplan 21 kaum erwähnt wird – eineinziger verklausulierter Satz weistvage darauf hin –, zeigt deutlich, waspassiert, wenn ein Konzept – hier dasjenigeder Kompetenz – zur Ideologieerhoben und dann auch noch falschverstanden wird. Niemand zweifeltdaran, dass Faktenwissen nutzlos ist,wenn man es nicht anwenden kann.Aber anwenden kann man es nur,wenn man darüber verfügt.Das wird auch in der Einleitung desLehrplans 21 deutlich betont: «FachlicheKompetenzen beschreiben fachspezifischesWissen und die damitverbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.Mit überfachlichen Kompetenzenist jenes Wissen und Könnengemeint, das über alle Fachbereichehinweg für das Lernen eine wichtigeRolle spielt.» 1 Sowohl die fachlichenwie auch die überfachlichen Kompetenzensind immer eine Verbindungvon Wissen und Können. In diesemFall ist auch die Beantwortung der«Huhn-Ei-Frage» (was zuerst da war)klar: Am Anfang steht das Wissen.Fahrlässigkeit oderMutwilligkeit?Es stellt sich nun die Frage, warum dieVerfasser des Kapitels «NMG» im Lehr-

2013/14-0123plan 21 das Grundwissen derart ausgeblendethaben. Hielten sie dieses für soselbstverständlich, dass sie …• a) … gar nicht daran gedacht haben,es zu erwähnen?• b) … die Notwendigkeit nicht sahen?Oder waren sie gar …• c) … tatsächlich der Meinung, diesesFaktenwissen brauche es nicht?Müsste man im Fall a) zumindest vonFahrlässigkeit sprechen, so läge im Fallb) schon grobe Fahrlässigkeit und imFall c) ein geradezu mutwilliger Angriffauf die Bildungsqualität vor.Ob fahrlässig oder mutwillig: Die Autorentragen zumindest eine Mitverantwortung,wenn zukünftigen Schülerinnenund Schülern Sachunterrichtohne eine solide Basis an Grundwissenunterrichtet wird.Ohne zu wissen, wo sich der IndischeOzean, der Bodensee, Brasilien und derMont Blanc befinden, was eine Eichevon einer Kastanie unterscheidet oderwelche Flüsse durch das Baselbiet fliessen;ohne eine Vorstellung davon zuhaben, wann Rom gegründet, dieDampfmaschine erfunden und der ErsteWeltkrieg erklärt wurde, sollen zukünftigeSchülerinnen und Schüler globaleHandelsströme analysieren, Renaturierungsprojekteskizzieren und nachGründen für die Ungleichverteilungdes Reichtums auf der Welt suchen!?Es ginge ja auch andersDass es auch innerhalb des Lehrplans 21anders (im Sinne von besser) geht, zeigenbeispielsweise die Kapitel «Sprachen»und «Mathematik»: Ganz klarlässt sich dort herauslesen, dass Spracherwerbohne das Erlernen von Wörternund grammatikalischen Regelnnicht möglich ist, und dass man grundlegendemathematische Gesetze undRechnungen, angefangen mit dem Einmaleins,auswendig kennen muss, umsie anwenden zu können.Die Mär vom leicht verfügbarenWissenDie Geringschätzung des Wissens, dieverschiedene Apologeten des Kompetenzbegriffsan den Tag legen, wirdoft mit der leichten Verfügbarkeit desWissens durch das Internet oder dergesunkenen Halbwertszeit desselbengerechtfertigt. Dabei hat aber nichtjedes Wissen dieselbe Halbwertszeit!Die Daten historischer Epochen oderEreignisse sind nahezu unveränderlich,allenfalls verändert sich im Laufder Jahrzehnte bis Jahrhunderte dieEinschätzung über ihre Bedeutsamkeit.Geographische Bezeichnungenändern sich mitunter, aber auch hierliegt die Halbwertszeit (also die Zeit,innerhalb derer sich die Hälfte allergeographischen Bezeichnungen verändert)im Bereich von Jahrhundertenbis Jahrtausenden. Ähnlich ist es beibiologischen Bezeichnungen.Genau dieses langfristige Wissen konnteman aber auch schon vor hundertJahren in einem Lexikon oder einemAtlas nachschlagen. Der Zusatzkomfort,den einem das Internet hierbeiheute bietet, ist zwar angenehm, aberkeineswegs entscheidend. Was man imInternet tatsächlich sehr viel einfacherfindet, ist Wissen, das auswendig zulernen auch in früheren Zeiten niemandemin den Sinn gekommen wäre.Daran, dass das Wissen die Basis desKönnens ist, ändert jedoch auch dasInternet nichts.1Lehrplan 21, Kapitel «Einleitung», S.8

22«Natur, Mensch und Gesellschaft» <strong>im</strong> Lehrplan 21:So eben gerade nicht!Von Michael WeissKompetenzen umfassensowohl Wissen als auchKönnen, wobei Ersteresdem Letzteren vorangehenmuss. Im Kapitel «Natur,Mensch und Gesellschaft»des Lehrplans 21 fehlt dasWissen fast vollständig.Warum das ausgesprochentöricht ist und gravierendeAuswirkungen nach sichziehen wird, wenn es sobestehen bleibt.Die Kleinen AntillenDie Kleinen Antillen begrenzen die Karibiknach Osten hin. Wenn Sie das nichtohnehin schon gewusst haben, hilftIhnen diese kleine Zusatzinformationvermutlich, sich ein ziemlich genauesBild von der Lage der Kleinen Antillenzu machen.Ihr Vorwissen ist dabei entscheidend:Die gegebene Information nützt Ihnennur dann etwas, wenn Sie wissen,dass mit Karibik hier das KaribischeMeer gemeint ist, das an seiner Westgrenzean Mittelamerika, <strong>im</strong> Nordenan den Golf von Mexiko, <strong>im</strong> Süden anSüdamerika und <strong>im</strong> Osten an den Atlantikgrenzt. Um sich zu orientieren,müssen Sie weiter eine grobe Vorstellungvon der Form und Lage Amerikas(Nord-, Mittel- und Südamerika)haben.Sie müssen zudem wissen, dass derAtlantik ein mehrere tausend Kilometerbreiter Ozean ist, der <strong>im</strong> Westendurch Amerika und <strong>im</strong> Osten durchEuropa und Afrika begrenzt ist und <strong>im</strong>Übrigen vom Nordpolarmeer bis zurAntarktis reicht. Daraus wird klar, dassSie auch die Form der übrigen Kontinentein etwa kennen und ausserdemnoch wissen sollten, dass die Erde eineKugel mit einem Umfang von etwa40‘000 km ist.Elementares Faktenwissen undseine NotwendigkeitDas einfache Beispiel zeigt, dass eineelementare, auf Faktenwissen basierendegeographische Orientierungauf verschiedenen Ebenen – global,kontinental, national, kantonal, regionalund kommunal – unabdingbarist, um eine neue Information, in diesemFall über die Lage der KleinenAntillen, aufnehmen zu können.Dieses elementare geographische Faktenwissenist nicht nur die Grundlagedes weiterführenden Geographieunterrichts,sondern auch unerlässlich fürweitere Fächer wie Geschichte, Biologieund Wirtschaft, sowie für die <strong>im</strong>Lehrplan 21 prominent erscheinendeninterdisziplinären Themen wie «Nachhaltigkeit»:Wenn Sie die Ökobilanzeneiner italienischen und einer neuseeländischenKiwi vergleichen, müssenSie selbst darauf kommen, dass dieneuseeländische Kiwi, ohne dass sieverdirbt, aufgrund der grossen Entfernungnur per Flugzeug schnell genugbis zu uns gelangen kann, während dieitalienische Kiwi vermutlich auf demLandweg bis zu uns transportiert wird.Ebenso wie die geographische ist aucheine elementare, auf Faktenwissen basierendehistorische Orientierung füretliche Fächer unabdingbar. Beginnund Ende verschiedener historischerEpochen, aber auch die Jahreszahleneinschneidender Ereignisse, die ungefährenLebensdaten bedeutender Personen,und all dies auf den schon genanntenEbenen – global, kontinental,national, kantonal, regional und kommunal–, sind Voraussetzung nicht nurfür ein «kompetentes» Verständnis vonGeschichte, sondern auch für die Naturwissenschaften,die Sprachen, Wirtschaft,Musik und das Gestalten.Elementares biologisches Faktenwissenmag für andere Disziplinen wenigerwichtig sein. In Bezug auf denThemenkreis der nachhaltigen Entwicklungkann man aber auch nichtdarauf verzichten, zu wissen, welcheObst- und Gemüsesorten bei unswachsen und wann sie geerntet werden,welche Bäume (und entsprechendwelche Holzarten) in derSchweiz wachsen und wie diese aussehen,welche Tiere welche Bedürfnissean ihren Lebensraum haben usw.Muss man all dies ständig nachschlagen,kommt man – buchstäblich – aufkeinen grünen Zweig.Am Anfang steht das WissenDass solches Faktenwissen <strong>im</strong> Kapitel«Natur, Mensch, Gesellschaft» (<strong>im</strong> Folgendenmit «NMG» abgekürzt) <strong>im</strong>Lehrplan 21 kaum erwähnt wird – eineinziger verklausulierter Satz weistvage darauf hin –, zeigt deutlich, waspassiert, wenn ein Konzept – hier dasjenigeder Kompetenz – zur Ideologieerhoben und dann auch noch falschverstanden wird. Niemand zweifeltdaran, dass Faktenwissen nutzlos ist,wenn man es nicht anwenden kann.Aber anwenden kann man es nur,wenn man darüber verfügt.Das wird auch in der Einleitung desLehrplans 21 deutlich betont: «FachlicheKompetenzen beschreiben fachspezifischesWissen und die damitverbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.Mit überfachlichen Kompetenzenist jenes Wissen und Könnengemeint, das über alle Fachbereichehinweg für das Lernen eine wichtigeRolle spielt.» 1 Sowohl die fachlichenwie auch die überfachlichen Kompetenzensind <strong>im</strong>mer eine Verbindungvon Wissen und Können. In diesemFall ist auch die Beantwortung der«Huhn-Ei-Frage» (was zuerst da war)klar: Am Anfang steht das Wissen.Fahrlässigkeit oderMutwilligkeit?Es stellt sich nun die Frage, warum dieVerfasser des Kapitels «NMG» <strong>im</strong> Lehr-

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